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RB LEIPZIG DER MODERNE FUSSBALL. Ullrich Kroemer

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RB LEIPZIG ist der Prototyp des modernen Fußballklubs.

Von seinen Fans wegen des spektakulären Fußballs geliebt, von den anderen als Marketinginstrument verspottet.

Der Leipziger Sportjournalist Ullrich Kroemer zeichnet in diesem Buch das spannende, präzise Porträt eines Klubs, der in weniger als zehn Jahren einen unfassbaren Aufstieg aus der fünften Liga in die Champions League hingelegt hat – und heute neuer Herausforderer von Bayern München und Borussia Dortmund in der Fußball-Bundesliga ist.

RB LEIPZIG

DER MODERNE FUSSBALL

Ullrich Kroemer

RB LE IP ZIG

Ullrich Kroemer

RB LEIPZIG

DER MODERNE FUSSBALL

Ullrich Kroemer

ISBN 978-3-7307-0423-3 VERLAG DIE WERKSTATT

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . .6

K A P I T E L I Wie RB Leipzig entstand . . . .8

K A P I T E L I I Moderner Fußball, moderne Strukturen? . . . . 34

Der Klub . . . . 35

Lizenzkampf und Kritik . . . . 47

Der RB-Fußball . . . . 81

K A P I T E L I I I Trainer, Spieler, Macher . . . . 92

Die Trainer . . . . 93

Die Spieler . . . .121

Die Macher . . . .156

K A P I T E L I V Die Fans . . . . 168

K A P I T E L V Frauenfußball und Nachwuchs . . . . 187

K A P I T E L V I Aufstiege, drei Ehren runden und Europa . . . . 198

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Vorwort

Es hätte auch alles ganz anders kommen können. Die Manager von Red Bull hatten 2007/08 für den geplanten Fußballklub in einer großen europäischen Liga auch die Standorte Düsseldorf und Mallorca in die engere Wahl genommen. Doch die Vorausset- zungen und Möglichkeiten, in Leipzig einen eigenen Fußballklub zu gründen, erwiesen sich spätestens auf den zweiten Blick als unschlagbar: ein leer stehendes WM-Stadion, die nächsten Bundesligastandorte Berlin und Wolfsburg sowie damals noch Cottbus und Nürnberg mit jeweils etwa 200 bis 300 Kilometern weit genug entfernt sowie jede Menge schlummernde Fußballtradition in jener Stadt, in der 1900 der Deutsche Fuß- ball-Bund (DFB) gegründet wurde und aus der mit dem VfB Leipzig der erste Deutsche Meister stammt. Doch warum dauerte es von den ersten Überlegungen im Spätsommer 2006 bis zur Vereinsgründung im Frühjahr 2009 fast drei Jahre? Welche Rollen spielten der Elektrikermeister Roland Gall, der Kernphysiker Otto Schlörb und Franz Becken- bauer beim Einstieg des österreichischen Brausekonzerns in Sachsen? Warum musste auch das Alte-Herren-Team von Fusionspartner SSV Markranstädt eine Saison lang als RB Leipzig auflaufen? Welche „Kinderkrankheiten“ machten dem Retortenbaby RB zu schaffen? Und wie genau entwickelte sich eigentlich die Fanszene von Rasenballsport, die heute über 18.000 organisierte Mitglieder hat? Bereits die Gründung von Rasenball- sport Leipzig liefert viele spannende Geschichten, Hintergründe und Details, die eine Grundlage für den „Aufstieg ohne Grenzen“ bilden, wie die erste Auflage dieses Buches hieß, die im Frühjahr 2016 erschien.

Damals stieg Rasenballsport gerade in die 1. Bundesliga auf. Heute, knapp elf Jahre nach der Vereinsgründung, ist der Klub beim Titelrennen um die Deutsche Meister- schaft sowie in der K.-o.-Runde der Champions League dabei und arbeitet unter Trai- ner-Jungstar Julian Nagelsmann und hochprofessionellen Bedingungen am modernen Fußball der Zukunft.

Überhaupt gilt der „Super-Kapitalist“ RB Leipzig, wie der Sportphilosoph Gunter Gebauer den Klub beschreibt, als Inbegriff des modernen Fußballs. Spielerisch-taktisch ebenso wie hinsichtlich seiner Leitlinien und Strukturen. In den Ultraszenen gilt RB als Feindbild schlechthin, wenn der Slogan „Gegen den modernen Fußball“ in den Fanblö- cken der Stadien auftaucht.

Um zu erklären, wie RB Leipzig wirklich tickt, wo Grund zur Kritik besteht und wie modern der Klub tatsächlich ist, widmet sich die dritte, umfangreich erweiterte und aktualisierte Auflage unter dem Untertitel „Der moderne Fußball“ diesem Komplex.

Das Buch – Chronik und Vereinsporträt zugleich – beschreibt die rasante Entwick- lung der Leipziger aus ganz verschiedenen Perspektiven. Das Wirken zentraler Prota-

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gonisten wie Trainer Nagelsmann, Klubentwickler Ralf Rangnick und Manager Oliver Mintzlaff wird ebenso beleuchtet wie die Karrieren früherer und aktueller Spieler von Dominik Kaiser bis Timo Werner. Die Ex-Trainer Tino Vogel, Tomas Oral, Peter Pacult und Alexander Zorniger berichten in ausführlichen Interviews von ihrer Leipziger Zeit.

Die Kontroversen rund um die Gründung und Zusammensetzung dieses Fußball- klubs neuer Prägung werden von zahlreichen externen Experten eingeordnet: Der frü- here DFL-Geschäftsführer Christian Müller bewertet, hinterfragt und kritisiert etwa die Lizenzierungen des neuen Platzhirsches für die Bundesliga und die internationalen Wettbewerbe so deutlich wie kein Experte vor ihm; die Taktikexperten Prof. Dr. Daniel Memmert und Tobias Escher analysieren das Spielsystem von RB Leipzig; nicht zuletzt kommen auch die Fans selbst ausführlich zu Wort. Der langjährige, 2019 zurückge- tretene RB-Capo Sebastian und der Ex-Fanbeauftragte Enrico Hommel beschreiben anschaulich, wie sich die Fanszene von den Anfängen mit einigen Dutzend Anhängern in den vergangenen Jahren entwickelt hat.

Die vorliegende Auseinandersetzung mit RB Leipzig soll Fans, neutralen Beobach- tern und Kritikern gleichermaßen genügen. Anliegen des Vereinsporträts ist es einer- seits, die überregionale Diskussion über und Bewertung von RB Leipzig durch zahl- reiche, zum Teil neue Fakten, Details, Hintergründe, Zusammenhänge und Bewertungen auf ein neues Niveau zu heben. Und auch die Anhänger von Rasenballsport, die ihren Verein lieben, aber bisweilen auch hinterfragen, werden jede Menge neue Impulse bei der Lektüre der Texte, zahlreichen Interviews und Porträts erhalten. Durch die Betrach- tung aus vielen verschiedenen Blickwinkeln ergibt sich ein differenziertes Gesamtbild von Rasenballsport Leipzig als modernem Fußballklub.

Dafür danke ich meinen Gesprächspartnern, die sich eigens für dieses Buch Zeit für teils sehr ausführliche Gespräche genommen haben: Patrick Bick, Thomas Eickmann, Tobias Escher, Dr. Georg Flascha, Daniel Frahn, Roland Gall (†), Prof. Dr. Gunter Gebauer, Enrico Hommel, Matthias Kießling, Dr. Michael Kölmel, Prof. Dr. Daniel Memmert, Christian Müller, Stephan Oberholz, Tomas Oral, Peter Pacult, Wolfgang Patitz, Ralf Rangnick, Klaus Reichenbach, Dr. Otto Schlörb, Thomas Schmidt-Lux, Frieder Schrof, Ex-RB-Capo Sebastian, Dr. Andreas Stammkötter, Tino Vogel, Alexander Zorniger und Prof. Dr. Henning Zülch.

Bei Wiebke Dürrwald und meinen Kindern Arthur und Wanda bedanke ich mich für die Unterstützung und Geduld während des Recherche- und Schreibprozesses.

Spannende Einblicke und viel Freude bei der Lektüre dieses Buchs über den Prototypen des modernen Fußballs – RB Leipzig!

Ullrich Kroemer, Februar 2020

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Kapitel I

Wie RB Leipzig entstand

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LIEBE AUF DEN Z WEITEN BLICK:

Wie Red Bull den Standort Leipzig entdeckte

A uch RB Leipzig hat einen Gründungsmythos: Der Elektrikermeister Roland Gall legte die erste Leitung von Leipzig zum Red-Bull-Konzern.

Doch der erste Anlauf mit dem FC Sachsen Leipzig scheiterte aus einer Vielzahl von Gründen.

Am Ende des Gesprächs schlug Roland Gall sanft mit der Hand auf den Tisch, lächelte und sagte: „Ich will mich nicht mit falschen Lorbeeren schmücken, aber die Tür aufge- macht hab’ ich!“ Der damals 65-Jährige saß in seiner Wohnstube in Hohenmölsen, einem Städtchen in Sachsen-Anhalt, etwa eine dreiviertel Autostunde von Leipzig entfernt. Gall war Rentner und seit 2003 arbeitslos, früher arbeitete er als Elektrikermeister. Er emp- fing in sportlicher Freizeitkleidung in seiner kleinen Genossenschaftswohnung. Gall atmete schwer, war aufgeregt wegen des Besuchs, seine Hände zitterten leicht. Gesund- heitlich ging es ihm bereits im Sommer 2015 nicht besonders gut — die Hitze und das Herz. Es wurde sein letztes ausführliches Gespräch über seine Herzensangelegenheit RB Leipzig. Wenige Tage nach dem Treffen musste Roland Gall operiert werden; am 22. November 2015 — Totensonntag — verstarb er an Leberversagen.

Der kleine, untersetzte Mann mit dem akkurat gescheitelten Haar und den Kote- letten vermittelte auf den ersten Blick nicht den Eindruck, am großen Sportmarke- ting-Rad drehen zu können. Und doch beginnt die gemeinsame Geschichte vom Welt- unternehmen Red Bull und dem deutschen Fußball hier in Hohenmölsen. Von Leipzig aus gelangt man über verschlungene und holprige Straßen durch Wiesen und Felder des Burgenlandkreises in das knapp 10.000 Einwohner zählende Städtchen. Das passt ganz gut, denn auch Red Bull drängte auf teils holprigen, bisweilen verschlungenen und bis dato unbeschrittenen Pfaden in den deutschen Bundesliga-Fußball. Die erste Initiative dazu soll von Roland Gall ausgegangen sein.

Der gebürtige Thüringer war seit seiner Kindheit Fan der BSG Chemie Leipzig, dem Arbeiterklub aus dem Leipziger Westen. Auch als der Verein nach der Wende unter FC Sachsen Leipzig firmierte, hielt Gall den Grün-Weißen die Treue. Im Sommer 2006 suchten die „Chemiker“ händeringend einen Sponsor. Am Bierstand versprach Gall, der 25 Jahre lang Mitglied des Vereins war, dem damaligen FCS-Präsidenten Rolf Heller, ihn bei der Suche zu unterstützen. Gall, den alle nur „Sachsen-Galli“ nannten, hatte mit Sport- business zwar nicht viel am Hut, aber er hatte Ideen, keine Scheu und eine große Leiden-

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K A P I T E L I

schaft für den Fußball. So schrieb er einst Franz Beckenbauer einen Brief, um ein Freund- schaftsspiel zwischen dem FC Bayern München und dem FC Sachsen zu vereinbaren. Im Sommer 1997 fand die Partie statt. „Ich bin jemand, der Dinge tut, die andere nicht tun“, sagte Gall. Seine freundlichen Augen funkelten listig. Er holte eine Mappe mit Zeitungs- artikeln, Dokumenten und Broschüren hervor — der Esstisch des kleinen Wohnzimmers mit Möbelhaus-Schrankwand, Couch und Flachbildschirm wurde nun zu seinem Organi- sations-Büro — und erzählte davon, wie er erstmals Kontakt zu Red Bull aufnahm:

Da er keinem Vollzeitjob nachging und die Kinder aus dem Haus waren, hatte der Fußballenthusiast im Sommer 2006 genügend Zeit, um über mögliche Geldgeber für den FC Sachsen nachzudenken. Er erinnerte sich an seinen früheren Kumpel Roland Zickler, Vater des ehemaligen Stürmers Alexander Zickler. Dessen Weg hatte einst von Dynamo Dresden zum FC Bayern München und weiter zu Red Bull Salzburg geführt. Im Fernsehen sah Gall Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz, der zu jener Zeit gerade mit seinem Rennstall die Formel 1 aufmischte und sich in New York und Salzburg auch im Fußball engagierte. Da der rührige Hohenmölsener weder Internetzugang noch inter- national vernetzte Partner hatte, fuhr er zu einer Tankstelle und kaufte sich ein Dös-

Die Durchwahl zu Dietrich

Mateschitz’

Assistentin hatte sich Roland Gall notiert;

das Wörtchen

„momentan“

ist mehrfach unterstrichen.

Man sieht dem Antwort- schreiben von Red Bull

an, welche Hoffnungen es

bei Gall & Co.

weckte.

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11 L I E B E A U F D E N Z W E I T E N B L I C K

chen des teuren Energy-Getränks aus Fuschl am See. Nicht, um zu kosten, wie die Brause schmeckt, sondern: „Da steht ja die Adresse drauf“, erklärte er.

Wie einst bei der Anfrage an Becken- bauer setzte sich Roland Gall an seinen Esstisch und verfasste handschriftlich einen zehnseitigen Brief, schrieb die Adresse von der Dose ab und adressierte das Schreiben an Firmengründer Dietrich Mateschitz persönlich. Die Sponsoren- anfrage Ende August 2006 ist nachweis- lich die erste Kontaktaufnahme zwischen Leipzig und dem milliardenschweren Limonadegiganten.

Galls Kumpels vom Chemie-Fanklub Hohenmölsen schüttelten nur ungläubig mit dem Kopf und taten die Idee des Kleinstadt-Visionärs als Hirngespinst ab.

Tenor: Du bist ein rühriger Kerl, „Galli”, aber das ist eine Nummer zu groß für dich.

Doch Gall erreichte auch diesmal mehr, als ihm viele zutrauten. Etwa zehn Tage nach seiner Anfrage an Dietrich Mateschitz bekam er eine Antwort von Red Bull. Kathrin Kalt, Assistentin der Geschäftsführung, antwortete, dass „wir uns momentan nicht bei Pro- jekten im Rahmen des Fußballs involvieren, die über unser oben genanntes Engagement hinausgehen“. Weiter heißt es: „Wir bedauern, dass wir Ihre Anfrage als Trikotsponsor abschlägig behandeln müssen.“ Gall war zunächst enttäuscht, ließ aber nicht locker. Er rief in der Red-Bull-Firmenzentrale an, notierte die Durchwahl zu Mateschitz’ Büro auf dem Schreiben. Dessen Assistentin machte Gall Mut. Immerhin heiße es in dem Brief, dass sich Red Bull „momentan“ nicht für den FC Sachsen interessiere. „Bleiben Sie dran, wir behalten das im Auge“, soll Kalt gesagt haben. Eine Generalabsage klingt anders.

„Momentan“ — das entscheidende Wörtchen hatte Gall zunächst übersehen. Nun unterstrich er es gleich dreimal — zweimal rot, einmal schwarz — und leitete das Schreiben an Dr. Jens Ellinger weiter, damals Geschäftsführer des FC Sachsen. Gall holte das faltige Schriftstück aus seiner Mappe hervor. „Ich will mich nicht wichtig machen, kann alles beweisen“, sagte er. Bei der Jahreshauptversammlung des FC Sachsen habe Gall Dr. Michael Kölmel, damals Geldgeber und Stadionvermieter des Klubs, mit seinem kühnen Vorschlag konfrontiert. Kölmel habe sich zwar für Galls Einsatz bei der Kontakt- aufnahme zu Red Bull bedankt, soll aber gesagt haben: „Ich glaube nicht daran.“

Natürlich gehört die menschelnde Geschichte von Roland Galls Initiative zu einer der noch spärlichen Mythen und Anekdoten in der jungen Geschichte von Rasen- ballsport. Doch der Klub würdigte die private Initiative entsprechend. Nachdem Gall

Rühriger Macher: Roland Gall († 2015)

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K A P I T E L I

sich öffentlich beschwert hatte, wurde er 2015 zum einzigen Ehrenmitglied des Klubs ernannt und erhielt freien Zutritt zu RB-Spielen und Konzerten in der Arena. Zwar hätten Red Bull und Leipzig sicher auch ohne den Elektriker zusammengefunden – tat- sächlich dürfte Galls Einfluss begrenzt gewesen sein. Doch die Rolle als ideeller Vater eines Red-Bull-Sponsorings in Leipzig durfte er für sich beanspruchen.

R E D B U L L B E I S S T A N

Konkret wird der Kontakt zwischen Sachsen und Österreichern, als sich Dr. Otto Schlörb, rechte Hand von Stadionbesitzer Kölmel, um ein Engagement des Brausegiganten bemüht.

Der Kernphysiker hatte 2004 nach der Insolvenz des Generalunternehmers Philipp Holz- mann die Fertigstellung des Zentralstadions Leipzig als Generalbevollmächtigter feder- führend übernommen und den Bau mit

allen Anlagen pünktlich zur WM 2006 fer- tiggestellt. Nach dem Turnier blieb Schlörb in Leipzig und wurde Geschäftsführer der Holding sowie der Besitzgesellschaft und der Betreibergesellschaft des Zentralstadions Leipzig (ZSL). Er hatte den Auftrag, das Stadion mit Profifußball zu beleben, einen potenten Mieter für die WM-Arena aufzu- bauen. Denn ohne regelmäßige Nutzung machte Kölmel mit dem Stadion allein an festen Betriebskosten 100.000 Euro Minus — pro Monat. „Uns stand das Wasser bis zum Hals“, erinnert sich Schlörb.

Um das Stadion wirtschaftlich zu machen, pumpt die ZSL-Besitzgesellschaft über eine Million Euro in den Viertligisten FC Sachsen, holt Trainer Eduard Geyer und Ex-Bundesligaspieler wie Rolf-Christel Guié-

Mien. Als zweite Maßnahme sucht Schlörb potente Sponsoren für den Klub, er versucht es unter anderem bei Wettanbieter Bwin, der Fluggesellschaft Etihad oder Werkzeug- hersteller Würth. Und auch Red Bull bekommt erneut Post vom FC Sachsen, diesmal nicht handschriftlich, sondern ein professionelles Exposé von Schlörb, das er im Sep- tember 2006 persönlich im Salzburger Red-Bull-Repräsentationsgebäude Hangar 7 abgibt. Zu den leitenden Managern dringt Schlörb nicht durch, eine Assistentin nimmt das Schreiben und Schlörbs Visitenkarte entgegen.

Kurz darauf nimmt der Coup tatsächlich Fahrt auf. Am 2. Oktober meldet sich Red Bull überraschend in Gestalt von Dany T. Bahar zurück, damals Dietrich Mateschitz’

rechte Hand in Sachen Marketingaktivitäten im Sport. Schlörb kann sich noch gut an jenen Moment erinnern, in dem sein Handy klingelte und sich Bahar mit den Worten

Führte erste Verhandlungen mit Red Bull:

Otto Schlörb, rechte Hand von Stadion- Besitzer Kölmel.

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13 L I E B E A U F D E N Z W E I T E N B L I C K

meldete: „Hier ist der Sportchef von Red Bull. Wir erwägen, uns im deutschen Fuß- ball zu engagieren.“ Plötzlich ist alles ganz eilig. Bahar will einen Privatjet schicken, um Schlörb nach Salzburg in den Hangar 7 einzu- laden, und sich das Angebot des FC Sachsen anhören. Bahars dringende Bitte: das Inte- resse von Red Bull absolut vertraulich zu behandeln.

Bahar und Schlörb vereinbaren für den 4. Oktober ein diskretes Kennenlernen mit Stadionbesitzer Kölmel — nicht in Leipzig, sondern in einem Hotel neben dem Filmpa- last Berlin, wo Kino-Unternehmer Kölmel am Abend zuvor eine Filmpremiere hatte. Dort unterbreiten Kölmel & Co. Red Bull ein erstes Konzept. Fünf Tage später findet ein zweites Treffen am Münchner Flughafen statt. Mit von der Partie ist erstmals auch der damalige Schatzmeister des FC Sachsen Leipzig, Dr.

Georg Flascha.

Der Wirtschaftsprüfer ist als einziger Vertreter des damaligen Viertligisten in die Gespräche eingebunden. Bis auf ihn und seine drei Vorstandskollegen weiß keiner beim FC Sachsen von den Verhandlungen mit Red Bull. „Sehr seriöse und professionell geführte Gespräche“ seien das gewesen, erinnert sich Flascha heute. „Alles, was Red Bull inzwischen bei RB Leipzig umgesetzt hat, haben sie damals schon geplant“, sagt er.

Auch die 100 Millionen Euro, die später als geplantes Investment für den Zeitraum von zehn Jahren genannt werden, waren damals bereits angedacht worden. An jenem Tag hört Flascha auch zum ersten Mal von den Vorstellungen und Forderungen, die Red Bull als Top-Sponsor des FC Sachsen Leipzig aufgestellt hatte: Änderung der Trikotfarben von Grün-Weiß in Rot-Gelb, Namensänderung des Vereins und Logoanpassung sowie Erwerb der Namensrechte am Stadion.

Zwar ist der Aufschrei der Fans angesichts der Forderungen programmiert. Doch Kölmel & Co. verhandeln konsequent und diskret weiter. Auf Einladung von Red-Bull- Manager Bahar treffen sich Kölmel und Schlörb am 22. Oktober 2006 mit Dietrich Mate- schitz sowie dessen Geschäftsfreund und erstem Fußballberater Franz Beckenbauer in der Red-Bull-Loge im Salzburger Stadion; Red Bull Salzburg gewinnt mit 4:0 gegen Aus- tria Wien. Wichtiger aber ist: Auch der „Kaiser“ empfiehlt Mateschitz die WM-Arena in Sachsen. „Beckenbauer hat Leipzig ins Spiel gebracht“, sagt Flascha. Zwar darf man des

„Kaisers“ Rolle bei der Eheanbahnung nicht überschätzen; mit der konkreten Umsetzung oder Vermittlung hat der damalige Präsident des FC Bayern München nichts zu tun.

Doch auf den Rat des Wahl-Salzburgers soll Mateschitz stets großen Wert legen.

Ex-Red-Bull-Fußballchef Bahar: „Wir erwägen, uns im deutschen Fußball zu engagieren.“

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K A P I T E L I

Wenig später durchleuchten Wirtschaftsprüfer der Unternehmensberatung Ernst &

Young sowie Red-Bull-Prüfer die Bilanzen des FC Sachsen auf Herz und Nieren — eine sogenannte Due-Diligence-Prüfung, bei der Stärken und Schwächen eines Unterneh- mens sowie die Risiken abgewogen werden. „Der Verein war damals leicht bilanziell überschuldet. Unter Berücksichtigung von stillen Reserven hatte er aber einen positiven Vermögensstatus“, sagt Flascha. Die finanzielle Situation hätte Red Bull angesichts der angedachten Investitionssumme also nicht abgeschreckt. Schlörb ist auch im November noch einmal in Salzburg, führt bereits detailliertere Gespräche.

Dass die Kooperation zwischen dem Klub aus Leipzig-Leutzsch und dem österreichi- schen Milliardenunternehmen letztlich ins Schlingern geriet, nahm laut Schlörb mit der Veröffentlichung des bis dato streng geheimen Projekts in der lokalen Leipziger Presse seinen Lauf. Am 9. November 2006 titelt die Leipziger Volkszeitung (LVZ): „Flügel für den FC Sachsen? Energy-Drink-Unternehmen Red Bull interessiert sich für Fußballstandort L.E.“ Laut Schlörb hatte das Blatt „durch eine Indiskretion“ mit fragwürdigen journalis- tischen Mitteln von dem geplanten Coup erfahren und die Sensationsstory gedruckt —

„leider ohne uns vorher damit zu konfrontieren, wie man mit dem brisanten Thema am besten umgeht“.

Als die Schlagzeilen zu Red Bull durchdringen, soll Bahar verärgert bei Schlörb durchgeklingelt haben: „Mateschitz ist stocksauer“, soll er geschimpft haben. Natür- lich regte sich auch der Zorn der eingefleischten „Chemie“-Fans, als sie von den Plänen aus der Zeitung erfuhren. 20 führende Anhänger des FC Sachsen bestellten Schlörb &

Co. nach Leutzsch ein, die dem Verhandlungsführer unmissverständlich klarmachten, was sie von den Verhandlungen mit Red Bull halten. Schlörb erinnert sich an eine „fast hasserfüllte“ Atmosphäre. Sein Auto findet er nach dem Treffen zerkratzt vor. Das sei jedoch nur ein Lager der FC-Sachsen-Fans gewesen, sagt Flascha. „Ich habe durchaus eine Chance gesehen, den Fans eine Kooperation mit Red Bull zu vermitteln“, sagt der bärtige Finanzexperte aus Frankfurt. Ihm schwebte eine Kooperationsvereinbarung mit Red Bull vor, um den „FC Sachsen nicht untergehen zu lassen“. Demnach hätte Red Bull die erste Mannschaft von „Chemie“ übernommen, den Klub inklusive zweitem Team eine Liga tiefer hätte es aber weiter gegeben. Doch daraus wurde nichts — zumindest nicht beim FC Sachsen.

Zwar schwebt einen knappen Monat nach der ungewollten Veröffentlichung eine Delegation um Red-Bull-Chefverhandler Bahar in Leipzig ein, um in den Katakomben der Leipziger Arena Details auszuloten. Doch über den Jahreswechsel kühlt das Interesse merklich ab. „Der Vertrag wurde nie endverhandelt“, erinnert sich FCS-Schatzmeister Flascha. So fortgeschritten, wie die Leipziger die geplante Kooperation wähnen, wird das Unterfangen in Salzburg nie wahrgenommen. Im Februar 2007 sagt der Getränke- multi dem FC Sachsen in einem knappen Schreiben ab. Mateschitz, der nie ein großer Fußballfan war, legt das geplante Investment zunächst auf Eis. Kölmel und der Klub reagieren geplättet. „Wir haben daraufhin nie wirklich nachgehakt bei Red Bull“, sagt Flascha, „wir waren erst mal baff.“

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15 N E U S TA R T D E R V E R H A N D L U N G E N

Neben der voreiligen Veröffentlichung samt intensiver Debatte mit täglichen Was- serstandsmeldungen gibt es noch weitere Gründe für den Abbruch der Gespräche. So sollen auch die schweren Ausschreitungen am 10. Februar in Leipzig die Red-Bull- Bosse abgeschreckt haben. Damals hatten sich nach dem Spiel zwischen Lokomotive Leipzig und der zweiten Mannschaft von Erzgebirge Aue etwa 800 Randalierer eine Straßenschlacht mit der Polizei geliefert. Szenen, die so gar nicht zum Image von Red Bull passen und die die beiden weiteren fokussierten Standorte Düsseldorf und Mal- lorca wieder stärker ins Blickfeld rücken ließen. Zwar sollen auch der FC St. Pauli und 1860 München Optionen gewesen sein, jedoch keine ernsthaft und mit Mandat von Red Bull diskutierten, sagt einer, der damals dabei war. Dazu sollen die Red-Bull-Anwälte vor Lizenzschwierigkeiten bei der geplanten Vereinsübernahme und -umbenennung gewarnt haben. Widerstand der Verbände regte sich. Und auch das Zerwürfnis zwischen Mateschitz und Jungmanager Bahar, der das Unternehmen im März 2007 verließ, dürfte eine Rolle gespielt haben. Doch wie sich erst später herausstellt, verlieren die Red-Bull- Bosse Leipzig nicht komplett aus den Augen, sondern entscheiden sich lediglich gegen die Variante FC Sachsen.

NEUSTART DER VERHANDLUNGEN:

Mateschitz‘ „Schnapsidee“ wird Realität

S trategiewechsel: Statt FC Sachsen oder Lok Leipzig suchte sich Red Bull einen überregional namenlosen Verein als Starthilfe. Doch ursprünglich war nicht der SSV Markranstädt erste Wahl, sondern ein anderer Klub in der Nähe von Leipzig.

Über ein Jahr herrscht Sendepause zwischen Leipzig und Fuschl am See. Der mit großen Hoffnungen begleitete Einstieg von Red Bull scheint zunächst vom Tisch. Regionalligist FC Sachsen ist nach der Entlassung von Trainer Eduard Geyer und zahlreicher Spieler gezwungen, kleinere Brötchen zu backen, hängt weiter am Tropf von Stadionbesitzer Kölmel und muss 2009 Insolvenz anmelden, als der sich abwendet. Red Bull indes nimmt in Gestalt von Markus Egger, neuer „General Manager Soccer“, wieder Kontakt mit Kölmel auf. Am 9. September 2008 verständigen sich Egger, der neu hinzugeholte

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Kapitel II

Moderner Fußball,

moderne Strukturen?

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Der Klub

DER SUPER-K APITALIST

„Auf Erfolg getrimmt“: Wie RB Leipzig funk- tioniert, welche Rolle der Klub im deutschen Fußball einnimmt und die Kritik daran

Gespenstisch still war es auf der Westseite des Leipziger Hauptbahnhofs, als sich der Zug von etwa 2.000 Fans des 1. FC Union Berlin bedächtigen Schrittes in Richtung Sta- dion aufmachte. Wie es sich für einen Trauermarsch gehört, waren alle Teilnehmer ganz in Schwarz gekleidet. Gänzlich ohne Hassgesänge oder Schlachtrufe – nur der Lärm des Polizeihubschraubers war zu hören – verliehen die Unioner ihrem Protest gegen RB völlig stumm Ausdruck. „In Leipzig stirbt der Fußball“ stand auf dem Banner, das die Köpenicker zum Auftakt der Bundesliga-Rückrunde im Januar 2020 mit sich trugen.

Die Ultras des Aufsteigers hielten einen Pappmaché-Sarg und viele kleine Kreuze mit Inschriften in die Höhe: „Ehrenamt“, „Fankultur“, „50+1“, „Mitbestimmung“, „Emotion“,

„Stehplätze“, „Ehrlicher Fußball“ trugen sie zu Grabe. Alles Werte des Fußballs, die die Traditionalisten dem modernen Klub RB Leipzig nicht nur absprechen, sondern die sie

durch den „Totengräber“ RB in ihrer Existenz bedroht sehen.

Wenn Rasenballsport zu Gast ist, wird der moderne Fußball kurioserweise selbst beim Branchenprimus Bayern München geächtet. Bei den Gastspielen der Leipziger hängt vor der Südkurve stets ein Banner: „Gegen den modernen Fußball“ steht in großen roten Lettern darauf geschrieben. Auch anderswo, in Nürnberg oder Köln, verwünschen die Fans zeitgemäßen Fußball. Längst ist der aus den italienischen Ultraszenen stammende Slogan – „Contro il calcio moderno“ – auch hierzulande ein Kampfbegriff geworden. Und RB Leipzig gilt als Prototyp des modernen Fußballklubs.

In anderen Gesellschaftsbereichen und in der Wirtschaft ist das Adjektiv modern ausschließlich positiv konnotiert: moderne Technik, moderne Beziehung, moderne Kunst. Im Fußball hingegen gilt modern vor allem als Schimpfwort denn als Qualitäts- merkmal. „Das liegt daran, dass es im Fußball Fans gibt, die sich von der Ökonomie abgrenzen und etwas erhalten wollen, was sie selbst als traditionell empfinden“, erklärt der Sportphilosoph Gunter Gebauer.

Was aber heißt das im Zusammenhang mit RB Leipzig konkret? Was ist modern an dem Leipziger Erfolgsklub – mit allen positiven und negativen Facetten – und was

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ganz entgegen der Zuschreibung gar nicht zeitgemäß? Was verkörpert RB, das die Fans anzieht und andererseits massiven Protest provoziert? Und welche Signale sendet ein Klub wie RB an die Gesellschaft? Und schließlich: Ist RB Leipzig tatsächlich Totengräber, wie nicht nur die Union-Fans behaupten, oder die konsequenteste Ausprägung eines immer stärker wirtschaftlich geprägten Fußballs?

Philosoph Gebauer, Mitglied der Deutschen Akademie für Fußballkultur, sagt: „Hier demonstriert ein Super-Kapitalist, wie man Fußball mit sehr viel Geld und intelligentem Management sportlich und ökonomisch erfolgreich machen kann, auch ohne auf eine lange Geschichte, ohne einen Patriarchen und sogar ohne reiches Umfeld und Bezie- hungen in deutsche Spitzenfirmen. Das Beispiel zeigt auch, wie wenig professionell andere Bundesligavereine geführt werden!“ Gebauer kennzeichnet Rasenballsport als Klub mit „modernen Vereinsstrukturen, moderner Ökonomie, moderner Personalfüh- rung und modernen Entscheidungsstrukturen“. Kurz: als einen Fußballverein, der „auf Erfolg getrimmt“ ist.

„ S C H N E L L E R U N D F L E X I B L E R “

Der Wirtschaftswissenschaftler Henning Zülch beschäftigt sich seit Jahren näher mit den Managementqualitäten der Bundesligisten. Der Professor von der Management- hochschule HHL Leipzig schätzt, dass die unternehmerische Professionalisierung der Bundesligisten gerade erst beginne. „Und RB Leipzig ist hier durchaus als modern zu bezeichnen“, sagt er, „da dieser Klub anders ist als die übrigen in der Liga. Er wird durch und durch von unternehmerischen Interessen geleitet, die sich eindrucksvoll im sportli- chen Erfolg widerspiegeln.“ Auch deswegen, weil die Interessengruppe Mitglieder nicht existent sei und damit „keine der relevanten strategischen Entscheidungen blockieren“

könne, „wie dies bei anderen Klubs der Fall ist“. Die Managemententscheidungen seien ausschließlich „rational und nicht emotional getrieben, was dem Erfolg eindeutig zuträg- lich ist“, so Zülch.

Die aktuelle Studie der HHL bescheinigt RB hinsichtlich des sportlichen Manage- ments den dritten Rang hinter Borussia Dortmund und dem FC Bayern. „Dafür, dass RB

„Für den modernen Fußball“: Rasenballsport-Fans im November 2012 in Zwickau.

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37 D E R S U P E R - K A P I TA L I S T

erst im vierten Jahr in der Bundesliga dabei ist, ist das Ergebnis außerordentlich gut“, bewertet Zülch. In der Dimension Spieler/Trainer Eigenschaften belegen die Leipziger den ersten Rang. „Da geht es um das Durchschnittsalter, die Performance der Spieler und die Integration neuer Akteure. Da ist RB exzellent“, sagt Zülch. Gute Werte attes- tiert die HHL dem Red-Bull-Klub auch hinsichtlich der finanziellen Entwicklung, etwa Wachstum und Profitabilität. „Das ist eine sehr solide finanzielle Performance, nicht nur wegen der Unterstützung von Red Bull“, betont der Wissenschaftler, „sondern auch durch die Tatsache, dass sie zwei Jahre hintereinander international gespielt und neue Gelder eingeworben haben.“ Ziel müsse es sein, „dauerhaft zu den 20 umsatzstärksten Klubs Europas zu gehören. Das werden sie auch aus eigener Kraft schaffen“, so der Experte. Mit einem angepeilten Umsatz von 300 Millionen Euro pro Jahr ist es nur eine Frage der Zeit, bis RB in diesem exklusiven Zirkel auftaucht.

Auch, weil RB Entscheidungen „schneller und flexibler treffen und somit auf unsi- chere Marktbedingungen reagieren“ könne. „Die Organisationstruktur passt sich den laufenden Wettbewerbsbedingungen zügig an. Dabei ist es von Vorteil, dass es noch keine gewachsene Organisationstruktur gibt, in welcher die Mitarbeiter nach dem Senioritätsprinzip und ihrer regionalen Verwurzelung positioniert werden. So ist sicher- gestellt, dass die Organisation durch frische Mitarbeiter von außen ergänzt wird und innovativ bleibt“, beobachtet Zülch. Nicht wer länger im Unternehmen ist, erhält Füh- rungspositionen, sondern wer die beste Leistung verspricht.

I N T R A N S PA R E N T E F I N A N Z E N

Der wirtschaftliche Aufstieg mit anfangs ausschließlich horrenden Ausgaben ohne nennenswerte Einnahmen war natürlich nur möglich, weil die Red-Bull-Manager 2009 Leipzig für den geeignetsten Ort hielten, um einen eigenen Klub – selbstredend auch als Werbeträger – in die Fußball-Bundesliga zu befördern. Der Soziologe Thomas Schmidt-Lux, Teil des Leipziger Anti-RB-Blogger-Kollektivs zwangsbeglueckt.de, kriti- siert: „Bei RB ist nicht Sport oder Gemeinwohl, sondern Ökonomie die Gründungsidee des Vereins. In letzter Instanz wird dieser Klub nur so lange funktionieren, wie es mar- ketingtechnisch funktioniert. Man muss immer mal wieder das Gedankenexperiment machen: Wie sähe die Bundesliga aus, wenn auf die gleiche Idee noch drei andere Groß- konzerne kämen?“

Genaue Zahlen, wie viel Geld Red Bull als „Anschubfinanzierung“ investiert hat, existieren nicht. Fakt ist, dass RB bis 2020 etwa 340 Millionen Euro für Transfers ausge- geben, aber nur etwa 150 Millionen Euro (Stand: Januar 2020) eingenommen hat. Allein der Bau der Akademie (35 Millionen Euro), Stadionkauf (40 bis 70 Millionen Euro) und -umbau (60 Millionen Euro) kosteten etwa weitere 150 Millionen Euro. Welche Summe Red Bull pro Jahr an RB Leipzig in seiner Rolle als Hauptsponsor überweist, ist nicht bekannt. Was Finanzielles angeht, arbeitet der Klub nach wie vor höchst intransparent, was ihm in dieser Kategorie auch den letzten Platz im Management-Ranking der HHL einbrachte. Doch es handelt sich mit Sicherheit um einen hohen zweistelligen Millio-

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K A P I T E L I I

nenbetrag. Neben den Einnahmen aus der Champions League mit Abstand der höchste Posten im Jahresetat der Leipziger. Doch dass die Sponsoringzahlungen nicht außerge- wöhnlich hoch, sondern marktüblich sind, gibt die UEFA zumindest vor zu überwachen – über den sogenannten Media Value, den eine Agentur für jeden Klub ermittelt.

Zudem gewährt der Getränke- und Marketinggigant aus Fuschl am See seinem Aus- hängeschild Darlehen im dreistelligen Millionenbereich, um zu wachsen. Ende 2017 betrugen die Schulden der Leipziger bei RB 131 Millionen Euro. Im Sommer 2018 waren es noch 121 Millionen. Ganz grob geschätzt hat Red Bull in den zehneinhalb Jahren seit der Vereinsgründung sicher mehr als eine halbe Milliarde Euro in das Projekt Bundes- ligafußball gesteckt. Geld, das der österreichische Konzern mit Jahresumsatz von mehr als 5,5 Milliarden Euro als Marketinginvestition betrachtet.

„ K E I N E D E M O K R AT I S C H E N S T R U K T U R E N “

Nach Gutdünken einkaufen und anschaffen kann der angehende Spitzenklub dennoch nicht, da Red Bull die Budgets für all seine Unternehmen jeden September bei soge- nannten Budgetplanungsmeetings festlegt. Dort wird bestimmt, wie viel Geld investiert wird. Danach richtet sich etwa auch der jährliche Transferetat. Das festgelegte Budget darf im Falle von außerplanmäßigen Ausgaben nur dann um maximal zehn Prozent überschritten werden, wenn der Aufsichtsrat zustimmt. Das ist jedoch reine Formsache, weil die drei RB-Gremien Vorstand, Ehrenrat und Aufsichtsrat lediglich auf Druck der Deutschen Fußball-Liga aufgestülpte Konstrukte sind, um übliche Vereinsstrukturen nachträglich zu schaffen – Kritiker sagen, zu simulieren.

„Die Vereinsstrukturen sind seit 2014 gleichgeblieben. Es kommt nach wie vor kein stimmberechtigtes Mitglied in diesen Verein, das nicht von Red Bull bestellt ist“, sagt RB-Kritiker Schmidt-Lux. Ausgenommen einer von vier Aufsichtsräten, den der Verein aus den Reihen der nicht stimmberechtigten Fördermitglieder auswählt. Die Mitglieder von Bayern München könnten Hoeneß-Nachfolger Herbert Hainer abwählen, wenn sie wollten. RB-Boss Oliver Mintzlaff muss sich höchstens vor Investor Dietrich Mateschitz und dem Gesellschafterausschuss verantworten.

Aus wirtschaftlicher Sicht ist das das große Plus von RB. Aus Sicht von Philosoph Gebauer das gravierende Manko – und so gar nicht modern. „Bei RB Leipzig gibt es keine demokratischen Strukturen. Was Mateschitz macht, ist autokratisch“, sagt er.

„RB Leipzig ist ein besitzergeführtes Unternehmen, das abhängig von einer Person ist, das sollte ein Sportverein eigentlich nicht sein. Auch in autokratischen Ländern kann die Ökonomie sehr erfolgreich sein. Aber es ist undemokratisch und es widerspricht unserer Gesinnung. Was das angeht, ist Leipzig überhaupt kein Vorbild, das ist eher beängstigend.“

Als dritten gravierenden Kritikpunkt neben der rein ökonomisch motivierten Ver- einsgründung und fehlenden demokratischen Strukturen nennt Blogger Schmidt-Lux

„die Eingebundenheit in das sogenannte Red-Bull-Imperium mit allen Hin- und Herschie- bereien von Spielern und Trainern“. Ein solcher Netzwerkcharakter folge eher einer

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Firmenlogik denn einem sportlich fairen Wettbewerbsgedanken – auch wenn Red Bull das nicht exklusiv hat.

Ihn ärgert, dass die Diskussionen über RB oft zu oberflächlich geführt wurden. Mit der plumpen Traditionstümelei kann er wenig anfangen. „Einem Verein die Legitima- tion abzusprechen, weil es ihn noch nicht lange gibt, ist das bescheuertste Argument gegen RB“, sagt er. „Dass sich ein Großteil der Diskussion darauf beschränkte, habe dem Verein sogar geholfen. „Natürlich darf und muss Neues passieren.“ Auch im wert- konservativen Fußball.

Eigentlich, sagt er, gehöre er als fußballinteressierter Familienvater, der mit seiner ersten Fußballliebe Lokomotive Leipzig nicht mehr viel anfangen kann, zur Zielgruppe.

„Ich hätte auch gern einen Verein, zu dem ich alle 14 Tage hingehe und wo nicht jeder zweite Pass ins Leere geht.“ Doch die genannten Gründe wiegen für Schmidt-Lux schwerer. „Ich werfe keinem vor, dass er da hingeht. Es gab eine überraschend schnelle Identifikationsbereitschaft von vielen“, räumt der Wissenschaftler, der auch als Fanfor- scher tätig war, ein. „Man sieht ja: RB funktioniert. Aber ich würde mir wünschen, dass mehr Leute eine kritischere Haltung hätten.“ Doch das Bedürfnis nach mehr Teilhabe ist eher bei den sogenannten aktiven, ultraaffinen Fans ausgeprägt. Ein paar Hundert unter den etwa 40.000, die zu jedem Heimspiel ins Stadion kommen.

E C H T E B I N D U N G E N

Das liegt auch daran, dass der Klub nur vordergründig mit Fußball handelt. Denn eigent- lich verkauft RB den Fans in Leipzig und Mitteldeutschland Emotionen, Identität und Selbstwertgefühl. Der Leipziger Wirtschaftspsychologie-Professor Timo Meynhardt, der den Beitrag des Vereins zum Gemeinwohl untersucht hat, sagte bereits 2017: „RB spricht nicht nur den Kopf, sondern auch den Bauch, den kollektiven Unterleib der Region an.“

Oder anders: „RB Leipzig ist kein One-Night-Stand, keine Affäre.“ Es seien echte Bin- dungen zwischen den Leipzigern und dem neuen Verein entstanden, was sich in vielen Gesprächen und kleinen Geschichten der Fans widerspiegelt. Der Klub sei „Projektions- fläche“ für eigene Wünsche und Ziele, sagte Meynhardt. Das beobachtet auch Gunter Gebauer: „Offensichtlich kann sich eine emotionale Bindung auch unter nicht-traditio- nellen Bedingungen entwickeln – das gibt es ja auch in der Liebe. Die Liebe zum Fußball hat hier ein ideales Liebesobjekt gefunden. Zum Vorteil für beide Seiten.“ RB Leipzig werde als „jung, dynamisch, intelligent und erfolgreich“ wahrgenommen. Diese Bindung ist bei den meisten sicher weniger fanatisch als bei den Anhängern der anderen großen Klubs des Ostens. Ob daraus auch eine tragfähige Bindung entstanden ist oder noch ent- steht, muss sich erst noch erweisen – auch in sportlichen Tälern, von denen es seit 2012 kaum welche gab.

Eine repräsentative Umfrage des Hamburger Instituts Statista etwa zeigt, dass RB mit über 40 Jahren das älteste Fanklientel hat und zugleich den größten Familienanteil. Fans zwischen 14 und 30 sind dagegen unterrepräsentiert. Vor allem viele Kinder, die etwa genauso alt sind wie RBL, fasziniert der Erfolgsklub. Ralf Rangnick hat nicht Unrecht, als

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er jüngst sagte: „Leipziger Kinder können heute sagen, ich möchte mal so werden wie Yussuf Poulsen oder Emil Forsberg. Ich finde das wichtig, was die Identifikation mit ihrer eigenen Stadt und der Mannschaft aus dieser Stadt angeht.“

Florian Scholz, Verantwortlicher für Medien und Marketing bei RB, sagte vor dem DFB-Pokalfinale 2019 für einen Bei- trag für Zeit Online: „Jenseits der Ultra- kurven sympathisieren inzwischen nicht nur regional, sondern längst bundesweit viele Fußballfans mit unserem Verein. Weil wir eben nicht die Klischees bedient haben, sondern mit einer nachhaltigen Philosophie auch neben dem Platz agieren, glaubwürdig auftreten und somit als Klub eine ganz klare DNA und ein klares Image haben.“ Die Umfragen diverser Marktforschungsinstitute, in denen RB überall zu den fünf beliebtesten Bundesligisten gehört, bestätigen: „Wir sind hinter Bayern München aber sicher auch weiterhin der polarisierendste Verein der Liga.“

M O D E R N U N D G L E I C H Z E I T I G R Ü C K S T Ä N D I G

Philosoph Gebauer resümiert: „RB Leipzig ist rein kommerziell motiviert, hat keine Ver- einsgeschichte, ist nicht gewachsen, hat keine Mitglieder wie andere Vereine, sondern Firmenangestellte und hängt vollkommen von einem Unternehmer ab. Es gibt keine demokratischen Strukturen und Kontrollmöglichkeiten. Was geschieht etwa, wenn der Unternehmer pleite geht, die Lust verliert oder stirbt? Das ist die eine Seite.“ Auf der anderen stehe „ein sorgfältig geplanter Aufbau und Ausbau einer regionalen Fußball- kultur mit ausgezeichneten Strukturen, sehr guten Fachleuten und einer systemati- schen Nachwuchsförderung“.

Perfekt organisierter moderner Fußball also, der Fans ins Stadion zieht und Erfolgs- erlebnisse und Identifikation vermittelt, für neue Belebung in der Bundesliga sorgt und international den deutschen Fußball vertritt. Der aber auch weiterhin kritisch hinter- fragt werden muss, weil seine Mechanismen eben teilweise nicht fortschrittlich, son- dern zuweilen rückständig sind. Um das zu betonen, sind auch Überspitzungen legitim („Totengräber“), solange Protest in rechtlich zulässigem Rahmen bleibt. Man mag die Leipziger also, oder man mag sie nicht. Dazwischen gibt es nicht viel.

Auf den folgenden Seiten des Kapitels werden Vorzüge und Nachteile, Funktionsweise und Mechanismen des modernen Fußballklubs RB Leipzig sowie Kritik und Protest daran ebenso beleuchtet wie die fußballerisch-taktische Vorreiterrolle von Rasenballsport unter Trainer Julian Nagelsmann.

Christopher Nkunku, im Sommer 2019 von Paris Saint-Germain gekommen, ist die neue Hoffnung im Leipziger Mittelfeld.

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„DIE ZEIT DER MEDIALEN ABLEHNUNG IST VORBEI“

Interview mit Matthias Kießling (ehemals rotebrauseblogger.de)

Matthias Kießling, Jahrgang 1973, beschloss während seiner Elternzeit zu Beginn des Jahres 2010, einen Blog über RB Leipzig zu starten. Rotebrauseblogger.de war der

erste und bis zum abrupten Ende im Sommer 2019 relevanteste Blog über Rasenballsport.

Der Rotebrauseblogger begleitete den Klub als Fan zwar durchaus wohlwollend, setzte sich jedoch angenehm unaufgeregt auch diskursiv mit der Klubentwicklung auseinander.

Neun Jahre lang verfolgte und kommentierte der studierte Kommunikationswissenschaftler in seiner Presseschau alle relevanten Veröffentlichungen in den Medien über RBL. Im Interview beschreibt Kießling die Veränderungen in der medialen Bewertung

durch lokale und überregionale Medien sowie die Entwicklung der PR-Strategie von RB.

„Diskursanalytiker” und Blogger im Ruhestand: Matthias Kießling.

Matthias Kießling, wie hat sich die journa- listische Berichterstattung über RB in den vergangenen Jahren generell verändert?

Matthias Kießling: Die Zeit der medialen Ablehnung von RB Leipzig ist vorbei. Die Texte, die erklären sollten, was hier grund- sätzlich passiert und warum das aus Sicht der Journalisten verkehrt ist, sind alle ge- schrieben worden.

Woran machen Sie das fest?

In Berichten der Welt beispielsweise war man in den Anfangsjahren froh, wenn man einen positiven Satz über den Klub

fand. Heute schreibt nicht nur die Welt sol- che polemischen Texte nicht mehr. Viel- leicht, weil die Redakteure näher dran am Thema sind, enger mit der Medien- abteilung verbunden oder einen besseren Draht zur Vereinsspitze haben.

Gab es Ihrem Eindruck nach redak- tionell gesteuerte Kampagnen gegen RB, oder waren das individuelle Bewertun- gen der Redakteure?

Meiner Meinung nach sind das individu- elle Redakteursmeinungen. Klar gibt es bei 11 Freunde einen redaktionellen Kon-

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RB LEIPZIG ist der Prototyp des modernen Fußballklubs.

Von seinen Fans wegen des spektakulären Fußballs geliebt, von den anderen als Marketinginstrument verspottet.

Der Leipziger Sportjournalist Ullrich Kroemer zeichnet in diesem Buch das spannende, präzise Porträt eines Klubs, der in weniger als zehn Jahren einen unfassbaren Aufstieg aus der fünften Liga in die Champions League hingelegt hat – und heute neuer Herausforderer von Bayern München und Borussia Dortmund in der Fußball-Bundesliga ist.

RB LEIPZIG

DER MODERNE FUSSBALL

Ullrich Kroemer

RB LE IP ZIG

Ullrich Kroemer

ISBN 978-3-7307-0423-3 VERLAG DIE WERKSTATT

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