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FS IV 91 - 34

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(1)

FS IV 91 - 34

D er institutioneile Rahm en des A ktienm arktes in Japan:

Besthnmungsgründe der M arktentwicklung

Stefan O. Georg

Dezember 1991 ISSN Nr. 0722-6748

Forschungsschwerpunkt M arktprozeß und U nter­

nehm ensentwicklung (HMV) Research U nit

M arket Processes and

Corporate D evelopm ent (HM)

(2)

Japan: Bestimmungsgründe der Marktentwicklung,

Discussion Paper FS IV 91 - 34, Wissenschaftszentrum Berlin, 1991.

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH, Reichpietschufer 50, W-1000 Berlin 30, Tel. (030) 2 54 91 - 0

(3)

Der institutionelle R ahm en des Aktienmarktes in Japan: Bestim m ungsgründe der M arktentwicklung

In diesem Beitrag wird gezeigt, wie weitgehend sich der japanische A k tienm arkt in sei­

nem institutionellen Rahmen von anderen Aktienmärkten unterscheidet. Eine Bewer­

tung mit dem üblichen "westlichen" Instrumentarium wird durch die Vielzahl von Ei­

gentümlichkeiten verzerrt Demzufolge muß. die Aktienkursentwicklung in Japan im wesentlichen vor dem Hintergrund des - für Japan spezifischen - institutioneilen Rah­

mens verstanden werden, da die Kursentwicklung von den institutionellen Faktoren be­

einflußt wird. Es werden die Elemente des institutionellen Rahmens aufgezeigt und analysiert, von denen angenommen werden kann, daß sie E influß auf die Aktien­

kursentwicklung haben. Von besonderer Bedeutung erscheint dabei die Struktur der Börsenorganisation, die durch Preisgrenzen und "Wellenbrecher" sowie durch weitere regulatorische Elemente Kursstürzen entgegen wirkt Weiterhin wirkt sich die oligopo­

listische Marktstruktur mit der Dominanz von vier großen Wertpapierhäusern erheblich auf das Marktverhalten aus. Von großer Bedeutung ist ebenfalls der Einfluß des Fi­

nanzministeriums, das nicht nur die Kursentwicklung auf vielfältige Weise beeinflußt, sondern auch die Struktur des Aktienmarktes entscheidend geprägt hat. Desweiteren wirken die wechselseitigen Untemehmensbeteiligungen wesentlich auf die Kursent­

wicklung ein. Es wird gezeigt, daß ein zutreffendes Verständnis der japanischen Ak­

tienkursentwicklung ohne eine explizite Berücksichtigung des institutioneilen Rahmens nahezu unmöglich erscheint.

(4)

The Institutional Fram ework o f the Stockm arket in Japan: A D eterm inate o f the M arket Behavior

This paper shows to what extent the institutional framework of the Japanese stockmarket differs from that of other stockmarkets. An evaluation with a typical

"western" set of instruments would be distorted, because of numerous Japanese peculiarities. Therefore, movements in stock prices must be examined against the specific Japanese institutional background. Elements of this institutional framework, which are assumed to have important influence on the evolution of stock prices, will be described and analysed. Of special importance in this regard is the organizational structure within the Japanese stock exchanges operate. "Price boundaries", "circuit breaker" mechanisms, and other regulatory tools are used to prevent sharp drops in stock prices. In addition, the oligopolistic nature of the market (owing to the dominant role exercised by the "Big Four" securities houses), and the influence of the Ministery of Finance, also play important roles in shaping the market behavior. The Ministery of Finance not only operates in a variety of ways to influence price movements, but has as well had a major impact on the market structure. Finally, mutual share-holding of firms is another essential factor underlying price trends. This paper will show that a satisfactory understanding of the behavior of the Japanese stock market is only possible after the market's institutional structure has been explicitly addressed.

(5)

Bestimmungsgründe der Marktentwicklung

I. Problemstellung II. Die Marktentwicklung

1. Die Marktaufteilung

2. Historische Entwicklung der Kurse 3. Analyse der Kursbewegungen 4. Analyse des Kursniveaus

5. Bewertung der Kursentwicklung HI. Formale institutionelle Faktoren

1. Die Organisation des Aktienhandels a. Die Aufbauorganisation der Börse b. D er Ablauf von Transaktionen c. Die Überwachung des Aktienhandels d. Bewertung der Börsenorganisation 2. Bestimmungen zum Insider Trading 3. Relevante Elemente des Steuersystems 4. Das Trennbankensystem

5. Beteiligungsbeschränkungen

6. Die Rechnungslegung der Unternehmen a. Konsolidierung

b. Reserven

c. Abschreibungen d. Publizitätspflichten IV. Informale institutioneile Faktoren

1. Marktstrukturelemente

a. Die Dominanz der Großen Vier b. Die Rolle des F in a n z m in is te r iu m s

c. Das Sparverhalten der Individuen

Seite 1 3 3 5 7 12 14 15 15 15 16 18 19 20 20 22 22 23 23 23 24 24 25 25 25 26 28

(6)

b. Das Finanzierungsverhalten der Unternehmen 31 c. Die Dividendenpolitik der Unternehmen . 34

d. Zaiteku 35

3. Marktirregularitäten 37

a. Insider Trading 37

b. Die Bedeutung der Spekulanten 38

c. D er Einfluß der Unterwelt 39

Exkurs: Der aktuelle Reimbursement-Skandal 40

V. Fazit 42

Methodische Anmerkungen 44

VI. Literatur 45

Anhang :

Anhang I: Die Marktteilnehmer Seite I

1. Die Wertpapierhäuser I

2. Individuelle Anleger I

3. Die Finanzinstitutionen II

a. Die Banken II

b. Die Versicherungen m

c. Investment Trusts IV

d. Wertpapier-Finanzierungsgesellschaften IV

4. Die Unternehmen V

5. Die Regierung V

6. Die Ausländer V

7. Die Pensionsfonds VI

Anhang II: Tabellenanhang VH

(7)

BörsG Börsengesetz

CORES Computer-assisted Order Routing and Execution System EPA Economic Planning Agency

FORES Floor Order Routing and Electronic System

JAL Japan Airlines

JSDA Japanese Securities Dealers Association KGV Kurs-Gewinn-Verhältnis

LSE London Stock Exchange

NTT Nippon Telegraph and Telephone NYSE New York Stock Exchange

OECD Organisation for Economic Cooperation and Development

OSE Osaka Stock Exchange

SEC Securities Exchange Commission TOPIX Tokyo Stock Price Index

TSE Tokyo Stock Exchange

WPG Wertpapier- und Börsengesetz

Abbildungsverzeichnis:

Abb. 1 Aktienhaltung der Unternehmen und der Individuen Seite 4

A bb.2 Aktienhaltung nach Investoren im Jahre 1990 5

Abb. 3 D er Nikkei-Aktienindex im Zeitablauf 6

Abb. 4 Quantifizierung der kursbestimmenden Faktoren 9

Abb. 5 D er langfristige Zusammenhang von Zinsniveau, Aktienkursen und Bodenpreisen (1970-1990)

11 Abb. 6 Der mittelfristige Zusammenhang von Zinsniveau,

Aktienkursen und Bodenpreisen (1982-1988)

12 Abb. 7 Internationaler Vergleich der Kurs-Gewinn- Verhältnisse 13 Abb. 8 Aufteilung des Vermögens der japanischen Individuen

im Jahre 1989

29

Abb. 9 Eigenkapitalquoten 33

(8)

I. Problemstellung

D er japanische Aktienmarkt fand in den vergangenen Jahren immer mehr Beachtung.

Der steile und fortdauernde Anstieg der Aktienkurse überstieg bei weitem die Ent­

wicklung an anderen Börsen.

Selbst nach dem Börsencrash vom 19. Oktober 1987 erholte sich die Börse in Tokyo schneller als jeder andere Finanzplatz der Welt.

Der TOPIX1 stieg in den vier Dekaden seit Wiedereröffnung des Tôkyô Shöken Torihikijö (Tokyo Stock Exchange, abgekürzt TSE) am 1.4.1949 um das 240fache, wo­

hingegen der Standard & Poor’s Index der New York Stock Exchange (NYSE) in der­

selben Zeit lediglich um das 20fache wuchs.2

Betrug die Kapitalisierung der TSE im Jahre 1949 gerade 0,122 Billionen Yen, so war der Marktwert im Jahre 1989 auf 611 Billionen Yen angestiegen3 und überholte damit erstmalig die NYSE. Damit wurde die TSE die größte Börse der Welt; ihre Kapitalisie­

rung entsprach 45 % vom Marktwert des weltweit vorhandenen Aktienkapitals. Im Ver­

gleich zur TSE betrug der Marktwert der NYSE 1989 ca. 415 Billionen Yen, der ent­

sprechende Wert für die Frankfurter Börse belief sich auf lediglich 47 Billionen Yen.4 * Es fand eine weite Diskussion um die Ursachen dieser Entwicklung, die auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar erschien, statt.

Zielinski und Holloway seien zitiert: "Despite its prominence in the world finance, the Tokyo Stock Exchange remains an enigma to many investors, both at home and abroad. '6

Es wurden die verschiedensten Behauptungen und Vermutungen zur Erklärung des ja­

panischen Aktienmarktes aufgestellt. Als Beispiel sei an dieser Stelle die Verschwö­

rungstheorie von van Wolferen genannt6 Weit verbreitet war - und ist bis heute - der achselzuckende Hinweis auf die Irrationalität des japanischen Aktienmarktes, oder wie es Kostolany formuliert: "Was noch alles kommen kann, bleibt für uns westliche Anleger ein fernöstliches Rätsel."7

Der TOPEX (Tokyo Stock Price Index) ist neben dem Nikkei-Index der zweite offizielle Aktienindex und umfaßt alle an der ersten Sektion der TSE notierten Werte.

Eigene Berechnungen.

Tôkyô Shöken Torihikijo Chösabu 1991a, Band 1, S. 10,362f.

Eigene Berechnungen.

Zielinski/ Holloway 1991, S. 5.

Van Wolferen gibt als Erklärung: "...that the administrators in the banks, the ministries and the corporations have discovered a way o f making money with money by agreeing not to spoil the party for each other." (Van Wolferen 1989, S. 401)

Kostolany, André: Capital 6/1990, S. 83.

(9)

In A n le h n u n g an Matsumoto, der ausführt: 'There is nothing unique about share-price be­

haviour in Japan. "8 soll in dieser Arbeit unter anderem gezeigt werden, daß der japani­

sche Aktienmarkt grundsätzlich wie jeder andere Aktienmarkt funktioniert.

Dies bedeutet jedoch nicht, daß alle Aktienmärkte identisch sind und sich gleichförmig entwickeln. Auch ist es nicht Intention der Arbeit, eine weitere theoretische Untersu­

chung zur Vollkommenheit der Kapitalmärkte zu liefern. Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen die institutionellen Faktoren des Marktes.

D er institutionelle Rahmen wird hier verstanden als die Struktur von Institutionen auf dem Aktienmarkt und deren Wechselwirkungen untereinander.9

Gerade für Japan werden oft kulturelle Faktoren in diesem Zusammenhang als bedeut­

sam herausgestellt. Eine solche Vorgehensweise birgt jedoch die Gefahr in sich, zu vage zu bleiben. Es soll nicht geleugnet werden, daß kulturelle Besonderheiten eine Rolle spielen. Man k a n n jedoch von der Annahme ausgehen, daß sie sich in den institutionel­

len Faktoren widerspiegeln.

Daß die institutionellen Rahmenbedingungen an den nationalen Börsen stark vonein­

ander abweichen, hat auf eindringliche Weise auch der aktuelle Reimbursement-Skan- dal um die japanischen W ertpapierhäuser gezeigt.10

Die oben dargelegten Überlegungen führen zum Kern der Arbeit, der sich in folgender These manifestiert:

These:

Die Aktienkursentwicklung in Japan muß im wesentlichen vor dem Hintergrund des - für Japan spezifischen - institutionellen Rahmens verstanden werden, da die Kursent­

wicklung von den institutioneilen Faktoren beeinflußt wird.

An späterer Stelle wird noch deutlich werden, daß eine Vielzahl von Eigentümlichkeiten des japanischen Wertpapiermarktes existiert, die eine Bewertung mit dem üblichen

"westlichen" Instrumentarium verzerrt erscheinen lassen. Den häufig unbefriedigenden Analyseergebnissen zum Trotz liegen bisher kaum Untersuchungen über die institutio­

neilen Rahmenbedingungen des japanischen Aktienmarktes vor. Selbst von japanischer Seite existieren sehr wenige Arbeiten zu diesem Thema.11

Matsumoto 1989, S. 8.

Institutionen werden hier in Anlehnung an Helmut Schelsky verstanden als "’Funktionssynthesen’, (th. polyfunktionale, vielschichtig-elastische, nicht monofunktionale, soziale Gebilde". Vgl. Wörter­

buch der Soziologie (hrsg. von Endruweit, Günter und Gisela Trommsdorff: Stuttgart 1989).

Ausführlich im Exkurs zum Skandal

Auskunft von Professor Mori Akio, Universität Kobe, Interview vom 29.7.1991.

(10)

Um den institutioneilen Rahmen faßbarer aufzubereiten, wird hier eine Aufteilung in formale und informale institutionelle Faktoren vorgenommen. Gerade die letzeren sind von besonderer Bedeutung, was später noch gezeigt wird.

Abschließend sei darauf hingewiesen, daß diese Arbeit sich ausschließlich auf den Ak­

tienmarkt beschränkt und andere Aspekte des Wertpapiermarktes nicht berücksichtigt.

H. Die Marktentwicklung

1. Die Marktaufteilung

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die großen japanischen Firmenkonglomerate (zaibatsu) zerschlagen.12 Vor ihrer Auflösung hielten die vier größten zaibatsu ca. 25 % des ausstehenden Aktienkapitals in Japan.

Die Zerschlagung der zaibatsu erfolgte durch die formale Entflechtung der Untemeh- mensgruppen, sowie durch den Verkauf des Aktienbesitzes an das Publikum.13 Durch diesen Schritt der amerikanischen Besatzungsmacht wurden die individuellen Anleger zur Gruppe mit dem größten Aktienbesitz (mit einem Anteil von 69,1 %).

Wie in Abbildung 1 zu sehen ist, war im Verlauf der Nachkriegszeit ein steter Rückgang der privaten Aktienhaltung zu verzeichnen, währenddessen der Anteil der Unternehmen an der Aktienhaltung immer weiter anstieg.14

Dieser Schritt schien notwendig, da die zaibatsu vor und während des Krieges die japanische Wirt­

schaft kontrolliert hatten. Unter zaibatsu versteht man große Unternehmensgruppen in Familien­

hand, die um eine Bank oder ein Handelshaus organisiert sind. VgL M in a m i 1 9 8 6 , S . 148ff.

Die einzelnen Marktteilnehmer werden im Anhang I vorgestellt.

In dieser Abbildung werden die Anteile am Aktienbesitz in Stückzahlen zugrundegelegt. Die darge­

stellte Tendenz verschärft sich noch, wenn man die Marktwerte der Aktien als Basis nim m t (Die Zahlen sind jedoch für 1949 nicht verfügbar.) Dann beläuft sich der Anteil 1990 der Individuen auf lediglich 20,5 %, der Anteil der Unternehmen auf 75,0 %. Tôkyô Shôken Torihikijo Chôsabu 1991b:

S. 60.

(11)

Abb. 1: Aktienhaltung der Unternehmen und der Individuen in Prozent aller Aktien

so

20 i“ -i—r—i—i—i—i—i—i—i—i—i—r i r—i—r—i—r-,—i i i t i .—. i i—:—i—n —i—i—r—i—i—i—r—i—r 49 51 53 55 57 59 61 63 65 67 69 71 73 75 77 79 81 83 85 87 89 91

Jahr

Quelle: Tôkyô Shôken Torihikijo Chôsabu (1991 b) S. 94.

Im Vergleich zur unmittelbaren Nachkriegssituation ergibt sich heute ein gänzlich an­

deres Bild. Der Anteil der Individuen an der Aktienhaltung beläuft sich im Jahre 1990 gerade noch auf 22,6 %, wohingegen der Anteil der Unternehmen15 am Aktienbesitz 72,8 % beträgt.

Dazu bemerken Zielinski und Holloway: "It is ironic that the six big keiretsu today own a quarter o f shares outstanding - the same proportion held by the zaibatsu when they were dissolved in 1945."16

Unter Unternehmen werden an dieser Stelle Finanzinstitutionen, ’business corporations’ und securities companies subsummiert.

Zielinski/ Holloway 1991: S. 27. Unter keiretsu versteht man Unternehmensgruppen der Nachkriegs­

zeit, welche sich durch wechselseitige Beteiligungen auszeichnen, jedoch ohne daß bei einer Holding Company die Fäden zusammenlaufen. Von den Top Six sind vier keiretsu direkte Nachfolger von zaibatsu, wobei bemerkenswert ist, daß drei derselben sogar den Namen der ursprünglichen zaibatsu-

Gruppen weiterführen (Mitsubishi, Mitsui, Sumitomo).

(12)

Abb. 2: Aktienhaltung nach Investoren im Jahre 1990

< 4 3 .3 » )

Quelle: Tôkyô Shôken Torihikijo Chôsabu (1991 b) S. 94.

Während in Abbildung 1 aggregierte Daten verwendet werden, bietet Abbildung 2 einen vollständigen Überblick über die Zusammensetzung der Investoren exemplarisch für das Jahr 1990.

2. H istorische Entwicklung der Kurse

Nachdem die japanischen Börsen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf Weisung der amerikanischen Besatzungsmacht zunächst geschlossen blieben, wurde der börsliche Aktienhandel erst im April 1949 wieder aufgenommen.17 Zu Beginn der 50er Jahre setzte mit dem Ausbruch des Korea-Krieges, der Zulassung von Investment Trusts (1951) sowie der E in f ü h r u n g von Margin-Transaktionen (1951) ein erster Nachkriegs­

boom auf dem Aktienmarkt ein. Dieser Boom endete im Jahre 1953; bis dahin war je ­ doch die Grundlage für eine weitere Expansion des Aktienmarktes geschaffen worden.18 Im Zeitraum von 1955-61 stieg das Handelsvolumen an der TSE auf das 13fache, der Nikkei-Aktienindex vervierfachte sich. In der ersten Hälfte der 60er Jahre erlebte die TSE - wie die gesamte japanische Wirtschaft - einige schwere Rückschläge, von der sie sich in den Jahren nach 1965 erst zögernd wieder erholte.

Die japanischen Aktienkurse stiegen bis zum Januar 1973 stark an. Die Abschaffung des Bretton-Woods-Systems und inflationäre Tendenzen, verschärft durch die erste Ölkrise, beendeten die Hochwachstumsphase endgültig. Das negative Wirtschaftswachstum im

17 18

Die Börsen in Tokyo und Osaka wurden im Jahre 1878 gegründet.

Das Japan Securities Research Institute führt aus: "In the interim, the financial organization of this country was properly re-established ..."(Japan Securities Research Institute 1990: S. 16)

(13)

Jahre 1974 schlug sich auch in fallenden Börsenkursen nieder. Die zweite Hälfte der 70er Jahre zeigte mäßiges Wachstum des TOPIX, dies trotz der zweiten Ölkrise 1978/79. Seit 1975 gab die japanische Regierung ihre Politik des ausgeglichenen Budgets auf und verschuldete sich in zunehmendem Maße, um die Konjunktur zu stüt­

zen. Aufbauend auf eine expandierende japanische Wirtschaft setzte sich das Wachstum der Kurse in den 80er Jahren fort. So verdreifachte sich der Nikkei-Index in den Jahren von 1980 bis 1986. D er starke Yen führte im Jahre 1984 zu kurzfristigen Wachstumseinbrüchen der exportorientierten japanischen Industrie, was sich ebenfalls in Kursrückschlägen äußerte. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre stiegen die Kurse in vorher nicht für möglich gehaltene Höhen. So wurde die TSE im Jahre 1986 zur größten Börse der Welt. Überschußliquidität der Unternehmen sowie niedrige Zinsen bewirkten dieses Wachstum. Auch nach dem weltweiten Börsencrash vom Oktober 1987 erholten sich die Kurse in Tokyo wesentlich schneller als an anderen Börsen. Auch das Ausmaß des Kurssturzes war in Tokyo (-17,8 %) um einiges geringer als beispielsweise in New York (-32,1 %) oder London (-36,1 %).19 Die Economic Planning Agency (EPA, Keizai Kikakuehö) führt als Ursache für die schnelle Erholung der japanischen Börsen nach dem Crash die guten Fundamentals der japanischen Wirtschaft an.20 Schon Anfang 1988 setzte sich der Kursanstieg fort, da das Klima der niedrigen Zinsen und der Ü ber­

schußliquidität andauerte.

20

Quelle: Tôkyô Shôken Torihikijo Chôsabu (1991 a) Band I, S.36 ff.

Tiefstkurse in der Woche des Börsenkrachs gegenüber Höchstkursen 1987, vgl. Seitz 1990: S. 120.

Ekonomisto vom 26. August 1991, S. 291 (Vorveröffentlichung wichtiger Ergebnisse des Wirtschafts­

weißbuches 1991)

(14)

Nach einem absoluten Kurshöchststand Ende 1989 - der Nikkei lag bei 38915 Yen - kam es im Jahre 1990 hingegen zu einem schwerwiegenden Kursrückgang an den japanischen Börsen. Von Januar bis September 1990 hatte der Nikkei-Index fast 50 % an Wert ver­

loren; dies entspricht mit 291 Billionen Yen (3 344 Mrd. DM!)21 dem größten

"Kapitalschwund der Weltgeschichte".22 Ursache war der anhaltende Fall des Yen, in er­

ster Linie verursacht durch die Politik der niedrigen Zinsen. Als nach drei Dis­

kontsatzerhöhungen (von einem historischen Tief von 2,5 % auf 5,25 %) zur Be­

kämpfung der Inflationstendenzen der Yen weiter fiel, brachen die Kurse zusammen.

Eine Intervention des Finanzministeriums bewirkte vorübergehend eine Stabilisierung der Kurse. Am 1. Oktober 1990 fiel der Nikkei auf ein historisches Tief; während des Handels wurde zeitweilig die 20000-Marke unterschritten. Auslösender Faktor war die Krisensituation in Kuwait. Es war erneut ein Eingreifen des F in a n z m in is te r s Hashimoto, das die Stabilität auf dem Aktienmarkt wiederherstellte. Das Finanzjahr 1991 steht bis­

lang im Zeichen andauernder Finanz- und Wertpapierskandale, deren Einfluß auch deutlich in den Kursbewegungen sichtbar wird.

3. Analyse der Kursbewegungen

Oben wurde postuliert, daß der japanische Aktienmarkt grundsätzlich wie jeder andere Aktienmarkt funktioniert. Eine Bewertung dieser Aussage setzt selbstverständlich Klar­

heit darüber voraus, welche Faktoren im allgemeinen als für die Aktienkursentwicklung bedeutend angesehen werden. (Es erscheint klar, daß auch der Tokyoter A k tie n m a r k t

den Gesetzen von Angebot und Nachfrage folgt.) Hier soll bei der Aktienkursunter­

suchung der Fundamentalanalyse gefolgt werden, die zwischen dem "inneren Wert"

einer Aktie und ihrem Börsenkurs unterscheidet. Abweichungen zwischen innerem Wert und Börsenkurs führen zu Kauf- bzw. Verkaufsentscheidungen. D er Börsenkurs nähert sich entsprechend der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Information dem in n e r e n Wert an. Bei der ertragsorientierten Aktienbewertung stellt dann der innere Wert einer Aktie den Barwert der zukünftigen Vorteile dar. Die zukünftigen Vorteile umfassen die zukünftigen Dividenden einschließlich einer möglichen Liquidationsdividende, sowie Kapitalgewinne aus Kurssteigerungen23.

23

Börsenzeitung vom 29.9.1990 22 Vgl. Seitz 1990: S. 142.

Vgl. ausführlich Büchner 1981: S. 218ff

(15)

Das Keizai Kikakuchô (Economie Planning Agency) führte für die Jahre 1985 bis 1988 eine ökonometrische Analyse der Aktienkursentwicklung durch. Folgende Faktoren werden zur Erklärung der Aktienkursbewegungen herangezogen:

(1) die Fundamentals, von denen angenommen wird, daß sie durch die Gewinne und Verluste der Unternehmen adäquat repräsentiert werden (G+V-Faktor),

(2) der Zinsfaktor, der das Entgelt für die Inanspruchnahme von Finanzmitteln wie­

dergibt (hier: Verzinsung langfristiger Regierungsbonds),

(3) der Geldmengenfaktor, der die Veränderung des MarshalTschen k widerspie­

gelt,24

(4) die Erwartungen der Marktteilnehmer bezüglich der Kapitalerträge, die sich nach dem Wachstum der Aktienkurse in der Vergangenheit richten (arithmetisches Mittel der Wachstumsraten der zwei vorangegangenen Jahre).

Die Economic Planning Agency stellte folgende Gleichung auf:

ln (TOPIX) ■= -3,54 - 0,260 R + 0,767 ln P + 2,20 M + 0,014 K

(-1,31) (-17,23) (4,52) (2,18) (3,86)

mit

R = Zinsfaktor R2 = 0,9779

P = G + V-Faktor DW = 1,97

M = Geldmengenfaktor K = Erwartungsfaktor

24 Das Marshall’sche k ist der Geldbestand zu Jahresende, dividiert durch das Bruttosozialprodukt.

(16)

Abb. 4: Quantifizierung der kursbestimmenden Faktoren

Quelle: Keizai Kikakuchö (1989) S. 597.

Erläuterung: Die Graphik zeigt, wie gut die Veränderung der tatsächlichen Kurse aus den einzelnen Be­

standteilen der obigen Gleichung erklärt werden kann. Das Vorzeichen gibt die Richtung an, in der der ent­

sprechende Faktor die Kursbewegung beeinflußt.

Man kann deutlich sehen, daß der Zinsfaktor in den Jahren 1985 und 1986 einen großen Einfluß auf die Entwicklung der Aktienkurse ausübte. Es kann ohne weiteres gesagt werden, daß die Zinssenkungen in diesem Zeitraum einen wesentlichen Beitrag zu den steigenden Aktienkursen leisteten. Seit Ende 1986 gewinnt ein weiterer finanzieller Fak­

tor, der Geldmengenfaktor, ebenfalls an Bedeutung für die Kursbewegungen. Die Kapi­

talertragserwartungen der Anleger wurden in der Zeit vor dem Crash im Oktober 1987 gleichfalls zu einem den Kursanstieg beschleunigenden Faktor, so daß der Begriff der

’Bubble Economy* durchaus gerechtfertigt scheint.

(17)

Basierend auf dieser Studie, führt die Economic Planning Agency als Ursachen für die rasche Erholung der japanischen Aktienmärkte nach dem Crash folgendes an: Wich­

tigster Faktor für die schnelle Erholung seien die guten Fundamentals der japanischen Wirtschaft gewesen. In der Tat weisen die Zahlen den G + V-Faktor als denjenigen aus, der seit dem dritten Quartal 1987 den größten Einfluß auf die Kursentwicklung ausübte.

D er entspannte Geldmarkt hat über den Geldmengen- und den Zinsfaktor zusätzlich zur Erholung beigetragen.25

Ein weiterer Faktor, der für die Entwicklung der Aktienkurse von wesentlicher Bedeu­

tung erscheint, aber in der obigen Faktorenanalyse nicht erfaßt wurde, sind die Boden­

preise. Zum einen spielt das Niveau der Bodenpreise über Substitutionseffekte bei den Anlegern eine Rolle. Ist der Grenzertrag bei Investitionen in Immobilien wesentlich niedriger als der Grenzertrag in Aktieninvestitionen, so ist zu erwarten, daß Port­

folioumschichtungen erfolgen, die die Aktienkurse nach oben treiben. Zinn anderen wachsen die stillen Reserven von Unternehmen mit Grundbesitz in dem Umfang, in dem die Bodenpreise steigen. Dies bedeutet im Falle von börsennotierten Unterneh­

men, daß Kurssteigerungen wahrscheinlich sind. Eine weitere Folge der Bodenpreis­

spirale war die sogenannte ’Kreditpyramide’, in der Hypothekenkredite bis zu 150 % des aktuellen Markwertes eines Grundstücks unter Vorwegnahme und Bevorschussung der Wertsteigerung vergeben wurden.26 Das so für ca. 5 % Kreditzinsen beschaffte Geld wurde dann an der Börse angelegt, wo Erträge bis zu 20 % erzielt werden konnten.

Zum Zusammenhang von Bodenpreisen, langfristigem Zinsniveau und Aktienkurs­

niveau existiert ebenfalls eine Analyse der Economic Planning Agency, in welcher mit einem multivariablen Autoregressionsmodell gearbeitet wird.

25 26

Keizai Kikakuchö 1989: S.289.

Klein, Peter: Börsenzeitung vom 27.7.1991, S. 13.

Interview mit Prof. Helmut Becker, Sophia University Tokyo, vom 23.8.1991.

(18)

Abb. 5: Der langfristige Zusammenhang von Zinsniveau, Aktienkursen und Bodenpreisen (1970-90)

% Erklärende

Variablen

7

q

Zins 6 0

Aktienkurse 50 Bodenpreise 40 30 20 10 0

Zu e r k lä r e n d e V a r ia b le n

Quelle: Ekonomisto vom 26.8.1991, S. 216.(Vorverö£fentlichung wichtiger Ergebnisse des Wirtschaftsweiß­

buches 1991)

E rlä u te ru n g ­

Zins = Rendite auf langfristige NTT-Bonds Aktienkurs = TOPIX

Bodenpreis = städtischer Bodenpreis

In dieser Grafik wird der wechselseitige Einfluß von Aktienkurs, Zins und Bodenpreis dargestellt.

Beispielsweise wird der Bodenpreis (die zu erklärende Variable rechts) zu 60,98 % durch den Z in s und zu 20,42 % durch den Aktienkurs erklärt. Der Bodenpreis ist also wesentlich stärker abhängig von Z in s­

Schwankungen als von A k tien k u rs-S ch w a n k u n g en . D a dieses Modell auf die gegenseitige Beeinflußung dieser drei Variablen reduziert ist, addieren sich die Ordinaten-Werte, d.h. die erklärenden Variablen, immer zu 100 %.

In dieser Langfristanalyse, welche einen Zeitraum von 20 Jahren umfaßt, bestätigt sich die Bewertung des Zinsniveaus als einem wichtigen Faktor für die Entwicklung der Ak­

tienkurse in Japan. Der Aktienkurs kann zu 45,22 % durch den Zins erklärt werden. Der Einfluß der Bodenpreise auf die Kursentwicklung erscheint h in g e g e n mit 0,3 % ver­

schwindend gering. Dieses Bild wird jedoch stark modifiziert, wenn für die Betrachtung die Jahre 1982-88 explizit herausgegriffen werden.

(19)

Abb.

Erklärende Variablen

Zins Aktienkurs Bodenpreis

Zu erklärende Variablen

Quelle: Keizai Kikakuchö (1989) S. 293.

Erläuterung:

Zins = Rendite auf langfristige Regierungsbonds Aktienkurs = TOPIX

Bodenpreis = städtischer Bodenpreis

In der betrachteten Periode der 80er Jahre ändert sich die Situation grundlegend. Jetzt tragen die Bodenpreise mit über 60 % zur Erklärung der Aktienkursentwicklung bei, was die obigen Ausführungen zur Bedeutung der Immobilienpreise für den Aktienmarkt empirisch stützt.

4. Analyse des Kursniveaus

Die obige Analyse der Aktienkursbewegungen reicht jedoch nicht aus, um ausreichende Erklärungen für das Niveau der japanischen Aktienkurse zu geben.

Dieses wurde in den vergangenen Jahren häufig als zu hoch angesehen. Als Maß für die Bewertung des Kursniveaus wird in der Regel das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) herangezogen.27

27 Das Kurs-Gewinn-Verhältnis besagt, das Wievielfache des Reingewinns je Aktie den Kurs einer Aktie ausmacht.

(20)

Wie aus Abbildung 7 zu sehen ist, betrug das KGV in Japan (20,4) schon im Jahre 1980, mehr als das Doppelte des Wertes in den USA (7,9), im Jahre 1988 war es mehr als das Fünffache.

Abb. 7: Internationaler Vergleich der Kurs-Gewinn-Verhältnisse

Japan ~ U S A —* - Deutschland

Quellen: Keizai Kikakuchö 1989: S. 597, Japan Securities Research Institute 1990: S. 52.

Versteht man den Preis einer Aktie als Barkapitalwert der zukünftig erwarteten Erträge, so spiegelt das KGV den Diskontsatz wider, mit dem der Anleger die erwarteten zu­

künftigen Erträge aus einer Aktieninvestition abdiskontiert. Je niedriger der Diskontsatz ist, desto höher wird das KGV ausfallen. Der Zusammenhang von KGV und Zinsniveau wird bei dieser Sichtweise offensichtlich. Das im internationalen Vergleich niedrige Zinsniveau in Japan trägt zu den hohen japanischen KGV bei. Ein weiterer Faktor, der Einfluß auf die KGV und auf die Aktienkurse ausübt, besteht nach Ansicht der Economic Planning Agency in den (in Japan extensiven) wechselseitigen Beteiligungen der Unternehmen (Verschachtelungen). D er Z u s a m m e n h a n g bestehe d a rin , daß durch die wechselseitigen Beteiligungen der Unternehmen - ohne daß sich die gesamtwirt­

schaftlichen Gewinne oder die Anzahl der von den normalen Investoren gehaltenen Ak­

tien änderten - die Anzahl der ausstehenden Aktien in der Volkswirtschaft erhöht würde.28 Eine höhere Anzahl von Aktien entspricht bei gleichbleibenden G e w in n e n hö­

28 Keizai Kikakuchö 1989: S.289f.

(21)

heren KGV. Die A n z a h l der handelbaren Aktien wird jedoch durch wechselseitige Be­

teiligungen reduziert, was die Kurse über eine Angebotsverknappung in die Höhe treibt und somit auch das KGV.29

Weitere Faktoren, die die KGV der japanischen Unternehmen nach oben verzerren, liegen in der Ausweisung nicht konsolidierter Gewinne, in überhöhten Rücklagen sowie in der Abschreibungspraxis begründet.30

5. Bewertung der Kursentwicklung

Aus den obigen Ausführungen sollte deutlich geworden sein, daß Bewegungen der Aktienkurse in Japan - wie in anderen Ländern auch - rational ökonomisch zu erklären sind. Erträge alternativer Anlageformen wie Boden oder Festgeldanlagen spielen eine wichtige Rolle für die Bewegungen der Aktienkurse; auf der anderen Seite sind die Er­

wartungen der Marktteilnehmner von großer Bedeutung, die sich einerseits nach den Fundamentaldaten der Wirtschaft richten, andererseits aber auch einfach die Markt­

entwicklung der Vergangenheit extrapolieren. In diesem Erklärungszusammenhang spielen strukturelle japanische Spezifika kaum eine Rolle, so daß alles dafür spricht, daß der japanische Aktienmarkt grundsätzlich wie jeder andere funktioniert.

Nichtsdestotrotz scheinen die Faktoren, die die Bewegungsrichtung der Aktienkurse gut erklären, nicht aussagekräftig genug, um einerseits das extrem hohe Kursniveau der 80er Jahre und andererseits den Kursverfall seit 1990 hinreichend zu begründen. Zur Erklä­

rung dieser Entwicklungen muß besonderes Augenmerk auf den institutioneilen Rahmen gerichtet werden.

30

29 Vgl. Kapitel IV.2.a.

Vgl. Kapitel m.6.: Rechnungslegung der Unternehmen.

(22)

n i . Formale institutioneile Faktoren

Eine umfassende Darstellung aller formalen institutionellen Faktoren, allein aller für den Aktienmarkt relevanten gesetzlichen Bestimmungen, würde ganze Bücher füllen und kann deshalb hier nicht beabsichtigt sein. Im folgenden sollen hingegen diejenigen Elemente des formalen Systems, welche "typisch" für japanische Börsen sind bzw. von denen zu erwarten ist, daß sie das Verhalten der Marktteilnehmer und darüber die Kursentwicklung beeinflussen, skizziert werden.31

1. Die Organisation des Aktienhandels

a. Die Aufbauorganisation der Börse

Die Grundlage der Organisation der japanischen Börsen bildet das W ertpapier- und Börsengesetz (WPG) (shöken torihiki ho) von 1948 (Revisionen 1981, 1985, 1988).32 Japanische Börsen sind unabhängige gemeinnützige Vereinigungen ihrer Mitglieder und ähneln somit von ihrer Organisationsform den deutschen Börsen, im Gegensatz bei­

spielsweise zur NYSE oder zur LSE, welche Untemehmensform haben. Die Organe der TSE lassen sich in entscheidungsbildende, exekutive, beratende und überwachende Gremien gliedern.33 Die Vollversammlung der Mitglieder stellt das oberste Entscheidungsgremium dar; jedes Mitglied hat unabhängig von seiner Kapitalgröße eine Stimme.34 Bis 1968 mußten sich W ertpapierhäuser lediglich beim Finanzministerium re­

gistrieren lassen. 1968 wurde hingegen ein Lizensierungsystem für Effektenfirmen einge­

führt, das dazu beitrug, das Vertrauen der Anleger in die Brokerhäuser und damit auch in den Aktienmarkt zu stärken. Hiermit wurde dem Ruf als Spekulationsplatz entgegen­

gewirkt.

Mitglieder der Börsen können ausschließlich W ertpapieruntemehmen werden (WPG

§90), nur diese sind zum Handel an der Börse berechtigt (WPG §107). In New York hingegen gibt es (wie bis 1986 in London auch) ein System individueller Mitglied­

schaften, d.h. unter den Mitgliedern dieser Börsen gibt es einen hohen Anteil an Einzelpersonen. Im Vergleich zur NYSE hat die TSE sehr wenige Mitglieder. 1366 re­

gulären Mitgliedern und 120 Jahresmitgliedem (davon 596 Unternehmen) der NYSE

Zur Übersicht über die den Aktienmarkt betreffenden Bestinunungen vgl. ausführlich hn Japan Research Institute 1990: S. 224.

Verordnungen (jAo/ei) und Erlasse (tsütatsu) seitens des Finananzministenums sowie die

Regelungen des japanischen Verbandes der Wertpapierhändler (Nihon Shôkengyô Kyôkai) und die Börsenordnung ergänzen das Gesetz. Vgl. Schaede 1990: S. 72ff.

Zur formalen Organisation der TSE vgl. ausführlich im Japan Research Institute 1990: S. 114.

Japan Securities Research Institute 1990: S. 113.

(23)

standen Ende 1987 in Tokyo gerade 114 reguläre Mitglieder der TSE gegenüber.35 Da­

durch, daß relativ wenige Mitglieder den Handel abwickeln, verbreiten sich einerseits Informationen schnell unter allen Marktteilnehmern; andererseits sind auch Abspra­

chen leichter möglich.

Zusätzlich zu den regulären Mitgliedern, welche Käufe und Verkäufe auf eigene Rech­

nung oder für Kunden tätigen, gibt es an der TSE noch vier scütori Mitglieder.36 Saitori Mitglieder haben die Funktion von Kursmaklem; sie dürfen aber weder direkt Aufträge von Nicht-Mitgliedern ausführen, noch auf eigene Rechnung Geschäfte abschließen.

Mitglieder mit der Funktion von Marktmachern, wie sie an der NYSE oder der LSE üb­

lich sind, gibt es in Japan nicht. Aus diesem Grund kann die mangelnde Kapitalisierung von Marktmachem, die als ein wichtiger Faktor für das Ausmaß des Börsencrash 1987 an der NYSE angesehen wird, keinen negativen Einfluß auf das Marktgeschehen nehmen.

Bis vor kurzem war die Anzahl der Geschäftstage der TSE wesentlich höher als die ihrer westlichen Gegenstücke, da bis zum 1.2.1988 auch an zwei Samstagen im Monat gehan­

delt wurde. Bemerkenswert an der täglichen Handelszeit der japanischen Börsen ist die Mittagspause, welche an keiner anderen großen Börse existiert. D er zweistündigen Mit­

tagspause an der TSE wird eine Funktion als "Wellenbrecher" zugeschrieben, der in Kri­

sensituationen wie dem Crash vom Oktober 1987 eine Panik auf dem Parkett ab­

mildert.37

b. D er Ablauf von Transaktionen

D er Aktienhandel an der TSE läuft in zwei Sektionen ab, ergänzt durch einen Over-the- Counter-Markt.38

Okurashô Daijin Kanbô Chösa Kikakuka 1990: S. 98. Inzwischen wurde die Zahl der Mitglieder an der TSE auf 124 erhöht.

Die japanischen Börsen kennen ferner spezielle Mitgliedschaften. So gibt es spezielle Börsenmit­

glieder, welche dafür zuständig sind, Aufträge, die an regionalen Börsen nicht durchgeführt werden können, in Tokyo oder Osaka abzuwickeln. Darüber hinaus gibt es an der TSE und der OSE jeweils ein Mitglied (Tokyo Rego Securities und Nanaiwa Securities), das nur Aufträge von Wertpapier­

häusern ohne Börsenmitgliedschaft abwickelt.

37 Vgl. Schaede 1990: S. 247.

38 . .

Im Jahre 1990 waren an der TSE 1191 Finnen in der ersten Sektion und 436 Unternehmen in der zweiten Sektion notiert.

(24)

Der Handel von 150 besonders aktiv gehandelten Werten findet auf dem Börsenparkett statt; Geschäfte in anderen Werten der ersten Sektion sowie von Titeln der zweiten Sek­

tion werden per Computer abgewickelt.39

An japanischen Börsen gibt es zwei verschiedene Systeme der Preisbildung, nach denen Geschäfte abgeschlossen werden. Zu Beginn von Sitzungen bzw. generell nach Unter­

brechungen werden alle vorliegenden Aufträge in einer Einheitspreisauktion (Itayose) ohne Berücksichtigung des Zeitpunktes ihres Eingangs abgewickelt und somit ein Eröff­

nungskurs festgestellt.40 Dieses System bewirkt die Eröffnung des Handels zu Kursen, in die die letzten Informationen der Marktteilnehmer schon eingeflossen sind. Alle spä­

teren Aufträge werden nach der sogenannten Zamba-Methode ausgeführt, welche auf den Prinzipien des Preis-, Zeit- und Ordervorzugs beruhen.41

Im Falle eines Ungleichgewichts von Kauf- und Verkaufaufträgen findet kein Handel statt; die Börsenleitung setzt stattdessen einen "Stimmungspreis" (kehai nedan) so fest, daß ein Marktausgleich wahrscheinlicher erscheint. Dieses Verfahren steht in Kontrast zum System der Marktmacher an den Börsen von New York (dort specialists genannt) und London, welche Preise für die von ihnen betreuten Aktien ermitteln und Geschäfte zu diesen Preisen annehmen. Das japanische System erlegt den Wertpapierhäusern sogar im Gegenteil Beschränkungen in Eigengeschäften auf (maximal 20 % des Rein­

vermögens).42

Eine wichtige Besonderheit der japanischen Börsen liegt in der Existenz von Preisgren­

zen für alle Aktien. Diese richten sich nach dem Schlußkurs des Vortages; Aufträge, die Preise außerhalb der Preisgrenze enthalten, werden nicht angenommen.43 *

Am 183.1991 wurde auch für den Parketthandel ein unterstützendes Computersystem eingeführt (FORES = Floor Order Routing and Electronic System), welches die manuell geführten Auftrags­

bücher der saitori ersetzt und insbesondere die Abwicklung kleiner Aufträge bis 3000 Aktien effizienter gestaltet (ohne Einschaltung der Floor Runners). Das Computersystem für den Handel der inaktiven Aktien (CORES = Computer-assisted Order Routing and Execution System) wurde erstmalig 1982 eingesetzt.

40 Details vgl. Schaede 1990: S. 78ff.

Preisvorzug bedeutet Vorrang für den höchsten Kaufpreis und den niedrigsten Verkaufspreis; Zeit­

vorzug bedeutet Vorrang für den früher eingehenden Auftrag; Ordervorzug begünstigt M ark ta u fträ g e

im Vergleich zu limitierten Aufträgen. Die Bücher der saitori sind im m e r offen einsehbar, so daß Transparenz über die eingegangenen Aufträge besteht.

42 VgL Schaede 1990: S. 2S3. Auch im deutschen Börsenrecht finden sich B e sc h r ä n k u n g e n der Eigenge­

schäftstätigkeit von Kursmaklem (vgl. BörsG §32 Abs. 2 S.1 und 2).

43

Dabei kommt es nicht etwa zu einer Aussetzung des Handels der betreffenden Aktie. Der Handel wird anhand der Order innerhalb des Preisintervalls fortgesetzt.

(25)

All diese Elemente können als Teile eines Systems gesehen werden, welches die Auf­

gabe hat, die Kurse zu stabilisieren bzw. im Falle einer Börsenpanik Kursstürze abzu­

fangen. Bemerkenswert ist hierbei, daß die von der amerikanischen Regierung zur Un­

tersuchung der Ursachen des 87er Börsencrash eingesetzte Brady Kommission zu Ver­

besserungsvorschlägen kam, die in Japan schon verwirklicht waren.44

Ein weiterer zu beachtender Punkt liegt in den Handelseinheiten. Das kleinste zu han­

delnde Paket muß einem Nennwert von 50000 Yen entsprechen.45 Diese Regelung

f ü h r te dazu, daß gerade die steigenden Kurse Investitionen in den Aktienmarkt für viele Kleinanleger u n m ö g lic h gemacht haben und die Konzentration des Handels auf in­

stitutionelle Anleger sich weiter verstärkte.46 *

Kommissionen, welche Kunden für die Abwicklung von Aufträgen an die Broker zu entrichten haben, sind in Japan auf Grundlage des §131 WPG durch die Brokerage Agreement Standards der Börsen festgelegt. Änderungen obliegen der Genehmigung des F in a n z m in is te r iu m s . D a durch diese fixen Kommissionen Wettbewerbskräfte ausge­

schaltet werden, werden die Broker in die Lage versetzt, hohe Gewinne zu erzielen. Ein Punkt, der jedoch häufig übersehen wird, liegt darin, daß die festgelegten Kommissionen andererseits die kleinen Brokerhäuser vor der Verdrängung aus dem Markt schützen.

Auch die individuellen Anleger profitieren von dieser Regelung, da sie sonst vermutlich - im Vergleich zu den großen Investoren - wesentlich höhere Kommissionen zu entrich­

ten hätten.

Eine weitere wichtige Besonderheit ist das Verbot von Leerverkäufen (WPG §133). Da­

durch ist es Marktteilnehmern nicht möglich, auf einen Abwärtstrend zu setzen, so daß dem Markt "der technische Stimulus für einen Preisverfall fehlt."'1'1

c. Die Überwachung des Aktienhandels

Eine unabhängige Organisation zur Überwachung von Börsengeschäften, wie sie die Securities Exchange Commission (SEC) in den USA darstellt, existiert in Japan nicht.

Die Überwachung der Börsenaktivitäten liegt in den H änden des Finanzministeriums (ôkurashô). Die amerikanische Besatzungmacht hatte zwar eine SEC nach US-Vorbild eingerichtet, diese wurde jedoch direkt nach dem Abzug der Amerikaner im Jahre 1952 aufgelöst und ihre Aufgaben dem Finanzministerium übertragen. Das Securities Bureau (shöken kyoku), eine eigenständige, ausschließlich für die Administration der W ertpa­

piermärkte zuständige Abteilung des Finanzministeriums, wurde 1964 gegründet. Eine

VgL dazu ausführlich Schaede 1990: S. 253

Es gibt Ausnahmen für den Handel von Aktien mit besonders hohen Kursen.

46 Zielinski/Holloway 1991: S. 52

Schaede 1990: S. 117. Einige wenige Ausnahmen von dieser B e s tim m u n g existieren jedoch.

(26)

ergänzende Funktion übernimmt das Securities and Exchange Council (gegründet 1952), welches dem Finanzministerium als beratendes Gremium zur Seite steht. Die Japanese Securities Dealers Association (JSDA), gegründet 1973, ist eine offiziell beim Finanz­

ministerium registrierte Vereinigung der Wertpapierhändler, die in Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium an der Regulierung und Überwachung der japanischen Wertpapiermärkte mitwirkt.48 Ogawa bemerkt, das japanische Überwachungssystem der Wertpapiermärkte sei dem englischen sehr ähnlich, insofern als beide stark auf Mecha­

nismen der Selbstkontrolle beruhen. E r führt jedoch weiter aus: "However, on closer comparison there are many differences between the two systems. For example, in Japan the influence o f the Ministry o f Finance is very strong despite the JSDA ’s existence."49

Das starke Gewicht, das der Selbstkontrolle der Marktteilnehmer beigemessen wird, läßt sich auch an der geringen Anzahl des offiziellen, für die Überwachung des Marktes zuständigen Personals ablesen. Insgesamt sind im Finanzministerium, an der TSE und in der JSDA ca. 180 Personen für die Kontrolle zuständig, im Gegensatz zu 2000 Ange­

stellten der Securities Exchange Commission (SEC) in den USA.50 Entsprechend viel Zeit nimmt in Japan die Ahndung von Vergehen in Anspruch, falls sie überhaupt statt­

findet.

d. Bewertung der Börsenorganisation

Anhand des Börsencrash vom Oktober 1987 läßt sich eindrücklich darlegen, daß der in­

stitutionelle Rahmen einer Börse einen großen Einfluß auf die Kursentwicklung aus­

üben kann.

Die Existenz von Preisgrenzen und Wellenbrechern sowie das Verbot von Leerverkäu­

fen, ergänzt durch die zentrale Überwachung und Koordination des Handels durch das Finanzministerium, verhinderten in Tokyo einen Kursverfall in dem Ausmaß, wie er sich an der NYSE abspielte.51 Des weiteren sind die Margin-Anforderungen in Japan we­

sentlich höher; das Computersystem der TSE ist zudem bei weitem leistungsfähiger als das der NYSE. An der NYSE verstärkte das System der Marktmacher und deren be­

schränkte Kapitalkraft den Kursverfall.

VgL ausführlich: Ogawa 1988: S. 65, ferner Horiguchi 1983: S.99ff. Zu bemerken ist ferner, daß die JSDA auf Vorschlag des Finanzministeriums gegründet wurde, nachdem es 1971/72 zu einigen Kursmanipulationen kam. Vgl. Tabuchi 1988: S. 150.

49 Ogawa 1988: S. 67.

50 Zielinski/Holloway 1991: S. 113. Vgl. ferner Oda 1988: S. 93.

Natürlich war auch das gute gesamtwirtschaftliche Klima in Japan von entscheidender Bedeutung für den schwächeren Kursverfall.

(27)

2. Bestimmungen zum Insider Trading

T-ange Zeit gab es Japan keine expliziten Bestimmungen zum Insider Trading. Erst die Taheto-Affäre52 im September 1987 machte den eklatanten Händlungsbedarf unüber­

sehbar und gab den Anstoß zu Gesetzesreformen, welche schließlich im April 1989 in Kraft traten.

Bis d a h in gab es im WPG lediglich allgemeine Regelungen, welche mißbräuchliches Handeln im Z u s a m m e n h a n g mit Wertpapiertransaktionen untersagten (§§ 50,58 WPG).53 54 Oda kommentiert diese folgendermaßen: "These provisions were fa r from being an effective device for controlling insider trading.1,54

Nicht zuletzt mangels einer klaren Definition von Insider Trading gab es keinen Fall, in dem Sanktionen wegen Insider Trading verhängt wurden.

Die reformierten Bestimmungen von 1989 lehnen sich eng an das U.S.-amerikanische System an. Es grenzt den Personenkreis, der als Insider angesehen wird, genau ab und definiert exakt die Tatbestände, die als Insiderinformationen gelten.55

3. Relevante Elemente des Steuersystems

Von steuerlichen Regelungen ist zu erwarten, daß sie das Verheilten der Anleger nach­

haltig beeinflussen, da sie direkt die Netto-Erträge aus verschiedenen Investment-Alter­

nativen verändern und darüber Substitutionseffekte auslösen können.

Im Jahre 1988 trat in Japan eine Steuerreform in Kraft, welche die Körperschaftsteuer sowie die Zinssteuer betraf. Analog zum deutschen System wurde bis 1988 auf einbehal­

tene Gewinne eine höhere Körperschaftsteuer erhoben (42 %) als auf ausgeschüttete Gewinne (32 %).56 Ab dem Fiskaljahr 1990 liegt der Tarif einheitlich bei 37,5 %, so daß Incentives für Unternehmen, Gewinne in Dividenden auszuschütten statt sie einzubehal­

ten, nun endgültig nicht mehr vorhegen. Dividendenausschüttung war auch vorher schon

52 Vgl. Kapitel IV 3.a unten.

53 Details vgL Tatsuta 1983: S. 191ff.

54 Oda 1988: S. 89.

55 Nishikata nennt als drei Säulen der Regelungen (Nishikata 1991: S. 82ff.):

(1) unternehmensinteme Kontrollmechanismen in

Wertpapierhäusem, Banken etc., um Insider Trading zu verhindern ("Chinese Walls" in Wertpapierhäusern, die Emissionsabteilungen und Brokerabteilungen trennen), (2) ein System zur Überwachung kurzfristiger Geschäfte von

Direktoren bzw. Großaktionären (major shareholders) in eigenen Aktien,

(3) Stra£maßnahmen(Gefängnisstrafen bzw. Geldstrafen bis maximal 500.000 Yen können bei Vergehen verhängt werden).

Für kleine und mittlere Unternehmen sowie für Genossenschaften etc. gelten andere Steuersätze.

Vgl. Nishikata S. 290f.

(28)

nicht attraktiv, da Dividenden bei ihren Empfängern - im Gegensatz zu Kapitalerträgen - relativ stark besteuert wurden. Das System der Dividendenbesteuerung in Japan ent­

hält verschiedene Tarife und Möglichkeiten der Anrechnung auf anderweitige Steuer­

verbindlichkeiten, je nach Status des Dividendenempfängers und Höhe der Dividende.

Individuen zahlen in der Regel 20 % Quellensteuer auf Dividenden; je nach Höhe des gesamten zu versteuernden Einkommens sind Anrechnungen von 5 bzw. 10 % auf die zu entrichtende Einkommensteuer vorgesehen. Im Falle von Unternehmen sind 80 % der empfangenen Dividenden nicht zu versteuern.57

Kapitalerträge wurden bis zur Reform 1988 nur sehr leicht steuerlich belastet. Individu­

elle Anleger zahlten auf Kapitalerträge keine Einkommensteuer.58 Heute müssen auch individuelle Anleger Kapitalerträge versteuern. Sie haben hierbei die Wahl zwischen ei­

ner 1%-igen Quellensteuer auf den Verkaufswert oder einer 20%-igen Steuer auf den Kapitalertrag. Unternehmen müssen Kapitalerträge wie schon in der Vergangenheit voll versteuern.

Das Zinssteuersystem wurde ebenfalls dahingehend reformiert, daß nun generell eine 20 %-ige Quellensteuer erhoben wird. Bis April 1988 existierte das sogenannte maruyu- System, welches Anleger praktisch von der Zinssteuer befreite.59 Nachdem dieses durch ein System der Steuerbefreiung lediglich für Sparer über 65 Jahre ersetzt wurde, schwand für viele Private der Anreiz, ihr Geld zu festen Zinsen anzulegen. Somit stand ein hohes Geldvolumen bereit, das auf den Aktienmarkt fließen konnte.60

Von direkter Bedeutung für den Aktienmarkt ist ferner die Börsenumsatzsteuer (Securities Transfer Tax), welche vom Verkäufer zu zahlen ist und im Falle von Aktien 0,12 % (falls der Verkäufer ein Wertpapierhaus ist) bzw. 0,3 % (sonst) beträgt.61

Diese Regel wird generell angewandt, es sei denn, das Dividenden erhaltende Unternehmen hält mehr als 25 % an Aktien des Dividenden ausschüttenden Unternehmens.

Ausnahmen von dieser B e s tim m u n g waren Kapitalerträge, die durch (1) kontinuierliche Käufe und Verkäufe von Aktien

(2) Verkäufe von mehr als 200.000 Aktien einer einzigen Firma,

(3) Transaktionen, die einem Geschäftsengagement gleichkommen, erzielt wurden. (Vgl. Nishikata S.294f.)

Unter diesem System wurden Anlagebeträge bis 3 Mio. Yen von der Steuer befreit. Auch Anleger mit größeren Sparbeträgen profitierten allerdings von diesem System, indem sie mehrere Konten ein­

richteten und das Geld darauf - jeweils mit maximal 3 Mio. Yen - verteilten und somit die Steuer umgingen. Das Finanzministerium schritt erst in den 80er Jahren ein, obwohl die A n z a h l der Konten schon 1979 knapp 236 Millionen erreichte, und dies bei einer japanischen Gesamtbevölkerung von ca.

120 Millionen. (Rosenbluth 1989: S. 180)

Matsumoto schätzt, daß durch die Abschaffung des maruyu-Systems ca. 220 Billionen Yen z um

potentiellen Anlagekapital für den Aktienmarkt wurden. (Matsumoto 1989: S. 21) Vgl. Tôkyô Shôken Torihikijo Chôsabu (1991b): S. 76.

(29)

Ein weiterer zu beachtender Punkt im japanischen Steuersystem liegt in der Landbe­

steuerung. T .and h e s itz wird extrem niedrig besteuert; der Verkauf von Land wird hinge­

gen steuerlich hoch belastet. Dies hat zur Folge, daß die Bodenpreise über die künstli­

che Verknappung an Land hochgetrieben wurden, was über Substitutionseffekte wie­

derum auch die Aktienkurse tendenziell ansteigen ließ.

4. Das Trenn banken system

In Japan gibt es eine strenge Trennung des Wertpapier- und des Bankensektors, deren juristische Grundlage im §65 WPG liegt. Dieser Paragraph wurde 1948 in Anlehnung an den Glass-Steagall Act der USA (1933) und den Securities and Exchange Act geschaffen und verbietet Banken die Beteiligung an Wertpapierhäusern bzw. die Übernahme von Emissionen sowie den Handel mit Aktien.62

Erst diese klare Aufteilung des Finanzmarktes ermöglichte nicht zuletzt den (bis dahin kleinen) Wertpapierhäusem, zu Großunternehmen aufzusteigen. Auch die anderen Fi­

nanzinstitutionen profitierten von der künstlich geschaffenen Marktsegmentierung, wel­

che in den einzelnen Bereichen jeweils wenigen Unternehmen eine Expansion ohne schärferen Wettbewerb garantierte. Das Finanzministerium sicherte sich über diese R e­

gelung in diversen Finanzbereichen jeweils einige wenige kompetente Ansprechpartner und bewahrte sich darüber weitgehende Einflußmöglichkeiten auf die Märkte.

5. Beteiligungsbeschränkungen

Die wesentlichen Regelungen zu Beteiligungsbeschränkungen finden sich im Anti-Mo- nopol-Gesetz von 1949. Dieses Gesetz hat die Aufgabe, mißbräuchliche Marktbe­

herrschung einzelner Unternehmen zu verhindern. Dies wird im einzelnen dadurch er­

reicht, daß Holdinggesellschaften generell untersagt sind (§ 9). Des weiteren dürfen Banken maximal 5 % an anderen Unternehmen halten (§ l l ) .63 Seit 1977 dürfen große Unternehmen nur Aktien in Höhe ihrer Nettoaktiva bzw. ihres Stammkapitals halten, je nachdem welches höher ist.64 In § 15 sind ferner starke Beschränkungen von Fusionen zu finden.

Umgekehrt dürfen Effektenfirmen keine Bankgeschäfte tätigen. Vgl. zum Trennbankensystem Yazawa 1983: S. 29, Schaede 1990: S. 73ff., Viner 1989: S. 46ff, Suzuki 1987: S. 35ff, Karihara 1988: S.

80f.

1951 hatte das Finanzministerium diese Grenze auf 10 % erhöht; sie wurde aber 1987 wieder auf 5 % zurückgenommen.

64 Oda 1988: S. 116

(30)

A b s c h lie ß e n d ist noch zu erwähnen, daß nach dem Commercial Code ein Unternehmen seine eigenen Aktien nicht zurückkaufen darf.

Diese B e s tim m u n g e n haben wesentlich dazu beigetragen, daß das für Japan typische System der wechselseitigen Beteiligungen entstand, das in Kapitel IV.2.a ausführlich dargestellt wird.

6. Die Rechnungslegung der Unternehmen

a. Konsolidierung

Lange Zeit waren in Japan auch für börsennotierte Unternehmen keine konsolidierten

F in a n z b e r ic h te vorgeschrieben. Seit 1984 sind diese Pflicht, aber auch nur dann, wenn die Verbunduntemehmen mehr als 10 % des Vermögens, des Umsatzes bzw. des G e­

winns ausmachen. In der Steuerbilanz werden auch heute lediglich die nicht konsolidier­

ten Gewinne ausgewiesen, welche tendenziell niedriger als die konsolidierten Gewinne anzusetzen sind.65

Aus diesem Grund sind die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) japanischer U nter­

nehmen - die in aller Regel im Gegensatz zu amerikanischen Unternehmen auf Basis der nicht-konsolidierten Ergebnisse berechnet werden - tendenziell nach oben verzerrt, was bei deren Analyse zu beachten ist.66

b. Reserven

Die Bildung von Rücklagen wird in Japan tendenziell großzügig gehandhabt. Beispiels­

weise machte die Katastrophen-Rücklage der Toyko Marine & Fire im Fiskaljahr 1988 279 Mrd. Yen aus, wohingegen die zu versteuernden Gewinne mit 152 Mrd. Yen ange­

geben wurden.67 Zudem werden stille Reserven japanischer Firmen aus der U n­

terbewertung von Grundstücks- und Wertpapierbesitz auf erhebliche Beträge ge­

schätzt.68 Überhöhte Rücklagen verzerren die Gewinne eines Unternehmens nach unten, was als weiterer Faktor für überhöht erscheinende KGV angesehen werden muß.

Zielinski/Holloway weisen auf die 592 Unternehmen aus dem Nicht-Finanzsektor hin, die für das Fiskaljahr 1989 konsolidierte Ergebnisse publiziert hatten. Bei diesen lag das konsolidierte Ergebnis durchschnittlich 24 % höher als das nicht-konsolidierte Ergebnis der Muttergesellschaft. (Vgl.

Zielinski/Holloway 1991: S. 135)

66 Vgl. zu Konsolidierungsvorschriften Kozuma 1987: S. 48f, Yazawa 1983: S. 36f.

67 Vgl. Zielinski/Holloway 1991: S. 136.

68 Vgl. Viner 1987: S. 141.

(31)

c. Abschreibungen

Ein weiterer Faktor, der zu einer Verzerrung der Gewinne japanischer Unternehmen nach unten (und damit der KGV nach oben) führt, liegt in den Abschreibungsmethoden.

In Japan wird gängigerweise degressiv abgeschrieben, was - im Zusammenwirken mit hohen wachsenden Nettoinvestitionen69 - die Gewinne unangemessen gering erscheinen läßt.

d. Publizitätspflichten

Wie in anderen Staaten auch, gelten in Japan für börsennotierte Unternehm en beson­

dere Publizitätspflichten sowohl bei Aktienemissionen wie auch kontinuierlich zur Information der Aktionäre. Bis zur Reform des WPG 1971 wies das System der Publizi­

tätspflichten einige Lücken auf. Unternehmen, deren Aktien lediglich auf dem OTC- Markt gehandelt wurden, wurden bis dahin von den Publizitätsvorschriften des WPG nicht erfaßt.70

Unzufriedenheit mit der Umständlichkeit der Publizitätsverfahren sowie das Bedürfnis der Investoren nach detaillierteren Informationen führten zu einer weiteren Reform im Jahre 1988.71 72 * *

Nichtsdestotrotz erscheinen die japanischen Publizitätsvorschriften als eher dürftig, oder, wie Zielinski/Holloway bemerken: "Disclosure requirements are negligible."12 Auch Klein führt aus, daß "...die Rechnungslegungsvorschriften viel zu wünschen übrig lassen und beispielsweise nicht mit den strengen deutschen Standards vergleichbar sind."13

So wuchsen die Nettoinvestitionen des verarbeitenden Gewerbes im Jahre 1989 um 22,2 %. Vgl.

Nihon Ginkô Chôsa Tökei Kyoku 1991: S. 53.

70 VgL Kanzaki 1983: S. 44f.

71 Vgl. Karihara 1988: S. 78f.

72 Zielinski/Holloway 1991: S. 117.

Klein, Peter: Börsenzeitung vom 27.7.1991: S. 13. Die Tendenz zur Ausweitung der Publizitätsvor­

schriften setzt sich jedoch fort. So müssen Unternehmen beispielsweise seit April 1990 erstmalig nicht realisierte Kapitalverluste bei Wertpapieren angeben, sofern diese 10 % des Nettovermögens des Vorjahres übersteigen bzw. mehr als 30 % des Gewinns ausmachen. Das eigentliche Ziel dieser Vor­

schriften war es jedoch, zaiteku einzuschränken. (Za zaiteku vgl. auch Kapitel IV.2.d.)

(32)

IV. Informale institutioneile Faktoren

1. Marktstrukturelemente

a. Die Dominanz der Großen Vier

Die vier größten W ertpapierhäuser der Welt kommen aus Japan. Nomura, Daiwa, Nikkö und Yamaichi werden gemeinhin als die großen Vier (yondai shökeri) bezeichnet.

Zusammen führten sie 1990 40,1 % aller Aktientransaktionen an den japanischen Bör­

sen durch.74 Bei den Bondtransaktionen belief sich der entsprechende Anteil sogar auf 71,9 %. Ihr tatsächlicher Einfluß ist allerdings noch größer, da viele der kleinen und mittleren Wertpapierhäuser von ihnen kontrolliert werden.75 So beläuft sich allein Nomuras Anteil - mit seinen affiliierten Unternehmen - auf 20 % des Aktienhandels.76 Durch ihre Marktmacht sind diese Brokerhäuser in der Lage, Einfluß auf die Kurse zu nehmen. Bei Aktienemissionen werden in Japan die Underwriter nach ihrer Fähigkeit ausgewählt, Kurse zu bewegen, was zu einem Anteil der großen Vier von 80 % der Emissionsübernahmen führte.77 Solche Kursmanipulationen sind natürlich auch in Japan illegal; sie werden jedoch toleriert, soweit sie in gewissen Grenzen bleiben.78

Verstärkt wird die Bedeutung der Vier noch dadurch, daß sie großen Einfluß auf die Massenmedien und darüber auf die weiteren Anleger haben. So informiert Nomura nach dem allmorgendlichen Treffen der führenden Manager um 7.30 Uhr die Finanz­

presse über ihre Anlagestrategien des Tages.79 Ferner sind die großen Vier Aktionäre der für die Investoren maßgeblichen F in a n z z e itu n g e n . Des weiteren stellen die Vier die größten Anzeigenkunden der Finanzzeitungen dar. Diese Faktoren tragen alle maßgeb­

lich zu dem Einfluß bei, den die großen Vier auf die anderen Investoren ausüben, wozu Matsumoto bemerkt: "...in the past as much as 9 0 % o f Japanese institutions followed the advice o f securities firms, now about 60 % continue to do so, ...".80

Tokyo Shôken Torihikijo Chôsabu 1991a: S. 276 Vgl. Anhang I: Die Marktteilnehmer

76 Alletzhauser 1990: S. 144, Seitz 1990: S. 139

77 Vgl. Alletzhauser 1990: S. 288, Zielinski/Holloway 1991: S. 68

So verbietet das Finanzministerium die Aktienemission, wenn die Kurse des emittierenden Unter­

nehmens innerhalb von sechs Wochen vor der Ausgabe mysteriös um über 30 % gestiegen sind.

Matsumoto 1989: S. 14.

80 Matsumoto 1989: S. 162

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