13.06.2018
Fünf Skandale, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge überlebt hat
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird auch den jüngsten Skandal um die Bremer Außenstelle überleben. Das Vertrauen der Bürger in die deutsche Asylbehörde ist auf einem Tiefpunkt. Das BAMF wird aber unerschütterlich seine Arbeit fortsetzen. Dies zeigt die Erfahrung aus der jüngeren
Vergangenheit der Behörde:
1. Verlorene Pässe
Die Ausweise und Pässe von Flüchtlingen werden vom BAMF und seinen Außenstellen eingezogen und dann den zuständigen
Ausländerbehörden übersandt. Wenn die Asylbewerber in ihre Heimatländer zurückreisen wollen oder müssen, brauchen sie natürlich ihre Pässe zurück.
2015/16 sah sich das BAMF jedoch Vorwürfen ausgesetzt, dass viele Pässe behördenintern verschlampt worden seien und deshalb keine oder nur eine stark verzögerte Ausreise der
Asylbewerber möglich sei (ka-news.de vom 19.05.2016 „Karlsruhe in der Kritik: Haben Behörden Flüchtlings-Pässe verloren?“ und welt.de vom 27.10.2015, „Beim Bundesamt verschwinden die Flüchtlingsausweise“).
Vor allem Familien mit Kindern vom Westbalkan, die sich bis zu vier Monate in Bayern aufhielten, ihre Asylanträge jedoch
zurückzogen und wieder ausreisen wollten, seien davon betroffen gewesen.
Der Witz war, dass das BAMF dadurch selbst einen
Abschiebehinderungsgrund geschaffen hätte, nämlich die
Passlosigkeit. Für die Betroffenen war es allerdings weniger lustig.
Eine mögliche Erklärung: Wie man von Behördenmitarbeitern hörte, wurden die Pässe von der Bundespolizei beim
Grenzübertritt vorläufig beschlagnahmt und dem Bundesamt oder der Erstaufnahmeeinrichtung übersandt. Dort landeten die Pässe
oft unsortiert in Kisten („gelbe Postkisten“), die man erst im Laufe der Zeit sortieren und den richtigen Akten zuordnen konnte. Da sich zunächst auch keine der Außenstellen des BAMF in der
Verantwortung sah, Ordnung in das Chaos zu bringen, wurden die Kisten eine Weile lang munter durch die Lande geschickt. Einige Pässe gingen wohl auch so verloren.
Das wurde vom BAMF allerdings nicht offiziell bestätigt. Allenfalls seien es Einzelfälle.
2. Missverständliche Rechtsbehelfsbelehrung
Das Bundesamt verwendete bis Anfang 2017 eine Formulierung in seinen Asylbescheiden, die missverstanden werden konnte (so Dr.
Jannis Broscheit, ZAR 5-6/2017, S. 213 (216)). Es ging darum, dass laut der verwendeten Belehrung die Klage gegen den
Asylbescheid „in deutscher Sprache abgefasst“ werden musste.
Das legte aber nahe, dass nur eine schriftliche Klage zulässig sei, was unrichtig ist. Die Rechtsfolge war, dass sich die Klagefrist auf ein Jahr (statt zwei Wochen) verlängerte und damit zahlreiche
Bescheide nicht vollziehbar wurden und abgelehnte Asylbewerber (theoretisch) auch nicht in dieser Zeit abgeschoben werden
konnten.
Es kam also darauf an, wie man das Wort „verfassen“ zu
verstehen hatte. Ob man auch mündliche Klagen „verfassen“
kann, ist wenigstens im laienhaften Sprachgebrauch zweifelhaft.
Einige Oberverwaltungsgerichte folgten dieser Ansicht zwar nicht.
Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim kassierte die kritische Rechtsbehelfsbelehrung gleichwohl (VGH Mannheim, Urt. v.
18.4.2017, Az. A 9 S 333/17, juris).
Ergebnis: Wer als abgelehnter Asylbewerber aus Baden-
Württemberg „trickreich“ war, konnte den Bescheid auch 364 Tage nach dem Zugang noch anfechten und so sein Verfahren künstlich in die Länge ziehen. Wahrscheinlich gab es aber
dennoch einige unzulässige Abschiebungen aus Baden- Württemberg vor dem Ablauf der Jahresfrist.
3. Amateurdolmetscher und Erdogans Dolmetscher
Nicht nur im Bremer BAMF-Skandal gab es Ärger rund um die Dolmetscher des BAMF.
Die Auswahlkriterien für Asyldolmetscher waren schon immer ein heftiger Streitpunkt. Besonders zweifelhaft waren die
Qualitätsanforderungen an die Dolmetscher (vgl. BT Drs.
18/8309). Es reichte lange für eine Anstellung beim BAMF schon aus, dass man glaubhaft behauptete, die benötigte Sprache
einmal gehört zu haben, und über sein Honorar auf Deutsch verhandeln konnte.
Lesenswert sind auch diverse Berichte aus den Medien über die Qualität der Übersetzungen im Rahmen der Anhörungen (z.B. SZ Online vom 31.08.2016, „Wenn das Schicksal von Flüchtlingen in der Hand des Dolmetschers liegt“).
In der Online Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 21.04.2018 („Warum 2100 Dolmetscher nicht mehr für das Bamf arbeiten dürfen“) war zu lesen, dass das BAMF sich über die letzten Jahre von über 2000 Dolmetscher getrennt habe. Das ist angesichts der
rund 3000 Dolmetscher, die man einst engagiert hatte, eine recht hohe Zahl. Immerhin wurden jetzt vor zwei Wochen zusammen mit dem BDÜ endlich Nachschulungen für Dolmetscher
organisiert (es war bereits für 2017 angekündigt).
Aber nicht nur unfähige, sondern auch böswillige Dolmetscher suchten das BAMF heim. In einem Beitrag von Report-Mainz vom 17.10.2017 berichtete die ARD über türkische Spitzel im BAMF.
Einige der Dolmetscher sollen laut dem Bericht eine besondere Nähe zur türkischen Erdogan-Partei AKP gepflegt und türkische Asylsuchende, die im Verdacht standen, mit dem Putschversuch 2016 in der Türkei etwas zu tun zu haben, verraten haben. Es habe wohl mehrere Verdachtsmomente gegeben, dass
Mitarbeiter und Dolmetscher des BAMF die Aufenthaltsorte der Asylantragsteller in die Türkei weitergegeben hätten. Bewiesen ist dies zwar bis heute nicht, es ist aber durchaus denkbar.
4. Franco A.
Der bis heute mysteriöseste Skandal des BAMF dreht sich um den Asylantrag des Soldaten Franco A. Da die Angelegenheit noch
nicht abschließend aufgeklärt ist, will ich hier nur das Asylverfahren des Franco A. beleuchten.
Der Oberleutnant Franco A. kommt aus Offenbach und gehörte als Berufsoffizier einer deutsch-französischen (Franco-Allemande) Brigadeeinheit an. Er belegte wohl bei der Bundeswehr einen Kurs in Arabisch und spricht Französisch. Auffällig wurde er während seiner Ausbildung wegen rechtsradikalem Gedankengut.
Ende 2015 / Anfang 2016 stellte Franco A. einen Asylantrag beim BAMF. Er gab sich als syrischer Christ und Obstverkäufer aus
Damaskus aus. Wegen seines christlichen Glaubens werde er in seinem Heimatland verfolgt. Sein Name klinge außerdem jüdisch.
Sein Vater sei bei einem IS-Angriff getötet und er selbst durch einen Granatsplitter verletzt worden.
Die Anhörung fand erstaunlicherweise auf Französisch statt. Die Erklärung war für das BAMF jedoch einleuchtend: In Syrien sei er
auf ein französisches Gymnasium gegangen und könne daher besser Französisch als Arabisch sprechen. Aber: Er soll zum Teil auch auf Deutsch geantwortet haben. Dafür musste Franco A.
dann wohl keine Erklärung mehr liefern.
Noch erstaunlicher ist, dass ihm vom BAMF ohne Rückfragen und ohne Überprüfung seiner Verwundung der subsidiäre
Schutzstatus zuerkannt wurde.
Ein Bundeswehrsoldat hatte die Anhörung durchgeführt. Er war vom BAMF ausgeliehen worden, kannte Franco A. wohl aber nicht.
Aufgrund der weiteren (terroristischen?) Aktivitäten von Franco A., flog die ganze Geschichte auf. (Quelle: Wikipedia m.w.N.)
5. Vom Lehrling zum Ausbilder
Interessant ist auch, wer die Entscheider beim BAMF ausbildet.
Man möchte denken, dass dies vor allem erfahrene Kollegen sein müssten. Nicht so beim BAMF:
Zu Beginn der Flüchtlingskrise 2015 erkannten die
Verantwortlichen beim BAMF rasch, dass die Mitarbeiter in der Behörde niemals ausreichen würden, um die Vielzahl der
Asylanträge zu bearbeiten. So kam es zu einer Vielzahl von Maßnahmen.
Zunächst führte das BAMF daher eine Einstellungsoffensive durch.
Das BAMF wuchs von 3.300 auf gut 10.000 Mitarbeiter bis Ende des Jahres 2016 an.
Verzweifelt versuchte das BAMF danach die Masse der neuen Mitarbeiter einsatzfähig zu machen. In Blitzausbildungen sollten neue Mitarbeiter binnen weniger Monate zu Vollentscheidern ausgebildet werden (vgl. BT Drs. 18/12752). Später kam es sogar dazu, dass für neu geschaffene Stellen wie „nur Anhörer“ oder
„nur Entscheider“ quasi im Schnelldurchlauf die Ausbildung innerhalb von drei bis fünf Wochen stattfand. Mentoren
begleiteten die praxisunerfahrenen Neumitarbeiter („Ad-hoc
Prüfung aus besonderem Anlass–Interne Revision“ des BAMF vom 30.05.2017).
Den Höhepunkt der Ausbildungskrise bildete das sog. „Training on the job“. Mitte Juni 2017 berichtete der Sender n-tv (Bericht vom 03.06.2017, „"Training on the job", Bamf-Mitarbeiter nicht genug qualifiziert?“) darüber, dass 15 % der neuen Mitarbeiter, die als Entscheider angefangen hatten, gar nicht ausgebildet worden waren. Durch sog. "Training on the job"- Maßnahmen sollten die Mitarbeiter von erfahrenen Kollegen, die die Tätigkeit bereits ausübten und das Tagesgeschäft erklären sollten, in ihren Job
eingewiesen werden. Diese Kollegen waren aber oft selbst mit der eigenen Arbeit überlastet und so wurden aus Kostengründen und wegen akutem Personalmangel auch unerfahrene Mitarbeiter nach kurzer Zeit zu Ausbildern und Mentoren der
Neuankömmlinge. Die Folgen dieses Managements sind bekannt.
Dass man aus den zurückliegenden Fehlern und den
Auswirkungen auf die Qualität der Entscheidungen nichts lernen will, zeigt sich auch an den jüngsten Ereignissen. In einem offenen
Brief des BAMF-Personalrats Rudolf Scheinost an Frau Cordt, die Leiterin der Behörde, von Ende Mai 2018 war Folgendes zu lesen:
„[...] Nun sollen zudem sog. Teamleiter zur Qualitätsprüfung eingesetzt werden; hierzu wurde die notwendige Erfahrung (Berufsausübung) auf 18 Monate reduziert, mithin kann ein Jungbeamter auf Probe Teamleiter werden und übt somit eine Tätigkeit im Endamt (A 13g) dieser Laufbahn aus; dieses erreicht ein Beamter aus guten Gründen in der Regel frühestens nach zwanzig Jahren. Dessen ungeachtet ist der Teamleiter in erster Linie für die Produktivität seines Teams dem Leiter des operativen Bereichs verantwortlich. Für diese überaus verantwortungsvolle Aufgabe wäre eine langjährige Berufserfahrung unabdingbar, um die Qualitätsoffensive und das Vieraugenprinzip zu einem Erfolg zu verhelfen. [...]“
Angesichts der 54,8 Millionen Euro, die laut Focus Online „Bamf Skandal Ticker“ vom 31.05.2018 an Beratungsfirmen (darunter sehr bekannte wie McKinsey) zur Verbesserung der Behörde überwiesen worden sein sollen, wäre zu vermuten, dass auch
reichlich Mittel für neue Mitarbeiter im Budget vorhanden sind.
Die Leiterin des BAMF ließ jedoch anderes wissen: In der Behörde stünden 1937 unbefristete Stellen zur Verfügung. Rund 3200
Mitarbeiter stünden in einem befristeten Arbeitsverhältnis. All diese Stellen zu entfristen, sei aufgrund der Haushaltsvorgaben leider nicht möglich. (Quelle: tagesschau.de vom 07.06.2018,
„BAMF muss Mitarbeiter entlassen“).
Für neue Skandale und Pannen ist also bereits gesorgt.
Verfasser:
Rechtsanwalt Juan-Ramón Munuera Anwaltskanzlei Munuera
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