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Kittl, B. (2020). Ein Wald für alles. WSL-Magazin Diagonal, 2020(1), 2-6.

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Ein Wald für alles

F O R S T W I R T S C H A F T

Mit der Produktion und dem Verkauf

von Holz schreibt heute kaum ein Forstbetrieb mehr schwarze Zahlen. Und trotzdem soll der Wald seine vielfältigen Aufgaben für die Allgemeinheit erbringen.

Diese sind jedoch nicht gratis zu haben.

Eine wirksame Pflege des Schutzwaldes wäre ohne bedeutende Unterstützung durch den Bund und die Kantone nicht möglich.

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Schaut ein Waldeigentümer auf sei- nen Wald, dann muss sein Blick gleichzeitig mindestens fünfzig bis hundert Jahre voraus schweifen. Er sieht heute vielleicht viele gleichaltri- ge Fichten, die in der nächsten Tro- ckenperiode absterben könnten. Soll er die Bäume jetzt ernten, damit er noch einen akzeptablen Holzpreis er- zielt, und dann klimaresistentere Douglasien oder – noch besser – eine Eichenart pflanzen? Ist sein Wald na- turnah, hat vielleicht eine Vogelschüt- zerin einen seltenen Weissrü- ckenspecht beobachtet, dem ein Naturwaldreservat langfristig eine Heimat böte. Soll der Waldbesitzer künftig auf die Holznutzung verzich- ten und stattdessen Subventionen be- antragen?

Massnahmen, die Forstbetriebe heute beschliessen, beeinflussen nicht nur die Entwicklung des Wal- des und dessen Leistungen für die Gesellschaft für viele Jahrzehnte, sondern auch das eigene wirtschaft- liche Überleben. Dabei steckt die Branche derzeit in Schwierigkeiten, über die Hälfte der Schweizer Forst- betriebe arbeitet defizitär (siehe In- terview Seite 7).

Seit ihrer Gründungszeit leistete die WSL-Forschung der Forstwirt- schaft Schützenhilfe, indem sie Pla- nungswerkzeuge für die ökologische und kosteneffiziente Nutzung der Wälder entwickelte. Dazu gehören Modelle, welche die Organisation, Planung und Durchführung von Forstmassnahmen optimieren: Holz- zuwachs berechnen, Kosten und Er- träge für verschiedene Holzerntear- beiten abschätzen oder aufwändige Arbeiten wie den Einsatz von tem- porären Holztransportseilbahnen ef- fizient planen. «Diese Modelle haben wir so entworfen, dass sie gut, ein- fach, benutzerfreundlich und trans-

Bild: Fritz Frutig, WSL

Ein Wald für alles

Der Gebirgswald muss gepflegt werden, damit der Schutz vor Naturgefahren nachhaltig gewährleistet ist. Dazu werden Seilgeräte wie dieser Mobilseil­

kran mit aufgebautem Prozessor eingesetzt, was aufwändig und teuer ist.

Forschende der WSL entwickeln ein IT­Tool, mit welchem der Einsatz von Seilkrananlagen rasch und einfach geplant werden kann.

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S C H W E R P U N K T H O L Z 4 / 5 parent sind», erklärt Janine Schweier, Leiterin der WSL-Forschungsgruppe Nachhaltige Forstwirtschaft.

Die Herausforderungen der Försterinnen und Waldbesitzer gehen heute jedoch weit über technische Fragen hinaus. Deshalb richtet die WSL ihre For- schung künftig vermehrt auf die überbetriebliche Ebene aus. Der Wald ist längst nicht mehr nur ein Holzlieferant. Er soll Siedlungen und Infrastrukturen vor Naturgefahren schützen, vielfältige Tier- und Pflanzenarten beherbergen und Menschen sollen dort ungehindert ihre Freizeit verbringen können. Daneben gilt als selbstverständlich, dass Wälder Trinkwasser filtern und CO2 aus der Atmosphäre entfernen.

All diese Zielfunktionen sind in der Waldpolitik 2020 festgelegt, nach der sich die Forstwirtschaft richten muss und deren Umsetzung die WSL von For- schungsseite her unterstützt. Es ist ein Balanceakt. «Je vielfältiger die nachge- fragten Güter und Leistungen des Waldes sind, desto herausfordernder wird die Planung und Entscheidungsfindung der Forstbetriebe», sagt die Forstwis- senschafterin Schweier. Die Zauberformel heisst «Multifunktionale Waldpla- nung». Für den Forstbetrieb Wagenrain bei Bremgarten (AG) haben WSL-For- schende beispielhaft für die Biodiversitätsförderung berechnet, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Simulationen von vier Bewirtschaftungsszenarien über fünfzig Jahre zeigten, dass separate, zwischen den Nutzflächen angelegte Na- turschutzgebiete für den Biodiversitätsschutz am besten funktionieren – und gleichzeitig andere Funktionen, etwa die Attraktivität für Waldbesuchende, miterfüllen.

Noch weiter gefasst ist ein neues Projekt der WSL-Gruppe Ressourcen- analyse, das für ganze Regionen vorhersagen soll, wie sich die Holznutzung auf Waldleistungen auswirkt. Das Modell errechnet mit Daten des schweizwei- ten Landesforstinventars (LFI) und Klimadaten, wie dick Bäume auf den LFI-Stichprobenflächen im Lauf der Zeit werden. Damit lassen sich die Aus- wirkungen erhöhter oder verringerter Holznutzung auf die Waldentwicklung simulieren. Die Berechnungen zeigen die Entwicklung der Bäume und Bestän- de und erlauben damit, diverse Waldleistungen abzuschätzen wie Holzmenge, Kohlenstoff im Boden als CO2-Senke oder Totholz, das ein wichtiger Lebens- raum für viele Tiere ist. «Das Modell kann bei Entscheidungen helfen, die Be- wirtschaftung auf eines oder mehrere dieser Ziele auszurichten», erklärt die Biologin Esther Thürig, die die Forschungsgruppe leitet.

Stürme und Borkenkäfer

Die sorgfältige, langfristige Planung wird jedoch immer öfter durch unvorher- sehbare Ereignisse über den Haufen geworfen. Schon heute müssen Förster und Waldbesitzerinnen wegen Stürmen und Borkenkäferbefall etwa die Hälfte der jährlichen Holzmenge notfallmässig ernten. Eine Zäsur war das Jahr 2018 mit dem extrem trockenen Sommer, den Stürmen Burglind und Vaia und drei statt der üblichen zwei Borkenkäfer-Generationen. Die Forstbetriebe und Sägereien waren ausgelastet, der Preis für Fichtenholz sank um rund ein Drittel.

«Jahre wie 2018 dürften mit dem Klimawandel leider immer häufiger vor- kommen», sagt Schweier. Gemeinsam mit ihrem Team will sie die Forstwirt- schaft deshalb in zukünftigen Forschungsprojekten bei der Planung des Unge- planten unterstützen: Wie lassen sich die immensen Holzmengen nach Stürmen

Forschungsgruppe Nachhaltige Forstwirt­

schaft: www.wsl.ch/

nachhaltige- forstwirtschaft

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bewältigen? Wie löst man das Problem, dass die Böden in wärmeren Wintern immer weniger lang gefroren sind und dann schlecht mit schweren Maschinen befahren werden können?

Hinzu kommen Absatzprobleme für Schweizer Holz. Früher ging man da- von aus, dass durch die Holznutzung quasi automatisch alle anderen Wald- funktionen miterfüllt und mitfinanziert werden können; man sprach von der

«Kielwasser-Theorie». Dieser Automatismus ist heute passé: Die Holzpreise sind tief, und die heimischen Holzanbieter müssen oft mit billigerem Import- holz konkurrieren.

Försterinnen und Waldeigentümer fordern deshalb, für Nichtholz-Wald- leistungen entschädigt zu werden – ähnlich den Ökobeiträgen in der Landwirt- schaft. In Wäldern fördert der Bund derzeit nur die Schutzwaldpflege in den

Nach Stürmen und Borkenkäferbefall sind die Schweizer Sägereien ausgelastet. Dies führt zusammen mit der Konkurrenz durch Holzimporte dazu, dass der Holzpreis tief bleibt.

Bild: Laurent Gillieron, Keystone

Forschungsgruppe Ressourcenanalyse:

www.wsl.ch/

ressourcenanalyse

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S C H W E R P U N K T H O L Z 6 / 7 Bergen sowie bestimmte Massnahmen zum Erhalt der Biodiversität und zur Anpassung an den Klimawandel. «Die Bevölkerung nimmt bestimmte Wald- leistungen für die Allgemeinheit wie sauberes Trinkwasser und Erholungsmög- lichkeiten als ‹öffentliches Gut› wahr und erwartet, dass sie gratis sein sollen», erklärt Roland Olschewski, Leiter der WSL-Gruppe Umwelt- und Ressour- cenökonomie. «Das erschwert die Vermarktung von Ökosystemleistungen.»

«Prämie» für Schutzwald

Der Forstökonom untersucht unter anderem die Zahlungsbereitschaft der Be- völkerung für Waldleistungen. Im Rahmen des Nationalen Forschungspro- gramms «Nachhaltige Wirtschaft» befragte sein Team Haushalte in verschie- denen Bündner und Walliser Gemeinden, ob sie für eine zusätzliche Waldpflege, die den Schutz ihrer Häuser vor Naturgefahren wie Lawinen er- höht, bezahlen würden. Das Ergebnis: In diesem Fall war die Mehrheit der Haushalte sehr wohl bereit, eine extra «Versicherungsprämie» für den Schutz- wald zu bezahlen. Untersuchungen anderer Wissenschafter haben auch gezeigt, dass die Bevölkerung insbesondere in urbanen Räumen durchaus willig wäre, für Waldbesuche zu bezahlen, und zwar zwischen 80 bis 200 Franken pro Jahr.

Vereinzelte Waldeigentümerinnen haben die Chance erkannt und verkau- fen diverse, spezielle Waldleistungen auf freiwilliger Basis: Baum- oder Wald- patenschaften, private Naturwaldreservate, Klimawälder zur langfristigen Spei- cherung des Treibhausgases CO2. Einnahmequellen können auch Waldhäuser oder Waldkindergärten sein. In Friedwäldern können Verstorbene unter Bäu- men ihre letzte Ruhestätte finden.

Solche Angebote können jedoch die Kosten und Risiken der Waldbewirt- schaftung nicht kompensieren, vor allem bei privaten Waldeigentümern ohne Steuereinnahmen. In dieser Situation kann die WSL-Forschung helfen, etwa in- dem sie Vorschläge macht, wie der Wert der Waldleistungen in Franken ausge- drückt werden kann oder wie Zielkonflikte zwischen ihnen gelöst werden kön- nen. Um eine öffentliche Abgeltung für manche Ökosystemleistungen wird längerfristig kein Weg herumführen, ist Olschewski überzeugt. «Nur so kön- nen diese langfristig sichergestellt werden.» (bki)

Forschungsgruppe Umwelt­ und Res­

sourcenökonomie:

www.wsl.ch/

umwelt-ressour- cen-oekonomie

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