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ERZÄHLUNG IM HSIN WU-TAI SHIH
DES OU-YANG HSIU
Von K. Tietze, Münclien
Die „Neuere Geschichte der Fünf Dynastien" des Ou-yang Hsiu wurde in
den Kanon der Reichsgeschichten aufgenommen, obwohl ihr historiographi-
scher Wert von jeher in Frage gestellt wurde und in der „Älteren Geschichte der Fünf Dynastien" bereits ein umfangreiches Werk für das Zeitalter der Fünf Dynastien vorlag. Der Grund für die Vorzugsbehandlung eines in privater Regie verfaßten Geschichte liegt wohl in dem didaktischen Wert, den man der neueren Geschichte beimaß; auch ihr literarischer Rang wurde hoch eingeschätzt.
Was macht den nun den Unterschied zur älteren Geschichte aus, was verbirgt
sich konkret hinter der Kritik am historiographischen Wert der neueren Ge¬
schichte unddem Lob ihrer didaktischen und hterarischen Qualitäten. Ein kurzes Eingehen auf diese Fragen baut nicht nur einen guten Hintergrund für das Thema dieses Beitrages auf, es führt auch gerade in dieses hinein.
Da sind zunächst die exttemen Streichungen, die den Informationswert der
neueren Geschichte erheblich einschrärücen; sie erreicht nicht einmal die Hälfte des Umfanges der älteren Geschichte. Besonders heftig wütete der Streichpinsel
in der Sektion der Annalen. Nur die Karriereberichte der Herrscher vor der
Gründung ihrer jeweiligen Dynastie verdienen überhaupt die Bezeichnung
„Annalen", wie man sie aus anderen Reichsgeschichten kennt. Die eigentlichen Kaiserannalen sind dagegen oft nur auf einen einzigen, dazu kurzen und zumeist auf einen aus unserer Sicht belanglosen Eintrag pro Monat reduziert; gegenüber
einer solchen Lakonik erschient gelegentlich selbst das Ch'un-ch'iu noch als
geschwätzig. Auch die Biographien sind stark ausgedünnt.
Der didaktische Anspruch der neueren Geschichte äußert sich schon in ihrem
formalen Aufbau. So sind die Biographien nicht nach Lebensdaten, sondern
nach bestimmten Kategorien angeordnet. Das ist kein originelles Verfahren;
aber die Wahl der einzelnen Kategorien ist es. Leitendes Prinzip bei dieser
Kategorienwahl waren die unterschiedlichen Abstufungen von Loyalität, wel¬
che der behandelte Personenkreis den Herrschem erwiesen hatte. Ou-yang Hsius
moralischen Maßstäbe waren streng. Nur wenige Männer fand er würdig als
leuchtende Beispiele persönlicher Integrität der Nachwelt überhefert zu werden.
Die allermeisten verbannte er in sein „Infemo" - dieses Infemo heißt bei ihm
harmlos „Vermischte Biographien" -, wo unterschiedslos echte Schurken und
bloße Überlebenskünstler gemeinsam schmachten; ein Vorhölle gibt es nicht.
Wie zerrüttet die menschlichen Verhältnisse in der Zeit der Fünf Dynastien waren: das wollte er auch in den 56, von den historischen Berichten abgehobe¬
nen, Kommentaren demonstrieren. Nur in den wenigsten Fällen geben diese
Erzählung im Hsin wu-tai shih des Ou-yang-Hsiu 483
Kommentare eine Generalabrechnung mit der jeweils vorher geschilderten
Person; meistens greifen sie nur einen, uns zunächst gar nicht sonderlich ins
Auge fallenden Punlct heraus, um an diesem die Verlottemng und Verluderung der Zeit zu illustrieren. Seinen Ekel vor diesem finsteren Zeitalter unterstreicht
er dann noch mit dem fast immer den Kommentar einleitenden stereotypen
Klageruf „ming-hu".
Der Ou-yang Hsiu der „Neueren Geschichte der Fünf Dynastien" also ein chinesischer Tacitus? Im Grundbaß ja, nicht aber in der Melodie, im Stil. Er liest sich leicht und klar, ohne dunkle Anspielungen. Auch im Vergleich zur älteren Geschichte ist die neue in Sprache und Stil nüchterner und auch verständlicher
komponiert. Es ist also immer ratsam zuerst in der neueren Geschichte nach¬
zulesen, wenn man erste Informationen über die Zeit der Fünf Dynastien sucht;
man tut sich dann bei der Lektüre des schwierigeren, aber gehaltvolleren älteren Geschichte leichter. Ihre Schlichtheit und Verständlichkeit verdankt die neuere
Geschichte einmal dem einfacheren Wortschatz, der zuchtvolleren Gedanken¬
führung und der sprachlichen Auskämmung und Lichtung der Quellentexte. Im
Gegensatz dazu ist der Wortschatz der älteren Geschichte reicher und blumiger, die vorgestellten B ilder sind bunter, der Text ist dichter geworden. Wo die ältere
Geschichte immer den besonderen Ausdruck wählt, begnügt sich Ou-yang Hsiu
oft mit dem abstrakteren, farbloseren. Wenn er dann doch einmal kräftigere
Farben aufträgt, dann teilt sich dem Papier über den Pinsel eine innere Erregung
mit, die irgendein Reizpunkt ausgelöst hat. Wo die ältere Geschichte etwa die
düpierten Eunuchen etwas bläßlich als „wütend" beschreibt, läßt Ou-yang Hsiu seine speziellen „Freunde" mit den „Zähnen knirschen".
Doch die Erzählkunst des Ou-yang Hsiu hat mit diesen schon bekannten
sprachlich-sdlistischen Überarbeitungen noch nicht ihr Ende. Es ist seine
Gesamtkomposition der Texte, ihr inhalthcher wie formaler Aufbau, der eine
Rhetorik erzeugt, welche dem Leser unmerklich, aber unmißverständlich seine
Sicht der Geschehnisse und Persönlichkeiten aufdrängt. Die Eingriffe in das
Quellenmaterial, und damit in den Bericht der älteren Geschichte, sind oft nur sparsam und geringfügig, aber so kunstvoll und berechnet, daß ein im Vergleich zur älteren Geschichte ganz anderes Bild entsteht. Zur Verdeutlichung des eben
behaupteten seien drei Beispiele solcher Überarbeitungen vorgestellt, aus¬
schließlich aus der Sektion Biographien. Die Auswahl der Biographien erfolgte nach ihrem Umfang und nach dem Reizwert, den sie auf Ou-yang Hsiu ausübten;
denn nur in kontroversen Fällen bietet Ou-yang Hsiu seine ganze Erzählkunst auf seinen Standpunkt zu verdeutlichen.
Nehmen wir gleich eine für Ou-yang Hsiu besondere Reizfigur, den
Überlebenskünstler Feng Tao. Fünf Reichen und noch mehr Herrschem diente
er mehrere Jahrzehnte lang in allerhöchsten Funktionen; er ist eine der herausra¬
genden Pohtikerpersönlichkeiten der Fünf Dynastien. Seine Biographie in der
älteren Geschichte ist weitestgehend chronologisch aufgebaut, umd im Gmnd-
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ton positiv, sie läßt keinen Zweifel an der Leistung dieses Mannes. Nur in dem
kurzen Abschlußkommentar wird gerügt, daß er wohl doch zu vielen Herren
diente. Für Ou-yang Hsiu mit seinem strengeren Loyalitätsbegriff mußte Feng
Tao wie ein rotes Tuch wirken. Was er von ihm hält macht er schon in dem
umfangreichen einleitenden Kommentar zu dessen Biographie deudich; und die
Biographie selbst ist ganz auf den negativen Kommentar abgestimmt. Sie ist
deutlich in zwei Hälften gegliedert: den guten und den bösen Feng Tao. Der
Einschnitt zwischen diesen beiden Hälften kommt mit dem Tode Ming-tsungs
(933), unter dem Feng Tao groß geworden war. Diesem Ming-tsung war er ein
aufrechter und kompetenter Berater. Das Bild, das hier die neuere Geschichte von Feng Tao zeichnet ist noch positiver als das der älteren Geschichte, und die
Streichungen, die Ou-yang Hsiu vornahm, dienen nur der Geschlossenheit des
Bildes.
Die zweite Hälfte, der moralisch verwerfliche Feng Tao, wird gleich mit
einem rhetorischen Meisterstück eingeleitet. Ou-yang Hsiu durchbricht hier das
starre chronologische Schema und schildert zunächst in knappen Sätzen, wie
Feng Tao einem Kaiser nach dem anderen diente, oft an der Spitze der Beam¬
tenschaft über der Leiche des alten den neuen Herrscher begrüßend. Unterbro¬
chen wird diese Litanei nur einmal von einer Anekdote, in welcher sich Feng Tao vor dem Kitan-Herrscher, dem er auch diente, erniedrigt, oder sich zumindestens
würdelos verhält, indem er sich selbst als talent- und charakterlosen alten
Kindskopf bezeichnet. Danach folgt eine Kritik an seinem Charakter und and
seiner Fehleinschätzung durch die Zeitgenossen, darauf wieder Episoden, die
entweder seine Charakterlosikeit oder zumindestens sein Versagen illustrieren.
Die Feng Tao Biographie ist zu komplex und zu sehr von Ou-yang Hsiu
durchkomponiert als daß sie in einem kurzen Vortrag ganz und übersichtlich
analysiert werden kann. Erwähnt werden soll aber noch ein Kunstgriff, dessen
sich Ou-yang Hsiu gem bediente, um seine Version der Geschichte zu
untermauem. So berichtet die ältere Geschichte, chronologisch eingeordnet,
Feng Tao habe von den Kitan gefangene Frauen und Mädchen freigekauft und
ihren Familien zurückgegeben. Ou-yang Hsiu verschweigt diese Episode nicht,
ordnet sie al^er, ohne eine Zeitangabe zu machen und ohne die Kitan zu
erwähnen, der ersten Hälfte der Biographie zu, in welcher er voll des Lobes und
Respekts für Feng Tao ist, so beim Leser den Eindmek erweckend, es habe sich
tatsächlich um ein Ereignis aus seinen früheren Tagen gehandelt. Solche
Umsetzungen und Neuzuordnungen von Episoden verwendet er sehr produktiv
und erzielt damit oft sichere Effekte.
Soviel zur Feng Tao Biographie, die eines der extremeren Beispiele für den
Gestaltungswillen Ou-yang Hsius ist. An der Biographie eines anderen
„Schurken" läßt sich zeigen, wie mit der Ändemng von wenigen Stiichen ein
pointierteres Bild einer Persönlichkeit gezeichnet werden kann. Die Rede ist von
Tu Chung-wei, dem Oberbefehlshaber der Chin-Tmppen, der 946 nahezu
kampflos vor den Kitan kapitulierte und damit den Untergang der Chin-Dynastie besiegelte. Während die ältere Geschichte die frühere militärische Karriere des
Tu Chung-wei kommentarlos und in neuO-alen Worten schildert, geht hier Ou¬
yang Hsiu subtiler vor. Zwar bleibt auch er zunächst neutral, aber nur solange Tu Chung-wei bei den geschilderten siegreichen Feldzügen im zweiten Glied stand, also die Erfolge nicht für sich buchen konnte. Sobald er selbst das Kommando
in einem Feldzug gegen einen rebellierenden Gouvemeuer übernimmt, gibt Ou¬
yang Hsiu seine Zurückhaltung auf, und steht ihn als unfähig und hilflos dar, ein Untergebener rettet für ihn die Situation und den Sieg. Unmittelbar im Anschluß
an diese Episode sagt es Ou-yang Hsiu dann auch direkt: Er habe, obwohl dem
Soldatenstande entwachsen, nichts von Strategie verstanden. Seine Feigheit zu
unterstreichen läßt ihn Ou-yang Hsiu dann seine Versetzung aus einer
nördlichen Grenzprovinz h)etreiben, angeblich weil er Angst vor einem Kitan-
Einfall gehabt habe. Die ältere Geschichte hat dagegen eine andere Version: die
wirtschafthche Verödung des durch üin ausgepreßten Militärbezirkes sei das
Motiv des Versetzungsgesuches gewesen.
Besonders geschickt komponiert dann Ou-yang Hsiu den Höhepunkt dieser
kläglichen Karriere - die Kapitulation des von Tu Chung-wei geführten Heeres
vor den Kitan. So unterstellt er ihm, er habe schon vor der Einschheßung durch
die Kitan mit Kapitulationsplänen gespielt; die Umzingelung sei nur noch der
Auslöser zur Tat gewesen. Der älteren Geschichte zufolge war der Entschluß, die Waffen niederzulegen, eine unmittelbare Folge der sich verschlechternden militärischen Lage und nicht schon eine sich schon über längere Zeit anbahnende Entscheidung. Auch weist die ältere Geschichte anschließend auf die im ganzen Heer grassierende Furcht hin, damit auf die allgemeine schlechte Kampfmoral
in der Stunde der Entscheidung hindeutend. Bei Ou-yang Hsiu fehlt dieser
Hinweis; er will die Alleinverantwortung Tu Chung-weis herausstreichen; und
so ist die nun folgende, für die neuere Geschichte selten dramatische und
effekthaschende Episode nur folgerichtig: als Tu Chung-wei das Heer zur
Kapitulation antreten läßt, hüpfen und johlen die Soldaten vor Freude, im
Glauben, die Tage des schmachvollen Zaudems seien vorbei und es ginge in die
Schlacht. Um so schlimmer die Enttäuschung und das allgemeine Gejammere
und Lamentieren, als sie den wahren Grund für den Befehl zum Antreten
vernehmen. Auch die ältere Geschichte spricht vom Wehgeklage der Soldaten,
nicht aber von einem vorausgegangenen Freuentaumel, sodaß man den Eindruck
gewinnt, sie klagten eher aus Furcht denn aus Enttäuschung. So gelingt es Ou¬
yang Hsiu das keineswegs liebenswerte Portrait des Tu Chung-wei in der älteren Geschichte noch mit einigen kräftigen dunklen Farben zu versehen.
Sehen wir uns zur Abwechslung einmal die Biographie eines Mannes an,
dessen moralisch-sittliches Betragen vor den Augen von Ou-yang Hsiu Gnade
fand. Nach solchen vorbildhaften Biographien suchte er ja verzweifelt, konnte sie aber bei seinen strengen Maßstäben nicht fmden, mußte sie also erst, wo dies
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möglich war, selbst erschaffen. So auch mit Liu Jen-shan, einem Truppenführer
und Gouverneur der Nan-T'ang-Dynastie in Südchina, der beim ersten Huai-
Feldzug des Nordens zähen Widerstand leistete und sich erst nach einer
mehrjährigen Abwehrschlacht den Chou-Truppen beugte. Diese Abwehr¬
schlacht um das strategisch wichdge Shou-chou am oberen Huai wir in der
älteren Geschichte reichlich kursorisch behandelt. Ou-yang Hsiu dagegen legt
die Schilderung breiter und farbiger an. Das läßt aufhorchen, ist es doch sonst er,
der auf bloße Benennung eines Vorgangs, nicht aber auf Beschreibung und
Ausmalung Wert legt. Aber so gelingt es ihm die soldatische Tüchtigkeit, die
Tapferkeit und unbedingte Lx)yalität des Liu Jenshan ins rechte Licht zu rücken.
Was nun folgt fehlt in der älteren Geschichte völlig. Festung um Festung der
Nan-T'ang kapituliert vor dem Ansturm der Chou-Heere. Ou-yang Hsiu dra¬
matisiert diesen Vorgang, indem er die einzelnen Städte und ihre Kommandeure
namentlich auflistet. Und nicht nur dies; gleich daran anschließend folgt die
Beschreibung der Zustände am Nan-T'ang-Hof, der von Furcht geschüttelt dem
Feind die Unterwerfung, die Abtretung von Territorien und Tributleistungen anbietet, also die staadiche Selbstständigkeit zu opfern bereit ist. Von all diesem Defätismus ist dann durch ein adversatives „erb" ein kurzer Satz als Knalleffekt
abgetrennt: „allein Jen-shan leistete energischen Widerstand und war nicht
unterzukriegen".
Während der Belagerung kam es innerhalb der Wälle von Shouchou zu
einem dramatischen Vorfall. Nach der älteren Geschichte verstieß einer der
Söhne Liu Jen-shans gegen die Militärvorschriften und wurde auf den Befehl
seines Vaters hin exekutiert. Die ältere Geschichte bringt diese Episode übrigens
erst am Schluß der Biographie, wo ja gerne noch kurz auf die Nachkommen¬
schaft des b)eschriebenen Mannes eingegangen wird. Für Ou-yang Hsiu war
dieser Vorfall aber viel zu wichdg, als daß er aus dem allgemeinen Gang der
Dinge herausgenommen werden konnte. Er ordnete ihn deshalb chronologisch
ein, veränderte ihn aber auch inhaltlich. Denn seiner Version zufolge schmiedete
Liu Jen-shans Sohn einen Komplott die Stadt dem Feind zu übergeben. Daß
Truppenführer der Disziplin zuliebe ihr eigen Fleisch und Blut zu opfern bereit sind, ist ja ein beliebter Topos in der chinesischen Geschichtsschreibung. Einem Ou-yang Hsiu, der die Fürsorge fürdie Familie über die öffentlichen Bindungen stellte, scheint die Hinrichtung eines Sohnes für einen bloßen Verstoß gegen die Militärvorschriften doch gar zu arg gewesen zu sein. Dies mag erklären, weshalb er den Hochverrat ins Spiel brachte, eine Version, die er sicher nicht erfunden hat. Gleichzeitig gewinnt er mit dieser Änderung eine Kontrastwirkung, auf der
sich die unbedingte Loyalität des Liu Jen-shan so richtig abhebt. Diesen
Eindruck noch zu verstärken, dramatisierte er, ganz gegen seine sonstige
Gewohnheit, auch diese Episode: der Müitärinspekteur bittet Liu Jen-shan unter
Tränen um das Leben des Sohnes, doch der Vater bleibt hart.
Kann ein Mann, der sein eigen Fleisch und Blut auf dem Altar der Loyalität
opfert, selber Hochverrat begehen? In Ou-yang Hsius Vorstellung nicht. Und während also die ältere Geschichte schheßlich dem tapferen, aber schwerkran¬
ken General eine schwache Minute zugesteht und ihn endlich die Kapituladon
unterschreiben läßt, macht ihn Ou-yang Hsiu zum Opfer eines Komplotts seimes
Stellvertreters, der die schwere, das Bewußtsein trübende Krankheit seines
Vorgesetzten ausnutzt und in dessen Namen kapituliert. So genügt eine kleine
Änderung um den Helden für die Nachwelt rein zu erhalten.
Die wenigen Beispiele müssen genügen um anzudeuten, auf welche Weise
Ou-yang Hsiu die ihm vorhegenden historischen Berichte umformte und neu
arrangierte. Leider konnten hier nicht alle von ihm verwendeten Kunstgriffe am
konkreten Beispiel vorgestellt werden; etwa die gezielte Auswahl von Anek¬
doten und ihre Plazierung im Kontext, um damit nicht nur Charaktere an¬
schaulich zu machen, sondem auch allgemeine Prinzipien seiner Vorstellungs¬
welt zu illustrieren. Überhaupt ist es das geschickte Ärrangement von histori¬
schen Ereignissen, die bloße Umsetzung von GHedem einer aus Episoden und
Anekdoten gereihten Ereigniskette, die eine neue, von ihm intendierte Kausal¬
kette entstehen läßt. Diese möglichst straff und dicht gepackt zu halten, läßt er nicht nur präzise Zeitangaben weg; er scheut auch nicht davor zurück, zeitlich
sogar weit auseinanderliegende Ereignisse zusamenfallen zu lassen. Was dabei
entsteht ist eine Komposition von großer inhaUlicber und formaler Geschlos¬
senheit. Aber auch wenn man hier noch nicht die Frage stellt, welche der
Versionen, seine oder die der älteren Geschichte oder anderer Werke, die
plausibleren sind, drängt sich doch der Verdacht auf, daß Ou-yang Hsiu die
historische „Wahrheit" der Rhetorik opferte.
1
Leitung: Oskar v. Hinüljer
DIE VERSCHIEDENEN VERSIONEN DER LOKAPRAJNAPTI
Von Siglinde Dietz, Göttingen
Das Lokaprajfiapti^ästra „Die Lehrschrift von der Anordnung (oder: Be¬
schreibung) der Welt" ist der erste Teil des dreiteiligen' Prajfiapti^äsd-a, das
Maudgalyäyana^ zugeschrieben wud. Es gehört zusammen mit dem Dharma-
skandha und dem SaingTtiparyäya zur ältesten Gruppe'des aus sieben Werken
bestehenden Abhidharmapitaka der Sarvästivädin, da es nicht nur einem Zeit¬
genossen und direkten Schüler des Buddha zugeschrieben wird, sondem auch im
Aufbau mit den beiden anderen frühen Abhidharma-Werken übereinstimmt";
1 Nur in der übetischen (fortan: üb.) Übersetzung (Peking Tanjur Nr. 5587-5589) sind alle drei Teile (Loka-, Kärana- und Karmaprajilapti) erhalten. Unter den Abhidharma-Werken der Sarväsüvädin in chinesischer (fortan: chin.) Übersetzung finden wir nur *Käranaprajflapti*
(Taishö Nr. 1538), chin. Shih she lun. Vgl. die Analyse in L. de La Vall6e Poussin, Vasu¬
bandhu et Yaf omitra. Troisifeme chapitre de 1' Abhidharmako^a Kärikä, Bhäjya et Vyäkhyä.
Avec une analyse de la Lokaprajfiapü et de la Käranaprajftapü de Maudgalyäyana. Bruxelles 1919 (Bouddhisme, Etudes et Matöriaux. Cosmologie: Le monde des eues et le monde r&eptacle), S. 326-350 und bei J. Takakusu, „On die Abhidharma literature of die Sarväsüvädins", in JPTS 1904-5, S. 117 f
2 Vgl. Abhidharmako^avyäkhyä (Ed. U. Wogihara), S. 11,28; Bu-ston, History of Buddhism (Trsl. E. Obermiller), 149; E. Lamotte, Le Trait6 de Ia grande vertu de sagesse de Nägärjuna, Louvain 1949-1980, 1 III (TaishöNr. 1507, Bd. 25, 70a 15: Pen pieh shih ch'u fen „Der Aufbau (,die Einteilung') der Welt"); vgl. E. Lamotte, Histoire du bouddhisme indien, Louvain 1958, S. 204. In der tib. LP ist kein Autorenname angeführt. Zu abweichenden Namen vgl. E. Lamotte, Histoire, S. 203-206.
3 Vgl. J. Takakusu, „On the Abhidharma literature of the Sarväsüvädins", in JPTS 1904-5, S. 116-118; G.P. Malalesekera, Encyclopaedia of Buddhism, Ceylon 1961-65, s.v. Abhi- dharma-Literature 69b-70a; E. Lamotte, Histoire, S. 206; E. Frauwallner, Abhidharma- Studien II, WZKS 8,1964, S. 70 f
4 V. Stache-Rosen, Das Sartglüsütia und sein Kommentar SaAglüparyäya, Berlin 1968 (Dogmatische Begriffsreihen im älteren Buddhismus, II; Sanskrittexte aus den Turfanfunden IX). S. Dietz, Fragmente des Dharmaskandha. Ein Abhidharma-Text in Sanskrit aus Gilgit, Göttingen 1984 (AAWG Nr. 142), S. 18.