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KATJA TÖNNESMANN DIE ZWEIHUNDERTJAHRFEIER DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION

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Academic year: 2022

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DIE ZWEIHUNDERTJAHRFEIER DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION

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S C H R I F T E N D E R G U E R N I C A - G E S E L L S C H A F T Kunst, Kultur und Politik im 20. Jahrhundert

Herausgegeben von Jutta Held

BAND 8

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Katja Tönnesmann

DIE ZWEIHUNDERTJAHRFEIER DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION

Bildrhetorik zwischen Aufklärung und Unterhaltung

Weimar 1999

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Satz: Steffen Wolfrum, Weimar Druck: VDG, Weimar

© Bruno Barbey, Magnum Photos 1999: Abb. 2, 3, 7

© René Burri, Magnum Photos 1999: Abb. 1, 4, 5

© H. Gruyaert, Magnum Photos 1999: Abb. 6

© VG Bild-Kunst, Bonn 1999: Daniel Buren, Hans Haacke, Ilya Kabakov, Ange Leccia, Sarkis, Jean-Luc Vilmouth

Die Rechte der übrigen Werke liegen bei den Künstlern.

© VDG • Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften • Weimar 1999

Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Einwilligung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofi lm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Verlag und Autorin haben sich bemüht, die erforderlichen Reproduktionsrechte für alle Abbildungen einzuholen. Für den Fall, daß wir etwas übersehen haben, sind wir für Hinweise der Leser dankbar.

La Marseillaise

Jesseye Norman wird auf einer Bühne von der Place de la Concorde getragen;

nachfolgend Musiker (Probenfoto, 13. Juli 1989)

© Serge Sauterau, Paris 1999

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Tönnesmann, Katja:

Die Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution : Bildrhetorik zwischen Aufklärung und Unterhaltung / Katja Tönnesmann. - Weimar : VDG, Verl. und Datenbank für Geisteswiss., 1999

(Schriften der Guernica-Gesellschaft ; Bd. 8) Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss.

ISBN 3-89739-039-6

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Inhaltsverzeichnis

Dank 7

Einführung 9

I. Die Feier des 14. Juli 1989 17

1. Bastillesturm und Föderationsfest 17

2. Vorbereitungen zur Zweihundertjahrfeier 19

3. La Marseillaise 21

4. Jean-Paul Goude 31

4.1. Stylist 31

4.2. Werber… 34

4.3. … oder Künstler? 38

4.4. Videoclips 43

5. Der 14. Juli 1989 46

5.1. Bleu-Blanc-Goude. Musik als Weltsprache 46

5.2. La Marseillaise 53

6 Fazit 56

II. Valmy 69

1. Ausrufung der Republik und „Kanonade von Valmy“ 69

2. Die Feier von 1989 72

3. Valmy. Vive la Nation 74

4. Daniel Buren 78

5. Sarkis 85

6. Jean-Luc Vilmouth 90

7. Ange Leccia 94

8. Diskussion 97

8.1. Kunst … 97

8.2. … und Erlebnis„parcours“ 100

8.3. Die Verantwortlichen 102

9. Fazit 103

III. Magiciens de la Terre 115

1. Das Konzept der Ausstellung 115

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1.1. Einführung 115 1.2. Blicke über den eigenen Horizont 116

1.3. Neben- oder Durcheinander? 119

2. Hintergründe 121

2.1. Der Westen und die „primitive“ Kunst 121

2.2. Magie und Moderne 124

2.3. Jenseits von „Tribalismus“ und „Moderne“? 129

3. Die „Magier der Erde“ 131

3.1. Les Magiciens de la Terre vus par eux-mêmes

(Daniel Buren) 131

3.2. Magier oder Skeptiker? 133

3.3. Befangenheit, Sinn und Unsinn der Ausstellung 135 3.4. Medien. Errungenschaft oder Geißel? 140 3.5. „Was ist Kunst?“ (Lawrence Weiner) 141

3.6. Anfang oder Ende? 144

4. Fazit 150

IV. Kultur als Instrument

französischer Innen- und Außenpolitik 167

1. Einführung 167

2. Schwerpunkte französischer Kulturpolitik bis 1980 172 3. Kulturpolitik der Sozialisten seit 1981 177

3.1. Strukturelle Maßnahmen 177

3.2. Culture globale 179

4. Kultur als Mittel zum Zweck der Nation 183 4.1. Im Dienste der Ausstrahlung: francophonie 183

4.2. Für die Wirtschaft: création 185

5. 1789 oder 1792? Die Zweihundertjahrfeier

der Französischen Revolution 189

5.1. Republik 189

5.2. Menschenrechte 193

V. Schluß 213

VI. Literaturverzeichnis 221

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Dank

Die Entstehung der vorliegenden Arbeit verdanke ich zuallererst Prof. Dr.

Klaus Herding (Frankfurt), der mich zu einer wissenschaftlichen Auseinan- dersetzung mit den französischen Revolutionsfeierlichkeiten ermutigte und meine Untersuchungen stets mit Kritik und Anregung begleitete.

Den Komilitonen aus seinem Oberseminar, das in den Jahren 1993 und 1994 außerordentlich produktiv war, sei allen herzlich gedankt. Aus diesem Kreis waren mir Bärbel Küster (Berlin) und Marie-Hélène Gutberlet (Frank- furt), die mich in den Diskurs der Differenz einführte, ganz besonders hilf- reich.

Die Forschungsgruppe „La France des années ’80 au miroir du Bicente- naire de la Révolution française“ am Pariser Institut d’Histoire du Temps Présent war ein wichtiger Bezugspunkt.

Die logistische Unterstützung, die ich durch dieses Projekt erfuhr, ist kaum zu überschätzen. Im Kulturministerium, v.a. bei der „Délégation aux Arts Plastiques“, und in der Dokumentation des Musée National d’Art Moderne, Centre Georges Pompidou habe ich viele Materialien einsehen können. Für inhaltliche Ratschläge habe ich in Paris vor allem Dr. Patrick Garcia zu danken.

Die Dissertation wurde durch die Friedrich-Naumann-Stiftung aus Mit- teln des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft gefördert. Ein Stipendium des Deutschen Forums für Kunstgeschichte (Paris) ermöglichte die Überarbeitung. Prof. Dr. Jutta Held (Osnabrück) schließlich danke ich herzlich für die Übernahme der Arbeit in die Schriftenreihe der Guernica- Gesellschaft.

Mein Zweitgutachter, Prof. Dr. Stefan Germer (1958-1998), war der erste, der mich nach Abschluß der Arbeit zur Beschäftigung mit neuen Themen ermunterte.

Katja Tönnesmann im Dezember 1998

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Einführung

Am Anfang dieser Arbeit stand ein Bericht in den Hauptnachrichten des französischen Fernsehens Ende September 1989. Die Verfasserin blieb vor den Eindrücken, die sich ihr darboten und von denen sie einzig wußte, daß sie im Zusammenhang mit der Zweihundertjahrfeier der Französischen Re- volution standen, einigermaßen ratlos.

Aus der Erinnerung zitiert schritt da der französische Staatspräsident, in gemessenem Abstand gefolgt von einer Gruppe Personen, durch einen mehrfach gewundenen Korridor aus rot-weiß gestreiftem Markisenstoff.

Offenbar im selben Zusammenhang sah man den Präsidenten dann auf einer gezimmerten Tribüne stehen und eine Rede halten. Das ganze spielte sich inmitten einer eintönigen, nicht identifizierbaren Landschaft ab. Spä- ter saß Mitterrand auf einem vergoldeten Empiresessel, leicht vor eine Grup- pe wichtiger Personen gerückt. Eine Militärkapelle spielte. Schließlich jagte ein Kampfgeschwader dicht über die Gruppe hinweg und ließ blau, weiß und rot gefärbte Kondensstreifen im herbstlich-trüben Himmel stehen.

Die Befremdlichkeit dieser Eindrücke wurde durch die unbeteiligt wir- kende steife Würde Mitterrands noch vertieft: Warum hatte er durch diesen seltsamen Korridor gehen müssen? Was war der Grund seiner Rede in der Einöde? Warum wurden Düsenjäger gestartet, um vor ein paar Dutzend Anwesenden die Trikolore in die Luft zu zeichnen? Einzelne Elemente viel- leicht, die Summe dieser Eindrücke, die gesamte Szenerie entsprach in kei- ner Weise einer landläufigen oder gar einer spezifisch bundesrepublikani- schen Vorstellung von Staats- oder Festakten1. Die Frage, wie eine so exzen- trisch anmutende Veranstaltung zustandekommt, war der persönliche Anlaß oder Appell2 zu dieser Arbeit.

Die geschilderten Bilder – es handelte sich um die Feier der Kanonade von Valmy – werden in Kapitel II ergänzt und unter Berücksichtigung des historischen Anlasses und der Absichten des Auftraggebers, des französi-

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schen Staates, analysiert. Das Kapitel wird von zwei weiteren monographi- schen Abhandlungen über Ereignisse gerahmt, die ebenfalls 1989 anläßlich der nationalen Feierlichkeiten zum 200sten Jubiläum der Französischen Revolution stattfanden: eine multikulturelle Parade am Abend des 14.Juli und die globale Kunstschau Magiciens de la Terre3.

Alle drei Ereignisse hatten den Anspruch ästhetisch, präziser: in ihrer augensinnlichen Erfahrbarkeit zeitgemäß, wenn nicht innovativ zu sein.

Ihr Anspruch, eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart, ja, in die Zukunft zu schlagen, unterscheidet sie von den zahllosen Ausstellun- gen, die die Zeit der Revolution mit Originaldokumenten erinnerten4. An- ders als die wissenschaftlichen Kolloquien und die unübersehbare Zahl von Publikationen anläßlich des Jubiläums haben diese Ereignisse auch keinen historiographischen Anspruch. Sie bilden statt dessen den vorläufigen Schlußpunkt einer 200jährigen Tradition symbolischer Bezugnahme auf 1789.

Dieses Datum, das gemeinhin als Beginn der politischen Moderne betrach- tet wird, begründet die republikanische Identität Frankreichs.

Die fünfte, 1958 gegründete Französische Republik sieht sich wie diejeni- gen von 1848, 1871 und 1946 in einer auf die Revolution zurückreichenden Tradition von Verfassungen, die das Prinzip der Volkssouveränität zur Grundlage haben. In der Abhandlung über Valmy wird zu zeigen sein, daß auch die gegenwärtige Nationalidee in einer engen Verbindung zur Revolu- tion steht. Sie bezeichnet die durch eine gemeinsame Vergangenheit und Zukunft begründete Gemeinschaft ebenbürtiger citoyens und ihre willentli- che Vereinigung unter einem Gesetz. Während aber die republikanische Verfassung heute einer breiten Zustimmung unterliegt, ist die damit gekop- pelte Idee der Nation keineswegs unumstritten5.

Das wurde zuletzt 1996, anläßlich des 1500sten Jubiläums der Taufe Chlod- wigs, deutlich. Dieses Ereignis – unstreitig ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Einigung der Franken im sechsten nachchristlichen Jahrhundert – wurde von der III. Republik ignoriert, weil es mit einem religiösen Abstam- mungsmythos gekoppelt ist. Das Prädikat Frankreichs als „ältester Tocher der Kirche“ konkurriert auch hundert Jahre später noch mit der aus dem Volkswillen, also von ‚unten’, abgeleiteten Nationalidee. So schien die laizi- stische Staatsnation, das Credo der französischen Linken, bedroht, als Prä- sident Chirac 1996 eine höchst offizielle Einladung an Johannes Paul II.

aussprach, an den Feierlichkeiten zum Taufjubiläum teilzunehmen. Ob- wohl sich sowohl die Kirche, wie auch die öffentlichen Institutionen be- mühten, jeglichen Verdacht auf eine mögliche ultramontane Gesinnung aus- zuräumen, belegt diese jüngere Kontroverse die keineswegs unumstrittene

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Bedeutung bestimmter historischer Ereignisse für die Identität der französi- schen Nation6.

Derselbe Jacques Chirac war den Feierlichkeiten zum 200sten Jahrestag des Bastillesturms übrigens ferngeblieben. Der Entschluß des damaligen Bügermeisters von Paris hing allerdings weniger mit seiner Einstellung zur Revolution als solcher als mit dem Versuch der 1989 regierenden Sozialisten zusammen, dem Jubiläum den eigenen Stempel aufzudrücken. Folglich werden nicht nur die Form, in welche die Feierlichkeiten des Bicentenaire gekleidet wurden, sondern auch die Wahl der konkreten Anlässe als Be- kenntnisse der zu diesem Zeitpunkt politisch Verantwortlichen zu untersu- chen sein.

Obwohl die Regierung versuchte, die offizielle Zweihundertjahrfeier zu prägen, blies 1989 all jenen, die sich – wie Sozialisten und Kommunisten – positiv zur Revolution bekannten oder sich gar in deren Nachfolge sehen wollten, der Wind ins Gesicht. Das Jubiläumsjahr war von einer öffentli- chen Debatte um die Bedeutung von 1789 geprägt, die um die These des liberalen Historikers François Furet entbrannt war, die Revolution sei mit der Festigung der demokratischen Staatsform „beendet“. Furet, dessen von der amerikanischen Politikwissenschaft beeinflußte Positionen ein starkes Medienecho fanden7, verwarf eine in Frankreich lange Zeit vorherrschende sozioökonomische Auslegungtradition und beabsichtigte, der Revolution den Stachel eines bis in die Gegenwart reichenden Auftrags zu ziehen. Hin- zu kam die Polemik des Historikers Pierre Chaunu wider den „innerfranzö- sischen Genozid“ 1793 in der Vendée. Dies und eine auch von Furet unter- stützte, weithin verbreitete, geradezu reflexhafte Überblendung der Errun- genschaften von 1789 mit der Schreckensherrschaft, der Terreur der Jahre 1793 und 1794, trugen ebenfalls dazu bei, der Revolution im Jubiläumsjahr an Glanz zu nehmen. – Adieu 89, das faktenreiche Buch des amerikani- schen Frühneuzeitlers Steven Kaplan über die Zweihundertjahrfeier schil- dert die Debatte und ihre Hintergründe, auf die in Kapitel IV näher einge- gangen wird, in großer Ausführlichkeit8.

Die für diese Arbeit herangezogene Methode ist historisch-hermeneu- tisch. Sie verfolgt das Ziel einer sinngemäßen Auslegung der ausgewählten Betrachtungsgegenstände anhand aller verfügbaren bildlichen und schriftli- chen Manifestationen. In jedem der Kapitel werden auch verallgemeinern- de Begriffe auftauchen, es handelt sich in der Regel aber um solche, die die Verantwortlichen selbst verwandten9. Die in den monographischen Ab- handlungen erarbeiteten Thesen werden im vierten Kapitel zusammenge- führt und in einen größeren politischen Zusammenhang gestellt. Auch hier wird es darum gehen, Tatsachen und Ansprüche abzugleichen. Das Interes-

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se richtet sich auf die Spannungen und Widersprüche, die sich zwischen dem Anlaß, den für das Jubiläum geschaffenen Bildern und den politischen Fakten und Absichtsbekundungen, im weitesten Sinne also zwischen In- halt, Form und beabsichtigter Funktion auftun.

Es kann allein darum gehen, zu synthetisieren und bestimmte Zusam- menhänge intersubjektiv begreiflich zu machen. Aufgrund des geringen zeitlichen Abstandes können die Ereignisse in keinen Zusammenhang mit Folgeentwicklungen gebracht werden. Auch ein deduktives Verfahren muß späteren Interpreten überlassen bleiben. D.h., in dieser Arbeit können all- gemeine Schlüsse, wenn überhaupt, dann nur nach einer genauen Analyse des Einzelnen gezogen werden. Gleichwohl könnten bestimmte Aspekte dazu verleiten, das Jahr 1989 historisch, als abgeschlossen, zu betrachten. So wird im ersten Kapitel von Moden die Rede sein. Isoliert betrachtet sagt die einzelne Modeerscheinung, deren Kennzeichen die Kurzlebigkeit ist, über ihre Zeit jedoch wenig aus. Längerfristig gedacht, könnte argumentiert wer- den, daß die sozialistische Ära spätestens seit 1995, mit der Wahl des Neo- gaullisten Chirac in das Amt des französischen Staatspräsidenten, vorüber ist. In einem wiederum größeren Zeitraum und globalpolitisch betrachtet könnte gar ein Paradigmenwechsel geltend gemacht werden, der mit dem Fall der Berliner Mauer, 200 Jahre nach der Französischen Revolution, ein- getreten ist. Doch, selbst wenn sich die Vorzeichen geändert haben sollten, die Ereignisse reichen in vieler Hinsicht in die unmittelbare Gegenwart10 und können keinesfalls als abgeschlossen betrachtet werden. Insofern ist der einzig ergiebige Blickwinkel derjenige aus dem Vorangegangenen. Die Tatsache, daß die Feiern sich auf ein historisches Ereignis, die Französische Revolution, bezogen, gibt dieser Perspektive Nachdruck11.

Am Institut d’Histoire du Temps Présent, dem zeitgeschichtlichen Institut des Centre National de Recherche Scientifique, wurde 1990 eine Forschungs- gruppe unter dem Titel La France des années ’80 au miroir du Bicentenaire de la Révolution Française ins Leben gerufen, deren Tätigkeit Ende 1994 auf einem internationalen Kolloquium zu ihrem vorläufigen Ende kam. Die vorliegen- de Arbeit – ich bin dem Institut für seine Aufgeschlossenheit sehr verbun- den – wird denselben Blickwinkel einnehmen und die erwähnten Ereignisse in den größeren Rahmen der 1989 acht Jahre währenden Präsidentschaft Fran- çois Mitterrands stellen.

Während sich zur selben Zeit und andernorts mit Margret Thatcher, Ronald Reagan und Helmut Kohl eine konservative Trendwende vollzog, war mit Mitterrand erstmals in der 1958 gegründeten V. Republik ein Sozia- list an die Macht gekommen. Der Präsident hatte kurz nach seinem Amts- antritt Parlamentswahlen ausschreiben lassen, aus denen eine Mehrheit aus

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Sozialisten und Kommunisten hervorging. Aus Gründen, die in Kapitel IV dargelegt werden, kam dem Kulturminister – Jack Lang verglich den Wahl- sieg der Linken mit einem Aufbruch in die Ära des Lichts – die Aufgabe zu, den politischen Wechsel in besonderer Weise zu verkörpern. Da Langs Mi- nisterium zu den Hauptverantwortlichen aller drei hier zu behandelnden Ereignisse zählt, wird die Kulturpolitik im Mittelpunkt der politischen Ana- lyse stehen. Der Stand der Forschung wird in den einzelnen Kapiteln refe- riert.

Der offizielle Bicentenaire stellt ein privilegiertes Feld historischer Betrach- tung dar, weil die entsprechenden Quellen zur sofortigen Ansicht freigege- ben wurden. Sie liegen in der zeitgeschichtlichen Abteilung der Archives Nationales in Fontainebleau. Damit nicht genug, wurden auf Betreiben des letzten Präsidenten der Mission du Bicentenaire de la Révolution française et de la Déclaration des Droits de l’Homme, einer 1986 geschaffenen, im Range eines Staatssekretariats stehenden Koordinationsstelle für die Zweihundertjahr- feier, Primärquellen angelegt. Die Grundlagen der vorliegenden Arbeit be- stehen also nicht allein in Form von Bildzeugnissen und Pressekommenta- ren, die Analyse stützt sich auch auf Videomitschnitte von Besprechungen und Äußerungen der Akteure während der Vorbereitungen12.

In Anbetracht des umfangreichen Quellenmaterials mußte auch inner- halb des Bereichs der ‚Kultur‘ eine Auswahl getroffen werden. Die Entschei- dung fiel zugunsten ephemerer, also vorübergehender ‚Ereignisse’13, die auf die Revolution Bezug nahmen und gleichzeitig als Zeugnisse der unmittel- baren Gegenwart verstanden werden sollten. Damit wird beispielsweise von den Grands Travaux abgesehen. Die Bauten des Staatspräsidenten – 1989 wurden die Opéra Bastille, die Grande Arche in La Défense und die Pyrami- de im Innenhof des Louvre eingeweiht – werden erwähnt, aber nicht im Detail analysiert. Insbesondere die zwei letztgenannten Gebäude sind im Gegensatz zu den ‚Ereignissen‘ nicht nur auf materielle Dauer, sondern durch ihren formalen Purismus auch auf bleibende Gültigkeit ausgelegt.

Obwohl der 14. Juli und die eingangs erwähnte Feier der Kanonade von Valmy direkt im Fernsehen übertragen wurden, bleiben auch reine TV-Pro- duktionen ausgeklammert14.

Architektur, Denkmäler, Ausstellungen und Feste sind mögliche „hier und jetzt“ (Walter Benjamin) wahrnehmbare Formen der öffentlichen Selbstdar- stellung eines Staatswesens. So wird die Parade des 14.Juli beispielsweise auf die spezifische Funktion des Nationalfeiertags im Jahre 1989 hin untersucht werden. Die Spannung zwischen gestalterischer Subjektivität und dem be- absichtigten allgemeinen Mitteilungswert wird insbesondere bei der Analy- se der Ausstellung Magiciens de la Terre wichtig. Bei allen drei Ereignissen

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wird auch auf Möglichkeiten der Rezeption eingegangen werden, wobei hier der 14. Juli besonders interessant ist, dessen Breitenwirkung durch die Delegierung an den Werbefilmer Jean-Paul Goude gewährleistet werden soll- te. – An diesem Punkt wird ersichtlich, daß die nachfolgende Untersuchung in Bereiche vordringen wird, die über die etablierten Gegenstände der Kunstgeschichte hinausreichen15.

Eine ganz andere Grenzüberschreitung ist diejenige räumlicher Art. Die behandelten Ereignisse fanden zwar in Frankreich statt und wurden vor- nehmlich von Franzosen rezipiert oder, wie sich herausstellen wird: konsu- miert, doch im Falle des 14. Juli und von Magiciens de la Terre gingen sie zumindest dem Anspruch nach über spezifisch französische oder europä- isch-nordamerikanische, in dieser Arbeit ‚westlich‘ benannte, Belange weit hinaus. Diese Tendenz war mit dem globalen Anspruch der Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers von 1789 vorgegeben, aus der Frank- reich als Ursprungsland die Autorität einer international gewichtigen Stim- me ableitet. Zwischen Universalia und auf die Nation beschränkten The- men wird sich eine Schere auftun, die auch Rückschlüsse auf Frankreichs Verhältnis zur Welt zuläßt.

Obwohl die Bilder Interesse und Gefallen eines möglichst großen Publi- kums finden sollten, wird in dieser Arbeit der Aspekt der Selbstinszenierung der politischen Machthaber16 im Vordergrund stehen. Aus der folgenden Analyse einer zwischen „Aufklärung und Unterhaltung“ schwankenden of- fiziellen Bildrhetorik sind deshalb keine Urteile über die Empfänger zu er- warten17. Es sei denn, jene Unentschlossenheit wird als Anzeichen für die enorme Vielheit der Interessen, Vorlieben oder auch Sorgen der Masse der Zeitgenossen gewertet.

Anmerkungen

1 Vgl. den Staatsakt anläßlich der Vierzigjahrfeier der BRD im Mai 1989 in der Bonner Beethovenhalle. Reden der Bundestagspräsidentin, des Bundespräsiden- ten und des Bundesratspräsidenten vor geladenen in- und ausländischen Honoratioren. Die Münchner Philharmoniker spielen Weber, Schubert, Beetho- ven, schließlich die Nationalhymne. Vgl.: Presse und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.), Vierzig Jahre Bundesrepublik Deutschland. Staatsakt 24. Mai 1989, Bonn 1989.

2 Im Gegensatz zu einer „flüchtigen oder zerstreuten Wahrnehmung“ eines Werkes beschreibt Oskar Bätschmann die Möglichkeit, „daß wir einen ‚Appell‘ des Werkes erfahren oder seine Rätselhaftigkeit oder Unverständlichkeit bemerken.

Wir erkennen im ‚Appell‘ oder in unserem Unverständnis die Aufforderung, mit

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der Tätigkeit des Verstehens zu beginnen.“ Vgl.: Oskar Bätschmann, Anleitung zur Interpretation: Kunstgeschichtliche Hermeneutik, in: Dilly, Kemp, Sauerlän- der, Warnke, Kunstgeschichte. Eine Einführung, Berlin 19883, S.194.

3 Vgl. den Rang der Veranstaltungen als grands moments der Zweihundertjahrfeier in: Mission du Bicentenaire de la Révolution française et de la déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen (Hg.), Bicentenaire de la Révolution Française.

Le Programme, Paris 10/1988, S.4-7.

4 Einen Überblick liefert o.g. Publikation. Vgl. auch: Jean-Noël Jeanneney, Président de la Mission du Bicentenaire de la Révolution française et de la déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen, Rapport au Président de la République, Paris: La documentation française, 1990, S.226-234; Klaus Herding, Jubiläumsausstellungen zur Kunst der Französischen Revolution, in: Kritische Berichte, 4/1989 „1789“, S.80-95; Pascal Ory, Une nation pour mémoire. 1889, 1939, 1989 trois jubilées révolutionnaires, Paris 1992: Kap.III „Exposition“.

5 „(...) la Révolution a (...) tendu à monopoliser l’idée nationale et à en centrer sur l’épisode révolutionnaire la plupart des références.“ „La création révolutionnaire (...) a fait de ce qui était ‚déjà là‘ de toute éternité un enjeu perpétuel, oscillant entre une existence juridique minimale et une essence historique maximale, de définition toujours incertaine.“ „Conflit fondamental de l’ancienne France avec la nouvelle, de la France religieuse avec la France laïque, de la France de gauche avec la France de droite qui ont représenté (...) des figures exclusives et antagonis- tes de la Nation elle-même.“ Pierre Nora, Nation, in: François Furet, Mona Ozouf, Dictionnaire critique de la Révolution française. Idées, Paris 1992, S.352f.

6 Vgl.: Karl Ferdinand Werner, Europas erster katholischer König. Frankreichs Streit um Chlodwigs Taufjubiläum, in: FAZ, 14.09.1996.

7 Das liberale Politmagazin Le Nouvel Observateur, zu dessen Gründungsmitgliedern François Furet zählte, publizierte anläßlich seines Todes im Juli 1997 einen Nachruf, in dem er als derjenige Historiker bezeichnet wird, „auquel les Français doivent avoir pu ‚repenser‘ leur Révolution“. - Furet war kurz vor seinem Tod in die Académie Française, eine Bastion des Konservatismus, berufen worden.

Vgl.: Jean Daniel, Les Révolutions de François Furet, in: Le Nouvel Observateur, 17-23.07.1997, S.39ff.

8 Steven Kaplan, Adieu 89, Paris 1993, 900 S.

9 Sie sollen im Sinne eines „Begriffshistorismus“ gebraucht werden. Vgl. die Ausführungen über historische und systematische Wissenschaften bei: Helmut Seiffert, Einführung in die Wissenschaftstheorie 2, München 19919, S.197-205, 234-270.

10 Ein Beispiel ist der 1996 von Jacques Chirac geäußerte Wunsch, art premier, Stammeskunst, in die Sammlung des Louvre zu integrieren (FAZ 19.04.1996).

Dieser Vorschlag steht in einem größeren Zusammenhang mit der Ausstellung Magiciens de la Terre, die Anstoß zu einem neuen Umgang mit Kunst aus der

„III.Welt“ sein wollte.

11 Der Kulturhistoriker Pascal Ory vergleicht die Zweihundertjahrfeier in seinem Buch Une Nation pour mémoire (wie Anm.4) mit der 100- und der 150Jahrfeier. Der Leser ist ein wenig überfordert, da allen drei Ereignissen die gleiche Aufmerksam- keit gewidmet wird.

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12 Diese Quellen sind anders als die nacherzählende oral history aus dem Augenblick heraus entstanden. Sie können die Erzählenden jedoch insofern beeinflussen, als ihnen die Tatsache ihres geschichtlich-Werdens während der Aufzeichnung vor Augen steht.

13 Die Installationen der Veranstaltung in Valmy, die Kostüme und Wagen der Parade des 14. Juli, aber auch einige der für die Ausstellung Magiciens de la Terre angefertigten Werke wurden nicht konserviert.

14 Vgl. dazu: Maryline Crivello-Bocca, Quand le petit écran fait sa révolution. Les représentations télévisuelles de la Révolution française de la R.D.F. au Bicente- naire (1950-1991), Dissertation: Université de Provence, Centre d’Aix, 1993.

15 „Die Filmforschung oder gar die Fernsehforschung [hat] in der Kunstgeschichte noch nicht Fuß gefaßt; sie ist im Begriff, das Gegenstandsfeld einer sich etablie- renden Medienwissenschaft zu werden.“ Vgl.: Martin Warnke, Gegenstands- bereiche der Kunstgeschichte, in: Dilly, Kemp, Sauerländer, Warnke (wie Anm.2), S.21.

16 „Der aufbauende, stabilisierende Effekt einer bildlichen Selbstinszenierung auf deren Träger und Beförderer ist vielleicht die eigentliche Triebkraft für den nicht nachlassenden und gerade in aufgeklärten demokratischen Gesellschaften forcierten Einsatz visueller Medien.“ Vgl.: Martin Warnke, Politische Ikono- graphie. Hinweise auf eine sichtbare Politik, in: Claus Leggewie (Hg.), Wozu Politikwissenschaft? Über das Neue in der Politik, Darmstadt 1994, S.170.

17 ..., die 1989 eine ungeheure Menge an Feiern zur Auswahl hatten: Patrick Garcia hat in seiner Habilitationsschrift die offiziellen Feierlichkeiten von dem in der nationalen Presse kaum beachteten sehr vielseitigen privaten Engagement unterschieden. Ein wichtiger Ideenpool für die Feierlichkeiten außerhalb von Paris waren die hauptsächlich von Lehrern getragenen Comités Liberté, Egalité, Fraternité, kurz CLEF, deren Aktivitäten von der Lokalforschung bis hin zur Gestaltung des lokalen Festkalenders reichten. V.a. in den Dörfern wurde die Zweihundertjahrfeier häufig zum Anlaß für eine Wiederbelebung der örtlichen Gemeinschaft genommen. Vgl.: Patrick Garcia, Les territoires de la commémora- tion. Une conjoncture de l’identité: Le Bicentenaire de la Révolution française, Université de Paris I (Sorbonne), 1994.

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I. Die Feier des 14. Juli 1989

1. Bastillesturm und Föderationsfest

Nachdem Ludwig XVI. im Vorjahr auf die allgemeine Weigerung gestoßen war, die maroden Staatsfinanzen durch Steuererhöhungen aufzubessern, hatte er zum Mai 1789 die Generalstände einberufen. Obwohl die Versamm- lung zustandekam, stellte sich schnell heraus, daß der III. Stand weit über den Anlaß hinausgehende Reformvorstellungen hatte, die zuvörderst den Abstimmungsmodus der Ständeversammlung betrafen. Nachdem darüber wochenlang keine Einigung erzielt werden konnte, erklärten sich die bür- gerlichen Abgeordneten am 17. Juni zur Nationalversammlung. Am 20. Juni schworen die Vertreter, nicht auseinanderzugehen, ohne eine Verfassung verabschiedet zu haben. Wenige Tage später erließ Ludwig XVI. einen Truppenaufmarschbefehl. Die Entlassung des anerkannten Ministers Necker am 12. Juli tat ein übriges, Gerüchte über die bevorstehende Auflösung der Nationalversammlung zu schüren: Paris geriet in Aufruhr.

Am Morgen des 14. Juli plünderten mehrere Tausend Bürger das Waffen- depot der Invalidenkaserne und zogen anschließend zum Staatsgefängnis.

An der Bastille angekommen, wurde zunächst um die Herausgabe von Munition verhandelt. Als der bedrängte Gouverneur jedoch in die Menge schießen ließ, schlug die Verteidigungsbereitschaft der Pariser in Aggression um. Dieser Stimmungsumschwung ist erklärlich, war die Bastille während des 18. Jahrhunderts doch zum verhaßtesten Symbol absolutistischer Des- potie geworden1. Über die Tatsache, daß bei der Überwältigung der Zwing- burg lediglich sieben Häftlinge befreit werden konnten – mehr waren nicht zu finden – sollte die augenblickliche Legendenbildung hinweggehen: Die Erstürmung der Bastille galt den Zeitgenossen als praktische Umsetzung des kurz zuvor verkündeten Prinzips der Volkssouveränität, als legitimer Akt der Befreiung aus den Fesseln des Ancien Régime. Als könne die

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Willkürherrschaft damit vollends getilgt werden, wurde noch am Abend des 14. Juli mit dem Abriß des Staatsgefängnisses begonnen. Bald darauf wurden Bastillesteine als Freiheitssymbole ins ganze Land verschickt2.

Unter dem Druck der Ereignisse zog der König seine Truppen zurück und nahm am 17. Juli im Pariser Rathaus an einer Gedenkfeier für die Opfer der Bastille teil, was einer Anerkennung der Volkssouveränität gleichkam. Die Revolution war damit etabliert und vergewisserte sich dieser Tatsache fort- an durch einen ausgiebigen und vielgestaltigen Kult, der im gesamten Kö- nigreich geübt wurde3.

Im Zusammenhang mit dem Aufstand des 14. Juli bildeten sich zunächst in Paris, wenig später aber auch in ganz Frankreich, von Lafayette als Gardes Nationales institutionalisierte Bürgermilizen, die einerseits der möglichen Selbstjustiz des Volkes entgegenwirken und andererseits ein Gegengewicht zur königlichen Armee darstellen sollten. Die allmähliche Verbrüderung der Milizen verschiedener Orte zu regionalen Verbänden wurde nach ame- rikanischem Vorbild Fédération getauft.

Anläßlich des ersten Jahrestages des Bastillesturms, der bis 1803 National- feiertag war, wurden die Föderierten gemeinsam mit der Armee nach Paris eingeladen, ein Ereignis, das Mona Ozouf zufolge eines der ideologisch am wenigsten umstrittenen der Französischen Revolution ist4. Anders als die spontanen, ausgelassenen und mannigfaltigen Feste, die zu Beginn der Revolutionszeit allerorten gefeiert wurden, bestand das Föderationsfest des Jahres 1790 lediglich aus einer monotonen Militärparade und einer am „Al- tar des Vaterlandes“ zelebrierten Messe unter Ausschluß ziviler Öffentlich- keit. Wenn dem Fest auf den Champs de Mars dennoch große Bedeutung beigemessen wurde und wird, so ist der Grund dafür im Vor- und Nachher zu suchen: Das eigentliche Ereignis bestand in der begeisterten Vereinigung gleichberechtigter Bürger, im triumphalen Zug der Abordnungen aus sämt- lichen Provinzen des Königreichs nach Paris und wieder zurück.

Als die junge III. Republik 1880 den 14. Juli wieder zum Nationalfeiertag bestimmte, spielte die Überlagerung des Pariser Volksaufstandes von 1789 mit der friedlichen Vereinigung von Bürgern des gesamten Königreichs 1790 eine wichtige Rolle5. Zusammen symbolisieren die beiden Ereignisse so- wohl den vom Volk herbeigeführten radikalen Bruch mit dem Alten als auch die neue nationale Einheit unter dem Vorzeichen individueller und geographischer Ebenbürtigkeit. Trotz „gegenrevolutionärer“ Stimmen be- währte der Nationalfeiertag sich rasch. Am Abend des 13. Juli finden auf den Dörfern und in den quartiers der Städte traditionell Bälle statt, die lange Zeit vor allem das ‚einfache Volk‘ in großer Ausgelassenheit verbanden. Am Morgen des 14. Juli findet seit mehr als hundert Jahren eine große Militär-

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parade statt, deren Funktion v.a. während der ersten Hälfte der III. Repu- blik in der Demonstration nationaler und republikanischer Einigkeit inner- halb eines ansonsten monarchischen Europa bestand. Innenpolitisch dien- ten die Militärparaden der Anbindung der Armee an die Republik6. Die Krönung des Abends war und ist ein großes Feuerwerk. Allerdings, durch zunehmende Routine, durch die Stabilisierung der Republik und ein Nach- lassen des unmittelbaren Drucks von außen hat der 14. Juli über die Zeit an politischer Bedeutung verloren und wird von einem Großteil der Bevölke- rung mittlerweile nur noch als „werkfrei“ verstanden. Rosemonde Sanson stellt in ihrer Historiographie des 14. Juli eine zunehmende Uniformisierung und Kommerzialisierung der abendlichen Feiern fest7, eine Tendenz, der der Staat am 14. Juli 1989 ausdrücklich begegnen wollte:

2. Vorbereitungen zur Zweihundertjahrfeier

Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 200sten Jubiläum der Revolution soll- te der 14. Juli, darüber waren sich alle Verantwortlichen einig, das herausra- gende Ereignis darstellen. Seit der Gründung der Mission du Bicentenaire 1986 wurde über die Ausrichtung dieser Feier nachgedacht. Die ersten beiden, von der konservativen Regierung Chirac eingesetzten Kommissionspräsi- denten, Michel Baroin und Edgar Faure, waren eine de-facto Vereinbarung mit dem Musiker Jean-Michel Jarre eingegangen, der ein elektronisches Multimediaspektakel plante, das vom 13. bis 15. Juli in Paris stattfinden soll- te8. Auch der dritte, 1988 nach der Wiederwahl der Sozialisten ernannte Kommissionspräsident, Jean-Noël Jeanneney, hielt an diesem Plan fest.

Wenn Jarre schließlich dennoch ausgeladen wurde, so unter dem allgemei- nen Vorwand inhaltlicher und sicherheitstechnischer Mängel9. Es steht al- lerdings zu vermuten, daß für diese Entscheidung letztlich Gründe politi- scher Eitelkeit ausschlaggebend waren, insofern als die neue Regierung dem geschiedenen Ministerpräsidenten nicht die Genugtuung bereiten wollte, am 14. Juli seine Pläne zur Ausführung zu bringen. Für diese Annahme spricht die Tatsache, daß nach den Wahlen im Mai 1988 der in kulturellen und Fragen staatlicher Repräsentation äußerst bestimmende Jack Lang neu- erlich ins Kulturministerium einzog und erfolgreich Mitsprache bei den Planungen zur Zweihundertjahrfeier einforderte. Sein Amt nannte sich vor- übergehend Ministère de la Culture, de la Communication, des Grands Travaux et du Bicentenaire de la Révolution Française. Tatsache ist weiterhin, daß Jacques Chirac, unter dessen Regierung die Einladung an Jarre ergangen war, den Feierlichkeiten ostentativ fernblieb10.

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Alternative Vorschläge zur Feier des 14. Juli kamen aus der Rue de Valois, von einem der engsten Vertrauten Langs, Jacques Dupavillon. Rückblik- kend hat es den Anschein, als habe Dupavillon sich recht schnell entschie- den, Jean-Paul Goude, Autor mehrerer in Frankreich erfolgreicher Werbe- clips, mit der Ausrichtung der Feier zu beauftragen. Der Kontakt kam auf informellem Wege zustande, und angeblich hatten weder Minister Lang noch Kommissionspräsident Jeanneney Einwände11. Dupavillon, der von der Ausbildung her Architekt ist, hatte sich u.a. 1981 mit der Organisation des symbolischen Besuchs Mitterrands im Panthéon als Zeremonienmei- ster der Sozialisten bewährt12. Zudem mag der unerschütterliche Optimis- mus, den er sich selbst zugute hält13, den politisch Verantwortlichen erleich- tert haben, auf seinen Vorschlag einzugehen. Denn das Projekt war in mehr- facher Hinsicht riskant. Die Tatsache, daß der 14. Juli im Zentrum der Zweihundertjahrfeier stehen würde, ließ dem Ereignis eine „schicksalshafte Dimension“ (Steven Kaplan) für Erfolg oder Mißerfolg des gesamten Jubi- läums anwachsen. Darauf wird später zurückzukommen sein. Aber auch der Vorsatz, nicht zu gedenken, sondern eine neue Form der Festkultur zu schaffen14, bedeutete eine große Unbekannte. Schließlich blieb nicht viel Zeit: Goude entschied sich im Oktober 1988, den Auftrag anzunehmen und machte sich erst einige Monate später, im Januar 1989, an die Arbeit15.

Der Vertrag, den Goude abgeschlossen hatte, erlegte ihm die Inszenie- rung eines Straßentheaters zu den Themen 14. Juli und Föderationsfest auf.

Gleichzeitig sollte das Ereignis sich zur direkten Fernsehübertragung eig- nen und den Sicherheitsbedingungen anläßlich des in derselben Woche in Paris stattfindenden Gipfels der sieben führenden Industrienationen (G7) entsprechen16. Was inhaltlich recht dehnbar und technisch zumindest über- schaubar erschien, war allerdings von hohen Erwartungen begleitet, wie aus einem Schreiben hervorgeht, mit dem im Januar 1989 bei verschiedenen französischen Konzernen um ein Sponsoring des Ereignisses geworben wurde17. Dort ist vom Auftritt international anerkannter Künstler und wei- teren 10.000 Mitwirkenden, vom Höhepunkt der Zweihundertjahrfeier die Rede, der von geschätzten drei Millionen direkt Anwesenden und Fernseh- zuschauern in der ganzen Welt verfolgt werden wird. Auf der Pressekonfe- renz erklärte Kommissionspräsident Jeanneney, der 14. Juli werde eine Mi- schung aus Überlieferung und einem gewissen air du temps sein. Die Veran- stalter seien sich von Anfang an einig darüber gewesen, weder eine, so wörtlich, „anbiedernde, museographische“ Rekonstruktion des 14. Juli oder des Föderationsfestes, noch ein willkürliches Schauspiel zu bieten. Das Er- eignis habe einen besonderen Sinn, der allerdings verbunden mit „zeitge- nössischen Leckerbissen“ vorgetragen werde18. Charles Gassot, Chef der an

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der Organisation des Abends beteiligten Filmproduktionsgesellschaft Té- léma, hatte den Ehrgeiz der Veranstalter in einem Interview deutlicher ausge- drückt: Der 14. Juli werde ein „kreatives Schaufenster“ auf das Frankreich der 90er Jahre werden, mittels dessen sich beweisen werde, daß das Land sich kulturell mit anderen Nationen (damit waren unausgesprochen die Vereinigten Staaten gemeint) messen könne19. Namentlich durch den Auf- tritt der verschiedenen Regionen Frankreichs, betonte Jeanneney während der Pressekonferenz, werde die Feier aber auch staatsbürgerliche Gesinnung, entsprechend der von den Sozialisten in den 80er Jahren vorangetriebenen décentralisation, der Übertragung administrativer Kompetenzen an die fran- zösische province, evozieren20. Doch nicht allein Frankreich werde seiner Revolution huldigen, sondern Künstler aus der ganzen Welt21. Als Beweis und Sinnbild für die globale Verbreitung der Ideen von 1789 wurde sowohl von Jeanneney, als auch von Jack Lang die Marseillaise angeführt: Das 1792 komponierte Lied, das anläßlich der 100Jahrfeier der Revolution zur Natio- nalhymne erklärt wurde, sei das revolutionäre Lied der Welt schlechthin22. Jean-Paul Goude sah sich also der Aufgabe gegenüber, zugleich auf regio- nale, nationale und globale Varianten der Revolution einzugehen, staats- bürgerliches Ethos und Zeitgeschmack miteinander zu verbinden und dem Ganzen das Gepräge des nie Dagewesenen zu geben. Er entschied sich, so- viel sei vorweggenommen, das Thema Föderation durch eine Ausweitung des Verbrüderungsgedanken auf den gesamten Erdball zu würdigen und Repräsentanten ausgewählter Länder in Paris aufmarschieren zu lassen. Als Metapher für das Motto der Französischen Revolution „Freiheit, Gleich- heit, Brüderlichkeit“ wählte Goude eine der 1989 aktuellsten Ausprägungen der internationale Popmusik, die sogenannte world-music23.

3. La Marseillaise

Die von offizieller Seite mit La Marseillaise betitelte Parade beginnt kurz nach Einbruch der Dunkelheit am oberen Ende der Champs Elysées und bewegt sich auf die Place de la Concorde zu. Der Zug umgeht den Obelis- ken links, vorbei an den Tribünen der Ehrengäste, und löst sich anschlie- ßend in die Tuilerien auf.

Zunächst erscheinen 40 Trommler, gefolgt von 60 Fahnenwerfern aus dem toskanischen Siena, die im Takt riesige Trikoloren in die Höhe schwingen.

Oberarme, Brust und Rücken der Musiker und Fahnenwerfer sind mit gro- ßen chinesischen Schriftzeichen bedeckt, die „Freiheit, Gleichheit, Brüder- lichkeit“ bedeuten. Die Männer tragen rote Hosen, das blaue Hemd ist um

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Abb.1 Jean-Paul Goude, (La Marseillaise) China

die Hüften geknotet. Über schwarzen Schuhen leuchten weiße Gamaschen.

Die Trommler tragen eine oben flache, die Ohren bedeckende schwarze Kappe, die Fahnenschwinger ein weißes Stirnband, ebenfalls mit chinesi- schen Schriftzeichen24.

Es folgt eine Gruppe Chinesen, darunter auch Frauen (Abb.1). Einige von ihnen tragen die gleichen, am Hinterkopf geknoteten Stirnbänder wie die Sienesen. Ansonsten tragen die Leute dunkle Alltagskeidung. Viele schie- ben ein Fahrrad neben sich her, deren Klingel sie unablässig betätigen. Nicht wenige heben die Hand zum Victoryzeichen. Die Gruppe führt ein langes, weißes Transparent mit, auf dem in roten Lettern Nous continuons, wir ma- chen weiter, steht. Inmitten der Gruppe fährt ein Wagen, auf dem die At- trappe eines riesenhaften, von einem filigranen Gerüst aus Bambusstäben umgebenen Reistopfes steht. Der Zug wird akustisch von Windgeräuschen begleitet25, wodurch der Ernst der Mienen und die im Gegensatz zur fol- genden Parade stehende, große Nüchternheit des Auftritts eine dramatische Steigerung erfährt. Ursprünglich hatten Franzosen an der Spitze des Zuges gehen sollen. Das Massaker auf dem Tienamen-Platz hatte die Veranstalter jedoch dazu bewogen, in Europa sich aufhaltenden chinesischen Studen- ten, von denen einige maskiert sind26, den Vortritt zu lassen.

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Abb.2 Jean-Paul Goude, (La Marseillaise) Traditionelle Musiker

Dieser ernsten Vorhut folgt nun ein festlicher Umzug, angeführt von drei Kapellen, die Frankreich repräsentieren:

Zunächst 300 professionelle Trommler, darunter auch Soldaten, die in 21 Reihen von je 14 defilieren27. Sie tragen Smoking, die breite, blau-weiß-rote Schärpe der französischen Bürgermeister, weit ausgeschnittene Frackschuhe und rot geringelte Socken. Die Trommeln der Männer werden von einer oberhalb des Instruments angebrachten Leuchte angestrahlt, wodurch ein sehr feierlicher Eindruck entsteht.

Es folgen weitere 1250 Trommler, Amateure, die durch Wettbewerb ermit- telt wurden28. Weiße Handschuhe und knöchelhohe Turnschuhe heben sich von ihrer dunklen Kleidung ab. Die Gesichter der Musiker, die einen Mili- tärmarsch spielen, sind frontal von einem Lämpchen erhellt, das am Ende von zwei ca. 20 cm langen Schienen sitzt, die von einem Stirnreif gehalten werden. Ein zweites Lämpchen beleuchtet eine etwa 40 x 60 cm große, von einer goldenen Borte eingefaßte Kokarde, deren Stab senkrecht aus dem Rucksack ragt, den jeder der Männer trägt. Eine dritte Leuchte ist auf die Trommel gerichtet29.

Schließlich erscheinen 1200 Spieler alter Instrumente, die gleich der Grup- pe vor ihnen kostümiert sind (Abb.2). Es handelt sich um Folkloremusiker

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aus ganz Frankreich, die die Marche des mille spielen, eine Komposition des Beniners Wally Badarou, die alte französische Musik mit afrikanischen Rhythmen verbindet30. Inmitten der Gruppe werden 38 große Fahnen mit den Emblemen der französischen Provinzen getragen.

Der pathetische Teil des Abends beginnt in dem Augenblick, da der letzte Teil des Zuges die Champs Elysées im Westen betreten hat, und die franzö- sischen Musiker um die Place de la Concorde zum Stillstand gekommen sind. Die Musiker stehen in einem Oval, dem Obelisken zugewandt, der mit einer erhöhten Bühne umgeben worden ist31.

Nachdem Stille eingekehrt ist, stimmen Orchester und Chor, die unter- halb des Obelisken, gegenüber den Tuilerien positioniert sind, ein Präludi- um an. Dem für diesen Anlaß ebenfalls von Wally Badarou komponierten Stück klingt nach einem starken Crescendo ein einzelner, gesummter Ton nach. Er begleitet die Ankunft der schwarzen Amerikanerin Jessye Norman, die aus der Tiefe eines eignes konstruierten Sockels auf der Höhe des Obe- lisken erscheint. Die korpulente Sängerin ist in ein von dem tunesischen Couturier Azzedine Alaïa entworfenes seidenes, horizontal blau-weiß-rot gestreiftes Kapuzengewand gehüllt. Unbegleitet singt sie die erste und die sechste Strophe der Nationalhymne und bewegt sich mit langsamen Schrit- ten um den Obelisken. Den Refrain begleiten dann Chor und Orchester.

Während sie noch singt, verläßt Jessye Norman, auf einer rechteckigen Platt- form, die von weiß behemdeten Männern getragen scheint, die Place de la Concorde in Richtung Tuilerien.

Anschließend beginnt ein Feuerwerk und der Zug setzt sich erneut in Bewegung. Den Musikern folgen die Valseuses, fünfzehn, sich selbstgenüg- sam um die eigene Achse drehende Mannequins, die ursprünglich alle maghrebinischer Herkunft sein sollten (Abb.3)32. Der Umfang ihrer ausla- denden Röcke (unter denen sich kleine, von einer Person gesteuerte Gefähr- te verbergen) beträgt 17, die Höhe der Figuren insgesamt 2.50 m. Die Röcke der Valseuses sind schwarz, ebenso ihre eng anliegenden Oberteile. Ihr Haar verschwindet unter schwarzen Hüten, die unter dem Kinn gebunden sind.

Diese gleichen riesigen Trichtern und enden in einer Scheibe von gut 1.20 m Durchmesser. Die Mannequins sind weiterhin mit riesenhaften goldenen Ohrringen geschmückt. Jede der Valseuses hält einen vielleicht achtjährigen Jungen, der rittlings vor ihr auf dem Rock sitzt. Die Kinder tragen traditio- nelle Kostüme, die sie, zusammen mit den auf ihrem Rücken flatternden Fähnchen, als Vertreter verschiedener Länder und Völker kenntlich machen:

Mexiko, Peru und Brasilien, Kanada, Türkei und Griechenland, ein kleiner Harlekin aus Italien, ein Torero aus Spanien, ein Palästinenser, ein japani- scher Samurai, ein kleiner Israeli mit orthodoxer Haartracht, ein Holländer,

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Abb.3 Jean-Paul Goude, (La Marseillaise) Valseuses

ein Deutscher in Lederhosen, mit Hut und Gamsbart, ein Kind aus Tonga und ein indisches im Maharadschakostüm. Ihr Reigen ist mit einer Musik unterlegt, die Michel Hardy komponiert hat, und die von Kindern gesun- gene orientalische Melodien mit afro-amerikanischen Rhythmen vereint.

Der nächste große Teil der Parade wird von einer Art Gauklergruppe be- gleitet33. Die Tänzer tragen bunte, das Groteske ihrer Bewegungen unter- streichende Kostüme und schwere Holzpantinen. Vor der Brust haben alle eine Art Latz, der das Wappen einer der französischen Regionen zeigt. Die Frauen tragen oberschenkellange weiße Gamaschen und kurze, steif abste- hende Röcke, die teilweise die Form von Blüten haben. Die Männer sind mit Pluderhosen bekleidet, die, seitlich hochgenommen, lampionähnliche Halbkreise bilden. Die Kopfbedeckungen sind an unterschiedliche histori-

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Abb.4 Jean-Paul Goude, (La Marseillaise) Afrika

sche Vorbilder angelehnt. Die Choreographie34 enthält Elemente des Volks- tanzes, wie die farandole, bei der Tänzer sich nebeneinanderstehend an den Händen fassen, um anschließend einen Kreis zu bilden. Ansonsten vereint der Tanz Figuren des klassischen Balletts, wie die Pirouette, aber auch sehr abrupte, grobschlächtige Bewegungen.

Dem „Afrika“ genannten Teil der Parade wird die senegalesische Fahne vorangetragen. Inmitten einer Menge fackelhaltender Afrikaner in Kolonial- uniform fährt eine Stufenpyramide35, in deren Mitte eine schmale Treppe läuft (Abb.4). Oben längs befindet sich ein Absatz, auf dem sechs Tromm- lerinnen auf Stelzen stehen. Je zwei von ihnen tragen blaue, weiße und rote Gewänder. Hinter den Frauen sind Strahler angebracht, die senkrecht in die Höhe leuchten; außerdem steigt Rauch auf. Auf den übrigen Absätzen sit- zen in Smoking gekleidete Percussion-Musiker, während sich auf der Trep- pe der senegalesische Komponist Doudou N’Daye Rose bewegt und diri- giert. Vor der Rückwand der Pyramide, seitlich von zwei Trommlern einge- rahmt, tanzt eine Gruppe in weißen Tüll gekleideter Afrikanerinnen. Die Ballerinakostüme, ihre an die Südsee erinnernden Blumenkränze und die Schwanenseekulisse an der Rückwand bilden einen scharfen Kontrast zu den spontanen und temperamentvollen Bewegungen der Frauen36.

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Union Jack und Dudelsackspieler mit Schottenrock und Bärenfellmütze machen die nächste Abordnung schon an der Spitze als britisch identifi- zierbar. Zwei Feuerwehrwagen und ein doppelstöckiger Bus folgen. Am Ende der diagonal ausgefahrenen Leitern der Löschwagen befinden sich Düsen, aus denen es auf vier Guards in roter Uniform regnet, die seitlich einen Regenschirm über eine Tänzerin halten. Es folgt eine Gruppe junger Leute, die unterschiedlich, meist schwarz, gekleidet sind. Viele haben enge T-shirts, knielange, ebenfalls eng anliegende Hosen und Doc Martens-Stie- fel an37. Nach einer Choreographie von Lea Anderson führt die Gruppe Swinging London eine Art gymnastischen Tanz auf, wobei ihr energisches Ausschreiten bestimmend ist. Die auffälligste Bewegung besteht in einer überzeichneten Gestik des Frierens und Niesens. In der Mitte des symme- trisch aufgebauten Zuges befindet sich eine Gruppe indischer Tänzerinnen im traditionellen Kostüm, deren Grazie einen starken Gegensatz zu den groben Bewegungen der von Goude als Repräsentanten der Londoner Sze- ne gewählten Leute bildet. Zwischen den Tänzerinnen läuft eine Sängerin.

Die Musik, die den Takt für die gesamte britische Delegation vorgibt, ver- mischt indische Melodien mit House-Beat38. In der Reihenfolge schließen sich dann an: Niestanz, Guards, Löschfahrzeuge und Bus.

Der nächsten, 400köpfigen afrikanischen Delegation werden zwei Kano- nen von Geschirren zu je sechs Zebras (es handelt sich um bemalte Ponys) vorangezogen39. Auf den Kanonen sitzen rittlings je zwei Trompeter. Ein Junge führt eine Ziege am Strick. Dann folgen zwei Reihen Träger der afrika- nischen Fahnen. Die Männer sind mit khakifarbenen, gegürteten Jacken und kurzen Hosen bekleidet. Des weiteren tragen sie wadenlange graue Strümp- fe, Knobelbecher und eine Art Fes. Diese Infanterie, die durch eine Gruppe von Fackelträgern ergänzt ist, umrahmt eine riesige, aus Metallfässern aufge- baute Pyramide, deren oberen Abschluß eine querliegende Tonne bildet, auf der ein Trommler sitzt. Auf den übrigen fünf Ebenen stehen Musiker, die verschiedene Percussioninstrumente spielen. Die Männer tragen bunte Um- hänge, und viele von ihnen sind mit farbigen Federn geschmückt. Die Pyra- mide bietet einen sehr belebten Anblick, der zusätzlich dadurch verstärkt wird, daß an mehreren Punkten angebrachte Strahler, wie in einer Discothek, unruhig in die Gegend leuchten. Das Ende der Truppe bilden barbusige guineische Trommlerinnen, die auf zwei nebeneinander fahrenden Zügen von Gepäckwagen stehen (Abb.5). Die Frauen tragen rotgemusterte Pluder- hosen und unter dem Kinn geknotete Mützen, die auf der Scheitellinie drei Höcker haben, an deren Ende große, farbige Pompons sitzen. Der Anblick des guineischen Zuges ist gewaltig. Akustik und visueller Eindruck bilden stärker als bei den übrigen Teilen der Parade eine Einheit.

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Abb.5 Jean-Paul Goude, (La Marseillaise) Nachhut der „Guineischen Pyramide“

Zwei Tanklastzüge mit der Aufschrift Glasnost in kyrillischen Lettern fah- ren, weißes Konfetti versprühend, der sowjetischen Gruppe voran40. Sodann marschiert eine Reihe von sechs Soldaten, die Fahnen mit kyrillischer Auf- schrift tragen; weiterhin Trommler, in der Uniform der Wächter des Lenin- mausoleums: Schaftstiefel, taillierte lange Mäntel und graue Filzmützen mit Ohrenklappen. Die Männer marschieren im Stechschritt. Es folgt eine Grup- pe Frauen, die zu gleiten scheinen, weil die Bewegung ihrer Beine unter langen, mit goldener Borte eingefaßten Mänteln verborgen bleibt. Da sie den Oberkörper gar nicht und die Arme nur langsam bewegen, und da ihre Gesichter den lächelnden Ausdruck nicht verändern, entsteht der Eindruck, als handele es sich um lebensgroße Matrioschka-Puppen. Jede der Tänzerin- nen hält ein großes dreieckiges Tuch, welches sie abwechselnd über den Kopf, nach vorne, über den Rücken und wieder nach vorne bewegen41. Die Frauen gleiten um eine Bühne, die von Matrosen auf Schulterhöhe getragen scheint.

In der freien Hand hält jeder der Männer eine brennende Fackel. Auf der runden Fläche aus imitiertem Eis ziehen ein riesiger weißer Bär und ein Mädchen, das eine Fahne mit der kyrillischen Aufschrift „Moskau“ trägt, ihre Kreise. Nach ihnen folgt eine Gruppe mit Fahnen der Unionsrepu- bliken, denen ein Mann mit der sowjetischen Fahne voranschreitet. Schließ- lich erscheint eine weitere Gruppe Tänzer und ein Wagen42, der aus einer

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Abb.6 Jean-Paul Goude, (La Marseillaise) Konstruktivistischer Wagen runden, waagerechten Plattform besteht, die von einem vielleicht 1.50 m brei- ten, leicht angewinkelten Streifen umgeben ist (Abb.6). Auf der Mitte der Plattform steht ein Metallgerüst von quadratischem Grundriß, an dessen, dem Publikum zugewandten Seiten jeweils eine große Scheibe, ein langer Streifen und die Schemen zweier überdimensionaler Zahnräder angebracht sind. Auf dem „konstruktivistischen Wagen“ und davor bewegen sich Tän- zer. An manchen Stellen schreiten sie roboterhaft, mit durchgedrückten Bei- nen aus, dann wieder erinnern ihre Bewegungen an die, in den 80er Jahren populäre Aerobic. Die Frauen und Männer tragen sperrige Anzüge, an die geometrische Formen genäht sind, so sind ihre Hände z.B. mit Dreieck oder Quadrat bedeckt. Auf der Mitte des Kopfes, der Scheitellinie entlang, tragen die Tänzer eine halbkreisförmige Scheibe. Während die Musik in erster Li- nie aus metallischen Klängen besteht, die an Dampfmaschine und montan- industrielle Arbeit denken lassen, kommt die Melodie von einem russischen Frauenchor43. Den Klängen unterliegt ein synthetischer Rhythmus. Schließ- lich folgen sechs Tänzerinnen, deren von Goude entworfene Kostüme aus einem bodenlangen schwarzen Rock bestehen, der von einem roten, mit goldenen Knöpfen verschlossenen Mantel bedeckt ist. Die Frauen tragen einen spitzen schwarzen Hut, an dem ein rotleuchtender Stern prangt. Jede von ihnen trägt eine rot-grün-goldene Fahne. Den Abschluß des sowjeti-

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Abb.7 Jean-Paul Goude, (La Marseillaise) Les tambours du Bronx

schen Teils der Parade machen zwei weitere Tankwagen, die die Darsteller mit weißen Flocken berieseln.

Ursprünglich für das Ende der Parade vorgesehen, fährt anschließend eine schwer dampfende Lokomotive. Im Führerhaus betätigt ein an Jean Gabin erinnernder Mann die Pfeife44. Neben der Lok fahren zwei Gepäckwagen der Bahn mit mehreren Anhängern (Abb.7). Auf den Wagen steht jeweils ein in schwarzes Leder gekeideter Mann, der mit dicken Holzstäben mono- ton auf ein vor ihm stehendes Faß schlägt. Es handelt es sich um die Grup- pe Tambours du Bronx aus Nevers, deren Rhythmen von afrikanischer Musik inspiriert sind.

Die abschließende amerikanische Delegation ist von der Florida Agri- cultural and Mechanical University Marching Band geprägt45: Die Männer tra- gen ihre originale Uniform aus rotgrüner Hose und Jacke mit weißen Auf- schlägen und Tressen, dazu ein weißes Cape und eine federgeschmückte Kopfbedeckung. Einer Reihe von Fahnenschwingern folgt die Kapelle, die ein von der Musik James Browns inspiriertes Stück spielt. Die beinahe aus- schließlich schwarzen Musiker bewegen sich temperamentvoll. Die Bläser kreisen mit ihren Instrumenten in der Luft, und während der reinen Per- cussion-Passagen tanzen die Musiker Boogie-Woogie. Ab und zu vollführen sie den durch den amerikanischen Superstar Michael Jackson berühmt ge- wordenen moon-walk, einen Rückwärtsschritt, der im Profil gesehen er-

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scheint, als laufe die Person vorwärts auf einem ihr entgegenlaufenden Band.

Die Band, die viel Temperament, Witz und Lebensfreude ausstrahlt, ist von je drei nebeneinanderfahrenden schmalen Wagen eingerahmt. Es handelt sich um riesige schwarze Treppen, auf denen, der Band zugewandt, weiße US-Bürger sitzen und in die Menge winken. Oben stehen je vier Cheerleader, die blaue, weiße und rote Pompons schwingen. Auf einem Podium vor der Rückwand der hinteren Wagen vollführt je eine Person einen Break-Dance.

Ein Junge trägt ein T-shirt mit der Aufschrift global peace.

Nach der amerikanischen Abordnung drängen zehntausende Zuschauer auf die Champs Elysées, um dem abschließenden Feuerwerk näherzukom- men, das auf der Höhe der Place de la Concorde gezündet wird.

4. Jean-Paul Goude

4.1. Stylist

Jean-Paul Goude wurde 1940 in Paris geboren. Seine amerikanische Mutter hatte in den 20er und 30er Jahren in New York als Tänzerin gearbeitet. In seinem 1983 erschienenen Buch Jungle Fever, einer gleichermaßen künstleri- schen und werbeästhetischen Autobiographie, zeigt Goude zwei Fotos aus der New Yorker Zeit seiner Mutter, die durchaus paradigmatisch für seine eigene Arbeit zu sehen sind: Auf einer Aufnahme vom Ende der 20er Jahre ist die spätere Mme. Goude in tänzerischer Pose gemeinsam mit drei männ- lichen Schauspielern zu sehen, deren Gesichter schwarz geschminkt sind;

alle vier tragen Arbeitskleidung. Eine Varietészene von 1934 zeigt sie mit anderen weißen Darstellern zu Füßen der farbigen Sängerin Ethel Waters46, beide Male also eine theatralische Situation, die, so meint Goude, die Be- wunderung der Weißen für die schwarze Kultur Amerikas zum Ausdruck bringt. Unabhängig vom Interesse seiner Mutter am Varieté zieht sich die Begeisterung insbesondere für die afroamerikanische Kultur durch die ge- samte Arbeit Goudes, der 1969 als Artdirector des Männermagazins Esquire nach New York ging. Zuvor hatte er Kunst studiert und mit einigem Erfolg als Schaufensterdekorateur und Illustrator gearbeitet. In diese Pariser Zeit gehört auch der Versuch einer Ausbildung zum klassischen Tänzer.

Seinem eigenen Bekunden nach hat Goude sich seit seiner Kindheit für Personen mit ungewöhnlichem Äußeren interessiert. Menschen von beson- derem Habitus machten dem Teenager Mut, an der eigenen Erscheinung zu arbeiten und seine eingestandenermaßen kurze Statur durch das Tragen bestimmter Kleidung zu kompensieren47. New York war in dieser Hinsicht

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eine Fundgrube. Goude berichtet von Begegnungen mit verschiedenen Ekzentrikern, die er wegen ihres konsequent eigenen Stils für Esquire foto- grafierte. Darunter die schwarzen Boxer Huges-Brothers, die er für die Würde ihres Auftretens bewunderte, mit der sie sich selbstverliebt über jegliches konventionelle Urteil hinwegsetzten. Die beiden ließen sich von Goude in ihren Phantasiekostümen, beispielsweise engen, maßgeschneiderten Over- alls mit seidengefütterten Capes oder im Boxerdress kombiniert mit riesi- gen Sombreros ablichten48. Eine Frau, die ihn ebenfalls faszinierte, war Miss Kellie, eine Schönheit litauischer Herkunft, die zu den ersten weiblichen Bodybuildern Amerikas gehörte. Mit ihrer intensiv gelebten Körperlichkeit paarte sich, Goude zufolge, eine ausgeprägte Frömmigkeit, die sie sich trotz ihres Lebens im Halbweltmilieu erhalten hatte. Goude dokumentierte Miss Kellie zunächst mittels scheinbar amateurhafter Fotos; sie ist dort gemein- sam mit ihren Bewunderern, jugendlichen puertoricanischen Halbstarken, inmitten von Devotionalienkitsch zu sehen. Goude wählte Miss Kellie und ihre puertoricanischen Freunde weiterhin als Protagonisten für einen Gag, den er mittels eines plakativen Vorher-Nachher erzählt: Ein erstes Foto zeigt die Bodybuilderin und vier junge Männer bei Kraftübungen. Auf dem zwei- ten Bild platzt ihr beim Gewichtheben der Bikini – die Männer schauen sich erschrocken um49.

Neben individuellen Typen wie Miss Kellie oder den Huges-Brothers ver- kehrte Goude auch in einigen der in den USA lebenden communities, die sich nicht nur sichtbar, über Kleidung und Habitus, sondern auch durch ihre musikalische Kultur unterscheiden und voneinander abgrenzen. 1975 machte er eine Serie von Aufnahmen, die schrill gekleidete Gruppen von Afroamerikanern, Latinos und Homosexuellen in gefrorener tänzerischer Pose zeigen50. Daß Musik und Tanz der einzelnen Gruppen des amerikani- schen meltingpot Konglomerate aus Traditionen unterschiedlichster Her- kunft sind, illustrierte er am Beispiel des Rican Salsa: Goude collagierte, jeweils durch ein großes Plus verbunden, die Abbildungen eines trommeln- den Buschmanns, eines spanischen Gitarristen und eines flötenden Indio;

am Ende der Addition, hinter dem Gleichheitszeichen, steht, singend und mit Trommel, ein Südamerikaner51.

Markante Physiognomien, Stilisierung über Kleidung und Accessoires, – die visuelle und akustische Vielfalt, die er in den USA vorfand, bestimmten die frühen Arbeiten Goudes nachhaltig. Dabei interessierte ihn die Tatsa- che wenig, daß es sich bei Musik, die in der Regel durch einen bestimmten Habitus ergänzt ist, um politische und soziale Setzungen handeln kann.

Die andere Möglichkeit, daß ein bewußtes Sich-Absetzen gegenüber der dominanten Kultur beabsichtigt sein könnte, um Vereinnahmung oder be-

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friedender Einverleibung zu entgehen, spielt offenbar ebenfalls keine Rolle.

Darauf wird im Zusammenhang mit Werbung zurückzukommen sein.

Goude bekennt am Beispiel der von ihm nicht differenzierten Black-Power- Bewegungen, daß er sich durch Lobbyisten ausgeschlossen gefühlt habe. Er meint, zu Unrecht, und macht im Umgang mit amerikanischen Minder- heitenkulturen eine Unbefangenheit geltend, die mit seiner europäischen Herkunft zusammenhänge: sein Interesse sei rein anschaulicher Natur52.

Neben Portraits oder Bildfolgen, die vorgefundene Typen schlicht wie- dergeben oder in überspitzter Weise inszenieren, hat Goude immer auch mit Frauen gearbeitet, denen er ihrer Schönheit wegen zugetan war. Diese allesamt dunkelhäutigen, als ‚Musen‘ zu bezeichnenden Frauen wurden von ihm zunächst durch Kleidung und Haarschnitt „verbessert“. Seiner Freun- din Radiah gab er mittels künstlicher Narben einen „African look“53. Einige Abbildungen manipulierte er mittels eines Verfahrens des Zerschneidens, neuerlichen Zusammensetzens und der Retouche, um die dargestellten Frauen seiner ästhetischen Idealvorstellung anzunähern54. Mit seiner be- kanntesten ‚Muse’, Grace Jones, trat er allmählich aus dem teilweise schwü- len Rahmen des Männermagazins heraus. Die in Jamaica geborene Sänge- rin, die auch als Mannequin arbeitete, erlaubte ihm, seine Leidenschaft für Theater und Tanz mit der Gestaltung ihrer äußeren Erscheinung zu verbin- den, indem er ihre Auftritte inszenierte. Goude, der in vielen seiner Zeich- nungen und Collagen die physiognomischen Kennzeichen vor allem Schwarzer stilisiert, begeisterte sich derart an Jones maskulinem, ebenmäßi- gen Gesicht, daß er danach Masken fertigte. Anschließend ließ er die Sän- gerin vervielfacht, gefolgt von einer Schar ihrer Konterfeis auftreten55. Mit- tels diverser Verkleidungen, die mit ihrer androgynen Morphologie spiel- ten, verwandelte Goude Grace Jones in eine zeitgenössische Femme Fatale56. Er verhalf ihr zu einem Image, das den Anfang der 80er Jahre herrschenden, wenig femininen Modetrend auf eine extreme Spitze trieb, und das seinen prägnantesten Ausdruck auf dem Coverfoto der 1981 erschienenen Lang- spielplatte Nightclubbing fand57: Mit kantigem Haarschnitt, blau getönter Haut, dunkler maskuliner Kleidung und einer Zigarette im Mundwinkel bekam sie das Aussehen einer „Kreatur“, wie Goude kommentiert, deren Schönheit sowohl ihr Geschlecht als auch die gewöhnlich mit schwarzer Hautfarbe assoziierte Ethnizität transzendiere. Grace Jones erscheine als ein seltsam bedrohlicher Fremdling58. So undefinierbar die Person, so unge- wohnt war auch die Musik, zu der Jones seit 1980 mit ihrer sonoren, abge- klärten Stimme abwechselnd in Englisch und Französisch sang und sprach:

Aus Disco-Beat und jamaicanischen Klängen bestehende Rhythmen, auf denen klassisch melodiöse Gitarre oder Akkordeon neben New-Wave-Klän-

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gen bestehen konnten. Diese Musik entsprach der abstrakten Künstlichkeit von Jones‘ Erscheinung, die Goude als Mythos aufzubauen sich vorgenom- men hatte59.

Grace Jones war zum Mittelpunkt einer Art Gesamtkunstwerks gewor- den, dessen bildnerische und musikalische Gestaltungsprinzipien auf Tech- niken vorausweisen, die 1989 als typisch für Goude gelten: décalage, Ver- schiebung, und métissage, Kreuzung oder Vermischung gewohnter Bilder und Klänge. Es ist vor allem der zweite, der Biologie entlehnte Begriff, der auf eine der wichtigsten Inspirationsquellen Goudes zurückweist, auf den rassischen und kulturellen melting-pot New York.

4.2. Werber…

Jean-Paul Goude arbeitet grundsätzlich figürlich, wobei sein wesentliches Ausdrucksmittel zunächst von ihm so genannte still-pictures waren. Dabei handelt es sich um arrangierte Portraits oder Szenen, um bis ins Letzte defi- nierte Bilder ohne narratives Vor- und Nachher. Im Vergleich zu den ein- gangs geschilderten Fotos aus den frühen 70er Jahren, die eine Spur von Persönlichkeit und Milieu transportierten, waren Goudes Arbeiten zehn Jahre später schon wesentlich glatter. Sein Hang zur perfekt ausbalancierten Pose ist an Grace Jones‘ Verwandlung in eine Pop-Diva gut ablesbar. Doch letztlich entzog sich ihre herb-erotische Ausstrahlung seiner Kontrolle.

Charakteristisch für seine Auftragsarbeiten in den frühen 80er Jahren sind vielmehr menschliche Figurinen, die bühnenartig arrangierte Räume bevöl- kern.

Als Beispiel soll ein 44-Sekunden Werbespot für ‚Lee Cooper’-Jeans be- schrieben werden, der Elemente aufweist, wie sie am 14. Juli wieder auftau- chen werden:

Iris-Blende / Totale eines dunklen Innenraums: Ein gelber Ball von etwa 1.80 m Durchmesser, darauf im Zeitlupentempo hüpfend, ein schwarzes Mädchen. Sie trägt Jeans, bunte Federn über der Brust und Glacéhandschuhe / Gleiche Einstellung: Dies- mal ein roter Ball, auf dem, mit dem Rücken zum Zuschauer, ein mit Jeans und Muscleshirt bekleideter Junge hüpft / Halbnah: Das Mädchen / Der Junge / Detail:

Die Hose des Mädchens / Die des Jungen / Die des Mädchens / Ein Knall: Der Ball des Jungen platzt/ Groß: Der Kopf des Mädchens, dem ein Stück des roten Balls wie ein geplatzter Kaugummi vor Mund und Nase hängt / In halber Aufsicht, nach wie vor im Zeitlupentempo: eine Gruppe auf bunten Bällen hüpfender Jugendlicher / Halbtotale der Gruppe / Halbnah: Das schwarze Mädchen auf dem gelben Ball / Nah: Dasselbe Mädchen mit Operettenstimme „Lee Cooper“ singend / Irisblende / Halbnah vor blauem Hintergrund: Eine auf ihre Oberschenkel gestützt stehende Frau

Referenzen

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