I. Die Französische Revolution als komplexer historischer Prozess
a) Mai 1789 bis September 1792: Konstituante, Legislative, Krieg und Königssturz
(1) Die Französische Revolution war ein komplexer historischer Prozess. Sie lässt sich nicht erklären als eindimensionaler „Block“ mit monokausalem Ursprung. Sie entstand durch ein Bündel von Auf‐
lehnungen verschiedener Bevölkerungsschichten mit unterschiedlichen Zielen gegen eine außer‐
gewöhnliche Funktionsunfähigkeit des Staatsapparats. Die Selbstausrufung des Dritten Stands als Nationalversammlung am 17. Juni 1789 war eine Verfassungsrevolution gegen die Krone als den bis‐
herigen Repräsentanten des Volkes. Ihre Voraussetzungen waren einerseits die Einberufung der Generalstände 1788 wegen eines Finanznotstands aufgrund der Reformblockade der Parléments im Kampf des Adels gegen den König, anderseits die Zuspitzung einer Sinnkrise der Ungleichbehandlung von Privilegierten und Nichtprivilegierten, bei der liberale Privilegierte das Lager der Nichtprivilegier‐
ten unterstützten. Ziel dieser Auflehnung des durch Teile des Adels und des Klerus verstärkten Dritten Stands war die konstitutionelle Monarchie. Sie war keine bürgerliche Revolution im Sinn eines Strebens nach Wirtschaftsmacht, sondern geprägt durch die politische Überwindung des Ancien Régime.
Überlagert wurde diese Entwicklung durch eine städtische Revolution klein‐ und unterbürgerlicher Schichten mit primär wirtschaftlicher Zielrichtung. Sie wurde ausgelöst durch kurzfristige Erscheinungen wie Ernährungskrise und Niedergang der französischen Textilwirtschaft sowie mittel‐
fristige Phänomene wie Bevölkerungsvermehrung und Agrarkommerzialisierung. Dabei verkoppelten sich Brotaufstände mit Widerstand und Gewaltausübung gegen das Ancien Régime. Dies äußerte sich nach Entlassung Neckers und Konzentration königlicher Truppen in Versailles im Sturm auf die Pariser Bastille und ähnlichen Unruhen in anderen Städten Frankreichs. Der 14. Juli war auch die Geburts‐
stunde der Nationalgarde, die während der Revolutionszeit eine ambivalente Position einnahm. – Fast zeitgleich kam es in Reaktion auf Gerüchte einer Verschwörung der Aristokratie zu Bauernaufständen auf dem Land („Grande Peur“) gegen Feudalherren und Modernisierung der Landwirtschaft. Der Beschluss der Nationalversammlung vom 4. August 1789 zur Abschaffung der Feudalrechte gegen den Willen des Königs markierte das Ende des Ancien Régime und den Übergang in eine soziale Revolution.
Zur Abwendung des Staatsbankrotts wurden im November 1789 Kirchengüter enteignet und National‐
güter verkauft. Nutznießer waren vor allem Adel, Bürgertum und Großbauern.
(2) Der König verkannte die Zeichen der Zeit. Er wollte weder die Adelsprivilegien aufheben noch seiner Selbstentmachtung durch Anerkennung der Volkssouveränität zustimmen. Sein Zögern, die Dekrete über Feudalrechte, Menschenrechte, Einkammersystem und Suspensivveto zu sanktionieren, provozierte den Zug der Frauen nach Versailles. Dessen Folge einer Verlegung des Hofs und der Nationalversammlung nach Paris forcierte eine politische Öffentlichkeit mit Presse, Klubs und einer Auffächerung politischer Tendenzen. Bald zeigten sich erste Sollbruchstellen. Die bürgerlich geprägte Konstituante schloss im April 1790 weite Teile unterbürgerlicher Schichten vom Wahlrecht aus. Der Zugriff auf Kirchengut, die Einführung der Zivilverfassung des Klerus und dessen Eidpflicht gaben religiös motivierten Revolutionsgegnern Auftrieb. Das Koalitions‐ und Streikverbot vom Mai 1791 (loi Le Chapelier) mobilisierte eine Volksbewegung zur Einforderung sozialer Rechte. Die Flucht des Königs nach Varennes im Juni offenbarte dessen Doppelspiel. Politisch löste sie eine republikanische Petitionsbewegung unterbürgerlicher Schichten aus, die auf Weisung der Konstituante von der
Nationalgarde Lafayettes im Marsfeldmassaker niedergeschlagen wurde. Das bewirkte den ersten Riss zwischen liberalen Revolutionsführern und republikanisch‐demokratischen Kräften. Zugleich kam es zur Spaltung des Dritten Stands und des Jakobinerklubs. Die Septemberverfassung spiegelte mit der Überwindung von Feudalismus und Absolutismus, konstitutioneller Monarchie sowie Gewährleistung von Freiheitsrechten und Rechtsgleichheit die Interessen des Bürgertums. Ungelöst blieben die Widersprüche zwischen Konstituante und König, repräsentativer Legislative und direktdemokratischer Basisbewegung sowie revolutionärer Politik und sozialer Gleichheit.
(3) Die Lage verschärfte sich ab April 1792 mit der Kriegserklärung gegen Österreich, die den Wider‐
stand der Emigranten brechen und von der Wirtschaftskrise ablenken sollte. Von jetzt an stand die Revolution im Zeichen des Krieges und der Radikalisierung. Das königliche Veto gegen Beschlüsse der Legislative zur Deportation eidverweigernder Priester und zur Einberufung föderierter Truppen nach Paris führte im Juni zum Sturm der Sektionen auf die Tuilerien. Ihr zweiter Tuileriensturm im Verein mit den Föderierten endete am 10. August mit der Absetzung und Verhaftung des Königs sowie der Einsetzung eines neuen Exekutivkomitees mit dem Justizminister Danton. Als dann im Norden Frank‐
reichs Invasionstruppen eindrangen, brach mit dem Septembermassaker gegen Pariser Gefangene die ungebremste Volksjustiz durch. Am Anfang der Republik stand die Gewalt unterbürgerlicher Massen.
b) September 1792 bis Juli 1794: Konvent, Krieg, Bürgerkrieg und terreur
(1) Im neugewählten Konvent kam es zu einer Rivalität zwischen der dominierenden Gironde und der jakobinischen Montagne. Die Girondisten plädierten für Fortsetzung des Kriegs und Beendigung der Revolution, die Jakobiner unterstützten aus taktischen Gründen die Forderungen der Pariser Sektionen nach sozialer Gleichheit, Höchstpreisen für Lebensmittel und staatlicher Versorgung. Erste Kriegs‐
erfolge der französischen Armee in Savoyen, im Rheinland (Mainzer Republik) und in Belgien führten zur Besetzung der eroberten Gebiete mit der nationalistischen Parole von den „natürlichen Grenzen“.
Die Verurteilung des Königs durch den Konvent zum Tod und seine Hinrichtung am 21. Januar 1793 waren der Auftakt für politische Justiz, Sondergesetze und zunehmende Herrschaftsausübung der Sektionen. Der erfolgreiche Eintritt Englands und anderer europäischer Mächte in den Krieg, royalistische Bauernaufstände in der Vendée sowie Hungersnot und Inflation drohten die Revolution zu gefährden.
(2) In dieser Lage reagierte die Revolutionsführung sukzessive mit Justizterror und Sozialmaßnahmen, einer neuen Verfassung und einer Kriegsdiktatur mit institutionalisiertem Staatsterror. Das im März etablierte Revolutionstribunal, das als Surrogat für die entfesselte Volksjustiz dienen sollte, setzte die Menschenrechte faktisch außer Kraft. Der Konvent wurde vom Wohlfahrtsausschuss abhängig. Die Sektionen erzwangen Anfang Juni durch Belagerung des Konvents die Verhaftung der Girondisten als Terrorgegner. Zuvor hatten sie eine Höchstpreisverordnung für Getreide durchgesetzt. Der jakobini‐
sche Restkonvent stabilisierte die kleinbäuerliche Landwirtschaft durch Verkauf parzellierter Emigran‐
tengüter und Aufteilung der Allmende. Die Juni‐Verfassung statuierte ein allgemeines Wahlrecht, eine Kombination von repräsentativer und direkter Demokratie, die Aufhebung der Gewaltenteilung sowie soziale Gleichheit und ein Recht auf Arbeit; sie trat nicht in Kraft. In der außen‐ und innenpolitisch gefährlichsten Situation im Sommer ging Robespierre als neuer Chef des Wohlfahrtsausschusses auf Druck der terreur der Sektionen zur legalen terreur als einer Art staatlich kontrollierten Bürgerkriegs über. Die Sansculottes nötigten den Konvent zur Schaffung der armées révolutionnaires, die das Land durch Vandalismus und Dechristianisierung terrorisierten. Bloß Verdächtige, auch Girondisten, wurden
im ganzen Land massenweise hingerichtet. Der Aufstand in der Vendée wurde militärisch nieder‐
geschlagen und endete Anfang 1794 mit einem Vernichtungsfeldzug.
(3) Ab Ende 1793 zeigten die Modernisierung der Armee und die levée en masse ihre Wirkung. Belgien wurde zurückerobert, Holland zur Republik erklärt und der Vorstoß Österreichs zurückgeschlagen. Die revolutionäre Kriegsideologie zielte universalistisch auf Befreiung aller Völker, im Kern war sie aber nationalistisch. Im Innern setzte der Konvent den Kampf gegen Eidverweigerer fort und trat aus Staats‐
räson dem radikalen Antiklerikalismus der Sansculottes entgegen. Er führte den Revolutionskalender ein und das „Fest der Vernunft“ in Notre‐Dame. Der Wohlfahrtsausschuss befreite noch im März den Konvent vom Druck der Straße durch Entmachtung der sozialrevolutionären Bewegung, Hinrichtung ihrer Führer und Auflösung der Revolutionsarmeen; zugleich senkte er das Lohnmaximum. Robespierre führte im Juni seinen deistischen Kult des Höchsten Wesens ein und begann mit der Tugenddiktatur der „grande terreur“, die in sechs Wochen über tausend Hinrichtungen zur Folge hatte. Am 27. Juli setzte ihn der Wohlfahrtsausschuss ab und ließ ihn hinrichten. Nach der Vernichtung des inneren Feinds und dem Sieg über den äußeren war die terreur nicht mehr zu rechtfertigen. Robespierre hatte die Gefolgschaft der Sansculottes verloren, bürgerliche Zukunftsängste hatten gegen die Tugend‐
ideologie obsiegt. Die Revolutionsregierung wurde abgeschafft, die Wirtschaft reprivatisiert.
c) Juli 1794 bis November 1799: Bürgerrepublik, Direktorium, Militarisierung und Napoleon
(1) Der Machtwechsel führte zu Reaktion und Repression. Es kam zum Weißen Terror gegen politische Häftlinge, radikale Mitglieder der Revolutionsregierung wurden deportiert und Jakobiner hingerichtet.
Nach Rückkehr der Girondisten in den Konvent traten an die Stelle der Maximum‐Dekrete Wirtschafts‐
freiheit und Inflation. Das löste neue Agitationen der Sansculottes aus, deren Sturm auf den Konvent unter dem Motto „für Brot und die Verfassung von 1793“ im Mai 1795 durch militärische Verteidigung des Konvents gegen „das Volk“ beendet wurde. Eine massive Repressionswelle gegen links war auch das Ende der Sansculottes, Volksaufstände ohne Zustimmung aus dem Bürgertum hatten keine Chance mehr. Die Gefahr von rechts durch ein Landungsunternehmen der Emigranten wurde gebannt.
Bestimmend war wieder das liberale Bürgertum. Die in der Revolution aufgestiegenen Notabeln im Konvent hielten den bürgerlichen Interessen politisch den Rücken frei.
(2) Die im September vom Konvent angenommene Verfassung schränkte das allgemeine Wahlrecht wieder ein, kehrte zur Rechtsgleichheit zurück und erteilte mit einer strikten Gewaltenteilung der staatlichen Diktatur ebenso wie der radikalen Demokratie eine klare Absage. Beschlossen wurden ein Zweikammersystem mit jährlichem Austausch eines Drittels der Abgeordneten und als Exekutive ein fünfköpfiges Direktorium mit wechselndem Vorsitz. Das Revolutionstribunal wurde aufgelöst, Paris dezentralisiert, die Assignaten abgeschafft und die Trennung von Staat und Kirche bestimmt. Die Privatisierung weiterer Nationalgüter führte zur Umverteilung an wohlhabende Bürger, was länger‐
fristig die Modernisierung der Landwirtschaft in Frankreich verzögerte. Einen im Oktober versuchten Aufstand der Royalisten gegen die verfassungswidrige Selbstbedienung der Thermidorianer mit Mandaten schlug das Militär unter General Bonaparte nieder.
(3) Die Instabilität der mechanistischen Verfassung bedingte eine wachsende Neigung zum Krieg und zur Politik des Staatsstreichs. Nach der Annektion Belgiens und des Rheinlands sowie dem Beginn des Italienfeldzugs Bonapartes im Frühjahr 1796 kam es 1797 im Frieden von Campo Formio zur Abtretung des linken Rheinufers und Venedigs an Frankreich. 1798 wurden die Schwesterrepubliken Schweiz und
Italien gegründet, Bonaparte zog nach Ägypten. Innenpolitisch führte ein Wahlsieg der Royalisten im September 1797 erstmals zum Einsatz des Militärs gegen verfassungsrechtlich legitimierte Organe, die Royalisten wurden aus den Kammern und dem Direktorium entfernt. Nach dem Wahlsieg der Neojakobiner im Frühjahr 1798 annullierte das Direktorium die jakobinischen Mandate. Der erneute Wahlsieg der Neojakobiner 1799 führte zum erzwungenen Rücktritt dreier Direktoren, zum Eintritt von Sieyès und zur Ausrufung des Kriegszustands über weite Teile Frankreichs. Die Militärs strebten eine soziale Militarisierung an, die Restauration besorgten aber die Revolutionäre. Sie brachten Bonaparte an die Macht und ließen im Staatsstreich vom 10. November die militärische Auflösung des Rats der 500 tatenlos geschehen.
II. Kulturelle Instrumente der gesellschaftlichen Umgestaltung
a) Rhetorik der „Revolution“
(1) Der alte Wortsinn von Revolution war ein „Kreislauf“ der drei Verfassungsformen Monarchie, Aristokratie und Demokratie im Gegensatz zu Bürgerkrieg und Rebellion. In der Aufklärung wurde
„Revolution“ der Gegenbegriff zum Bürgerkrieg. Diese optimistische Deutung war Folge der Erfahrung der unblutigen glorious revolution. Seit Diderot hatte Revolution ein offenes Ende : « Quelle sera la suite de cette révolution ? On l’ignore », sagte er, und schloss damit eine Gegenrevolution ein.
(2) 1789 begründete der Begriff der Revolution einen neuen Horizont. Als Kollektivsingular bezeichnete er die untrennbare Verbindung von revolutionärem Prozess und dem auf ihn zurückwirkenden Bewusstsein, der Erfahrung der Beschleunigung. Jede Bewegung war „revolutionär“, der Konter‐
revolutionär ein Staatsfeind, weil auch der Staat in Bewegung war. Durch die Erklärung der Menschen‐
rechte wurde ein sozialer Erwartungsraum geöffnet, das Programm drängte auf Realisierung und markierte den Schritt von der politischen zur sozialen Revolution. Adressat war die gesamte Mensch‐
heit, die Revolution galt als räumlich global und zeitlich von Dauer. Deshalb endete sie nicht mit der Restauration, im Juli 1830 sprach man von der „Revolution in Permanenz“. « Une loi révolutionnaire » war schon für Condorcet ein Gesetz zur Aufrechterhaltung der Revolution. Neu war 1789 der Begriff des Revolutionärs als Beruf und vor allem die Erfahrung, dass Menschen Revolution machen können.
(3) Daneben gab es die Schlüsselwörter Nation, Gesetz und Vernunft als funktionale Äquivalente könig‐
lichen Charismas. Die Sprache war das Instrument des politischen Wandels durch Reden, Diskurse, Zeitungen, Flugblätter, Plakate und Bilder. Verschwörung galt als Verrat an der Nation, Parteien waren Verrat an der Gemeinschaft; Terror war Ausdruck von Tugend, Revolutionsherrschaft „Despotie der Freiheit über die Tyrannei“. Den revolutionären Traditionsbruch bezeichneten Begriffe wie „Ancien Régime“, „Revolutionskalender“ als neue Zeitrechnung und die Dezime für neue Maße und Gewichte.
b) Symbolische Formen sozialer Umgestaltung
Erinnerungskultur (Bastillesturm, Tuilerien, Pantheonisierung Mirabeau, Voltaire; Patriot Palloy);
Freiheitssymbole (trikolore Kokarde, Phrygiermütze, Freiheitsbaum, patriotischer Altar, Pike);
Allegorien (antike Helden, Herkules als Staatssiegel, das Auge als Wachsamkeitssymbol);
Festkultur (Föderationsfest, Fest der Vernunft Notre‐Dame [David], Feste in der Direktorialzeit);
kulturrevolutionäre Kleidung der Sansculottes als Zeichen egalitärer sozialer Orientierung;
revolutionäre Namensgebung (neue Vornamen, Umbenennungen von Orten und Straßen).
Eingerahmt wurde diese Praxis unter Robespierre von der allerdings alles andere als symbolischen Tugenddidaktik als Integrationsideologie und Propagierung des absoluten Vorrangs des öffentlichen Interesses.
c) Dechristianisierung, Umerziehung und revolutionäre Rituale
Die Zivilverfassung des Klerus war Teil der Entmachtung der dem Ancien Régime verbundenen Kirche, die verstaatlichte Primarschule diente zur revolutionären Erziehung und zur Bildung neuer Menschen, der Verfassungseid stand für eine sakrale Akkulturation in der Republik,
der deistische Kult war die Alternative zur katholischen Religion, an deren Stelle er treten sollte, und mit revolutionären Freiheitsmärtyrern (Le Pelletier, Marat u.a.) wurde das kirchliche Ritual der Erinnerung an frühchristliche Märtyrer instrumentalisiert und säkular gewendet –
alles in allem eine Umwertung der Werte.
III. Längerfristige Modernisierungsimpulse der Revolution
a) Grundlagen für die Ausformung der bürgerlichen Gesellschaft
Modernisierungsimpulse gab die Französische Revolution vor allem für die Ausformung der bürger‐
lichen Gesellschaft. Mit der Überwindung der ständischen Gliederung und der Abkehr vom Feudal‐
system eröffnete sie ein neues sozialpolitisches Modell als Bedingung der Möglichkeit von Demokratie.
Wegweisend war hier die geschriebene Verfassung als rechtlicher Rahmen politischer Herrschaft und als Gewährleistung von Freiheit, Rechtsgleichheit und Privateigentum. Hinzu kamen Unabhängigkeit der Justiz und Steuerbewilligungsrecht des Parlaments als Grundelemente einer liberalen Verfassung.
Mental war von besonderer Bedeutung die Erfahrung der Machbarkeit revolutionärer Veränderungen.
b) Politische Mobilisierung und Erprobung demokratischer Standards
Zukunftsweisend war die Erfahrung von politischer Öffentlichkeit und Pressefreiheit, ebenso die Frage nach deren Grenzen. Durch die Druckfreiheit wurden alte Privilegien gebrochen. Politische Interessen und Diskurse organisierten sich in diversen Klubs und Volksversammlungen. Dabei kamen politische Übereinstimmungen als Konservative, Liberale, demokratische Linke und in der Form basisdemokratischer Bewegungen zum Vorschein.
c) Verfassungsrechtliche Lernprozesse als Erfahrung für die Zukunft
Politische Erfahrungen sammelten die Revolutionäre auch mit diversen Verfassungsformen von der konstitutionellen Monarchie mit monarchischem Prinzip, Oberhaus und königlichem Vetorecht bis zur Parlamentarisierung mit Volkssouveränität, Einkammersystem und Budgetrecht. Sie setzten Impulse mit der Erprobung von Modellen repräsentativer und direkter Demokratie sowie ansatzweise mit der Gestaltung des Wahlrechts, vor allem bei den Verfassungsreferenden 1793 und 1795. Lehren für die Zukunft ergaben sich aus dem Staatsterror der Jakobinerdiktatur und dem Einfluss sozialrevolutionärer Basisbewegungen. Eine singuläre Erfahrung war die napoleonische Monarchie als autoritäre
Herrschaft mit Akklamation des Volkes. Insgesamt bot die Revolution einen Modellbaukasten für zukünftige Verfassungen.
d) Sozialökonomische Modernisierung
Modernisierungsimpulse gab es auch in sozialökonomischer Hinsicht. Hier war die Erfahrung wichtig, dass die Entfeudalisierung durch Überführung in bürgerliche Rechtstitel oder durch entschädigungs‐
lose Enteignung bewirkt werden konnte. Ständische Relikte wie Zünfte und Gilden wurden durch moderne Formen organisierter Interessen ersetzt. Eine Sackgasse war das Verbot von Koalitionen und Streiks, exemplarisch dagegen der politische Ausgleich sozialer Interessen durch Instrumente wie staatliche Werkstätten und sozialstaatliche Elemente. Entgegen marxistischer Deutung gab es keinen Klassenkampf zwischen Kapital und Proletariat, weil Klassen noch nicht existierten, die revolutionären Akteure nicht klassenmäßig organisiert waren und die Revolution den Industriekapitalismus eher gehemmt als befördert hat. Dazu trug auch die Stärkung bäuerlicher Kleinbetriebe bei, weil sie eine Abwanderung vom Land ins städtische Proletariat verzögerte.
e) Emanzipationsprozesse, Freund‐Feind‐Denken und Antinomien
(1) Die Revolution setzte Maßstäbe mit der Überwindung der patriarchalischen Ordnung von Staat und Gesellschaft. Frauen konnten sich zwar eher weniger politisch, aber vor allem sozial emanzipieren, Erbrecht und Ehescheidung wurden ebenso durchgesetzt wie das bürgerliche Familienmodell möglich wurde. Grenzen der Realisierung des Gleichheitsgrundsatzes zeigten sich dagegen bei der Emanzipation der Juden sowie bei der Gleichstellung der Farbigen in den Kolonien, die den Handels‐
interessen Frankreichs und der kolonialen Selbstverwaltung nachgeordnet wurde (1794 Abschaffung Sklaverei, 1799 Wiedereinführung, 1803 Republik Haiti).
(2) Die Selbstkonstitution des Dritten Stands als „Nation“ bedingte in gewisser Weise ein Denken in Freund‐Feind‐Kategorien. Einerseits wurden Emigranten ausgebürgert und eidverweigernde Priester deportiert, andererseits erprobte man mit dem ius soli ein modernes Bürgerrecht. In Zeiten des Krieges überwog allerdings das Interesse an der Überwachung und Diskriminierung von Fremden.
(3) Modernisierend wirkte die Neuordnung kirchlicher Verhältnisse als Folge ihrer Verbindung mit dem Ancien Régime: Aufhebung kirchlicher Feudalrechte, Abschaffung des Zehnten und Enteignung des Kirchenguts auf Initiative des Bischofs Talleyrand von Autun. Kurzsichtig waren die Einführung der Zivil‐
verfassung des Klerus, die priesterliche Eidpflicht als Keim der Kirchenspaltung und die Ausweisung der Eidverweigerer. Kein Vorbild war die revolutionäre Kirchenfeindlichkeit mit ihrer Steigerungsform der Dechristianisierung. Ambivalent war schließlich die Erkenntnis, dass radikaler Atheismus eine sozial desintegrierende Wirkung und alternative Kulte einen ideologischen Nutzen haben konnten.
Fazit: Die Französische Revolution erwies sich als Katalysator demokratischer Elemente, konkrete Utopie einer selbstbestimmten Gesellschaft und Paradigma für Modernisierung und Gegenrevolution.