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Hilfe!

Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft

EtHiscH: Wie sauber sind Arzneimittel- tests in Schwellenländern? Seite 18

ProblEmatiscH: Wie kommen Patienten mit sehr seltenen Krankheiten an neue Arzneien? Seite 38

oPtimistiscH: Kann ein Berliner Forscher mit Organchips Medikamententests revolutionieren? Seite 74

Klinische studien

ein MaGaZin iM aUftraG deS BPi

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Hilfe! --- Klinische Studien --- Vorwort --- 3

„Menschenversuche“ und „Versuchskaninchen“ – das sind nur zwei der Schlagworte, die im Mai vergangenen Jahres in den Medien verwendet wurden, um über klinische Studien im Auftrag westlicher Unternehmen in der DDR zu berichten. Die Berichterstattung hat gezeigt, wie wenig die Öffentlichkeit über das komplexe Thema weiß. Und Nichtwissen schafft Miss- trauen. Offenbar umso mehr, wenn die pharmazeutische Industrie beteiligt ist, eine Branche, die im Spannungsfeld zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft agiert. Und die das Gros der klinischen Studien in Auftrag gibt.

Tatsächlich sind klinische Studien eine zwingende Voraussetzung für die Entwicklung und Zulassung eines Arzneimittels. Jeder Wirkstoff auf dem Weg von der Forschung bis zu einem in der Versorgung von Patienten genutzten Medikament muss irgendwann beim Men- schen zum Einsatz kommen. Das geschieht in klinischen Studien, in denen viel von dem Wis- sen generiert wird, das Grundlage für die Zulassung und Anwendung eines Arzneimittels ist.

Jede Studie beantwortet Fragen: Wie wirkt das Medikament, welche Nebenwirkungen hat es, wem hilft es, und wie muss es dosiert werden? Klinische Studien prüfen Arzneimittel – des- halb werden sie rechtlich korrekt auch als klinische Prüfungen bezeichnet.

Diese Prüfungen sind vom Gesetzgeber vorgeschrieben, sie sind umfangreich reguliert und kontrolliert: Keine Studie kann ohne Antrag, Bewertung und Genehmigung durch die zuständigen Behörden und eine Ethikkommission begonnen werden. Menschen dürfen erst an einer klinischen Prüfung teilnehmen, nachdem sie umfassend informiert wurden. Auch Durchführung und Auswertung unterliegen strengen Auflagen. Doch ihre Ergebnisse sind die Grundlage für Arzneimittel, die Leben retten, schützen, verbessern und manchmal erst er- möglichen. Das ist der Anlass für uns, sie in unserem zweiten „Hilfe!“-Heft zum Thema zu machen. Unser Magazin will Hintergründe, Anforderungen und Praxis klinischer Prüfungen aufzeigen. Und natürlich die Menschen vorstellen, die daran mitwirken.

Die Studien in der DDR sind in diesem Heft bewusst kein Thema: Ihr Umfang und die Umstände ihrer Durchführung sind Gegenstand laufender Forschungsarbeiten*, zu denen erste Zwischenergebnisse im Laufe dieses Jahres veröffentlicht werden sollen.

Wir haben die zweite Ausgabe unseres Magazins wieder bei brand eins Wissen in Auftrag gegeben und der Redaktion freie Hand gelassen: bei der Auswahl von Autoren, Gesprächs- partnern, Inhalten, bei Umsetzung und Gestaltung. Wir selbst hätten auch dieses Magazin so nie auf den Weg gebracht: Es zeigt Misserfolge, lässt kritische Stimmen zu Wort kommen, diskutiert Ansätze, die wir sehr skeptisch betrachten, relativiert Fortschritte der pharmazeuti- schen Industrie und hinterfragt unser Geschäftsmodell. Aber die erste Ausgabe hat gezeigt, dass gerade andere Meinungen und Sichtweisen zur differenzierten Auseinandersetzung mit Herausforderungen und Dilemmata anregen. Davon gibt es auch bei klinischen Studien genug – mehr als genug für ein zweites Heft.

BPI – Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie

*Institut für Geschichte der Medizin und Ethik der Medizin der Charité in Berlin, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, der Bundesärztekammer, den Landesärztekammern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Saarland, Sachsen, dem Verband forschender Arzneimittelhersteller, dem Bundesverband der pharmazeutischen Industrie und der Bundesstiftung Aufarbeitung

Geprüft

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Hilfe! --- Klinische Studien --- Editorial --- 5

Es ist ein weiter Weg vom vielversprechenden Wirkstoff bis zu einem neuen Medika- ment. Nur ein winziger Bruchteil aller Forschungsvorhaben der Pharmaindustrie meis- tert den Parcours vom Labor bis zur Zulassung: Kaum ein Prozent aller getesteten Wirkstoffe schafft es jemals als Pille auf den Markt. Die überwältigende Mehrheit ver- sandet irgendwo im Prozess zwischen Entdeckung und Vermarktung. Lange genug dauert er ja: Es vergehen zehn bis fünfzehn Jahre, bis aus einer Idee ein Medikament geworden ist. In den Sechzigerjahren waren es im Schnitt noch acht.

Seitdem ist die Forschung komplizierter geworden, denn für viele Krankheiten kennen wir inzwischen die passende Medizin. Außerdem haben sich die Zulassungs- bedingungen für neue Arzneien enorm verschärft, genau wie die Verfahren, in denen sich jeder Wirkstoff beweisen muss, bevor er sich irgendwann Medikament nennen darf. Ob eine neue Substanz wirksam ist, muss sie in klinischen Studien mit Menschen belegen. Sie bilden das Herzstück der Arzneimittelentwicklung – und den Schwerpunkt unseres Magazins.

Wir wollten wissen, was genau es mit den Verfahren zur Prüfung und Zulassung auf sich hat. Weshalb das Prozedere so komplex ist; welche widersprüchlichen Erwar- tungshaltungen an den Ausgang einer Studie geknüpft sein können; wer sie nach wel- chen Kriterien designt; wie Ärzte, Patienten, Forscher, Hersteller und Ethiker darüber denken und worauf wir Verbraucher uns verlassen können – oder eben auch nicht.

Wir haben im Zuge unserer Recherchen viel gelernt. Zum Beispiel über die enor- men Fortschritte in der Behandlung von Aids-Patienten. Zwar ist die Krankheit bis heu- te nicht heilbar, aufgrund neuer Wirkstoffe ist die Lebenserwartung von HIV-Infizierten inzwischen aber fast genauso hoch wie die von nicht infizierten Menschen (Seite 66).

Fast noch eindrucksvoller: die Therapieerfolge bei leukämiekranken Kindern in Deutsch- land, die weltweit als vorbildhaft gelten. Noch vor 40 Jahren starben hierzulande neun von zehn kranken Kindern, heute liegen die Heilungschancen der kleinen Patienten bei 80 Prozent. Für den Onkologen Günter Henze eine große Erfolgsgeschichte – und Resultat klinischer Studien (Seite 44).

Natürlich passiert immer wieder auch das Gegenteil. Patienten leiden, und Tests müssen abgebrochen werden, wie etwa bei TGN1412, dem Wirkstoff des Würzburger Unternehmens TeGenero, der als verstörendes Beispiel in die Geschichte klinischer Stu- dien eingegangen ist (Seite 48). Er war eine tragische Ausnahme, sicher. Aber die Erpro- bung neuer Wirkstoffe bleibt eben auch bei sorgfältigster Planung ein Risiko. Ob ein Mittel bei allen Menschen gleich wirkt, ist zunächst ebenso unklar wie die Fragen, ob seine Nebenwirkungen kalkulierbar und tolerabel sind oder ob es überhaupt eine Ver- besserung darstellt. Das mag uns gefallen oder nicht: Vernünftige Antworten lassen sich nur mithilfe von klinischen Studien finden.

Das Herzstück

Susanne Risch, Chefredakteurin

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6 Hilfe! --- Klinische Studien --- Inhalt --- 7

08 Im Dickicht

Zwischen Risiken und Renditen, Hoffnungen und Hürden: Der Prozess der klinischen Studie ist komplex, auch wenn es letztlich stets um das Wohl des Patienten geht. Sechs Akteure berichten.

22 Zehntausendmal probiert, eines hat funktioniert

Der Weg von einem neuen Wirkstoff zu einem neuen Medikament ist lang und kurvenreich – ein Überblick.

28 Weltweit im Test

Klinische Studien im internationalen Vergleich.

32 Das ist keine heile Welt

Wie verlässlich sind Medikamente, die in Indien oder China getestet wurden? Professor Karl Broich über die Sicherheit von Medikamententests in Schwellenländern und die Globalisierung ethischer Standards.

38 Ausnahmsweise?

Alina ist zwei Jahre alt und hat Progerie – eine sehr seltene Krankheit. Wie kommt sie an Medikamente?

Ein extremes Beispiel für ein nicht seltenes Problem.

44 Das geht besser

Die Heilungschancen krebskranker Kinder sind in der Vergangenheit enorm gestiegen. Für den Leukämie- Experten Günter Henze das Ergebnis kluger Kooperation und klinischer Studien. Ein Gespräch.

Inhalt

48 Abbruch!

Manchmal werden Tests abgebrochen. Weil Menschen gefährdet sind – oder ein Medikament sehr gut wirkt.

52 Was zählt, und was nicht zählt

Sie bewegen sich zwischen Korrelationen, Kausalitäten, Standardabweichungen und Tödlichkeitsraten.

Und ohne sie ist eine klinische Studie nicht denkbar.

Zu Besuch bei einer Biostatistikerin.

58 Wer hat so viel Geld?

Wer kann jenseits der Pharmaindustrie Studien finanzieren? Der Staat? Krankenkassen? Die Crowd?

Und wer will das?

66 Glück, sehr viel Geld und eine Revolution

Die Suche nach einem Mittel gegen HIV war sehr schnell sehr erfolgreich. Warum? Ein Rückblick.

74 Der Mensch auf einem Chip

Nie wieder Tierversuche! Der Berliner Wissenschaftler Uwe Marx entwickelt künstliche Miniaturorgane, die einen Teil der klinischen Forschung ersetzen könnten.

80 Glossar 82 Impressum

66

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74

22

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Im Dickicht

Klinische Studien versprechen viel Gutes: medizinischen Fortschritt, neue Wege der Heilung, wirtschaftlichen Erfolg. Zugleich bergen sie aber auch beträchtliche Risiken. Das macht sie außergewöhnlich komplex.

Keine einfache Situation für die Beteiligten, die ihren Weg finden müssen.

Allein und gemeinsam.

Text: Christian Sywottek Foto: Elias Hassos, Michael Hudler, Julia Knop

Hilfe! --- Klinische Studien --- Beteiligte --- 9

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10 Hilfe! --- Klinische Studien --- Beteiligte --- 11

CureVac ist ein biopharmazeutisches Unter­

nehmen, das Wirkstoffe auf Basis der Ribo­

nukleinsäure (RNS) entwickelt. Wir engagieren uns vor allem in der Krebstherapie – unsere Medikamente sollen das Immunsystem zur Bekämpfung der Krebs­

zellen anregen. Darüber hinaus arbeiten wir an pro­

phylaktischen Impfstoffen, etwa gegen Grippe. Mit 120 Mitarbeitern und eigener Produktion ist CureVac ein kleines Unternehmen auf dem Pharmamarkt, aber ein recht großes im Feld der Biotech­Unternehmen.

Klinische Studien sind für uns Hoffnung und Risiko zugleich. Man muss sich klarmachen: Ich will ein Medikament entwickeln, dessen Wirkstoff sich in vielen Tierversuchen als vielversprechend gezeigt hat, doch klinische Studien sind die entscheidende Prü­

fung, ob der ausgewählte Wirkstoff wirklich wert ist, ein Medikament zu werden. Wirkt der Stoff tatsäch­

lich bei Patienten, kann er zugelassen werden? Für Menschen, die jahrelang an einer Substanz geforscht haben, ist das keine abstrakte Frage – sie ist existen­

ziell. Und es ist eine ungeheure Erleichterung, wenn ein Wirkstoff klinische Tests besteht, man also eine Chance zu seiner Weiterentwicklung bekommt.

Die Studien haben natürlich auch eine immense wirtschaftliche Dimension. Sie sind unsere einzige Chance, einen Wirkstoff auf den Markt zu bringen, unsere Investitionen zu amortisieren und schließlich Geld zu verdienen. Weil wir als kleiner Spezialist unser

Risiko kaum streuen können, potenziert sich das noch:

Wir arbeiten in einem begrenzten Wirkstoffgebiet und setzen damit zwangsläufig alles auf eine Karte. Hinzu kommt, dass klinische Studien viele Jahre dauern, und wir währenddessen weiter an der Wirkstoffgruppe arbeiten. Bringt eine Studie dann ein negatives Ergeb­

nis, hat man eventuell jahrelang in die falsche Rich­

tung geforscht.

Scheitern ist schrecklich, egal, in welcher Phase man sich befindet, aber besonders enttäuschend ist es, wenn es erst in Phase III passiert. Zumal bis dahin oft schon viele Millionen Euro in die Entwicklung geflossen sind.

Klinische Studien setzen uns enorm unter Druck, auch weil wir auf ihre Durchführung nur begrenzt Einfluss haben. Wir können unseren Wirkstoff nur so gut wie möglich machen, die Studie so gut wie mög­

lich planen und überwachen – ihre Durchführung aber müssen wir an Clinical Research Organisations (CROs) delegieren. So gut wie möglich, heißt für uns:

Wir müssen Studien mit medizinisch relevanten Zie­

len planen und unseren Wirkstoff mit den besten verfügbaren Standardtherapien vergleichen. Natürlich wäre es bisweilen auch möglich, die Wahrscheinlich­

keit eines positiven Studienergebnisses zu erhöhen – etwa durch den Vergleich mit eher schwachen Thera­

pien oder auch durch die Wahl leichter zu erreichender Studienziele. Das ist ja auch die Kritik an vielen Stu­

dien. Aber was bringt das? Formal positive, aber we­

nig relevante Studienergebnisse allein reichen später oft nicht für eine Zulassung. Außerdem sollen die Krankenkassen die Kosten für die Behandlung über­

nehmen – und die vorgeschaltete Zusatznutzenprü­

fung ist mittlerweile sehr streng.

Um erfolgreich zu sein, brauchen wir also quali­

tativ hochwertige Studien. Das ist eine Frage eines gu­

ten Studiendesigns – aber man muss die Studien auch umsetzen können. Und das ist für einen kleinen Spon­

sor nicht einfach. Eine Studie vorzubereiten kann bis zu zwei Jahre dauern. In dieser Zeit müssen wir uns mit Behörden und Gremien abstimmen, mit Ärzten und den CROs. Wir sind von ihnen abhängig, haben aber keine Spezialabteilungen etwa für Behördenkon­

takte im Haus, so wie die großen Pharmaunterneh­

men. Stattdessen arbeiten wir mit externen Beratern.

Die Zusammenarbeit mit Behörden, den Ethik­

kommissionen und Zulassungsstellen klappt trotzdem sehr gut. Ich finde es positiv, dass diese Kontroll­

instanzen unsere Studien nochmals unabhängig auf Patientensicherheit und ethische Standards prüfen und den wirtschaftlichen Interessen der Sponsoren etwas entgegensetzen. Wenn sie lange mit einer Substanz gearbeitet haben und von ihr überzeugt sind, werden Sponsoren manchmal ein wenig betriebsblind.

Wir haben uns beispielsweise lange vor Beginn einiger unserer ersten Studien mit dem Paul­Ehrlich­

Institut über die Prüfpläne beraten und sie durch die genaue Abstimmung verbessern können – das sorgte neben glatten Genehmigungsverfahren auch für qua­

litativ hochwertige Studien.

Eine mitunter nicht ganz konfliktfreie Abhängig­

keit besteht eher zu den CROs. Probandenrekrutie­

rung, die Betreuung der Studienzentren, das Monito­

ring der Patienten – das können wir als kleiner Sponsor nicht selbst leisten und müssen diese Auf­

gaben delegieren. Da kann es mitunter zu Problemen kommen, etwa wenn aufgrund von Personalknapp­

heit bei der CRO die Projekte großer Pharmafirmen bevorzugt werden. Dann müssen wir die Arbeit der CRO an den Studienzentren mit einem deutlich grö­

ßeren Aufwand als geplant unterstützen und überwa­

chen. Zum Glück passiert das nicht dauernd. Meis­

tens können wir die auftretenden Probleme im Dialog lösen, und mit der Zeit spielen sich die Teams ein.

Jedes unserer Studien­Projekte ist schließlich auch für eine CRO neu.

Das Risiko des Scheiterns – das bleibt freilich be­

stehen. Aber wer in der klinischen Forschung arbeitet, darf nicht ständig an dieses Risiko denken. Vielmehr sollte er die Chancen sehen, mit der eigenen Arbeit deutliche Therapieverbesserungen für Patienten erzie­

len zu können. Wenn ich mich für eine Tätigkeit in diesem Bereich entscheide, muss ich eine gewisse Unsicherheit schlichtweg aushalten.“

Der Sponsor

Ulrike Gnad-Vogt, Chief Medical Officer, CureVac GmbH, Tübingen

„Studien sind Hoffnung und Risiko zugleich.“

Setzt bei ihren Studien auf akribische Vorbereitung und genaue Abstimmung: Ulrike Gnad-Vogt

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12 Hilfe! --- Klinische Studien --- Beteiligte --- 13

Eines ist klar: Wir sind ein Nadelöhr für die Pharmaindustrie, die ihre Medikamente auf den Markt bringen will, denn wir müssen zwei Grund­

rechte in Einklang bringen: das Grundrecht auf Wür­

de und Unversehrtheit der Teilnehmer in klinischen Studien und das Grundrecht auf Forschungsfreiheit.

Eine Studie ethisch zu beurteilen heißt, die Risi­

ken für die Teilnehmer abzuwägen gegen den erwar­

teten Nutzen für sie selbst, aber auch für Patienten, die in Zukunft von diesem Medikament profitieren könnten. Das ist immer eine Einzelfallentscheidung.

In einer Ethikkommission sind unterschiedliche Pro­

fessionen und Risikoperspektiven vertreten – Ärzte, Statistiker, Juristen, Pharmakologen, Theologen, Phi­

losophen, Männer und Frauen – aber die Entschei­

dungen sollen im Einvernehmen fallen. Der Weg des geringsten Widerstands kann bei dermaßen wichtigen Fragen jedoch nicht das geltende Prinzip sein, daher werden oft harte Diskussionen geführt. Es wäre aber unklug, einzelne Fachkompetenzen zu überstimmen.

Denn wenn später ein Sponsor oder ein Teilnehmer wegen eines erlittenen Schadens klagt, könnten die Überstimmer haftbar gemacht werden.

Die Entscheidung, ob eine Studie ethisch vertret­

bar ist, gleicht einem Gang auf dünnem Eis. Zwar weiß man in einigen Fällen gut Bescheid über die Effekte bestimmter Wirkstoffgruppen und kann Ana­

logieschlüsse ziehen oder sich Zell­ und Tierversuche anschauen. Außerdem kann man beim Test ganz

neuer Wirkstoffe eine besonders niedrige Anfangs­

dosierung und ein schrittweises Vorgehen vorschrei­

ben, etwa, dass an den Tests jeweils ein Proband nach dem anderen teilnimmt und nicht mehrere gleichzei­

tig – aber ein Risiko bleibt immer.

Wann wir ein Risiko als zu hoch einschätzen? Das hängt davon ab, wie wahrscheinlich es mit welchem Schweregrad eintritt und ob die Schädigung reversibel ist. Auch die Erkrankung und die Frage, ob ein Wirk­

stoff an gesunden oder kranken Menschen getestet wird, sind wichtige Gesichtspunkte. Bei einem Impf­

stofftest an Gesunden sind weit geringere Risiken akzeptabel als bei einem Krebsmitteltest an Schwerst­

kranken. Entscheidend ist zudem, ob ein Patient ein­

willigungsfähig ist. Wirklich schwierig wird es, wenn der Patient selbst von einer Studie keinen Nutzen ha­

ben kann, wohl aber zukünftige Patienten. Wenn etwa die Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechselung und Ausscheidung eines Wirkstoffs zunächst an Gesun­

den getestet wird, darf wirklich nichts schiefgehen.

Das sind schwierige Entscheidungen, aber alles abzulehnen, weil ein Restrisiko nicht ausgeschlossen werden kann, wäre auch keine Lösung. Zwar votieren wir im Zweifel für den Teilnehmerschutz und gegen die Durchführung einer Studie, aber damit liegt man ethisch nicht automatisch richtig. Denn unethisch wäre es ebenso, Kranken eine mögliche Hilfe zu ver­

weigern, nur weil man es sich bei der Risikobewer­

tung zu einfach macht.

Deshalb diskutieren wir oft intensiv mit den Sponso­

ren und zeigen Lösungswege auf, sodass beide Grund­

rechte zusammenfinden. Von allen beantragten Arz­

neimittelstudien gehen weniger als fünf Prozent ohne Beanstandungen durch, etwa gleich viele werden definitiv abgelehnt. Die überwältigende Mehrheit der Anträge aber wird so modifiziert, dass wir zustimmen können. Dabei geht es oft um eine bessere Patienten­

aufklärung, denn das ist kein Papierkram, sondern die Grundlage, auf der sich ein Mensch für oder gegen eine Studienteilnahme entscheidet. Oder es werden zu risikoreiche Patientengruppen gewählt. Manche Sponsoren wollen sich auch gern enge Intervalle bei den Nachuntersuchungen sparen, die der Sicherheit der Teilnehmer dienen. Es kann aber genauso um Ver­

sicherungsfragen gehen.

Die Sponsoren sind in der Regel sehr kooperativ.

Schwierig kann es werden, wenn die Therapie in der Kontrollgruppe an dem hierzulande in der Kranken­

versorgung üblichen Standard ausgerichtet werden soll. Schließlich möchten Sponsoren, dass ihr Produkt wie ein Phönix aus der Asche steigt und brilliert. Da­

bei ist das Problem, dass viele Studien multinational durchgeführt und die Prüfpläne in den USA erstellt werden. Da liegt es für Sponsoren dann nahe, die vielerorts oft niedrigeren Versorgungsstandards für die Kontrollgruppe zu übernehmen.

Es ist auch unethisch, Patienten einen übertriebe­

nen Nutzen vorzugaukeln – Medikamente, die in auch nur annähernd hundert Prozent der Fälle wirken oder frei von unerwünschten Nebenwirkungen sind, gibt es nicht.

Trotzdem kann ich über die Zusammenarbeit mit den Sponsoren nicht klagen. Versuche der unlauteren Einflussnahme kommen äußerst selten vor. Wenn mich jemand kontaktiert, um was zu ‚drehen‘, sage ich gleich, dass ich darüber einen schriftlichen Ver­

merk für die Geschäftsstelle mache – dann wird das Gespräch in der Regel sofort beendet.

Den Vorwurf, ein bürokratischer Haufen zu sein, hören wir eher aus medizinischen Fachgesellschaften und von Patientenvertretern, die meinen, wir würden die Kranken zu sehr schützen und den medizinischen Fortschritt bremsen. Viele Patientenorganisationen werden von Pharmaunternehmen unterstützt – viel­

leicht zeigt sich da deren Einfluss? Dennoch prüfe ich die Kritik und Anregungen von Patientenvertretern sehr ernsthaft, denn sie vertreten oft legitime und be­

rechtigte Anliegen.

Aber es ist unsere Aufgabe, genau hinzuschauen und gegebenenfalls nachzufragen. Wer sollte es denn sonst tun, wenn nicht die Ethikkommission? Eine ge­

wisse Unsicherheit bleibt ohnehin, denn es passieren nun mal Fehler.

Jede Kommission ist in einem ständigen Lernpro­

zess. Doch wir könnten noch mehr lernen, wenn wir wüssten, ob es bei den genehmigten Projekten bei den Teilnehmern studienbedingte Schäden gegeben hat.

Aber die Versicherer halten die exakten Daten über entschädigungspflichtige Vorfälle trotz intensiver Dis­

kussionen unter Verschluss. So bleiben studienbe­

dingte, entschädigungspflichtige Vorkommnisse für uns eine Blackbox – das darf eigentlich nicht sein.“

Die Ethikkommission

Joerg Hasford, Vorsitzender der Ethikkommission der Bayerischen Landesärztekammer

„Entscheidungen sind immer ein Gang auf dünnem Eis.“

Entscheidet sich nach sorgfältiger Abwägung im Zweifel für den Teilnehmerschutz: Joerg Hasford

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14 Hilfe! --- Klinische Studien --- Beteiligte --- 15

Das Paul­Ehrlich­Institut ist neben dem Bun­

desinstitut für Arzneimittel und Medizinpro­

dukte (BfArM) die zweite Zulassungsstelle für klini­

sche Prüfungen – ohne unser positives Votum darf keine stattfinden. Im Mittelpunkt steht die Sicherheit der Patienten, daneben legen wir aber auch Wert auf den Erkenntnisgewinn. Dabei prüfen wir, ob eine Stu­

die so angelegt ist, dass sie die darin formulierten Zie­

le und Erkenntniszuwächse wirklich generieren kann.

Unsere Arbeit ähnelt der einer Ethikkommission, doch im Unterschied zu ihr schauen wir uns auch alle präklinischen Daten, den Herstellungsprozess und die pharmazeutische Qualität eines Wirkstoffs an. Das macht die Entscheidungen noch komplexer. Eine ge­

wisse Unsicherheit bleibt immer, sie hängt stark von der jeweiligen Entwicklungsphase eines Medikaments ab. In frühen Studienphasen ist unser Wissen naturge­

mäß begrenzt, doch je weiter die Entwicklung voran­

schreitet, desto umfassender werden die Dossiers. Bei Erstanwendungen am Menschen sind wir in den vergangenen Jahren restriktiver geworden, etwa bei Dosierungen oder der Steigerung der Probandenzahl, was viele Diskussionen mit Sponsoren nach sich zog.

Aber zurücklehnen können wir uns nicht: Studien machen nur Sinn, wenn sie offene Fragen beantwor­

ten. Gefahren kann man vorab abzuschätzen versu­

chen, aber nicht mit letzter Sicherheit kennen.

Wir können deshalb nie sicher sein, richtig zu entscheiden. Das gilt auch für die Frage nach dem Er­

kenntnisgewinn. Kann eine Studie einen Erkenntnis­

gewinn liefern? Natürlich schauen wir uns die Proban­

denauswahl an, die Dosierung, die Vergleichstherapie, außerdem haben wir umfangreiches Hintergrund­

wissen und diverse Behandlungsrichtlinien. Allerdings überschauen wir bei der Bewertung einer klinischen Studie nicht das gesamte Entwicklungsprogramm eines Sponsors. So stimmen wir wohl auch Studien zu, deren Wirkstoffe nicht unbedingt einen bislang unbekannten Therapieerfolg versprechen. Was ich aber auch sinnvoll finde, denn vielleicht haben diese Mittel dafür weniger Nebenwirkungen.

Aufgrund der Komplexität der Aspekte, die zu berücksichtigen sind, fällt unser Votum in einem Team aus Medizinern, Biologen und Statistikern im­

mer im Konsens. Wir lehnen selten Studien rundher­

aus ab, sondern versuchen, mit den Sponsoren Lösun­

gen zu finden. Oft geht es um die Überwachung der Probanden, um statistische Verfahren und Analyse­

methoden bei der Studienauswertung oder um Dosie­

rungen bei Erstanwendungen. Manchmal auch um die Frage, ob eine Nachsorge ambulant oder stationär stattfindet. Einfach ist das nicht, denn unser Verfahren ist sehr reglementiert: Der Sponsor darf nur einmal nachbessern, dann müssen wir entscheiden. Wenn es dann nicht passt, müssen wir ablehnen.

Deshalb fände ich es gut, wenn mehr Sponsoren vor der Einreichung in unsere Beratung kämen. Ge­

rade kleine Sponsoren aus der Biotech­Szene haben

wenig Erfahrung mit Genehmigungsprozessen und ihr Budget ist knapp – da sollte es keine Fehler geben.

Mit unserem Innovationsbüro geben wir Rat für die Erstellung des Dossiers: Welche präklinischen Daten sind erforderlich, welches Tier muss man für die Ver­

suche nehmen, wie anspruchsvoll müssen Studien­

ziele und Vergleichstherapien sein? All das kann man im Vorfeld klären.

Doch dieser Schritt fällt nicht jedem Sponsor leicht. Nicht wenige begreifen uns als Stolperfalle oder haben irrationale Ängste, sich bei uns eine Blöße zu geben. Dabei haben wir auch eine Peer­Funktion, wir wollen Dinge möglich machen. Der wirtschaft­

liche Druck eines Sponsors darf unsere Entscheidung aber nicht beeinflussen.

Wir haben unterschiedliche Rollen und müssen das akzeptieren. Jeder Sponsor hat das Recht, von sei­

nem Produkt überzeugt zu sein und schnell klinische Prüfungen in den gewünschten Dosierungen machen

zu wollen. Es ist aber unsere Pflicht, vorsichtig zu sein und gegebenenfalls das Tempo zu drosseln. Das ist der Grundkonflikt unserer Beziehung.

Doch im Grunde kommen wir gut miteinander zurecht. Was vielleicht auch daran liegt, dass meine Kollegen und ich uns um eine angemessene Balance zwischen Antreiben und Bremsen bemühen. Denn wir sind schließlich auch Ärzte, wir wollen neue Medikamente. Aber zugleich sind wir Prüfer. Ich fühle durchaus eine gewisse Verpflichtung gegen­

über Sponsoren. Die Sicherheit steht über allem, doch zugleich möchte ich niemandem eine Therapie vorenthalten.

Bisweilen führt das zu einem ganz beträchtlichen inneren Druck. Umso wichtiger sind die Entscheidun­

gen im Team. Was bleibt, ist die zwangsläufige Rest­

unsicherheit, ob man richtig liegt. Da muss man sich mental wappnen. Ich kann nicht sagen, wie ich das mache. Es ist wohl eine Charakterfrage.“

Die Zulassungsbehörde

Jan Müller-Berghaus, Klinischer Assessor, Paul-Ehrlich-Institut

„Wir wollen Dinge möglich machen.“

Weiß, dass trotz aller Vorsicht ein Risiko bleibt: Jan Müller-Berghaus

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16 Hilfe! --- Klinische Studien --- Beteiligte --- 17

PRA ist eine Full­Service­CRO mit etwa 10 000 Mitarbeitern in mehr als 80 Ländern.

Wir kümmern uns im Auftrag von Sponsoren um die Abwicklung von klinischen Studien: Wir entwickeln mit ihnen den Prüfplan, führen Gespräche mit Behör­

den und Kommissionen, identifizieren und betreuen Prüfzentren, machen das Monitoring und die Doku­

mentation, werten die Ergebnisse statistisch aus und schreiben den Abschlussbericht – wir kümmern uns also von Anfang bis Ende. Der Sponsor ist der Spe­

zialist für den Wirkstoff, wir sind die Experten für den Studienprozess.

Dieser Prozess ist mit seinen vielen Regularien und Beteiligten ausgesprochen komplex, was unsere Aufgabe sehr anspruchsvoll macht. Wir brauchen me­

dizinische Fachkenntnisse, Prozesswissen, Organisati­

onstalent. Wichtig ist auch eine klare Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Obwohl alle Protagonisten dasselbe wollen – so schnell wie möglich kranken Menschen wirksame und sichere Medikamente zu­

gänglich machen – verfolgen sie im verschachtelten Studienprozess kurzfristig mitunter verschiedene Inte­

ressen. Wir stecken dazwischen, müssen moderieren, verhandeln, Lösungen finden. Im Grunde sind wir so etwas wie die UNO der klinischen Forschung – und manchmal auch die Prügelknaben.

Dabei geht es meist um klassische Konflikte zwi­

schen Qualität, Zeit und Kosten – egal, in welcher Studienstufe man sich gerade befindet. Sponsoren wollen möglichst zügig durch die Studie kommen:

Behördenanträge sollen schnell gestellt, Probanden schnell gefunden, Daten im Eiltempo ausgewertet werden. Die Ungeduld ist groß. Doch zugleich verlan­

gen sie Qualität, die natürlich Zeit und Geld kostet.

Es ist ein Trugschluss zu glauben, ein möglichst schnell eingereichter Antrag würde Zeit sparen: Ist er fehlerhaft, kommt es zu Nachfragen, die den Prozess später verzögern.

Für uns als CRO ist klar, dass es nur mit Qualität geht, schon weil die Behörden Validität verlangen und weil es um Menschenleben geht. Der Sponsor weiß das im Grunde auch, aber er steht unter Druck, und das führt in der Praxis durchaus zu Diskussionen.

Dennoch begreifen sich beide Seiten zum Glück als Partner und finden meist eine gemeinsame Lösung.

Wir sind schließlich voneinander abhängig: Immer weniger Pharmaunternehmen beschäftigen heute noch

eigene Prozessexperten – deren Expertise ist zu den stetig wachsenden, international agierenden CROs abgewandert. Andererseits leben CROs von stabilen Kundenbeziehungen. Entscheidend ist, dass jeder Sponsor die für seine Bedürfnisse passende CRO fin­

det, sonst funktioniert eine solche Partnerschaft nicht.

Das ist wie in jeder anderen Beziehung auch.

Für uns ist das Beharren auf Qualität schlicht Teil der professionellen Arbeit, weil wir wissen, dass der Sponsor sonst Nachforderungen von den Behörden erhält und sich dadurch die Zulassung verzögern kann. Wir denken grundsätzlich langfristig und bis zum Ende des Prozesses, der Gesamtzeitraum ist für uns entscheidend. Dafür müssen die einzelnen Schrit­

te zügig, aber mit Bedacht gemacht werden – was auch für uns wichtig ist, denn wenn es im Genehmi­

gungsprozess zu unnötigen Verzögerungen kommt, stehen wir in der Kritik. Und wenn ein Sponsor unseren Rat partout nicht annehmen will? Dann machen wir ihn auf die möglichen Folgen aufmerk­

sam, setzen seine Vorgaben um, reichen etwa einen Antrag bei der Ethikkommission ein, auch auf die Gefahr von Nachforderungen. Aber so etwas kommt eher selten vor.

Die Studien werden immer spezieller, bei gleich­

zeitig wachsenden Probandengruppen. Das macht es nicht leicht, schnell und hochwertig zu arbeiten. Die größte Herausforderung aber ist, dass wir Anforde­

rungen erfüllen und stellen müssen, die wir nicht selbst formulieren.

Wir müssen gemäß den Regularien liefern, die von den Ethikkommissionen und Zulassungsbehör­

den vorgegeben werden. Das ist etwas, das nicht alle Beteiligten sofort verstehen, etwa die Prüfzentren und Studienärzte, denen wir mit unserem strengen Moni­

toring durchaus lästig werden können. Denn die Me­

diziner stecken in ihrem eigenen Konflikt zwischen Tagesgeschäft und Studien – sie haben wenig Zeit.

Wenn wir bei denen wiederholt anrufen, weil wir bestimmte Dokumente oder Unterschriften brauchen, macht ihnen das zusätzlich Arbeit. Wir können gut verstehen, dass wir ihnen mitunter wie Nervensägen erscheinen. Doch wenn die Zulassungsbehörde eine Unterschrift haben will, ist das eben so. Und die Sponsoren haben ebenfalls Ansprüche an uns, die wir nicht ignorieren können. Aber die Position zwischen allen Stühlen gehört nun mal zu unserem Job.“

Die Clinical Research Organisation

Veronique Larsimont, Senior Director Clinical Operations, PRA International, Mannheim

„Wir sind die UNO der klinischen Forschung.“

Moderiert, verhandelt und sucht für alle Beteiligten nach gangbaren Lösungen: Veronique Larsimont

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18 Hilfe! --- Klinische Studien --- Beteiligte --- 19

Ich habe seit 15 Jahren Brustkrebs, habe viele Ärzte gehabt und Therapien ausprobiert und musste dabei immer viel selbst entscheiden. Irgend­

wann habe ich mich regelrecht nach einer intensiven Betreuung gesehnt, nach jemandem, der mich an die Hand nimmt.

Das Gefühl, dass sich keiner wirklich um mich kümmert, war ein wichtiger Grund dafür, dass ich ab 2009 an einer klinischen Studie teilgenommen habe.

Ich erhoffte mir auch eine stärkere Krebskontrolle, zudem wollte ich etwas für den medizinischen Fort­

schritt tun. Brustkrebs liegt bei uns in der Familie. Die Chemotherapie bei meiner Mutter hatte noch starke Nebenwirkungen, sie hat sich die Seele aus dem Leib gekotzt. Seitdem hat sich viel geändert, ich selbst pro­

fitiere von wirklich guten Medikamenten. Nun wollte ich meinen Teil zur Weiterentwicklung beitragen.

Trotzdem habe ich die Studie nach anderthalb Jahren vorzeitig abgebrochen. Nicht wegen des Medi­

kaments oder seiner Nebenwirkungen, sondern wegen des schlechten Umgangs mit mir. Ich musste abwägen, was belastender für mich ist: die Studienbedingungen oder die Gefahr der Metastasenbildung aufgrund des Verzichts auf ein möglicherweise hilfreiches Medika­

ment. Und ich empfand das als sehr eindeutig.

Es handelte sich damals um eine kombinierte Phase­II­Studie aus einer etablierten Chemotherapie

und einem neuen Antikörper­Wirkstoff, mit dem zu­

vor bei Prostatakrebs Erfolge erzielt worden waren.

Innerhalb eines Tages habe ich mich zur Teilnahme entschlossen, ich hatte großes Vertrauen zu den Ärz­

ten. ,Wir betreuen Sie ganz eng‘ lautete das Verspre­

chen, und mit gravierenden Nebenwirkungen hätte ich nicht zu rechnen. Ich fühlte mich gut aufgeklärt.

Ob ich das Placebo oder den Wirkstoff bekommen würde, war mir ziemlich egal, die Chemotherapie gab mir Sicherheit. Ohne sie hätte ich niemals mitgemacht, denn eventuell ganz ohne Behandlung dazustehen ist für mich zu risikoreich. Ich habe täglich bis zu zehn Tabletten geschluckt, bin alle drei Wochen zur Unter­

suchung, alle sechs Wochen zur Computertomografie, alle zwölf Wochen zur Knochenzintigrafie – das war eine Riesenfahrerei, aber es musste eben sein. Ich habe auch täglich Tagebuch geführt über meinen Zustand und die Nebenwirkungen. Da ist man immer in Kon­

takt mit seiner Krankheit, was nicht einfach ist. Und es traten diverse Nebenwirkungen auf: Übelkeit, Durch­

fall, Geschmacksstörungen – da schmeckt die Schoko­

lade nach Leberwurst. Vor allem aber entwickelte ich ein Hand­Fuß­Syndrom, hatte offene Hände, die wie verbrannt schmerzten, sodass ich meine Rollläden zu Hause nur mit Handschuhen hochziehen konnte.

Aber selbst das hätte ich bei guter Betreuung akzeptiert, zumal mein Onkologe sagte, diese Reak­

tionen seien womöglich ein Zeichen dafür, dass mein Körper die wichtigen Antikörper bildet. Aber von den Studienärzten fühlte ich mich mit meinen Problemen allein gelassen – und das war entscheidend. Ich hatte mir eine gewisse Empathie erhofft, doch die Ärzte wechselten ständig, ich hatte insgesamt fünf. Und wenn ich sie um Rat bat, hieß es nur: ,Bei anderen Studienteilnehmern ist es noch viel schlimmer, wir können auch nichts machen.‘ Kontinuität? Ernst neh­

men? Fehlanzeige.

So musste ich mir alles erkämpfen. Die Chemo­

therapie wurde auf meinen Vorschlag hin reduziert.

Aber es ist doch nicht der Job der Patientin, Vor­

schläge zur Therapie zu machen. Hilfe gegen Neben­

wirkungen? Ich habe mir selbst eine Akupunktur besorgt. Eine enge Kontrolle der Krebsprogression?

Laut Prüfplan wurden die Befunde alle sechs Wochen verglichen, was aber bei einem langsam wachsenden Tumor keine Erkenntnisse bringt. Ich wollte Verglei­

che mit dem Erstbefund, was die Ärzte erst nach Dis­

kussionen mit dem Sponsor zuließen, der das übri­

gens selbstverständlich fand. Oder das Kontrastmittel bei der Knochenzintigrafie: Ich vertrug es nicht und ließ mir wegen einer Armvenenthrombose einen Port legen – nach Absprache! Doch die Radiologen woll­

ten ihn nicht nutzen, weil ich dadurch sterben könnte.

All die Diskussionen, der Streit – ich fand das un­

menschlich. Die Studie wurde für mich immer mehr zur Belastung, zumal nicht eindeutig war, ob sie mir half. So habe ich sie nach vier Monaten intensiven Nachdenkens abgebrochen. Ich war heilfroh, als es vorbei war. Seitdem hangle ich mich wieder von The­

rapie zu Therapie. Im Griff habe ich den Krebs nicht.

Die Studie damals war eine Chance – und es ist schade, dass es nicht geklappt hat. Aber bei einer guten Betreuung würde ich mich wieder darauf ein­

lassen. Es ist einfach so: Als Teilnehmerin möchte ich trotzdem Patientin sein dürfen, der es mal schlecht geht, die Fragen hat zu ihrem Zustand. Ich denke, auch Studienärzte können da etwas leisten. Empathie kostet keine Zeit – man muss es nur wollen und kön­

nen. Vielleicht sollte der eine oder andere Arzt einen Kurs in Patientenkommunikation belegen.“

Die Studienteilnehmerin

Anonyma (48), Brustkrebspatientin

„Ich möchte auch Patientin

sein dürfen.“

(11)

20 Hilfe! --- Klinische Studien --- Beteiligte --- 21

Wir führen ständig eine Vielzahl von Stu­

dien der Phase I bis III durch, für privat­

rechtliche und akademische Sponsoren, aber auch selbst initiierte von Prüfärzten. So können wir un­

seren Patienten als Teil der Behandlung neue The­

rapien anbieten, die sonst nicht verfügbar wären.

Außerdem wollen wir als Wissenschaftler, dass neues Wissen entsteht. Studien haben gerade in der Krebsmedizin zu einer erheblich besseren Pa­

tientenversorgung geführt.

Eine große Herausforderung ist es für uns, die Studien in den Klinikalltag zu integrieren, denn die aufwendigen Regularien führen zu enormen Kosten und einem riesigen Administrationsaufwand. Deshalb haben wir uns professionalisiert: durch eine eigene Studienzentrale, mit der Ausbildung von Dokumen­

taren, mit der Identifizierung von Spezialisten. Und wir haben betriebswirtschaftliche Expertise aufge­

baut, um zu beurteilen, ob die angebotenen Studien kostendeckend durchführbar sind – bei etwa einem Drittel ist das nicht der Fall.

Einfach enthusiastisch und ohne Beachtung des Umfelds Studien zu machen geht nicht mehr. Heute stellen sich viele Fragen: Haben wir die richtigen Pa­

tienten für diese Studie? Ist die Studie andernorts bereits gemacht worden? Verspricht sie überhaupt ei­

nen Nutzen, etwa durch geringere Nebenwirkungen

oder eine Verlängerung der Überlebenszeit? Rein sta­

tistische Effekte wie etwa eine um zwei Wochen ver­

längerte Überlebenszeit sind klinisch nicht relevant, so etwas bekommt man oft schon durch eine hohe Zahl von Probanden nachgewiesen. Wenn es aber um ein halbes Jahr mehr an Überlebenszeit geht – das wäre schnell ein neuer Standard.

Auf statistische Beschreibungen allein können wir uns nicht verlassen und auch nicht nur auf die Voten vorgeschalteter Institutionen. Ist eine geplante Studie medizinisch sinnvoll? Ist sie realistisch durch­

führbar? Darüber entscheiden wir am Ende in einem Gremium von Oberärzten in unserer Studienzentrale am Ende selbst. Und dabei fallen zwei Drittel mögli­

cher Studien durchs Raster.

Entscheidend ist für uns die Qualität, auch weil wir die Balance halten müssen zwischen der Hilfe, die wir Patienten mit einer Studie eventuell anbieten können, und den Risiken, denen wir sie damit aus­

setzen. ,Würde ich das selbst tun?‘ – diese Frage stellt sich mir jedes Mal. Gerade bei Phase­I­Studi­

en, wenn ein Wirkstoff erstmals am Menschen ein­

gesetzt wird, sind wir viel vorsichtiger und aufmerk­

samer als bei späteren Studien. Und wenn starke Nebenwirkungen auftreten, ist das auch für hartge­

sottene Krebsmediziner belastend – da muss man sich ausbalancieren zwischen einem großen Maß an

Empathie und der notwendigen Professionalität.

Zum Glück machen wir oft überraschend gute Er­

fahrungen bei Studien, die die Rückschläge wieder aufwiegen, auch emotional.

Dieses Ausbalancieren spiegelt sich ebenso in den Motiven der Patienten für eine Studienteilnahme wider. Es gibt da eine Mischung aus Altruismus, der individuellen Hoffnung auf eine bessere Behandlung und eine innere Zerrissenheit, wenn es nicht funktio­

niert wie erhofft – ganz ähnlich ergeht es auch dem Behandler. Allerdings natürlich mit dem entscheiden­

den Unterschied, dass es bei ihm nicht um das eigene Leben geht.

Deshalb erwarten Probanden von uns Ärzten nicht nur eine medizinische Behandlung, sondern auch eine gute Betreuung. Das bedeutet viel Kommu­

nikation, nicht nur über ihren individuellen Zustand, sondern auch über die medizinischen Erkenntnisse rund um Therapie und Krankheit und neue Möglich­

keiten, die sich daraus ergeben können. Die Patienten sind keine Versuchskaninchen: Sie sind Menschen, denen es auch mental einmal schlecht gehen kann.

Darauf müssen wir uns einstellen. Studienärzte sind auch behandelnde Ärzte – dieses Selbstverständnis halte ich für enorm wichtig.

Durch eine gute Organisation lässt sich Zeit für Gespräche schaffen, aus denen Vertrauen entstehen

kann. Doch dafür müssen Studienärzte Aufgaben auf­

teilen, etwa durch das Einbeziehen des Pflegeperso­

nals. Dabei hilft zum Beispiel eine für jeden Mitarbei­

ter nutzbare Datenbank mit Studieninformationen, sodass auch die Nachtschwester antworten kann, wenn ein Patient eine Frage zu seiner Studie hat. Und in einem guten Prüfplan sind oft bereits vorab be­

stimmte Reduktionen bei der Wirkstoffvergabe fest­

gelegt, wenn es zu Nebenwirkungen kommt.

Auch deshalb entwickeln wir Studienprotokolle gern aktiv mit, selbst wenn das mitunter zu Debatten führt. Zu wenige Nachuntersuchungen aus Kosten­

gründen, zu viele Röntgenaufnahmen zur maximalen Demonstration des Nutzens – das sind Punkte, die wir immer wieder diskutieren. Denn gute Studienpro­

tokolle gehören für uns zur Patientenbetreuung.

Wir agieren immer in einem Spannungsfeld zwi­

schen Sponsoren und Patienten, Risiko und Nutzen, Aufwand und eigener Leistungsfähigkeit. Aber wir machen das, weil es sich medizinisch lohnt. Und wir würden gern noch mehr tun, würden gern mehr Ideen verfolgen, die wir Mediziner immer wieder ent­

wickeln. Doch das wird schon aus Kostengründen immer schwieriger. Deshalb hoffen wir sehr auf Er­

leichterungen für akademisch initiierte Studien, etwa im Zuge der europäischen Harmonisierungen bei Vorgaben und Finanzierung.“

Der Arzt

Carsten Bokemeyer, Direktor Medizinische Klinik II (Onkologie, Hämatologie), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

„Studien sind Teil der Behandlung.“

Weiß, dass für Studienteilnehmer nicht nur die gute medizinische Behandlung, sondern auch die persönliche Betreuung wichtig ist: Carsten Bokemeyer

(12)

Hilfe! --- Klinische Studien --- Ablauf --- 23

Der Weg, den ein Wirkstoff zurücklegt, bis er in einem Medika- ment eingesetzt werden kann, ist lang: Er muss sich als wirk- sam erwiesen haben, soll möglichst geringe Nebenwirkungen und höchste Qualität aufweisen. Um all dies sicherzustellen, werden Wirkstoffkandidaten vor ihrer Zulassung in einem mehrstufigen Verfahren systematisch untersucht. Die Kriterien für diese Tests, ihren Ablauf sowie ihre Auswertungen sind gesetzlich exakt festgelegt. Verläuft alles nach Plan, steht am Ende eines mehrjährigen Prozesses die Zulassung eines neuen Medikaments. Das ist allerdings eher die Ausnahme: Das Gros der Kandidaten besteht den Prüfprozess nicht.

Die wichtigsten Stationen zwischen Labor und Markt in Kürze:

Forschung und Präklinik

In der Grundlagenforschung und in präklinischen Tests wird ein Wirkstoff identifiziert, optimiert, charakterisiert, produ- ziert und außerhalb des Menschen erprobt.

Am Anfang der Entwicklung eines Medikaments steht die grundlegende Forschung zum besseren Verständnis einer Krankheit. Sie findet oft in wissenschaftlichen Institutionen und Universitäten statt, die in der Regel nicht über die Res- sourcen verfügen, die Entwicklung eines Stoffes bis zum Arz- neimittel zu finanzieren und zu begleiten. Deshalb kooperie- ren sie meist mit der anwendungsorientierten Forschung der Pharma-Industrie – eine Win-win-Situation.

Die Forscher identifizieren ein „Target“, einen potenziel- len Ansatz für ein Arzneimittel auf molekularer Ebene, und suchen einen dazu passenden Wirkstoff. Dafür werden meh- rere Tausend Substanzen überprüft. In Tests mit Zellkulturen und in Tierversuchen wird anschließend untersucht, wie die vielversprechendsten Kandidaten auf lebendes Gewebe und Organismen wirken. Dabei stehen Aufnahme, Verteilung, Verstoffwechselung, Ausscheidung und Nebenwirkungen des Wirkstoffs im Mittelpunkt, auch für eine spätere Dosierung werden Daten ermittelt. Alle Eigenschaften und Reaktionen, die ein Wirkstoff dabei zeigt, werden in der „Investigator’s Brochure“, der Prüferinformation, zusammengefasst.

Schritt für Schritt

Wie aus einem Wirkstoff ein Medikament wird.

Text: Julia Groß Illustration: Christina Gransow

Prüfprotokoll oder Prüfplan

Grundlage für das Prüfprotokoll ist das Studiendesign: Es legt sowohl das Ziel einer Studie fest als auch das Verfahren.

Im Prüfprotokoll wird die Vorgehensweise exakt festgehal- ten. Dazu stimmen sich Ärzte, Chemiker, Biochemiker, Bio- statistiker und Pharmazeuten des Sponsors sowie eventuell Mitarbeiter der CRO ab. Bei der Bundesoberbehörde kann dazu eine wissenschaftliche Beratung beantragt werden.

Zum Prüfprotokoll gehört das Ziel der Studie: der End- punkt. Er bezeichnet ein Kriterium, an dem sich der Erfolg einer Studie messen lässt. Ein Endpunkt kann die Remission sein, also das temporäre oder dauerhafte Nachlassen von Krankheitssymptomen, aber auch der Tod des Patienten – etwa wenn es darum geht, ob ein Wirkstoff die Lebenszeit signifikant verlängert.

Oft gibt es einen primären Endpunkt, wie die Überle- bensdauer im Vergleich zur Standardtherapie, sowie einen sekundären Endpunkt, etwa die Lebensqualität während der Behandlung. Außerdem finden sich im Prüfprotokoll die Aus- wahlkriterien für die Studienteilnehmer (Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen, Vorbehandlungen), die vorgesehene Behand- lung inklusive genauer Dosierungen des zu testenden Wirk- stoffs sowie alle Begleituntersuchungen.

*Alle Angaben zu Zeiten, Kosten und Erfolgswahr- scheinlichkeiten sind Durchschnittswerte. Sie können im Einzelfall erheblich abweichen. Quelle:

DiMasi, Hansen, Grabowski: The Price of Innovation:

New Estimates of Drug Development Costs 22

Verlaufen die Tests positiv, wird für die anschließende klinische Prüfung ein Präparat mit dem Wirkstoff hergestellt, das man den Prüfungsteilnehmern ver- abreichen kann. Für die Herstellung die- ses Präparats wird eine Erlaubnis bei der zuständigen Landesbehörde eingeholt.

Nicht alle neuen Medikamente be- ruhen auf neuen Ideen. 2012 hatten von 39 in den USA erstmals zugelassenen Arzneien 18 einen völlig neuen Wirkme- chanismus. Der Rest griff auf bekannte Targets und Reaktionen zurück.

Dauer: 3 bis 5 Jahre Kosten: 121 Millionen Dollar

Erfolgswahrscheinlichkeit: 7,1 Prozent*

Planung der klinischen Prüfung

In der klinischen Prüfung wird ein Wirkstoffkandidat erstmals an Menschen getestet. Dabei werden seine Wirksamkeit er- probt, die optimale Dosierung gefunden und Nebenwirkun- gen ermittelt. In der Regel initiiert die klinische Prüfung das Unternehmen, das den Wirkstoff entwickelt hat oder mit der betreffenden Forschungseinrichtung kooperiert. Es tritt als

„Sponsor“ der Studien auf: Es beauftragt sie, finanziert sie – und ist für sie verantwortlich. Durchgeführt werden klinische Studien meist von spezialisierten Dienstleistern, sogenannten Contract Research Organisations (CRO), also Auftragsfor- schungsinstituten.

Eine andere Form sind die „Investigator Initiated Trials“:

Sie werden meist von Ärzten angeregt und organisiert, die damit Fragestellungen angehen, die sich aus der klinischen Tätigkeit ergeben. Oft ist das Ziel, vorhandene Therapien und Behandlungskonzepte zu verbessern.

(13)

Anmeldung der klinischen Prüfung

Der Sponsor muss die Erlaubnis für seine klinische Studie bei der zuständigen Behörde und der Ethikkommission beantra- gen. In Europa ist die zuständige Oberbehörde die European Medicines Agency (EMA) in London. In Deutschland sind das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder – bei Impfstoffen und Seren – das Paul-Ehrlich- Institut (PEI) zuständig, die zum Teil auch für die EMA die Bearbeitung übernehmen.

Die Ethikkommission besteht üblicherweise mehrheit- lich aus Medizinern, hinzu kommen Theologen, Naturwissen- schaftler und Juristen. Kommission und Behörde bewerten das Prüfprotokoll und die Qualifikation der Prüfärzte, kon- trollieren alle Informationen über den Produktkandidaten, die Einwilligungserklärungen der Teilnehmer sowie den Daten- schutz und entscheiden innerhalb einer definierten Frist, ob eine Studie genehmigt oder abgelehnt wird.

Zulassungsbehörde und Ethikkommission verfolgen und begleiten jede Studie bis zu ihrem Ende. Wird das Prüfproto- koll nachträglich verändert, müssen neue Genehmigungen für die gesamte Studie eingeholt werden.

Studien in Phase I

Bei der ersten Anwendung eines Wirk- stoffs an Menschen geht es vor allem um die Frage, ob der Produktkandidat allgemein verträglich ist. Die Probanden sind gesunde Freiwillige. Ausnahme:

Gesundheitsschädliche Präparate wie etwa Krebstherapeutika, die als Zellgifte wirken, werden von Beginn an von betroffenen Patienten getestet.

Der Sponsor will in dieser Phase herausfinden, wie der Körper den Wirk- stoff aufnimmt, im Organismus verteilt und ausscheidet. Bei steigenden Do- sierungen überprüfen die Studienärzte außerdem, wann sich bei den Proban- den welche Nebenwirkungen zeigen.

Pro Dosierungsgruppe nehmen etwa ein Dutzend Personen teil, insgesamt rund 50 bis 80 Probanden.

Dauer: 2 Jahre

Kosten: 15,2 Millionen Dollar

Erfolgswahrscheinlichkeit: 9,5 Prozent*

Studien in Phase II

In einer kleinen, etwa 100 bis 300 Per- sonen umfassenden, möglichst homo- genen Gruppe wird die Wirkung der Prüfsubstanz auf die jeweilige Krank- heit untersucht. Ab dieser Phase neh- men keine gesunden Probanden mehr an der Studie teil – die Substanz wird ausschließlich an Patienten getestet.

Ist die Wirkung nachgewiesen und die Prüfsubstanz in die endgültige Dar- reichungsform gebracht – zum Bei- spiel als Tablette, Saft oder Ähnliches –, suchen die Studienärzte die bestmögli- che Dosierung. Am Ende der Phase ent- scheidet der Sponsor, ob und in wel- cher Dosierung der Wirkstoff in der nächsten Phase geprüft wird.

Dauer: 2 bis 3 Jahre

Kosten: 23,5 Millionen Dollar Erfolgswahrscheinlichkeit: 17 Prozent*

Studien in Phase III

Hier geht es um die statistisch belastbare Bestätigung der Phase-II-Ergebnisse in einer vielfältigen, der Realität möglichst nahe kommenden Patientengruppe mit meist mehreren Hundert bis mehreren Tausend Teilnehmern: Patienten ver- schiedenen Alters und aus verschiede- nen Regionen, davon eventuell einige mit weiteren Erkrankungen.

Phase-III-Studien sollten – wie in der Regel auch die Studien der Phase II – kontrolliert (mit einer Kontrollgruppe, die ein Placebo oder die Standardthera- pie erhält), randomisiert (die Zuord- nung zu den Gruppen erfolgt zufällig) und doppelblind (weder Arzt noch Pa- tient wissen, wer die Prüfsubstanz, wer das Placebo oder die Standardtherapie erhält) durchgeführt werden.

Dauer: 2 bis 3 Jahre

Kosten: 86,5 Millionen Dollar

Erfolgswahrscheinlichkeit: 68,5 Prozent*

Hilfe! --- Klinische Studien --- Ablauf --- 25 24

Überprüfung der Machbarkeit Nicht jedes Krankenhaus hat die Patien- ten und die Ausstattung, die der Spon- sor für eine Studie braucht. Deshalb überprüft der Sponsor oder die CRO, ob es genug Kliniken oder Arztpraxen gibt, die Interesse haben und die Vor- aussetzungen für eine Teilnahme an der klinischen Prüfung erfüllen.

Sind genügend Mitwirkende gefun- den, werden alle, die an der Durchfüh- rung der Studie direkt beteiligt sind, ausführlich informiert und geschult.

(14)

Studien in Phase IV

Auch nach der Zulassung sammeln Her- steller Daten und führen weitere Stu- dien (post-authorisation safety studies) durch, vor allem, um seltene Nebenwir- kungen zu erfassen.

Was kostet die Entwicklung eines Medikaments?

Weitverbreitet ist eine Berechnung von Joseph DiMasi von der Bostoner Tufts- Universität, der mit 800 Millionen US- Dollar pro zugelassenem Medikament kalkuliert. Der Ökonom geht von gut 400 Millionen US-Dollar reinen Ent- wicklungskosten aus, auf die er sowohl die Ausfälle anderer Produktkandidaten aufschlägt als auch die Opportunitäts- kosten, also den Gewinn, den man mit dem eingesetzten Kapital in der langen Entwicklungszeit zum Beispiel am Ak- tienmarkt hätte erzielen können.

Weil DiMasis Studie schon elf Jah- re alt ist, wird aufgrund der steigenden Kosten und der Inflation inzwischen von mehr als einer Milliarde US-Dol- lar gesprochen. Die Zahl ist allerdings Gegenstand intensiver akademischer Debatten. Kritiker wie die Gesundheits- ökonomen Donald Light und Rebecca Warburton halten DiMasi eine Reihe – aus ihrer Sicht übertriebener – Schät- zungen und Annahmen vor. Sie kom- men in ihren Berechnungen auf Beträge von 43 Millionen US-Dollar bis hin zu wenigen Hundert Millionen US-Dollar pro Medikament.

Eine andere Rechnung macht der US-Branchenexperte Bernard Munos auf: Er teilte schlicht die Forschungs- etats verschiedener Pharmafirmen in einem Jahrzehnt durch die Zahl der Zulassungen, die sie in diesem Zeit- raum erhielten. Munos kam je nach Firma auf Beträge zwischen rund 350 Millionen und fünf Milliarden US-Dol- lar pro Arzneimittel.

Um 1023

Der persische Arzt und Gelehrte Avicenna spricht in seinem Lehrbuch „Kanon der Medizin“ detailliert von bestimmten Regeln und Prinzipien, die beim Test neuer Heilmittel zu beachten seien. Zum Beispiel müsse die Wirkung eines Me- dikaments bei vielen Patienten zu beobachten sein, nicht nur bei einem, denn das wäre Zufall.

1747

Der schottische Arzt James Lind beweist mit einem Test an zwölf Matrosen, dass die Vitamin-C-Mangelkrankheit Skor- but durch die Gabe von Zitrusfrüchten geheilt werden kann.

Die Untersuchung, bei der je zwei Matrosen verschiedene Nahrungszusätze erhielten, ist die älteste existierende Doku- mentation einer kontrollierten klinischen Interventionsstudie (Vorher-nachher-Studie).

1834

Der Franzose Armand Trousseau etabliert das Konzept ver- blindeter, placebo-kontrollierter Studien.

1847

Ignaz Semmelweis zeigt an einem Wiener Krankenhaus, dass sich die Fälle von Kindbettfieber durch einfache Hygiene- maßnahmen wie Händewaschen bei den Ärzten und Kran- kenschwestern deutlich reduzieren lassen. Seine Ergebnisse werden nicht allgemein anerkannt.

1922

Dem 14-jährigen Kanadier Leonard Thompson wird als ers- tem Menschen Insulin gegen seine Erkrankung an Typ-1- Diabetes-gespritzt. Er ist der einzige Testkandidat.

1947:

Der amerikanische Militärgerichtshof formuliert als Reaktion auf die Menschenversuche im Nationalsozialismus den Nürn- berger Kodex. Wichtigster Grundsatz: Versuchspersonen müssen Tests freiwillig zustimmen.

1947

Der British Medical Research Council führt die erste große randomisierte, kontrollierte Studie durch: Es geht um die Behandlung von Tuberkulose mit Streptomycin.

1961:

Der Skandal um das Schlafmittel Contergan, das Missbildun- gen bei Ungeborenen verursacht, führt zu weitreichenden Änderungen des Arzneimittelrechtes. Für eine Zulassung müssen Pharmafirmen neben der Herstellungsqualität und der Unbedenklichkeit nun auch die therapeutische Wirksam- keit eines Produktes nachweisen und kontrollierte klinische Studien durchführen. Alle beobachteten Nebenwirkungen müssen dokumentiert werden. Zusätzliche präklinische Un- tersuchungen werden Pflicht.

1964

Die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes formuliert ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen. Sie betont die besondere Sorgfalt, mit der vorge- gangen werden muss, und die Pflicht zur Information und Aufklärung der Probanden und Patienten.

1995

Die European Medicines Agency (EMA) wird gegründet. Sie bearbeitet und koordiniert Anträge von Unternehmen, die Arzneimittel im europäischen Wirtschaftsraum verkaufen wollen und stellt die Genehmigungen hierfür aus.

2005 – 2008

Die Pharmaverbände Europas, der USA und Japans beschlie- ßen, die Studienergebnisse für jedermann zugänglich im In- ternet zu veröffentlichen. Auch geplante beziehungsweise laufende klinische Studien sollen dort auffindbar sein.

2013

Die 64. Generalversammlung des Weltärztebundes verab- schiedet eine Revision der Deklaration von Helsinki: Der Schutz der Probanden wird weiter gestärkt, bei Schäden müs- sen Kompensationen gezahlt, Zugang zum neuen Medika- ment muss den Teilnehmern auch nach Studienende ermög- licht werden. Placebos sind in Studien aus ethischen Gründen nur erlaubt, wenn dadurch für den Patienten kein zusätzliches Risiko entsteht. Alle Untersuchungen am Menschen sollen veröffentlicht werden.

2014

Die Offenlegung klinischer Studien wird Pflicht.

Wirkungsweisen

Die Geschichte der klinischen Forschung

Hilfe! --- Klinische Studien --- Geschichte --- 27 26

Zulassung

Nach dem Ende der dritten Phase kann der Sponsor die Zulassung eines Wirk- stoffs als Medikament beantragen, um ihn auf den Markt zu bringen. Dafür werden sämtliche Untersuchungsergeb- nisse aus der Entwicklung, der präklini- schen sowie der klinischen Forschung in einem Zulassungsantrag von häufig weit mehr als 100 000 Seiten zusam- mengefasst, den die zuständige Behör- de (in Deutschland das PEI oder das BfArM) überprüft.

Eine Zulassung wird erteilt, wenn die Behörde zu der Schlussfolgerung gelangt, dass der Nutzen für die betrof- fenen Patienten größer ist als die Risi- ken durch Nebenwirkungen.

Wird ein Wirkstoff als neues Arz- neimittel durch die EMA zugelassen, darf es im gesamten europäischen Wirtschaftsraum vertrieben werden.

Bis 1995 mussten für jedes Land Ge- nehmigungen bei der nationalen Zulas- sungsbehörde eingeholt werden.

Dauer: bis zu 2 Jahre

Kosten: nicht verlässlich bezifferbar Erfolgswahrscheinlichkeit: 90 Prozent*

(15)

32 090 37,0 49 960 44,2 55 667 44,1 42 024

28,6 51 628 42,1 66 220 41,6 44 590 3 1 , 2 342 179 38,1 3 477 4,0 3 919 3,5 6 231 4 , 9 4 454 3,0 9 581 7,8 6 811 4,3 5 0783,6 39 551 4,4 33 640 38,8 29 470 26,1 35 579 28,2 0 711 34 ,5 32 688 26,7 44 214 27,7 3 9 9 0 9 2 7 , 9 266 211 29,6 523 0,6 1 938 1,72 061 1 , 6 9 962 6,8 3 431 2,8 2 952 1,02 298 1,6 23 165

2,6 1 694 2,0 9 925 8,87 801 6,2 17 458 1 1 , 9

9 627 7,9 19 307 12,1 18 243 12,8 84 055 9,4 1 560 1,8 1 892 1,7 2 663 2,1 1 219 0,8 1 344 1,1 3 321 2,1 1 905 1,3 13 904 1,5 664 0 , 8

6 939 6,1 2 731 2,2 6 677 4,5 5 653 4,6 6 463 4,1 10 737 7,5 39 864 4,4 69 0,1 862 0,8

1 202 1,01 370 0,9 539 0,4 121 0,1 742 0 , 5 4 905 0,513 075 15,1 8 081 7,2 12 170 9 , 7 13 262 9,0 8 069 ,6 9 941 6,2 19 459 13,6 84 057

9,4 86 792 100 112 986 100 126 105 1 0 0 147 137 100 122 560 100 159 350 1 0 0 142 961 100 897 891 100

Hilfe! --- Klinische Studien --- Studienteilnehmer --- 29 28

Weltweit im Test

Zahl der Teilnehmer an klinischen Studien nach Regionen (von 2005 bis 2011)

*EU / EWR / EFTA Quelle: European Medicines Agency, 2013

342 179

Westeuropa* (38,1 %)

39 551

Kanada (4,4 %)

266 211

USA (29,6 %)

23 165

Afrika (2,6 %)

84 055

Mittlerer Osten / Asiatisch-Pazifischer Raum

(9,4 %)

13 904

Australien / Neuseeland (1,5 %)

39 864

GUS (4,4 %)

4 905

Osteuropa,

Nicht-EU-Mitgliedstaaten (0,5 %)

84 057

Zentral- und Südamerika (9,4 %)

897 891

Studienteilnehmer insgesamt, weltweit (100 %)

(16)

32 090 37,0 49 960 44,2 55 667 44,1 42 024

28,6 51 628 42,1 66 220 41,6 44 590 3 1 , 2 342 179 38,1 3 477 4,0 3 919 3,5 6 231 4 , 9 4 454 3,0 9 581 7,8 6 811 4,3 5 0783,6 39 551 4,4 33 640 38,8 29 470 26,1 35 579 28,2 0 711 34 ,5 32 688 26,7 44 214 27,7 3 9 9 0 9 2 7 , 9 266 211 29,6 523 0,6 1 938 1,72 061 1 , 6 9 962 6,8 3 431 2,8 2 952 1,02 298 1,6 23 165

2,6 1 694 2,0 9 925 8,87 801 6,2 17 458 1 1 , 9

9 627 7,9 19 307 12,1 18 243 12,8 84 055 9,4 1 560 1,8 1 892 1,7 2 663 2,1 1 219 0,8 1 344 1,1 3 321 2,1 1 905 1,3 13 904 1,5 664 0 , 8

6 939 6,1 2 731 2,2 6 677 4,5 5 653 4,6 6 463 4,1 10 737 7,5 39 864 4,4 69 0,1 862 0,8

1 202 1,01 370 0,9 539 0,4 121 0,1 742 0 , 5 4 905 0,513 075 15,1 8 081 7,2 12 170 9 , 7 13 262 9,0 8 069 ,6 9 941 6,2 19 459 13,6 84 057

9,4 86 792 100 112 986 100 126 105 1 0 0 147 137 100 122 560 100 159 350 1 0 0 142 961 100 897 891 100

30 Hilfe! --- Klinische Studien --- Studienteilnehmer --- 31

Weltweit im Detail

Zahl der Teilnehmer an klinischen Studien nach Region und Jahr

Patienten % Patienten % Patienten % Patienten % Patienten % Patienten % Patienten %

Westeuropa* 32 090 37,0 49 960 44,2 55 667 44,1 42 024 28,6 51 628 42,1 66 220 41,6 44 590 31,2

Kanada 3 477 4,0 3 919 3,5 6 231 4,9 4 454 3,0 9 581 7,8 6 811 4,3 5 078 3,6

USA 33 640 38,8 29 470 26,1 35 579 28,2 50 711 34,5 32 688 26,7 44 214 27,7 39 909 27,9

Afrika 523 0,6 1 938 1,7 2 061 1,6 9 962 6,8 3 431 2,8 2 952 1,8 2 298 1,6

Mittlerer Osten / Asiat.-Pazif. Raum 1 694 2,0 9 925 8,8 7 801 6,2 17 458 11,9 9 627 7,9 19 307 12,1 18 243 12,8

Australien / Neuseeland 1 560 1,8 1 892 1,7 2 663 2,1 1 219 0,8 1 344 1,1 3 321 2,1 1 905 1,3

GUS 664 0,8 6 939 6,1 2 731 2,2 6 677 4,5 5 653 4,6 6 463 4,1 10 737 7,5

Osteuropa (Nicht-EU-Staaten) 69 0,1 862 0,8 1 202 1,0 1 370 0,9 539 0,4 121 0,1 742 0,5

Zentral- und Südamerika 13 075 15,1 8 081 7,2 12 170 9,7 13 262 9,0 8 069 6,6 9 941 6,2 19 459 13,6

insgesamt 86 792 112 986 126 105 147 137 122 560 159 350 142 961

*EU / EWR / EFTA; Quelle: European Medicines Agency, 2013. Abweichungen zu 100 % sind rundungsbedingt.

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

(17)

* Zahl der Teilnehmer an klinischen Studien nach Regionen und Jahr siehe Seiten 28–31.

32

Herr Professor Broich, wir wollen über Transparenz und ethische Standards in der Pharmaindustrie sprechen. Fast hätte ich unser Gespräch wegen eines Hexenschus- ses absagen müssen, aber dank eines Medikaments – dem Antirheumatikum Arcoxia – sitzen wir jetzt doch hier. Kann ich davon ausgehen, dass mein Medikament auf ethisch einwandfreie Weise getestet wurde?

Broich: Ja, das können Sie. Damit Arzneimittel bei uns zugelassen werden, müssen die in Europa gültigen Standards eingehalten worden sein, selbst wenn ein Teil der klinischen Studien in anderen Ländern durchgeführt wurde.

Die Pharmabranche erlebt derzeit eine ähnliche Entwicklung wie viele andere Indus- trien: Medikamente werden häufig in kostengünstigen Schwellenländern in Asien oder Südamerika getestet. Warum sollte es bei Arzneimittelstudien ethischer zuge- hen als in Sweatshops für Hemden oder Schuhe?

Natürlich beobachten wir diese Entwicklung genau und nicht ohne Sorge. Das hat mit den ethischen Standards ebenso zu tun wie mit den wissenschaftlichen, denn Studienergebnisse aus Asien sind nicht immer ohne Weiteres auf Europa übertragbar. Aber weil uns die Herausforderungen bewusst sind, prüfen wir mit Blick auf die Patientensicherheit sehr genau und arbeiten eng mit anderen Ländern zusammen.

Kann ich als Verbraucher nachvollziehen, wo und wie mein Medikament getestet worden ist?

Bisher ging das nicht ohne Weiteres, aber neuerdings haben wir gesetzliche Rege­

lungen, die genau das ermöglichen. Pharmakonzerne müssen jetzt innerhalb von sechs Monaten nach der Zulassung eines Medikaments alle klinischen Studien in einer Datenbank veröffentlichen. Dort kann jeder einsehen, wo die Tests gemacht wurden, wie viele Patienten teilgenommen haben, nach welchen Kriterien getestet wurde und wie die Ergebnisse waren. Das ist ein großer Fortschritt, um Transpa­

renz und Vertrauen zu schaffen.

Das ist auch nötig, denn dass sich Schwellenländer wie Indien, China, Russland und Brasilien als Pharmastandorte etablieren, ist vielen Verbrauchern nicht geheuer.

Immer wieder gibt es Berichte über Arzneimittel-Skandale. Warum geht die Pharma- industrie dieses Risiko ein?

In den Schwellenländern entstehen derzeit große neue Märkte. Die pharmazeuti­

sche Industrie investiert natürlich dort, wo das größte Wachstum ist. Wirkstoffe werden heute schon überwiegend in Asien produziert.

Länder wie Indien und China knüpfen die Zulassung von Medikamenten an die Bedin- gung, dass auch ein Teil der klinischen Tests in ihren Ländern stattfindet.* In westlichen Gesellschaften wird es schwieriger, Menschen für Tests zu gewinnen. Menschenrechts- gruppierungen sprechen von „Pharmakolonialismus“. Ist das angemessen?

Nein, das hat mit der Realität wenig zu tun. Zunächst einmal sind die USA und Europa noch immer die größten Märkte der Pharmaindustrie, und viele Tests wer­

den nach wie vor hier gemacht. Das verlangen wir als Zulassungsbehörde auch, denn um eine Arzneimitteltherapie beurteilen zu können, müssen wir natürlich sicher sein, dass sie auch bei unserer Bevölkerung wirksam ist.

3

„Das ist keine

heile Welt“

Professor Karl Broich, Vizepräsident des Bundesinstituts für Arzneimittel

und Medizinprodukte (BfArM) über medizinische Studien in Schwellenländern, Pharma-Skandale und das unterschiedliche Körpergewicht von

Deutschen und Indern.

Interview: Bernhard Bartsch Foto: Albrecht Fuchs

Hilfe! --- Klinische Studien --- Professor Karl Broich --- 33

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