A-1976 (56) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 30, 26. Juli 1996
V A R I A FEUILLETON
„Während meiner Zeit in New York bin ich mehr straight ahead geworden“, meint die Saxophonistin und Ärztin Henriette Müller über ihren zweijährigen Aufent- halt in den USA. Mit einem Stipendium vom Berliner Se- nat konnte sie Unterricht in Komposition und Saxophon- spiel nehmen.
Schnörkellos
Ihre Debüt-CD „memo- ries of a swan song“ (Konnex KCD 5072) versteht Henriet- te Müller als Resümee ihrer musikalischen Ausbildung und Erfahrung in New York.
Zusammen mit dem Bassi- sten Peter Herbert und dem Schlagzeuger Jeff Brillinger stellt das Trio eine Auswahl von Titeln vor, die sich durch einen schnörkellosen und gradlinigen Stil auszeichnen.
Besonders das zweite Stück,
dessen Titel der CD den Na- men gab, gefällt durch einen sparsamen und gefühlvollen Dialog zwischen Baß und Sa- xophon. Von größerer Dyna- mik ist zum Beispiel der Titel
„will you kiss and smile“, der sich durch einen funkigen Baß, viel Drive und originelle Phrasen auf dem Saxophon auszeichnet.
David Berkman (Piano) ist als Gastmusiker bei vier Einspielungen mit von der Partie, wobei sich diese eher eingängigen Stücke am Main- stream orientieren. Die An- regungen für ihre Komposi- tionen holt sich Henriette Müller aus so unterschiedli- chen Stilrichtungen wie Reg- gae und Tango. Neben ihrem Trio komponiert die Künstle- rin und übernimmt Aufträge für Filmmusik und zeitgenös- sische E-Musik. Als nächstes möchte die ambitionierte Musikerin mit einer Big Band arbeiten. Stephan Mertens
150 Werke aus allen Schaffensphasen des Künst- lers Egon Schiele ermöglichen einen Einblick in seine Ent- wicklung, ausgehend vom Wiener Jugendstil bis zu einem individuellen kompro- mißlosen Stil, in dem psychi- sche Grenzerfahrungen, Se- xualität und Tod thematisiert werden. Die ersten Gemälde von 1906 bis 1910 zeigen deut- lich Klimts Einfluß mit golde- nem Hintergrund, ornamental gegliederter Bildfläche und Einhalten von ästhetisch de- korativen Konventionen.
Dann verläßt Schiele die elegi- schen Figuren des Jugendstils, die Konturen werden schroff und kantig, seine Figuren ver- renken sich, sind oft dem Zer- reißen nah und drücken Ge- walt, Schmerz
und auch Hin- gabe aus. An immer wieder gleichen Mo- tiven – Selbst- darstellungen, Akt, Bildnis und Stadt- landschaft – entwickelt Schiele in den Jahren zwi- schen 1910 und 1914 ein reiches Re-
pertoire an graphischen und malerischen Mitteln, die ihn zum Wegbereiter des Expres- sionismus werden lassen.
Sein Stil stößt in der Wiener Gesellschaft zunächst auf wenig Gegenliebe, trägt
ihm den Ruf eines Porno- graphen ein, sein freizügiger Umgang mit jugendlichen Modellen eine Gefängnis- strafe.
Um 1915 setzt eine Har- monisierung in Schieles Werk ein. Die Linien der Zeichnun- gen beruhigen sich, die Kon- turen werden geschlossener.
Bildnisse von Kriegsgefange- nen und Kameraden spiegeln die Auseinandersetzung mit seiner Einberufung wider.
1918 stirbt Schiele, nur 28jährig, an der Spanischen Grippe, kurz nach seinem ersten Ausstellungserfolg.
Die in Tübingen, Düssel- dorf und Hamburg gezeigte Ausstellung ist Bestandteil der Leopold-Sammlung, die als die bedeutendste Privat-
sammlung österreichischer Kunst des 19. und 20. Jahr- hunderts gilt.
Die Werke Schieles sind jetzt im neu eröffneten Leo- pold-Museum in Wien zu be- wundern. Kirsten Stollhoff Egon Schiele: Kniendes Mädchen, auf beide Ellenbogen
gestützt, 1917 Foto: Elke Walford