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Archiv "Parodontitis: Eine Quelle für Systemerkrankungen" (29.04.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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29. April 2011 A 949 PARODONTITIS

Eine Quelle für Systemerkrankungen

Schon länger wird vermutet, dass eine Parodontitis das Risiko für den Diabetes mellitus und die rheumatoide Arthritis steigert. Vergleichsweise gut ist die Assoziation zu kardiovaskulären Erkrankungen erforscht.

C

hronische Entzündungen im Mundbereich und speziell die weitverbreitete Parodontitis sind keinesfalls nur ein Thema für Zahnmediziner. Es mehren sich die Hinweise darauf, dass die Entzün- dung des Zahnhalteapparats weit- reichende Konsequenzen für den Gesamtorganismus hat und bei- spielsweise einen Diabetes melli- tus, die rheumatoide Arthritis sowie kardiovaskuläre und Autoimmuner- krankungen begünstigen kann.

„Diese Erkenntnisse haben wahr- scheinlich therapeutische Bedeutung für die Humanmedizin“, erklärt dazu Prof. Dr. med. dent. James Deschner (Bonn), der an der dortigen Polikli- nik für Parodontologie, Zahnerhalt und Präventive Zahnheilkunde eine klinische Forschungsgruppe im Rah- men eines DFG-Verbundprojekts leitet. Diese besteht aus acht Teil - projekten, von denen sich eines mit dem Zusammenhang von Parodonti- tis und kardiovaskulären Erkrankun- gen beschäftigt.

Zentrales Thema ist der Einfluss der Parodontitis auf vaskuläre Schädigungen und deren Regenera- tion. Dabei untersuchen die Bonner Zahnmediziner, ob eine Entzün- dung des Zahnhalteapparats zur vermehrten Apoptose bei zugleich verminderter Regeneration von En- dothelzellen und zur Aktivierung des angeborenen Immunsystems führt. Ziel ist es, die pathomecha- nistischen Hintergründe der in epi- demiologischen Studien klar zu be- obachtenden Assoziation zu klären.

„Dieser Zusammenhang ist lange bestritten worden“, räumt Deschner ein. Inzwischen aber seien die Be- funde erdrückend. Überzeugend sind aus seiner Sicht die Ergebnisse von Metaanalysen: Patienten mit Entzündungen im Zahnhalteapparat haben demnach ein erhöhtes Risiko

für die koronare Herzkrankheit (KHK) und den Myokardinfarkt.

Umgekehrt haben Menschen mit ei- ner KHK überproportional häufig auch eine Parodontitis.

Obwohl dies auch durch eine ge- netische Disposition für beide Er- krankungen bedingt sein könnte, hat sich die chronische Entzündung im Bereich des Zahnhalteapparats als pathogenetisches Bindeglied er- wiesen. Sie wird ausgelöst durch Bakterien wie Porphyromonas gin- givalis. Die zunächst lokal begrenz- te Inflammation führt schließlich zu einer subklinischen systemischen Entzündung, welche die Athero- skleroseentstehung fördert.

Intima-Media-Dicke korreliert mit dem Zahnbefund

Tierexperimentelle Untersuchungen bestätigen diese Hypothese, die De- schner zufolge nicht zwingend auf den Menschen übertragbar sind. Sol- che Bedenken aber wurden mittler- weile durch Studien am Menschen entkräftet. Danach korreliert die Aus- prägung der Parodontitis mit der Inti- ma-Media-Dicke der Koronargefäße.

Umgekehrt verbessert sich die endo- theliale Dysfunktion, die als früher Marker der Atherosklerose galt, wenn eine Parodontitis konsequent therapiert wird. Zwar handelt es sich dabei „nur“ um Surrogatparameter, aber andere Studien, in denen Herz- infarkt oder Schlaganfall Endpunkte wären, würden einerseits viele Jahre dauern, und es wäre zudem ethisch nicht zu rechtfertigen, Patienten mit Parodontitis in der Kontrollgruppe für Jahre unbehandelt zu lassen.

Für Deschner stehen nun zwei Fragestellungen auf der Agenda: „Es muss geklärt werden, ob sich durch eine konsequente Behandlung der Parodontitis die Rate an Herzin - farkten und Schlaganfällen mindern

lässt, und es muss geklärt werden, ob Patienten nach einem solchen Er- eignis eine effektive Sekundärpro- phylaxe durch die Behandlung der Parodontitis betreiben lassen.“

Die Frage der Sekundärpräventi- on ist laut Deschner erst in einer Stu- die untersucht worden, deren Ergeb- nisse allerdings noch keine eindeu - tigen Schlussfolgerungen bezüglich eines möglichen präventiven Effekts bei kardial vorgeschädigten Patien- ten zulassen. „Das hat in der Fach- welt zu einiger Verunsicherung ge- führt“, erklärt der Bonner Parodonto- loge. Es gebe derzeit verschiedene Hypothesen, um diesen „Fehlschlag“

zu erklären, räumt er ein.

So sei es denkbar, dass nur in re - lativ frühen Krankheitsstadien eine Einflussnahme durch die Parodonti- tisbehandlung möglich sei, der Ef- fekt bei manifester kardialer Erkran- kung mit Folgekomplikationen aber nicht mehr ausreiche, um weitere Er- eignisse zu verhindern. Nicht aus - zuschließen sei andererseits, dass die Kontrollgruppe möglicherweise ebenfalls eine parodontale Behand- lung erfahren hat, und zwar durch Zahnmediziner, die nicht an der Stu-

Die Parodontitis beginnt mit einer Entzündung des Zahnfleisches (Gin- givitis). Es schwillt an, ist stark gerötet und blutet leicht. Da ansonsten zunächst keine Schmerzen auftreten, ist das Bluten ein wichtiges Alarmsignal.

Foto: SPL-Agentur Focus

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29. April 2011 die beteiligt waren, so dass kein kla-

rer Therapieeffekt mehr nachweisbar war. Damit sei, so das Fazit des Bon- ner Zahnmediziners, die Assoziation zwischen kardialen Erkrankungen und der Parodontitis unstrittig. Un- klar aber bleibe vorerst die Frage, wie sich diese Erkenntnis aus inter- nistischer Sicht nutzen lasse – abge- sehen von der Tatsache, dass eine Pa- rodontitis eine zahnmedizinische Be- handlungsindikation darstelle.

Herz- und Gefäßkrankheiten sind keinesfalls die einzigen internisti- schen Erkrankungen, bei denen eine Assoziation zur Zahnfleischentzün- dung besteht. Ein bidirektionaler Zusammenhang ist zum Beispiel beim Diabetes mellitus bekannt, weil die Hyperglykämie zu einer nichtenzymatischen Glykosylierung des Blutzuckers mit Serumproteinen führt. Hierbei entstehen sogenannte Advanced Glycation End Products

Die Parodontitis ist nicht nur weit verbreitet – etwa 73 Pro- zent der 40-Jährigen und 88 Prozent der 70-Jährigen sind davon betroffen (Quelle: Deutsche Mundgesundheitsstudie 2006), sie wird zudem häufig erst spät diagnostiziert, da sie lange symptomlos bleibt. Insbesondere Patienten mit Vorer- krankungen und Frauen mit Kinderwunsch profitieren von der frühzeitigen Diagnostik und nachfolgenden Therapie.

Denn die chronische Entzündung steigert ihr Risiko für Schlag- anfall (um das Siebenfache), Herzinfarkt (Zwei- bis Dreifache), Diabetes (Sechsfache), Frühgeburten (Siebenfache) und Arthritis (Sechsfache), wie immer mehr Studien belegen.

„Diese Daten bilden die Basis dafür, dass die fachliche Zusammenarbeit zwischen Medizinern und Zahnmedizinern in Deutschland systematisch verbessert werden muss“, sag- te Prof. Dr. med. dent. Ulrich Schlagenhauf (Universität Würz- burg), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Parodontolo- gie, bei einer Diskussionsrunde von IDI-PARO* und dem Deutschen Ärzte-Verlag bei der 34. Internationalen Dental- schau in Köln. Auch der Vizepräsident der Bundeszahnärzte- kammer, Dr. med. dent. Dietmar Oesterreich, forderte eine engere Zusammenarbeit der beiden standespolitischen Ver- tretungen in diesem Bereich. Dafür sollte unter anderem auch geregelt werden, dass sich Zahnmediziner und Fach- ärzte in Deutschland einander Patienten überweisen können.

Um eine Parodontitis im Frühstadium auch ohne zahnme- dizinisches Studium erkennen zu können, ist neben einem Labortest seit kurzem ein Biomarker-Schnelltest (PerioMar- ker®) verfügbar, der als Mediator zwischen den einzelnen Fachrichtungen dienen und flächendeckend eingesetzt wer- den kann. Hierbei wird die für parodontopathogene Abbau- prozesse verantwortliche Kollagenase, die aktive Matrix-Me-

talloproteinase-8 (aMMP-8), im Speichel des Patienten ge- messen – sogar bevor erste klinische Zeichen sichtbar sind.

„Eine Sanierung des Parodontiums nach Screenings ist vor elektiven operativen Eingriffen an unserem Haus seit Jahren Pflicht. Das ist Teil des Qualitätsmanagements“, berichtete Prof. Dr. med. Jürgen Ennker (Herzzentrum Lahr) in Köln.

Für den Orthopäden Prof. Dr. med. Burkhardt Rischke (Zü- rich) steht außer Zweifel, dass die Zahl von 12 000 Gelenk- prothesen, die jedes Jahr aufgrund von bakterieller Kontami- nation explantiert werden müssen, durch rechtzeitige Paro- dontitisprävention deutlich gesenkt werden könnte. Laurenz Meyer, ehemaliger CDU-Generalsekretär, warnte als Ökonom vor den volkswirtschaftlichen Konsequenzen, die aus den kostenintensiven Behandlungen der assoziierten Erkrankun- gen einer nicht behandelten Parodontitis entstehen.

Dass sich Prävention lohnt, zeigt eine Studie der Universi- ty of Columbia und des US-Versicherungsunternehmens Aetna Inc. (Hartford) an 144 000 Versicherten. Danach sin- ken das Herzinfarktrisiko bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen nach einer Parodontitistherapie um 27 Prozent und die Behandlungskosten um 16 Prozent. Bei Diabetikern ergab sich eine Risikoreduktion von 29,2 Prozent mit einer Kostenreduktion um neun Prozent; bei zerebrovaskulären Erkrankungen 24,6 Prozent respektive elf Prozent.

Damit liefert diese Studie einen ökonomischen Nachweis für die Relevanz einer interdisziplinären Zusammenarbeit, die die IDI-PARO mit der Aktion „Parodontitisfreies Deutschland“

(www.parodontitisfreies-deutschland.de ) fördern möchte. zyl

* IDI-PARO = gemeinnützige Stiftungs-GmbH Interdisziplinäre Diagnostik- Initiative für Parodontitisfrüherkennung

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(AGEs), die sich in der Gingiva ab- lagern und verstärkte Entzündungs- reaktionen bewirken.

Parodontitis provoziert die Bildung von Autoantikörpern Umgekehrt hat die Parodontitis Kon- sequenzen auf den Diabetes. Sie führt zu einem steigenden HbA1c-Wert und verschlechtert damit die metaboli- sche Einstellung. „Der HbA1c-Wert steigt bei Vorliegen einer ausgepräg- ten Parodontitis sogar beim Nicht- diabetiker.“ Die Parodontitis könne auf diese Weise die Entstehung eines Prädiabetes fördern, sagte Deschner, was Metaanalysen zu Interventions- studien belegten. Danach führt die zahnmedizinische Behandlung bei Typ 2-Diabetikern zu einer Redukti- on des HbA1c-Wertes um durch- schnittlich 0,4 Prozentpunkte.

Bei der rheumatoiden Arthritis sind Zusammenhänge zur Parodon-

titis inzwischen so offenkundig, das diesem Thema im November letz- ten Jahres sogar der Eröffnungsvor- trag beim Kongress des „American College of Rheumatology“ in At- lanta gewidmet war. Gerald Weiss- mann (University School of Medi- cine, New York) vertrat die Hypo- these, dass das parodontitisasso - ziierte Bakterium Porphyromonas gingivalis in bestimmten Eiweiß- verbindungen des Blutes die Amino- säure Arginin gegen Citrullin aus- tauscht („Citrullinierung“).

Die Strukturveränderung der Peptide provoziert die Bildung von Autoantikörpern und triggert Ent- zündungsprozesse in den Gelenken.

Inwieweit sich die Prognose der rheumatoiden Arthritis durch eine Sanierung der Parodontitis verbes- sern lässt, ist Gegenstand der For-

schung. ■

Christine Vetter

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