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nfang der 1980er- Jahre trat in den USA eine Erkran- kung auf, die noch unbekannterweise durch Ribu- nukleinsäure (RNA)-Viren, ge- naugenommen HI-Viren (Human Immundeficiency Viren) ausge- löst wurde. Bei den Betroffenen, die zunächst meist männlich und homosexuell waren, kam es zu lebensbedrohlichen Infektio- nen und Tumoren. Da alle Pa- tienten nur wenige T-Lympho- zyten und eine sehr schwache Abwehr gegen Infektionskrank- heiten aufwiesen, wurde die Krankheit Acquired Immune Deficiency Syndrome (AIDS, zu deutsch: erworbenes Immunde- fektsyndrom) genannt. Der zu- nächst noch unbekannte HI-Vi- rus führte in der Folgezeit zuerstzu einer AIDS-Epidemie unter Blutern, die mit Gerinnungsfak- toren aus infiziertem Human- blut behandelt worden waren.
Ursache: ein Retrovirus Inso- fern ist die Entdeckung des HI- Virus im Jahr 1983 als histori- sches Ereignis der Medizinge- schichte zu werten: Der franzö- sische Virologe Luc Montagnier (geb. 1932) und dessen Mitar- beiterin Françoise Barré-Sinous- si vom Institut Pasteur in Paris, die beide dafür 2008 den Medi- zin-Nobelpreis erhielten, sowie der US-amerikanerische Medi- ziner Robert Charles Gallo (geb.
1937) vom National Cancer In- stitute, Bethesda, erforschten das Virus, das nach heutiger Kenntnis seinen Ursprung in afrikanischen Affenviren hat,
fast zeitgleich. Seit 1986 wird es HIV-1 (Humanes Immundefi- zienzvirus-1) genannt. 1984 wur- de ein Zellkulturensystem ent- wickelt und damit die Voraus- setzung für die ersten HIV-An- tikörpertests geschaffen, die 1985 auf den Markt kamen.
Aktiv gegen HIV Aufgrund der schnellen Ausbreitung des Virus setzten die Wissenschaft- ler bei der AIDS-Behandlung zuerst auf bekannte antivirale Substanzen. Das erstmals 1964 von Dr. Jerome Horwitz, Wis- senschaftler der Michigan Can- cer Foundation, synthetisierte Azidothymidin (AZT, auch Zi- dovudin genannt) rückte in den Blickpunkt des Interesses. Des- sen ursprüngliches Ziel, ein Me- dikament zur Krebsbehandlung
zu entwickeln, war fehlgeschla- gen. Tierversuche bestätigten 1984 aber die Wirksamkeit der Substanz gegen Retroviren. 1985 konnte der National Institute of Health (NIH)-Wissenschaftler Hiroaki Mitsuya beobachten, dass AZT die HIV-Replikation unterdrückt. Die Wirkungsweise der Substanzen besteht somit in der Hemmung eines viruseige- nen Enzyms, der Reversen Trans- kriptase (RT). Die Blockade führt zum Abbruch der Über- setzung der genetischen Infor- mation des Virus von Ribonuk- leinsäure (RNS) in Desoxyribo- nukleinsäure (DNS). Die ent- scheidende Funktion für die Vermehrung des Virus im Kör- per ist damit unterbrochen. Al- lerdings kann Zidovudin die Viren nicht beseitigen.
AZT wurde unter dem Namen Zidovudin (Retrovir®) 1987 als erstes Medikament weltweit zur Behandlung der symptomati- schen HIV-Krankheit zugelas- sen. 1990 erfolgte die erweiterte Zulassung auch als Präventions- medikament.
Es gehört zur Klasse der antire- troviralen Substanzen, die Nu- kleosid-Analoga RT-Hemmer (NRTI) genannt werden. Zu Be- ginn wurden wesentlich höhere Dosen verabreicht, was häufig zu schweren Nebenwirkungen führte. Das Ziel die Lebensqua- lität der HIV-Infizierten zu ver- bessern, wird mittlerweile mit einer niedrigeren Zidovudin- gabe, bei gleichzeitiger Kombi- nationstherapie eher erreicht.
Heute sind noch andere NRTI und weitere Wirkstoffgruppen, wie Nichtnukleosidische Rever- se-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTIs) und HIV-Protease- hemmer in den meist als Drei- fachkombination gegebenen HIV-Kombinationstherapien im Einsatz.
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Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin
Wirkstoffe von A bis Z – historisch beleuchtet
Zidovudin
ist – wie alle anderen Mittel gegen HIV – kein perfektes
Medikament. Aber es ist der Meilenstein, der seit 1986/87 vielen Infizierten das Leben verlängert und erträglicher macht.
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PRAXIS Z WIE ZIDOVUDIN
28 DIE PTA IN DER APOTHEKE | Juni 2012 | www.pta-aktuell.de