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Archiv "Portable Lab-on-a-chip-Systeme: Hip oder Hype?" (09.05.2014)

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A 836 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 19

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9. Mai 2014

A

ls portable „Lab-on-a-chip“- Systeme (LOCs) werden funk- tionale Systeme bezeichnet, die ver- schiedene labordiagnostische Ver- fahren auf einem Chip integrieren und sich durch Miniaturisierung, Parallelisierung und Diversifizie- rung auszeichnen. LOCs arbeiten biomarkerbasiert und mit sehr ge- ringen Reaktionsvolumina, wobei weder Probenvorbereitung noch Pi- pettierschritte erforderlich sind. Der Einsatz diagnostischer LOC-An- wendungen in der Gesundheitsver- sorgung hat Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von diagnostischen Testergebnissen. Mit der Identifi- zierung neuer Biomarker können auch mehr LOC-basierte Testver- fahren entwickelt werden. Solche Anwendungen werden in der medi- zinischen Versorgung zunehmend relevant, vor allem im Bereich der individualisierten Medizin und der Point-of-Care- beziehungswei- se Point-of-Need-Diagnostik (1).

In der Regel können sowohl Ärz- te als auch geschultes medizini- sches Fachpersonal LOC-Tests vor Ort einsetzen. Diagnostische Er-

gebnisse stehen dadurch schneller als nach herkömmlicher Analyse im Zentrallabor zur Verfügung. Einige LOCs können von Patienten selbst und von medizinischen Laien an - gewendet werden (Direct-to-Con - sumer-Anwendungen, DTC; [2]).

Vielfältige Nutzung möglich Portable, von stationärer Technik unabhängige LOC-Anwendungen lassen sich für eine Vielzahl dia - gnostischer Ziele nutzen. Der Trend geht zu vollständig integrierten di- agnostischen Einheiten. Die in der- zeit verfügbaren Systemen häufig noch benötigten separaten Aus - leseeinheiten werden zunehmend durch etablierte und verbreitete

„Endgeräte“ wie Smartphones und Tablets ersetzt.

Bislang gibt es nur wenige Point- of-Care-Anwendungen auf dem deutschen Markt (3). Die Anzahl mikrofluidisch basierter kommer- zieller Entwicklungen ist interna- tional jedoch bereits beachtlich (4), auch wenn sich viele dieser Syste- me noch im Entwicklungsstadium befinden. Dabei stehen für diese

patientennahe Diagnostik zunächst die Vorteile einer kosteneffizienten und schnellen Testung vor Ort im Vordergrund. Aufgrund dieser Ei- genschaften wird LOC-basierten portablen Diagnostiksystemen auch ein großes Potenzial in der globalen Gesundheitsversorgung zugeschrie- ben, etwa für den Einsatz in Ge - bieten mit unzureichender Labor - infrastruktur und in Epidemiefällen (5). Zum Spektrum dieses Public- Health-Anwendungsbereichs zäh- len so unterschiedliche Indikatio- nen wie Infektionen mit multiresis- tenten Tuberkuloseerregern in den Sammellagern aus den EU-Erwei- terungsgebieten, HIV-Selbsttestun- gen in Hochrisikogruppen oder In- fluenza-Selbsttestungen bei Pande- mien (auch als DTC-Anwendun- gen).

Aufgrund der Entwicklungsdy- namik miniaturisierter portabler Diagnostik im Allgemeinen und von LOC-basierten diagnostischen Anwendungen im Besonderen un- tersucht der Projektverbund DIA- LOC** (siehe http://dia-loc.p-h-m.

org) die Potenziale und möglichen Potenziale und Risiken einer „Point-of-Need“-Anwendung.

Eine interdisziplinäre Betrachtung

Silke Schmidt, Wolfgang Hoffmann, Christian Dierks*

Lehrstuhl Gesundheit

& Prävention, Universi- tät Greifswald: Prof. Dr.

phil. Schmidt Abteilung Versor- gungsepidemiologie und Community Health, Universitäts- medizin Greifswald:

Prof. Dr. med. Hoffmann Dierks + Bohle, Berlin:

Prof. Dr. med. Dr. iur.

Dierks

*unter Mitarbeit von Prof. Dr. med. Otto Rienhoff, Abteilung Medizinische Informa- tik, Universitätsmedi- zin Göttingen

Hip oder Hype?

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9. Mai 2014 A 837 Risiken sowohl von entsprechenden

Point-of-Care-Testungen (POCT) als auch von DTC-Anwendungen aus interdisziplinärer Perspektive im Hinblick auf technische, ver- sorgungsbezogene, psychosoziale, rechtliche und ethische Aspekte.

Das Bundesministerium für Bil- dung und Forschung fördert den Projektverbund im Rahmen der Ini- tiative ELSA „Ethische, rechtliche und soziale Aspekte der modernen Lebenswissenschaften“.

Technische Aspekte

Aus technischer Sicht handelt es sich bei einem LOC-System um ei- ne mikrofluidische Plattform, die strömungstechnische Grundopera- tionen zur Integration von Labor- prozessen auf einem Chip bereit- stellt. Eingesetzt werden LOC-Sys- teme sowohl in der Industrie und im Großlabor als auch direkt beim Endnutzer. Zudem gibt es neben spezialisierten Techniken etwa zur Messung von Biomarkern oder ein- zelnen Parametern wie dem Blut- glukoselevel auch Systeme, die komplexe Prozesse wie genetische Analysen ermöglichen.

Von besonderer Bedeutung beim Einsatz eines LOC-Systems ist das Qualitätsmanagement, da es unter- schiedliche qualitative Auswir- kungen je nach Anwendung geben kann. So macht es zum Beispiel einen qualita- tiven Unterschied, ob der Anwen- der selbst das Ergebnis interpretie- ren muss oder das LOC-System dieses eindeutig vorgibt. Das Ver- trauen in die Ergebnisse lässt sich steigern, wenn LOC-Systeme Da- ten medienbruchfrei direkt an einen Experten übertragen können, der diese interpretiert.

Aus Sicht der Versorgungsepide- miologie sind die Identifizierung,

die Charakterisierung und die quali- tative und quantitative Evaluation der Effektivität und gesundheits- ökonomischen Effizienz von neuen Biomarkern auf der Basis von por - tablen LOCs wichtige Vorausset- zungen für die Umsetzung einer in- dividualisierten Medizin (6).

Für die Analyse wurden qualita- tive teilstandardisierte Interviews mit Experten aus der Entwicklung, Industrie und dem Gesundheitswe- sen durchgeführt, um diejenigen Er- krankungen zu ermitteln, die eine bevölkerungsbezogen hohe Bedeu- tung haben und bei denen die Be- stimmung von Biomarkern klinisch relevante Vorteile ermöglicht. Ne- ben bakteriellen Infektionen besit- zen LOCs nach Ansicht der Exper- ten bei kardiovaskulären Erkran- kungen und viralen Infektionen das größte Potenzial für klinisch-rele- vante Anwendungen. Künftige LOCs werden eher im Bereich des ärztlichen Monitorings gesehen.

Nur ein Drittel der Befragten erwar-

tig: LOCs müssen ergonomisch ge- staltet und die Logistik (etwa Be- schaffung, Lagerung, Haltbarkeit) für die Anwender leicht zu realisie- ren sein. Auch die praktische Durchführbarkeit des Tests unter realistischen Randbedingungen (wie verwendetes Biomaterial, erforder- liche Raumtemperatur), die Zeiter- sparnis gegenüber entsprechender herkömmlicher Labordiagnostik und die Kosteneffizienz im Vergleich zu den etablierten Verfahren sind wich- tig. Für einen effizienten Einsatz muss ein Test in den diagnostischen und/oder therapeutischen Algorith- mus am jeweiligen Point-of-Need integrierbar sein. So kann er als Ba- sis für eine diagnostik- und/oder therapierelevante Entscheidung im unmittelbaren Konsultationskon- text (POCT) dienen und dabei die Interaktion und Kommunikation zwischen Arzt und Patient unter- stützen (3).

Verlagerung von Leistungen Derzeit gibt es nur wenige publi- zierte Studien, die sich mit LOC- Anwendungen im Hinblick auf das Patienten-Outcome beschäftigen, und nur einzelne ziehen ein klares klinisches und/oder gesundheits- ökonomisches Fazit. Unstrittig ist, dass sich durch einen breiten Ein- satz von LOCs Leistungen im Ge- sundheitssystem verlagern werden.

So können Leistungen, die frü- her zum Beispiel in einem

klinischen Labor, statio- när oder in Facharztpraxen durchgeführt werden muss- ten, künftig möglicherweise beim Hausarzt oder sogar durch Selbstanwendung durchgeführt wer- den.

Hieraus ergeben sich unter ande- rem Konsequenzen für die Aufklä- rung der Patienten über die Bedeu- tung der Testergebnisse, insbeson- dere ihre Auswirkungen auf die Dia gnose, Therapie und den weite- ren Verlauf einer Erkrankung. Da- bei bergen LOCs die Risiken einer

falschen Handhabung durch den Arzt oder Patienten sowie einer

falschen Interpretation des Er- gebnisses durch den An- wender, insbesondere bei

falschpositiven oder Einweg-Testträger aus Polymerfolie, auf dem alle Analyseschritte integriert sind und automatisiert ablaufen.

Die Probe wird auf die Disk pipettiert, wo sie sich mit vorgelagerten Reagenzien in Alubeuteln (auf dem Chip rechts) mischt. Durch Rotation des Chips gelangt die zu analysierende Probe über Kanalstrukturen in Reaktions- kammern, wo das Ergebnis entweder über einen Farbumschlag oder andere Lichtsignale angezeigt wird. Durch die Variation der Reagenzien oder Mikrostrukturen lässt sich das Konzept leicht auf unterschiedliche Nachweise an- passen. Schnelltests für die Nukleinsäureanalytik, DNA-Extraktion und Immunoassays wurden bereits umgesetzt.

Quelle:

Fraunhofer -Institut für Biomedizini

sche Technik,

Bernd Müller F otografie

Mikrosystem- technisch herge- stellter Chip zur Blutanalyse

**Projektverbund DIA-LOC „Portable diagnostische

‚Lab-on-a-chip‘-Systeme (LOCs) im Gesundheits- wesen und in Konsumentenkontexten: Interdis- ziplinäre Analyse der Risiken und Möglichkeiten“

ten dagegen eine erfolgreiche Etablierung auf dem DTC-Markt.

Aus versorgungsepidemiologi- scher Sicht sind maßgebliche Krite- rien für eine erfolgreiche Imple- mentierung von LOCs in das Ge- sundheitswesen eine hohe Validität, Reliabilität, Spezifität und Sensiti- vität der Testergebnisse. Außerdem ist eine gute Handhabbarkeit wich-

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9. Mai 2014 falschnegativen Ergebnissen. Die

Anwendung in der Arztpraxis im Rahmen einer Konsultation verrin- gert einige der Risiken. Die Selbst- anwendung ist kritischer zu sehen, weil der Beratungskontext fehlt.

Psychosoziale Aspekte beziehen sich primär auf die Auswirkungen, die der Einsatz von LOC-Systemen auf das Verhalten und Erleben der Nutzer sowie auf ihr soziales Um- feld hat. Den Nutzern kommt be- sondere Aufmerksamkeit zu, da die Patientenperspektive und patienten- berichtete „Outcomes“ im Prozess der Technikfolgenbeurteilung als zunehmend wichtiger bewertet wer- den (7).

Aufgrund der Anwendungseigen- schaften von LOC-Systemen ergibt sich für deren Implementierung – wie für andere integrierte miniaturi- sierte Diagnostiksysteme auch – er- hebliches Potenzial, diagnostische Prozesse zu verändern. Die Mög- lichkeit, diese Systeme nicht nur durch Professionelle, sondern auch durch Patienten und medi- zinische Laien anzuwenden (2), kann substanzielle Aus- wirkungen auf die profes- sionelle Rahmung dia - gnostischer Prozesse be- dingen. Insbesondere im Zusammenhang mit DTC-An- wendungen resultieren Fragen, wie gesundheits- und krankheitsbezoge- ne Informationen individuell verar- beitet werden, vor allem in Bezug auf das Verständnis und die „Zumut- barkeit“ solcher Informationen (8).

Psychosoziale Perspektive Für die Beurteilung dieser Anwen- dungen sind aus psychosozialer Perspektive die diagnostischen Testgütekriterien des Systems rele- vant, darüber hinaus Aspekte der Ergonomie (Nutzerfreundlichkeit etc.) sowie die Einstellungen der Anwender (insbesondere Akzep- tanz, Nutzenbewertung, Vertrauen in das System). LOCs bilden hier keinen Sonderfall. Ähnliche Krite- rien wurden zuvor für andere ge- sundheitsbezogene und medizini- sche Diagnostik- und Monitoring- instrumente formuliert (9).

Die Auswirkungen, die sich aus dem Einsatz der Systeme und der

Art ihrer Anwendung ergeben, be- ziehen sich vor allem auf die Art der Durchführung (POCT versus DTC). Daraus resultieren Fragen danach, ob ein System unter profes- sioneller Aufsicht, von einem infor- mierten Patienten oder einem medi- zinischen Laien angewendet wird und auch, wie das Testergebnis rückgemeldet wird.

Selbstanwendungen stellen be- sondere Anforderungen an das Sys- tem (wie die laienverständliche Ausweisung des diagnostischen Er- gebnisses) sowie an die Durchfüh- rungsvoraussetzungen und -um- stände, insbesondere in Abhängig- keit von der Schwere der potenziell entdeckten Erkrankung. Je nach Anwendungszweck kann der Arzt- vorbehalt greifen, oder es können al- ternative regulatorische Vor- gaben (Aufsichts- pflicht, Be-

ratung)

als notwendig angesehen werden.

Darüber hinaus könnte sich ein Bedarf an der Ausbildung von neu- en Gesundheitsexperten ergeben, da die Verfügbarkeit von individu- ellen gesundheits- und krankheits- relevanten Informationen neue An- forderungen an die Qualifikation der Gesundheitsberufe stellt. Ver- mutlich entsteht zusätzlich ein Markt für die professionelle Analy- se und Interpretation dieser Daten jenseits der etablierten medizini- schen Versorgung. Eine solche Ent- wicklung deutet sich im Zusam- menhang mit dem „genetic enter- tainment“ (10) durch die Inan- spruchnahme von DTC-Anwen- dungen für genetische Tests über diverse Webanbieter bereits an. Die

weitere Entwicklung hängt daher auch von der Verfügbarkeit und Etablierung portabler diagnosti- scher DTC-Anwendungen ab. Im Rahmen des Projekts haben For- scher und Entwickler das Markt - potenzial von portablen diagnosti- schen Selbstanwendungen insge- samt eher zurückhaltend beurteilt.

Rechtliche Aspekte

Ausgangspunkt einer rechtlichen Analyse ist die Auswahl relevanter Anwendungsbeispiele diagnosti- scher LOCs, die sich nach Zweck und Art der Anwendung unterschei- den und innerhalb derer zudem auf eine konkrete Erkrankung einge- gangen wird. Besonders relevant ist ein Einsatz von LOCs als Compan - ion Diagnostics im Rahmen der personalisierten Arzneimittelthera- pie. In Deutschland gibt es derzeit bereits 20 Medikamente, die einen Begleittest vorschreiben, und sie-

ben weitere, die einen solchen empfehlen (11). Durch den

Einsatz von LOCs könnte ein solcher Test unmittelbar beim be- handelnden Arzt durch- geführt und somit ohne Verzögerung und mit ge- ringem Verfälschungsrisiko die passende Therapie einge- leitet werden. Damit der Be- gleittest jedoch im Versiche- rungskontext des Patienten auch erbringbar ist, muss bei ausrei- chender analytischer und klini- scher Validität (12, 13) des Tests zwingend und zeitnah zur arznei- mittelrechtlichen Zulassung eine entsprechende Gebührenordnungs- position geschaffen werden. Dies erfordert eine Novellierung des Konzepts der Nutzenbewertung im Sinne eines Gleichlaufs der Bewer- tung von Test und Arzneimittel.

Mit der Kopplung der Verord- nung eines Medikaments an einen positiven Begleittest stellt sich aber insbesondere die Frage, ob sich der Ausschluss einer Arzneimittelthera- pie bei Patienten, bei denen kein po- sitives Testergebnis vorliegt, recht- fertigen lässt. Dies ist jedenfalls für die Tumortherapie zu bejahen, denn es liegt in der Natur der Sache, dass eine molekulare Therapie nur bei ei- Tragbares Analy-

segerät mit einer

„LabDisk“ für die Vor-Ort-Diagnostik von Krankheitserre- gern: Die Analyse ist ohne spezielle Kenntnisse und oh- ne Laborumge-

bung

direkt beim Patien- ten möglich. Bei Verdacht auf Sepsis etwa kann dadurch schneller als über ein Zentrallabor mit der richtigen Medi- kation begonnen werden. Die Disks werden ähnlich den Blister-Verpackun- gen von Tabletten hergestellt.

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9. Mai 2014 nem Teil der Patienten indiziert ist,

beispielsweise solchen, deren Tu- mor ein entsprechendes Rezeptor- molekül aufweist. Von Patienten oh- ne positiven Begleittest wird dabei zudem Schaden abgewendet etwa in Form von Nebenwirkungen oder dem Ausbleiben einer potenziell wirksameren Therapie. Bei lebens- bedrohlichen Erkrankungen gilt hin- sichtlich der Wirksamkeitsanforde- rungen im Übrigen die Ausnahme des § 2 Abs. 1 a Sozialgesetzbuch V, wonach eine Leistung bei fehlender (Behandlungs-)Alternative auch be- reits dann beansprucht werden kann, wenn diese zumindest eine nicht ganz entfernt liegende Er- folgsaussicht bietet.

Unterschiede zu den USA Aufgrund der Miniaturisierung und Portabilität bieten LOCs zudem er- heblicheres Potenzial als DTC- und Point-of-Care-Tests. Dabei sind ge- netische Risikobeurteilungen an- hand von DTC-Tests in Deutsch- land aufgrund des Arztvorbehalts des § 7 Abs. 1 Gendiagnostikgesetz verboten. Auch HIV-Selbsttests dürfen wegen der Regelung des

§ 11 Abs. 3 a Medizinproduktege- setz nicht an den Versicherten abge- geben werden. In den USA sind sol- che Tests möglich, und diese kön- nen über diverse Webanbieter auch in Deutschland bezogen werden, so dass die in Deutschland geltenden Anforderungen an Datenschutz, Va- lidität und medizinische Aufklä- rung und Beratung nicht notwendi- gerweise gewährleistet sind.

Im Rahmen der Bewertung von LOCs kann auf bereits vorhandene Erkenntnisse zurückgegriffen wer- den, weil Grundprinzipien der Tech- nik bereits bestehen und nicht zu ei- ner diametralen Veränderung der Ge- sundheitsversorgung führen. Bei der Betrachtung der Chancen und Risi- ken von portablen diagnostischen LOC-Systemen/Anwendungen rückt disziplinübergreifend die Relevanz ausgewählter technisch-diagnosti- scher Kriterien in den Mittelpunkt.

Konsens besteht über die Notwendig- keit eines elaborierten Qualitäts - mana ge ments vor allem bezüglich der Ergebnisausweisung und Zuverläs- sigkeit der Ergebnisse. Daneben wer- den Fragen der Versorgungs- und Zu- gangsgerechtigkeit perspektivenüber- greifend als bedeutsam eingeschätzt.

Dennoch verbleiben abweichen- de Foki auf Potenziale und Risiken:

In psychosozialer Hinsicht ergeben sich insbesondere für diagnostische Selbstanwendungen (DTC-Selbst- tests) Potenziale und Risiken. Aus versorgungsepidemiologischer Per- spektive ist relevant, welche An- wendungen/Systeme grundsätzlich entwickelt werden, für die Gesund- heitsversorgung bereits verfügbar sind und wie sich diagnostische Praxis und Behandlungsalgorith- men durch Einbeziehung von LOCs verändern. Aus rechtlicher Perspek- tive stellt die Heterogenität der An- wendungen/Systeme eine besonde- re Herausforderung dar.

Daraus lassen sich folgende Hin- weise zum Umgang mit diagnosti- schen LOC-Anwendungen ableiten:

Technische Gütekriterien: Die technische Zuverlässigkeit der Sys- teme und die Testgüte sind entspre- chend den Standards der Medizin- produktezulassung prioritär.

Versorgungs- und Zugangs - gerechtigkeit: Bereits vor der Ver- fügbarmachung und Implementie- rung sollten gerechtigkeitsethische, rationierungsethische und gesund- heitsökonomische Überlegungen gegeneinander abgewogen werden.

Kontext- und Settingspezifi- tät: Das Potenzial und das Risiko (Health Technology Assessment) von LOC-Anwendungen sollten spezifisch unter Berücksichtigung von Produktgestaltung, Zweckset- zung und Anwendungsgebiet analy- siert werden.

Zentrale Fragen werfen gesund- heitsökonomische Aspekte sowie Zulassung und Kostenerstattung auf. Dazu kann nur angemerkt wer- den, dass LOC-Anwendungen als diagnostische Methoden nach dem Nachweis der analytischen und der klinischen Validität vom Bewer- tungsausschuss als ärztliche Leis- tung zugelassen werden können.

Die vom Bewertungsausschuss zu- gewiesene Ziffer wird regional um- gesetzt und erhält ein Budget. Erst dann kann zuverlässig abgeschätzt werden, ob eine kostendeckende Umsetzung möglich ist. Für den ge- samten Prozess sind etwa zwei Jahre zu kalkulieren. Bei komplexeren LOCs kann die Zulassungsverfas- sung für eine neue Methode durch den Gemeinsamen Bundesaus- schuss erforderlich sein. Es ist da- von auszugehen, dass es keine eigenständige „LOC-Abrechnung“

geben wird, sondern eine Abrech- nung für spezifische Indikationen, wie dies etwa für telemedizini - sche Versorgungsangebote umge- setzt wird.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2014; 111(19): A 836–40

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. Silke Schmidt

Lehrstuhl Gesundheit und Prävention Institut für Psychologie

Arnst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald 17487 Greifswald

silke.schmidt@uni-greifswald.de

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit1914 Smartphoneba-

siertes optisches Auslesegerät für die In-vitro-Dia - gnostik und Bioana- lytik. Im Vergleich zu herkömmlichen Mikrotiterplattenle- segeräten verfügt es über eine ver- gleichbare Sensiti- vität und analyti- sche Leistung.

Smartphones könn- ten sich zu einer idealen Schnittstelle zwischen der Vor- Ort-Diagnostik und einem zentralen Gesundheitsmonito- ring entwickeln.

Quelle: HSG-IMIT & IMTEK, Bernd Müller Fotografie (3)

(5)

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 19/2014, ZU:

PORTABLE LAB-ON-A-CHIP-SYSTEME

Hip oder Hype?

Potenziale und Risiken einer „Point-of-Need“-Anwendung.

Eine interdisziplinäre Betrachtung

Silke Schmidt, Wolfgang Hoffmann, Christian Dierks*

LITERATUR

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3. Kraft K, Krafczyk-Korth J, Muehlan H, Schmidt S, Hoffmann W: An epidemiology of care approach to lab-on-a-chip sys- tems in individualized medicine? Perso - nalized Medicine 2011; 8: 587–91.

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13. DGMR DGfM: Empfehlungen zu Rechtsfra- gen der Personalisierten Medizin http://www.dgmr.de/.

Deutsches Ärzteblatt

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Referenzen

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