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ie Intensivstationen gehören neben den Operationssälen zu den Bereichen mit der größten Pro- zessdichte im Krankenhaus. Hier werden kritisch kranke Patienten versorgt, deren vitale Funktionen akut beeinträchtigt sind. Das Über - leben dieser Patientenhängt nicht zuletzt
INTENSIVMEDIZINISCHE PEER REVIEWS
Qualitätsinitiative für Ärzte und Patienten
von einer adäquaten und zeitgerech- ten Behandlung ab, die dem aktuel- len und belegbaren Stand medizini- schen Wissens (evidenzbasierte Me- dizin) entspricht. Die Notwendig- keit, Intensivpatienten rund um die Uhr zu versorgen, bedingt die stän- dige Präsenz von Ärzten unter- schiedlichster Disziplinen, Pflege- kräften und Therapeuten.
Um die komplexen Versorgungs- prozesse durch wechselnde Teams zu gewährleisten, sind präzise Kommunikationsstrukturen vonnö-
ten, weil mehrmals täglich eine Vielzahl von Informationen
verlässlich weitergegeben werden muss. Schnelles, ko- ordiniertes und professionelles Handeln ist ebenso gefragt wie der Ein freiwilliges Peer-Review-Verfahren soll die Versorgung und Sicherheit der Patienten auf Intensivstationen optimieren.
sensible Umgang mit den Grenz - bereichen der Medizin. Patienten und Angehörige in Extremsituatio- nen müssen behutsam begleitet werden, auch die Anforderungen des neuen Patientenverfügungsge- setzes vom 1. September 2009 stel- len die Versorgenden mitunter vor besondere Herausforderungen hin- sichtlich der Umsetzung im Alltag.
Abstimmung unter Zeitdruck Die vitale Bedrohung des Patien- ten führt dazu, dass sich wie in kaum einem anderen Bereich des Krankenhauses viele verschiedene Fachdisziplinen unter Zeitdruck leitlinienkonform aufeinander ab- stimmen müssen. Schnittstellen- und Abstimmungsprobleme von
Foto: Caro
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15. Oktober 2010 A 1977 Prozessabläufen müssen durchmöglichst hochstandardisierte Ver- fahren gelöst werden. Die Sicher- stellung von Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen betrifft das Personalmanagement im gesamten medizinischen Personalbereich und stellt eine interdisziplinäre Heraus- forderung dar.
Seit 2006 haben sich zunächst in Baden-Württemberg und in Ham- burg, 2009 in Berlin/Brandenburg intensivmedizinische Netzwerke gegründet. Auch Thüringen, wo man sich bereits seit mehreren Jah- ren mit der Qualitätsdarstellung und -analyse in der Intensivmedi- zin befasst, wird sich voraussicht- lich dieser Initiative anschließen.
Ziel der Netzwerke ist es, durch re- gelmäßigen Austausch evidenzba- siertes Wissen in den klinischen Alltag zu bringen, um die medizi- nische Qualität der Intensivversor- gung zu steigern.
Als ein Werkzeug zur kontinuier- lichen Verbesserung der Patienten- versorgung haben die Netzwerke ein Verfahren intensivmedizini- scher Peer Reviews entwickelt: Die Prozesse und Strukturen einer In- tensivstation werden zunächst von deren Mitarbeitern systematisch über einen Fragebogen erfasst und danach von externen Experten (Peers) analysiert und bewertet. Da- bei steht der kollegiale Aspekt, das gemeinsame Lernen in gegenseiti- gem Respekt, im Zentrum. Das Ver- fahren ist interdisziplinär konzipiert
und stärkt die professionelle Auto- nomie der Beteiligten. Die Kom- munikation zwischen den ein- zelnen Fachdisziplinen und Berufsgruppen sowie die Patientenorientierung sollen dadurch gezielt gefördert werden.
Schon in der gerade laufenden Pilotphase zeigt es sich, dass das Verfahren der intensivmedizinischen Peer Reviews bei den Ärztinnen und Ärzten vor Ort zunehmend akzeptiert wird und sich als effekti- ve Methode zur kontinuierlichen Qualitätsverbesserung bewährt. Ge- meinsame berufsgruppenübergrei- fende Verantwortung, die Bereit- schaft zur Transparenz und zum Voneinanderlernen, aber auch die absolute Vertraulichkeit gegenüber Dritten sichern den Erfolg der pro- fessionellen externen Evaluation und der sich daraus ableitenden Verbesserungsmaßnahmen.
Inhaltlicher Leitfaden des inten- sivmedizinischen Peer Reviews ist ein standardisierter Peer-Review-Er- hebungsbogen, mit dem die Struk- tur-, Prozess- und Ergebnisqualität einer Intensivstation systematisch überprüft wird. Dieser Erhebungs- bogen wurde gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Anäs - thesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und der Deutschen Interdis- ziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) erarbei- tet. Man orientierte sich dabei an Fragenkatalogen aus klinisch an -
Nicht immer klappt alles, wenn „sich nur jeder anstrengt“. Gerade bei komplexen medizinischen Problemen sind Zusammenarbeit sowie kollegiale Beratung und Unterstützung von höchster Be -
deutung. Die Ärztekammer Berlin begrüßt deshalb die von Ärztinnen und Ärzten getragene Initiative zur Verbesserung der Behandlungsqualität und der Transparenz der Behandlungsprozesse in der
Intensivmedizin. Diese Form von praxisnahem und bürokratiearmem Qualitätsmanagement kennzeichnet einen patientenorientierten Weg, wissenschaftliche Erkenntnisse ohne große Reibungsverluste an das Krankenbett zu bringen, sich gegenseitig auf diesem Weg kollegial zu unterstützen und voneinander zu lernen.
Die Ärztekammer Berlin unterstützt das intensivmedizinische Peer-Review-Verfahren gemeinsam mit den Ärztekammern in Baden- Württemberg, Hamburg und Thüringen sowie der Bundesärztekammer als einen wichtigen und zukunftsweisenden Weg.
KOMMENTAR
Dr. med. Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin
Wichtig und
zukunftsweisend
erkannten Zertifizierungsverfahren und an den intensivmedizinischen Qualitätsindikatoren, die von der DGAI und der DIVI bereits konsen- tiert wurden. Neben Aspekten der medizinischen Versorgungsqualität werden hier auch Wissenskompeten- zen und die Anwendung evidenzba- sierten Wissens, die ökonomische Transparenz und der optimale Res- sourcennutzung berücksichtigt.
Konkrete Vorgehensweise Eine Intensivstation, die sich einem Peer Review unterziehen möchte, muss zunächst die Zustimmung der Geschäftsleitung des jeweiligen Krankenhauses einholen. Dann meldet sie sich beim zuständigen regionalen Netzwerk oder einem Koordinator für einen Peer Review an. Grundsätzlich kann jede Inten- siveinheit teilnehmen.
Der Koordinator stellt aus einem Pool von Peers ein Review-Team zusammen, das aus zwei Intensiv- medizinern verschiedener Kliniken und einer Fachpflegekraft besteht, die jeweils eine Vertraulichkeits - erklärung unterzeichnen. Bei der Auswahl der Peers wird darauf ge- achtet, dass die Kliniken, in denen die Beteiligten beschäftigt sind, nicht in unmittelbarer Konkurrenz zueinander stehen.
Zunächst bearbeitet die Intensiv- station den Peer-Review-Erhe- bungsbogen in der Art und Weise eines internen Assessments. An- schließend unterzieht sich die In- tensivstation dem externen Assess- ment – dem Vor-Ort-Besuch des Peer-Review-Teams, der das ei- gentliche Kernelement des Peer- Review-Verfahrens darstellt. Am Review nimmt seitens der besuch-
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15. Oktober 2010 Im Anschluss an das Abschluss-gespräch setzt sich das Peer-Re- view-Team zusammen, um einen
konsentierten Abschlussbe- richt zu erstellen. Im Sinne
einer strukturierten Analy- se werden Stärken, Schwä- chen, Chancen und Gefahren (SWOT-Analyse) der intensivmedi- zinischen Einrichtung bewertet. Die erzielte Punktzahl nach Auswer- tung des Erhebungsbogens wird dem Bericht ebenfalls angefügt.
Der Bericht wird dem Leitenden Arzt der Intensivstation zugestellt, der die Ergebnisse mit den Mitar- beitern besprechen sollte. Danach kann er entscheiden, ob er den Be- richt der zuständigen Geschäftslei- tung der Krankenhauses zukom- men lässt.
Der Abschlussbericht kann der Krankenhausleitung und allen an- deren Beschäftigten im Kranken- haus als Orientierungshilfe im Rah- men der kontinuierlichen Qualitäts- verbesserungsprozesse dienen. Die besuchte Abteilung hat ihrerseits die Möglichkeit, mit einem Feed- back-Bogen das Peer-Review-Team zu beurteilen.
Bestimmend bei diesem Vor - gehen ist der kollegiale Gedanke des Voneinanderlernens und Sich- weiterentwickelns. In diesem Kon- text spielt es keine Rolle, dass die Peers durchaus in Krankenhäusern unterschiedlicher Versorgungsstu- fen beschäftigt sein können. Es geht darum, eine Intensiveinheit im Rah- men ihrer Möglichkeiten bezie- hungsweise ihres Versorgungsauf- trags zu bewerten. Intensivstationen in Krankenhäusern der Maximal-
versorgung können ebenso gut oder weniger gut organi- siert und strukturiert
sein wie Stationen in einem Kran- kenhaus der Grund- und Regelver- sorgung. Sich gegenseitig in der Beurteilung und in möglichen Lö- sungsansätzen zu unterstützen, ist das explizite Ziel des Peer-Review- Verfahrens.
Versorgung auf hohem Niveau Die DGAI und der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) unterstützen in der gegenwärtigen Pilotphase die Peer Reviews finan- ziell, personell und durch die Mit arbeit im wissenschaftlichen Arbeitskreis. Die Sektion Qualitäts- sicherung der DIVI begleitet diesen Prozess ebenfalls. Das gesamte Ver- fahren wird in Abstimmung mit der Deutschen Interdisziplinären Ver - einigung für Intensiv- und Notfall - medizin (DIVI) entwickelt, so dass eine interdisziplinäre Gestaltung ge währleistet ist.
Auch einige Ärztekammern un- terstützen das Verfahren in der Pi- lotphase. So ist zum Beispiel die Projektstelle für die intensivmedi- zinischen Peer Reviews in Ham- burg und Baden-Württemberg bei der jeweiligen Landesärztekammer angesiedelt. In Pilotlehrgängen wur- den und werden dort in diesem Jahr künftige Peers nach dem bei der Bundesärztekammer in Ent- wicklung befindlichen „Curricu- lum Ärztliches Peer Review“ ge- schult.
Die Einführung eines Peer-Re- view-Verfahrens in der Intensivme- dizin auf der Grundlage eines stan- dardisierten, durch DGAI, BDA und DIVI verabschiedeten Erhe- bungsbogens ermöglicht es, evi- denzbasiertes Wissen lokal anzu- wenden und damit die Patientenver- sorgung auf hohem Niveau zu hal- ten oder zu verbessern. Erstmalig werden auf diese Weise deutsch- landweit regionale Kommunikati- onsplattformen für die Intensivme- dizin geschaffen, in denen alle be- teiligten Fach- und Berufsgruppen im Sinne einer verbesserten Patien- tenversorgung kooperieren. ■ Priv.-Doz. Dr. med. Jan-Peter Braun Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt
operative Intensivmedizin Charité – Universitätsmedizin Berlin für das Netzwerk Qualität in der Intensivmedizin – NeQui (www.nequi.de) ten Intensiveinheit das leitende
ärztliche und pflegerische Personal teil. Nach einer ersten Vorstellungs- runde werden den besuchten Kol- legen Fragen anhand des Erhe- bungsbogens zur Intensivstation gestellt.
Dabei werden von den Peers möglichst kurz und praxisnah alle Qualitätsfelder der Intensivmedizin abgefragt. In den Themenbereichen
„Grundlagen/Organisation“, „Perso- nal“ und „Patient“ werden jeweils Fragen zur Struktur- und Prozess- qualität gestellt. Der Fragenbereich Ergebnisqualität ist unterteilt in Qua- litätsindikatoren und Qualitätsziele.
Die Peer Reviewer prüfen hierbei, inwieweit die Qualitätsindikatoren in den Strukturen und den Prozessen der Station etabliert sind. Abschlie- ßend sollen Fragen zum Controlling und zum Berichtswesen beantwortet werden. Für jede Frage werden je nach Umsetzungsgrad vom Review- Team Punkte vergeben.
Voneinander lernen
Nach Besprechung des Erhebungs- bogens findet eine gemeinsame Be- gehung der Intensivstation statt.
Die Reviewer verschaffen sich da- bei einen Überblick über die Struk- turen der Station und evaluieren an- hand einer Prüfliste die Einhaltung intensivmedizinischer „Good Practice“. Nach der Ortsbege- hung findet sich das Review- Team erneut mit dem Leitungs- team der Station zu einem Ab- schlussgespräch zusammen, in dem die besuchten Kollegen ein mündliches Feedback erhalten.