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Archiv "Gesundheitsbegriff der WHO: Rückkehr zur Realität" (28.01.1987)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Gesundheitsbegriff der WHO:

Rückkehr zur Realität

Seit dem 22. Juli 1946, als die Verfassung der Weltgesundheitsor- ganisation (WHO) in New York von 61 Staaten verabschiedet wurde, le- ben wir mit dem Gesundheitsbegriff der WHO. In der Präambel jener Verfassung wird definiert: „Health is a state of complete physical, men- tal and social well-being and not merely the absence of disease and infirmity", üblicherweise übersetzt:

„Gesundheit ist ein Zustand völli- gen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechlichkeit".

Daß dieser utopische Begriff von Gesundheit für jedermann auf dieser Erde unerreichbar ist und un- erreichbar bleiben wird, war sicher auch den Vätern dieser Verfassung bekannt, aber eine euphorische Gründerstimmung sieht leicht über solche Utopien hinweg. Und schließlich: Warum nicht eine wenn auch utopische Zielvorstellung, an der sich die Handlungsweise der agierenden Gesundheitspolitiker orientiert oder orientieren sollte?

Seitdem ist deutlich geworden, daß eine so weitgefaßte, eben utopi- sche Definition von Gesundheit eher schädlich als nützlich ist. Sie wird als Begründung für Strukturreformen des Gesundheitswesens, ja als Aus- gangsbasis für gesellschaftliche Um- strukturierungen herangezogen. Sie dient Gerichten als Entscheidungs- grundlage für die Gewährung von Leistungen, auch wenn diese Lei- stungen den Finanzrahmen eines Gesundheitswesens sprengen könn- ten und gesundheitliche Zielsetzun- gen verschieben. Und schließlich er- zeugt diese Definition Unzufrieden- heit, denn wirklich niemand kann je- mals mit sich und seiner Gesundheit zufrieden sein. Wenn dazu auch noch ein „Recht auf Gesundheit"

gesetzlich oder grundgesetzlich fest- geschrieben wird, was bei uns gefor- dert wird und in anderen Ländern verwirklicht ist, dann gibt es in den Forderungen an die Gesellschaft, an den Staat keine Grenzen.

Einen sehr viel pragmatischeren Standpunkt hat die 30. Weltgesund- heitsversammlung im Mai 1977 ein- genommen. Sie nahm eine Ent- schließung an, wonach „das soziale Hauptziel der Regierungen und der WHO in den kommenden Jahrzehn- ten darin bestehen sollte, daß alle Menschen der Welt bis zum Jahr 2000 ein Gesundheitsniveau errei- chen, das es ihnen erlaubt, ein sozial und wirtschaftlich produktives Le- ben zu führen" . Diese Zielvorstel- lung hat wörtlich in die „Einzelziele

für Gesundheit 2000" Eingang ge- funden, die im Jahre 1984 vom Re- gionalkomitee des Europäischen Büros der Weltgesundheitsorganisa- tion verabschiedet worden sind. Es ist eine Zielvorstellung, die der Rea- lität menschlichen Lebens ent- spricht, für die man sich einsetzen kann.

Im November 1986 fand nun in Ottawa/Kanada eine internationale Konferenz über Gesundheitsförde- rung statt. An ihr nahmen 212 Teil- nehmer aus 38 Ländern teil. Sie war gemeinsam von der Weltgesund- heitsorganisation, dem kanadischen Gesundheitsministerium und der Kanadischen Gesellschaft des öf- fentlichen Gesundheitsdienstes ein- berufen worden.

In seiner Eröffnungsansprache verwies Dr. Halfdan Mahler, der Generaldirektor der WHO, auf die Zielvorstellung der Arbeit der Welt-

gesundheitsorganisation, die „Errei- chung eines höchstmöglichen Ge- sundheitszustandes für jedermann".

Die Konferenz verabschiedete dann eine „Ottawa Charta für Gesund- heitsförderung", in der es heißt:

„To reach a state of complete physical, mental and social well-be- ing, an individual or group must be able to identify and to realize aspira- tions, to satisfy needs, and to change or cope with the environment.

Health is, therefore, seen as a re- source for everyday life, not the ob- jective of living. Health is a positive concept emphasizing social and per- sonal resources, as well as physical capacities. Therefore, health promo- tion is not just the responsibility of the health sector, but goes beyond healthy life-styles to well-being."

(Übersetzt: Um einen Zustand voll- kommen körperlichen, physischen und sozialen Wohlbefindens zu er- reichen, müssen Individuen oder Gruppen in der Lage sein, Sehn- süchte zu identifizieren und zu rea- lisieren, Notwendigkeiten zu befrie- digen und die Umwelt zu verändern oder mit der Umwelt zu leben. Ge- sundheit ist damit eine Vorausset- zung für das tägliche Leben, nicht das Ziel unseres Daseins. Gesund- heit ist ein positives Konzept, das so- wohl soziale und individuelle Bedin- gungen als auch körperliche Ge- sundheit zur Voraussetzung hat.

Aus diesem Grund liegt die Förde- rung der Gesundheit nicht allein in der Zuständigkeit des Gesundheits- wesens, sondern führt über eine ge- sunde Lebensführung hinaus zum allgemeinen Wohlbefinden.)

Abgesehen davon, daß in die- sem Satz wie in der gesamten Charta ein gesellschaftspolitischer An- spruch von Gesundheit und Gesund- heitspolitik erkennbar wird, zeich- net sich doch ein Wandel in Defini- tion und Zielvorgabe von Gesund- heit ab: Umfassender auf der einen Seite durch eine Erweiterung in ge- sellschaftliche Dimensionen hinein, enger in der Definition des eigent- lichen Gesundheitsbegriffes. Es ist von Interesse und von Bedeutung, die Entwicklungen in der Weltge- sundheitsorganisation auch in die- sem Bereich zu verfolgen.

Prof. Dr. med. Fritz Beske, Kiel A-184 (16) Dt. Ärztebl. 84, Heft 5, 28. Januar 1987

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