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Archiv "DDR: Angleichung und eigener Weg" (03.05.1990)

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DDR: Angleichung und eigener Weg

Was die neue, freigewählte DDR-Regierung für das Gesundheitswe- sen einschließlich der Krankenversicherung plant, bricht gewiß mit den bisherigen Verhältnissen. Zugleich aber sucht die Koalitionsre- gierung den in 40 Jahren gewachsenen Strukturen wo eben möglich Rechnung zu tragen. Und damit wird sich das Gesundheitswesen der DDR, sofern die Regierungsplanungen aufgehen, doch erheb- lich von den Strukturen in der Bundesrepublik unterscheiden.

Regierungserklärung und Koalitionsvereinbarung

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

D

DR-Ministerpräsident Lo- thar de Maiziere hat die Sozial- und Gesundheits- politik in seiner Regie- rungserklärung vor der Volkskam- mer in Berlin, am 19. April 1990, re- lativ kurz gestreift, dabei aber die wesentlichen Ziele klar zu erkennen gegeben: Die Sozialversicherung wird aus dem FDGB („Freier Deut- scher Gewerkschaftsbund") und der Staatlichen Versicherung herausge- löst und in Krankenversicherung, Rentenversicherung und Unfallversi- cherung getrennt. Für alle Aufgaben der Krankenversicherung will die Koalitionsregierung einen „kassen- artenneutralen Träger" schaffen.

Damit hat die Regierung fürs er- ste in dem Streit, ob in der DDR, ähnlich dem Bundesgebiet, ein ge- gliedertes System eingeführt werden soll, Position bezogen und sich für den Einheitsträger entschieden. In der Koalitionsvereinbarung zwischen den Fraktionen der CDU, der DSU, dem Demokratischen Aufbruch, den Liberalen und der SPD vom 12.

April 1990 wird gleichfalls gefordert:

„Schaffung eines kassenneutralen Trägers (Selbstverwaltung, regionale Gliederung) für alle Aufgaben der Krankenversicherung, Einheitsbei- träge, die am Durchschnittsbeitrag der BRD orientiert sind".

Die Regierung de Maiziere lehnt indes ein gegliedertes System nicht grundsätzlich ab „Ein später mögliches, gegliedertes Krankenver- sicherungssystem unter der Voraus- setzung, daß jeder Versicherungs- nehmer seine Krankenversicherung frei wählen kann (Wahlfreiheit, Kon- trahierungszwang)" wird in der Koa- litionsvereinbarung vage verspro- chen.

Die übrigen Vorstellungen für die Krankenversicherung deuten darauf hin, daß man sich den bun- desdeutschen Verhältnissen weitge- hend angleichen will: Sachleistungs- prinzip, Leistungen entsprechend den BRD-Verhältnissen, Beitragsfi- nanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Unterschiede könnte es wiederum hinsichtlich der Versiche- rungspflicht geben. Die DDR-Koali- tion spricht von einer Kranken- pflichtversicherung für alle Erwerbs- tätigen: das deutet darauf hin, daß es

in der DDR keine Versicherungs- pflichtgrenze geben wird.

Die Strukturen des Gesund- heitswesens werden in der Regie- rungserklärung nur kurz angespro- chen („Der Krisenzustand in unse- rem Gesundheitswesen ist hinläng- lich bekannt"). De Maiziere spricht sich für eine Verbesserung der sozia- len und wirtschaftlich-technischen Infrastruktur aus und hebt lediglich ein einziges, freilich wichtiges Detail eigens hervor: „Das gewachsene Sy- stem von Polikliniken und Einrich- tungen des betrieblichen Gesund- heitswesens ist sinnvollerweise zu er- halten sowie die Niederlassungsfrei- heit für Fachärzte zu sichern".

Verbindung von alt und neu

Hier kommt besonders deutlich das Bemühen der Regierung zum Ausdruck, Neuerungen und gewach- sene Strukturen miteinander in Ein- klang zu bringen. Neuerungen — da- für steht die Niederlassungsfreiheit;

Niederlassungen waren bisher zwar möglich, aber außerordentlich er- schwert. Gewachsene Strukturen — dafür steht das Bekenntnis zum Sy- stem der Polikliniken und der be- trieblichen Gesundheitseinrichtun- gen. In der Frage der Polikliniken dürfte es in der DDR eine große Koalition geben, die nicht nur aus der Regierungskoalition, sondern auch aus den Oppositionsparteien, auf jeden Fall aus der PDS (ex SED) besteht. Die PDS jedenfalls hat so- eben ein Positionspapier zu den Po-

likliniken herausgebracht, in dem sie in der ambulanten Betreuung „von pluralistischen Eigentumsverhältnis- sen" ausgeht, will sagen, daß sie sich gegen eine „Monopolisierung durch die Übernahme des Sicherstellungs- auftrags ausschließlich durch nieder- gelassene Arzte" ausspricht. Die PDS spricht sich dafür aus, die Poli- kliniken zu kommunalen Gesund- heitszentren zu entwickeln, die in enger partnerschaftlicher Zusam- menarbeit mit Praxen unterschiedli- cher Eigentumsform den Versor- gungsauftrag zu ambulanter medizi- nischer Betreuung erfüllen".

Aus der Koalitionsvereinbarung tritt das Bemühen, Altes und Neues miteinander zu verbinden, noch kla- rer hervor. Auch hier ist zu erken- nen, daß man sich im großen und ganzen an Strukturen des Gesund- heitswesens in der Bundesrepublik Deutschland angleichen will. So ist die Rede vom Aufbau eines Kam- mersystems für Arzte, Zahnärzte und Apotheker, von der Erarbeitung einer neuen Niederlassungs- und Honorarordnung, von der Zulassung zur kassenärztlichen Niederlassung („auf Länderebene, unter Mitwir- kung der Kassen und der berufsstän- dischen Vertretungen"). Gefordert werden ein Rekonstruktionspro- gramm für Krankenhäuser und der Aufbau von Gesundheitsämtern, So- zial- und Umweltämtern auf kommu- naler und Länderebene. Weitere Punkte der Koalitionsvereinbarung greifen die in der DDR grassieren- den Befürchtungen der Arbeitslosig- keit auf. Die Koalition verspricht Ar- beitsplatzschutz bei Privatisierungs- Dt. Ärztebl. 87, Heft 18, 3. Mai 1990 (19) A-1419

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Aufmerksame Zuhörer bei der KBV-Informationsveranstaltung in der Leipziger Messe: Ein Blick in die Reihen; das Bild wurde aus zwei Fotos montiert - erkennbar an der feinen Schnittstelle in Bildmitte Fotos: Maus

Perspektiven zwischen

Zusammenbruch und Adbruch

vorhaben und die Einhaltung von Arbeitsplatzzusagen für Medizinstu- denten.

Die wesentlichen Abweichungen vom bundesdeutschen Gesundheits- wesen betreffen einmal die schon in der Regierungserklärung hervorge- hobenen Polikliniken Sie sollen „in unterschiedlicher Rechtsträger- schaft" bestehen bleiben - als wesent- liche Stütze der bürgernahen ambu- lanten Versorgung. Erhalten bleiben sollen auch die Strukturen des Be- triebsgesundheitswesens, einschließ- lich kurativer Aufgaben. Das bedeu- tet, daß es weiterhin Polikliniken in öf- fentlicher Trägerschaft und dem- nächst eventuell auch in Trägerschaft der Krankenversicherung geben wird.

Neu und ungewohnt für bundes- deutsche Augen könnten einige Vor- stellungen zur Niederlassung sein.

Das Recht dazu soll nämlich „für Mediziner, Apotheker, in der Medi- zin tätige Naturwissenschaftler, Psy- chologen und andere medizinische Berufe sowie Heilhilfsberufe" gel- ten. Und schließlich eine letzte Be- sonderheit: Für Arzneimittel soll es eine Positivliste geben.

Insgesamt scheint die Regierung de Maizire durchaus willens zu sein, eine eigenständige Politik zu betrei- ben. Was aus den neuen DDR- Strukturen im Gesundheitswesen wird, wenn es zur Vereinigung kommt - dazu macht sie keine Aus- sagen. NJ

Leipzig, 22. April, 12.30 Uhr:

Überall in der weitläufigen Halle 7 des Messegeländes stehen Ärztinnen und Ärzte in Gruppen beieinander und diskutieren. Leise und zurück- haltend die einen, engagiert und emotional angespannt die anderen.

Fragen werden gestellt, erste Ein- drücke ausgetauscht. „Wir brauchen Informationen. Was wissen wir schon über das Gesundheitswesen der Bundesrepublik?", sagt Dr. Kar- renbauer, niederlassungswilliger Arzt aus Ost-Berlin. Die Umstehen- den pflichten ihm bei. „Es geht ja um unsere Zukunft", ergänzt ein Kolle- ge. „Können Sie sich vorstellen, was gegenwärtig in uns vorgeht?"

Orientierungshilfe in schwieriger Zeit

J■II■

Es ist Mittagspause in Leipzig.

Rund 2000 Ärzte und Ärztinnen aus der Deutschen Demokratischen Re- publik haben gerade einen kleinen

Imbiß eingenommen und versuchen nun, die Fülle der Erläuterungen und Hinweise zu sortieren, die sie im Laufe des Vormittags erhalten ha- ben. Die Kolleginnen und Kollegen kommen nicht nur aus der Messe- stadt selbst. Viele, wenn nicht die meisten unter ihnen, sind aus weit entfernt gelegenen Bezirken der DDR angereist, um in der schwieri- gen Zeit zwischen Zusammenbruch und Aufbruch Orientierungshilfen zu finden.

Die Einladung der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung zu einer of- fenen und objektiven Informations- veranstaltung für niedergelassene und niederlassungswillige Ärzte in der DDR diente denn auch genau diesem Zweck, was von der Mehr- zahl der Ärzte sehr wohl anerkannt wurde. Es gab zustimmenden Beifall, als Dr. Urich Oesingmann, der Erste Vorsitzende der KBV, zu Beginn sei- nes Referates die zum Teil von poli- tischen Kräften bewußt geschürte Verunsicherung der Ärzte in der DDR ansprach. Und mit Applaus

Informationstag der KBV in Leipzig

A-1420 (20) Dt. Ärztebl. 87, Heft 18, 3. Mai 1990

Referenzen

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