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is 2010 will die Kommission der Eu- ropäischen Union (EU) die Luft- schadstoffbelastung in Europa um bis zu 60 Prozent mindern – bei deutlich strengeren Grenzwerten als bisher vor- gegeben. Da der Kfz-Verkehr als Haupt- verursacher im Mittelpunkt steht, sollen Kraftstoffe und Motoren so verbessert werden, dass weniger Kohlenstoffmon- oxid, Kohlenwasserstoffe, Stickstoff- oxide und lungengängige Feinstäube bei den Verbrennungsprozessen produ- ziert werden. Die in den EU-Richtlini- en definierten Grenzwerte orien- tieren sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Auswir- kungen von Luftschadstoffen auf Gesundheit und Umwelt.Richtlinien wurden im Novem- ber 2000 zu Schwefeldioxid, Feinstaub, Stickstoffdioxid, Blei, Benzol und Koh- lenmonoxid beschlossen (Richtlinie 99/30/EG und 2000/69/EG)*. Diese be- stimmen sowohl einheit- liche Messverfahren als auch die Pflicht, die Be- völkerung zu informieren.
Die Grenzwerte müssen innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umge- setzt werden. Am 18. Sep- tember 2002 sind in Deutsch- land neue Luftreinhaltevorschrif- ten in Kraft getreten. Die Grenz- werte dürfen spätestens ab 2005 beziehungsweise ab 2010 nicht mehr überschritten werden. Da die Einhaltung der Grenzwerte mit erheblichen umwelt- und messtechni- schen Investitionen verbunden sein wird, wurden trotz des aktuellen Ge- sundheitsrisikos relativ lange Fristen und Toleranzmargen vorgesehen.
Im Gegensatz zu Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Kohlenmonoxid lie- gen die Feinstaubbelastungen in Deutsch- land noch häufig über den ab 2005 ge- forderten Konzentrationen. Damit die
Industrie technische Maßnahmen im In- dustriebereich ergreifen kann, hat das Umweltbundesamt 1999 in einer Studie die Korngrößenverteilung der industri- ellen Feinstaubemissionen untersucht.
Kohlekraftwerke und Schwerölfeue- rungsanlagen geben bis zu 90 Prozent lungengängige Feinstäube in ihrem Ge- samtstaub an die Luft ab.
Staubpartikel können aus Verbren- nungsprozessen, Produktions- und Verarbeitungsprozessen sowie aus Bodenauswehungen stammen. Die Wirkung auf die Gesundheit hängt von der Zusammensetzung und der Korngröße ab. Partikel mit mehr als 10 µm Durchschnitt ge- langen nur in den Nasen-Ra- chen-Raum und werden von den Schleimhäuten aufgefan- gen. Partikel kleiner als 10 µm sind lungengängig und kön- nen zu Gesundheitsschäden führen: Angelagerte Schad- stoffe wie Schwermetalle und Kohlenwasserstoffe verblei- ben in der Lunge und ru- fen Zellschäden hervor.
Besonders empfindlich rea- gieren Herz-Kreislauf- Kranke, Asthma- und Lun- genkranke, Kinder und al- te Menschen. Bei Über- schreitung des Grenzwer- tes von 50 µg/m3im Tagesmittel (24-h-Wert) sollten Aktivitäten im Freien eingeschränkt werden.
Besonders Dieselabgase beinhalten einen großen Anteil toxischer Feinstäu- be in Form von Ruß. Dieselrußpartikel kleiner als 10 µm gelten seit langem als lungenschädigend und krebserregend.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) prognostiziert für Deutschland rund 8 000 Todesfälle im Jahr aufgrund von Krebserkrankungen, verursacht durch Dieselruß. Der Grenzwert von 50 µg/m3 T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 31–324. August 2003 AA2059
Umwelt und Gesundheit
Gesetze machen noch keine gute Luft
Die Gefahr, an Schadstoffbelastungen in der Luft zu erkranken, ist trotz Grenzwerten größer geworden. Hauptverursacher ist der Kraftfahrzeugverkehr – auch mit Katalysatortechnik.
An rund 90 Prozent der 300 Messstationen wurden gesundheitsrelevante Grenzwert- überschreitungen registriert. In Berlin und Bay- ern wurde bei Tageswerten (24-h-Wert) über 150 µg/m3 der EU-Grenzwert von 50 µg/m3 zeitweise um 200 Prozent überschritten. Stun- denweise wurden Spitzenkonzentrationen über 300 µg/m3gemessen. Quelle: Georisk
Feinstaubbelastung:
höchste Tageswerte 24. 2. – 2. 3. 2003
*Zu finden im Internet unter: www.europa.eu.int/eur- lex/de/consleg/main/1999/de_1999L0030_index.html
wurde festgelegt, weil die WHO ab ei- ner lungengängigen Rußkonzentration von 50 µg/m3mit dem Tod von vier pro einer Million Menschen rechnet. Nicht nur der drastische Anstieg der Diesel- fahrzeuge wird zu einer Verschärfung der gesundheitlichen Folgen führen, sondern auch krebserregende und erbgutverändernde Gifte (Di- nitropyren, 3-Nitrobenzanthron), die in LKW-Abgasen nachgewie- sen werden können. Chemische Reaktionen in der Umgebungs- luft und mit anderen Luft- schadstoffen geben Hin- weise auf eine neue, in klein- sten Dosierungen schädli- che Luftschadstoffgenera- tion. Für Ruß liegt der Zielwert/Jahresmittel bei 1,5 µg/m3 nach dem Länder- ausschuss für Immissions- schutz (LAI). Der Orientie- rungswert/Jahresmittel liegt bei 8 µg/m3 nach Bundes- immissionsschutzverordnung.
Zum Vergleich: In Berlin wur- den im Februar 2003 an Straßen- stationen Rußkonzentrationen bis 17 µg/m3 gemessen.
Nichts verdeutlicht das Grenz- wertdilemma mehr als das Beispiel Ozon. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) gibt in seinen Richtlinien (VDI 2310) als maximale Ozonkonzentration für eine halbe Stunde 120 µg/m3an. Die in der Richtlinie angegebenen Werte wer- den so festgelegt, dass „Gefahren (. . .) für den Menschen insbesondere für Kin- der, Kranke und Alte“ auszuschließen sind. Bei den VDI-Richtlinien handelt es sich um rein wirkungsbezogene wissen- schaftlich und medizinisch begründete und aus praktischen Erfahrungen abge- leitete Werte. Sie berücksichtigen nicht die technische Realisierbarkeit. Die EU- Richtlinien geben einen Zielwert für das Jahr 2010 zum Schutz der Gesundheit von 120 µg/m3als 8-h-Mittelwert vor. Das heißt: Die Konzentrationen können in- nerhalb einer Stunde über 200 µg/m3 oder als 8-h-Dauerbelastungen von 120 µg/m3auftreten. Der Wert darf höchstens an 20 Tagen im Jahr überschritten wer- den.Ab einer 1-h-Konzentration von 180 µg/m3wird die Bevölkerung dann infor- miert, beziehungsweise ab 240 µg/m3 wird die Alarmschwelle erreicht. In der
Schweiz darf der 1-h-Wert von 120 µg/m3 einmal im Jahr überschritten werden.Die Bundesimmissionsschutzverordnung sah bisher einen 8-h-Schwellenwert von 110 µg/m3 für den Gesundheitsschutz vor. Dieser Schwellenwert wurde um 10 µg/m3erhöht und somit die Anforde- rung an die Luftqualität zurückgesetzt.
Konkrete Maßnahmen, die bei Über- schreiten des Schwellenwertes zu ergrei- fen sind, sind in den EU-Richtlinien nicht genannt.
Ozon ist ein Reizgas, das aufgrund der geringen Wasserlöslichkeit tief in die Lunge eindringt und Entzündungen hervorruft. In Abhängigkeit von Kon- zentration und Belastungsdauer kann Ozon Husten, Augenreizungen, Kopf-
schmerzen, Atemschmerzen und Lun- genfunktionsstörungen verursachen. Re- aktionen treten bei circa 20 Prozent der Bevölkerung auf und sind indivi- duell sehr unterschiedlich. Intensive Sonneneinstrahlung und hohe Temperaturen begünstigen zu- sammen mit hohen Stickstoffdio- xidkonzentrationen die Ozon- bildung. Rund 70 Prozent der Stickstoffoxide werden durch die Abgase von Kraftfahrzeu- gen produziert.
Der Kraftfahrzeugverkehr ist die Hauptursache von Kohlenwasserstoffbelastungen wie zum Beispiel Benzol. Bei der unvollständigen Ver- brennung der Kraftstoffe wird Benzol direkt freige- setzt. Neben dem Kfz- Verkehr treten besonders starke Benzolbelastun- gen bei Tanklagern, Ko- kereien und Raffinerien auf. Benzol kann Verän- derungen des Blutbildes, Zell- schäden, Knochenmarkschäden und Blutkrebs hervorrufen. Es gibt keine unschädliche Dosierung, keinen Schwel- lenwert, unter dem kein Risiko auftritt.
Die Wirkung der Abgasminderungs- techniken, wie zum Beispiel der Kataly- satortechnik, wird sehr unterschiedlich bewertet. Ungünstige Motorbelastung (Kaltstart, Staufahrten), Fehleinstellun- gen oder ungünstige Kraftstoffgemische können zu einem extremen Anstieg der Kohlenwasserstoffemissionen ein- schließlich Benzol führen. Insbesondere in Fahrzeuginnenräumen wurden hohe Benzolkonzentrationen gemessen. Der Zielwert nach LAI sollte im Jahresmit- tel 2,5 µg/m3 nicht überschreiten. Der EU-Grenzwert sieht ab 2010 einen Jah- resmittelwert von 5 µg/m3 vor.An Koke- reistandorten wie Duisburg, Dortmund, Bottrop und Castrop-Rauxel wurden im Mai Benzolkonzentrationen über 50 µg/m3 registriert. An Verkehrsstationen in den Städten und an Autobahntrassen treten derzeit Konzentrationen bis 20 µg/m3 auf.
Georgia Kiegelmann Georisk GmbH
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A2060 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 31–324. August 2003
Die höchste Ozonkonzentration wurde in Ba- den-Württemberg registriert. In Mannheim stieg sie auf 275 µg/m3 an (VDI-Richtwert 120 µg/m3). Bei gleichzeitigem starken Pol- lenflug kann mit einer Zunahme an allergi- schen Erkrankungen und Asthma gerechnet
werden. Quelle: Georisk
Ozonbelastung:
Maximalwerte 9. – 15. 6. 2003