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„Mit Rat zur Tat. Perspektiven der Antidiskriminierungs­ beratung in Deutschland“

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„Mit Rat zur Tat. Perspektiven der Antidiskriminierungs­

beratung in Deutschland“

Dokumentation der Fachtagung im Umweltforum, Berlin

am 14. November 2017

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Die Fachtagung wurde mit Unterstützung des Bundesprogramms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ durchgeführt.

„Mit Rat zur Tat. Perspektiven der Antidiskriminierungs­

beratung in Deutschland“

Dokumentation der Fachtagung im Umweltforum, Berlin

am 14. November 2017

(3)

3 Inhalt

Inhalt

Begrüßung 4

Grußwort 7

Keynote „Das Amt auf deiner Seite – Antidiskriminierungsberatung

durch staatliche Stellen“ 11

Keynote „Vom Flickenteppich zur Infrastruktur – 

Antidiskriminierungsberatung in Deutschland weiterdenken“ 15 Diskussionsrunde mit Vertreter_innen des Bundes, des Landes Berlin sowie

der staatlichen und der nichtstaatlichen Antidiskriminierungsberatung 19 Parallele Foren

Forum 1

„Antidiskriminierung vernetzen – Schnittstellen und Kooperationen mit Mieter- und

Verbraucherschutzberatung, gewerkschaftlichem Rechtsschutz, Ombuds- und Beschwerdestellen 23

Forum 2

Antidiskriminierungsberatung und Demokratieförderung – Beratungsnetzwerke der Opferberatungen

und Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus um Antidiskriminierungsberatung erweitern 29

Forum 3

Antidiskriminierungsberatung und Beschwerdedaten – Beschwerdefälle erfassen, dokumentieren

und auswerten 36

Forum 4

Antidiskriminierungsberatung etablieren und weiterdenken – Konzepte für die Zukunft in der Diskussion 41

Impressum 46

(4)

4 Begrüßung

Begrüßung

Christine Lüders

Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)

Lieber Herr Staatssekretär Dr. Kleindiek, liebe Frau Staatssekretärin Gottstein, liebe Frau El Samadoni,

lieber Herr Heppener, lieber Herr Bartel, verehrte Anwesende,

ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer Fachtagung „Mit Rat zur Tat. Perspektiven der Antidiskrimi­

nierungsberatung“.

Mit Rat zur Tat, das ist nicht zufällig auch der Titel einer sehr gefragten Publikation aus unserem Haus – ei­

ner Sammlung von Fällen aus der Beratung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Denn um den Blick auf die Einzelfälle geht es uns ja: Das wichtigste Ziel der Antidiskriminierungsberatung muss es sein, Rat zu geben, der es jeder und jedem einzelnen Betroffenen erlaubt, zur Tat zu schreiten und ihr gutes Recht erfolgreich einzufordern – und wo nötig, einzuklagen. Das ist Empowerment im besten Sinne.

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5 Begrüßung

Wie in dem Fall der jungen Frau, die sich an die ADS gewandt hatte, nachdem sie für ein Praktikum in einer Pflegeheimküche ihr Kopftuch ablegen sollte. Wie für die Eltern, deren Sohn der bereits zugesagte Platz in einer Privatschule verweigert wurde, nachdem man dort von seinem Diabetes erfuhr. Oder wie im Falle der blinden Frau, der der Besuch eines Schwimmbads verweigert wurde, weil sie keine Begleitperson dabei hatte.

Allesamt Fälle aus unserer Beratung der letzten Monate, in denen wir erfolgreich zugunsten der Betrof­

fenen intervenieren konnten. Die Beratung im Einzelfall ist nicht die einzige Facette der Antidiskrimi­

nierungsarbeit, sie ist auch nicht die einzige Aufgabe, die uns das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zuweist. Aber ohne eine kompetente und wirkungsvolle Beratung im Einzelfall bleibt alles andere, bleiben die beste Forschung und die beste Öffentlichkeitsarbeit ohne Fundament. Gerade Beratungsfälle können wichtige Impulse auch für die Forschung und für die allgemeine Antidiskriminierungsarbeit geben.

Dafür braucht es Ressourcen.

Ja, Deutschland ist eigentlich ein Föderalstaat mit starken Länderkompetenzen. Aber im Umkehrschluss heißt das leider nicht, dass alle Länder eigene Antidiskriminierungsstellen hätten. Ich bin überzeugt, Län­

der und auch Kommunen könnten hier mehr tun. Wir von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes haben in den vergangenen Jahren durch unsere Anschubförderung für Beratungsnetzwerke versucht, ein flächendeckendes Angebot zu befördern.

Was Sie, liebe Anwesende aus den Beratungsnetzwerken, daraus in vielen Bundesländern gemacht haben, das beeindruckt mich und es macht mich auch ein wenig stolz. Sie haben lebendige, hochaktive und er­

folgreiche Netzwerke ins Leben gerufen oder sie ausgebaut. Ihr Beitrag für die Beratung von Menschen mit Diskriminierungserfahrungen ist unschätzbar.

Umso dringlicher appelliere ich an die Landesregierungen, diesen Erfolgen eine Zukunft zu ermöglichen.

Die Antidiskriminierungsstelle kann, wie Sie wissen, die Netzwerke und Beratungsstellenprojekte nicht in eine dauerhafte Förderung überführen. Aber es wäre ein immenser Verlust, wenn das, was an Beratungs­

kompetenz aufgebaut wurde, wieder verloren ginge.

Schließlich gibt es nur in den wenigsten Ländern so aktive Landesantidiskriminierungsstellen wie etwa in Schleswig­Holstein, liebe Frau El Samadoni, oder in Berlin, liebe Frau Gottstein. Vielen Dank, dass Sie heute zu uns gekommen sind!

Richtig ist aber auch: Die nichtstaatliche Antidiskriminierungsberatung ist nicht die Lückenbüßerin für den Staat und sie darf auch nicht in diese Rolle gedrängt werden. Viele von Ihnen übernehmen noch ganz andere Aufgaben als die reine Rechtsberatung, und Sie alle haben ganz andere Stärken, als sie die beste Behörde je haben könnte.

Auch wenn wir ein wesentlich besser ausgebautes staatliches Beratungsnetz hätten, würden Sie noch im­

mer dringend gebraucht. Ihr täglicher Einsatz für die Betroffenen unter oft prekären Arbeitsbedingungen kann meiner Meinung nach gar nicht hoch genug geschätzt werden. Dafür gelten Ihnen meine große An­

erkennung und mein Dank.

Sie sollen hier heute die Chance haben, sich intensiv mit uns, vor allem aber auch miteinander über Zu­

kunftsperspektiven Ihrer Arbeit auszutauschen. Und dabei soll es natürlich nicht nur um Finanzierungs­

fragen gehen.

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6 Begrüßung

Ich will Sie ermuntern: Denken Sie voraus, denken Sie über die Beschränkungen der Gegenwart hinaus.

Wie können Sie sich gegenseitig stärken, was kann unser Beitrag dazu sein? Gerade in herausfordernden Zeiten wie diesen brauchen wir Ihren mutigen und ehrgeizigen Blick in die Zukunft.

Lieber Herr Staatssekretär Dr. Kleindiek, ich freue mich ganz besonders, dass Sie sich bereit erklärt haben, hier gleich ein Grußwort zu sprechen. Denn das gibt mir die Gelegenheit, etwas zu betonen, das mir sehr wichtig ist. Als unabhängige Stelle im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senio­

ren, Frauen und Jugend hat sich die Antidiskriminierungsstelle in den vergangenen elf Jahren unter wech­

selnden Hausleitungen und in verschiedenen politischen Konstellationen stets gut aufgehoben gefühlt.

Aber den Respekt, die Wertschätzung und, wo möglich, die Unterstützung, die die Ministerinnen Manuela Schwesig und Katarina Barley – und die auch Sie, lieber Herr Staatssekretär – unserer Arbeit, der Arbeit der Antidiskriminierungsstelle, entgegengebracht haben, die waren etwas Besonderes. Dafür möchte ich Ihnen aufrichtig danken – und natürlich auch dafür, dass das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ diese Tagung hier erst ermöglicht hat.

Liebe Anwesende, nun aber wünsche ich Ihnen allen engagierte, produktive, erkenntnisreiche Diskussio­

nen in den kommenden Stunden. Lieber Herr Staatssekretär, ich übergebe Ihnen das Podium. Vielen Dank!

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7 Grußwort

Grußwort

Dr. Ralf Kleindiek

Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)

Sehr geehrte Frau Lüders, liebe Margit, sehr geehrte Damen und Herren,

I.

„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Hei­

mat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

So unmissverständlich, einfach und klar sagt das unser Grundgesetz im Artikel 3. Niemand darf diskrimi­

niert werden. Alle Menschen sollen teilhaben. Gesellschaftliche Teilhabe kann ohne einen guten Schutz vor Diskriminierung nicht funktionieren. Beides gehört zusammen. Und beides gehört zum Markenkern unserer Demokratie. Um diesen Kern klarer auszubuchstabieren, trat am 18. August 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft.

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8 Grußwort

In dem Wissen, dass ein Gesetz alleine nicht reicht, um Diskriminierung zu verhindern oder zu beseitigen, wurde zugleich die Antidiskriminierungsstelle des Bundes als unabhängige Anlaufstelle geschaffen. Sie informiert seit mittlerweile elf Jahren Betroffene über ihre rechtlichen Ansprüche, verweist auf andere Beratungsstellen und vermittelt gütliche Einigungen. Zu dieser erfolgreichen Arbeit haben insbesondere Sie, Frau Lüders, beigetragen. Sie sind seit 2010 Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Für Ihr großartiges Engagement möchte ich Ihnen herzlich danken.

Das Gleiche gilt für die vielen Beratungsstellen vor Ort. Sie alle helfen Menschen, zu ihrem Recht zu kom­

men. Sie informieren und beraten. Sie machen Mut und spenden Trost. Sie stehen Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite. Sie stärken Menschen und zugleich unsere Demokratie. Dafür möchte ich Ihnen heute danken.

II.

Die Arbeit der Antidiskriminierungsstellen und der vielen Menschen, die sich haupt­ und ehrenamtlich gegen Diskriminierung und Intoleranz einsetzen, sind für unser Land unverzichtbar. Sie sorgen dafür, dass Betroffene nicht in eine Spirale aus Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit und Resignation geraten. Sie helfen ihnen bei der Suche nach einem Ausweg. Und Sie unterstützen Betroffene dabei, ihr Recht durchzusetzen.

Zum Beispiel gegenüber einem Vorgesetzten, einer Vermieterin oder einem Nachbarn.

Und obwohl die Beratungsstellen hervorragende Arbeit leisten, werden sie von zu wenigen Betroffenen genutzt. Das hängt zum Beispiel damit zusammen, dass viele Menschen ihre Rechte und die Beratungsstel­

len gar nicht kennen oder dass es vor Ort keine Ansprechperson gibt. Das hängt aber auch damit zusam­

men, dass Menschen, die diskriminiert wurden, ihre Ansprüche auf Schadensersatz oder Entschädigung innerhalb von zwei Monaten schriftlich geltend machen müssen. Die Beratungspraxis zeigt, dass daran viele scheitern. Zudem schrecken Betroffene häufig vor den finanziellen wie seelischen Belastungen eines Gerichtsverfahrens zurück.

Diese Probleme lassen sich lösen: durch die Einführung eines Verbandsklagerechts und der sogenannten Prozessstandschaft für Antidiskriminierungsverbände. Dafür hat sich die SPD in den vergangenen vier Jahren in der Großen Koalition mit Nachdruck eingesetzt. Leider ließen sich CDU und CSU nicht von die­

sem Schritt überzeugen.

Eines steht aber außer Frage: Heute bestreitet niemand mehr, dass wir das Allgemeine Gleichbehandlungs­

gesetz brauchen. Als es vor elf Jahren verabschiedet wurde, war das noch anders. Die einen befürchteten, es würde zu Massenentlassungen von Frauen kommen. Andere sahen durch das Gesetz gleich unsere Wirt­

schaftsordnung bedroht. Und wieder andere meinten, das AGG sei ein Bürokratie­Monster, das deutschen Unternehmen nachhaltig schaden würde.

Nichts davon ist wahr geworden.

Uns sollte aber zu denken geben, dass es bis zum Jahr 2006 gedauert hat, um das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes auch im Privat­ und Arbeitsrecht festzuschreiben. Und dass es dagegen so viele Wider­

stände gab. Diskriminierung, Ungleichheit und Intoleranz waren und sind weit verbreitet. Sie sind gesell­

schaftliche Baustellen, an die wir weiter ranmüssen.

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9 Grußwort

III.

In meinem Ministerium haben wir in den letzten vier Jahren die Ärmel hochgekrempelt, um diese Baustel­

len zu schließen, indem wir gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Gewalt und Diskriminierung vorgegangen sind.

Zum Beispiel mit unserem Bundesprogramm „Demokratie leben! – Aktiv gegen Rechtsextremismus, Ge­

walt und Menschenfeindlichkeit“, das auch die Antidiskriminierungs­ und Opferberatung voranbringt. Es fördert Initiativen, Vereine und engagierte Bürgerinnen und Bürger, die sich für ein vielfältiges, gewaltfrei­

es und demokratisches Miteinander einsetzen. Auf allen Ebenen.

In den Ländern unterstützen wir 16 Demokratiezentren, sodass in allen Ländern Opferberatungsstellen für die Bereiche Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus aktiv sind. Wir haben damit eine wichtige Forderung des Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag nach den Verbrechen des so­

genannten Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) umgesetzt. Individuelle Hilfe für Betroffene und

„Hilfe zur Selbsthilfe“ gehen hier Hand in Hand. Betroffenen wird geholfen, Übergriffe zu verarbeiten. Und sie werden bei Strafverfahren, Behördengängen oder Arztbesuchen unterstützt, wenn sie das möchten.

Zudem wirken die Demokratiezentren in die Gesellschaft.

Sie bauen lokale Unterstützungsnetzwerke aus Verbänden, zivilgesellschaftlich engagierten Initiativen und Personen auf, erstellen Informationsmaterialien und betreiben Aufklärungs­ und Öffentlichkeitsar­

beit. Über die Landesdemokratiezentren hinaus fördert „Demokratie leben!“ auf kommunaler Ebene fast 100 Modellprojekte, die sich mit verschiedenen Aspekten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus­

einandersetzen.

So fördern wir zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich beispielsweise mit dem Empowerment von (schwarzen Menschen und von) Menschen beschäftigen, die von Rassismus, Antisemitismus, Antiziganis­

mus, Islam­ und Muslimfeindlichkeit oder Homosexuellen­ und Transfeindlichkeit betroffen sind.

Mit über 100 Millionen Euro jährlich unterstützen wir dieses Programm. Der im Juni dieses Jahres noch vom Bundeskabinett verabschiedete Nationale Aktionsplan gegen Rassismus ist eine wichtige Basis für die weitere Arbeit.

IV.

All das zeigt: Wir haben in den letzten Jahren viel erreicht. Für die Menschen in unserem Land, für un­

sere Gesellschaft und unsere Demokratie. Den Kampf gegen Diskriminierung, Intoleranz und demokra­

tiefeindliche Einstellungen werden wir aber nicht allein am runden Tisch in Berlin gewinnen. Wir brau­

chen die nötige Sensibilität und Entschlossenheit auf allen staatlichen Ebenen. Nicht nur der Bund, auch die Länder stehen hier in der Verantwortung. Und wir brauchen Sie: Menschen und zivilgesellschaftliche Strukturen vor Ort.

Vor Ort muss Handlungssicherheit herrschen, wenn es zu Vorfällen von Diskriminierung kommt. Vor Ort müssen sich Menschen für Betroffene einsetzen und ihnen helfen. Vor Ort müssen wir für unsere Demo­

kratie und ein respektvolles, tolerantes Miteinander eintreten. Denn unsere Demokratie ist nicht einfach da. Wir haben sie nicht geerbt und sie existiert nicht von allein. Sie und ihre Werte müssen gelebt werden.

Jeden Tag.

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10 Grußwort

Mit Blick auf die Zukunft der Antidiskriminierungsarbeit wird es immer wichtiger, Beratungsangebote von Staat und Zivilgesellschaft zusammenzuführen. Wir müssen unsere Zusammenarbeit verbessern und Angebote stärker verschränken. Wir müssen gute Beispiele identifizieren und bekannt machen. Und wir müssen neue Konzepte entwickeln, um Gruppen zu erreichen, die bisher nicht so sehr im Fokus der Be­

ratungsarbeit lagen, wie Geflüchtete oder Kinder. Wertvolle Ideen und Konzepte für die Aufgaben, die vor uns liegen, werden Sie heute entwickeln und diskutieren.

Ich wünsche Ihnen für Ihre Tagung viel Erfolg und bin sehr gespannt auf ihre Ergebnisse!

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11 Keynote „Das Amt auf deiner Seite – Antidiskriminierungsberatung durch staatliche Stellen“

Keynote „Das Amt auf deiner Seite – Antidiskriminierungs­

beratung durch staatliche Stellen“

Samiah El Samadoni

Bürgerbeauftragte und Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Landes Schleswig-Holstein

Antidiskriminierungsberatung wird von staatlichen wie von nichtstaatlichen Stellen und Akteur_innen angeboten. Es gibt unterschiedliche Auffassungen, was darunter zu verstehen sei. Samiah El Samadoni, die seit 2014 Bürgerbeauftragte Schleswig­Holsteins ist und die Antidiskriminierungsstelle des Landes leitet, gab in ihrer Keynote einen Einblick in ihre Arbeit als Vertreterin einer staatlichen Stelle.

Sie referierte zunächst darüber, wie der Gesetzgeber in Schleswig­Holstein ihren Aufgabenbereich defi­

niert habe. Ihr Auftrag sei es, Menschen in sozialen Angelegenheiten zu beraten, zu informieren und ihre Interessen gegenüber den Behörden zu vertreten. Es gehe nach schwedischem Vorbild um die außerge­

richtliche Vermittlung und Mediation zwischen Menschen und Behörden.

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12 Keynote „Das Amt auf deiner Seite – Antidiskriminierungsberatung durch staatliche Stellen“

Die Bürgerbeauftragte, ein „Hilfsorgan des Parlaments“, sei für sechs Jahre gewählt und unabhängig, also nur dem Gesetz unterworfen. Sie könne Angelegenheiten selbst initiativ aufgreifen. Jährlich liefere sie Tä­

tigkeitsberichte ab. Diese Struktur sei auch relevant für die 2013 unter dem Dach der Bürgerbeauftragten geschaffene Antidiskriminierungsstelle, so El Samadoni. Andere staatliche Stellen, die zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beraten, seien häufig in Landesressorts eingebettet. Die Antidiskriminie­

rungsstelle in Schleswig­Holstein sei dagegen, ihrer Unabhängigkeit wegen, keiner Steuerung unterwor­

fen, es bestünden daher auch keine Interessenskonflikte.

Die Aufgaben der Stelle bestünden darin,

Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit zur Sensibilisierung für Diskriminierung und Prävention vor Diskriminierung zu leisten,

als direkte Anlaufstelle die Hilfe- und Ratsuchenden über die einschlägigen gesetzlichen Regelungen aufzuklären und

weitergehende Beratung zu vermitteln.

Im Folgenden berichtete Samiah El Samadoni aus der täglichen Arbeit. Jede und jeder könne sich an die Antidiskriminierungsstelle wenden. In den meisten Fällen fänden nach einer telefonischen Kontaktauf­

nahme persönliche Gespräche im Kieler Büro statt. Auch sie selbst nehme Kontakt auf, etwa zu neuge­

wählten Bürgermeister_innen. Sie fahre auf Wunsch zu Gesprächen zu ihnen.

Wende sich eine Bürgerin oder ein Bürger mit einem Problem an die Antidiskriminierungsstelle, so gebe man eine Einschätzung ab, ob im geschilderten Fall eine Diskriminierung nach dem AGG vorliegen könn­

te. Man weise die Betroffenen außerdem auf das Risiko eines Prozesses hin.

Was sei das Ziel? Man könne darauf hinwirken, dass formelle Rechte geltend gemacht würden und zum Beispiel eine Entschädigung oder Schadensersatz gezahlt würden. In anderen Fällen gehe es vorrangig da­

rum, eine bestehende Benachteiligung für die Zukunft abzustellen und eine Entschuldigung zu erwirken.

Oft gehe es Betroffenen um Letzteres.

Formelle Rechte seien oft nicht mehr geltend zu machen, weil die im AGG festgelegte Frist für Ansprüche bereits abgelaufen sei, wenn sich Betroffene an die Antidiskriminierungsstelle wendeten. Sie müssen in­

nerhalb von zwei Monaten nach einer diskriminierenden Handlung schriftlich anzeigen, dass sie Ansprü­

che geltend machen. Diese Präklusionsfrist wurde im weiteren Verlauf der Tagung immer wieder proble­

matisiert. Sie sei „geradezu zynisch kurz“, sagte El Samadoni. Es brauche Zeit, eine erlittene Verletzung zu verarbeiten. Sexuelle Belästigung etwa wirke oft traumatisierend. Zudem seien die Fristen des AGG vielen gar nicht bekannt. Der Europäische Gerichtshof habe zwar die Zulässigkeit der Frist festgestellt. Das heiße aber nicht, dass nicht auch eine längere Frist zulässig wäre.

Das AGG sei also kein „allein selig machender Schutz vor Diskriminierung“. Ausgrenzung und Benachteili­

gung seien „ein gesellschaftliches Phänomen, das unser Recht momentan nur unzulänglich abbildet“, so El Samadoni. Die Antidiskriminierungsstelle berate daher auch über andere Möglichkeiten der Rechtsverfol­

gung, von der Anzeigeerstattung über die Einlegung von Dienstaufsichtsbeschwerden bis zur verwaltungs­

gerichtlichen Klärung. Die Funktion der Antidiskriminierungsstelle bestehe zudem oft darin, Brücken zu bauen. Trotz der Verfristung gebe es häufig einen Bedarf an Klärung und daran, für die Zukunft zu sensi­

bilisieren.

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13 Keynote „Das Amt auf deiner Seite – Antidiskriminierungsberatung durch staatliche Stellen“

Sie gab ein Beispiel: Ein fast blindes Ehepaar habe die Antidiskriminierungsstelle in einem besonders ab­

surd wirkenden Fall kontaktiert. Weil der Mann einen Blindenhund mitgebracht habe, sei ihm der Zutritt zu einer Arztpraxis verwehrt worden – und zwar zu seiner Augenarztpraxis. Die Stelle habe daraufhin Kon­

takt zur Praxis aufgenommen. Diese habe den Mann um Entschuldigung gebeten, die Arzthelferin sei vom Betroffenen selbst sensibilisiert worden, sie sei mit verbundenen Augen mit dem Blindenhund spazieren gegangen. Die Praxis sei zudem in Sachen Barrierefreiheit beraten worden.

Die Betroffenen seien in vielen Fällen bereits erleichtert darüber, dass das, was sie als Diskriminierung wahrnähmen, nicht nur auf einer persönlichen Empfindung beruhe, sondern dass es ein Gesetz gebe.

Eine eigene Prozessvertretung leiste die Antidiskriminierungsstelle in Schleswig­Holstein nicht, die Bürger­

beauftragte gehöre zum Landtag und sei deswegen niemals Vertreterin für eine Partei in einem gericht­

lichen Verfahren, „dies widerspräche der Gewaltenteilung“. Ansonsten reiche der Aufgabenbereich aber weit. Es seien mehr als 600 Beratungsgespräche geführt worden. Aber man müsse mehr dafür tun, dass An­

tidiskriminierungsberatung auch von allen gefunden werde. Es hätten noch längst nicht alle einen Zugang.

Sie fasste den Tätigkeitsbereich zusammen:

Unterstützung bei der Sachverhaltsaufklärung

Beratung zu den Möglichkeiten der Rechtsverfolgung

rechtliche Bewertung, ob eine AGG-relevante Diskriminierung gegeben sein könnte

Hilfe bei der Selbstklärung

Unterstützung gütlicher, einvernehmlicher Regelungen

gegebenenfalls Vermittlung weiterer Unterstützungs- und Beratungsangebote

gegebenenfalls Austausch mit der anwaltlichen Vertretung

Die häufigsten Fälle, die zu bearbeiten seien, seien Fälle der Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft, wegen einer Behinderung oder wegen des Geschlechts. Sie berichtete von beispielhaften Fällen:

Ein schwer behinderter Busfahrer habe sich an die Antidiskriminierungsstelle gewandt mit dem Hinweis, er hätte sich gerne auf eine offene Stelle beworben – die sei aber nicht ausgeschrieben worden. Es gebe je­

doch eine Vorschrift, zu prüfen, ob eine Stelle von einem schwer behinderten Menschen ausgefüllt werden könne. Der Busfahrer habe schließlich eine kleine Entschädigung erhalten.

In einem weiteren Fall habe man eine Frau beraten, die, weil sie schwanger gewesen sei, weniger verdienen, ihre Leitungsfunktion sowie den Anspruch auf ihren Dienstwagen verlieren sollte, wie sie berichtet habe.

Man habe die Frau unterstützt, sie selbst habe daraufhin das Gespräch mit ihrem Arbeitgeber gesucht – und sich in allen Punkten durchgesetzt. Für die Dauer ihrer Elternzeit sei eine Assistentin eingestellt worden. In diesem Fall habe sich die Beratung der Antidiskriminierungsstelle auf eine Hilfe zur Selbsthilfe beschränkt – das sei ideal, aber untypisch.

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14 Keynote „Das Amt auf deiner Seite – Antidiskriminierungsberatung durch staatliche Stellen“

Während Menschen wegen ihres Geschlechts oder Menschen mit Behinderung überwiegend Benachteili­

gungen im Arbeitsleben rügen würden, werde eine Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft häu­

figer im Bereich der sogenannten Massengeschäfte des Alltags thematisiert, so El Samadoni.

Einem jungen Palästinenser sei etwa der Eintritt in eine Diskothek verwehrt worden. Der Diskothekenbe­

treiber habe argumentiert, erstens habe der Türsteher selbst einen Migrationshintergrund – was irrelevant sei, so El Samadoni. Zweitens habe er das Hausrecht. Das Gesetz stehe aber über dem Hausrecht, betonte El Samadoni. Der junge Mann habe schließlich eine Entschädigung von 1.000 Euro erstritten und für Ge­

flüchtete gespendet.

Ihr zweites Beispiel handelte von einem jungen Türken, der nicht Mitglied in einem Fitnessstudio werden durfte; der Betreiber habe einen deutschen Pass verlangt. Hier seien alle Vermittlungsversuche gescheitert.

Der junge Mann habe eine Klage angestrengt und eine Entschädigung in Höhe von 700 Euro erstritten. In einem vergleichbaren Fall habe ein junger Mann auf eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio letztlich verzichtet.

Dies zeige, so Samiah El Samadoni, dass eine Entschädigung oft nicht ausreiche, wenn Menschen sich nicht willkommen fühlen würden. In Fällen wie dem Letzteren werde „Integration ganz klar sabotiert“. Wichtig sei daher, über ein Verbandsklagerecht nachzudenken. Ein Verband oder die Antidiskriminierungsstelle könnten damit anstelle eines Einzelnen prozessieren, „um den Einzelnen zumindest von der Klage zu ent­

lasten“, sagte sie. Dieser Aspekt wurde im weiteren Verlauf der Tagung noch mehrmals thematisiert.

Sie trete zudem für eine Regelung ein, wie sie in Niedersachsen und Bremen gelte: Dort sei insbesonde­

re die rassistische Diskriminierung im Gaststättengewerbe eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 5.000 Euro in Bremen oder 10.000 Euro in Niedersachsen geahndet werden könne.

Ihr Fazit: Es habe bereits eine aussöhnende Wirkung, dass dem Staat Diskriminierung nicht egal sei.

Nichtstaatliche Stellen seien für ein vielfältiges Beratungsangebot ebenfalls sehr wichtig. Entscheidend seien für die Antidiskriminierungsberatung insgesamt ein breiter Auftrag, Unabhängigkeit und eine aus­

kömmliche, dauerhafte Finanzierung. Ohne Beratung gebe es keine Rechtsverfolgung, kaum ein Korrektiv für Diskriminierung und keine Wiedergutmachung.

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15 Keynote „Vom Flickenteppich zur Infrastruktur – Antidiskriminierungsberatung weiterdenken“

Keynote „Vom Flickenteppich zur Infrastruktur – 

Antidiskriminierungsberatung in Deutschland weiterdenken“

Daniel Bartel

Geschäftsführer Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd)

Die zweite Keynote des Tages hielt Daniel Bartel vom Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd), der aus der Perspektive nichtstaatlicher Antidiskriminierungsberatungsstellen sprach.

Die vorangegangenen Redner_innen und Beiträge hätten klar benannt, dass die Unterstützung von Men­

schen, die Diskriminierung erleben, ein zentraler Bestandteil einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft sei. Ebenso sei deutlich geworden, dass es fachlich ausdifferenzierte Beratungskonzepte gäbe, die sich in der Praxis bewährt haben. Um dies noch zu unterstreichen, zeigte er einen dreiminütigen

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16 Keynote „Vom Flickenteppich zur Infrastruktur – Antidiskriminierungsberatung weiterdenken“

Erklärfilm des advd1, der Ratsuchende stärken soll und das Unterstützungsangebot der Mitgliedsorganisa­

tionen des advd vorstellt.

Die Einsicht in die Notwendigkeit eines Unterstützungsangebotes und die konkreten Erfahrungen mit Antidiskriminierungsberatung seien die Fortschritte der letzten Jahre. Wir seien allerdings noch nicht am Ziel. Vielmehr stelle sich nun die Frage: Wie sieht die Beratungslandschaft tatsächlich aus und wer hat die Möglichkeit, diese Beratungsangebote faktisch zu nutzen?

Seine Antwort sei sehr ernüchternd: Aktuell haben Betroffene weit überwiegend keinen Zugang zu einer professionellen Unterstützung. Es gibt keine flächendeckenden Beratungsstrukturen. Deshalb sei es aus Sicht von Daniel Bartel auch inhaltlich falsch, von Leerstellen zu sprechen, die noch zu schließen seien, denn das suggeriere deutlich mehr an Substanz, als faktisch existiere. Nicht die Lücke sei die Ausnahme, sondern das Vorhandensein einer Beratungsstelle.

Diese Realität einer massiven strukturellen Unterversorgung werde aktuell viel zu selten gesehen und ad­

ressiert. Sowohl bei politischen Verantwortungsträger_innen als auch in der Öffentlichkeit und zum Teil auch bei Betroffenen herrsche ein stark idealisiertes Bild vor. Dies sei vergleichbar etwa mit der Diskrepanz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit bezüglich der Gesundheitsversorgung. Diese erscheine vielen so­

lange als gut oder ausreichend, bis sie selbst Bedarfe haben und dann beispielsweise feststellen müssten, dass sie auf eine psychotherapeutische Unterstützung sechs Monate oder länger warten müssten.

Daniel Bartel versuchte im Folgenden, das Verhältnis von Beratungsbedarf und existierender Beratungs­

struktur durch einen Fact­Check auszuleuchten. Er berief sich dabei auf die vorhandenen Zahlen. Da diese nicht umfassend zu erheben seien, wäre zum Teil auch eine informierte Schätzung nötig.

1 Video unter www.antidiskriminierung.org/betroffene

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17 Keynote „Vom Flickenteppich zur Infrastruktur – Antidiskriminierungsberatung weiterdenken“

In der Summe geht Daniel Bartel von bundesweit 60 bis 80 Vollzeitstellen im Bereich der Antidiskriminie­

rungsberatung aus. (In den zwanzig größten Städten – Berlin, Hamburg bis Münster – gäbe es kumuliert das Äquivalent von knapp 25 Vollzeit­Berater_innenstellen.)

Diese Zahl sei wohlwollend und überschätze tendenziell das tatsächliche Angebot. Einbezogen seien addi­

tiv alle Personalstellen (staatlich und zivilgesellschaftlich auf Bundes­, Landes­ und kommunaler Ebene), in denen Berater_innen nach einem Konzept, explizit und regelmäßig Einzelfallberatung in Diskriminie­

rungsfällen anbieten. Das Verständnis von Antidiskriminierungsberatung sei für diese Erfassung breiter gehandhabt worden als in den Fachstandards des advd definiert.2

Nicht berücksichtigt seien ehrenamtlich Aktive und Berater_innen etwa in der offenen Jugendarbeit, Migrations­ oder Frauenberatung, die Antidiskriminierung als wichtiges Querschnittsthema ihres fach­

lichen Tuns verstehen. Die Ausdifferenzierung zwischen Antidiskriminierung als Kern­ beziehungsweise Querschnittsthema sei fachlich notwendig. Als Analogie nutzte Daniel Bartel das Thema Kindeswohl: Dies sei ein wichtiges Querschnittsthema in allen Bereichen der sozialen Arbeit und für viele Beratungsstellen, aber es wäre fachlich problematisch, deshalb auf spezialisierte Beratungsangebote zu verzichten. Der Un­

terstützungsbedarf im konkreten Fall könne von Beratungsstellen mit einem Querschnittsmandat weder inhaltlich noch ressourcenmäßig geleistet werden. Ähnlich verhielte es sich bei ehrenamtlichen Angebo­

ten, die für Betroffene in der Praxis oftmals wichtig seien, aber bezüglich Kapazität, Kontinuität und Qua­

litätssicherung regelmäßig an Grenzen stoßen.

60 bis 80 Berater_innenstellen mit Antidiskriminierung als Kernthema bedeutet eine Stelle auf eine bis 1,5 Millionen Einwohner_innen. Zum Vergleich: Im Bereich der Erziehungs­ und Familienberatung kommt eine Berater_innenstelle auf etwa 20.000 Einwohner_innen, in der Psychotherapie eine Therapeut_innen­

stelle auf 2.000 (in Ballungsgebieten) bis 6.000 Einwohner_innen (ländlicher Raum).

Um diese Zahl weiter einzuordnen, stieg Daniel Bartel tiefer in die Beratungspraxis ein. Ein Beratungsfall nehme durchschnittlich etwa 15 Stunden in Anspruch (vom Erstkontakt bis zum Abschluss). Gehe mensch idealtypisch davon aus, dass ein_e Berater_in etwa drei Viertel der Arbeitszeit an konkreten Fällen arbeite, so könne sie_er etwa 1.200 Stunden pro Jahr darauf verwenden. In absoluten Zahlen sind das circa 80 Fälle pro Jahr und Berater_in. Bei bundesweit 80 Personalstellen bedeute das rein rechnerisch, dass jedes Jahr 6.400 Fälle bearbeitet werden können.

Welcher Bedarf steht dem gegenüber? In der Repräsentativbefragung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gab 20153 jede dritte Person (über 14 Jahre) an, innerhalb der letzten beiden Jahre mindestens eine Diskriminierung erlebt zu haben. Das sind in absoluten Zahlen 27 Millionen Menschen. Diesen 27 Millio­

nen Menschen stehen für den Zeitraum von zwei Jahren 12.800 Beratungsplätze zur Verfügung (6.400 pro Jahr). „In anderen Worten: 0,05 Prozent oder jede zweitausendste betroffene Person hat theoretisch die Möglichkeit, eine Beratung in Anspruch zu nehmen“, so Daniel Bartel. „Ich sage nicht, dass jeder Mensch, der Diskriminierung erlebt, eine Beratung sucht oder braucht, aber dieses Verhältnis ist nicht angemessen und bleibt deutlich hinter dem zurück, was notwendig ist.“ Eine konkrete Zahl könne er nicht nennen, dies sei Teil einer Diskussion, die jetzt zu führen sei.

2 www.antidiskriminierung.org/materialien/qualitaetsstandards­ad­beratung

3 www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Handout_Umfrage_Diskriminierung_in_

Dtschl_2015.pdf?__blob=publicationFile&v=4

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18 Keynote „Vom Flickenteppich zur Infrastruktur – Antidiskriminierungsberatung weiterdenken“

An dieser Stelle schlug Daniel Bartel den Bogen zum Beginn seines Beitrags: Es scheine Einigkeit darüber zu bestehen, dass die Auseinandersetzung mit Benachteiligungen und die Unterstützung von Betroffenen von Diskriminierung eine wichtige Aufgabe ist ­ Herr Staatssekretär Dr. Kleindiek habe in diesem Zusam­

menhang vom Markenkern der Demokratie gesprochen. Zusätzlich verfügten wir über ausgereifte Bera­

tungskonzepte und Praxiserfahrungen.

Nun sei es an der Zeit, Antidiskriminierungsberatung tatsächlich in die Fläche zu bringen. Betroffene müs­

sen die Möglichkeit erhalten, niedrigschwellig und wohnortnah eine qualifizierte Unterstützung zu finden, um ihr Recht auf Teilhabe und Gleichbehandlung zu leben. Dafür braucht es die Auseinandersetzung um die Frage, wie eine bedarfsgerechte Versorgung aussehen kann und wie die notwendigen Strukturen auf­

gebaut werden können.

Abschließend formulierte Bartel einen Wunsch: Er freue sich auf eine spannende Fachtagung und hoffe, dass die Beratungslandschaft bis zur nächsten Veranstaltung dieser Art bundesweit auf mindestens 200 Stellen wachsen werde. „Dann würde zumindest jeder tausendste Mensch, der eine Diskriminierungser­

fahrung macht, ein Beratungsangebot nutzen können.“

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19 Diskussionsrunde

Diskussionsrunde

Teilnehmende Daniel Bartel

Geschäftsführer Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) Samiah El Samadoni

Bürgerbeauftragte und Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Landes Schleswig-Holstein Thomas Heppener

Leiter Gruppe Vielfalt und Demokratie im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)

Margit Gottstein

Staatssekretärin für Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Berlin Moderation:

Shelly Kupferberg, Journalistin

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20 Diskussionsrunde

In einer von Shelly Kupferberg moderierten Podiumsdiskussion ging es zunächst um die Frage, wie das Verhältnis von Ländern, Bund und nichtstaatlichen Stellen in der Antidiskriminierungsberatung austa­

riert sei beziehungsweise werden solle.

Margit Gottstein, Staatssekretärin im Land Berlin, brachte die politische Perspektive eines Bundeslandes ein, das sich schon lange eine aktive Antidiskriminierungspolitik leistet und ein breites Beratungsnetz­

werk unterstützt.

Berlin, sagte sie, sei im Ländervergleich ein Positivbeispiel. Sie betonte aber: „Wir können immer mehr tun.“ Ob das auch getan werde, hänge vom politischen Willen der Verantwortlichen ab. In Berlin verhielten diese sich tatsächlich „sehr unterstützend“. Dort sei das Wort „Antidiskriminierung“ erstmals im Namen einer Behörde aufgetaucht – nämlich bei der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidis­

kriminierung.

Die Frage sei aber nicht nur, wie groß die Schritte seien, die man nach vorne gehe. Sondern man erlebe derzeit auch ein „Rollback“. So beantrage die AfD in Haushaltsverhandlungen Streichungen ausgerechnet beim Antidiskriminierungsschutz. Sie komme damit derzeit zwar nicht durch, aber der Vorgang zeige, so Gottstein, „in welchem Umfeld wir uns bewegen“. Es sei wichtig, den Angriffen auch in Parlamenten laut und deutlich etwas entgegenzusetzen, „sonst werden wir Rückschritte sehen“.

Thomas Heppener vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vertrat auf dem Podium die Perspektive des Bundes. Er war als Vertreter des Programms „Demokratie leben!“ eingeladen, das eines der finanzstärksten Instrumente der Bundesregierung zur Demokratieförderung und zur Be­

kämpfung von Phänomenen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ist. Es nimmt sich zuneh­

mend auch Antidiskriminierungsthemen an.

Heppener bezog sich in seinem Eingangsstatement auf Zahlen, die Daniel Bartel vom Antidiskriminie­

rungsverband Deutschland am Morgen in seiner Keynote genannt hatte. Bartel zufolge gibt es bundesweit 60 bis 80 Personalstellen in der staatlichen Antidiskriminierungsberatung. Heppener sagte: „Ich würde die­

se Zahl bestreiten.“ Der advd und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes „sollten das genau erheben, damit man in der Verwaltung etwas bewegen kann“. Im Bereich der Beratung bei rassistischer Diskriminie­

rung etwa „sind viele kleine Pflänzchen entstanden, vielleicht zu kleine, aber es gibt sie“.

Die Tagung fand statt, während auf Bundesebene Sondierungsverhandlungen zur Regierungsbildung zwi­

schen CDU/CSU, FDP und Bündnis90/Die Grünen liefen. Heppener sagte, der Zeitpunkt sei günstig, wenn man weitere Forderungen stellen wolle. Die Zivilgesellschaft sei ihm in dieser Hinsicht zu leise. Auch sie könne sich einmischen und darauf hinweisen, dass da „noch ein großer Block fehlt“. Man könne aber nicht nur den Bund in die Pflicht nehmen. Veränderungen am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz seien not­

wendig. Aber „in den Ländern muss es auch weitergehen.“ Der Föderalismus sei ein wichtiges Gut.

Samiah El Samadoni von der Antidiskriminierungsstelle Schleswig­Holstein erwiderte, der Föderalismus werde immer dann aufgerufen, wenn es um Geld gehe. Antidiskriminierungsarbeit sei aber Aufgabe aller Akteure. Als Vertreterin einer überparteilichen staatlichen Stelle, die – im Ansatz ähnlich der Antidiskrimi­

nierungsstelle des Bundes – auch selber berät, nannte sie die von Daniel Bartel aufgeführten Zahlen „ein stilles Drama“. In Schleswig­Holstein gebe es, wenige Jahre nach der Schaffung der Antidiskriminierungs­

stelle, zwar noch keine zuverlässigen Fallzahlen. Aber sicher sei: Beratung werde „nicht nicht gesucht“, sondern sie werde „nicht gefunden“. In anderen gesellschaftlichen Bereichen würden vorhandene Lücken sichtbar. Es gebe dann Lobbygruppen, die auf diese hinwiesen. Im Bereich der Diskriminierung gebe es das

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21 Diskussionsrunde

nicht. „Es gibt da keinen Aufschrei“, so El Samadoni. Es müsse daher ein Zusammenwirken aller Akteure geben.

Daniel Bartel vom advd sagte, man solle die Verantwortung nicht hin­ und herschieben. Seine Zahlen, von Thomas Heppener zuvor in der Diskussion angezweifelt, seien belastbar. Bartel saß als Vertreter der unabhängigen Antidiskriminierungsberatungen auf dem Podium, die einen parteilichen Ansatz in der Be­

ratung verfolgen und über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hinaus arbeiten. Er sagte, man müsse darüber nachdenken, wie man den Diskriminierungsschutz „als Thema“ stärken könne. Der Bund könne hier ein einflussreicher Impulsgeber für die Länder sein.

Thomas Heppener erwiderte, die Frage, wohin wieviel Geld verteilt werde, komme erst an zweiter oder dritter Stelle. Vorher müsse ein struktureller Rahmen gesetzt werden. Die Fragen seien etwa, welche Mög­

lichkeiten es hier gebe und welche Veränderungen am AGG notwendig seien.

Im weiteren Verlauf kreiste die Diskussion um die Frage, wie die Antidiskriminierungsberatung insgesamt vorangebracht werden könne.

Aus dem Publikum kam der Hinweis, dass die Schaffung von Personalstellen allein nicht ausreiche, man brauche einen gesellschaftlichen Diskurs, der auch in den Medien geführt werde. Man könne hier nicht nur mit dem persönlichen, sondern auch mit dem volkswirtschaftlichen Schaden von Diskriminierung argumentieren.

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22 Diskussionsrunde

Auch sein Anliegen sei es, das Thema Antidiskriminierung gesamtgesellschaftlich voranzubringen, ant­

wortete Daniel Bartel. Er denke dabei aber zuerst an die Politik. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes habe etwa nur ein Gesamtbudget von 4,2 Millionen Euro. „Das ist lächerlich.“

Was kann man auf Landesebene tun?, fragte Margit Gottstein, Staatssekretärin in Berlin. Das eine sei, Geld in die Hand zu nehmen, Strukturen und Netzwerke zu schaffen. In Berlin bereite man aber zudem ein Landesantidiskriminierungsgesetz vor. Dahinter stehe der Versuch, auf einer Ebene einzugreifen, auf der das AGG nicht greife, etwa beim Verhältnis von Behörden zu Bürger_innen. Mehr als einen Entwurf gebe es noch nicht, aber wenn am Ende im Gesetz stehe, dass es eine bedarfsgerechte Beratungsstruktur zu schaffen gelte, „dann sind wir weiter“, so Gottstein.

Daniel Bartel sagte, Berlin sei im Bundesvergleich weit vorne. Man sehe hier allerdings auch, wie stark die Bretter seien, die gebohrt werden müssten. In Berlin gebe es zwar eine Antidiskriminierungspolitik, es habe aber beinahe zehn Jahre gedauert, bis ein solches Landesantidiskriminierungsgesetz überhaupt „in die Gänge kommt“. Es sei wichtig, politisch zu arbeiten, aber man müsse auch sehen, dass auch ein Gesetz noch nicht der letzte Schritt sei. Bis es umgesetzt werde, dauere es weitere Zeit.

Aus dem Publikum kam die Frage, warum in vielen Bundesländern – anders als etwa in Berlin und Schles­

wig­Holstein – „so wenig passiert“. Im Bildungsbereich oder im Gewerberecht sei kaum etwas in Hinblick auf die Stärkung des Diskriminierungsschutzes geschehen.

Bartel antwortete, der politische Druck auf Landesparlamente sei nicht vergleichbar dem, der vor der Ver­

abschiedung des heutigen AGG aufgebaut worden sei.

Thomas Heppener sagte, es komme immer darauf an, wer im Land regiere. In einer Großen Koalition, sagte er, wäre es nicht durchsetzbar gewesen, ein AGG auf die Agenda zu bringen.

Margit Gottstein brachte das Instrument der Verbandsklage ins Gespräch. Zu ihren Aufgaben als Staatsse­

kretärin in Berlin zählt nicht nur Antidiskriminierung, sondern auch Verbraucherschutz. Sie sagte, es gebe hier Schnittstellen. In bestimmten Fällen sei beides berührt, häufig, wenn es um Fragen des Migrationshin­

tergrunds, des Alters oder der Pflege gehe. Beispiele: bei Handyverträgen oder bei der Wohnraumvermitt­

lung für Geflüchtete. Im Verbraucherschutz gebe es die Möglichkeit der Verbandsklage. Das aufzuzeigen, helfe auch bei der politischen Argumentation: Dieses Mittel könnte auch in der Antidiskriminierung be­

nutzt werden.

Samiah El Samadoni sagte, es gebe Wissens­ und Wahrnehmungsdefizite, was überhaupt Diskriminierung sei. „Wir müssen Leuten sagen, dass sie benachteiligen, da fehlt oft das Unrechtsbewusstsein.“ Aber: „Ohne Rechtsverfolgung haben wir einen Webfehler.“ So wie ein Hinweis an eine Behörde im Bereich der Jugend­

arbeit dazu führen könne, dass ein Testing durchgeführt wird, ob Jugendliche Alkohol kaufen können, so könnte man etwa auch die Einlasspolitik einer Diskothek einem Testing unterziehen.

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23 Forum 1

Forum 1

„Antidiskriminierung vernetzen – Schnittstellen und Kooperationen mit Mieter- und Verbraucherschutzberatung, gewerkschaftlichem Rechtsschutz, Ombuds- und Beschwerdestellen

Impulse:

Wibke Werner

Berliner Mieterverein e. V.

Mirjam Alex

Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Rechtsabteilung der Bundesverwaltung Céline Barry

Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (ADNB) Roland Scharathow

Bereichsleiter Projekte und Zielgruppen der Verbraucherzentrale Berlin Moderation:

Anna Elise Braunroth,

Antidiskriminierungsstelle des Bundes Kommentatorin:

Dr. Petra Wutzo,

Leiterin des Beratungsreferats in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

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In Fällen, die in der Antidiskriminierungsberatung auflaufen, können auch allgemeine Fragen des Ver­

braucher­, Arbeits­ oder Mietrechts Thema sein. Umgekehrt können etwa im Verbraucherschutz, bei Miet­

fragen oder im Arbeitsverhältnis Aspekte von Diskriminierung eine Rolle spielen.

Wie verhält sich die Antidiskriminierungsberatung also zu anderen Beratungen – etwa zu Verbraucher­, gewerkschaftlicher oder Mieterberatung? Damit beschäftigte sich das Forum und lotete Kooperations­

möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit aus. „Wie können wir ineinandergreifen?“, fragte Mo­

deratorin Anna Elise Braunroth. „Wie werden Ratsuchende an der richtigen Stelle beraten, wie entsteht Rechtsschutz im Diskriminierungsfall?“

Im ersten Teil des Forums ging es um eine Bestandsaufnahme: Worin genau besteht das Angebot der ein­

zelnen Beratungsfelder, was sind die Schwerpunkte, was die Regelfälle? Wo kommt Diskriminierung ins Spiel? Im zweiten Teil des Forums ging es darum, wie Beratung effektiver werden könne.

Impuls von Wibke Werner, Mieterberatung

Der Berliner Mieterverein sei mit 160.000 Mitgliedern der größte seiner Art in Deutschland, sagte Wibke Werner. Er biete eine mündliche Beratung an, könne aber auch den Schriftverkehr übernehmen. Pro Jahr führe der Mieterverein etwa 70.000 Beratungen durch. Er arbeite mit 80 Vertragsanwält_innen, die stun­

denweise in die Beratungsstellen kämen. Es gebe 40 festangestellte Mitarbeiter_innen, davon 21 Jurist_in­

nen. Hinzu kämen rund 80 ehrenamtliche Mitarbeiter_innen.

Für Mitglieder des Mietervereins gebe es eine Mietrechtsschutzversicherung, so Wibke Werner. Gerichts­

kosten würden also übernommen – allerdings nur, wenn es um Mietrechtsbelange geht. Fälle, die wegen des AGG vor Gericht gehen würden, seien nicht abgedeckt. Über eine Ausweitung des Rechtsschutzes kön­

ne man mit der Versicherung zwar diskutieren, sagte sie auf Nachfrage, „aber das wird schwierig“.

Der Mieterverein plane, sich entsprechend im Antidiskriminierungsbereich zu vernetzen. Momentan freilich, so Wibke Werner, spiele das Thema Antidiskriminierung „gar keine Rolle in dieser Beratung“. Sie nannte dafür folgende Gründe:

Die Mieter_innen seien sich nicht bewusst, wenn eine Diskriminierung stattfinde, gegen die man sich Hilfe suchen kann.

Viele Mietrechtsanwält_innen seien unter Umständen nicht gut sensibilisiert:

Wenn jemand mit einer Betriebskostenabrechnung komme, könnte es einen Diskriminierungs- hintergrund geben. „Es könnten alle Warnlampen angehen – aber das tun sie nicht.“

Wer zum Mieterverein komme, habe meist schon einen Mietvertrag. Diskriminierung finde

aber oft schon bei der Wohnungssuche statt, also vorher – und die im AGG vorgesehene Zweimonats- frist, innerhalb der ein Vorfall vorgebracht werden muss, sei vielleicht schon verstrichen.

Man bringe den Mieterverein nicht mit Antidiskriminierungsarbeit in Verbindung.

Fühle sich jemand diskriminiert, gehe man woanders hin.

Man müsse Mitglied im Mieterverein sein, um beraten zu werden. Häufig sind Betroffene aber der deutschen Sprache noch nicht mächtig und wissen nicht, dass es eine solche Beratung überhaupt gibt.

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25 Forum 1

Welche Möglichkeiten hat der Mieterverein, auch im Antidiskriminierungsbereich tätig zu werden? Wer­

ner sieht hier folgende Anknüpfungspunkte:

Der Mieterverein könne (Anti-)Diskriminierungsthemen in die Öffentlichkeit bringen, etwa über das Mietermagazin, über Flyer und Informationsblätter.

Er könne Anwält_innen dafür sensibilisieren, nicht nur auf das Mietrecht, sondern auch

„nach links und rechts“ zu blicken.

Bei Konflikten etwa zwischen Nachbar_innen biete der Verein Mediationen an.

Auch wenn er juristisch nur bedingt aktiv werden könne, weil die Mietrechtsversicherung keine Klagen nach dem AGG abdecke, könne er hier helfen. Oft gehe es darum,

ein Bewusstsein zu schaffen, auch bei jenen, die selbst diskriminieren.

Er könne Info- und Fortbildungsveranstaltungen zur Thematik anbieten.

Er könne ein Beratungsnetzwerk aufbauen. Wenn bei ihm ein Fall auflaufe, könne er dann auf einen Pool an Kontakten zurückgreifen, wo eine passgenaue Beratung anschließen könne.

Impuls von Mirjam Alex, ver.di

Diskriminierung sei grundsätzlich ein gewerkschaftliches Thema, sagte Mirjam Alex. Behinderung, Schwerbehinderung, Alter und die Diskriminierung von Frauen seien dabei die wesentlichen Aspekte. „In der Beratung spielt der psychosoziale Aspekt allerdings eine kleinere Rolle als der arbeitsrechtliche.“

Das Kerngeschäft der Gewerkschaft sei die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglie­

der, die sie finanzieren. So verhandle sie zum Beispiel Tarifverträge. Daneben bestehe für ihre Mitglieder ein Rechtsschutz – allerdings nur für diese. Sie hätten Anspruch auf gerichtliche Vertretung, der auch bei geringem Streitwert greife.

Die Gewerkschaft ver.di sei strukturiert in Landes­ und Bundesverwaltung, derzeit gebe es 70 Bezirke, in denen je auch Jurist_innen tätig seien. Vor Gericht werde die Vertretung unter Umständen auch durch den Deutschen Gewerkschaftsbund übernommen.

Komme ein Gewerkschaftsmitglied in die Beratung, würden Rechtsschutz und Erfolgsaussichten geprüft.

Gewerkschaftsjurist_innen könnten vor Gericht selber für ihre Mitglieder auftreten, müssten also nicht Anwält_innen beauftragen.

Worin bestehen die Möglichkeiten einer Kooperation mit der Antidiskriminierungsberatung? Mirjam Alex sagte, begrenzt seien sie dadurch, dass man – ähnlich wie der Mieterverein – nur die eigenen Mitglieder juristisch vertreten könne. Es sei jedoch sinnvoll, voneinander zu wissen und einander mitzudenken, um Kontakt aufnehmen zu können, wenn man einen entsprechenden Fall habe. Vor allem könnten Anti­

diskriminierungsberater_innen auch an Gewerkschaften verweisen, wenn ein Ratsuchender Gewerk­

schaftsmitglied sei. Dann gelte auch der gewerkschaftliche Rechtsschutz.

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26 Forum 1

Impuls von Roland Scharathow, Verbraucherberatung

In den Verbraucherberatungen kämen immer wieder Fälle von Diskriminierung zur Sprache, sagte Roland Scharathow, der die Berliner Verbraucherberatung vorstellte. Noch nie habe allerdings eine_r seiner Ber­

liner Kolleg_innen einen Fall an die Antidiskriminierungsberatung weiterverwiesen. „Diskriminierungen, die offen als solche erkennbar sind, kommen in der Beratungspraxis bei uns nicht vor. Allerdings sind indirekte Diskriminierungen weit verbreitet.“

Dennoch gebe es Gemeinsamkeiten mit der Antidiskriminierungsberatung, die eine Zusammenarbeit erlauben und sinnvoll machen würden, so Scharathow. „Wir gehen prinzipiell davon aus, dass Verbrau­

cher gegenüber Anbietern im Nachteil sind. Unsere Beratung ist vom Ansatz aus darauf ausgerichtet, den Schwächeren zu helfen.“

Anders als Mieterverein und Gewerkschaften sei die Verbraucherzentrale durch öffentliche Gelder finan­

ziert. Für eine Beratung werde eine Gebühr erhoben. Vor Gericht gehe man nicht, sagte er. „Aber ein Schrei­

ben einer Verbraucherzentrale hat durchaus eine Wirkung auf Anbieter, das hilft.“ Die Haupttätigkeit der Zentralen seien die Zielgruppenaufklärung und die Beratung, unter anderem in Fragen des Vertragsrechts, Mobilfunks, Versicherungsrechts, der Altersvorsorge, des Energiesparens, der Lebensmittelkennzeichnung und der Ernährung. Man berate Verbraucher_innen in Konsumfragen gegenüber den Anbieter_innen, nicht jedoch in Miet­ und Strafrechtsfragen. 26.000 Kontakte habe man im Jahr.

Der Verbraucherverband habe ein Verbandsklagerecht, das etwa in den Bereichen der allgemeinen Ge­

schäftsbedingungen, des Datenschutzes, des unlauteren Wettbewerbs und der Lebensmittelkennzeich­

nung gelte – allerdings nicht im Bereich der Antidiskriminierung allgemein.

Es gebe besonders empfindliche Verbrauchergruppen, sagte Scharathow, denen Geschäfte bisweilen regel­

recht aufgedrängt würden. Typisch sei die indirekte Diskriminierung wegen des Alters oder der ethnischen Herkunft.

Er nannte folgende Beispiele: Es gebe etwa Drückerkolonnen, die Bausparverträge in Flüchtlingsheimen anbieten. Handyverträge würden Migrant_innen mit dem Hinweis vorgelegt, die Kosten würde der deut­

sche Staat übernehmen, was aber nicht stimme. Unternehmen, die sich explizit an türkischsprachige Men­

schen wenden würden, böten die allgemeinen Geschäftsbedingungen dennoch nur auf Deutsch an. Auch Abzocke auf Kaffeefahrten sei in der Beratung immer wieder präsent. Beim Buchen von Bahnfahrkarten hätte es Überlegungen gegeben, Preisaufschläge für Leute einzuführen, die nicht im Internet buchen. Hier würden soziale und Altersfaktoren greifen. Und auch geschlechtsspezifisch werde diskriminiert: Es gebe etwa Online­Partnerbörsen, bei denen nur die Männer zahlen müssten.

„Bei uns taucht niemand auf, der keinen Vertrag bekommt. Die Leute kommen, weil sie im Vertrag Prob­

leme haben“, sagte Roland Scharathow. Es gehe also weniger um Zugangsdiskriminierung, sagte Modera­

torin Anna Braunroth. Den Leuten werde eher etwas aufgeschwatzt als verweigert. „Aber die Diskriminie­

rungsgruppen decken sich.“

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27 Forum 1

Impuls von Céline Barry, Türkischer Bund ADNB

Céline Barry vertrat im Forum eine unabhängige Antidiskriminierungsberatungsstelle. Sie berichtete von ihren Erfahrungen als Beraterin für Menschen mit Rassismuserfahrung, für people of colour. Der Türki­

sche Bund, den sie vertritt, arbeite in seiner Antidiskriminierungsberatung auch mit dem AGG. Ein Drittel der Meldungen allerdings betreffe Schulen und Behörden – also nicht AGG­relevante Bereiche. Ein Drittel betreffe Dienstleistungen, ein weiteres Fünftel den Bereich Arbeit. Die beiden letzteren Lebensbereiche seien AGG­relevant.

So würden Betroffene etwa nicht zu einer Wohnungsbesichtigung oder zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, sie würden beklagen, dass der Bus für sie nicht anhalte oder dass sie im Bus kontrolliert wür­

den, andere dagegen nicht. Es gebe Fälle, in denen die Hausverwaltung nicht tätig werde, um Nachbar­

schaftsärger zu schlichten oder Fälle von Mobbing am Arbeitsplatz.

Allerdings sei subtile Diskriminierung häufig nicht gerichtsfest – wenn auch AGG­relevant. Ausnahmen gebe es, so Barry. Prinzipiell aber scheine die Meinung vorzuherrschen, dass eine Diskriminierung nicht existiere, solange keine harten Fakten vorlägen.

„Wie ist angesichts dessen Empowerment möglich?“, fragte Barry. „Man muss sich berechtigt fühlen, den Mut aufbringen und auf ein positives Ergebnis hoffen dürfen. Man muss in einem Kontext leben, in dem Diskriminierung ernst genommen wird.“ Nötig hierfür sei ein vertrauensvoller Rahmen: „Es müssen keine harten Beweise vorliegen.“

Zu Kooperationen mit anderen Verbänden sagte sie, man arbeite bereits mit selbstorganisierten Rechts­

beratungen zusammen, zum Beispiel dem Bündnis Sozialmieter, aber noch nicht mit großen Verbänden.

Die Antidiskriminierungsberatung habe nicht den Institutionalisierungsgrad von, zum Beispiel, Gewerk­

schaften. Kooperationen hätten auch deshalb Vorteile. Es könnte nicht nur Wissen ausgetauscht werden, sondern es könnten auch Kräfte gebündelt werden, um die Diskriminierungssensibilität zu erhöhen.

Diskussion

Welche Kooperationsmöglichkeiten gibt es angesichts der strukturellen Unterschiede und der verschiede­

nen Ansätze?

Moderatorin Anna Braunroth fasste zusammen: Gewerkschaften, Mieter­ und Verbraucherberatungen hätten eine flächendeckende Struktur und sie hätten ein breiteres Instrumentarium zur Unterstützung, sowohl durch außergerichtliche Möglichkeiten, etwa Mediationsverfahren, als auch durch gerichtliche Unterstützung. Die Hürden für die Kooperation bestünden darin, dass man Mitglied sein beziehungsweise zumindest eine Gebühr zahlen müsse. Die Antidiskriminierungsberatung andererseits schaffe den Raum, um über Diskriminierung zu reden, was man bei den anderen Beratungen nicht erwarten könne.

Dr. Petra Wutzo von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes lobte die Lernwilligkeit und Vernetzungs­

bereitschaft aller Expert_innen. Die Zusammenarbeit sei begrenzt, etwa weil Gewerkschaft und Mieterbund nur Mitglieder beraten würden. Die Sensibilisierung weiterzutreiben, sei jedoch wichtig. Gegenseitiges Kennenlernen, der regelmäßige Austausch auch über Ressourcen, die Etablierung von Verweisstrukturen und schließlich eine regelmäßige Zusammenarbeit – „das wäre ein großer Erfolg“, so Dr. Wutzo. Notwendig sei, Kontakt zu haben, um zu wissen, „was die anderen leisten können“ – und das nicht nur intern, sondern

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28 Forum 1

zum Beispiel auch in der Öffentlichkeits­ oder in der politischen Arbeit. Man könne etwa gemeinsam auf Änderungen des AGG drängen.

„Haben Sie eine Idee für einen konkreten ersten Schritt, um die Zusammenarbeit zu vertiefen?“, fragte Anna Braunroth. Céline Barry sagte, es gehe darum, sich zu treffen und Netzwerke aufzubauen; zu über­

legen, in welchen Fällen man aufeinander verweise. Wibke Werner kündigte an, in einem ersten Schritt Informationen für die Mitglieder des Mietervereins zusammenzustellen. Mirjam Alex sagte, sie werde den Gewerkschaftsjurist_innen eine Liste mit Antidiskriminierungsberatungsstellen zur Verfügung stellen.

„Man braucht vor Ort die kurzen Wege.“ Sie sagte zudem, „die viel zu kurzen Fristen des AGG – da kön­

nen wir sicher an einem Strang ziehen. Der Schulterschluss sollte beim gemeinsamen Lobbying und beim Verweis aufeinander liegen.“ Und Roland Scharathow sagte, die Verbraucherberatung verweise bereits an andere Stellen, etwa an Mietervereine und Gewerkschaften. Er halte es für sinnvoll, einen Workshop zu machen, in dem man sich gegenseitig in Verbraucherschutz­ und Antidiskriminierungsaspekte einfüh­

re. Céline Barry ergänzte, man könne Fortbildungen anbieten wie „Diskriminierung erkennen“. In Ber­

lin­Kreuzberg etwa seien Antidiskriminierungsfortbildungen verordnet, „dadurch gibt es über die Jahre ein starkes Wissen dazu“.

Aus dem Publikum wurde die Vernetzungsidee unterstützt. Es gebe etwa bereits Migrationsberatungs­

stellen, die sehr nah an der Zielgruppe der Antidiskriminierungsberatung seien. Es wäre gut, sich besser kennenzulernen. Angeregt wurde auch, gemeinsame Handlungsmöglichkeiten zur Prävention von Diskri­

minierung in das Zentrum der Vernetzungsstrategien zu rücken. Als best practice für einen übergreifenden Beratungsansatz brachte sich die Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt in die Diskussion ein, die gezielt von Diskriminierung betroffene Mietinteressent_innen und ­parteien anzu­

sprechen versucht.

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29 Forum 2

Forum 2

Antidiskriminierungsberatung und Demokratieförderung –

Beratungsnetzwerke der Opferberatungen und Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus um Antidiskriminierungsberatung erweitern

Impulse:

Daniela Kaya

Gruppe Demokratie und Vielfalt im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)

Judith Porath

Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e. V.

Bianca Klose

Bundesverband Mobile Beratung e. V.

Sotiria Midelia

Antidiskriminierungsbüro Sachsen, Mitglied beim Antidiskriminierungsverband Deutschland Moderation:

Heike Fritzsche,

Antidiskriminierungsstelle des Bundes Kommentatorin:

Dr. Ursula Bischoff,

Deutsches Jugendinstitut

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Moderatorin Heike Fritzsche leitete ein, dass sich ein vergleichender Blick auf die drei Ansätze – Opfer­

beratung, Mobile Beratung und Antidiskriminierungsberatung – lohne. Diese Beratungsfelder würden das übergeordnete Leitziel teilen, demokratisches Handeln zu fördern und nachhaltig Ausgrenzung aus rassistischen, homophoben, antisemitischen und anderen menschenfeindlichen Gründen entgegenzu­

treten. Darüber hinaus würden sich Überschneidungen zeigen in den Zielgruppen, den Interventions­

ansätzen (zum Beispiel Sensibilisierung und Beratung) und den inhaltlich­politischen Ansätzen gegen Diskriminierung, Abwertung und Ausgrenzung.

Es seien nicht nur Vertreter_innen der jeweiligen Beratungsfelder eingeladen worden, sondern auch eine Vertreterin des Bundesprogramms „Demokratie leben!“, denn es handle sich um eines der programma­

tisch wichtigsten und finanzstärksten Instrumente der Bundesregierung zur Demokratieförderung und zur Bekämpfung von Phänomenen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (Rassismus, Antisemi­

tismus, Islamfeindlichkeit, Homo­ und Transfeindlichkeit, Antiziganismus). Das Programm fördere auch Beratung im Themenfeld.

Ziele des Forums waren eine Bestandsaufnahme und ein Ausblick:

Was weiß man voneinander? Welche Erwartungen, Befürchtungen, Kritikpunkte gibt es?

Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Beratungsfelder Opferberatung, Mobile Beratung und Antidiskriminierungsberatung gibt es?

Gibt es Schnittstellen und Erfahrungen mit Kooperationen?

Welche Potenziale bestehen hinsichtlich Synergien, Vernetzung und Zusammenarbeit?

Welche Modelle und Wege zur strukturellen Verankerung von Antidiskriminierungsberatung in der Beratungslandschaft sind denkbar?

Impuls von Daniela Kaya, „Demokratie leben!“

Kaya, Vertreterin der Gruppe „Demokratie und Vielfalt“ im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, führte in die Struktur des Bundesprogramms „Demokratie leben!” ein. Das Programm mit einer Laufzeit bis Ende 2019 wende sich unter anderem gegen Angriffe auf Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, gegen gesellschaftliche Radikalisierungen und Polarisierungen. Es wolle unter ande­

rem zivilgesellschaftliches Engagement sowie dessen Strukturen und Potenziale stärken.

Kaya betonte, dass es um themengeleitete Projektbereiche und Modellprojekte gehe, dass „Demokratie leben!” aber keine Strukturförderung betreiben dürfe. In Modellprojekten würden Methoden, Ansätze und Konzeptionen entwickelt und erprobt.

2015 sei das Programm mit einem Budget von 30,5 Millionen Euro gestartet, das im Lauf des Jahres 2015 sowie 2016 jeweils um zehn Millionen Euro aufgestockt worden sei. 2017 wurden die Mittel auf 104,5 Milli­

onen Euro erhöht. Mit der Mittelaufstockung stieg auch der Anteil von Projekten mit direktem Antidiskri­

minierungsbezug im Programm, soweit dies im Rahmen der geltenden Richtlinien überhaupt möglich sei.

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31 Forum 2

Im Bundesprogramm gebe es zum einen mehr als 400 Modellprojekte. Zum anderen stärke es die 16 Lan­

des­Demokratiezentren, insbesondere in der Mobilen und in der Opferberatung (Fördervolumen 2017:

insgesamt rund 15 Millionen Euro). Es fördere darüber hinaus die Strukturentwicklung des Antidiskri­

minierungsverbands Deutschland (advd), des INSTA Instituts für den Situationsansatz (für Diversity und Antidiskriminierung im frühkindlichen Bereich) sowie von Dachverbänden von Opferberatung und Mo­

biler Beratung mit jeweils bis zu 300.000 Euro pro Jahr. Gefördert würden außerdem Modellprojekte zur Stärkung der Antidiskriminierungsarbeit (etwa in Organisationen und Verbänden) und zu ausgewählten Phänomenen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (darunter Projekte zu Antidiskriminierung und Frühprävention im Vorschulalter) sowie Projekte zur Vielfalt in der Arbeits­ und Unternehmenswelt.

„Demokratie leben!” habe eine Anregungsfunktion und fördere Innovation. Antidiskriminierung werde gefördert, aber es sei nicht Aufgabe des Bundesprogramms, die Länder an die Hand zu nehmen. Die Länder müssten den Aufbau von Antidiskriminierungsberatung selbst zu ihrer Sache machen.

Wie man Lobbyarbeit verbessern und die Interessen der Antidiskriminierungsarbeit so stärken und för­

dern könne, fragte sie abschließend. Sie sagte, die Rahmenbedingungen des Programms könnten nicht von den internen Mitarbeiter_innen verändert werden, aber durch Lobbyarbeit. Sie regte an, hier tätig zu wer­

den. Die Hoffnung von „Demokratie leben!“ sei, dass die geförderten Projekte und bundeszentralen Träger ihre Themen und Interessen auch politisch vorbrächten und dadurch Antidiskriminierung förderten.

Impuls von Judith Porath, Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) sei ein Dachverband und existiere seit 2014, sagte Judith Porath. Man arbeite zwar mit Täterberatungsstel­

len zusammen – Opferberatung schließe jedoch eine Täterberatung satzungsgemäß aus. Das sei ein Unter­

schied zur Antidiskriminierungsberatung, in der auch mit der beschuldigten Seite geredet werde. Ein wei­

terer Unterschied sei, dass sich Opferberatungsprozesse entlang des Strafverfahrens entwickeln würden.

In der Opferberatung arbeite man nicht nur nach AGG­Merkmalen. Die Arbeitsfelder seien Betroffenen­, Einzel­, Gruppen­ und lokale Beratung sowie Netzwerkarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Lobbyarbeit für Betroffene. Die Beratungen seien vertraulich und auf Wunsch anonym, sie würden in mehreren Sprachen und kostenlos angeboten. Die Themenfelder seien rechte Gewalt, Homo­ und Transphobie. Die Zahl rech­

ter und antisemitischer Gewalttaten, sagte sie, sei in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Porath betonte auch, dass Akteur_innen, die sich für den Aufbau der Zivilgesellschaft einsetzen, vermehrt von Rechten bedroht würden.

Spezifische Merkmale rechter Gewalt seien die zielgerichtete Opferauswahl oder die Botschaftskompo­

nente der Taten – es gehe Tätern darum, Zeichen zu setzen und symbolisch gegen eine ganze Gruppe vor­

zugehen. Gewalt zeige sich dabei oft als Zuspitzung von vorangehenden Diskriminierungserfahrungen.

Die spezifische Opferberatung, so Porath, habe von der Entstehungsgeschichte her mit dem Bundespro­

gramm „Civitas“ angefangen. Anders als zuvor Daniela Kaya meinte Porath, dass der Bund sehr wohl gute Gründe gehabt hätte, den Aufbau von Opferberatungen zu initiieren, weil die Länder es nicht getan hätten.

Rechte Gewalt sei in den 1990­er Jahren stark verharmlost worden. Die brutalen und zielgerichteten Atta­

cken seien von den Sicherheitsbehörden fast immer als „Auseinandersetzungen zwischen Ausländern und

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