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Archiv "Pflegekosten: Keiner will sie tragen" (09.03.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Politik

Pflegekosten: Keiner will sie tragen

E

ine tragfähige, ordnungs- politisch vertretbare und auf Dauer finanzierbare Lösung eines „großen sozial- politischen Problems dieses Jahrhunderts", des Pflege- fallrisikos, ist noch nicht in Sicht. Anleihen aus dem be- nachbarten Ausland (das viel- zitierte niederländische Mo- dell!) wurden bemüht. Eine Frage muß in jedem Fall schlüssig beantwortet wer- den: nämlich die nach der Fi- nanzierbarkeit.

Bei der Durchmusterung der Vorschläge und Wunschvor- stellungen muß man aller- dings feststellen, daß es zwar an Ideenreichtum nicht ge- fehlt hat, daß aber die Solidi- tät der Finanzierungsrech- nungen vielfach noch zu wünschen übrig läßt.

Weder Bonn noch die Bun- desländer haben bislang den Weg zwischen Skylla und Charybdis aufzeigen können.

Mangels finanzieller Masse sowohl in den Sozialkassen als auch in den Kassen der öffentlichen Hände dürfte dies auch künftig recht schwierig sein.

Ungeachtet dessen gehen die Kontroversen unvermin- dert quer durch die Parteien weiter. Während der hessi- sche Sozialminister Armin Clauss (SPD) die Bundesre-

gierung zur Eile gemahnt und Sofortmaßnahmen

verlangt hat, kochen die Sprecher der Regierungsparteien im Ge- gensatz zu früher jetzt auffäl- lig auf „Sparflamme".

Hat die FDP-Bundestagsfrak- tion noch vor nicht allzulan- ger Zeit Pläne favorisiert, das Pflegerisiko in die GKV ein- zubeziehen (ob mit Refinan- zierung oder Kostenersatz durch Dritte blieb noch of- fen), oder eine eigenständige soziale Pflegekostenversi- cherung als Teil der Sozial- versicherung zu etablieren, so werden solche Projekte wegen der enormen Kosten- dynamik heute als „nicht rea- lisierbar" eingestuft. Die FDP-Generalsekretärin Dr.

Irmgard Adam-Schwaetzer MdB empfiehlt statt dessen ein „ganzes Bündel dezen- traler Maßnahmen, die bes- ser auf den Einzelfall abzu- stimmen sind". Dies sei auch

gerechter und ein richtiger Weg, um die Hilfe zur Selbst- hilfe (Subsidiarität) und Ei- genverantwortung zu verstär- ken. Sehr spät hat die FDP of- fenbar eingesehen, daß man nicht im Zuge des Reform- werks die Eigenhilfe, Famili- en- und Nachbarschaftshilfe ohne zwingenden Grund über Bord werfen sollte.

Auch die anderen weitrei- chenden negativen Folgen einer eigenständigen Pflege- versicherung haben die Poli- tiker offenbar veranlaßt, zu- rückzustecken: Es ist gar kein Zweifel, daß eine Pflege- versicherung, ist sie erst ein- mal auf gesetzlicher Basis eingeführt und mit finanziel- len Mitteln ausgestattet, ei- nen Nachfragesog auslösen würde. Dort, wo Pflegelei- stungen angeboten werden, werden sie sicherlich, und nicht zu knapp, auch nachge- fragt — mit wachsender Dyna-

Die Diskussion um eines der heikelsten sozial- und ge- sundheitspolitischen Projekte der letzten Jahre tritt in eine „heiße" Phase: Noch im März, so schätzt das Bun- desministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, wohl optimistisch, wird der bereits Ende 1983 überfällige Expertenbericht über „Alternative Möglichkeiten zur Ab- sicherung des Pflegerisikos" überkommen. In der Tat laufen die Pflegekosten schon lange aus dem Ruder. Die Parteien und „gesellschaftlich relevanten Gruppen" ha- ben die Dringlichkeit des Problems offenbar erkannt.

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 10 vom 9. März 1984 (13) 669

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Pflegekosten

mik. Der „Kostenschub" nach Einführung einer solchen Novität ist mit mehr als 50 Prozent gegen- über dem bisherigen Volumen zu veranschlagen! Ein Bereich, der bislang noch der personalen Für- sorge der unmittelbar Betroffe- nen und nächsten Angehörigen weitgehend vorbehalten war, würde so anonymisiert. Ein gutes Stück an Humanität würde preis- gegeben, wiewohl nicht zu be- streiten ist, daß die explosionsar- tig gewachsenen Pflegekosten, die besonders für in Heimen un- tergebrachte alte Menschen ent- stehen, die Finanzkraft des ein- zelnen und der Kleingruppe übersteigen. Aber, und dies gilt es zu bedenken: Eine eigenstän- dige gesetzliche Pflegeversiche- rung kann ebenso die Finanzkraft der großen Solidargemeinschaft überfordern, die Politiker veran- lassen, sie in eine umfassende Volksversicherung einzuglie- dern oder umzuwandeln — mit al- len negativen Begleiterschei- nungen (Gefahr der Zentralisie- rung, eines überzogenen Finanz- ausgleichs, einer Aushöhlung der dezentralen, gegliederten Sozialversicherung und einer da- mit verbundenen Verschiebung und Verwischung der Finan- zierungsverantwortung).

Um nicht weiter auf der Stelle zu treten, haben sich die CDU und die FDP für eher realisierbare, aber nicht so kostenträchtige Maßnahmen starkgemacht: Frau Adam-Schwaetzer empfiehlt als Vorabregelungen und als „flan- kierende Maßnahmen" einer später zu vollziehenden Gesamt- lösung dezentrale Hilfestellun- gen: Förderung beim Aufbau von Wohnungseigentum speziell für Pflegebedürftige und für alte chronisch kranke Menschen;

Ausbau der Sozialstationen, Bau von Altenwohnungen und -hei- men sowie steuerliche Erleichte- rungen für jene Familien, die tat- kräftig Altenpflege „in den eige- nen vier Wänden" betreiben.

Auch das Bundesgesundheitsmi- nisterium setzt auf verbesserte

ambulante Dienste und eine nachhaltige Förderung auch der freien Träger durch die Kommu- nen. Ein spezielles Modellpro- gramm des Ministeriums sieht die Verstärkung der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung vor.

Auch die CSU lehnt eine eigen- ständige Pflegekostenversiche- rung ab. Der gesundheitspoliti- sche Sprecher der CSU-Landes- gruppe im Bundestag, Dr. Kurt Faltlhauser, favorisiert ein Mo- dell, das die Pflegekosten auf drei Finanzierungssäulen verteilt:

Die gesetzliche Krankenversi- cherung soll nach Maßgabe des 185 RVO „Hauptträger der Pfle- gekosten" werden. Die GKV-Fi- nanzierung soll dabei vorrangig für die laufende Finanzierung eingespannt werden. Der investi- ve Teil der Krankenpflege soll wie bisher durch die öffentliche Hand getragen werden. Als dritte Säule schwebt der CSU eine „sozial eingegrenzte Eigenbeteiligung"

vor, die insbesondere die soge- nannten Hotelkosten abdeckt.

Schrittmacherrolle der Caritas?

Durch diese Direktbeteiligung und Zubuße soll eine „steuernde Wirkung zugunsten ambulanter Altenpflege" erreicht werden.

Die Realisierung dieses Kon- zepts müsse beachten, daß aus der Lastenumverteilung des Pfle- gerisikos keine zusätzlichen Bei- tragssteigerungen der GKV-Ver- sicherten resultieren. Dieses Ziel sei dadurch zu erreichen, daß die jetzt „systembedingte Fehlbele- gung" von Akutkrankenhäusern mit Pflegefällen reduziert und überzählige Betten für den Pfle- gebereich „umgewidmet" wer- den. Die Reform des Kranken-

hausfinanzierungsgesetzes müsse einen solchen Trend un- terstützen.

Ferner müsse der ambulanten Al- tenpflege im Rahmen der Versor- gung durch Sozialstationen Vor-

rang eingeräumt werden. Gleich- zeitig befürwortet die CSU eine bessere Verzahnung aller ambu- lanten Hilfsmaßnahmen der frei- en Träger.

Unterdessen hat der Deutsche Caritasverband „Nägel mit Köp- fen gemacht". In diesen Tagen kündigte er an, in Kürze seinen 300 000 Mitarbeitern eine Pflege- versicherung auf „solidarischer

Basis" zu offerieren. Die Beiträge sollen ohne jede Unterstützung durch den Staat, den Verband oder andere Organisationen auf- gebracht werden. Die Begrün- dung der Caritas: 80 Prozent der über 65jährigen müssen damit rechnen, während ihres Lebens- abends zwei bis drei Jahre pfle- gebedürftig zu sein; drei Viertel erwartet sogar eine schwere Pfle- gebedürftigkeit von durch- schnittlich einem Jahr. Diese ver- ursacht Kosten von 15 000 bis 20 000 DM im Jahr zusätzlich zu den allgemeinen Lebenshal- tungskosten. Das Modell sieht ei- ne Basispflichtversicherung und weitere Zusatzbausteine vor, die freiwillig gewählt werden kön- nen. Je nach dem Grad der Siche- rung und nach dem Eintrittsalter glaubt man mit Beiträgen zwi- schen 10 und 55 DM monatlich auszukommen. Noch offen läßt es die Caritas, ob der Verband das Projekt in eigener Verantwor- tung betreibt oder aber einen pri- vaten Versicherungsträger zur Abwicklung in Anspruch nimmt.

Diese Interessen treffen sich mit denen privater Versicherungen:

Die Hallesche-Nationale Kran- kenversicherung will noch 1984 ein spezielles Tarifangebot offe- rieren. Pionierarbeit hat auch die Bayerische Versicherungskam- mer geleistet; sie bietet bereits seit Mai 1978 einen Pflegekosten- geldtarif an.

Das Spiel ist noch offen. Bisher ist nicht abzusehen, ob selbstge- stalterischen Initiativen Vorrang vor allumfassenden und gesetz- lichen Regelungen gegeben wird. Dr. Harald Clade 670 (14) Heft 10 vom 9. März 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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