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Die Veitskapelle in Schwäbisch Gmünd

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Die Veitskapelle in Schwäbisch Gmünd Klaus Graf

Kaum ein Gmünder bemerkt, daß auf dem Platz nördlich der Johanniskirche der Grund- riß einer Kapelle mit dunkleren Steinen im Pflaster markiert ist. Es handelt sich um die 1803 abgebrochene Friedhofskapelle der Johanniskirche, St. Veit, deren Grundmauern 1972 freigelegt wurden. Über dieses Gotteshaus schrieb der langjährige Gmünder Stadtar- chivar Albert Deibele 1971: „Keine der hiesigen Kapellen gibt so viele ungelöste Rätsel auf wie diese"1. Lange Zeit glaubte man ja, in der Veitskapelle, der angeblich ältesten Kirche der Stadt, jene karolingische Klosterzelle erblicken zu dürfen, die von Abt Fulrad von Saint-Denis in Schwäbisch Gmünd gegründet worden sein soll. Im folgenden soll von den Überlieferungen und der Geschichte des 1387 erstmals erwähnten Baus berichtet wer- den.

Überlieferungen

Während die Gmünder Chroniken des 16. Jahrhunderts die Veitskapelle keiner Erwähnung würdigen, hat der Bau das Interesse des Ratsherrn und Baumeisters Friedrich Vogt gefun- den, der in seiner 1674 abgeschlossenen Chronik notierte: „Bey S. Veit Kirchen allhier seyend zu sehen die Grüften unter dem Boden, in welchem sehr viel Todten Bein liegen, und wie man vermuth, das in diser Kirchen seye der Gottsdienst, bis die gros S. Joannis Kirch erbauet, verrichtet worden"2. Über hundert Jahre später aktualisierte Stiftsdekan Franz Xaver Debler in seiner Chronik die Vogtsche Beschreibung: „Schlüßlich sind unter der St. Veitskirchen zu beobachten zwey unterirdische gemauerte Grüften, in welche sehr viele Todtengebeine liegen, eine hievon ist schon lang zugemauert, in der anderen aber wird noch heut zu Tage Messe gelesen, und es sind gemeiniglichen Seelmessen, welche daselbst aufgeopferet werden. Es wird vermuthet, das in dieser Kirche der gewöhnliche Gottesdienst bis die große St.-Johanns-Kirche erbauet wäre, seye gehalten worden. We- nigst haltet man vor gewis, das diese die allererste Kirche zu Gemünd gewesen: und die Grüften waren vielleicht bestimmet vor das Geschlecht deren von Hohen Stauffen" (Ch 2, S. 247). Die Veitskapelle als staufische Grablege?

Ausführlich kommt die erste gedruckte Gmünder Stadtgeschichte, das kleine Werk des Böhmenkircher Pfarrers Joseph Alois Rink aus dem Jahr 1802, auf die Kirche zu sprechen.

Rink verweist auf eine Mitteilung des Humanisten Beatus Rhenanus, wonach Karl der Große dem Abt Volrad zu St. Denys die Erlaubnis gegeben habe, im Herzogtum Aleman- nien zu Ezzilingen, Adalungen, Haubertingen und Gamundia Klösterlein zu errichten (S. 11). Über die Johanniskirche schreibt Rink wenig später: „Das daneben stehende, weit älter scheinende Veits Kirchlein - vielleicht das Kirchlein des schon vom Abt Volrad erbauten Klösterleins - faßte die Einwohner nicht mehr, folglich mußte eine größere er- bauet werden" (S. 14). Bei der Beschreibung der Gmünder Kirchenbauten gegen Schluß

Originalveröffentlichung in: einhorn-Jahrbuch 1993, S. 93-105

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Freilegung der Grundmauern der Veitskapelle im Jahre 1972

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des Bändchens erscheint als Nr. 3: „Das Veits Kirchlein mit einer Gruft, worinn die in den Turnieren gebliebenen Ritter sollen begraben worden seyn. Man wird sich erinnern, daß ich es für das Kloster Kirchlein des Abts Volrad ansehe, womit die Bauart ganz überein- stimmt; denn sie ist nach allen Theilen von einem weit höheren Alterthume als die dane- ben stehende Johannis Kirche. Man muß dieses Klösterlein nicht mit unseren Klöstern vergleichen; es konnte nichts anderes als ein Haus für ein paar, oder höchstens drey Mön- che seyn, und für diese, und die wenigen Villen umher war das Kirchlein groß genug, so klein es ist. Auch die Gruft unter selbem stimmt für ein Kloster Kirchlein, womit immer zugleich die Ruhestätte der Mönche verbunden war"3.

Wohl noch auf eigene Anschauung des 1803 beseitigten Baus konnte sich Philipp Lud- wig Hermann Roeder berufen, der 1804 im anonym erschienenen zweiten Band der „Geo- graphie und Statistik Wirtembergs" bei der Beschreibung Gmünds ausführte: „Die kleine St. Veitskirche, bei der Johanneskirche, ist von noch höherem Alterthum, als jene, und man kann mit Recht glauben, daß sie aus den Zeiten des 8ten oder Anfang des 9ten Jahrhunderts sei, denn sie hat mit der uralten Kapelle an der Klosterkirche zu Murrhardt, die aus diesem Zeitalter ist, einerlei schwerfällige Bauart. Nach dem Beatus Rhenanus ertheilte Karl HI. im Jahr 804 dem Abt Vollrad die Erlaubniß, ein Kloster ihm zu Gamun- dia zu errichten. Und wahrscheinlich ist diese Kirche noch ein Ueberbleibsel desselben.

Unter der Kirche ist eine alte Gruft, in welcher die in den Turnieren gebliebenen Ritter sollen begraben worden sein. Ein Kanoniker des Stifts versieht den Gottesdienst dieser Kirche"4. Unverkennbar ist die Anlehnung an den Wortlaut der Rinkschen Beschreibung, doch ist der Vergleich mit der Murrharter Walterichskapelle Reeders eigene Zutat.

Lange nach dem Abbruch der Kapelle äußerte sich ein unbekannter Gmünder Autor bei einer im Königreich Württemberg angeordneten Umfrage nach Altertumsdenkmälern im Februar 1837: „Veitskirche. Die älteste Kirche aus dem Uten Jahrhundert, die mit der Anlage der Stadt, und zur Zeit des ersten Kristenthums entstanden sein mag, wie die Chroniken berichten, wurde vor etwa 30 Jahren abgebrochen. Wenige Gemäuer sind davon noch sichtbar. Sie war im Rundbogenstyl, mit einer Crypta (Gruft) erbaut, in der Lezteren besonders Seelenmessen gelesen wurden"5. Die weiteren Ausführungen scheinen teilweise auf die gleich zu nennende Chronik des Dominikus Debler zurückzugehen. Mit der Kirche verbunden gewesen sei ein Klösterlein, das zwei Mönche und ein Bruder bewohnt hätten, die den Gottesdienst an der Kirche versehen hätten. Die pfarrlichen Rechte habe das im Jahr 1102 von Friedrich dem Einäugigen im Schloß Lorch errichtete Benediktinerkloster ausgeübt. Der Grabstein eines Priesters dieser Kirche Johannes Kirschenesser, nach der Umschrift 1090 als Kaplan zum Hl. Geist gestorben, sei in einem alten Eingang der be- nachbarten Johanniskirche eingemauert. Der steinerne Altar in der Krypta sei in die erste Stadtpfarrkirche versetzt worden. In dem Grundstein dieser Kirche soll, schließt der Be- richt, ein steinhartes (Wort ist entfallen, vielleicht: Brot) und mehrere Früchte sich vorge- funden haben, über die Schullehrer Rietmüller weitere Auskunft geben könne.

Während sich die Pfründbeschreibung der Pfarrei Heilig Kreuz Schwäbisch Gmünd von 1826 über die Veitskapelle ganz ausschweigt, wird sie in der Pfründbeschreibung von 1840 am Rand erwähnt. Es heißt dort, die Kapellen St. Veit, St. Michael und St.-Nikolaus-Turm seien „alle im Jahre 1807 als baufällig und entbehrlich niedergerissen worden. Auch wurde der Altar der Veitskapelle hinter dem Chor der Pfarrkirche aufge- stellt"6.

Die in den Jahren nach 1800 entstandene Chronik des Kaufmanns Dominikus Debler (im Stadtarchiv) verbindet die Auffassung der Chronik Vogts mit der Rinkschen These

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Debler-Zeichnung der Veitskapelle in Band VI seiner „Chronika"

vom Klösterlein. Debler verändert den Wortlaut der Vogtschen Beschreibung und fügt hinzu, St. Veit sei eine der ersten und ältesten Kirchen allhier. Auf dem Friedhof sei ein Totenhäuslein gestanden, das man abgerissen habe, als man das Dominikanerkloster er- neuert habe. In ihm seien viele Tausende Totengebeine gewesen, darunter viele von sol- cher Größe, daß man notwendigerweise habe annehmen müssen, es seien Gebeine von Riesen gewesen (I, S. 386). An anderer Stelle sagt Debler, er habe selbst gesehen, wie man beim Abbruch der Veitskapelle Gebeine von außerordentlicher Größe ausgegraben habe (I, S. 102). Er wandte sich dabei gegen die Auffassung Rinks, der die Jahreszahl 1050 auf dem in Wirklichkeit im Jahr 1500 entstandenen Grabstein des Kaplans Johannes Kirchen- esser an der Johanniskirche als „Lüge" angesprochen hatte (S. 87).

Debler baute seine eigene Fehldeutung von Grabstein und Inschrift in das Bild ein, das er im fünften Band seines Sammelwerks bei der Behandlung der Anfänge Gmünds ent- warf. Vor der Ummauerung der Stadt - angeblich im Jahr 1110 - sei Gmünd eine Waldung gewesen, in der jedoch mehrere Jägerhäuser, später auch ein Zollhaus und vermutlich auch die St.-Veits-Kirche bestanden hätten. Da auf dem Grabstein auf dem Johannisfriedhof von Magister Kirschenesser die Jahreszahl 1090 (richtig: 1050) stehe und die Bemerkung ge- macht werde, er sei Pfarrer bei St. Veit gewesen (richtig: Kaplan zum Hl. Geist), müsse es damals in der Umgebung bereits eine Anzahl Menschen gegeben haben7. Seine Zeichnung der Veitskapelle im sechsten Band seines voluminösen Werks (S. 528) versieht der Chro- nist mit der Bemerkung, sie sei die erste Kirche gewesen, und die gleiche Aussage trifft er

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auch bei der Erwähnung des Bilds Christi mit den fünf heiligen Wunden auf dem Altar der Veitskapelle. Es sei ein sehr altes Bild, älter als die Stadt, und befinde sich derzeit in der Pfarrkirche bei dem Vöhlinschen Altar (I, S. 80).

Ausführlich geht Debler auf den Abbruch der Veitskapelle, eine der ersten und ältesten Kirchen „ehemaliges Klösterlein", im Jahr 1803 ein: „Ist also die erste Kirch - Klösterle - so hier gestanden, jezt auch die erst, so hier abgebrochen worden. So gieng es auch der darunter sich befindlichen Grufft. Es ist fast nicht schad davor und die Application der Steine zu der Rhemsbrücken ward sehr oeconomisch gedenckt, doch halt sich der gemein Mann darüber auf, und glaubt es wäre böß gehandelt, das man geweihte Tempel einreiße"

(VI, S. 158). Während hier, wie Richard Strobel anmerkte, Deblers kaufmännische Denk- weise noch durchschlägt, gibt es andere Äußerungen des Gmünder Chronisten, die sich - durchaus im Sinne des um 1800 verstärkt diskutierten Denkmalschutzgedankens - empört gegen die Zerstörung Gmünder Denkmäler nach dem Übergang an Württemberg 1802 verwahren8. Die neuen Herren hatten wenig Verständnis für die katholischen Traditionen der Reichsstadt, und die 1500 Gulden, die das Instandsetzen der in den Kriegsjahren um 1800 beschädigten Veitskapelle gekostet hätte, wollte Württemberg für ein nutzloses Alter- tum nicht aufbringen. Der Verkauf der Baustoffe brachte 212 Gulden ein9.

Keine Fulradzelle

Die Überlieferungen über die Veitskapelle stellen sich - mit Ausnahme der Anklänge an Riesensagen bei Erwähnung der ausgegrabenen Gebeine - als Kombinationen auf der Grundlage verbreiteter Gmünder Lokaltraditionen dar. Die Angabe über die begrabenen Turnierritter knüpft an die ausgeprägte Staufertradition der Stadt und insbesondere an die am Straßennamen „Turniergraben" festgemachte Überlieferung von stauferzeitlichen Rit- terspielen an (GC S. 112f.). Auch Franz Xaver Deblers Vermutung über eine staufische Grablege in der Veitskapelle lagert sich an diesen das Gmünder Geschichtsbild seit dem 16. Jahrhundert beherrschenden Traditionskomplex an.

Bei der Wiedergabe der Ringerzählung der Johanniskirche ging Vogt selbstverständlich davon aus, daß die Johanniskirche der älteste Bau der Stadt sei - eine Tradition, die bereits am Ende des 16. Jahrhunderts belegt ist10. Seine Formulierung über St. Veit mag darauf hindeuten, daß er in der Friedhofskapelle eine nach Baubeginn der Johanniskirche erstellte Ersatzkirche, nicht aber ein noch älteres Gotteshaus sehen wollte. Um 1800 werden dann - vor allem in der Chronik Dominikus Deblers - Überlieferungen faßbar, die an den superla- tivischen Kennzeichnungen älteste Kirche, ältestes Bild, ältestes Haus usw. orientiert sind.

(Vielleicht darf man sie als populäre Variante gelehrter Altertumsliebhaberei ansprechen?) Im Nachlaß Rinks in Donzdorf findet sich dazu eine Aufzeichnung über das sogenannte Haus „unter den Säulen" (Marktplatz 13): „Hinter dem Veitskirchlein steht ein Haus dem H. Benefiziaten Sprigel gehörig, dessen Mauern, die dem Kirchlein zugekehrt sind, von alter fester Bauart sind. Die Sage macht dieses Haus zum ersten Pfarrhaus"11. Obwohl Debler an Rinks gedruckter Geschichte von 1802 sonst kein gutes Haar ließ, übernahm er dessen Identifizierung von St. Veit als Klösterlein. Diese wurde samt der Fehldeutung des Kirschenesser-Grabsteins in der Beschreibung der Gmünder Altertümer von 1837 weiter ausgeschmückt.

Man muß keine uralte Überlieferung bemühen, um die Erzählungen und Kombinationen rund um die Veitskapelle zu erklären. Der altertümlich wirkende Bau mit den zwei merk- würdigen Grüften wird - gewissermaßen als Denk- und Erzähl-Mal - hin und wieder

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Gesprächsstoff geboten haben, wenn die Rede auf die Anfänge Gmünds kam. Schriftliche Tradition der einflußreichen Chronik Vogts bis 1802 und danach der gedruckten Rink- schen Stadtgeschichte, die Kombinationsgabe einzelner historisch Interessierter wie Do- minikus Debler und „volkstümliche", in breiteren Kreisen weitergegebene Erzählungen haben dabei zusammengewirkt, ohne daß sich die Anteile dieser Faktoren sicher gewichten ließen. Wenn allerdings Walter Klein 1928 von der „Volksmeinung" spricht, die das uralte Mönchsklösterlein aus dem 8. Jahrhundert in der Veitskapelle suchen wollte, so wird man diese Einschätzung eher skeptisch aufnehmen dürfen. Oft genug wurde ja als „Volkssage"

ausgegeben, was Lehrer oder Pfarrer dem Volk vermitteln wollten12.

In jedem Fall kann von einer vor das Jahr 1802 und die Arbeit Rinks zurückreichenden Gmünder Fulrad-Tradition nicht die Rede sein. Da Dominikus Deblers Zeichnung unzwei- felhaft gotische Fenster überliefert, und die „Grabung" von 1972 nur einen gotischen Bau nachgewiesen hat, muß die lange nach dem Abbruch geäußerte Behauptung, die Kirche sei im Rundbogenstil, also im romanischen Stil, errichtet worden, zurückgewiesen werden.

Verläßliche stilkritische Kriterien und Datierungsmöglichkeiten standen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch nicht zur Verfügung. Bezeichnend ist die Aussage Rinks, die (heute in den Anfang des 13. Jahrhunderts datierte) Johanniskirche zeige in „allen Theilen ihres Baues die Kennzeichen des 11. und 12. Jahrhunderts" (S. 86). Übergangen werden dabei die unübersehbaren Veränderungen in der Gotik und im Barock, die erst bei der Reromanisierung im 19. Jahrhundert beseitigt wurden. Insbesondere das Nebeneinan- der kleiner romanischer Fenster, großer gotischer Maßwerkfenster und barocker ovaler Oberlichtöffnungen hätte Rink auffallen müssen. Abwegig ist ferner Roeders Vergleich mit der spätromanischen Murrharter Walterichskapelle, die heute in die erste Hälfte des 13.

Jahrhunderts datiert wird, die er jedoch für einen karolingerzeitlichen Bau hält. Daß sich unter dem Chor von St. Veit die Gruft befand, erklärt ohne weiteres die Existenz kleinerer gotischer Fenster im Chor. Es ist daher nicht erforderlich, den Umbau eines Baus mit romanischen Fenstern in gotischer Zeit anzunehmen.

Entgegen anderslautenden Behauptungen konnten keine frühmittelalterliche Befunde bei der ohne Genehmigung des Landesdenkmalamtes erfolgten Freilegung der Kapelle im Ok- tober 1972 festgestellt werden. Der Unverstand, die Neugier und wohl auch das Geltungs- bedürfnis selbsternannter örtlicher „Experten" hat damals unersetzliche Befunde ver- nichtet, da jeder Eingriff in den Boden und somit auch die damals vorgenommenen „Not- schürfungen" die historischen Schichten stört und schädigt. Durch die seinerzeitige Fest- stellung des Grundrisses von St. Veit wurde die Anbindung der Fundamente an die umge- benden Bodenschichten, Voraussetzung für eine archäologische Datierung (mittels einer relativen und absoluten Chronologie) bei einer künftigen Intensivgrabung erheblich er- schwert. Gleichwohl: Es liegen derzeit keine wissenschaftlich stichhaltigen Anhaltspunkte für einen älteren Bau, der der gotischen Kapelle vorangegangen wäre, vor13.

Immerhin kommt der unmittelbaren Umgebung der Johanniskirche eine Schlüsselstel- lung bei der archäologischen Beantwortung der Frage nach den Anfängen der Siedlung Gmünd zu. Da der auf die Klärung des Problems der Gmünder Fulradzelle seit den Zeiten von Pfarrer Rink verwandte Scharfsinn zu keinem greifbaren Ergebnis geführt hat und es nach wie vor offen ist, ob das in einer Urkunde aus der Mitte des 9. Jahrhunderts unter den alemannischen Fulradzellen aufgeführte „Gamundias" mit Schwäbisch Gmünd identifiziert werden darf, kann wohl nur noch die Archäologie weiterhelfen. Fest steht bislang nur, daß im Bereich des Münsters und seiner näheren Umgebung nach Ausweis der Grabungen in der Augustinuskirche und auf der Brandstatt keine vor das Jahr 1100 zurückreichenden

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Befunde zu Tage getreten sind14. Dieses Areal scheidet also für die vermutete karolingi- sche Klosterzelle aus. Denkbar ist jedoch nach wie vor, daß im Bereich von Johanniskirche und Prediger bereits im Frühmittelalter ein konzentriert gelegener Herrenhof mit zugehöri- ger Eigenkirche bestanden hat. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre eine solche Behauptung je- doch nichts als eine kaum begründbare Spekulation. Doch selbst der Nachweis einer karo- lingerzeitlichen Besiedlung an dieser Stelle müßte nicht notwendigerweise den Schluß auf die Existenz der Fulradzelle oder einer Mönchsniederlassung zulassen. Zwar erinnerte das große Stadtjubiläum von 1984 („Schwäbisch Gmünd Tradition über 12 Jahrhunderte") an das Todesjahr Abt Fulrads 784, doch sollte der gewiß verständliche Wunsch, die Anfänge Gmünds in die Karolingerzeit zurückverlegen, den Blick auf die Unsicherheit der Quellen- lage nicht trüben. Anders als bei den ehemaligen Fulradzellen in Herbrechtingen oder Esslingen, die mit dem Kirchenheiligen St. Dionysius die Erinnerung an Saint-Denis be- wahrten, ist nun einmal in Schwäbisch Gmünd kein für Saint-Denis spezifisches Patrozi- nium erhalten geblieben. Hinzu kommt, daß eine Kontrolle der in der auf das Jahr 782 und den Namen Karls des Großen gefälschten Urkunde aus der Mitte des 9. Jahrhunderts, die ein Gamundias nennt, anhand unabhängiger Quellen nicht möglich ist. Nichts spricht da- gegen, an eine Verwechslung mit Saargemünd oder ein anderes Gmünd zu denken. Da nur relativ wenige Orte in frühmittelalterlichen Quellen belegt sind, und Namenswechsel durch- aus nachweisbar sind, wird man die Möglichkeit, daß ein anderes Gmünd gemeint war, nicht von der Hand weisen können. Angesichts der ausgebliebenen archäologischen Bestä- tigung für eine Gmünder Siedlung vor 1100 sehe ich derzeit die Waagschale in leichtem Ungleichgewicht geneigt und zwar gegen die Existenz einer Zelle Gamundias in Schwä- bisch Gmünd15.

Gotische Karner-Kapelle

Soweit eine Beurteilung des verschwundenen Baus heute möglich ist, ordnet sich St. Veit in Schwäbisch Gmünd dem in Deutschland weit verbreiteten Typ der doppelgeschossigen Beinhaus-Kapellen (Kamer-Kapellen) ein: „Dabei diente das Untergeschoß als Aufbewah- rungsort für die Grabinhalte in Form eines halb vertieften, kaum belichteten Raumes, wäh- rend im Obergeschoß darüber das Andenken an die Toten durch reich bestiftete Meß- und Lichtopfer wachgehalten wurde"16. 1701 führte der Gmünder Stadtpfarrer und Landdekan Michael Schleicher aus, es gebe in Gmünd „an dem Coemeterio S. Joannis under S. Viti Kürchen eine gewölbte Crufft oder locus subterraneus, waselbsten vor alters, denen alten Monumenten nach, eine grose Andacht gegen denen Abgestorbenen gepflogen worden"17. Während die Altäre der Veitskapelle geweiht waren, mußte eine bischöfliche Erlaubnis eingeholt werden, wenn auf dem Altar in der Gruft Messe gelesen werden sollte. Es han- delte sich dabei um das nur von außen zugängliche Untergeschoß des Chors, während die zweite, laut Franz Xaver Debler am Ende des 18. Jahrhunderts bereits zugemauerte Gruft unter dem Langhaus gelegen haben dürfte. Daß St. Veit über einem Karner lag, sagt aus- drücklich eine in späterer Abschrift erhaltene Urkunde vom 20. November 1409, die von

„sant Vits capellen uff sant Johanns kirchoff ob dem kärder gelegen" spricht - Kärder war eine Nebenform von Karner18.

„Eine der Grüfte diente den Wöllwarth zur Grablege" - diese Aussage Deibeles (UAL S. 82) ist äußerst fraglich. Weshalb sollte man die Angehörigen dieser Adelsfamilie, deren stattliche Grablege noch heute im Kloster Lorch besichtigt werden kann, ausgerechnet in einem Beinhaus bestattet haben? Ohne Quellenangabe führen die von Albrecht Freiherr

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von Woellwarth in erster Auflage 1949 zusammengestellten Stammtafeln „Die Freiherren von Woellwarth" folgende Mitglieder (Nr. 18, 26, 34) der älteren Laubacher Linie auf, die in der Veitskapelle ihre letzte Ruhe gefunden haben sollen: Konrad zu Laubach (gestorben nach 1463) und seine Witwe Margarete von Westernach, ihren Sohn Kraft und seine Ge- mahlin Osanna von Degenfeld (gestorben 1474), sowie dessen Sohn Wolf (gestorben 1538) mit Gemahlin Potentiana Stettner von Haldermannstetten (gestorben 1535). Welche Quelle diesen Angaben zugrundeliegt, konnte ich nicht ermitteln19. Bereits Rudolf Weser gab zu bedenken, daß sich auch im Gmünder Münster beim Altar des hl. Wolfgang eine Begräbnisstätte der Familie befunden hat20. Seine Quelle war das Anniversar (Jahrtagsver- zeichnis) der Münsterpfarrei aus dem Jahr 1530, das vier Einträge zu den Herren von Woellwarth enthält. Am 1. Januar jeden Jahres wurde der Jahrtag Wolfs von Woellwarth (Wellwart), Potentiana Stettnerin, seiner Gemahlin, ihrer Kinder, Krafts von Woellwarth und seiner Hausfrau Susanna von Degenfeld, des Stifters Vater und Mutter, sowie Konrads von Woellwarth und seiner namentlich nicht genannten Hausfrau begangen (Bl. 1). Es heißt ausdrücklich, sein (des Stifters Wolf) Grab sei beim Altar des hl. Wolfgang. Der gleiche Jahrtag wurde am Sonntag nach dem Fest Johannes des Täufers nochmals began- gen (Bl. 29b). Am Andreastag (30. November) feierte man den Jahrtag des Ritters Georg von Woellwarth und seiner Frau Anna von Schechingen. Sein Grab liege in der Liebfrau- enkirche (Münster) unter St. Annen Altar bei der von Gundelfmgen21 Grab (Bl. 60b). Das Grab der von Woellwarth unter St. Annen Altar war auch die Grabstätte der Anna von Schechingen22, deren Jahrtag am Freitag nach Aschermittwoch begangen wurde (Bl. 9b).

Der Eintrag nennt Anna, ihren Vater Albert von Schechingen, seine Mutter Adelheid, Georg von Woellwarth und seine Ehefrau von Schechingen, dessen Sohn Abt Volkhard von Lorch sowie den Lorcher Abt Johann von Schechingen.

Es kann hier nicht darum gehen, den Widerspruch der Gmünder Quelle zur Existenz eines Grabsteins für den 1409 gestorbenen Georg von Woellwarth in der Lorcher Kloster- kirche aufzuklären23 und unzutreffende Angaben der gedruckten Woellwarth-Genealogie richtigzustellen. So kann Susanna (nicht: Osanna) von Degenfeld nicht 1474 verstorben sein, weil sie bereits Anfang 1473 tot war, als ihr Bruder Martin für einen von ihr geerbten Zins in Gmünd quittierte (UAG 1634)1 Auch hieß Konrads Witwe aus der Familie von Westernach nicht Margareta, sondern Magdalena (UAG 1465). An einem Familiengrab der Woellwarth im Gmünder Münster wird man jedenfalls nicht zweifehl dürfen. In ihm fand wohl jener Zweig der Familie seine letzte Ruhe, der angeblich in St. Veit beigesetzt wurde.

Das Jahrtagsverzeichnis des Gmünder Münsters, das Wolf von Woellwarth in der Gmün- der Pfarrkirche begraben sein läßt, ist auf jeden Fall weit glaubwürdiger als die höchst unwahrscheinliche Nachricht der gedruckten Woellwarth-Stammtafel. Hinzu kommt, daß im Jahrtagsverzeichnis, in dem die Lage der Gräber der Stifter genau beschrieben ist, die Veitskapelle immer nur als Lageangabe von Gräbern auf dem Johanniskirchenfriedhof erscheint, nie jedoch als Ort einer Einzelbestattung24.

Ersterwähnung 1387

Während Albert Deibele 1971 als frühestes Zeugnis für die Existenz von St. Veit ein Zeugnis aus dem Jahr 1401 kannte, findet sich in einem Bestand von Urkunden, die später vom Germanischen Nationalmuseum Nürnberg an das Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd abgegeben wurden, ein etwas älterer Nachweis vor. Am 13. September 1387 („an des hailigen crutz aubent ze herbst") beurkundeten Hans Vorhab und Haintz Metzunsun, beide

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Bürger zu Gmünd, als Pfleger (d. h. Vormünder) von Otten Luetters Kind Peter, daß sie Haintz Kepf von Hussenhofen, Bürger zu Gmünd, das Haus des Kindes in Gmünd „in der huntgassen ze nehst an uotzen Zimmermans hus", aus dem an „sant Vit" jährlich l Pfund Heller und an die (Priester-)Bruderschaft 5 Schilling und l Pfund Heller geht, für 6 1/2 Pfund guter Heller verkauft haben. Damit haben sie demselben Knaben Peter zu „dem hantwerk verdinget" (ihm eine Lehrstelle erworben). Die Siegel der Richter und Bürger zu Gmünd Hans Hug und Claus Sieht sind nicht mehr vorhanden.

Mit der Nennung eines Hauszinses in der Hundgasse (wahrscheinlich die heutige Ho- niggasse) an St. Veit ist nicht nur das Bestehen des Baus, sondern auch die Existenz einer Meßpfründe für das Jahr 1387 bezeugt. Wenn 1409 Bürgermeister und Rat erklärten, sie hätten eine ewige Messe in die Veitskapelle auf dem Johannisfriedhof gestiftet und dazu ihnen von Herrn Heinrich Zingge, Anna von Rinderbach benannt Schönin und Konrad Feierabend übergebene Einkünfte verwendet, so handelt es dabei lediglich um die Bestäti- gung einer seit längerem bestehenden Stiftung (UAL 409). Damals wurde eine ganze Reihe von Meßstiftungen erneuert. Obwohl nicht ausdrücklich erwähnt, wird man anneh- men können, daß die erwähnten Stifter der Kaplanei zu St. Veit, der Priester Heinrich Zingge, Anna von Rinderbach genannt Schönin und Konrad Feierabend nicht mehr am Leben waren.

Der Priester Heinrich Zingge erscheint in den Gmünder Quellen lediglich in einem un- datierten Eintrag in das bereits erwähnte Jahrtagsverzeichnis der Pfarrkirche von 1530, das für die Priester Friedrich und Heinrich die Zincken einen gemeinsamen Jahrtag vorsieht.

Ihr Grab lag an der Johanniskirche an der Kirchmauer beim Ausgang am Petersaltar (Bl.

22). Der Priester Friedrich der Zingge besaß 1337 ein Haus am Johanniskirchturm (UAG 161). Der Richter Konrad Feierabend erscheint lediglich während der Jahre 1382 bis 1386 in den Urkunden (UAG 493, 532). Etwas mehr ist über die der vornehmsten Gmünder Geschlechterfamilie entstammende Anna von Rinderbach, die Witwe des Sifrid Schön, bekannt. Eine Tochter Walters von Rinderbach und seiner Ehefrau Margarete von Hall, begegnet sie von 1377 bis 1385 in den Gmünder Quellen, häufig zusammen mit ihrem Bruder Konrad von Rinderbach zu Aalen25. Überliefert ist, daß sie eine Reihe frommer Stiftungen vornahm: 1380 mit ihrem Bruder an das Spital (UASp 102), 1381 an Domini- kaner und Augustiner (UAG 485f.), 1385 an die Franziskaner und das Kloster Gotteszell (UASp 118, UAG 525). Angesichts der Lebenszeugnisse für die 1409 genannten Stifter der Veitspfründe wird man davon ausgehen dürfen, daß die Errichtung der Kaplanei um 1380 erfolgte26. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts haben Gmünder Bürgerfamilien eine ganze Reihe von Kaplaneien gestiftet. Mindestens acht Messen bestanden vor 1400 in der Stadtpfarrkirche, vier in der Johanniskirche. Zwei Geistliche waren an der Leon- hardskapelle außerhalb der Mauern bepfründet und je einer an der Josenkapelle (am Aus- gang der Ledergasse), in St. Theobald (Sebaldstraße) und an der Kapelle St. Nikolaus im Kappelturm (Kappelgasse)27. Die Annahme, daß der 20 Meter lange Bau von St. Veit, der mit seinem Polygonchor aufwendiger als eine schlichte Beinhauskapelle gestaltet ist, von der am Münster tätigen Parierbauhütte erstellt wurde, ist naheliegend, muß jedoch Vermu- tung bleiben.

In den Jahren nach 1400 wurden in einem Verzeichnis der Messen, für die die Stadt das Besetzungsrecht besaß, die Einkünfte des Kaplans von St. Veit im Chor genau aufgezeich- net. Er bezog jährlich 5 ungarische und böhmische Gulden und an Hauszinsen und weite- ren Einkünften insgesamt 14 Pfund 4 Schilling und 11 Heller zuzüglich einige Naturalien (4 1/2 Viertel Dinkel, 4 1/2 Viertel Hafer, 2 Imi Öl), mußte davon jedoch vier Pfund Heller

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als Leibgeding an Ällin Schönlin abführen. Über die Ausstattung heißt es: „Item die mess hat ouch ii messgewant, ainen kelch, ain messbuechlin, da stand besunder messen inne, ain gemaltz lädlin mit ainem guldin corporal und ii monstrantzen, der hat Hans Sch&ffel ain dahaimen. Item und ain wintertail ains zytbüchs ward koufft umb xiii 1/2 gülden by Krafften Roubar und Peter Clausen, so sy pfleger warend"28.

Vermutlich aus der Veitskapelle gelangte in den Kirchenschatz des Münsters ein goti- sches Kupferreliquiar des hl. Veit, das den Heiligen im Kessel zeigt und ins 15. Jahrhun- dert datiert wird29. Im Kessel sitzend wird der einst populäre Heilige sehr häufig darge- stellt, seltener ist die Darstellung als vornehmer Jüngling wie bei der am Anfang des 16.

Jahrhunderts entstandenen Lindenholzfigur im Gmünder Münster30. Der sizilianische Mär- tyrer aus frühchristlicher Zeit soll ein Bad in siedendem Öl unversehrt überstanden haben.

Woher stammt das Patrozinium der Gmünder Veitskapelle? An Beziehungen zu Ellwangen hat man gedacht, vor allem aber - mit Blick auf die angebliche Fulradzelle - an solche zu Saint-Denis, das 756 Gebeine des hl. Vitus erworben hat. Demgegenüber hat der Kirchen- historiker Hermann Tüchle angesichts der späten Bezeugung der Kapelle die von Kaiser Karl IV. geförderte Welle der Vitusverehrung ins Spiel gebracht31. Eine Ausstrahlung des Prager Veitskults nach Schwaben dokumentiert etwa die aufwendig ausgestattete Veitska- pelle in Stuttgart-Mühlhausen, die der Prager Bürger Reinhart von Mühlhausen 1380 stif- tete32. Da jedoch Vitus, wie Peter Spranger hervorhob, als Nothelfer auch bei Sterbenden und als Bewacher der Toten galt und ihm auch sonst gern Friedhofskapellen geweiht wur- den, ist zur Erklärung des Gmünder Patroziniums weder der Rückgriff auf Fulrad noch auf Karl IV. erforderlich33.

Vor 1438 stockten die für die Vermögensverwaltung zuständigen Pfleger, die vom Rat bestellt wurden, den Grundbesitz der Kapelle auf dem Land erheblich auf. Damals waren neben zahlreichen Häusern und Grundstücken in der Stadt Bauern in Fach (bei Obergrö- ningen), Durlangen, Söhnstetten, Schönhardt, Lindach, Herlikofen, Alfdorf, Ober- und Unterbettringen abgabepflichtig (UAL 422). Während der Veitskaplan im Spätmittelalter somit durchaus auskömmlich leben konnte, führte im 16. Jahrhundert die Geldentwertung dazu, daß die Kaplanei zeitweise unbesetzt (vazierend) bleiben (1572 bis 1582: UAL 449-451) oder der Geistliche an St. Veit noch eine andere Pfründe versehen mußte. Seit dem 17. Jahrhundert war St. Veit fest mit der Andreaskaplanei der Pfarrkirche verbunden.

1672 verfügte der Bürgermeister Burghart Mößnang in seinem Testament, daß die Fran- ziskaner auf dem neuen Alexiusaltar in St. Veit eine wöchentliche Messe lesen sollten34. Um die neu aufgekommene Armenseelen-Frömmigkeit zu fördern, bat am 17. Februar 1701 Stadtpfarrer Schleicher den Augsburger Generalvikar um die Erlaubnis, daß in der Gruft mit einem Tragaltar auf dem dortigen Altarblock die Messe zelebriert werden dürfe.

Dabei verwies er auf die vor anderthalb Jahren neu gegründete Armenseelenbruderschaft und die Tatsache, daß die Gruft öfters von einer großen Menge Volks besucht und für die Verstorbenen dort täglich ein Rosenkranz gebetet werde. Zudem sah Schleicher in der Erlaubnis eines der geistlichen Mittel, dem schweren Konflikt zwischen Magistrat und Bürgerschaft, der damals die Stadt erschütterte, zu begegnen. Die Genehmigung wurde befristet auf sieben Jahre erteilt und 1709 sowie 1716 verlängert35. In den Jahresrechnun- gen der Leonhardspflege, die damals für St. Veit zuständig war, fallen größere Ausgaben für Bauarbeiten 1701/03 auf (UAL, S. 84). Daß 1702 bzw. 1710 ein päpstlicher Armensee- lenablaß erwirkt wurde (UAL, S. 87), läßt den Schluß zu, daß um 1700 in bewußter An- knüpfung an die Tradition des mittelalterlichen Beinhauses in der Gruft von St. Veit eine barocke Armenseelen-Kultstätte geschaffen wurde. Diese Reaktivierung dürfte vielleicht

(11)

Kupferreliquiar des hl. Veit im Münsterschatz., 15. Jahrhundert

(12)

auch zur Ausbildung der eingangs vorgestellten Überlieferungen beigetragen haben. Bei- nahe hätte sich ein Zeugnis für die Armenseelen-Verehrung in St. Veit bis heute erhalten, doch das Schicksal dieses 1803 geretteten Ausstattungsstücks mag abschließend demon- strieren, daß kirchliches Kulturgut nicht nur durch Säkularisationen bedroht ist. Rudolf Weser: „Das schöne Gruftaltärchen, das ganz aus Alabaster war, kam in die Kagersche Kapelle des Münsters neben der Schatzkammer. Bei der Restauration des Münsters 1880 waren noch 6 Figürchen erhalten, Brustbilder, die armen Seelen darstellend. In derselben Zeit sollen sie verloren gegangen sein"36.

Anmerkungen

1. A. Deibele, St. Leonhard in Schwäbisch Gmünd und die ihm angeschlossenen Pflegen (1971), S. 81 (auch separat als Sonderdruck: Die Kapellen in Schwäbisch Gmünd von einst und jetzt), hier künftig zitiert als UAL mit Regestennummer oder Seitenzahl. Zur Veitskapelle: UAL S. 81-88, 169-178. Mit der Veitskapelle beschäftigte sich bereits ein Zeitungsartikel von mir: Die Veitskapelle als Fulradzelle?, Rems-Zeitung Nr.

220 vom 23.9.1978, S. 21 bzw. leicht gekürzt und unter anderem Titel Gmünder Tagespost Nr. 222 vom 26.9.1978, S. 12f.; Gmünder Anzeiger vom 28.9.1978, S. 8-9. Für rasche Hilfe habe ich dem Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd (künftig: StadtAG), Herrn Dr. Herrmann und Frau Mangold, dem Staatsarchiv Ludwigs- burg sowie Herrn Dr. Strobel, Landesdenkmalamt Stuttgart, zu danken, der mir freundlicherweise auch Aus- züge aus dem Manuskript des von ihm erarbeiteten Denkmälerinventars zur Verfügung stellte.

2. Abschrift (18. Jh. mit der Chronik F. X. Deblers), StadtAG Ch 2, S. 465. Zur Chronik Vogts vgl. Graf, in:

Barock in Schwäbisch Gmünd (1981), S. 209; zu den Chroniken des 16. Jh. Graf, Gmünder Chroniken im 16.

Jahrhundert (1984), künftig: GC.

3. J. A. Rink, Kurzgefaßte Geschichte, und Beschreibung der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd (1802, Nach- druck mit Nachwort 1982), S. 88. Der UAL S. 82 gegebene Hinweis auf die National-Chronik der Teutschen vom 12.5.1802 (StadtAG), S. 143 ist irreführend, die Rink-Besprechung nennt die Veitskapelle nicht.

4. Ulm 1804, S. 96f. Zum Verfasser vgl. Peter Spranger, Der Geiger von Gmünd (2. Aufl. 1991), S. 143. Der Rat von Theodor Griesinger, Württemberg (1866, Nachdruck 1978), S. 270, kein Besucher Gmünds solle am Veitskirchlein vorübergehen, ohne es zu besuchen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Qualität solcher Reiseliteratur.

5. Peter Spranger, Die Zelle Gamundias, in: Geschichte der Stadt Schwäbisch Gmünd (1984), S. 42-52, 556-559, hier S. 558 Anm. 56 nach Staatsarchiv Ludwigsburg F 169 Bü 122, S. If. Die Quelle (vgl. Graf, in:

einhorn-Jb. 1981, S. 182f.) ist als Steinhäuser-Chronik etwas ausführlicher zitiert UAL S. 83, wobei der Satz

„Die Kirche erlitt manche Erneuerungen und es soll sich nur das einfache Portal bis zur letzten Zeit erhalten haben" nicht in der Ludwigsburger Überlieferung steht.

6. Diözesanarchiv Rottenburg M 122, Nr. 111a, S. 13. Dem Diözesanarchiv danke ich für Auskünfte und eine Kopie. Die von der Gmünder Forschung bis vor kurzem (vgl. Dreihundert Jahre Dreifaltigkeitskapelle in Schwäbisch Gmünd 1693-1993, S. 20f.) nicht beachtete Beschreibung von 1826 befindet sich ebenda.

7. Dom. Debler V, S. 17, wörtlich zitiert bei Peter Spranger, Schwäbisch Gmünd bis zum Untergang der Staufer (1972), S. 21f. Anm. 13. Zur Jäger- und Zollhaus-Überlieferung vgl. auch GC S. 114 Anm. 81, 168.

8. R. Strobel, Aus der Vorzeit der Inventarisation in Württemberg, in: Beiträge zur Denkmalkunde. Arbeitshefte des bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege (1991), S. 19-29, hier S. 24f. Strobel äußert sich ebd., S. 27 auch zu Deblers Sagenüberlieferung (am Beispiel der Baumeistersage der Johanniskirche, nachzutragen im einhorn-Jb. 1992, S. 108).

9. Nach Albert Dangel, Gmünd wird württembergisch (IH), einhorn 14 (1967), H. 82, S. 242-248, hier S. 242f., der sich auf amtliche Quellen stützt, während Deibele in UAL S. 84f. vor allem auf Debler fußt. Die wörtli- chen Zitate (auch der anderen Quellen) sind freilich äußerst unkorrekt, und die Stellenangaben (richtig: UAL S. 84: VI, S. 158; UAL S. 85: VI, S. 127, 158, 160) beziehen sich auf die unzuverlässige maschinenschriftli- che Abschrift. Bessere Auskünfte liefert Deibeles ältere Arbeit: Von den Beinhäusern in unserer Stadt, Gmünder Heimatbll. 25 (1964), S. 93-95; 26 (1965), S. 1-3.

10. Vgl. Graf, Der Ring der Herzogin, in: Babenberger und Staufer (1987), S. 84-134, hier S. 103.

11. Rechbergisches Archiv Donzdorf A 1103, vgl. Graf, einhorn-Jb. 1979, S. 146 zum Haus.

12. W. Klein, Die St. Johanneskirche zu Gmünd (1928), S. 2. Zum vorstehenden vgl. auch meine Kleinen Beiträge zum historischen Erzählen in Schwäbisch Gmünd, einhorn-Jb. 1992, S. 99-114 mit allgemeiner Literatur.

13. Dem Bericht von Helmut Mende, Die Notgrabung auf dem Johannisplatz, einhorn 19 (1972), H. 114, S.

362-366 folgt eine Stellungnahme des Archäologen Günther P. Fehring über moderne Grabungsmethoden (S. 367-369) - Sapienti sat. Vgl. auch Rems-Zeitung 1972 Nr. 236ff. Mende schreibt S. 363 lediglich: „Für eine reine Friedhofskapelle ist der Umfang der freigelegten Grundmauern von bedeutender Größe und läßt einen frühmittelalterlichen Vorgängerbau vermuten". Gegen meinen Artikel (wie Anm. 1) bezog Mende Stellung in seinem Beitrag: Die Veitskirche auf dem Johannisplatz, Gmünder Heimatforum Nr. 23 vom Nov.

1978. Die dort ohne Begründung enthaltene Behauptung, das Grundmauerwerk des Hauptraums sei frühmit- telalterlich („ottonisch oder gar karolingisch") wird von Spranger (wie Anm. 5) zurecht als „fragwürdig"

eingeschätzt.

(13)

14. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1984, S. 214-216 und 1988, S. 260-296. Für eine mündliche Auskunft danke ich Herrn Dr. Schäfer, Landesdenkmalamt Stuttgart.

15. Vgl. ausführlich Spranger (wie Anm. 5) und Graf, Zur Frage einer Fulradzelle in Schwäbisch Gmünd, Gmünder Studien 2 (1979), S. 173-202. Jüngste allgemeine Literatur: Wilhelm Schneider, Arbeiten zur alamannischen Frühgeschichte Heft XVIII (1991), S. 267-426 (zu Gmünd S. 348-350); Helmut Maurer, in:

Die deutschen Königspfalzen Bd. 3, Lieferungen l (1988) und 2 (1993), S. 95-118 zu Eßlingen (S. 118 Literaturnachtrag), S. 182-192 zu Herbrechtingen. Zur emotionalen Reaktion auf Kritik am Gmünder Jubi- läum 1984 vgl. etwa Stuttgarter Zeitung 14.6.1984 mit Gmünder Tagespost 16.6.1984 und 18.6.1984.

16. Richard Strobel, Der Karner von Chammünster, Verhandlungen des Hist. Vereins für Oberpfalz und Regens- burg 110 (1970), S. 205-219, hier S. 219. Vgl. allgemein vor allem Stephan Zilkens, Kamer-Kapellen in Deutschland. Untersuchungen zur Baugeschichte und Ikonographie doppelgeschossiger Beinhaus-Kapellen (1983) mit Nennung der Veitskapelle im Katalog S. 224. Vgl. künftig Strobel (wie Anm. 1).

17. Diözesanarchiv Rottenburg B I 2a Bü 49/20 (Fotokopie StadtAG).

18. UAL 409 bzw. Alfons Nitsch, Urkunden und Akten der ehemaligen Reichsstadt Schwäbisch Gmünd 777 bis 1500, Bd. l (1966), Nr. 715, künftig: UAG mit Regestennummer. Herangezogen wurde die Fotokopie der Urkunde im StadtAG. Nach Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch 5 (1873), Sp. 605f. kommt für Kernder, Kerner auch Kerder vor.

19. Ohne Erfolg blieb die Durchsicht der genealogischen Collectaneen Gabelkovers unter „Woellwarth" Haupt- staatsarchiv Stuttgart J l Hs. 48g Bd. IV, Bl. 1803-1808.

20. R. Weser, Die abgegangenen Gmünder Kapellen, Gmünder Heimatbll. l (1928), S. 12-16, 19-22, hier S. 15.

Für den Wolfgangsaltar erwirkte Wolfgang von Zülnart 1475 einen Ablaß, UAG 1712, vgl. UAG 1727.

21. Agnes von Gundelfingen, zweite Ehefrau des Georg d. Ä. (Nr. 11) von Woellwarth, UAG 863, 985?

22. Anna, Tochter Albrechts von Schechingen lebte 1414 im Lorcher Haus zu Gmünd, UAG 746a, 764.

23. Zur Beziehung der Woellwarth zu Lorch vgl. Klaus Graf und Hermann Kissling, in: Lorch. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Kloster l (1990), S. 59f., 65f., 159-165; zur Familiengeschichte vgl. zuletzt Norbert Hofmann, Archiv der Freiherren von Woellwarth (1991), S. llff.

24. Anniversar 1530 (Fotokopie und Abschrift R. Weser StadtAG), Bl. 3, 10, 15b, 45, 52.

25. 1377: Alfons Nitsch, Das Spitalarchiv zum Heiligen Geist in Schwäbisch Gmünd (1965), Nr. 14 (künftig:

UASp mit Regestennummer) mit falschem Datum 1327; 1385: UASp 118. Zu ihrem familiären Umkreis vgl.

Graf, Quellen zur Geschichte der Göppinger Oberhofenkirche, Hohenstaufen/Helfenstein 2 (1992), S. 55-73, hier S. 69f. Anm. 10. Die derzeit unzugänglichen Gmünder Urkunden in New York (vgl. Graf, einhorn-Jb.

1989, S. 107 Anm. 23) enthalten als Nr. 22 und 24 zwei von Anna ausgestellte Urkunden vom 24. August 1382 und 8. November 1381.

26. Ohne Quellenangabe schreibt Axel Hans Nuber, Der Grundbesitz der ältesten Geschlechter von Gmünd, Diss. masch. Tübingen 1957, Anhang S. 81: 1380 o.D. Anna von Rinderbach genannt die Schönin stiftet Heilmesse in St. Veitskapelle aus Häusern und Gütern u.a. zu Iggingen. Eine Vorlage ist mir bislang zwar nicht bekanntgeworden, doch könnte die Nachricht zuverlässig sein. Wenn Nuber (in: Festbuch 800 Jahre Stadt Schwäbisch Gmünd 1962, S. 108) dagegen von einem Erbbegräbnis derer von Rinderbach in St. Veit spricht, ist das ein Mißverständnis (Der Grundbesitz S. 45) der von Bruno Klaus, Württ. Vjh NF 11 (1902), S. 261 mitgeteilten Quellenstelle: „Beneficium Sti Viti in capella Sri Viti in coemeterio von Rinderbach Ao.

1409". Die Notiz bezieht sich auf die (Wieder-)Stiftung von 1409, „in coemeterio" gehört zu „Viti".

27. Vgl. Graf, Gmünd im Spätmittelalter, in: Geschichte der Stadt Schwäbisch Gmünd (1984), S.53-86, 559—564, hier S. 154; Ders., Die Heilig-Kreuz-Kirche in Schwäbisch Gmünd im Mittelalter, einhorn-Jb.

1989, S. 81-108, hier S. 86ff.; UAL passim.

28. Staatsarchiv Ludwigsburg B 177 S U 1948, modernisiert wiedergegeben UAL S. 262-264. Zur Datierung:

die 1401 gekaufte Gült (UAL 408), statt derer 1414 Landbesitz erworben wurde, erscheint in dem Verzeich- nis bereits. In UAG A 104 wurden diese Einkünfte der Veitspfründe irrtümlich dem Münster zugewiesen, der bei Hermann Kissling, Das Münster in Schwäbisch Gmünd (1975), S. 92 genannte Veitsaltar im Münster ist somit zu streichen.

29. Walter Klein, Sechshundert Jahre Gmünder Goldschmiedekunst (1947), S. 22; Ludwig Mangold, in: 10 Jahre einhorn Schwäbisch Gmünd (1963), S. 140: Anfang 15. Jh. Vgl. auch Fritz Eberhard, einhorn-Jb. 1987, S.

138.

30. Kissling (wie Anm. 28), S. 139: „um 1510-20".

31. In der Broschüre: Die Stadt Schwäbisch Gmünd und ihr Heilig-Kreuz-Münster im Spätmittelalter (1952), S. 13 und in einer Rezension Zs. für württ. Landesgeschichte 17 (1958), S. 338.

32. Vgl. den Katalog Die Parier und der schöne Stil l (1978), S. 339-342. 1358 schenkte Karl IV. dem Stift Herrieden eine Reliquienmonstranz des hl. Veit, vgl. den Katalog der Nürnberger Ausstellung: 1316 Kaiser Karl IV. 1378 (1978), S. 92f.

33. Spranger (wie Anm. 5), S. 50 mit S. 558 Anm. 47-52; dort auch die einschlägige patrozinienkundliche Literatur und weitere Nachweise.

34. UAL 458. Dazu 1673 Staatsarchiv Luzern Urk 550/10905 (Mikrofilm StadtAG), vgl. Anton Gössi, Das Archiv der oberdeutschen Minoritenprovinz im Staatsarchiv Luzern (1979), S. 141.

35. Akten wie Anm. 17.

36. Weser (wie Anm. 20), S. 15f. Quelle für den ersten Satz war Dom. Debler VI, S. 158. Nach dem Bericht von 1837 in Ludwigsburg (wie Anm. 5), S. 21 wies der Kalksteinaltar aus St, Veit mit vielen Heiligenbildern Ornamente in „moderner" Form, nicht mehr im „deutschen" Stil auf - es dürfte sich daher um ein barockes Kunstwerk gehandelt haben. Zu weiteren Alabasterarbeiten in Gmünd vgl. Hermann Kissling in UAL S. 37f.

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