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Schweizerische Ärztezeitung

Bollettino dei medici svizzeri Bulletin des médecins suisses

Editorial 43

Richtig eingesetzte Guidelines unterstützen die individuelle Patientenbehandlung

FMH/DDQ Grundlagenpapier 45

Guidelines – Qualitätsmerkmale erkennen

ReMed 54

«Das-weiss-doch-jeder»-Geschichten

Tribüne 79

Finanzierung nach DRG: Einfluss auf die kardiovaskuläre und pulmonale Rehabilitation

Horizonte 90

«Der Medicus» im Kino: ein medizinisches Märchen

«Zu guter Letzt» von Hans Stalder 92

Bei der Sterbehilfe sind die Ärzte vierfach gefordert

3

15.1. 2014

(2)

I N H A LT

FMH

Editorial

43 Richtig eingesetzte Guidelines

unterstützen die individuelle Patienten- behandlung

Christoph Bosshard 45 Guidelines – DDQ

Qualitätsmerkmale erkennen Stefanie Hostettler, Esther Kraft, Christoph Bosshard

Guidelines sollen helfen, Wissen und Vorgehen zeitspa- rend auf aktuellem Stand zu halten. Doch immer mehr Guidelines erschweren die Übersicht. Dieses FMH- Grundlagenpapier setzt sich mit dem Nutzen, den Grenzen und den Qualitätsmerkmalen von Guidelines auseinander und gibt Orientierung.

52 Medizinische Guidelines:

Voraussetzungen und Anwendung

Die Meinung der FMH zu Guidelines, kurz und prä- gnant zusammengefasst.

ReMed

54 «Das-weiss-doch-jeder»-Geschichten Mirjam Tanner

Übergriffe auf Patientinnen und Patienten kommen vor, auch wenn das Thema weitgehend tabuisiert ist. Grenz- überschreitungen werden auch immer wieder an das Unterstützungsnetzwerk ReMed herangetragen. Die Au- torin ist Mitglied der ReMed-Leitung und nimmt zu ei- nem Erfahrungsbericht Stellung.

Recht

56 Neuregelungen in der Kranken- versicherung

Gabriela Lang, Susanne Christen

Der FMH-Rechtsdienst informiert über Änderungen bei der Kostenbeteiligung bei Mutterschaft, bei Laboranaly- sen während Hausbesuchen und bei der Versicherungs- pflicht für ausländische Dozierende und Forschende.

Nachrufe

57 In memoriam Gaetano Benedetti Daniel Hell

58 Personalien

Weitere Organisationen und Institutionen Gesundheitsförderung Schweiz

59 Auf dem Weg zu einer Gesundheits- förderung mit Kopf, Herz und Hand Mathis Brauchbar

Ein Interview mit Thomas Mattig, Direktor Gesundheits- förderung Schweiz, anlässlich der Nationalen Gesund- heitsförderungs-Konferenz.

Briefe / Mitteilungen

60 Briefe an die SÄZ 62 Facharztprüfungen /

Mitteilungen

FMH Services

64 Seminare/Séminaires/Seminari 2014 68 Plattform für Praxisanbieter und Praxis-

sucher

69 Hausrat- und Privathaftpflicht- versicherung

71 Stellen und Praxen

Tribüne Thema

79 Finanzierung nach DRG:

Einfluss auf die kardiovaskuläre und pulmonale Rehabilitation Gilbert Büsching, Frans Hollander,

Christoph Schmidt, Martin Frey, Johann Steurer

Werden Patienten seit Einführung des DRG-Systems zu früh von Akut- spitälern in Rehabilitationskliniken

verlegt? Mit der Folge einer er- schwerten Rehabilitation? Eine

Studie versuchte, diese Frage zu klären. Eingeschlossen wa- ren 127 Patienten vor und 152 Patienten nach DRG-Einfüh- rung.

85 Spectrum

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I N H A LT

Horizonte

Medizingeschichte

86 Wie und wozu braucht es Medizin- geschichte?

Lina Gafner

Seit 50 Jahren gibt es das Institut für Medizingeschichte der Universität Bern. Grund genug zu einer öffentlichen Jubiläums-Veranstaltung mit einem Blick zurück und nach vorne. Natürlich gab es auch Antworten auf die oben gestellte Frage.

Streiflicht

88 Besorgtes Engagement Jürg Kesselring

Sehr beeindruckt zeigt sich Jürg Kesselring vom Engage- ment junger Schüler und Studenten, das er bei der Gedenkfeier für

Henry Dunant, den Gründer der Rotkreuzbewe- gung, erleben durfte. Sie erar- beiteten und verabschiedeten eine «Resolution für eine zu- kunftsorientierte Atomwaffenpoli- tik der Schweiz».

Horizonte

Filmbesprechung

90 «Der Medicus» im Kino:

ein medizinisches Märchen Eberhard Wolff

Zu guter Letzt

92 Bei der Sterbehilfe sind die Ärzte vierfach gefordert

Hans Stalder

Ob sie wollen oder nicht – Ärztinnen und Ärzte spielen bei der Suizidhilfe eine wichtige Rolle. Ob diese über- haupt zu den ärztlichen Aufgaben gehört, ist umstritten.

Hans Stalder fragt: Wer könnte diese Hilfe leisten, wenn nicht die Ärzte?

Anna

Redaktion

Dr. med. et lic. phil. Bruno Kesseli (Chefredaktor)

Dr. med. Werner Bauer Prof. Dr. med. Samia Hurst Dr. med. Jean Martin Anna Sax, lic. oec. publ., MHA Dr. med. Jürg Schlup (FMH) Prof. Dr. med. Hans Stalder Dr. med. Erhard Taverna

lic. phil. Jacqueline Wettstein (FMH) Redaktion Ethik

PD Dr. theol. Christina Aus der Au Prof. Dr. med. Lazare Benaroyo Dr. phil., dipl. biol. Rouven Porz Redaktion Medizingeschichte

Prof. Dr. med. et lic. phil. Iris Ritzmann

Redaktionssekretariat Elisa Jaun Redaktion und Verlag

EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz Tel. 061 467 85 55, Fax 061 467 85 56 E-Mail: redaktion.saez@emh.ch Internet: www.saez.ch, www.emh.ch Herausgeber

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Erscheint jeden Mittwoch

I M P R E S S U M

Henry Dunant um 1860.

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E d i t o r i a l

F M H

Wir Ärztinnen und Ärzte sind auch für Guidelines zuständig.

Unter Respektierung der be- reits seit langem formulierten medizinischen und standes- politischen Eckwerte gilt es, die Arbeiten dazu voranzu- treiben. Bereits 1999 sind in der Schweizerischen Ärzte- zeitung praktisch die gleichen Forderungen publiziert, wie sie heute noch gelten [1]. Ob die Fachgesellschaften eigene Guidelines erarbeiten oder international anerkannte übernehmen, macht letztlich nur einen kleinen Unterschied: Die Arbeit und Zuständigkeit bleibt bei den Fachgesellschaften. Mit der Schweizerischen Akademie für Qualität in der Medizin SAQM verfügt die FMH jedoch über entsprechende Vernetzungsmöglichkeiten und mit der Abteilung DDQ über wissenschaftliche Schaffens- kraft, so dass wir in dieser Ausgabe der Schweizerischen Ärzte- zeitung eine Grundlagenarbeit vorstellen, welche die Begriff- lichkeiten vor dem Hintergrund der aktuellen Literatur dar- stellt. Ebenfalls stellt das Forum Qualität der SAQM, die Versammlung aller Qualitäts-Verantwortlichen der Fachge- sellschaften, kantonalen Ärztegesellschaften und Dachver- bände, den Wissens-Transfer sicher. Organisationen, welche in der Entwicklung einer bestimmten Frage bereits fortge-

schrittener sind, können ihr Wissen und ihre Erfahrungen weitergeben. Letztlich steht jedoch die Frage der Standardi- sierbarkeit im Raum. Auch wenn sich gewisse medizinische Massnahmen bezüglich Durchführung und Indikationsstel- lung standardisieren lassen, so gilt die Standardisierbarkeit

nicht gleichermassen für Patientinnen und Patienten. Dass dem Stimmbürger viel an einer individualmedizinischen Be- treuung durch den Arzt seiner Wahl liegt, wurde eindrücklich 2008 und 2012 an der Urne bekräftigt. Dieser politische Auf- trag geht einher mit der medizinischen Erfahrung, dass es bei Patienten mit mehreren Erkrankungen zu Widersprüchen zwischen den Guidelines kommen kann. Dann ist entschei- dend, dass wir Ärzte auf unsere Erfahrung zurückgreifen, und den Patienten als Individuum in seinem sozialen System

betrachten. Die individuelle Behandlung von Patienten schliesst dabei den Einbezug von Guidelines keinesfalls aus.

Es gibt sie nämlich durchaus, die eine oder andere Situation in unserem medizinischen Alltag, wo Routine herrscht.

Wenn es uns gelingt, hier mit Hilfe von Guidelines effizienter zu werden, so mobilisieren wir Ressourcen für die komplexe- ren Situationen unserer polymorbiden Patienten.

Aufgrund der vorhandenen finanziellen Mittel, dem Ärz- temangel sowie dem Älterwerden unserer Gesellschaft tun wir gut daran, uns rechtzeitig mit Guidelines zu beschäftigen.

Und wir müssen uns auch in dieser Thematik gegenseitig unterstützen, um die damit verbundene Arbeitslast bewälti- gen zu können. Letztlich sind Guidelines auch Wegbereiter für fach- und sektorenübergreifende Behandlungspfade. Ich wünsche uns allen die notwendige Schaffenskraft, um die anstehenden Herausforderungen anzunehmen.

Dr. med. Christoph Bosshard, Mitglied des Zentralvorstandes der FMH, Verantwortlicher Ressort Daten, Demographie und Qualität 1 FMH. Guideline für Guidelines. Schweiz Ärztezeitung. 1999;

80(10):581–3.

Richtig eingesetzte Guidelines unterstützen die individuelle Patientenbehandlung

Guidelines tragen mit dazu bei, die Patientenbehandlung zu optimieren.

Die SAQM bietet Austauschmöglich­

keiten und Vernetzung zu verschiede­

nen Qualitätsaspekten.

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D D Q

F M H

Grundlagenpapier der DDQ

Guidelines – Qualitätsmerkmale erkennen

«Zu wissen, was man weiss, und zu wissen, was man tut, das ist Wissen.» (Konfuzius)

Hintergrund

Ärztinnen und Ärzte treffen täglich eine Vielzahl von Entscheidungen und tragen gegenüber ihren Patienten eine grosse Verantwortung. Medizinische Guidelines sind systematisch entwickelte Aussagen, die der Ärzteschaft helfen sollen, im Interesse der bestmöglichen Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten evidenzbasierte Entscheidungen in einem Stefanie Hostettler,

Esther Kraft, Christoph Bosshard

Korrespondenz:

FMH/Abteilung DDQ Elfenstrasse 18 CH-3000 Bern 15 Tel. 031 359 11 11

Die Abteilung Daten, Demographie und Qualität (DDQ) erstellt Grundlagenpapiere zu verschiedenen Themen im Bereich Qualität, welche in der Schweizerischen Ärztezeitung veröffentlicht werden. Die FMH nimmt auf der Basis der erarbeiteten Grundlagen Stellung zum Thema und gelangt über das Pa- pier «Die Meinung der FMH» mit ihrer Position an die Öffentlichkeit. Nachfolgend werden das Grund- lagenpapier sowie die Meinung der FMH zum Thema «Guidelines – Qualitätsmerkmale erkennen»

präsentiert.

Zusammenfassung

Medizinische Guidelines sind evidenzbasierte Aussagen und Empfehlungen in Bezug auf einen definierten diagnostisch-therapeutischen Be- reich, welche zur Optimierung der Patienten- behandlung beitragen sollen. Mit Hilfe von Gui- delines können Ärztinnen und Ärzte ihr Fach- wissen und ihr Vorgehen zeitsparend auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft halten. Ande- rerseits erschwert die stetige Zunahme von Guide lines die Überschaubarkeit des Angebots, und qualitativ schlechte Guidelines können sich sogar negativ auf die Behandlungsqualität aus- wirken. Beim Einsatz von Guidelines ist zentral, dass diese nachvollziehbar und validiert sind.

Wichtig für ihre Beurteilung ist nebst dem Beach- ten möglicher Probleme (z. B. ungenügende und/

oder widersprüchliche Evidenz, Verzerrungen durch Interessenverbindungen) die Identifizie- rung von Qualitätsmerkmalen (Verfügbarkeit von Hintergrundinformationen, laufende Aktualisie- rung, externe Review usw.). Der vorliegende Be- richt setzt sich mit dem Nutzen, den Grenzen und den Qualitätsmerkmalen von Guidelines ausein- ander und soll den Nutzern eine Orientierungs- hilfe bei der Verwendung von Guidelines bieten.

Im Weiteren thematisiert der Bericht die Bedeu- tung von Guidelines in Bezug zu anderen Themen wie z. B. der Versorgungsforschung, Behandlungs- pfaden oder der personalisierten Medizin.

tious Diseases der American Academy of Pediatrics) entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wobei die USA eine Vorreiterrolle in der Entwicklung von Guidelines übernahm [1]. Mit dem rasanten Fortschritt von Forschungsmethoden und der evi- denzbasierten Medizin in den neunziger Jahren er- leichterten Guidelines der Ärzteschaft, ihr Fachwis- sen und dessen Anwendung auf dem aktuellen Stand zu halten. Guidelines wurden somit ein wichtiges Instrument, um Behandlungsqualität sicherzustel- len, sprich, um Unsicherheiten zu reduzieren, Fehler zu vermeiden, effizientere Prozesse zu gestalten usw.

[1]. Fachgesellschaften, Dachorganisationen und an- dere Vereinigungen leisteten neben der Entwicklung von Guidelines insbesondere bei der Koordination und Verbreitung von Guidelines einen wichtigen Beitrag [2]. Heute sind Guidelines aus dem medizini- schen Alltag nicht mehr wegzudenken, und Studien zeigen, dass qualitativ hochstehende Guidelines Be- handlungsprozesse, -ergebnisse und -qualität [3–7]

verbessern können. Andererseits erschwert die ste- tige Zunahme von Guidelines die Überschaubarkeit des Angebots und qualitativ schlechte Guidelines können sich sogar negativ auf die Behandlungs- qualität auswirken [8]. Die «potentiellen Risiken und Nebenwirkungen» von Guidelines sind vielfältig und geben z. T. seit langem Anlass zu Diskussionen.

Beispielsweise scheint die Problematik der Unabhän- gigkeit und der finanziellen Interessenkonflikte der Guideline-Gremien und -Autoren nach wie vor nicht gelöst [9]. Das amerikanische Institute of Medicine (IOM) und die National Academies haben 2011 Kri- terien zur Bewertung der Qualität von Guidelines festgelegt, welche unter anderem aufführen, was bei der Konstituierung von Guidelines-Gremien hin- sichtlich der Interessenkonflikte zu beachten ist (Vorsitzender soll keine Interessenkonflikte vorwei- sen, idealerweise haben die Mitglieder keine Interes- senkonflikte und falls doch, stellen diese die Minder- heit etc.). Basierend auf diesen Kriterien wurde die Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) beauftragt, die öffentlich zugängliche Online-Guide- linesammlung «National Guideline Clearinghouse

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D D Q

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che die Kriterien erfüllen. In der Schweiz hat der FMH-Zentralvorstand 1999 einen Leitfaden für Gui- delines veröffentlicht, welche Kriterien zur Er- arbeitung und Beurteilung von Guidelines enthielt [10]. Seit Jahren gibt es zudem Bestrebungen, die Un- abhängigkeit der Ärzteschaft zu untermauern. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissen- schaften (SAMW) hat unter aktiver Beteiligung der FMH Richtlinien zur «Zusammenarbeit Ärzteschaft und Industrie» [11] ausgearbeitet. Diese dienen als Er- gänzung der staatlichen Vorschriften zum Thema Be- ziehungen zwischen der Ärzteschaft und den kom- merziellen Zulieferern des Gesundheitsmarktes.

Bei anderen Themen, wie der Anwendung von Guidelines bei seltenen Krankheiten, bei multimor- biden und/oder chronisch kranken Patienten, ist der Wissensstand noch lückenhaft und mit Unsicher- heit behaftet. Wer nun vom Nutzen von Guidelines profitieren will, steht vor der Herausforderung, aus dem umfangreichen Angebot die geeignetste/n aus- zuwählen, deren Grundlagen sorgfältig zu evaluie- ren und sicherzustellen, dass neue Erkenntnisse künftig darin einfliessen. Der vorliegende Bericht thematisiert unter anderem den Nutzen, die Gren- zen und die Qualitätsmerkmale von Guidelines und kann somit als Orientierungshilfe dienen. Weitere Themen wie die rechtliche Verbindlichkeit, die per- sonalisierte Medizin oder die Versorgungsforschung werden in Zusammenhang mit Guidelines aufgegrif- fen und der mögliche Handlungsbedarf aufgezeigt.

Bedeutung von Guidelines / Begriffsklärung Guidelines werden in deutscher Sprache unter anderem auch als medizinische Richtlinien, Leit-

linien, Leitplanken oder Handlungsempfehlungen bezeichnet. In der Literatur finden sich eine Mehr- zahl von Definitionen über Guidelines, die grund- sätzlich in Folgenden übereinstimmen: Es handelt sich um evidenzbasierte, d. h. empirisch nachge- wiesenermassen wirksame Empfehlungen mit der Absicht, die Patientenbehandlung zu optimieren.

Das IOM hat 2011 eine Definition herausgegeben, nach der es sich bei Guidelines um Aussagen han- delt, welche Empfehlungen zur Optimierung der Patientenbehandlung enthalten; gleichzeitig sollen sie auch eine Einschätzung bezüglich der Vor- und Nachteile von alterna tiven Behandlungsmethoden bieten.

Guidelines beziehen sich auf eine klar identifi- zierte und abgrenzbare Thematik. Es kann sich um ein Symptom, eine Krankheit, eine Struktur, einen Prozess, eine Therapie oder eine medizinisch-techni- sche Anwendung handeln. Der Grad der Empfehlun- gen richtet sich nach der Stufe der Evidenz z.B. von A (Metaanalyse bzw. systematischer Review) bis D (Expertenmeinung), je nachdem auf welchen wis- senschaftlichen Grundlagen die Erkenntnisse basie- ren oder welches Einteilungssystem verwendet wird.

In Tabelle 1 und 2 sind die Stufen der Evidenzgrade und die darauf basierenden Empfehlungen aufge- führt, welches die Deutsche Gesellschaft für Kardio- logie als Standard verwendet [12]. Eine Zusammen- stellung von weiteren Einteilungssystemen befindet sich in der Übersichtsarbeit von Graham et al. 2011 [1]. Die Systeme unterscheiden sich inhaltlich nicht grundlegend, sondern variieren v.a. in den Abstu- fungen und Begrifflichkeiten.

Tabelle 1

Beispiel eines Klassifikationssystems der Evidenzgrade.

Evidenzgrade

A Daten aus mehreren randomisierten klinischen Studien oder Meta­Analysen.

B Daten aus einer randomisierten Studie oder mehreren grossen nicht randomisierten Studien.

C Konsensusmeinung von Experten und/oder kleinen Studien, retrospektiven Studien oder Registern.

Tabelle 2

Beispiel eines Klassifikationssystems der Empfehlungsgrade.

Empfehlungsgrade

I Evidenz und/oder allgemeine Übereinkunft, dass eine Therapieform oder eine diagnostische Massnahme effektiv, nützlich oder heilsam ist.

II Widersprüchliche Evidenz und/oder unterschiedliche Meinungen über den Nutzen / die Effektivität einer Therapieform oder einer diagnostischen Massnahme.

– IIa Evidenzen/Meinungen favorisieren den Nutzen bzw. die Effektivität einer Massnahme.

– IIb Nutzen/Effektivität einer Massnahme ist weniger gut durch Evidenzen/Meinungen belegt.

III Evidenz und/oder allgemeine Übereinkunft, dass eine Therapieform oder eine diagnostische Massnahme nicht effektiv, nicht nützlich oder nicht heilsam ist und im Einzelfall schädlich sein kann.

Quelle: www.dgk.org

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Nutzen und Verwendung von Guidelines Guidelines können eine Vielzahl von Vorteilen (Tab. 3) bieten, mit dem Endziel, die Behandlungsqua- lität der Patientinnen und Patienten zu verbessern.

Guidelines können einen medizinischen Standard gewährleisten und sind ein wichtiges Qualitätsinst- rument in der Medizin. Während der Erarbeitung können Schnittstellen sichtbar und potentielle Inter- ferenzen antizipiert werden. Die Veröffentlichung der Guidelines ermöglicht es, die aktuellen Erkennt- nisse aus der Forschung in die Klinik zu übertragen.

Ärzte können mittels Guidelines ihr Wissen auf dem aktuellen Stand halten, erhalten eine Orientierungs- hilfe und Sicherheit für ihre Entscheidungen.

Guidelines sollen die Behandlungen vereinheit- lichen und Variationen in der medizinischen Praxis mindern, so dass alle Patienten die gleichen Behand- lungschancen erhalten. Obschon der ökonomische Aspekt bei Guidelines nicht im Vordergrund sein soll, kann es sein, dass die Einhaltung von Guide- lines zu effizienteren Prozessen führen und sich so Kosten einsparen lassen, etwa durch die Reduktion von Spitalaufenthalten, Operationen oder in der Medikamentenverschreibung [13].

Guidelines werden auch für die Entwicklung von klinischen Entscheidungsunterstützungs-Systemen (clinical decision supporting systems) sowie Aus- bildungsprogrammen verwendet. Beispielsweise ist UpToDate ein Informationssystem, welches evidenz- basierte Antworten auf Behandlungsfragen liefert und sich vielerorts bewährt.

Nicht zuletzt kommt den Guidelines eine wich- tige Bedeutung als evidenzbasierte Grundlage für politische Entscheide im Gesundheitswesen zu, etwa bei der Abgabe von Empfehlungen (z. B. Impfemp- fehlungen) oder bei der Finanzierung von Versor- gungsleistungen (z. B. Brustkrebsscreening).

Grenzen von Guidelines

Nutzer, welche nach Guidelines handeln, erbringen nicht per se eine bessere Behandlungsqualität. Der Ausgangspunkt der Qualität ärztlichen Handelns findet sich in der Diagnose- und Indikationsstellung.

Hier findet sich auch die Hauptlimitation von Gui-

delines, nämlich wenn sie generell oder für gewisse Patienten falsch sind [13]. Mögliche Ursachen für solche Fälle sind unter anderem, dass zugrundelie- gende Studien ungenügende Validität vorweisen, der Nutzen nicht wissenschaftlich belegt worden ist, oder durch Interessenverbindungen bedingte Ein- flüsse. Verzerrungen dieser Art führen möglicher- weise zu divergierenden Guidelines, welche bei Be- troffenen (Ärzteschaft, Patienten usw.) zu Verwir- rung, Frustration oder zu einer generellen Ablehnung von Guidelines [13] und allenfalls zu einer Fehlversorgung von Patienten führen.

Abweichende Guidelines entstehen unter ande- rem auch durch den Fortschritt in der Medizin und den Gewinn an neuen Erkenntnissen oder durch un- terschiedliche Bewertung von Nutzen, Risiken und Kosten; auch wenn der Erkenntnisstand derselbe sein kann – nicht jede Gesellschaft entscheidet sich für dieselbe Medizin.

Die Er- bzw. Überarbeitung von Guidelines ist in der Regel zeit- und kostenintensiv. Ihre Entwick- lungsdauer kann ein bis drei Jahre, die Kosten pro Guideline können bis zu 200 000 USD betragen [14].

Die lange Entwicklungsdauer kann theoretisch dazu führen, dass eine Guideline bei ihrer Veröffent- lichung neue wissenschaftliche Erkenntnisse nicht berücksichtigt.

Für unklare oder seltene Krankheiten sind oft keine Guidelines vorhanden, unter anderem, weil die Grundlage dazu fehlt. Ähnliche Lücken gibt es auch bei der Behandlung von Patienten mit Mehr- facherkrankungen. Guidelines sind typischerweise krankheitsbezogen und berücksichtigen nur un- genügend die Auswirkung von Empfehlungen auf andere vorliegende Erkrankungen und deren Be- handlung.

Situation in der Schweiz

In der Schweiz werden im Normalfall international gültige Guidelines berücksichtigt. Die Ausarbeitung dieser Guidelines geschieht durch Zusammen- schlüsse von international anerkannten Wissen- schaftlern und Experten in ihrem Fachgebiet. Grosse medizinische Vereinigungen/Gesellschaften (z. B.

Euro pean Society of Cardiology, European Respira- tory Society/American Thoracic Society) unterstüt- zen die Koordination der Gremien und die Veröf- fentlichung der Guidelines. Bei der Verbreitung und Implementierung internationaler Guidelines in der Schweiz übernehmen die medizinischen Fachgesell- schaften und andere medizinischen Institutionen eine tragende Rolle. Einige Fachgesellschaften über- arbeiten die Originalguidelines und passen diese an Schweizer Rahmenbedingungen an. Zeitschriften, Websites, Kongresse sowie Weiter- und Fortbildungs- veranstaltungen etc. werden als Plattform genutzt, um die Guidelines zu kommunizieren und in der Ärzteschaft zu verbreiten.

Tabelle 3

Vor­ und Nachteile von Guidelines.

Vorteile Nachteile

Ungewissheit reduzieren Umgang mit unklaren klinischen Situationen Fehler vermeiden Lange Entwicklungsdauer

Wissen vermitteln Ungenügende Implementierung Prozesse verbessern Mangelnde Akzeptanz

Kosten senken Divergierende/ungenügende Evidenz Variation vermindern Kostenintensiv

usw. usw.

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Beispiele mit Bezug zu Guidelines in der Schweiz

Nachfolgend werden einige Beispiele aus der Schweiz genannt, welche die unterschiedlichen Ver- wendungszwecke von Guidelines aufzeigen sollen.

Beispielsweise hat das Bundesamt für Gesundheit 2003 im Rahmen einer Impfstrategie allgemeine Empfehlungen zu Impfungen veröffentlicht, wel- che sich an Ärztinnen und Ärzte richten. Das Ziel des Impfprogramms ist der Schutz der Bevölkerung vor potentiell gefährlichen Infektionskrankheiten durch wirksame, sichere und kostengünstige Impf- stoffe. Die einzelnen Impfungen sowie das Idealal- ter bei den Impfungen und die Impfabstände sind in Form eines Impfplans übersichtlich zusammen- gestellt.

Die EbM- bzw. Evidenzbasierten Medizin-Guide- lines in Buch- oder Online-Version fassen den aktuellen Wissensstand zu allgemeinmedizinischen Problemstellungen übersichtlich zusammen. Es ist eine der umfangreichsten Sammlungen von evi- denzbasierten Vorgehensweisen und mittlerweile auch in deutscher Sprache erhältlich. Im Rahmen der Zugangsförderung zu wissenschaftlicher Litera- tur können Ärztinnen und Ärzte durch die Schweize- rische Akademie der Medizinischen Wissenschaften vergünstigte Abonnemente für EbM wie auch für weitere Portale wie UpToDate, Cochrane Library und Revue Médicale Suisse beziehen [15].

mediX Schweiz, ein Zusammenschluss von Ärz- tenetzwerken, hat in Zusammenarbeit mit Exper- ten und unter Einbezug von Qualitätszirkeln über 70 Guidelines für den Bereich der Grundversorgung erstellt. Basierend auf der aktuellen vorhandenen Literatur enthalten die mediX-Guidelines pointierte Stellungnahmen mit engem Bezug zur Praxis. Die Guideline-Sammlung (www.medix.ch) ist öffentlich zugänglich, wird laufend aktualisiert und erweitert.

Das Swiss Medical Board analysiert und beurteilt diagnostische Verfahren und therapeutische Inter- ventionen, z. B. die chirurgische Therapie von Leber- metastasen beim kolorektalen Karzinom oder der Stellenwert des PSA-Wertes bei der Früherkennung des Prostatakarzinoms. In die Beurteilung fliessen nebst den medizinischen auch ökonomische, ethische und rechtliche Aspekte ein. Auf dieser Grundlage lassen sich Empfehlungen zuhanden der Leistungs- erbringer und der politischen Entscheidungsträger formulieren. Mögliche Auswirkungen der Be richte sind Änderungen bei der Kostenübernahme der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung, z. B.

bezüglich der Eingriffe bei der Kathether-basierten Behandlung der schweren Mitralklappeninsuffizienz bei inoperablen Patienten, und/oder in der Behand- lungsweise der Ärztinnen und Ärzte.

Rechtliche Verbindlichkeit von Guidelines*

Grundsätzlich sind Guidelines in der medizinischen

Behandlung in der Schweiz rechtlich nicht verbind- lich. Anders ist es, wenn Guidelines ins staatliche Recht übernommen wurden wie z. B. der Verweis in der Verordnung zum Transplantationsgesetz zu den SAMW-Richtlinien «Feststellung des Todes mit Be- zug auf die Organtransplantation» [16]. Damit gibt der Gesetzgeber vor, wie der Tod nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft festzustellen ist. Zudem veröffentlicht die SAMW zu ethischen Fragen Emp- fehlungen, die in der Regel in die Standesordnung der FMH aufgenommen werden und somit für die FMH-Mitglieder als Standesrecht verbindlich sind (z. B. intensivmedizinische Massnahmen, Zusam- menarbeit Ärzteschaft und Industrie). Guidelines sind für den Regelfall gedacht und spielen deshalb naturgemäss im Sozialversicherungsrecht eine wich- tigere Rolle als im Haftpflichtrecht. Denn die Rechts- gleichheit ist ein wichtiges Prinzip der Sozialversi- cherungen, während das Haftungsrecht nach der für den konkreten Patienten richtigen bzw. vertretbaren Behandlung fragt. Doch können Guidelines im Rah- men der Beweiswürdigung eines Gutachtens auch bei Haftpflichtfällen eine Rolle spielen, wenn sie als freie Beweiswürdigung hinzugezogen werden. Der Gutachter wird in diesem Fall diskutieren, ob die fragliche Guideline aus Schweizer Sicht grundsätz- lich als Handlungsanweisung akzeptiert ist, und ob sie auf den konkreten Behandlungsfall hätte an- gewendet werden sollen, z. B. inwieweit der durch- schnittliche Patient der Guideline mit dem konkre- ten Patienten vergleichbar ist. Dabei ist es zentral, dass der Arzt oder die Ärztin begründen kann, wieso er einen medizinischen Entscheid gefällt hat.

Diskussion

Studien aus dem Ausland zeigten auf, dass rund ein Drittel der Patienten nicht evidenzbasierte und bis zu einem Viertel sogar potentiell schädliche Behand- lungen erhalten [7, 17, 18]. Guidelines hätten das Potential, in dieser Hinsicht Verbesserung herbeizu- führen und die Behandlungsqualität zu erhöhen, sofern die Guidelines verlässlich sind. Um die Quali- tät von Guidelines zu beurteilen, stehen verschie- dene Mittel zur Verfügung. Auf Antrag der ameri- kanischen Regierung hat das IOM acht Standards ausgearbeitet, welche erfüllt sein müssen, damit Gui- delines als vertrauenswürdig gelten. Die Standards enthalten u. a. Empfehlungen zur Transparenz, Inter essenverbindung und Formulierung von Guide- lines (Tab. 4). AGREE II (Appraisal of Guidelines for Research and Evaluation) [19] ist ein weiteres Instru- ment zur Qualitätsbeurteilung von Guidelines, wel- ches international anerkannt ist und in seiner Neuauflage in nächster Zeit auch in deutscher Spra- che erhältlich sein wird (momentan ist AGREE I in deutscher Sprache verfügbar). In England zertifi- zieren NICE (National Institute of Health and Care Excellence) und NHS (National Health Service)

* Das Kapitel «Rechtliche Verbindlichkeit von Guide- lines» wurde in Absprache mit der Rechtsabteilung der FMH verfasst.

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Organi sationen, welche verlässliche Guidelines-Ent- wicklungsprozesse basierend auf AGREE und einem Re view-Verfahren einhalten und fördern somit ein- heitliche Standards und Prozesse.

Die Identifizierung von qualitativ hochstehen- den Guidelines ist auch wichtig bei der Festlegung von Behandlungspfaden. Diese beschreiben die Ab- folge von diagnostisch-therapeutischen Interventio- nen, welche von den beteiligten Disziplinen bei der Versorgung eines von einer definierten Erkrankung betroffenen Patienten im Rahmen seiner Behand- lung durchgeführt werden. Basierend auf (anerkann- ten) Guidelines können (nationale) Behandlungs- standards festgelegt werden. Besonders in medizi- nischen Fachgebieten wie z. B. in der Onkologie ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zentral, in diesem Sinn misst die Nationale Strategie gegen Krebs den Behandlungspfaden bei der Koordination/

Kooperation, integrierten Betreuung und Qualität/

Chancengerechtigkeit eine wichtige Bedeutung zu und sieht vor, diese vermehrt zu fördern.

Implementierung von Guidelines

Die Implementierung von Guidelines stellt eine gros se Herausforderung dar, und eine Veröffentli- chung alleine reicht für die Umsetzung von Guide- lines kaum aus [20]. Verinnerlichte Vorgehenswei- sen sind schwierig zu ändern und die Einstellung gegenüber Guidelines ist abhängig von der persönli- chen Haltung des einzelnen Arztes oder der einzel- nen Ärztin [6, 21]. Was die Implementierung von Guidelines erleichtern kann ist eine präzise Formu- lierung. Studien haben gezeigt, dass vage Formulie- rungen wie «if necessary» oder «if clinically approp-

wird, im Gegensatz zu den klaren, unmissverständ- lichen Formulierungen wie «must», welche von 67%

befolgt werden [22, 23]. Guidelines sollten anwen- derfreundlich sein, z. B. in Form einer Zusammenfas- sung, als Faktenblatt oder Flussdiagramm, so dass die eigentlichen Empfehlungen kurz und übersichtlich bleiben und die Hintergrundinformationen in ei- nem separaten umfassenderen Dokument enthalten sind.

Einen wichtigen Einfluss auf die Implementie- rung von Guidelines haben «Opinion Leaders» oder Personen mit Führungsaufgaben [24], welche aktiv Guidelines vertreten, eine Lernkultur vorleben und zu Fachdiskussionen mit Bezug zu Guidelines an- regen. Eine Analyse des Schweizer Gesundheits obser- vatoriums (OBSAN) über die Entwicklung und Bedeu- tung von Guidelines in Ärztenetzen zeigte, dass Ärzte gegenüber netzspezifischen Guidelines eine auf- fallend positive Haltung einnehmen [25]. Der Nut- zen entsteht in ihrer Wahrnehmung durch die Aus- einandersetzung mit Guidelines und der Wissens- entwicklung, welche der institutionelle Rahmen fördert.

Eine andere Studie konnte aufzeigen, dass es zwar zeitaufwendig ist, das Einhalten von Guidelines mit- tels Meeting-Board zu sichern. Aber der Aufwand wirkte sich nachhaltig auf Rehospitalisierung und Spitalaufenthaltsdauer aus [4]. Die Effektivität von Audits, Reviews, Lernprogrammen zur Implementie- rung usw. von Guidelines ist nicht eindeutig geklärt.

Es ist aber denkbar, dass der Einbezug von mehreren Kanälen und Interessengruppen zur erfolgreichen Im- plementierung von Guidelines beitragen kann [26].

Personalisierte Medizin, Register und Versorgungsforschung

Guidelines gelten für den Regelfall. Sie sind keine in jedem Einzelfall gültige Handlungsanweisung [10].

Zentral ist, dass der Arzt oder die Ärztin die individu- elle Situation der Patienten analysiert [27] und beur- teilt, ob die individuelle Situation mit dem Regelfall übereinstimmt. Weicht er trotz Übereinstimmung mit dem Regelfall von Empfehlungen mit hoher Evi- denz ab, hat er dies transparent zu begründen. Dabei fliessen eine Reihe von verschiedenen Faktoren ein, welche unterschiedliche Wünsche/Bedürfnisse, das soziale/ökonomische Umfeld oder andere Einflüsse berücksichtigen. Zudem muss sorgfältig geprüft sein, ob allenfalls das Alter, das Geschlecht, das Vorliegen anderer Erkrankungen etc. Einfluss auf die Behandlung nach Guidelines haben und welche Alternativen bestehen. Zentral ist, dass transparent wird, auf welcher medizinischen Haltung Abwägun- gen und Entscheide basieren. Beispielsweise lässt sich mittels einer Verzichtsplanung auf Behandlun- gen je nach konkreter Situation des Patienten oder der Patientin festhalten, wieso eine leitlinienge- rechte Massnahme aus ärztlicher Sicht in diesem Fall Tabelle 4

Standards­Guideline­Entwicklung IOM 2011

(Darstellung abgeändert und Inhalt zusammengefasst).

IOM-Standards

Transparenz. Informationen über die Finanzierung, Entwicklung usw. sind öffentlich einsehbar.

Interessenkonflikte. Interessenverbindungen der Guideline­Panelmitglieder müssen schriftlich festgehalten werden. Personen mit Interessenverbindungen stellen die Minderheit dar.

Gruppenzusammensetzung. Die Guideline­Entwicklergruppe ist multidisziplinär und ausgewogen (Experten, Kliniker, Patienten usw.).

Systematische Reviews. Die Guideline­Entwickler berücksichtigen nur systematische Reviews, welche die IOM­Standards (Reviews) erfüllen.

Evidenzangabe und Stärke der Empfehlung. Für jede Empfehlung sollten mindestens folgende Angaben zur Verfügung stehen: Beschreibung des potentiellen Nutzens/Schadens, Nachweis von Evidenz/Lücken, Grad der Empfehlung und kontroverse Meinungen.

Formulierung der Empfehlungen. Die Empfehlungen sind präzise und einheitlich formuliert.

Sie enthalten die genauen medizinischen Handlungen und unter welchen Rahmenbedingun­

gen diese durchgeführt werden.

Externe Review. Externe Beobachter aus verschiedenen Bereichen verfassen einen Evalua­

tionsbericht, welcher öffentlich zugänglich ist.

Aktualisierung. Die Daten für eine Aktualisierung/eine Review der Empfehlungen sind schriftlich festgelegt. Neue Erkenntnisse werden kontinuierlich evaluiert, und falls nötig werden die Empfehlungen entsprechend angepasst.

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Die Anwendbarkeit von Guidelines in der Praxis kann auch hinterfragt werden da, die Studienpopu- lation, auf welchen die Guidelines basieren, das Pa- tientengut in der Regel nicht adäquat vertritt (z. B.

hinsichtlich des Alters, Komorbiditäten usw.) [28].

Eine Alternative zu den Studien stellen medizi- nische Register dar, welche die Realität praxisnah abbilden und so bei der Entwicklung und/oder der Überprüfung von Guidelines wichtige Erkenntnisse liefern [29]. Die Dokumentation von medizinischen Handlungen kann auch zur leitliniengerechteren Be- handlung führen, wie das Beispiel der Versorgung von Diabetespatienten aus England zeigt. Dort haben finanzielle Anreize zur Dokumentation erheblich zu dieser Verbesserung beigetragen [30]. Die Analyse vom Zugang zu medizinischen Leistungen, deren Kosten und Nutzen ist Gegenstand der Versorgungs- forschung. Die durch die Versorgungsforschung gewonnenen Erkenntnisse, z. B. ob Behandlungen nach Guidelines zu einer Verteuerung oder Verbesse- rung der Medizin führen, liefern wichtige Hinweise zu den Auswirkungen von Guidelines in der medizi- nischen Praxis.

Ausblick

Eine regelmässige Überarbeitung, Anpassung und somit Verbesserung der Qualität der bestehenden Guidelines ist essentiell und ressourcenintensiv. Die- sem Ziel folgt ADAPTE, ein Zusammenschluss von Experten und Expertinnen auf dem Gebiet von Gui- delines, welche einen systematischen Ansatz ent- wickelt hat, um bereits bestehenden Guidelines an verschiedene kulturelle und strukturelle Rahmen- bedingungen anzupassen [31]. Bei divergierenden Guidelines ist es wichtig, die Aktualität, Evidenz und Qualität von Guidelines zu prüfen; dabei sollten z. B.

auch medizinische Fachgesellschaften zur Unter- stützung beigezogen werden. Informationen zu Gui- delines können auch bei der Schweizerischen Akade- mie für Qualität in der Medizin (SAQM) eingeholt werden. Sie koordiniert, fördert und kommuniziert ärztliche Qualitätsaktivitäten, bietet u. a. fachliche Unterstützung an oder hilft bei der Vernetzung und Koordination in medizinischen Qualitätsfragen. Die Guideline-Forschung sollte sich in Zukunft ver- mehrt den medizinischen Fachgebieten annehmen und Guidelines erarbeiten, wo es noch wenige gibt.

Handlungsbedarf besteht auch bei Studien zur Wirksamkeit, Anwendbarkeit, Kosteneffizienz etc.

von Guidelines, welche auf ältere Patienten mit mul- tiplen oder chronischen Erkrankungen ausgerichtet sind [32] und Langzeitbeobachtungen [33] ein- schliessen. Ebenso wären vermehrt Studien zu Im- plementierungsstrategien und der Unabhängigkeit von Guidelines nötig.

Die politischen Diskussionen um die Thematik Guidelines sind wichtig, um die standespolitischen Interessen der Ärzteschaft zu vertreten. Beispiels- weise dürfen Wirtschaftlichkeitsverfahren nicht dazu

führen, dass Behandlungen, welche nicht in Guide- lines aufgeführt werden, als unwirtschaftlich gel- ten [34].

Guidelines sollen Empfehlungen aufgrund des gegenwärtigen Stand des Wissens sein, sie sollen bewirken, dass gleiche Krankheitsbilder nicht von Land zu Land oder von Spital zu Spital in zufälliger Art und Weise verschieden behandelt werden (es sei denn, dass die Abweichungen gesellschaftlich erwünscht sind bzw. unter Inkaufnahme entspre- chender Behandlungskosten). Guidelines sollen die personalisierte Medizin nicht einschränken, son- dern als Orientierungshilfe und Ergänzung zum bestehenden Wissen dienen. Für eine optimale Be- handlung ist die Abwägung der Vor- und Nachteile für den individuellen Patienten oder die individuelle Patientin und eine regelmässige Überprüfung, ob das Behandlungsziel erreicht bzw. noch adäquat ist, von zentraler Bedeutung. Daneben ist es wichtig, die Qualität von Guidelines kritisch und nach wissen- schaftlich erprobten Kriterien zu beurteilen –, damit sich Guidelines gezielt und effizient einsetzen lassen.

Referenzen

1 IOM (Institute of Medicine). Clinical Practice Guidelines We Can Trust. Washington, DC: The National Academies Press. 2011.

2 Grilli R, Magrini N, Penna A, Mura G, Liberati A.

Practice guidelines developed by specialty societies:

the need for a critical appraisal. Lancet. 2000;355:

103–6.

3 Lugtenberg M, Burgers JS, Westert GP. Effects of evidence–based clinical practice guidelines on quality of care: a systematic review. Qual Saf Health Care.

2009;18:385–92.

4 Copley LA, Kinsler MA, Gheen T, Shar A, Sun D, Browne R. The impact of evidence–based clinical practice guidelines applied by a multidisciplinary team for the care of children with osteomyelitis. J Bone Joint Surg Am. 2013;95:686–93.

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9 Lenzer J. Why we can’t trust clinical guidelines. Bmj.

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10 FMH. Guideline für Guidelines. Schweiz Ärztezeitung.

1999;80:581–3.

11 Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) Richtlinien. Zusammenar- beit Ärzteschaft und Industrie. www.samw.ch. 2013.

Aktuelle Forumthemen Diskutieren Sie mit!

Im Forum präsentieren wir regel mässig brisante Themen aus Politik, Öko­

nomie und Wissen­

schaft, die das Schwei­

zer Gesundheitswesen be­

treffen. Bringen Sie Ihre Meinung ein oder kom­

mentieren Sie die Äusse­

rungen Ihrer Kolleginnen und Kollegen. Das Forum finden Sie unter:

www.saez.ch/forum/

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12 Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, www.dkg.org.

13 Woolf SH, Grol R, Hutchinson A, Eccles M, Grimshaw J.

Clinical guidelines: potential benefits, limitations, and harms of clinical guidelines. Bmj. 1999;318:

527–30.

14 Burgers JS, Grol R, Klazinga NS, Makela M, Zaat J.

Towards evidence–based clinical practice: an internati- onal survey of 18 clinical guideline programs. Int J Qual Health Care. 2003;15:31–45.

15 Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Erleichterter Zugang zu wissenschaftlicher Literatur: Die SAMW erweitert das Angebot. Schweizerische Ärztezeitung. 2013;94:1027.

16 Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) Richtlinien. Feststellung des Todes mit Bezug auf Organtransplantationen. www.

samw.ch. 2011.

17 Schuster MA, McGlynn EA, Brook RH. How good is the quality of health care in the United States? 1998.

Milbank Q. 2005;83:843–95.

18 Grol R. Successes and failures in the implementation of evidence–based guidelines for clinical practice. Med Care. 2001;39:II46–54.

19 The AGREE Collaboration. Appraisal of Guidelines for Research & Evaluation (AGREE) Instrument. 2010.

20 Grimshaw J, Freemantle N, Wallace S, Russell I, Hurwitz B, Watt I, Long A, Sheldon T. Developing and implementing clinical practice guidelines. Qual Health Care. 1995;4:55–64.

21 Cabana MD, Rand CS, Powe NR, Wu AW, Wilson MH, Abboud PA, Rubin HR. Why don’t physicians follow clinical practice guidelines? A framework for improve- ment. Jama. 1999;282:1458–65.

22 Grol R, Zwaard A, Mokkink H, Dalhuijsen J, Casparie A. Dissemination of guidelines: which sources do physicians use in order to be informed? Int J Qual Health Care. 1998;10:135–40.

23 Lomotan EA, Michel G, Lin Z, Shiffman RN. How

«should» we write guideline recommendations?

Interpretation of deontic terminology in clinical practice guidelines: survey of the health services community. Qual Saf Health Care. 2013;19:509–13.

24 Bohmer RM. Leading clinicians and clinicians leading.

N Engl J Med. 2013;368:1468–70.

25 Berchthold P, Schmitz C, Maier J, Guidelines in Schweizer Ärztenetzen. Entwicklung und Bedeutung (Obsan Bericht 51). in Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium. 2012.

26 Grimshaw JM, Thomas RE, MacLennan G, Fraser C, Ramsay CR, Vale L, Whitty P, Eccles MP, Matowe L, Shirran L, Wensing M, Dijkstra R, Donaldson C.

Effectiveness and efficiency of guideline dissemination and implementation strategies. Health Technol Assess.

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27 Erdmann E. Die personalisierte Medizin – ein Alltagsproblem. Gesundh ökon Qual manag 2013;18:90.

28. Goldberger JJ, Buxton AE. Personalized medicine vs guideline–based medicine. Jama. 2013;309:2559–60.

29 Parkin DM. The role of cancer registries in cancer control. Int J Clin Oncol. 2008;13:102–11.

30 Kontopantelis E, Reeves D, Valderas JM, Campbell S, Doran T. Recorded quality of primary care for patients with diabetes in England before and after the introduction of a financial incentive scheme: a longitudinal observational study. BMJ Qual Saf.

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31 The ADAPTE Collaboration. The ADAPTE Process:

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Version 2.0., in www–g–i–n.net. 2009.

32 McMurdo ME, Witham MD, Gillespie ND. Including older people in clinical research. Bmj. 2005;331:1036–7.

33 Tinetti ME, Bogardus ST, Jr., Agostini JV. Potential pitfalls of disease–specific guidelines for patients with multiple conditions. N Engl J Med. 2004;351:2870–4.

34 Nadig J, Gähler E. Guidelines taugen nicht für Wirtschaftlichkeitsverfahren. Schweiz Ärztezeitung.

2011;92(43):1660–2.

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Die Mitgliedschaft in der FMH.

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Die Meinung der FMH

Medizinische Guidelines:

Voraussetzungen und Anwendung

Ausgangslage

Medizinische Guidelines sind systematisch entwi­

ckelte Aussagen, die der Ärzteschaft helfen, im Inter­

esse der bestmöglichen Behandlung ihrer Patienten evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen. Guideli­

nes sind ein wichtiger Bestandteil der heutigen Me­

dizin, sie bieten beispielsweise Orientierungshilfe bei der Wahl von Behandlungsmöglichkeiten, tra­

gen zur Wissenserweiterung bei und verringern die Variabilität der Behandlungsmassnahmen in der medizinischen Praxis. Es gibt bereits viele Guidelines und es entstehen laufend neue, was den Überblick über das bestehende Angebot erschwert. Unsicher­

heiten zum Nutzen und zur Verwendung von Guide­

lines entstehen auch bei kontroversen Guidelines.

Dabei lohnt es sich, Guidelines und dazugehörende Hintergrundinformation vor der Verwendung und der allfälligen Weiterempfehlung anhand von Quali­

tätskriterien zu prüfen. Die Auseinandersetzung mit Qualitätsmerkmalen ermöglicht die Identifikation von qualitativ hochstehenden Guidelines und för­

dert das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Qualität in der Medizin.

Position der FMH

Qualitativ hochstehende medizinische Guidelines sind für die Sicherstellung der Behandlungsqualität

von zentraler Bedeutung. Folgende Aspekte sind in Bezug auf Guidelines besonders zu beachten:

Verwendung von Guidelines

Guidelines nehmen dem Arzt die Verantwortung für sein ärztliches Handeln nicht ab. Sie sind allge­

meine typisierende Empfehlungen, die nicht jedem Einzelfall gerecht werden können. Ob sie im konkre­

ten Einzelfall anzuwenden sind, ist aufgrund der klinischen Erfahrung und der Umstände des Einzel­

falls unter Berücksichtigung der individuellen Situa­

tion des Patienten (allfällige Polymorbidität) sowie der Komplexität der Erkrankung zu entscheiden.

Abweichungen des ärztlichen Handelns von den Vorgaben einer Guideline müssen sich jedoch be­

gründen lassen. Angemessen zu berücksichtigen ist, dass vom Bekanntwerden von relevanten Studiener­

gebnissen und ihrer Publikation bis zur Erarbeitung einer entsprechenden Guideline ein unvermeid­

licher Zeitverlust von bis zu drei Jahren entstehen kann, womit die rasche und permanente Aktuali­

sierung einer Guideline äusserst wichtig wird.

Guidelines müssen bei Vorliegen wichtiger neuer Forschungsergebnisse unter Umständen unverzüg­

lich ganz oder teilweise ausser Kraft gesetzt werden können.

Korrespondenz:

FMH/Abteilung DDQ Elfenstrasse 18 CH­3000 Bern 15 Tel. 031 359 11 11 ddq[at]fmh.ch www.fmh.ch

– Guidelines gelten für den Regelfall. Sie sind keine in jedem Einzelfall gültige Handlungsanwei- sung. Die Entscheidung, ob im Einzelfall eine bestimmte Guideline zur Anwendung kommen soll, ist vom Arzt unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Patienten (allfällige Multimorbidität) sowie der Komplexität der Erkrankung zu treffen. Abweichungen des ärztlichen Handelns von den Vorgaben einer Guideline müssen begründet werden können.

– Guidelines dienen auch dem Wissenstransfer. Die medizinischen Fachgesellschaften übernehmen eine wichtige Funktion bei der Empfehlung und Implementierung von international anerkannten Guidelines.

– Die kritische Auseinandersetzung mit Guidelines ist zentral. Für Guidelines sind einheitliche international anerkannte Qualitätskriterien bezüglich wissenschaftlicher Evidenz, Interessenkonflikten, methodologi- scher Vorgehensweise, Aktualität etc. notwendig.

– Bei Multimorbidität stellt der Umgang mit Guidelines – die für einzelne Krankheitsaspekte gelten – eine Herausforderung in der medizinischen Praxis dar und sollte Gegenstand zukünftiger Unter suchungen und Diskussionen sein.

– Diskussionen über die Chancen/Risiken und Zuständigkeiten (Entwicklung, Überprüfung der Qualität usw.) von Guidelines, sind ebenfalls auf politischer Ebene zu führen.

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Wichtige Bedeutung der Fachgesellschaften Aus Sicht der FMH ist es zentral, dass innerhalb eines medizinischen Fachgebiets nach einheitlichen und international anerkannten Guidelines behandelt wird. Der Austausch und die Zusammenarbeit der Fachgesellschaften zur Verwendung von Guidelines sind insbesondere bei interdisziplinären Behandlun­

gen und für den Wissenstransfer wichtig.

Qualität von Guidelines erkennen

Bei der Entwicklung und Verwendung von Guideli­

nes ist es wesentlich sicherzustellen, dass bestimmte Qualitätskriterien erfüllt sind. Um die Qualität von Guidelines zu beurteilen, stehen verschiedene Mittel zur Verfügung (Handbücher, Publikationen, Check­

listen usw.). Beispielsweise AGREE (Appraisal of Guidelines for Research and Evaluation) ist ein

öffentlich zugängliches und auf Deutsch übersetz­

tes Instrument zur Bewertung von Guidelines. Ver­

gleichbare Kriterien hat das amerikanische IOM In­

stitute of Medicine 2011 veröffentlicht. Sie enthalten Empfehlungen zu Transparenz, Interessenverbin­

dungen, Formulierung von Guidelines, Evidenz­

angabe, Aktualisierung usw., die erfüllt sein müssen, damit Guidelines als vertrauenswürdig gelten. Ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist zudem, wenn An­

gaben zum erwarteten Nutzen der jeweiligen Guide­

lines aufgeführt sind und dieser wissenschaftlich belegt wurde. Es wäre zu prüfen, ob die Zuteilung der Zuständigkeiten (z. B. Fachgesellschaften, eigens dafür geschaffene Institution) zur Überprüfung die­

ser Qualitätskriterien nützlich und effizient ist.

Handlungsbedarf

Auswirkungen guidelinekonformer Behandlungen sollten anhand von Registern untersucht werden.

Register bilden die medizinische Praxis realitäts ge­

treuer ab als Studien, die teilweise auf einer aus­

gewählten (teils jüngeren und gesünderen) Studien­

population basieren als die Patienten, die im Alltag auf medizinische Betreuung angewiesen sind. For­

schungsbedarf besteht zudem bei Themen wie z. B.

der Anwendung von Guidelines bei multimorbiden und/oder chronisch kranken Patientinnen/Patien­

ten.

Den Medizinischen Guidelines kommt in zahl­

reichen anderen Bereichen eine wichtige Bedeutung (Versorgungsforschung, Behandlungspfade usw.) zu.

Essentiell ist, dass Guidelines den international aner­

kannten Qualitätsanforderungen entsprechen. Die Schweizerische Akademie für Qualität in der Medi­

zin SAQM ist bereit, sich hinsichtlich des Hand­

lungsbedarfs zu engagieren und auch auf politischer Ebene nach Lösungen zu suchen. Sie koordiniert, fördert und kommuniziert ärztliche Qualitätsak ti­

vitäten und hilft u.a. bei der Vernetzung und Koordi­

nation in medizinischen Qualitätsfragen.

Um die Qualität von Guidelines zu beurteilen, stehen verschiedene Mittel zur Verfügung, auch online, wie z. B. AGREE (Appraisal of Guidelines for Research and Evaluation).

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Interaktiver Artikel ....

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F M H

ReMed: Hilfe bei Grenzüberschreitungen

«Das-weiss-doch-jeder»-Geschichten

Übergriffe auf Patientinnen und Patienten kommen vor. Im ärztlichen Berufsdialog ist das Thema weitgehend tabuisiert, jedoch werden Grenzüberschreitungen immer wieder an ReMed herangetragen. Das Unterstützungsnetzwerk für Ärztinnen und Ärzte kann in solchen Situationen beraten und dem Schweigen kompetent begeg- nen. Dies zeigen die Ausführungen von ReMed-Leitungsausschussmitglied Mirjam Tanner sowie ein Erfahrungsbericht.

Alle kennen wir die Geschichten, in denen einfluss- reiche Männer in Machtpositionen das Vertrauen in einem beruflichen Abhängigkeitsverhältnis ausnut- zen und meist mit Frauen – Patientinnen, Mandan- tinnen, Praktikantinnen – ein sexuelles Verhältnis eingehen. Peter Rutter, Psychiater, Psychotherapeut und Autor, nennt sie «Das-weiss-doch-jeder»-Ge- schichten und bezeichnet sie als «Sex in der verbote- nen Zone» [1]. Alle können wir ebenfalls Beispiele nennen, in denen Politiker, Wirtschafter oder Geist- liche von hohem Rang und Namen ins Kreuzfeuer der Medien gerieten. Auch in der Ärzteschaft gibt es diese Geschichten. Jene darunter, die es an die Öffent- lichkeit geschafft haben, sind in der Regel Geschich- ten von Kollegen, die ihr sexuelles Verhalten selber nicht im Geringsten als in der verbotenen Zone ein- ordnen. Sie sehen sich vielmehr in der Rolle des Hel- fers oder Befreiers der Frau und rechtfertigen ihr de- struktives Verhalten manchmal sogar als therapeu- tisch indiziert. Sie scheinen in Bezug auf den Schaden, den sie ihren Patientinnen und sich selber antun, keine Fragen oder Unsicherheiten zu haben.

1000 Mal «verbotene Nähe»

In seinem Buch «Verbotene Nähe» schildert Rutter mit grosser Offenheit zuerst seine eigene Beinahe-Affäre und dann auch die Desillusionierung über seinen verehrten Mentor, nachdem bekannt wurde, dass dieser sexuelle Beziehungen zu Patientinnen unter- hielt. Diese beiden Ereignisse veranlassten Rutter u. a.

zu einer Studie mit über 1000 Interviews zu Erfahrun- gen mit «Sex in der verbotenen Zone». Er schafft da- mit «einen konstruktiven Ausgleich zur gepflegten Verschwiegenheit, die uns gewöhnlich bei diesem sensiblen Thema begegnet» [2]. Rutter hält es für be- freiend zu erfahren, dass andere bereits angefangen haben, darüber zu sprechen. In diesem Sinne greifen wir dieses heikle Thema auf und möchten dazu moti- vieren, in unserem Berufsstand Worte für das sensible Thema der verbotenen Nähe zu finden: Es muss unser Ziel sein, uns selber besser zu schützen und zu stär- ken. In den durch ReMed organisierten Intervisionen

begegnet uns die Sprachlosigkeit bei Grenzüberschrei- tungs-Geschichten immer wieder. Woher kommt sie?

Wie können wir Ängsten, Scham und Unsicherhei- ten, die den Austausch oft zu blockieren scheinen, anders entgegentreten als durch offenen, ehrlichen, also mutigen Dialog?

Gegen die Sprachlosigkeit

Gerne möchten wir mit einem Erfahrungsbericht darauf aufmerksam machen, dass ReMed gerade bei heiklen Angelegenheiten wie Grenzüberschreitun- gen bis hin zu Sex in der verbotenen Zone eine An- laufstelle sein und beraten kann. Wir möchten zum Sprechen anregen und offenen, sensibilisierten Kol- legen professionelle Unterstützung bieten für einen verantwortungsbewussten Umgang mit ihren «Das- weiss-doch-jeder»-Geschichten. Um die Anonymität des berichtenden Kollegen zu bewahren, müssen wir uns bei der Darstellung grosse Abweichungen von den ursprünglichen wahren Begebenheiten erlauben.

Ausserdem orientierten wir uns auch an Rutters Bei- nahe-Affäre.

Mirjam Tanner Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Leitungsausschuss ReMed

Korrespondenz:

Dr. med. Mirjam Tanner mirjam.tanner[at]hin.ch

Wenn es im Sprechzimmer zur Grenzüberschreitungen kommt, ist ReMed die professionelle Anlaufstelle.

(BIld: Hellfirez/photocase.com)

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R e M e d

F M H

Erfahrungsbericht: Eine Beinahe-Affäre Als ich vor 20 Jahren meine Tätigkeit als Hausarzt in der eigenen Praxis aufnahm, war ich naiv und von mir auf überhebliche Weise überzeugt, dass Sex mit Patientinnen für mich nie ein Thema sein würde.

Obwohl ich immer wieder erlebte, dass Frauen sehr positiv auf mich reagierten, fühlte ich mich bis zur Begegnung mit Patrizia in meinen Kontakten zu Pa- tientinnen sehr sicher. Ich erachtete erotische Emp- findungen, die in diesen Kontakten aufflackern konn- ten, als eine Nebensache. Um diese verstand ich mich verantwortungsvoll zu kümmern, so dass die Arzt- Patientinnen-Beziehungen dadurch nicht gefährdet waren.

Patrizia suchte mich etwa drei Jahre vor der Bei- nahe-Affäre zum ersten Mal auf. Die attraktive, gross- gewachsene, damals 25-jährige Frau verbarg hinter ihrer lebhaften und aufgeweckten Art und ihren bun- ten, modisch gewählten Kleidern ein sehr verzweifel- tes depressives Gemüt. Ihr Leben hatte ihr ausser Ent- behrungen und Enttäuschungen bisher nicht viel Schönes gebracht. Ihre Eltern waren Alkoholiker und hatten sie vernachlässigt. Bis auf ein paar verschwom- mene Erinnerungen an sexuelle Belästigungen [3]

durch ihren Vater verband sie mit ihrer Familie nichts mehr. Als Teenager lebte sie eine Zeitlang auf der Strasse und kam in Kontakt mit der Drogenszene. Als ich sie kennenlernte, war sie bereits weg von den Drogen und arbeitete als Empfangsdame bei einem renommierten Rechtsanwalt [3]. Wir deckten ein paar ihrer Verhaltensmuster auf, die sie immer wieder allzu schnell dazu verleiteten, mit Männern sexuell intim und im Nachhinein enttäuscht zu werden. So konnte ich ihr helfen, ihr Leben ein wenig besser in den Griff zu bekommen. Mir gegenüber hatte sie sich nie verführerisch verhalten [3].

Zumindest nicht bis an diesem Freitagnachmit- tag, als ich Patrizia nach drei Jahren zum ersten Mal wiedersah. Plötzlich und völlig unerwartet richtete sich da ihre ganze Sexualität in einer Intensität und Wucht auf mich, wie es mir in meiner ganzen Tätig- keit als Arzt nicht annähernd so stark widerfahren war. Ich erlebte, wie meine sonst unüberwindbaren sexuellen Barrieren Stück für Stück zusammenbra- chen und ihre Anziehungskraft mich zu überwältigen begann. Bei der Verabschiedung umarmte sie mich

nicht bloss erlaubte, mich zu küssen, sondern die Umarmung und das Küssen auch erwiderte und ihr kein einziges Signal gab, dass dabei für mich etwas nicht stimmte. Ich war total hin- und hergerissen zwischen abenteuerlicher Aufgeregtheit und der Idee, ihr beweisen zu wollen, dass sie es nicht schaf- fen würde, mir die Hosen aufzuknöpfen. Dennoch schwang auch ein diffuses Gefühl von Zweifel und Verwirrung mit, das sich nicht ausschalten liess und mich schliesslich davon abhielt, noch intimer zu werden. Mir wurde schlagartig klar, dass Sex mit Pa- tientinnen durchaus nicht unmöglich war [4].

Durch dieses Erlebnis hatte ich meine Naivität und die ungerechtfertigte Gewissheit im Umgang mit meiner Erotik verloren. Ich realisierte, dass es in solch kritischen Momenten alleine bei mir lag, den richtigen Weg zu weisen [4]. Eigentlich wäre es mein Wunsch gewesen, diese Situation mit Patrizia klären zu können. Mir blieb aber nichts anderes übrig, als mich auf respektvolle Weise aus diesem Kontakt zu- rückzuziehen und sie an eine Kollegin zu überweisen.

Durch meine Unfähigkeit, damals für Grenzen zu sorgen, habe ich möglicherweise etwas Wertvolles zerstört. Dieses Wissen trage ich mit mir herum, und es bedrückt mich. Heute kann ich über diese ein- schneidende Berufserfahrung reden und dazu stehen, dass mir diese Grenzüberschreitung passiert ist. Ich habe für mich die Konsequenzen daraus gezogen und verweise Patientinnen, die mich mit ihrer positiven Reaktion auf mich irritieren, an die Praxispartnerin.

Referenzen

1 Rutter P. Verbotene Nähe: Das Phänomen der «Das- weiss-doch-jeder›-Geschichten». Berlin; 1991. S. 29.

Titel der englischsprachigen Originalausgabe:

«Sex in the forbidden zone».

2 Rutter, S. 29.

3 Rutter, S. 15.

4 Rutter, S. 20.

Intervisionsgruppen: Termine 2014

ReMed initiierte 2009 kollegiale Intervisionen, auch auf Wunsch von Kolleginnen und Kollegen.

Seither organisiert das Unterstützungsnetzwerk regelmässig Peer-Groups (6–10 Teilnehmer, 2–3-mal/Jahr). Die Teilnehmenden erarbeiten gemeinsam ihre Fallfragen zu Mentoring, Coa- ching, Beratung, Therapie und anderen Aspek- ten kollegialer Begleitung (juristisch, versiche- rungsrechtlich usw.). Sind Sie interessiert? Set- zen Sie sich mit uns in Verbindung, nehmen Sie an einer Sitzung teil und lernen Sie unsere Ar- beit kennen. Kontakt: Peter Birchler, Tel. 044 342 09 10 oder peter.birchler[at]hin.ch

Daten für 2014: 20. 3. 2014 in Baden; 6. 11. 2014 in Bern; ca. weitere fünf Daten vorwiegend im Raum Zürich sind in Abklärung.

ReMed unterstützt Sie

Grenzüberschreitung in der Fantasie, in der Realität – ein Thema, das uns alle betrifft. Sind Sie oder jemand aus Ihrem Umfeld mit einer Grenzüberschreitung konfrontiert? Sprechen Sie mit ReMed darüber. Das Unterstützungsnetzwerk für Ärztinnen und Ärzte respektiert das Arztgeheimnis und kann Sie kompe- tent beraten. Auch bei anderen beruflichen oder persönlichen Krisen ist Re- Med für Sie da. Personen aus dem Umfeld eines Arztes oder einer Ärztin kön- nen sich ebenfalls 24 Stunden am Tag an ReMed wenden, das Beraterteam meldet sich spätestens innerhalb von 72 Stunden: www.swiss-remed.ch, help[at]swiss-remed.ch, Tel. 0800 073 633.

Referenzen

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