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Staat oder Markt?

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Academic year: 2022

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Bayerisches Ärzteblatt 10/2004 563

Leitartikel

Für die Auftaktveranstaltung des diesjähri- gen Bayerischen Ärztetages haben wir das Motto „Geld regiert die Welt – auch die Me- dizin?“ gewählt. Nicht ohne Grund, wollen und müssen wir doch die aktuelle Diskus- sion um die Optimierung und „Ökonomisie- rung“ unseres Gesundheitswesens mitgestal- ten. In den letzten Jahren hat diese „Ökono- misierung der Medizin“ rasant an Fahrt aufgenommen. Das Interesse, die Organisa- tion und die Verteilung innerhalb des Ge- sundheitssystems dahingehend zu reformie- ren, dass sie nicht mehr vom Staat gesteuert, sondern von „Marktkräften“ bestimmt wer- den, ist enorm gewachsen. Analytiker und politische Entscheidungsträger haben sich dem Wettbewerb verschrieben und folgen ökonomischen Theorien. Die Frage „Staat oder Markt?“ spielt eine ausschlaggebende Rolle. Doch wenn Ökonomen oder andere Akteure in der Gesundheitspolitik in eine normative Art verfallen, wenn sie vorge- ben, wissenschaftliche Methoden anzuwen- den, um vorzuschlagen, was getan werden muss und was effizient ist, sollte in unseren Köpfen die Alarmleuchte aufblinken. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir es mit jemanden zu tun haben, der sich den Gren- zen der Ökonomie nicht hinlänglich bewusst ist.

Auslaufmodell

Das klassische Modell des Arztes, der mit seinem Patienten Entscheidungen trifft, ist heute in Gefahr, zum Auslaufmodell zu werden. Der Druck auf die Arzt-Patient- Beziehung wächst. Einerseits ist es der höhere Vernetzungs- und Koordinationsbe- darf arbeitsteilig erbrachter medizinischer Dienste. Andererseits besteht er in zuneh- mender Ökonomisierung und Rationalisie-

rung. Zusätzlich mehren sich Vorgaben „von oben“, also Management, Integrierte Versor- gung, Medizinischer Dienst der Kranken- kassen, Evidence-based Medicine, Control- ling, Disease-Management-Programme (DMP) und Diagnosis Related Groups (DRG) und vieles mehr, kontinuierlich.

Diabetes

Nehmen wir beispielsweise die DMP und richten wir hier wiederum unser Augen- merk auf das DMP „Diabetes mellitus Typ 2“, mit dem bereits über 6300 Ärztin- nen und Ärzte in Bayern arbeiten. Die Be- zeichnung „Volkskrankheit“ können nur Er- krankungen für sich in Anspruch nehmen, die häufig auftreten und womöglich in stän- diger Zunahme begriffen sind. Dies sind Kriterien, die auf den Diabetes zweifellos zutreffen. Man muss damit rechnen, dass es im Augenblick bereits acht Millionen Dia- betiker in Deutschland gibt und dass diese Zahl zunehmen wird.

Sollen sich die Patienten für dieses „DMP- Diabetes“ entscheiden? Sollen die Kollegin- nen und Kollegen sich daran beteiligen?

Diese Entscheidungen sollte man sicherlich nicht oder nicht nur davon abhängig ma- chen, was finanziell für den Arzt dabei her- ausspringt. Fragen wir vielmehr nach dem medizinischen Hintergrund des DMP. Für den Typ-2-Diabetes ist das Programm fer- tig, wird aber nach einem Jahr Erfahrung derzeit überarbeitet. Der Grundgedanke der DMP ist ausgezeichnet: Wer könnte schon Behandlungs- und Betreuungsvorschläge ablehnen, die nach dem neuesten Stand der Forschung und des Wissens für eine be- stimmte Patientengruppe gelten sollen?

Wohl niemand, doch die DMP in ihrer heu- tigen Form entsprechen eben diesen Erfor- dernissen nicht, sondern sind vielmehr Mittel zum Zweck für einen gut funktio- nierenden Risikostrukturausgleich (RSA).

Wenn man bei den Kolleginnen und Kolle- gen und bei Mitgliedern von Kommissio-

nen, die sich mit den DMP beschäftigen, herumhört, sind es im Wesentlichen zwei Punkte, die die Akzeptanz der DMP für Arzt und Patient erschweren: Die Papier- flut der Formulare, die mit jedem Patienten, der sich in das Programm einschreibt, durch den Arzt zu bewältigen ist, und zum ande- ren die Vernachlässigung von Innovationen auf dem Therapiesektor.

Innovationen

Problematisch ist für mich vor allem diese weitgehende Ausklammerung von innovati- ven Arzneimitteln. Natürlich ist es primär berechtigt, dass die evidenzbasierte Medizin bei den Überlegungen zur Therapie des Typ-2-Diabetes Vorrang haben muss. Nur ist zu bedenken, dass die evidenzbasierte Medizin natürlich nur auf einen Bruchteil von Medikamenten Anwendung finden kann, nämlich auf die, die lange genug im Handel und lange genug erprobt sind. Sol- che Präparate also, bei denen im Hinblick auf Wirkung und Nebenwirkungen Studien vorliegen, die bis zu einem Jahrzehnt und länger gelaufen sind. Gerade dieses ist aber bei Innovationsmedikamenten nicht mög- lich, weil sie ja – daher der Name Innova- tion – gerade erst neu den Ärzten und Pa- tienten zur Verfügung gestellt wurden.

Es beunruhigt mich schon, wenn man den Arzt dadurch in einen Gewissenskonflikt bringt, dass man ihn für die Teilnahme am DMP finanziell besser stellt, ihm aber die Möglichkeit nimmt, die seiner Pflicht nach bessere Therapie zu betreiben.

Würden wir in einer idealen Welt leben und jeder Arzt würde seine Therapie an eta- blierten Leitlinien orientieren, diese indivi- duell optimieren und kein Arzneimittelbud- get würde den Arzt daran hindern, wären – was das ärztliche Tun anbelangt – die DMP wohl überflüssig. Da wir aber nicht in einer idealen Welt leben, sollten wir we- nigstens dafür sorgen, dass unter dem exis- tenten DMP eine optimale Patientenver- sorgung möglich ist und fehlgeleitete Selek- tionsanreize infolge der Koppelung mit dem RSA zurückgefahren werden.

Staat oder Markt?

Dr. H. Hellmut Koch, Präsident der BLÄK

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