Hamitisches Sprachgut im Sudan') Von J. Lukas
Die Afrikanistik ist eine junge Wissenschaft. Später als
andere orientalische Disziplinen trat sie auf den Plan. Man
kann daher nicht von ihr erwarten, daß sie sich mit der glei¬
chen Virtuosität auf ihrem Felde bewegt wie andere Wissen¬
schaftszweige, etwa die Semitistik. Manches ist noch proble¬
matisch und die Ackerparzelle, die bebaut werden soll, ist
nicht einmal abgesteckt. Am weitesten hat es von den Seiten¬
zweigen der Afrikanistik die Bantuistik gebracht; dies hat
sie den alles überragenden Leistungen Meinhof's zu ver¬
danken. Die Ergebnisse seines Grundrisses einer Lautlehre
der Bantusprachen") sind faszinierend und gewähren einen
nimmer zu überbietenden Einblick in die Weiterentwicklung
menschlicher Sprache. Die Bantuistik ist also eine Disziplin,
deren Grundzüge festgelegt sind. Langsam scheint ein zweiter
Zweig unserer Afrikanistik mehr und mehr aufzublühen und
verspricht uns goldene Früchte zu tragen: die Hamitistik hat
dadurch, daß Zyhlarz ihr durch Zugrundelegung des Alt¬
ägyptischen eine historische Basis gab, in den letzten Jahren
sehr viel an Vertiefung gewonnen»). Sie geht heute ihre
eigenen, aus dem Material heraus gewonnenen Wege. Schlie߬
lich ist aber noch ein dritter Zweig der Afrikanistik da, und
dies ist die Wissenschaft von den zahllosen Sprachen des
1) Vortrag gehalten auf dem Orientalistentag in Bonn 1936.
2) C. Mbinhof, Grundriß einer Lautlehre der Bantusprachen.
Berlin 1910. — Dbrs., Introduction to the phonology of the Bantu
languages. Berlin 1932.
3) Vgl. E. Zyhlabz, Ursprung und Sprachcharakter des Altägyp¬
tischen, Sonderabdruck aus der Zeitschrift für Eingeborenensprachen XXIII 1932/33. Berlin 1932. — Dbbs., Das geschichtliche Fundament
der hamitischen Sprachen. Africa IX 1936 S. 433—451.
Sudan. Die Sudanistik — nennen wir sie vorderhand so —
ist noch am weitesten zurück. Hier hegen noch die meisten
Probleme. Als vor wenigen Jahrzehnten die deutsche Afrika¬
nistik eine große Einteilung der afrikanischen Sprachenwelt
vornahm, stellte sie neben die Bantusprachen und Hamiten¬
sprachen als dritte Einheit die isoherenden Sudansprachen;
sie sind in Westbrmann's bekanntem Buch über die Sudan¬
sprachen') behandelt. Es kann keinem Zweifel unterliegen,
Haß es Sudansprachen gibt und auch, daß in dem Begriff
Sudansprachen ein ausgezeichneter Gegenpol gegenüber dem
hamitischen Norden aufgestellt worden ist. Es kann aber
auch keinem Zweifel unterliegen, daß der Begriff Sudan¬
sprachen sich mit den im Sudan gesprochenen Sprachen nicht
durchgehend deckt und daß die Sprachenverhältnisse im
Sudan uns immer komplizierter erscheinen, je mehr wir von
den Einzelsprachen kennenlernen.
Bantuistik sowohl als Hamitistik sind heute mit der Auf¬
hellung der Lautgesetze beschäftigt. Diesen Untersuchungen
zuvor ging die Erkenntnis der Zusammengehörigkeit der be¬
treffenden Sprachen ; sie ergab sich aus einer ersten Betrach¬
tung der die Sprachen aufbauenden Formen. Was für das
eine recht ist, ist für das andere nur billig. Mit anderen Worten
gesagt, es ist wohl notwendig, zunächst zu sehen, wie man
die im Sudan gesprochenen Sprachen nach morphologischen
Gesichtspunkten zu gruppieren hat, bevor man den Wandel
von Lauten untersucht. Westermann hat 1927 die westlichen
Sudansprachen gegliedert und eine Anzahl von Gruppen auf¬
gestellt, von denen bereits einige von dem Typus der eigent¬
lichen Sudansprachen, also dem Typus des Ewe in Togo und
seinen Verwandten, erheblich abwichen"). Wie sehr die
Wissenschaft von den Sprachen des Sudan noch in den An¬
fängen steckt, zeigt die Tatsache, daß wir nur die westlichen
1) D. Westermann, Die Sudansprachen. Abhandl. des Hambur-
gischen Kolonialinstitutes Bd. IIL Hamburg 1911.
2) D. Wbstebmann, Die westlichen Sudansprächen und ihre Be¬
ziehungen zum Bantu. Beiheft zu den Mitteilungen des Seminars für
orientalische Sprachen. Berlin 1927.
J. Lukas, Hamitisches Sprachgut im Sudan 581
Sudansprachen gliedern konnten, im zentralen Sudan dagegen
das Material derartig gebrach, daß wir auch auf eine nur
provisorische Gliederung verzichten mußten'). Die logische
Konsequenz aus Wkstermann's Arbeiten ist für den Suda-
nisten zunächst gewesen zu versuchen, neues Material über
die im Sudan, und besonders im zentralen Teil des Sudan
gesprochenen Sprachen herbeizuschaffen, da ohne neues
Material nicht große Fortschritte erzielt werden konnten.
Ich habe mir die Aufgabe gestellt, einen Beitrag in dieser
Richtung zu leisten, und das Internationale Institut für afrika¬
nische Sprachen und Kulturen in London hat mir die Mittel
zur Verfügung gestellt, um eine linguistische Expedition in
das Tschadseegebiet zu machen. Es sind im wesentlichen die
Ergebnisse dieser Reise, die ich streifen will, und die neuen
Erkenntnisse, die sie gebracht hat. Bevor ich aber zu diesem
Punkte meiner Ausführungen schreite, möchte ich noch ein
anderes Kapitel berühren, das mir für die Gesamtgliederung
der Sprachen des Sudan von Wichtigkeit zu sein scheint.
Es ist allgemein bekannt, daß die große Famihe der Bantu¬
sprachen zu jenem Sprachtypus gehört, den man als Klassen¬
sprachen bezeichnet. Die Klassensprachen kennen eine Ein¬
teilung des Nomens in Klassen durch Affixe, und die Nomina
verlangen eine Konkordanz bei anderen Redeteilen. Die
Bantusprachen stehen also als Klassensprachen den anderen
Sprachtypen, dem Hamitischen sowohl als auch dem eigent¬
lich Sudanischen, gegenüber. Es ist aber weniger bekannt,
daß die Bantusprachen nicht die einzigen Vertreter der
Klassen sprachen in Afrika sind. Sie sind nicht nur nicht die
einzigen, sondern im Gegenteil, es gibt viele Klassensprachen
im Sudan, die sich von Kordofan bis nach dem äußersten
Westen erstrecken. Da haben wir z. B. im Westen das Ful,
dann im Zentrum die ausgebreitete Mossi-Grussi-Gruppe,
und schließlich im Osten die Klassensprachen der Kordofan-
berge. Es scheint mir durchaus wichtig, auf die große Ver¬
breitung der Klassensprachen hinzuweisen, da das Bestehen
1) Vgl. hierzu D. Wbstebmann, Charakter und Einteilung der Sudan¬
sprachen. Africa VIII 1935 S. 129-148.
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eines Klassensystems in diesen Sprachen ein wichtiges
Kriterium ist. Durch eine jüngst erschienene Studie aus der
berufenen Feder Wkstermann's ersehen wir aber noch eines
mehr, daß nämlich die Klassenaffixe der Bantusprachen und
der im westlichen Sudan gesprochenen Klassensprachen mit¬
einander zusammenhängen'). Hierdurch wird die Existenz
einer Klasseneinteilung in diesen Sprachen zu einem Krite¬
rium von mindestens derselben Bedeutung wie die des gram¬
matischen Geschlechtes in den Hamitensprachen. Demgegen¬
über treten vokabularische Gleichungen benachbarter Spra¬
chen in den Hintergrund. Für mich ergibt sich aus dieser
ebenso einfachen wie grundlegenden Feststellung die Folge¬
rung, den eigentlichen Sudansprachen die im Sudan ge¬
sprochenen Klassensprachen zunächst gegenüberzustellen und
erst in zweiter Linie auf die durch Berührung und Durch¬
schichtung zustande gekommenen Gemeinsamkeiten hinzu¬
weisen.
Lassen Sie mich nun weiter die Frage stellen, ob die
eigentlichen Sudansprachen und die im Sudan gesprochenen
Klassensprachen die einzigen Sprachtypen sind, denen wir
im Sudan begegnen. Auf diese Frage müssen wir antworten:
nein. Bei der nachfolgenden Betrachtung scheidet das Gebiet
des angloägyptischen Sudan zunächst aus, da dessen Heran¬
ziehung uns nur verwirren würde. Aber schon im zentralen
Sudan erleben wir eine mächtige Überraschung. Wir kennen
seit langem im zentralen Sudan die Sprache der Hansa"), und
diese Sprache ist in der deutschen Afrikanistik stets als hami-
1) D. Westebmann, Nominalklassen in westafrikanischen Klassen¬
sprachen und in Bantusprachen. Mitteilungen des Seminars für orien¬
talische Sprachen 1935, Afrikanische Studien S. 1—53.
2) Vgl. J. F. Schön, Grammar of the Hausa language. London
1862. — Debs., Dictionary of the Hausa language. London 1876. —
A. MisoHLicH, Lehrbuch der Hausa-Sprache. Berlin 1911. — Debs.,
Wörterbuch der Hausa-Sprache. Berlin 1906. — D. Westebmann, Die
Sprache der Hausa in Zentralafrika. Deutsche Kolonialsprachen
Bd. III. Berlin 1911. — R. C. Abbaham, The principles of Hausa,
Kaduna 1934. — G. P. Bakgery, A Hausa-English Dictionary and
English-Hausa Vocabulary. London 1934.
J. Ldkas, Hamitisches Sprachgut im Sudan 583
tisch') behandelt worden, wenn man auch die mannigfachen
Abweichungen sah, die das Hausa von den Berbersprachen
sowohl als von den Kuschitensprachen schieden. Andere freilich
ließen sich von den hamitischen Elementen des Hausa weniger
beeindrucken und stellten es abseits. Ich aber glaube, daß die
Bedenken, die man gegen den hamitischen Charakter des
Hausa einzuwenden hat, immer mehr schwinden werden, je
mehr man das Hausa nicht als eine Einzelsprache, sondern als
Glied einer großen Gruppe von Sprachen ansieht, der es an¬
gehört. In der Tat hat das Hausa eine ganze Reihe von Ver¬
wandten, östlich von seinem Gebiete werden viele Sprachen
gesprochen, die auf das allerengste mit dem Hausa zusammen¬
hängen; man kann diese Sprachen mit dem Hausa zu einer
westlichen Untergruppe zusammenfassen. Südlich vom
Tschadsee hegt das Gebiet der Kotoko-Dialekte, die nächste
Verwandte des Buduma, das auf den Tschadseeinseln ge¬
sprochen wird, sind, und diese Mittelgruppe, die ich Ihnen
hier nicht vollständig aufgezählt habe, ist in wesentlichen
Zügen mit dem Hausa gleich gebaut. Und schließlich haben
die beiden genannten Untergruppen noch eine östliche Fort¬
setzung, die ich in der Sprache der Mubi und ihrer Verwandten
in Wadai sehe. Alle diese Sprachen habe ich versucht, unter
dem Sammelnamen tschadohamitische Sprachen zu¬
sammenzufassen"). Hiermit ist eine neue Sprachengruppe
skizziert, die ich den oben genannten beiden Sprachgruppen,
den eigentlichen Sudansprachen und den im Sudan gespro¬
chenen Klassensprachen, beiordnen muß, nicht etwa unter¬
ordnen, denn alle diese tschadohamitischen Sprachen heben
sich in ihren tragenden Schichten von den anderen Sprach¬
typen ab.
1) C. Meinhof, Die Sprachen der Hamiten. Abhandl. des Hambur¬
gischen Kolonialinstitutes Bd. IX. Hamburg 1912. S. 58ff.
2) Vgl. hierzu J. Lukas, Die Gliederung der Sprachenwelt des
Tschadseegebietes. Forschungen und Fortschritte 10. Jahrg. 1934
Nr. 29 S. 356—357. — Dbbs., Über den Einfluß der hellhäutigen Ha¬
miten auf die Sprachen des zentralen Sudan. Ebenda 12. Jahrg. 1936
Nr. 14 S. 180/181. — Debs., The linguistic situation in the Lake Chad area in Central Africa. Africa IX 1936 S. 332—349.
Bevor ich auf einige Einzelheiten der tschadohamitischen
Sprachen eingehe, möchte ich allgemein bemerken, daß es
mir noch nicht als ausgemacht erscheint, daß die tschado¬
hamitischen Sprachen in dem Maße als eine Einheit zu be¬
trachten sind wie z. B. die Mandingosprachen im westlichen
Sudan, aber es scheint mir nicht ausgeschlossen, daß wir zu
einem solchen Ergebnis kommen können. Wir sind durchaus
am Beginn unserer Erkenntnisse und haben uns zu hüten,
allzu apodiktische Behauptungen aufzustellen. Zustande
gekommen sind alle tschadohamitischen Sprachen jedenfalls
durch die Einwirkung einer hamitischen Sprache auf ältere
höchstwahrscheinlich nichthamitische Substrate. Diese Sub¬
strate sind sicher keine Einheit gewesen, es sagt uns aber
auch nichts, daß die hamitisierende Schichte eine einzige
Welle gewesen ist, ja daß sie nur von einer Richtung her ge¬
kommen ist. Wesentlich ist jedenfalls eine Einwirkung aus
dem Osten, und die formalen Beziehungen des Mubi zu den
Kuschitensprachen Nordostafrikas fallen in die Augen. Ich
muß aber trotzdem darum bitten, den Namen tschadohami¬
tisch als einen Sammelnamen für Idiome anzusehen, die im
wesentlichen hamitisch sind, aber vielleicht nur auf ähnliche
Weise entstanden sind, ohne sich von einer gemeinsamen
Mutter abzuleiten.
Und nun will ich noch einige Angaben sachlicher Art
über die Sprachen machen, die wir unter dem Sammel¬
namen tschadohamitisch zusammengefaßt haben. Vor allem
werden sämtliche hierher gehörenden Sprachen durch einen
grundlegenden Zug gekennzeichnet: sie besitzen das gram¬
matische Geschlecht. Unsere tschadohamitischen Spra¬
chen können aber für sich das Gewicht des grammatischen
Geschlechts in einem noch höheren Maße als die nilotohami-
tischen ') Sprachen Ostafrikas in Anspruch nehmen, denn das
grammatische Geschlecht ist bei ihnen nicht nur am Nomen,
sondern auch am Pronomen, und zwar in der 2. und 3. Pers.
1) Zum Typus einer niloto-hamitischen Sprache vgl. am besten die
Studie über das Masai bei C. Meinhop, Die Sprachen der Hamiten, 1. c.
S. 184.
J. Lukas, Hamitisches Sprachgut im Sudan 585
Sing, und außerdem in der Konjugation des Verbs, und auch
da meist in der 2. und 3. Pers. Sing, vorhanden. In der Mittel¬
gruppe der tschadohamitischen Sprachen wird die Genitiv¬
verbindung nach einem femininen Nomen mit l bewerkstel¬
ligt'), also z. B. Logone Val aduwane die Speise dieses Opfers;
dieses l entspricht dem Hausa r"), das wieder auf t zurück¬
geht, und so sehen wir hier semitohamitisches feminines t^)
in einer lautlich abgeänderten Form wieder. In der Ostgruppe
ist die Sache nicht identisch, aber ähnlich; da wird der Genitiv
durch die Partikeln gi und di ausgedrückt, je nachdem ob
das Regens maskulin oder feminin ist. Man fühlt sich unwill-
kürüch und sicher mit Recht versucht, an die Verhältnisse
im Somali anzuknüpfen, wo bei einem Teil der Nomina der
sogenannte Artikel, also ein Demonstrativ, gi und di lauten
kann*).
Ferner möchte ich auf die Pluralbildungen hinweisen, die
dem Nomen der tschadohamitischen Sprachen vollends hami¬
tisches Gepräge geben. In der Mittelgruppe sind noch eine
ganze Anzahl von inneren Pluralen erhalten, die durch
Vokaleinschub oder Vokalveränderung entstehen, also nach
dem Schema z. B. Logone yuli Kind, plur. yali, zdodtii Löwe,
plur. zavan, xs^ni Nase, plur. x^^san^). Ein wahres Eldorado
für gebrochene Plurale aber finden wir in der Ostgruppe,
und ich will hier einiges aus dem Mubi herausgreifen*). Von
äußeren Pluralen macht das Mubi fast überhaupt keinen Ge¬
brauch. Dagegen gibt es Plurale durch Vokalveränderung,
1) Siehe J. Lukas, Die Logone-Sprache im zentralen Sudan. Abhand¬
lungen der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft XXI, 6, S. 15 § 20, 2 Ba.
2) Siehe z. B. bei Mischlich 1. c. S. 20, bei Wbstebmann 1. c. S. 2.
3) Vgl. C. Bbockelmann, Kurzgefaßte vergleichende Grammatik
der semitischen Sprachen. Berlin 1908. §114B.
4) Siehe L. Rbinisch, Die Somali-Sprache Bd. III. Wien 1903. § 178.
5) Siehe J. Lukas, Die Logone-Sprache im zentralen Sudan, I. c.
S. 19 § 25.
6) Die Materialien hierzu sind zusammengestellt in der Mubi-Studie
Nr. 38 bei J. Lukas, Zentralsudanische Wörterverzeichnisse und Stu¬
dien, die demnächst in den Abhandlungen der Hansischen Universität
aus dem Gebiet der Auslandskunde erscheinen werden.
J. Lukas, Hamitisches Sprachgut im Sudan
Plurale durch Vokalveränderung und Tonveränderung'), Plu¬
rale durch Vokalveränderung, Silbeneinschub und Tonver¬
änderung, und ferner gemischte Plurale, also Plurale durch
Vokalveränderung und Antritt eines Suffixes, Plurale durch
Vokalveränderung, Tonveränderung und Antritt eines Suf¬
fixes, Plurale durch Vokalveränderung und Reduplikation
des letzten oder manchmal auch des vorletzten Konsonanten"),
Plurale durch Vokalveränderung, Tonveränderung und Re¬
duplikation des letzten oder manchmal auch des vorletzten
Konsonanten usw. Was ist daran sudanisch? Wenn ich mich
nunmehr dem Verbum zuwende, so muß ich zunächst fest¬
stellen, daß es in der Ostgruppe und Mittelgruppe manche
Verschiedenheiten gibt. Das Verbum der Mittelgruppe ist mit
dem Verbum des Hausa in wesentlichen Zügen identisch. Das
Perfektum des Stammes l „gehen" lautet im Logone:*) wdl,
gäl, äl, däl (sie ging), mal, näl, yäl, das entspricht mutatis
mutandis dem Hausa nd tafi ich ging, ka tafi, yd tafi, td
tafi usw. Mit einer ganz besonderen Aufmerksamkeit
müssen wir aber m. E. das Verbalsystem des Ostens betrach¬
ten. Wenn wir es mit dem Westen vergleichen, so sehen wir
in gewissen Punkten eine reichere Entfaltung und offenbar
viel Uraltes erhalten. Stellen Sie sich also vor, daß schon
eine ganz flüchtige Untersuchung des Mubi zutage gefördert
hat, daß die vorhandenen Zeiten der Grundform sind: ein
Präsens, das mit Präfixen konjugiert wird, ferner ein präfi-
gierendes Präteritum und ein suffigierendes Präteritum.
Solche Dinge muß man sich besonders dann vor Augen
halten, wenn man versucht ist, die unsudanischen Züge, wie
1) Die Tonveränderung bei der Pluralbildung ist ein wichtiges Ele¬
ment in einer Reihe von Sprachen des zentralen Sudan. Sie ist z. B.
im Maba in Wadai vorhanden und auch im Kanuri zu beobachten, s. bei
J. Lukas, A Study of the Kanuri Language, Oxford, § 29 (im Druck).
2) Hierzu und zur Pluralbildung des Mubi überhaupt vgl. die Ver¬
hältnisse in den Kuschitensprachen. S. bei L. Rbinisch, Die Sprache der Irob-Saho in Abessinien. Wien 1878. S. 26ff. — Debs., Die Bilin-
Sprache in Nordost-Afrika. Wien 1882. § 137.
3) Siehe J. Lukas, Die Logone-Sprache im zentralen Sudan, 1. c.
S. 39 § 81.
J. Lukas, Hamitisches Sprachgut im Sudan 587
z. B. das grammatische Geschlecht, manche Pronominal¬
formen usw. auf den Einfluß des Arabischen zurückzuführen,
das ja bekanntlich in Wadai seit vielen Jahrhunderten in
großen Gebieten zu Hause ist. Aber solche Einflüsse sind
durchaus untergeordnet. Keine Spur z. B. von einem west¬
semitischen Perfekt oder Imperfekt. Es liegt im Mubi viel
eher so wie im Akkadischen, wo wir in den Formen iprus und
iparas zwei präfigierende Tempora für eine Vergangenheit
und eine Gegenwart haben, und außerdem noch ein drittes
Tempus, das suffigierende Permansiv'). Mubi und Akkadisch
sind natürlich nicht direkte Verwandte, aber wenn tatsächlich
das Akkadische einer älteren Stufe des Semitischen an¬
gehört"), so ist es wohl möglich, daß das Mubi in seinem
Verbalsystem eine Zeitlang unter solch älteren Einflüssen
gestanden hat. Zur Bildung der einzelnen Tempora des Mubi,
die ich soeben erwähnte, wird der Verbalstamm abgelautet.
Es heißt z. B. im präfigierenden Präteritum ne-si ich trank,
aber im suffigierenden Präteritum se-na ich trank, wobei also
i zu e abgelautet ist. Aber auch innerhalb des suffigierenden
Präteritums wird abgelautet; so heißt es z. B. te-na ich aß,
aber ti-gu er aß, ti-gun ihr aßet usw. Sie sehen also, daß das
Mubi in reichlichem Maße vom Ablaut für die Konjugation
Gebrauch macht. Ich müßte nun weiter hamito-semitische
pronominale Elemente in den tschadohamitischen Sprachen
erwähnen, auf die Zahlwörter hinweisen, die ebenfalls hami¬
tisch sind, und schließlich den Versuch machen, vokabula¬
rische Parallelen zu bringen. Das erste läßt sich leicht tun,
zur Untersuchung vokabularischer Parallelen bin ich noch
nicht gekommen, und ich denke, daß das Ergebnis beschränkt
sein wird, da die tschadohamitischen Sprachen dem Einfluß
ihrer Nachbarn vor allem auf vokabularischem Gebiete nach¬
gegeben zu haben scheinen.
1) Siehe F. Delitzsch, Assyrische Grammatik. Berlin usw. 1889.
§ 90 und § 91. — A. Ungnad, Babylonisch-as,syrische Grammatik.
München 1906. § 30 und § 31.
2) Vgl. V. Chbistian, Akkader und Südaraber als älteste Semiten¬
schichte. Anthropos XIV-XV 1919/1920 S. 729-739.
Mit weiteren Einzelheiten aus der Grammatik will ich Sie
nicht belästigen. Wenn Sie mir auf diesem Wege gefolgt sind,
so müssen Sie mir, denke ich, auch jetzt schon zugeben, daß
die in Rede stehende Sprachenwelt nicht zu den eigentlichen
Sudansprachen gehört, auch nicht zu den Klassensprachen,
sondern in irgendeiner Weise an die hamito-semitische
Sprachfamilie angeschlossen werden muß. Eine definitive
Stellungnahme über die Verwandtschaft der tschadohamiti¬
schen Sprachen kann und soll auch gar nicht eingenommen
werden; es genügt m. E., in großen Zügen ein Bild der Sprach¬
verhältnisse eines Teils des zentralen Sudan entworfen zu
haben, und es wird Sache der kommenden Jahre sein, über
Einzelheiten zu diskutieren, den Rahmen einzuschränken
bzw. ihn, das ist wohl wahrscheinlicher, zu erweitern. Ich
wollte zeigen, daß die Sprachwissenschaft im Sudan sich
weiterentwickelt hat und zu neuen Ergebnissen gekommen
ist, die um Beachtung bitten. Das Gebiet, dem wir zuletzt
unsere Aufmerksamkeit geschenkt haben, ist ein Schnitt¬
punkt dreier wissenschaftlicher Forschungszweige: Suda-
nisten, Semitisten und Hamitisten können bei der Erforschung
helfend und belehrend eingreifen und werden sicher auch
manche Anregungen erfahren. So denke ich denn, daß es ein
fruchtbares Forschungsgebiet ist.
Ägyptische Liebeslieder, Hoheslied, Sappho, Theokrit Von Franz Dornseiff-Greifswald
Die Gedichte der Sappho haben auf die modernen Beur¬
teiler immer einen fremdartigen Eindruck gemacht. Ich will
nicht auf die lobenden oder rügenden Erörterungen darüber
eingehen, ob die Verfasserin tribadische, „lesbische" Sym¬
ptome zeige. Aber auch wenn rein literargeschichtliches Ver¬
ständnis angestrebt wurde, stand man vor schwierigen Fragen.
Im allgemeinen ist der moderne Literarhistoriker und Philo¬
loge, je gebildeter er ist, um so fester überzeugt, daß wahre
Dichtung nur aus dem Erlebnis quillt. Nun ist über den Rang
der Sapphogedichte eine Stimme. Es gibt viele Menschen,
für die Sappho das höchste und vollkommenste an Dichtung
ist. Schon Piaton hat Sappho in einem Epigramm die zehnte
Muse genannt, und angesichts der strahlenden Schönheit
der uns erhaltenen Reste kann ich auf weiteres Loben ver¬
zichten.
Wer nun als durch Goethebiographien wohl erzogener
Literaturwürdiger weiß, daß nur das Erlebnis die Dichtung
erzeugt, muß schließen, daß Sappho durch vielleicht ein
Dutzend von jungen Mädchen ihres Kreises in höchste Liebes¬
leidenschaft gestürzt zu entsprechender Lyrik getrieben
worden ist. Der hierdurch gegebene, sehr besondere seelische
Fall wurde bereits 1855 stark relativiert, als sich ein Mädchen-
Chorlied von Alkman (um 650) fand, in dem die Mädchen
in recht ähnlicher Weise gegenseitig ihre Schönheit feierten.
Ähnlichkeit schien mir ferner schon immer die ägyptische
Liebeslyrik aufzuweisen, insofern auch da die Frau der
bekennende und werbende Teil ist. Wenn ich nun erwähne,
daß der Bruder der Sappho in Ägypten gewesen ist, so wird
das vielleicht manchen die Annahme erleichtern, daß infolge-
ZeitBChrUt d. DMGr. Bd. 90 (Neue Folge Bd. IS) 39