Studien über das Zendavesta
von Dr. Fr. Spiegel.
1. Die Tradition der Parsen.
Die rege Theilnahme, welche seit einigen Jahren dem
Studium der Vedas zugewendet wird, die bedeutenden Auf¬
klärungen, welche die Wissenschaft durch diese Religions¬
bücher bereits erhalten hat oder noch zu erhalten hoffen darf,
müssen auch für ein nahe verwandtes Studium Interesse erre¬
gen, welches lange vor dem Studium der Vedas begonnen und
noch in neuster Zeit mit glücklichem Scharfsinne und un¬
leugbarem Erfolge gefördert worden ist. Die Religionsschrif¬
ten der Parsen sind seit länger als einem halben Jahrhundert
in Europa bekannt und studirt worden. Man glaubte ihren
Inhalt ganz zuverlässig zu kennen durch die Arbeit eines
Mannes, der, von Liebe zu diesen Forschungen getrieben, keine
Gefahr und keine Mühe gescheut hatte, um sich eine richtige
Kenntniss von dem Inhalte des Zendavesta zu verschaffen.
Die französische Uebersetzung hielt man lange Zeit für getreu ;
von der näheren Erforschung der Sprachen dieser Bücher,
glaubte man, werde wohl der Philolog Gewinn ziehen, auch
die Uebersetzung hie und da im Einzelnen modificirt werden,
im Ganzen und Grossen aber hoffte man dass diese Arbeiten
Anquetils Forschungen nur bestätigen würden. Wider alles
Erwarten stiess die neuere Wissenschaft alle die Resultate,
in deren Besitz man bereits zu sein glaubte, um und zeigte
dass die ganze Untersuchung von neuem angestellt werden
müsse, wenn man etwas Gewisses.über die Religion der alten
— 244 —
Perser wissen wolle. Es ist jetzt kein Geheimnis* mehr,
dass Anquetils Lebersetzung nicht zuverlässig ist, ja man
kann dieselbe bei aller Achtung und Dankbarkeit, zu der
man sich gegen diesen Mann gedrungen fühlt, geradezu eine
verfehlte nennen. Fragt man aber, woher dies komme, so
wird man ziemlich allgemein die Antwort erhalten: die Schuld
liege an der Tradition der Parsen, welche letzteren ihre Re¬
ligionsbücher selbst nicht mehr verständen; Anquetils Ueber¬
setzung gebe den Sinn wieder, welchen dieselben nach der
Meinung der jetzigen Parsen haben. Noch vor wenig hun¬
dert Jahren habe der Destur N'eriosengh einzelne Theile des
Zendavesta ins Sanskrit übersetzt, und man könne daraus er¬
sehen, dass die Tradition damals noch eine ganz andere und
richtigere gewesen sei als heut zu Tage.
Dieser Stand der Dinge scheint dem Studium der Zeit¬
schriften grosse Hindernisse in den Weg zu legen. Welche
Schwierigkeiten bietet dasselbe nicht im Vergleiche mit dem
Studium der Vedas! Hier haben wir einen von Wort zu Wort
fortgehenden Commentar, der, in einer leichten und verständ¬
lichen Sprache geschrieben, den dunkeln Text erläutert, alte
Wörterbücher mit Belegen, genaue Abhandlungen überProsodie
und Grammatik, der zahlreichen Schriften über das Ceremo-
nienwesen nicht zu gedenken — Alles von gelehrten Einge¬
hornen, die mit ihrem Gegenstande durchaus vertraut waren.
Dagegen haben wir nur von einem kleinen Theile des Zend¬
avesta eine verständliche, zuverlässige Uebersetzung; zu dem
grössten Theile der Schriften haben wir die /.war zuverlässige
Huzväresch- oder Pehlevi - Lebersetzung, die uns aber eben »o
dunkel ist als die Texte, welche dieselbe erläutern soll. Wir
würden also nur mit Hülfe der Sprachvergleichung übersetzen
können, und diese, so unentbehrlich sie auch ist, möchte doch
nicht Uberall ausreichen, und wir würden auch durchaus keine
Gewähr dafür haben , ob die Gedanken , w elche w ir den alt¬
persischen Religionsbüchern unterlegen , wirklich einmal im
— 245 —
Volke lebendig waren. Anquetils Uebersetzung aber, wenn
sie wirklieb die Tradition der neueren Parsen wiedergiebt,
würde immer den Vorzug besitzen, dass sie zu irgend einer
Zeit wirklich Autorität hatte.
Verhält sich denn aber die Sache auch wirklich so, und
giebt Anquetil den Sinn wieder, welchen die Parsen jetzt
ihren Iteligionsschriften unterlegen l Dies ist meines Erachtens
eine Frage, welche einer näheren £ ntersuchung wohl werth
ist. Eine solche grosse Abweichung von der alten Tradition
im Verlaufe von wenig hundert Jahren wiisste ich mir nur
zu erklären entweder aus geistigen Umwälzungen, welche
den dogmatischen Standpunkt der Parsen gänzlich verändert
hätten, oder aus grossen Erschütterungen durch Kriege u. s. w.,
oder endlich durch gänzliche Indifferenz. Was die Exegese
der jetzigen Parsen betrifft, so überhebt die Art und Weise
derselben die Parsen der Mühe etwas an dem Wortsinne zu
ändern, wie wir weiter unten sehen werden; eben so wenig
kann Krieg und anderes Unglück die alte Tradition in Ver¬
gessenheit gebracht haben ; und dass die neueren Parsen nichts
weniger als indifferent sind, haben sie noch neuerlich gezeigt.
Man sage auch nicht, die Abnahme der Kenntniss der alten
heiligen Sprachen sei der Grund der Verschlechterung, denn
es existiren andere Uebersetzungen , z. B. in das Sanskrit, und
wie häufig diese gelesen werden müssen, sieht man daraus,
dass viele Handschriften von Xeriosengh's Uebersetzung exi¬
stiren. Man denke sich doch , um ein verwandtes Beispiel
anzuführen, es sei ein Mann im Anfange des fünfzehnten Jahr¬
hunderts durch Deutschland gereist, um in den verschiedenen
Klöstern das alte und neue Testament zu studiren, er hätte
aber darauf bestanden, dass ihm dieselben aus den Grundtexten
übersetzt werden sollten — welch ungenügende Sprachkennt¬
nisse würde er vorgefunden haben! Würde aber dieser Mann
ein Becht gehabt haben zu sagen, in Deutschland wisse man
nichts mehr von der Bibel i Eben so wenig lässt sich aus
1 7
— 240
den ungenügenden Sprachkenntnissen der Parsen ein weiterer
Schluss ziehen.
Um aber die jetzige Tradition beurtheilen zu können,
müssen wir vor Allem Anquetils französische Uebersetzung und
deren Entstehen einer Prüfung unterwerfen. Dies ist glück¬
licher Weise um so leichter, als uns Anquetil selbst darüber
ausführliche Nachricht giebt. In seiner Reisebeschreibung, in
der er die Hindernisse berichtet, mit denen er zu kämpfen hatte,
bis er das Misstrauen der Parsen besiegen und seinen Zweck
erreichen konnte, sagt er uns auch, auf welche Weise er seine
Uebersetzung des Zendavesta begann (Zd.-Av. disc. preliminaire
p. CCCXXX): ,,Le Persan moderne nie servoit de langue
intennediaire, parceque Darab de peur d'etre entendu par
mon domestique n' auroit pas voulu nie developper en langue
vnlgaire les mysteres de sa religion. J'ecrivois tout, j'avois
meine 1' attention de marquer la lecture du Zend et du Pehlvi
en caracteres Europepns : je comparois ensuite les mor^eaux
qui paroissoient les meines pour m'assurer de l'exaetitude des
leqons de Darab." — In dem ganzen Reginnen Anquetils, so
wenig Einwendungen man auch auf den ersten Blick gegen
dasselbe machen zu können scheint, liegen doch schon die
Gründe des Misslingens der Arbeit deutlich vor, und es lässt
sich bezweifeln, ob noch heut zu Tage eine Uebersetzung des
Zendavesta, auf gleiche Weise begonnen, glücklicher ausfallen
würde. Die Missgriffe Anquetils sind aber folgende:
Erstens war es in vieler Hinsicht keine glückliche Wahl,
dass das Neupersische zur Mittelsprache zwischen Anquetil und
dem Destur Däräb gemacht wurde. Für beide, sowohl für Anque¬
til als für den Destur Däräb, war das Neupersische eine fremde
Sprache ; schon daher mag manche ungenügende Uebersetzung
einzelner Worte kommen, weil dem Destur das richtige Wort
nicht zur Hand war, daher mögen auch mannichfache Miss¬
verständnisse zwischen Lehrer und Schüler gekommen sein.
Es war aber ferner das Neupersische auch als Sprache für
— 247 —
eine Uebersetzung des Zendavesta wenig geeignet, weil es
demselben fast gänzlich an Mitteln gebrach die Flexionen
des Zend auszudrücken. Nominativ und Accusativ, Accusativ
und Dativ können zwar unterschieden werden , aber auch zu¬
sammenfallen ; wie leicht wird da von einem Unkundigen, der
nicht auf die Ursprache zurückgehen kann, das Object für das
Subject und umgekehrt, oder ein Dativ für einen Accusativ
genommen. Noch weniger reichte die Conjugation aus, und
auch im Wortschätze waren viele Begriffe gar nicht vorhan¬
den , welche doch ausgedrückt werden sollten.
Zweitens aber — und hierauf muss vornehmlich geachtet
werden — kennen die Orientalen keine genauen Uebersetzungen
in unserem Sinne des Wortes, welche den Sinn des Originals
wiedergeben ohne gegen die Sprache zu Verstössen, in welche
iihersetzt wird. Die genauen Uebersetzungen der Orientalen
sind alle sklavisch, in dem Maasse sklavisch, dass man sie ohne
das Original gar nicht v erstehen kann. Die Uebersetzungen der
buddhistischen Schriften ins Tibetanische, des Aristoteles ins
Arabische sind länger bekannte Beispiele; die Schriften der
Parsen bilden einen neuen Beleg dazu. Welcher Art nämlich
die neupersischen Uebersetzungen der Parsen sind , davon
haben wir ein sicheres Beispiel an der Interlinearübersetzung
etlicher Capitel des Vendidad, welche in mehreren Hand¬
schriften des genannten Buches sich findet. Abgesehen von
allen Verstössen ist diese Lebersetzung so wörtlich, dass es
hei aller Kenntniss des Neupersischen nicht möglich sein
würde, den Vendidad nach ihr zu verstehen, ohne das Original
zur Hülfe zu nehmen. Eine solche Lebersetzung hat nun
auch Anquetil erhalten, wie dies aus seiner Methode — er
zwang seinen Destur so wörtlich als möglich zu übersetzen
so wie aus seiner handschriftlichen Uebersetzung selbst hervor¬
geht. Letztere hat Anquetil in der königl. Bibliothek zu Paris
niedergelegt, und durch die gütige Mittheilung des Herrn Prof.
Olshausen ist eine Abschrift derselben in meinen Händen. —
— 24$ -
Anqnetil that mit dieser Uebersetzung das was er damit thun
konnte, da er das Zend augenscheinlich nicht verstand; er
suchte den Sinn des Originals aus ihr zu errathen, wobei
ihm seine Kenntniss der Realien sehr gut zu Statten kam.
Daher kommt es, dass Anquetil oftmals den Sinn ganz leidlich
trifft, aber fast niemals grammatisch genau ist. Für uns ist
diese Uebersetzung als Worttradition noch immer gut zu gebrau¬
chen, denn Destur Däräb hatte, wie wir später sehen werden,
eine sehr achtungswerthe Kenntniss des Huzväresch. Von
der Worttradition der neuern Parsen allein kann ich reden,
denn ich kenne keine andere; die Guzerati-Uebersetzungen sind
mir unbekannt. Dass übrigens auch sie genauer seien als
Anquetil, schliesse ich aus J. Wilsons bekanntem Buche: The
Parsi Religion unfolded etc. wo häufig die Parsen seiner eignen
Darstellung nach im Rechte sind, wenn sie gegen ihn und
Anquetil (auf den er sich stützt) polemisiren. — Es soll
übrigens auch gar nicht in Abrede gestellt werden, dass die
Treue der Tradition durch die häufigen Uebersetzungen aus
einer Sprache in die andere gelitten habe, nur nicht in dem
Maasse hat sie gelitten, wie man gewöhnlich glaubt. Leidet doch
selbst ein Buch in Europa mannichfache Verschlechterungen,
wenn es aus einer Sprache in die andere übersetzt wird, wie
viel mehr im Oriente, wo man sich um wörtliche Treue
fast allein kümmert, ohne auf den Sinn zu sehen.
Die Parsen scheinen die Sprache ihrer heiligen Schriften
nie grammatisch bearbeitet und nur ein einziger schwacher An¬
fang der Lexikographie scheint einiges Alter zu haben. Wir
haben demnach auch keine andern Hülfswerke, die uns zum
Verständnisse des Zendavesta behülflich sein könnten, als die
Uebersetzungen. Diesen muss demnach eine vorzügliche Auf¬
merksamkeit gewidmet werden, und es ist natürlich, dass die
älteste den meisten Glauben verdient. Dies ist aber die
Huzväresch - oder Pehlevi-Uebersetzung, welche um so wich¬
tiger ist, als alle späteren Uebersetzungen aus ihr geflossen
— 249 —
sind. Die Sprache dieser Uebersetzung ist durch Münzen
und Inschriften als die der ersten Säsäniden gesichert, und es
spricht nichts dagegen, anzunehmen dass diese Uebersetzungen
gleichfalls in jener Zeit gefertigt seien, wohl aber Manches
dafür. Hierdurch erhalten wir denn eine Uebersetzung von
verhältnissmässig frühem Alter, die für einen Herausgeber
des Zendavesta von hohem Werthe sein muss. Wir wollen
versuchen in dem Folgenden einige Hauptpunkte hervorzu¬
heben, worin dieselbe von Wichtigkeit sein kann.
Wichtig ist diese Uebersetzung vor Allem für die Kritik
des Textes. Wir müssen annehmen dass der Text, wie
es sich aus der Huzväreschübersetzung herausstellt dass er
den Uebersetzern vorgelegen habe, der älteste sei auf den wir
zurückgehen können , und man wird also von dieser Ueber¬
setzung denselben Gebrauch machen können, wie man ihn von
den Uebersetzungen des Alten Testamentes schon lange macht.
Die Abweichungen von dein Texte der Handschriften sind
aber keine Seltenheit, besonders Auslassungen von Sätzen
welche sich in unseren Texten vorfinden. Ob alle diese
Sätze eingeschoben sind , kann ich bis jetzt noch nicht be¬
stimmt behaupten, von den meisten aber ist es auf den ersten
Blick gewiss, da sie sich ohne Weiteres als sinnstörend und
den Zusammenhang unterbrechend kund geben. Ich will hier
nur ein einziges Beispiel aus einem leicht zugänglichen Texte
anführen. Im ersten Fargard des Vendidad (p. 2. u. 3. ed.
Olsh.) stehen die Worte: daca. avuthra. mäoghö. zayana.
dva. hahmina. hapta. henti. hanmind. tnäogha. pahcha.
zayana. a*. karetaecha. henti. careta. äpb. careta. zemö.
{■areta. urvaryäo. In der Huzväreschübersetzung steht: „Dort
sind zehn Wintermonate, zwei Sommermonate, und diese sind
kalt an Wasser (careta, np. kalt an Erde, kalt an
den Bäumen. " Man sieht dass hier Mehreres fehlt und zwar
die Worte von hapta henti an , welche schon Destur Däräb
aus dem Text geworfen hat, wie dies Anquetil zu der Stelle
17« 17
— 250 —
bemerkt, und dies ohne Zweifel weil er sie in der Huz\äresch-
überset/.ung nicht vorfand, von den sieben Handschriften aber
welche ich zu der Stelle verglichen habe, stehen die fraglichen
Worte in sechs. Her Destur Däräb hat aber darin geirrt,
dass er — wie man aus seiner Reccnsion ersieht — die Worte
bloss bis «*• wegliess und dann karetaecha las, während
das Huzväreschwort jNUJrom deutlich zeigt dass die Ueber-
setzer luecha lasen und folglich die Worte bis askare /.w
streichen sind, wie das denn auch durch eine Handschrift des
Vendidad - säde bestätigt wird. Zum Ueberfiuss wird dies
noch durch den Minokhired erhärtet, wo unsere Stelle (p, 323
der Pariser Handschrift) cilirt wird, ebenfalls mit Auslassung
der von mir bezeichneten Worte. — Neben dieser Art von
Glossen, von denen ich , wie gesagt , noch mehrere anführen
könnte und bei denen die grösste Lebereinstimmung der Hand¬
schriften ohne alles Gewicht ist, wie ich später darthun werde,
findet sich noch eine andere Art, welche den Zusammenhang
gänzlich unterbrechen (z. 11. im Vendidad p. 13. 18. ed. Olsh.).
Der Herausgeber des Vendidad, Herr Prof. Olshausen, hat
diese Stellen nicht in den Text gesetzt, mit vollem Rechte,
denn er wollte bloss eine Ausgabe des Zendtextes geben. In
•
einer Ausgabe aber, welche die Huzväreschübersetzung auch
giebt, werden diese Stellen nicht fehlen dürfen, da sie wesent¬
lich zu derselben gehören. Es sind nämlich Citate, welche
angeführt w erden. Manche solche Stellen, welche erweislich
Citate sind, stehen übrigens auch in den Texten, selbst der
Parsen, z. 11. in den Vendidad - sädes. Nicht also die Hand¬
schriften, bloss das Studium der Huzväreschübersetzung kann
uns in diesen Fällen eines Hesseren belehren.
Nicht weniger als für die Kritik des Textes isl die Huzvä¬
reschübersetzung für die Einth eilung desselben von Wich¬
tigkeit. Die Einlheilung in Fargard's und Has, welche man
etwa mit der Capiteleintheilung unserer Hibelausgaben ver¬
gleichen könnte, erweist sich durch dieselbe als eine alte
— 251 -
noch über diese Uebersetzer hinaus gehende, denn beide
Namen sind schon in den Glossen der genannten Liebersetzung
nachweisbar. Neben dieser Capiteleintheilung besteht nun aber
in den Handschriften mit Huzväreschübersetzung noch eine
andere, welche man füglich mit der Versabtheilung unserer
heiligen Schriften vergleichen kann. Der Text eines jeden
Capitels ist nämlich in kleine Sätze getheilt, hinter jedem
solchen Satze folgt sogleich die Uebersetzung, dann folgt ein
neuer Satz, dann wieder Uebersetzung u. s. f.; auf diese Art
sind die einzelnen Sätze streng von einander geschieden. Diese
Eintheilung, welche, wie kaum gesagt zu werden braucht,
für das Verständniss des Textes von Wichtigkeit ist, rührt
höchst wahrscheinlich von den Uebersetzern selbst her, in
keiner Handschrift habe ich eine Abweichung gefunden. Selbst
bei Neriosengh , dessen Huzväreschoriginal wir nicht kennen
(denn die in einer alten Copenhagner Handschrift erhaltene
Huzväreschübersetzung ist es nicht), ist die Abweichung nui
scheinbar. Neriosengh zerlegt nämlich die Abtheilungen der
Huzväreschübersetzung wieder in kleinere Unterabtheilungen,
in der Hauptsache aber trifft seine Eintheilung mit der Huz¬
väreschübersetzung zusammen.
Ein weiterer Nutzen der Huzväreschübersetzung liegt nun
in der Hülfe die sie zum Verständniss des Textes
gewährt. Schon als Sprache ist das Huzväresch wichtig, denn
es ist doch im Ganzen und Grossen eine persische Sprache.
Es wird nun wohl keines Beweises bedürfen, dass neben der
Vergleichung des Zend mit den Schwestersprachen , besonders
dem Sanskrit der Vedas, die Vergleichung innerhalb des
iranischen Sprachstamtnes von grösster Wichtigkeit ist. In die¬
ser Hinsicht ist das Neupersische, noch mehr aber Huzväresch
und Pärsi von grosser Bedeutung, vornehmlich haben sich
in den beiden letztgenannten Sprachen manche Wörter erhalten
welche im Neupersischen verschwunden sind, in vielen an¬
dern steht wenigstens die Form den zendischen Wörtern noch
17 "
252
näher, alle drei aber lehren uns die Lautübergänge in den
verschiedenen persischen Sprachen kennen , durch sie können
wir zendische Wörter in ihrer Forin und Bedeutung histo¬
risch verfolgen, vornehmlich aber für die Bedeutung der
Wörter möchte ich dieser Art Sprachvergleichung einen hohen
Werth beilegen, da in den anderen verwandten Sprachen
die Bedeutung verschieden sein kann, wenn auch die Wurzel
identisch ist. So kann man z. B. nach den Lautgesetzen des
Huzväresch augenblicklich sehen dass das zendische Ihwüsha
das neupersische Himmel, ist; die Worte äthr ahm.
t- u k hr ah m. <; uochent ahm. welche im zweiten Fargard des
Vendidad öfteis vorkommen, werden im Huzväresch und Pärsi
durch \\y» J>>y* u&Ü wiedergegeben. Die beiden zuletzt ge¬
nannten Wörter stammen von der Wurzel euch, welche aber
im Persischen — wie auch das neupersische »Äd^w zeigt —
die Bedeutung „brennen" hat. Aus dem Pärsi wird
durch Transposition im Neupersischen + offenbar das Wort.
o J
eukhra selbst. Im Sanskrit beisst das fast identische t-ukla
„weiss". So steht im Vendidad (p. 21. ed. Olsh.) apem. fratat.
chaya. hälhrö. maeaghim. „Sammle das Wasser an zur Grösse
eines hathra." Was ist aber nun hathrul Die Huzväresch¬
übersetzung giebt uns dasselbe Wort nach den Lautgesetzen
des Huzväresch umgewandelt, nämlich -idnn (man xeigl.putkra
und j). Dies ist nun das Wort welches Anquetil gewöhnlich
durch He sur wiedergiebt, und dieses bedeutet, wie wir von
ihm (Zd.-Av. 11. 464.) erfahren, eine Anzahl Schritte, un¬
gefähr so viel als auf eine Farsange gehen. Diese Beispiele
würden sich, wenn es darauf ankäme, leicht noch vermehren
lassen.
Noch ein anderer Nutzen der Huzväreschübersetzung ist
endlich der, dass sie den Zustand der Parsenreligion zur Zeit
der Säsäniden darlegt. In Bezug darauf ist die Huzväresch¬
übersetzung allein zu betrachten , ganz abgesehen von ihrem
Verhältnisse zum Grundtexte. In dieser Hinsicht ist unsere
— 253 —
Uebersetzung ein historisches Denkmal das seinen Werth in
sich selbst hat, und es ist gleichgültig ob die Uebersetzung
richtig oder falsch ist. An die Huzväreschübersetzung schliesst
sich dann auch die ganze spätere Literatur der Parsen an, und
diese ist auch für den, der sich bloss um die Zendtexte küm¬
mert, keineswegs unwichtig, einmal wegen der häufigen Citate
aus den heiligen Schriften, wovon wir schon oben ein Beispiel
anzuführen Gelegenheit hatten, dann auch wegen der Beal-
kenntnisse über Ceremonienwesen , Fortbildung der Mythen
deren Anfang schon im Zendavesta liegt u. s. w., die wie bloss
aus diesen Schriften gewinnen können. Manches von dieser
späteren Literatur mag langweilig und der Herausgabe gar nicht
werth sein, für einen aber der sich speciell mit dem Zend¬
avesta beschäftigt, ist bei der ohnehin beschränkten Literatur
Alles von Werth. — Aus der Huzväreschübersetzung lernen
wir auch die Exegese der Parsen kennen, ein Punkt auf
welchen wir unten nochmals zurückkommen werden.
Wir haben so lange von den Vorzügen der Huzväresch¬
übersetzung gesprochen, dass es nun wohl an der Zeit ist auch
ein Wort über die Mängel derselben zu sagen. Ein für uns lä¬
stiger Umstand ist allerdings der, dass wir über das Huzväresch
nicht viel besser unterrichtet sind als über das Zend und dass
das Verständniss der Huzväreschübersetzung fast ebenso grosse
Mühe kostet als das Verständniss des Originals. Ein noch
bedenklicherer Uebelsland ist aberfolgender: das Huzväresch
ist eine flexionslose Sprache und giebt daher auch nicht alle
Tempora und Casus des Zend mit der wünschenswerthen
Genauigkeit wieder. Ein fernerer Uebelstand ist die allzu-
grosse Wörtlichkeit. Jede Präposition die vor dem Verbum
steht wird besonders übersetzt, das Verbum wieder besonders.
Nun wird aber bekanntlich durch die Präposition oft die
Bedeutung eines Verbums modificirt, deswegen ist die Huz¬
väreschübersetzung in dieser Hinsicht fast gänzlich un¬
brauchbar.
— 254 —
Vielen von den eben bemerkten Mängeln wird jedoch
durch eine andere uns verständlichere Uebersetzung abgeholfen.
Neriosenghs treffliche Sanskritiibersetzung wird durch die Be¬
nutzung des Originals nicht nur nicht überflüssig, sie wird
durch dasselbe erst recht brauchbar. Was wir oben von orien¬
talischen Uebersetzungen im Allgemeinen gesagt haben, das gilt
auch hier: das barbarische Sanskrit Neriosenghs schliesst sich
so genau an das Original an, dass jenes erst von diesem das
rechte Licht empfängt. Einen grossen Theil ihres Werthes
verdankt diese Uebersetzung freilich dem Umstände, dass uns
das Huzväresch nicht klar ist und erst mit Hülfe dieser Ueber¬
setzung verständlich wird , doch besitzt sie auch ihre eigen¬
thümlichen Vorzüge. Hierher rechnen wir vor Allem die Mög¬
lichkeit in dem an Flexionen reichen Sanskrit die Flexionen
des Zend genügend wiederzugeben. Von dem Werthe welchen
diese Uebersetzung besonders für das Yr acna hat, auch für
den Text desselben, werden wir passender dann reden, wenn
wir die Handschriften des Zendavesta behandeln.
Der Zweck der vorliegenden Zeilen war, so viel als mög¬
lich darzuthun dass es mit der Tradition des Zendavesta
keineswegs schlecht bestellt sei und dass man sie keines¬
wegs ohne Weiteres von der Hand weisen dürfe. Sie stellt
sich, was die Treue betrifft, der indischen für die Vedas
vollkommen an die Seite, aber sie ist uns in einer ganz ande¬
ren Weise erhalten als diese. Sie ist es welche zuerst bekannt
gemacht werden muss, an ihr muss unser Verständniss des
Zendavesta gross gezogen werden , wie das Verständniss des
Alten Testamentes an der Tradition der Juden erwachsen ist
uud das Studium der Vedas eben durch die indische Tradition
gefördert wird. Die Tradition ist der Stoff der Kritik: erst
wenn der Stoff vollständig bekannt ist, kann die Kritik Fort¬
schritte machen und die Tradition tritt in den Hintergrund
zurück, behält aber doch immer ihren historischen Werth.
Mit der Tradition der Uebersetzung hängt nun auch dk-
— 253 —
Exegese der Parsen zusammen. Sie ist streng von der Tra¬
dition der Uebersetzung zu 'scheiden, wie sie denn in der
Uebersetzung selbst ausgeschieden und in der Form von
(Jossen gtfgeben ist. So wenig ich mich nun vor der Hand
auch rühmen kann in den Sinn der meisten Glossen einge¬
drungen zu sein, so glaube ich doch schon mit Bestimmtheit
\ ersichern zu dürfen dass durch diese Glossen das Verständ¬
niss des Textes nicht sonderlich gefördert werden wird. Selbst
wenn die Bemerkungen richtig sind, enthalfen sie meist für
uns Unnöthiges oder sich 1011 seihst Verstehendes; an vielen
Orten kann man sie geradezu absurd nennen. Dessenungeachtet
ist auch ihr ein eigentümlicher Werth nicht abzusprechen,
den sie aber in sich selbst hat, nämlich ihre Bedeutung für den
dogmatischen Standpunkt der Parsen zur Zeil der Säsäniden.
Dieser ist nun von dem der alten Perser wesentlich verschieden,
wie dies schon von vornheiein wegen der Länge der Zeit
welche zwischen dem Grundtexte und der Huzväreschüber¬
setzung in der Mitte liegt, wahrscheinlich ist. Die Zeit der
Säsäniden aber ist ohne Frage eine sowohl für die CultUrge¬
schichte Asiens höchst wichtige als auch sehr dunkle Periode.
Irre ich nicht sehr, so werden die Studien über das Zenda¬
vesta und dessen Uebersetzungen nicht bloss dazu dienen die
Religionsbücher der Parsen au erklären, sie werden Licht auf
eine historisch durrkle Periode überhaupt werfen. Zur Zeit
der Säsäniden schloss sich Persien keineswegs von der Bildung
anderer Völker ab, griechische und christliche Bildungen dran¬
gen in Persien ein, so wie wieder besonders christliche Secfen,
wie die Gnosfiker und Manichäer, vieles aus dem Parsismus
aufnahmen; diese können dann erst in dem richtigen Lichte er¬
kannt werden, w enn die Schriften des Parsismus selbst hesser
erforscht sind als dies gegenwärtig der Fall ist. Griechische
Bildung kam aber den Persern zur Zeit derSäsäniden erweislich
auf zwei Wegen zu, einmal direct durch Uebersetzungen grie¬
chischer Schriftsteller ins Persische, dann duich die syrischen
Christen, welche in bedeutender Anzahl üher Persien zerstreut
waren. In Bezug auf Syrien muss ich noch eines IJmstandes
erwähnen. Man nimmt gewöhnlich an — und ich selbst habe
dies bisher immer gethan — dass das Huzväresch seine Hei¬
math an den äussersten Gränzen Persiens haben müsse, weil
man sonst die Einmischung aramäischer Wörter nicht erklären
könnte. Es Hesse sich jedoch noch eine andere Möglichkeit
denken, die nämlich, dass die aramäischen Bestandtheile des
Huzväresch nicht durch persönlichen, sondern durch literarischen
Verkehr mit Syrien diese Wörter aufgenommen habe ganz in
der Art wie das Neupersische die arabischen Wörter aufnimmt,
so dass man aus dem Vorkommen solcher arabischer Wörter
auch durchaus keinen Schluss darauf machen kann, wo das
Werk geschrieben ist in welchem sie vorkommen. Dass aber
die Perser der Säsänidenzeit mit der syrischen Literatur be¬
kannt waren , ist eine ausgemachte Sache. Wir wissen dass
die Perser häufig die Schule von Edessa besuchten, so dass
diese den Namen „Schule der Perser" erhielt. Soviel ist
ferner auch gewiss, dass die Huzväreschsprache nicht aus
Mangel ihre Zuflucht zu aramäischen Bezeichnungen nimmt.
Dies beweist einmal ein Glossar von dem ich eine Abschrift be¬
sitze, wo immer neben dem fremden Worte noch ein rein persi¬
sches aufgeführt wird , dann aber auch die Uebersetzungen
selbst. Ich habe gleichartige Texte in der Huzväreschüber¬
setzung verglichen und finde auch hier Abwechslung : während
an der einen Stelle ein rein persisches Wort steht, wird an
der andern ein aramäisches gesetzt. Doch muss man sich hü¬
ten sich allzugrossen Hoffnungen hinzugeben, als ob sich in
den Glossen der genannten Uebersetzung und in den anderen
selbstständigen Werken der Paisen der Säsänidenzeit das ganze
Verhältniss der Perser zu den übrigen Culturen klar abspie¬
geln werde. Es ist zu bedenken dass wir eine religiöse
Literatur vor uns haben, und zwar unbedenklich eine solche
welche gegen die Bewegungen ihrer Zeit feindlich gesinnt war,
— 257 —
wie dies aus einem dieser späteren Bücher, dem Minokhired>
deutlich hervorgeht. Häufig werden dort die Religionen und
Ansichten welche existiren erwähnt, zwar ohne jemals näher
bezeichnet zu werden , aber immer mit einem gewissen Ab¬
scheu und mit der festen Versicherung dass die Religion
Zoroasters allein die wahre sei. Ganz werden sich aber auch
diese strengen Parsen den Einflüssen ihrer Zeit nicht haben
entziehen können und gewiss werden ihre Schriften viel Licht
über diese Periode verbreiten. — Nicht weniger aber wie
mit dem früheren, hängen die Perser der Säsäniden und ihre
Cultur auch mit dem späteren Oriente zusammen. Schon im
Koran mag Manches durch die Wissenschaft der Parsen auf¬
geklärt werden , noch mehr aber in den Wissenschaften des
Islam; wir wissen ja mit Bestimmtheit dass die Gründer
vieler Disciplinen des muhammedanischen Bildungskreises ge¬
borene Perser waren.
Vielleicht ist es Manchem auch nicht unangenehm, Ei¬
niges über die Geschichte der persischen Religion seit der
Zeit der Säsäniden und zwar zum Theil nach dem eigenen
Berichte derselben zu erfahren. Dieser kurze Bericht, den ich
hier vor Augen habe , ist zwar neu — er steht nämlich am
Anfange der ^LsU*. der Geschichte der Uebersiedlung der
Parsen nach Indien ') — doch habe ich keine Ursache die
Treue dieser gewiss älteren Tradition zu bezweifeln. Wir
sehen dass die Parsen keineswegs die ganze Zeit der Säsä¬
niden als eine für sie günstige betrachten. Schon Zoroaster
soll nach ihnen die Ankunft Alexanders und die damit verbun¬
dene Demüthigung des Glaubens geweissagt haben. Von der
Ankunft Alexanders bis zur Thronbesteigung Ardeschirs, des
ersten Säsäniden, lag die persische Religion danieder. Arde-
schir brachte sie wieder zu Ehren und wurde dabei unter-
I) Sie steht, übersetzt \. Eastwick . in dem Journal of the Bombay Brauch of the Royal As. Society. April 1842. p. 167 lfil.
— 258 —
stützt von dem unter seiner Regierung lebenden Priester Ar da
Viräf, der noch jetzt bei den Parsen in hohem Ansehen
steht. Nach ArdeschiYs Tode kam die Religion von neuem
in Verfall, bis sie Schähpiir — ohne Zweifel Schähpür II. —
A
wiederum hob mit der Beihülfe von Ad erbat Mab res fand,
der unter die Propheten gerechnet wird. Von Schähpür bis
Jezdegird blieb nach dem ausdrücklichen Zeugnisse des oben¬
genannten Werkes die Religion in Ehren. Nach der Erobe¬
rung Persiens durch die Araber und bei dem Ueberhandnehmen
des Islam hörte der Parsismus selbst auf die herrschende
Religion zu sein. Die Wenigen welche der Religion ihrer
Väter treu blieben, waren nicht zahlreich genug um eine
selbstständige Bildung zu begründen, sie schlössen sich also
in den Wissenschaften an die umwohnenden Moslemen oder
später auch wohl an die Hindus an, diese fremdartigen Bildungs¬
elemente haben aber meines Wissens — mit Ausnahme der
Astronomie, welche den bekannten parsischen Kalenderstreit
veranlasste — keinen Einfluss auf die Beligion der Parsen
geübt und diese ist daher seit jener Zeit als abgeschlossen
zu betrachten. Der Isläm selbst aber hatte in Persien manche
Elemente des Parsismus nicht vertilgen können, sondern in
sich aufgenommen. Hiervon heben wir zwei besonders wich¬
tige hervor, die persische Heldensage und den SufIs¬
mus, welche aber innerhalb des Islam eine ganz entgegen¬
gesetzte Entwicklung erfahren haben. Die persische Helden¬
sage, welche sich aus dem Volke nicht vertreiben liess, sam¬
melte Firdosi in seinem bekannten Schähnäme; dieses ist sowohl
zum Volksbuche geworden, als auch zur Quelle Für die orien¬
talischen Geschichtschreiber Persiens; nur wenige wie llamza
von Isfähän, der Verfasser des .Vlojmel - ul - tewäi ich , haben
selbstständige Studien über diesen Gegenstand gemacht. Man
kann zwar Firdosi keineswegs vorwerfen er habe die persische
Sage verfälscht, aber er war Muselman und er hat — sei es aus
Beligionseifer , sei es aus Klugheit und Rücksicht auf seine
— 259 —
Feinde, oder sei es endlich dass schon seine Quelle, das
Bästän - näme, die Schuld trägt — den religiösen Gehalt der
persischen Mythen vielfach verwischt und verflüchtigt, wie ich
dies später in einer eigenen Abhandlung hoffe darthun zu
können. Als nun der lsläm immer mehr in das persische
Volk eindrang und die neueren Geschichtschreiber . keinen
neuen Stoff hinzufügen konnten, so wendeten sie ihre Auf¬
merksamkeit auf eine andere Seite: sie suchten die Personen
der persischen Sage mit Personen ihrer heiligen Geschichte
zu identificiren. Hiervon, erst aus dieser späteren Periode,
stammen jene absurden Gleichsetzungen von Kaiumers und
Adam, Zertuscht und Ibrahim u. s. w. Natürlich ändert sich
bei diesen strengen Moslemen auch das Urtheil über einzelne
Regenten ; man vergleiche z. B. die Begierung Guschtasps bei
Firdosi und bei Mirchond.
Einen ganz verschiedenen Entwicklungsgang nahm aber
der Sufismus. Orthodox ist der Sufismus nie gewesen, aber
er brachte seine Lehren leicht mit dein Koran in Ueberein-
stimmung durch allegorische Ausdeutungen, und viele, ja die
meisten Mystiker glaubten gewiss selbst rechtgläubige Moslemen
zu sein. Je mehr sich aber der Sufismus ausbreitete, desto
weniger hatte er nöthig die Hülle der Rechtgläubigkeit um
sich zu werfen. So sehen wir denn zur Zeit des Kaisers Akbar
die Sufis geradezu erklären, es sei eine Veränderung der Reli¬
gion oder vielmehr eine Bückkehr zu der alten Urreligion
nöthig. Diese Urreligion ist nun natürlich nichts Anderes
als der Lehrbegriff der Sufis selbst; allen Religionen wird
eine relative Wahrheit und Gültigkeit zugeschrieben , allein
die heiligen Schriften derselben, heisst es, werden falsch d. b.
blos dein Wortsinne nach erklärt. Man muss die Heli<rions-
bücher der verschiedenen Völker allegorisch fassen, so geben
sie wohl den erwünschten Sinn. Ein Theil dieser Sufis ver¬
legte diese Urreligion nach Persien in die Zeit der ältesten
mythischen Personen zurück: ja man ging noch weiter: man
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erdichtete geradezu prophetische Bücher in einer gemachten
Sprache, übersetzte dieselben ins Neupersische und legte diese
Bücher den alten mythischen Personen bei. Diese unterge¬
schobenen Bücher, deren Linächtheit gar nicht zweifelhaft
sein kann, sind unter dem Namen der Desätir bekannt.
Der Zufall führte das einzige bis jetzt bekannte .Manuscript
der Desätir in die Hand eines parsischen, wegen seiner Gelehr¬
samkeit sehr geachteten Priesters, Mulla Firuz ben Kails, und
dieser ermangelte nicht die Desätir als ächte Offenbarung
anzuerkennen und im Jahre 1818 in Bombay durch den Druck
bekannt zu machen. Hierdurch kam dieses Werk zur Kennt¬
niss der Parsen, und dass dasselbe bei ihnen Anklang fand
und dass man das Zendavesta heutzutage nach den Principien
der Sufis erklärt, davon giebt J. Wilson's oben angeführtes
Buch deutliche Belege. Es wird den Parsen hierdurch möglich
jeden beliebigen Sinn in ihre heiligen Schriften zu legen,
ohne am Wortsinne auch nur das Geringste zu ändern.
2. Zur parsischen Eschatologie.
Herr E. Burnouf hat im zehnten Bande des Pariser
Journal asiatique schon die Behauptung ausgesprochen, die
älteren Schriften des Zendavesta kennten die Lehre von der
Auferstehung nicht. Der genannte Gelehrte hat jedoch jenen
Gegenstand noch nicht erschöpfen wollen, er hat dort in sei¬
nen trefflichen Bemerkungen Uber die Worte yavuecha yava-
tälaecha bloss gezeigt dass diese Worte nicht „jusqu' ä la
resurrection" bezeichnen können, wie Anquetil sie wiedergiebt,
dass vielmehr Neriosengh im Hechte ist, wenn er sadä
»adä cha pravrittim übersetzt. Wir haben blos hinzu¬
zufügen dass Neriosengh's Uebersetzung die allgemeine Tra¬
dition der Parsen darstellt, wie man dies theils aus Anquetils
Zd.-Av. I. 2. p. 102. not. und II. p. 466., theils auch daraus
— 201 —
sehen kann, dass in späteren Büchern, wie im Minokhired,
der Ausdruck harne harne rawasni (die Pärsiübersetzung
der obigen Zendworte) von dem Ausdrucke ahdä rictäkhef
„bis zur Auferstehung" (yavat ravotthänam. Mer.) streng
geschieden wird.
Mit der Auferstehung hängt auch die Lehre von den
letzten Dingen genau zusammen. Sie wird im Bundehesch
behandelt, und eine correcte Uebersetzung und Bearbeitung
dieses Buches wird gewiss auch Anquetils Uebersetzung in
diesem Punkte inodificiren ; wir wollen hier bloss sehen wie
weit diese Ansicht bereits in den älteren Schriften des Zend¬
avesta vorhanden ist. Anquetil spricht über diese Lehre in
seinem Leben Zoroasters (Zd. -Av. 1. 2. p. 46.) und stellt
dieselbe folgendermaßen dar: Am Ende der Dinge werden
drei Söhne Zoroasters erscheinen , zuerst Oschederbämi, vier¬
hundert Jahre später Oschedermäh und ganz zuletzt Sosiosch.
Jeder von diesen dreien wird einen neuen \osk des Zenda¬
vesta offenbaren. Zur Beglaubigung dieser Ansicht citirt An¬
quetil ausser dem unzweifelhaft späteren Bundehesch und Bah-
man-yesht in Huzväresch auch den neunzehnten Fargard des
Vendidad. Dort finden wir nun in Anquetils Uebersetzung
allerdings eine Stelle welche diese Ansicht zu bestätigen
scheint. Sie lautet (Zd.-Av. I. 2. p. 413.) folgendermassen :
Zoroattre ful plus fort qu' Ahriman , cet Ahriman , auteur
de la mauvaise loi. II frappa le peuple donne par ce Dew :
il frappa (le Darouj) Nesosch donne par ce Dew. Le*
Paris et leurs desseins seront aneantis par celui qui naitra
de la source, par Sosiosch le vainqueur (qui sorlira) de F eau
Kanse par Oscheder(bami) el par Oscheder(mah) qui (vien-
dront) de la partie (oh est F eau Kanse). Die Uebersetzung
des 19. Fargard ist indessen bei Anquetil grossentheils miss-
lungen und von Oscheder-bäini und Oscheder-mäh findet sich
im Grundtexte keine Spur, derselbe lautet nämlich folgen¬
dermassen: 1) uzvaedhayal. zarathustrb. agrem. tnainyaöm.
1 S
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dujda. agra. mainyö. 2) janimi. dahtna. daevö. dutem. jandni.
noctis, daevö. ddtem. 3) janäni. pairikahm. yanm. khnahthaete.
yahmäi. uc. zayäiti. cabshyahc. verelhraja. hacha. apat. kah-
faöyät. 4) vshactarät. hacha. naemdt. ushactaraeibyö. hacha.
naemaeibyö. d. h. Es benachrichtigte Zarathustra den Agra-
mainyus (Ahriman): Schlechter Ahriman! ich will schlagen
die Schöpfung die von den Devs geschaffen ist, ich will den
Naqus schlagen welcher von den Devs geschaffen ist, ich will
die Peri schlagen welche man anbetet (?), bis dass der Nützende
kommen wird, der Siegreiche aus dem Wasser Karicaöya von
der östlichen Gegend, von den östlichen Gegenden" '). — Das
Wort cabshyahc, aus welchem das spätere Sosiosch entstanden
ist, kommt von der Wurzel fu und heisst eigentlich der nützen
werdende. Die Huzväreschübersetzung giebt das Wort durch
iMiKmo, np. JO^o^«., wieder. Da nun weiter keine Stelle'in
den Zendbüchern (die Stelle im 28. Karde des Yesht Farvardin
giebt keine näheren Aufschlüsse) vorkommt, so darf man
aus dieser Stelle wohl schliessen: die Parsen der älteren Zeit
wissen weder von Oscheder - bämi noch von Oscheder-mäh
irgend etwas, sie erwarten bloss einen Propheten noch in Zu¬
kunft, den sie mit dem allgemeinen Namen „der Nützliche"
bezeichnen.
Der Name Caöshyariq ist nun aber bei den älteren Parsen
nicht bloss kein Eigenname, er ist nicht einmal ausschliess¬
liche Bezeichnung jenes einst Kommenden. Caöshyantö ist
vielmehr die Bezeichnung für eine ganze Clane von Menschen;
wir könnten den Ausdruck etwa mit Prophet übersetzen. So
z. B. in der bekannten Stelle des 9. Ha: aöi. mannt, ctaomaine.
{liiidhi. yatha. mahm. aparachit. caöshyantö. ctavann. „Hufe
mich an mit Lob , wie mich die anderen Nützenden auch ge-
1) Meine obige Uebersetzung stimmt genau mit der Huzväresehiibcrsetzung Uberein ; die Stelle ist leicht und macht wenig Schw ierigkeiten, bloss die Worte pniriianm — yahmäi sind dunkel, yahmäi übersetzt die H. V. mit dem Aus¬
drucke mit dem sie sonst yavata ,.so lange als" übersetzt, hier muss es .,so lange bis" bedeuten. Für yanm hhnanlhaelt' weiss ich keine sichere Er¬
klärung, denn die Ableitung von sanskr. hnath, tödten, befriedigt mich nicht, eben so wenig aber auch die Huzväreschübersetzung, welche hier und in der Parallelstelle Vcnd. p. 5. 1. 8. ed. Olsh. Götzenverehrung übersetzt.
— 263 -
priesen haben." Eine ähnliche Stelle findet sich auch im
13. Ha des Yacna.
Für die spätere Zeit wird nun allerdings unter Caöshyaric,
oder Sosiosch nur der einst Kommende zu verstehen sein,
ebenso wird es auch seine Richtigkeit haben, dass man vor dem¬
selben noch zwei andere Propheten, Hoseheder-bämi und Hosche-
der-mäh, erwarte. Doch scheint auch für diese spätere Zeit die
oben angeführte Behauptung Anquetils gleichfalls einer Berich¬
tigung zu bedürfen. Ich schliesse dies aus der nachfolgenden
Stelle des Minokhired (p. 54. der Pariser Handschr.) \chi.
pedAä-] ku. agar. kai.qa^raic. uzdezar. i. pa. var. i. cAichact.
ne. khat. (leg. khaiit.) Aal. andar. in. ce. Aazär. [f«7. *'.]
hucedar. u. husedar. mäh. [«] vaösayaöc. ja1. jat. pa. Aar.
Aar. Aazära. e). esahn. yak. iiyat. Ae. kür. i. ge"lAi. awitj %
viraet. u. meAerahn. drüjahn. uzdect. paractahn. i. andar.
kesvar. .be. awajanel. aigin. patyära. edum. claAmatar. but.
Aät. ku. ricläkAej. u. tan. i. pacin. kardan. ne. »üyacl. Aät.
d. h. Denn es ist offenbar, dass, wenn Kai Qac,ra\v den Götzen¬
tempel, der im Var Chichagt befindlich war, nicht zerstört
hätte, so wäre in diesen 3000 Jahren des Hocedar, Hose-
darraäh und Caösioc (welche einzeln , jede 1000 Jahre Einer,
kommen, die Angelegenheiten der Welt wieder ordnen und
die Mithra-daruj's und die Götzenanbeter, welche in den
Keshvar's sind, schlagen) die Opposition so heftig geworden,
dass die Auferstehung und der folgende Körper nicht möglich
gewesen wäre. " Nicht also vierhundert Jahre nach Oscheder-
bämi erscheint Oschedermäh, sondern tausend Jahre später,
und es regiert überhaupt ein jeder dieser drei Propheten 1000
Jahre und kommt, um die gesunkene und vergessene Beligion
wieder zu beleben. Diese letzte Ansicht ist analog , wo nicht
verwandt , der der Buddhisten , welche ebenfalls immer von
Zeit zu Zeit (nur nach etwas längeren Zwischenräumen) wieder
einen Buddha erscheinen lassen, um die in der Länge der Zeit
in Vergessenheit gerathene Beligion wieder in dem Gedächt¬
nisse der Menschen zu beleben.
Ueber die in Philae aufgefundene Republikafion
des Dekretes von Rosette und die ägyptischen
Forschungen des Herrn de Saulcy
von K. Lepsin« ').
Am 20. November 1843 schrieb ich aus Korusko in L n-
ternubien an Herrn v. Humboldt:
,, Einen köstlichen Fund haben wir im Hofe des grossen
„Isistempels gethan, zwei ziemlich wortreiche hilingue
„d. h. hieroglyphisch und demotisch abgefasste Decrete
.„der ägyptischen Priester, von denen das eine den¬
selben Text wie das Dekret des Steins von Ro-
„sette enthält. Wenigstens habe ich bis jetzt
„die 7 letzten Zeilen verglichen, die nicht nur
„dem Inhalte nach, sondern auch in der Länge jeder
„einzelnen Zeile mit der Inschrift von Rosette überein¬
stimmen; die Inschrift muss erst ausgezeich-
1) Ich bin in dem Jahresberichte d. Deutsch, morgenl. Gesellschaft für 1845
(S. 103—105) von Herrn Prof. Seyffarth zu einem exegetischen Wett¬
streite aufgefordert worden , welcher über den Werth oder l'nwerth seiner und Champollion's Hieroglyphenerklärungen entscheiden solle. Chainpollion's 1822 begründetes System ist bereits überall, wo Wissenschaft gepflegt wird, als eine der grössten wissenschaftlichen Entdeckungen des Jahrhunderts auf¬
genommen und fortgebildet worden, und trägt jeden Tag neue Früchte, be¬
darf also einer neuen Beglaubigung nicht. Sobald Herr Sey Barth , der seit 1825, so viel mir bekannt, zahlreiche Schriften über Hieroglyphen veröffent¬
licht hat, in Deutschland oder in irgend einem andern Lande einen einzigen Schüler gezogen haben wird, sobald eins von seinen drei Systemen von ir¬
gend einem Gelehrten selbstthätig angenommen , gelehrt oder fortgebildet werden wird , bin ich zu einer ausführlicheren Entgegnung bereit. Bis dahin bedürfen seine Ansichten keiner neuen Bcurtheilung , und ich sehe daher
keinen Grund seiner Aufforderung zu folgen. > R. L.