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Archiv "Besonderheiten der Pharmakotherapie im Alter?" (08.09.1995)

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Besonderheiten der

Dieter Platt Pharmakotherapie im Alter?

Friedrich Hartmut Dost — ein Pädiater — prägte in seinem 1953 erschienenen, international wegweisenden Werk „Blutspiegel"

den Begriff der Pharmakokinetik. Dieser Begriff wurde zu einem Grundpfeiler der klinischen Pharmakologie. Während aus nahe- liegenden Gründen in der Medikamentenbehandlung von Kin- dern dieses Buch eine Pflichtlektüre war, fand es offenbar in der Therapie älterer Patienten wenig Beachtung. Aber gerade bei

den multimorbiden geriatrischen Patienten, die mehr als vierzig Prozent aller verordneten Medikamente einnehmen, ist eine ver- änderte Pharmakokinetik und Pharmakodynamik zu erwarten.

Seit 1979, also etwa 25 Jahre nach der Prägung des Begriffs

„Pharmakokinetik" und mit der Einrichtung eines Instituts für Gerontologie in Erlangen-Nürnberg, wird schwerpunktmäßig über Veränderungen bei geriatrischen Patienten geforscht.

A

uf die Bedeutung physiolo- gischer Organveränderungen für die Pharmakokinetik wurde in dem Beitrag „Physiologische Alternsveränderungen und ihre Be- deutung für die Arzneimitteltherapie (D. Platt, Deutsches Ärzteblatt 34/35, 1995, A-2258-2261) hingewiesen. Dar- über hinaus spielt die Multimorbidität im Alter die zentrale Rolle bei der Be- handlung älterer Patienten. Zahlreiche gleichzeitig eingenommene Medika- mente sind im Hinblick auf mögliche Nebenwirkungen wichtiger als das Al- ter an sich. Um Nebenwirkungen und Wechselwirkungen weitgehend zu ver- meiden, zumindest aber einzuschrän- ken, müssen Schwerpunkte in der Pharmakotherapie gesetzt werden.

Im allgemeinen sollte die Phar- makotherapie mit einer niedrigen Dosis (etwa 50 Prozent) begonnen und die Dosis nach Therapieerfolg und Spiegelbestimmung (drug moni- toring) angepaßt werden. Eine weite- re wesentliche Kontrolle stellt die Erfassung der Nierenfunktion dar (Grafik). Sollte die Bestimmung der endogenen Kreatinin-Clearance nicht möglich sein, so ist eine Schätzung der Kreatinin-Clearance nach der Formel von Cockgroft und Gault (1) möglich.

Besonders bei älteren Patienten kann man davon ausgehen, daß die verordneten Medikamente nicht im- mer eingenommen werden. Oft er- folgt diese „Noncompliance" wegen auftretender oder befürchteter Ne- benwirkungen (zum Beispiel durch Informationen auf dem Beipackzet- tel). Meist nimmt der Patient weniger ein als verordnet. Darüber hinaus

können auch Einnahmefehler durch eine zu große Zahl verordneter Medi- kamente entstehen. Bekanntlich läßt außerdem im Alter die Sehkraft, die Feinmotorik und die Merkfähigkeit nach, so daß etwa das Aufmachen von Verpackungen und das Herausneh- men kleiner Tabletten schwierig sein kann. So sind zum Beispiel kindersi- chere Verschlüsse sehr oft von älteren Menschen nicht zu öffnen.

Eine Selbstmedikation im Alter kommt relativ häufig vor. Aufgrund der Multimorbidität werden Medika- ment fast immer von mehreren Ärz- ten gleichzeitig verordnet. Es ist da- her eine gründliche Medikamenten- anamnese erforderlich, vielleicht auch unter Hinzuziehung von Famili- enangehörigen. Um die große Zahl von Medikamenten in der Therapie zu reduzieren, ist hin und wieder — un- ter ärztlicher Kontrolle — ein Aus- laßversuch erforderlich.

Welche Pharmaka werden nun im Alter besonders häufig eingesetzt?

An erster Stelle der Todesursachen stehen Erkrankungen des Herz- Kreislaufsystems. Dies spiegelt sich auch in der Rangfolge der verordne- ten Pharmaka wider.

Glykoside

Es gibt eine Vielzahl von Grün- den für eine Digitalisüberdosierung bei Patienten im höheren Lebensal- Lehrstuhl Innere Medizin und Gerontologie (Direktor: Prof. Dr. med. Dieter Platt) der Uni- versität Erlangen-Nürnberg

ter. So ist die Halbwertszeit verlän- gert, die Plasmakonzentration er- höht — bei einer eingeschränkten Nierenfunktion und einem verrin- gerten Körpergewicht. Seit langem ist bekannt, daß bei gleicher Dosis von Digoxin an junge und ältere Pa- tienten die Plasmaspiegel im Alter fast doppelt so hoch sind. Da gleich- zeitig im Alter die Reizschwelle des Nervus vagus besonders niedrig ist, kann leicht eine Bradykardie auftre- ten, die sich zum Beispiel in Form von Schwindelanfällen äußert. Bei der Herzinsuffizienz kommt neben der Gabe von Digitalis den Diureti- ka eine wichtige Bedeutung zu. Es kann nämlich zu einer Hypokaliämie und einer damit verbundenen gestei- gerten Digitalisempfindlichkeit kommen. Daher ist es erforderlich, die Patienten auf Nahrungsmittel hinzuweisen, die kaliumreich sind (Tabelle 1).

Nebenwirkungen von Digitalis- präparaten sind depressive Verstim- mungen, Verwirrtheitszustände, Seh- störungen und gastrointestinale Be- schwerden. Der Spruch „einmal Di- gitalis, immer Digitalis", der noch vor zwei Jahrzehnten bei den Geron- tologen selbstverständlich war, hat sich inzwischen als falsch erwiesen.

Nach einigen Autoren ist bei Alters- patienten in bis zu 70 Prozent eine Dauertherapie nicht nötig. Digitalis- präparate können — unter ärztlicher Kontrolle — vorübergehend abge- setzt werden.

Wie bereits bei den Digitalis- präparaten erwähnt, spielen im Rah- men der Therapie einer Herzinsuffi-

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30 - 39 40 - 49 50 - 59 60 - 69 70 - 79 80 - 89 90 -100 Alter

Grafik: Kreatinin-Clearance und Plasma-Kreatinin-Konzentration in Abhängigkeit vom Alter (Platt, D., 1989) MEDIZIN

zienz im Alter die Diuretika eine wichtige Rolle. Sie werden nicht nur zur Ausschwemmung von Ödemen bei der Herzinsuffizienz eingesetzt, sondern auch zunehmend bei der Be- handlung der arteriellen Hypertonie

— allein oder in Kombination mit an- deren Pharmaka. Etwa zwei Drittel aller Diuretika-Rezepte werden für Patienten über 65 Jahre ausgestellt (4). Bei kritikloser Anwendung und

mangelnder Kontrolle des Alterspa- tienten besteht die Gefahr, daß durch die zunehmende Kaliumausschei- dung frühzeitige Nebenwirkungen auftreten können. So kann ein Kali- umverlust durch Diuretika negative Effekte am Herzen haben und zu einer gestörten Glukosetoleranz führen. Es gibt allerdings auch kali- umsparende (korrekter: kaliumreti- nierende) Diuretika. Hierzu zählen die Aldosteronantagonisten Spirono- lacton und Kaliumcanrenoat und die zyklischen Amide Amilorid und Triamteren.

DIE UBERSICHT

Mit einer verstärkten Flüssig- keitsausscheidung kann es zu einer Hypovolämie, zum Blutdruckabfall und damit zu einer Erhöhung des Hä- matokritwertes kommen. Damit wird eine grundsätzlich durch längere Bettruhe bereits bestehende Throm- bosegefahr mit einer möglichen Lun- genembolie erhöht. Da das Durstge- fühl mit zunehmendem Alter ab- nimmt, trinken ältere Menschen zu

wenig. Eine Flüssigkeitszufuhr von 2 bis 2,5 Liter pro Tag — bei herzinsuffi- zienten Patienten unter ärztlicher Kontrolle — erscheint sinnvoll.

Antihypertensiva

Bekanntlich nimmt — unabhängig vom Lebensalter — mit zunehmender Höhe des Blutdrucks die Sterblich- keit zu. Auch bei Patienten jenseits des 50. Lebensjahres nimmt das Aus- maß der kardiovaskulären Morbidität und Letalität mit der Höhe des Blut-

drucks zu (3). Bei den 65- bis 75jähri- gen Hochdruckpatienten sind nach der Framingham-Studie Herzinsuffi- zienz und apoplektischer Insult die häufigsten hochdruckbedingten Fol- gekrankheiten.

Auch für ältere Hypertonie-Pati- enten sind die bekannten Prinzipien der Hochdrucktherapie anzuwenden:

Reduktion von Übergewicht, Be- schränkung von Kochsalzzufuhr auf fünf bis sechs Gramm, Pharmako- therapie.

Gelingt es durch Allgemeinmaß- nahmen nicht, eine Normalisierung des Blutdrucks zu erzielen, so sind Pharmaka einzusetzen. Dabei ist je- doch darauf zu achten, daß die Blut- druckwerte langsam gesenkt werden müssen und daß vor allem die Befind- lichkeit des älteren Hypertonie-Pati- enten durch die Behandlung nicht dauerhaft gestört werden darf. So ist bei der Therapie älterer Patienten zu berücksichtigen, daß jenseits des 60.

Lebensjahres ein Stehblutdruck von 160/90 mmHg in der Regel als ausrei- chendes Therapieziel akzeptabel ist (3). Der Grund hierfür sind Verände- rungen der Gefäßwand im Bereich der Arteriolen. Normalerweise kön- nen bei einer Senkung des Blutdrucks die kleinen Gefäße durch Erweite- rung eine Mehrdurchblutung der Or- gane ermöglichen. Dies ist im höhe- ren Alter nicht mehr der Fall. Durch eine Blutdrucksenkung würden die hinter den arteriosklerotisch umge- bauten Gefäßbezirken liegenden Ge- webe schlechter durchblutet und da- mit auch schlechter mit Nährstoffen versorgt. So muß man bei einer zu schnellen und ausgeprägten Blut- drucksenkung damit rechnen, daß Pa- tienten als Folge dieser Blutdrucksen- kung an einem Herzinfarkt oder an einem apoplektischen Insult erkran- ken. Auch eine altersbedingte verän- derte Reaktion der Barorezeptoren und eine Reduktion des peripheren Venentonus sind weitere Faktoren, durch die es bei der Behandlung mit hochdrucksenkenden Medikamenten zu Nebenwirkungen kommen kann.

Die Wahl des Medikamentes sollte so erfolgen, daß orthostatische Kreislaufregulationsstörungen mög- lichst nicht auftreten. Die Blutdruck- senkung sollte über Wochen bis Mo- nate langsam, die Kontrolle des Blut- Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 36, 8. September 1995 (47) A-2333

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drucks nicht nur im Liegen, sondern bei Alterspatienten auch im Stehen erfolgen. Da ältere Patienten, wie bereits erwähnt, viele Medikamen- te gleichzeitig einnehmen, sollte das Therapieschema einfach gehalten werden, wenn möglich auch unter Anwendung von Kombinationsprä- paraten.

Unter den eingesetzten Anti- hypertonika soll kurz auf vier Grup- pen eingegangen werden: 1. Beta-Re- zeptorenblocker, 2. Vasodilatatoren, 3. ACE-Hemmer, 4. Kalziumantago- nisten.

1. Betablocker

Im Vergleich zu jüngeren Patien- ten ist die Blutdrucksenkung durch ei- ne Monotherapie mit Betablockern im Alter geringer (3), so daß es bei äl- teren Hypertonie-Patienten sinnvol- ler wäre, eine Kombinationsbehand- lung mit Beta-Rezeptorenblockern und zum Beispiel einem Diuretikum — bei reduzierter Dosis der Einzelkom- ponenten — anzustreben. Auch ist ei- ne Kombination mit einem Kalzium- antagonisten möglich.

funktion physiologischerweise einge- schränkt. Daher sollte die Dosis der ACE-Hemmer reduziert werden.

4. Kalziumantagonisten

Kalziumantagonisten vom Vera- pamil-Typ haben eine antitachykarde beziehungsweise antiarrhythmische Wirkung auf Vorhof und AV-Knoten.

Somit sollten sie nicht mit einem

Produkt

Bohnen, weiß Erbsen, gelb, geschält Linsen

Kartoffeln, gekocht Vollkornflocken Vollkornbrot Spinat, gekocht Rosenkohl, gekocht Tomaten

Bananen Apfelsinen Trauben

wurde. So fand man verlängerte Halb- wertszeiten bei geriatrischen Patien- ten, unter anderem bei Tetrazyklin, Propicillin, Penicillin und Kanamycin.

Im Rahmen der Multimorbidität nehmen Infektionen im höheren Al- ter einen wichtigen Platz ein, da ne- ben einer herabgesetzten Infektab- wehr auch prädisponierende Erkran- kungen (zum Beispiel Diabetes melli- tus, Divertikulosis, Prostataadenom)

Kaliumgehalt in mg/100 g eßbarem Anteil Tabelle 1

Kaliumgehalte ausgewählter Nahrungsmittel

1300 930 810

400 400 270 324 273 206 382 185 183

2. Vasodilatatoren nach Prof. Dr. I. Elmadfa et al.: Die große GU Nährwerttabelle, Gräfe und Unzer, 1978 (Neuausgabe 1990/91)

Aufgrund des erhöhten periphe- ren Widerstands im höheren Alter scheint nach Lohmann (3) der Einsatz eines Vasodilatators zur Behandlung der Hypertonie im Alter sinnvoll. So stellen die indirekten Vasodilatatoren die alternative Therapiemöglichkeit zu den Beta-Rezeptorenblockern dar, insbesondere dann, wenn eine Kon- traindikation oder Unverträglichkeit für eine Beta-Rezeptorenblockade vorliegt (3).

3. ACE-Hemmer

In den letzten Jahren haben sich in der Therapie der Hypertonie im- mer mehr die ACE-Hemmer be- währt. Da ACE-Hemmer indirekt die Aldosteronsekretion vermindern, kommt es im Organismus zu einer Kaliumkonservierung. Aus diesem Grunde sollten in der Regel ACE- Hemmer zur Vermeidung einer Hyperkaliämie nicht mit einem Kali- um retinierenden Diuretikum kombi- niert werden. Im Alter ist die Nieren-

Beta-Rezeptorenblocker kombiniert werden (3). Kalziumantagonisten vom Dihydropyridintyp wirken nur vaso- dilatativ und sind daher gut kombi- nierbar mit einem Beta-Rezeptoren- blocker.

Eine antihypertensive Kombina- tionstherapie mit zwei verschiedenen Prinzipien bewirkt bei etwa 70 bis 80 Prozent der Hochdruckpatienten eine erfolgreiche Blutdrucksenkung. So sollen nach Lohmann die Kombina- tionen ACE-Hemmer + Saluretikum beziehungsweise ACE-Hemmer + Kalziumantagonisten (insbesondere vom Dihydropyridintyp) eine Re- sponderquote bis zu 90 Prozent ge- zeigt haben.

Antibiotika

Antibiotika zählen zu den ersten Medikamenten, deren Pharmakoki- netik bei älteren Menschen untersucht

eine Rolle spielen. Bei Chemothera- peutika sollte keine Reduktion der Initialdosis erfolgen (2), sondern le- diglich eine Reduktion der Erhal- tungsdosen. Bei ungenügender Initi- aldosis besteht die Gefahr mangeln- der Blut- und Gewebespiegel (2).

Mögliche Arzneimittelnebenwir- kungen im Rahmen einer Pharmako- therapie mit Antidepressiva, Neuro- leptika und Nootropika gehen aus Tabelle 2 hervor.

Compliance im Alter

Besonders bei älteren Patienten hat man davon auszugehen, daß Me- dikamente nicht wie vorgesehen ein- genommen werden. Oft erfolgt diese Noncompliance absichtlich (etwa we- gen auftretender oder befürchteter Nebenwirkungen); meist nimmt der Patient weniger ein als verordnet. An- dere Faktoren, die beim alten Patien-

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EDIZIN DIE UBERSICHT

Mögliche Arzneimittelnebenwirkungen im Rahmen einer Pharmakotherapie bei Alterspatienten

Antidepressiva Trizyklische Antidepressiva

Tranquilizer (Forts.) Diazepam

Amitriptylin

Brotizolam

Clordiazepoxid

Clobazam

Tachykardien, Herzrhythmusstörungen mit Blockbildungen, Extrasystolien und Kammerflimmern. Anticholinerge Effek- te: Austrocknung der Schleimhäute, Ak- kommodationsstörungen, Obstipation, Miktionsstörungen, Gefahr der Glaukom- provokation. Delirante Zustände und par- kinsonähnliche Bilder, Schleimhautulzera Bei älteren Probanden wurden eine ver- längerte Halbwertszeit und eine erniedrig- te Clearance nachgewiesen.

Bei älteren Probanden zeigte sich eine ver- längerte Halbwertszeit.

Bei älteren Patienten waren im Gegensatz zu jüngeren die Plasmakonzentrationen deutlich erhöht.

Orthostatische Kreislaufstörungen, ex- trapyramidal-motorische Syndrome

Bei älteren Patienten waren im Vergleich zu jüngeren die durChschnittlichen Plas- makonzentrationen um den Faktor 1,5-2 erhöht. Unerwünschte Nebenwirkungen traten bei älteren Patienten häufiger und deutlich ausgeprägter auf.

Die mittlere Halbwertszeit von Naftidro- furyl war bei geriatrischen Patienten um das Dreifache verlängert (im Vergleich zu den Daten jüngerer Probanden).

Die Pharmakokinetik wird mehr durch die Multimorbidität als durch das Lebensalter als solches beeinflußt.

Bei älteren Probanden fanden sich eine Verlängerung der Halbwertszeit und eine erniedrigte Clearance.

Bei älteren Probanden waren im Vergleich zu jüngeren Freiwilligen die mittleren Spit- zenkonzentrationen erhöht, die mittlere Clearance erniedrigt.

Bei älteren Probanden fand man eine ver- längerte Halbwertszeit und eine vermin- derte Clearance.

Die Halbwertszeit war verlängert, die Clearance bei älteren Probanden vermin- dert.

Bei älteren Probanden wurde eine deutliche Verlängerung der Halbwertszeit gefunden.

Bei älteren Probanden fanden sich erhöh- te Plasmakonzentrationen, eine Ver- schlechterung der Reaktionszeit und von Gedächtnisfunktionen, im Vergleich zu jungen Probanden.

Nach Langzeittherapie zeigte sich eine Akkumulation vön Diazepam und Desmethyldiazepam im Plasma. Die Halbwertszeit war verlängert.

Mit zunehmendem Lebensalter konnte ei- ne signifikante Zunahme der sedierenden Wirkung nachgewiesen werden; diese Zu- nahme läßt sich durch alternsabhängige Veränderungen der Kinetik nicht erklären.

Bei älteren Probanden wurden eine Ver- längerung der Halbwertszeit und eine ver- minderte orale Clearance nachgewiesen.

Bei gleichen Plasmaspiegeln war die phar- makologische Wirkung verstärkt. Die Re- aktionszeiten waren verlängert.

Bei älteren Probanden zeigte sich eine verminderte Clearance, erhöhte Fraktion von „freiem", nicht an Proteine gebunde- nem Lorazepam. Bei multimorbiden ger- iatrischen Patienten wurde die Pharmako- kinetik nach einer Dauertherapie unter- sucht: Dabei ergab sich eine verlängerte Halbwertszeit im Vergleich zu jungen Pro- banden. Die maximalen Lorazepamspie- gel korrelierten signifikant mit dem Alter der geriatrischen Patienten. Im Vergleich zu Erstapplikation war jedoch nach einer Woche Therapie die Elimination von Lor- azepam beschleunigt.

Nach ein- und mehrmaliger Gabe fand sich eine Verschlechterung der assoziati- ven Gedächtnisfunktionen bei älteren ge- sunden Probanden.

Erniedrigung des Muskeltonus bei Gangstörungen, Darmatonie, Blutdruck- abfall, Vigilanzminderung, Störung des normalen Schlafmusters

Die Halbwertszeit von Midazolam ist bei älteren Probanden signifikant verlängert.

Bei gesunden älteren Probanden ist die Clearance signifikant erniedrigt. Bei älte- ren gesunden Probanden und bei unver- änderten Plasmaspiegeln (im Vergleich zu jungen Probanden) zeigte sich eine Zu- nahme der pharmakologischen Wirkung.

Bei gesunden älteren Patienten fanden sich.

eine massive Beeinträchtigung der psycho- motorischen Aktivität (als Folge erhöhter Plasmaspiegel) und ein erhöhtes Risiko von Stürzen (und Frakturen) beim nächtlichen Aufstehen. Signifikant verminderte Clea- rance bei gesunden älteren Probanden, Als Folge der erhöhten Plasmaspiegel ausge- prägte Einschränkung der Gedächtnisfunk- tionen (im Vergleich zu jungen Probanden) Phenothiazin-

und Thioxanthen- derivate, Butyrophenone Thioridazin

• Nootropika Naftidrofuryl

Piracet am

III Tranquilizer Alprazolam

Bromazepam Desipramin

• Neuroleptika Clozapin

Diazepam und D e smethyldia- zepam (aktiver Metabolit) Flunitrazepam

Loprazolam

Lorazepam

Lormetazepam

Meprobamat Nitrazepam

Midazolam

Triazolam

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 36, 8. September 1995 (51) A-2335

(5)

ten zu einer schlechten Compliance führen können, sind

~ viele Medikamente: Mit der Zahl der einzunehmenden Medika- mente nehmen Einnahmefehler ex- ponentiell zu, besonders Therapieplä- ne mit mehr als vier Medikamenten führen häufig zu Einnahmefehlern;

~ Beipackzettel: das tatsächli- che Risiko der im Beipackzettel auf- zuführenden "typischen" Nebenwir- kungen ist aus der Packungsinforma- tion meist nicht abzuschätzen; ohne spezielle Aufklärung durch den Arzt oder Apotheker werden die aufge- zählten Nebenwirkungen oft überbe- wertet;

~ Merkfähigkeit, Sehkraft und Geschicklichkeit lassen im Alter oft nach. Das Aufbrechen von Blisterver- packungen und das Hantieren mit kleinen Tabletten wird häufig als schwierig empfunden, kindersichere Verschlüsse sind oft auch "altensi- cher";

~ Selbstmedikation und die Medikamente von mitbehandelnden Ärzten komplizieren die Situation zu- sätzlich.

Richtlinien

für die Pharmakotherapie älterer Patienten

Zu Beginn einer Therapie sollte- wie eingangs erwähnt - eine niedrige Dosis (etwa 50 Prozent) gewählt wer- den. Später, je nach Therapieerfolg, ist gegebenenfalls die Dosis anzupassen.

Spiegelbestimmungen ("drug monita- ring") und Messung der Nierenfunktio- nen sind sinnvoll (Grafik). Wenn die Bestimmung der endogenen Kreati- nin-Clearance nicht mögiich oder zu aufwendig ist, kann die Kreatinin-Clea- rance nach der Formel von Cockgroft und Gault (1) geschätzt werden.

Die Anzahl der eingenommenen Medikamente ist ein entscheidender Faktor für

1. das Risiko von Nebenwirkun- gen und Wechselwirkungen sowie

2. Noncompliance und Einnah- mefehler.

Alte Patienten betreiben häufig Selbstmedikation und bekommen oft Medikamente von mehreren Ärzten gleichzeitig verschrieben. Eine aus- führliche Medikamentenanamnese ist

unverzichtbar. Ein einfaches Einnah- meschema verbessert die Compli- ance, Retardpräparate beziehungs- weise Kombinationspräparate redu- zieren die Zahl der Einzeldosen.

Der Therapieerfolg der einzel- nen Medikamente soll in regelmäßi- gen Abständen kritisch beurteilt wer- den. In vielen Fällen ist ein Aus- laßversuch zu vertreten. Auf häufige medikamentenbedingte klinische Bil- der achten: anticholinerges Syndrom, akute Verwirrtheitszustände, Synko- pen und Stürze, Exsikkose.

Kriterien zum Einsatz neuer Medikamente bei geriatrischen Patienten

Bei neuen Arzneimitteln sind die Daten über Pharmakakinetik und -dynamik im Alter oft lückenhaft.

Dies wirkt sich besonders bei der Gruppe der sehr alten (> 80 Jahre), multimorbiden Patienten aus, die mehrere Medikamente gleichzeitig einnehmen. Die Probanden aus der Erprobungsphase des Medikaments und die Patienten, die das Medika- ment einmal einnehmen sollen, unter-.

scheiden sich oft erheblich: Schlüsse von dem einen Kollektiv auf einzelne Patienten sind nur sehr bedingt mög- lich. Um abschätzen zu können, ob ein neues Medikament tatsächlich einen klinisch bedeutsamen Vorteil gegen- über den vorhandenen und schon bes- ser bekannten Substanzen bietet, soll- ten einige Punkte beachtet werden:

C> Pharmakakinetische Kenn-

daten (Bioverfügbarkeit, Verteilungs- volumen, Halbwertszeit, Proteinbin- dung, Eliminationsweg)?

C> Dosierung im Alter, Dosisre-

duktion bei gestörter Nieren- oder Leberfunktion?

C> Auftreten von pharmakolo-

gisch aktiven Metaboliten?

C> Nebenwirkungen oder Inter-

aktionen?

C> Liegen Untersuchungen über

Wirksamkeit und Pharmakakinetik bei alten Patienten vor?

C> Vergleich mit vorhandenen

Präparaten, Preis für eine mittlere Dosierung (Tagestherapiekosten)?

Da Nebenwirkungen eines neuen Medikamentes oft erst während der breiten klinischen Anwendung er-

kannt werden, ist es wichtig, bei alten Patienten systematisch auf uner- wünschte Wirkungen zu achten.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl1995; 92: A-2332-2336 [Heft 36]

Literatur

1. Cockgroft DW, Gault MH: Prediction of creatinine clearance from serum creatinine.

Nephron 1976; 16: 31-41

2. Estler CJ: Antimikrobielle Chemotherapie.

In: Platt D (Hrsg): Pharmakatherapie und Alter-ein Leitfaden für die Praxis. Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, To- kyo, Hong Kong, Barcelona, Budapest:

Springer Verlag, 2. Auflage, 1993

3. Lohmann FW: Hochdrucktherapie. In:

Platt D (Hrsg): Pharmakatherapie und Al- ter - ein Leitfaden für die Praxis. Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, To- kyo, Hang Kong, Barcelona, Budapest:

Springer Verlag, 2. Auflage, 1993 4. Mutschier E, Völger KD: Diuretikathera-

pie. In: Platt D (Hrsg): Pharmakatherapie und Alter - ein Leitfaden für die Praxis.

Berlin, Heidelberg, New York, London, Pa- ris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona, Buda- pest: Springer Verlag, 2. Auflage, 1993 5. Platt D: Pharmakakinetik und -Dynamik.

In: Platt D (Hrsg.): Biologie des Alterns.

Berlin, New York: de Gruyter Verlag, 1991

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Dieter Platt Lehrstuhl Innere Medizin und Gerontologie der Universität Erlangen-N ürnberg

Flurstraße 17 · 90419 Nürnberg

Diskussionsbeiträge

Zuschriften zu Beiträgen im me- dizinisch-wissenschaftlichen Teil-aus- genommen Editorials, Kongreßbe- richte und Zeitschriftenreferate- kön- nen grundsätzlich in der Rubrik "Dis- kussion" zusammen mit einem dem Autor zustehenden Schlußwort veröf- fentlicht werden, wenn sie innerhalb vier Wochen nach Erscheinen der be- treffenden Publikation bei der Medizi- nisch-Wissenschaftlichen Redaktion eingehen und bei einem Umfang von höchstens zwei Schreibmaschinensei- ten (30 Zeilen mit je 60 Anschlägen) wissenschaftlich begründete Ergän- zungen oder Entgegnungen enthalten.

Für Leserbriefe zu anderen Beiträgen gelten keine besonderen Regelungen (siehe regelmäßige Hin-

weise). DÄ/MWR

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