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Universalisierbare Elemente in der Dekade der Französischen Revolution

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Academic year: 2022

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I. Die Französische Revolution als komplexer historischer Prozess    

a) Mai 1789 bis September 1792: Konstituante, Legislative, Krieg und Königssturz   

(1) Die Französische Revolution war ein komplexer historischer Prozess. Sie lässt sich nicht erklären als  eindimensionaler  „Block“  mit  monokausalem  Ursprung.  Sie  entstand  durch  ein  Bündel  von  Auf‐

lehnungen  verschiedener  Bevölkerungsschichten  mit  unterschiedlichen  Zielen  gegen  eine  außer‐

gewöhnliche  Funktionsunfähigkeit  des  Staatsapparats.  Die  Selbstausrufung  des  Dritten  Stands  als  Nationalversammlung am 17. Juni 1789 war eine Verfassungsrevolution gegen die Krone als den bis‐

herigen  Repräsentanten  des  Volkes.  Ihre  Voraussetzungen  waren  einerseits  die  Einberufung  der  Generalstände 1788 wegen eines Finanznotstands aufgrund der Reformblockade der Parléments im  Kampf des Adels gegen den König, anderseits die Zuspitzung einer Sinnkrise der Ungleichbehandlung  von Privilegierten und Nichtprivilegierten, bei der liberale Privilegierte das Lager der Nichtprivilegier‐

ten unterstützten. Ziel dieser Auflehnung des durch Teile des Adels und des Klerus verstärkten Dritten  Stands war die konstitutionelle Monarchie. Sie war keine bürgerliche Revolution im Sinn eines Strebens  nach Wirtschaftsmacht, sondern geprägt durch die politische Überwindung des Ancien Régime. 

 

Überlagert  wurde  diese  Entwicklung  durch  eine städtische  Revolution  klein‐  und  unterbürgerlicher  Schichten  mit  primär  wirtschaftlicher  Zielrichtung.  Sie  wurde  ausgelöst  durch  kurzfristige  Erscheinungen wie Ernährungskrise und Niedergang der französischen Textilwirtschaft sowie mittel‐

fristige Phänomene wie Bevölkerungsvermehrung und Agrarkommerzialisierung. Dabei verkoppelten  sich Brotaufstände mit Widerstand und Gewaltausübung gegen das Ancien Régime. Dies äußerte sich  nach Entlassung Neckers und Konzentration königlicher Truppen in Versailles im Sturm auf die Pariser  Bastille  und  ähnlichen  Unruhen  in  anderen  Städten  Frankreichs.  Der  14.  Juli  war  auch  die  Geburts‐

stunde der Nationalgarde, die während der Revolutionszeit eine ambivalente Position einnahm. – Fast  zeitgleich kam es in Reaktion auf Gerüchte einer Verschwörung der Aristokratie zu Bauernaufständen  auf  dem  Land  („Grande  Peur“)  gegen  Feudalherren  und  Modernisierung  der  Landwirtschaft.  Der  Beschluss der Nationalversammlung vom 4. August 1789 zur Abschaffung der Feudalrechte gegen den  Willen des Königs markierte das Ende des Ancien Régime und den Übergang in eine soziale Revolution. 

Zur Abwendung des Staatsbankrotts wurden im November 1789 Kirchengüter enteignet und National‐

güter verkauft. Nutznießer waren vor allem Adel, Bürgertum und Großbauern.  

 

(2) Der König verkannte die Zeichen der Zeit. Er wollte weder die Adelsprivilegien aufheben noch seiner  Selbstentmachtung durch Anerkennung der Volkssouveränität zustimmen. Sein Zögern, die Dekrete  über  Feudalrechte,  Menschenrechte,  Einkammersystem  und  Suspensivveto  zu  sanktionieren,  provozierte  den  Zug  der  Frauen  nach  Versailles.  Dessen  Folge  einer  Verlegung  des  Hofs  und  der  Nationalversammlung nach Paris forcierte eine politische Öffentlichkeit mit Presse, Klubs und einer  Auffächerung politischer Tendenzen. Bald zeigten sich erste Sollbruchstellen. Die bürgerlich geprägte  Konstituante schloss im April 1790 weite Teile unterbürgerlicher Schichten vom Wahlrecht aus. Der  Zugriff  auf  Kirchengut,  die  Einführung  der  Zivilverfassung  des  Klerus  und  dessen  Eidpflicht  gaben  religiös motivierten Revolutionsgegnern Auftrieb. Das Koalitions‐ und Streikverbot vom Mai 1791 (loi  Le Chapelier) mobilisierte eine Volksbewegung zur Einforderung sozialer Rechte. Die Flucht des Königs  nach  Varennes  im  Juni  offenbarte  dessen  Doppelspiel.  Politisch  löste  sie  eine  republikanische  Petitionsbewegung  unterbürgerlicher  Schichten  aus,  die  auf  Weisung  der  Konstituante  von  der 

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Nationalgarde Lafayettes im Marsfeldmassaker niedergeschlagen wurde. Das bewirkte den ersten Riss  zwischen liberalen Revolutionsführern und republikanisch‐demokratischen Kräften. Zugleich kam es  zur Spaltung des Dritten Stands und des Jakobinerklubs. Die Septemberverfassung spiegelte mit der  Überwindung von Feudalismus und Absolutismus, konstitutioneller Monarchie sowie Gewährleistung  von  Freiheitsrechten  und  Rechtsgleichheit  die  Interessen  des  Bürgertums.  Ungelöst  blieben  die  Widersprüche zwischen Konstituante und König, repräsentativer Legislative und direktdemokratischer  Basisbewegung sowie revolutionärer Politik und sozialer Gleichheit.  

 

(3) Die Lage verschärfte sich ab April 1792 mit der Kriegserklärung gegen Österreich, die den Wider‐

stand der Emigranten brechen und von der Wirtschaftskrise ablenken sollte. Von jetzt an stand die  Revolution im Zeichen des Krieges und der Radikalisierung. Das königliche Veto gegen Beschlüsse der  Legislative zur Deportation eidverweigernder Priester und zur Einberufung föderierter Truppen nach  Paris führte im Juni zum Sturm der Sektionen auf die Tuilerien. Ihr zweiter Tuileriensturm im Verein  mit den Föderierten endete am 10. August mit der Absetzung und Verhaftung des Königs sowie der  Einsetzung eines neuen Exekutivkomitees mit dem Justizminister Danton. Als dann im Norden Frank‐

reichs Invasionstruppen eindrangen, brach mit dem Septembermassaker gegen Pariser Gefangene die  ungebremste Volksjustiz durch. Am Anfang der Republik stand die Gewalt unterbürgerlicher Massen.  

 

b) September 1792 bis Juli 1794: Konvent, Krieg, Bürgerkrieg und terreur   

(1) Im neugewählten Konvent kam es zu einer Rivalität zwischen der dominierenden Gironde und der  jakobinischen Montagne. Die Girondisten plädierten für Fortsetzung des Kriegs und Beendigung der  Revolution, die Jakobiner unterstützten aus taktischen Gründen die Forderungen der Pariser Sektionen  nach  sozialer  Gleichheit,  Höchstpreisen  für  Lebensmittel  und  staatlicher  Versorgung.  Erste  Kriegs‐

erfolge der französischen Armee in Savoyen, im Rheinland (Mainzer Republik) und in Belgien führten  zur Besetzung der eroberten Gebiete mit der nationalistischen Parole von den „natürlichen Grenzen“. 

Die Verurteilung des Königs durch den Konvent zum Tod und seine Hinrichtung am 21. Januar 1793  waren  der  Auftakt  für  politische  Justiz,  Sondergesetze  und  zunehmende  Herrschaftsausübung  der  Sektionen.  Der  erfolgreiche  Eintritt  Englands  und  anderer  europäischer  Mächte  in  den  Krieg,  royalistische Bauernaufstände in der Vendée sowie Hungersnot und Inflation drohten die Revolution  zu gefährden. 

 

(2) In dieser Lage reagierte die Revolutionsführung sukzessive mit Justizterror und Sozialmaßnahmen,  einer neuen Verfassung und einer Kriegsdiktatur mit institutionalisiertem Staatsterror. Das im März  etablierte Revolutionstribunal, das als Surrogat für die entfesselte Volksjustiz dienen sollte, setzte die  Menschenrechte  faktisch  außer  Kraft.  Der  Konvent  wurde  vom  Wohlfahrtsausschuss  abhängig.  Die  Sektionen erzwangen Anfang Juni durch Belagerung des Konvents die Verhaftung der Girondisten als  Terrorgegner. Zuvor hatten sie eine Höchstpreisverordnung für Getreide durchgesetzt. Der jakobini‐

sche Restkonvent stabilisierte die kleinbäuerliche Landwirtschaft durch Verkauf parzellierter Emigran‐

tengüter und Aufteilung der Allmende. Die Juni‐Verfassung statuierte ein allgemeines Wahlrecht, eine  Kombination von repräsentativer und direkter Demokratie, die Aufhebung der Gewaltenteilung sowie  soziale Gleichheit und ein Recht auf  Arbeit; sie  trat nicht in  Kraft. In  der außen‐ und innenpolitisch  gefährlichsten Situation im Sommer ging Robespierre als neuer Chef des Wohlfahrtsausschusses auf  Druck der terreur der Sektionen zur legalen terreur als einer Art staatlich kontrollierten Bürgerkriegs  über. Die Sansculottes nötigten den Konvent zur Schaffung der armées révolutionnaires, die das Land  durch Vandalismus und Dechristianisierung terrorisierten. Bloß Verdächtige, auch Girondisten, wurden 

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im  ganzen  Land  massenweise  hingerichtet.  Der  Aufstand  in  der  Vendée  wurde  militärisch  nieder‐

geschlagen und endete Anfang 1794 mit einem Vernichtungsfeldzug. 

 

(3) Ab Ende 1793 zeigten die Modernisierung der Armee und die levée en masse ihre Wirkung. Belgien  wurde zurückerobert, Holland zur Republik erklärt und der Vorstoß Österreichs zurückgeschlagen. Die  revolutionäre Kriegsideologie zielte universalistisch auf Befreiung aller Völker, im Kern war sie aber  nationalistisch. Im Innern setzte der Konvent den Kampf gegen Eidverweigerer fort und trat aus Staats‐

räson dem radikalen Antiklerikalismus der Sansculottes entgegen. Er führte den Revolutionskalender  ein und das „Fest der Vernunft“ in Notre‐Dame. Der Wohlfahrtsausschuss befreite noch im März den  Konvent vom Druck der Straße durch Entmachtung der sozialrevolutionären Bewegung, Hinrichtung  ihrer Führer und Auflösung der Revolutionsarmeen; zugleich senkte er das Lohnmaximum. Robespierre  führte im Juni seinen deistischen Kult des Höchsten Wesens ein und begann mit der Tugenddiktatur  der „grande terreur“, die in sechs Wochen über tausend Hinrichtungen zur Folge hatte. Am 27. Juli  setzte  ihn  der  Wohlfahrtsausschuss  ab  und  ließ  ihn  hinrichten.  Nach  der  Vernichtung  des  inneren  Feinds und dem Sieg über den äußeren war die terreur nicht mehr zu rechtfertigen. Robespierre hatte  die  Gefolgschaft  der  Sansculottes  verloren,  bürgerliche  Zukunftsängste  hatten  gegen  die  Tugend‐

ideologie obsiegt. Die Revolutionsregierung wurde abgeschafft, die Wirtschaft reprivatisiert. 

 

c) Juli 1794 bis November 1799: Bürgerrepublik, Direktorium, Militarisierung und Napoleon   

(1) Der Machtwechsel führte zu Reaktion und Repression. Es kam zum Weißen Terror gegen politische  Häftlinge, radikale Mitglieder der Revolutionsregierung wurden deportiert und Jakobiner hingerichtet. 

Nach Rückkehr der Girondisten in den Konvent traten an die Stelle der Maximum‐Dekrete Wirtschafts‐

freiheit und Inflation. Das löste neue Agitationen der Sansculottes aus, deren Sturm auf den Konvent  unter dem Motto „für Brot und die Verfassung von 1793“ im Mai 1795 durch militärische Verteidigung  des Konvents gegen „das Volk“ beendet wurde. Eine massive Repressionswelle gegen links war auch  das Ende der Sansculottes, Volksaufstände ohne Zustimmung aus dem Bürgertum hatten keine Chance  mehr.  Die  Gefahr  von  rechts  durch  ein  Landungsunternehmen  der  Emigranten  wurde  gebannt. 

Bestimmend war wieder das liberale Bürgertum. Die in der Revolution aufgestiegenen Notabeln im  Konvent hielten den bürgerlichen Interessen politisch den Rücken frei. 

 

(2) Die im September vom Konvent angenommene Verfassung schränkte das allgemeine Wahlrecht  wieder  ein,  kehrte  zur  Rechtsgleichheit  zurück  und  erteilte  mit  einer  strikten  Gewaltenteilung  der  staatlichen Diktatur ebenso wie der radikalen Demokratie eine klare Absage. Beschlossen wurden ein  Zweikammersystem mit jährlichem Austausch eines Drittels der Abgeordneten und als Exekutive ein  fünfköpfiges  Direktorium  mit  wechselndem  Vorsitz.  Das  Revolutionstribunal  wurde  aufgelöst,  Paris  dezentralisiert,  die  Assignaten  abgeschafft  und  die  Trennung  von  Staat  und  Kirche  bestimmt.  Die  Privatisierung weiterer Nationalgüter führte zur Umverteilung an wohlhabende Bürger, was länger‐

fristig die Modernisierung der Landwirtschaft in Frankreich verzögerte. Einen im Oktober versuchten  Aufstand  der  Royalisten  gegen  die  verfassungswidrige  Selbstbedienung  der  Thermidorianer  mit  Mandaten schlug das Militär unter General Bonaparte nieder.  

 

(3) Die Instabilität der mechanistischen Verfassung bedingte eine wachsende Neigung zum Krieg und  zur Politik des Staatsstreichs. Nach der Annektion Belgiens und des Rheinlands sowie dem Beginn des  Italienfeldzugs Bonapartes im Frühjahr 1796 kam es 1797 im Frieden von Campo Formio zur Abtretung  des linken Rheinufers und Venedigs an Frankreich. 1798 wurden die Schwesterrepubliken Schweiz und 

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Italien gegründet, Bonaparte zog nach Ägypten. Innenpolitisch führte ein Wahlsieg der Royalisten im  September 1797 erstmals zum Einsatz des Militärs gegen verfassungsrechtlich legitimierte Organe, die  Royalisten  wurden  aus  den  Kammern  und  dem  Direktorium  entfernt.  Nach  dem  Wahlsieg  der  Neojakobiner im Frühjahr 1798 annullierte das Direktorium die jakobinischen Mandate. Der erneute  Wahlsieg der Neojakobiner 1799 führte zum erzwungenen Rücktritt dreier Direktoren, zum Eintritt von  Sieyès und zur Ausrufung des Kriegszustands über weite Teile Frankreichs. Die Militärs strebten eine  soziale Militarisierung an, die Restauration besorgten aber die Revolutionäre. Sie brachten Bonaparte  an die Macht und ließen im Staatsstreich vom 10. November die militärische Auflösung des Rats der  500 tatenlos geschehen. 

   

II. Kulturelle Instrumente der gesellschaftlichen Umgestaltung   

a) Rhetorik der „Revolution“ 

 

(1)  Der  alte  Wortsinn  von  Revolution  war  ein  „Kreislauf“  der  drei  Verfassungsformen  Monarchie,  Aristokratie  und  Demokratie  im  Gegensatz  zu  Bürgerkrieg  und  Rebellion. In  der  Aufklärung  wurde 

„Revolution“ der Gegenbegriff zum Bürgerkrieg. Diese optimistische Deutung war Folge der Erfahrung  der unblutigen glorious revolution. Seit Diderot hatte Revolution ein offenes Ende : « Quelle sera la  suite de cette révolution ? On l’ignore », sagte er, und schloss damit eine Gegenrevolution ein.  

 

(2) 1789 begründete der Begriff der Revolution einen neuen Horizont. Als Kollektivsingular bezeichnete  er  die  untrennbare  Verbindung  von  revolutionärem  Prozess  und  dem  auf  ihn  zurückwirkenden  Bewusstsein,  der Erfahrung  der  Beschleunigung.  Jede  Bewegung  war  „revolutionär“,  der  Konter‐

revolutionär ein Staatsfeind, weil auch der Staat in Bewegung war. Durch die Erklärung der Menschen‐

rechte  wurde  ein  sozialer  Erwartungsraum  geöffnet,  das  Programm  drängte  auf  Realisierung  und  markierte den Schritt von der politischen zur sozialen Revolution. Adressat war die gesamte Mensch‐

heit, die Revolution galt als räumlich global und zeitlich von Dauer. Deshalb endete sie nicht mit der  Restauration, im Juli 1830 sprach man von der „Revolution in Permanenz“. « Une loi révolutionnaire »  war schon für Condorcet ein Gesetz zur Aufrechterhaltung der Revolution. Neu war 1789 der Begriff  des Revolutionärs als Beruf und vor allem die Erfahrung, dass Menschen Revolution machen können.  

 

(3) Daneben gab es die Schlüsselwörter Nation, Gesetz und Vernunft als funktionale Äquivalente könig‐

lichen  Charismas.  Die Sprache  war das  Instrument  des  politischen  Wandels  durch  Reden,  Diskurse,  Zeitungen, Flugblätter, Plakate und Bilder. Verschwörung galt als Verrat an der Nation, Parteien waren  Verrat an der Gemeinschaft; Terror war Ausdruck von Tugend, Revolutionsherrschaft „Despotie der  Freiheit  über  die  Tyrannei“.  Den  revolutionären  Traditionsbruch  bezeichneten  Begriffe  wie  „Ancien  Régime“, „Revolutionskalender“ als neue Zeitrechnung und die Dezime für neue Maße und Gewichte.  

 

b) Symbolische Formen sozialer Umgestaltung   

Erinnerungskultur (Bastillesturm, Tuilerien, Pantheonisierung Mirabeau, Voltaire; Patriot Palloy);  

Freiheitssymbole (trikolore Kokarde, Phrygiermütze, Freiheitsbaum, patriotischer Altar, Pike);  

Allegorien (antike Helden, Herkules als Staatssiegel, das Auge als Wachsamkeitssymbol); 

Festkultur (Föderationsfest, Fest der Vernunft Notre‐Dame [David], Feste in der Direktorialzeit); 

kulturrevolutionäre Kleidung der Sansculottes als Zeichen egalitärer sozialer Orientierung; 

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revolutionäre Namensgebung (neue Vornamen, Umbenennungen von Orten und Straßen). 

Eingerahmt  wurde  diese  Praxis  unter  Robespierre  von  der  allerdings  alles  andere  als  symbolischen  Tugenddidaktik als Integrationsideologie und Propagierung des absoluten Vorrangs des öffentlichen  Interesses.  

 

c) Dechristianisierung, Umerziehung und revolutionäre Rituale   

Die Zivilverfassung des Klerus war Teil der Entmachtung der dem Ancien Régime verbundenen Kirche,  die verstaatlichte Primarschule diente zur revolutionären Erziehung und zur Bildung neuer Menschen,  der Verfassungseid stand für eine sakrale Akkulturation in der Republik, 

der deistische Kult war die Alternative zur katholischen Religion, an deren Stelle er treten sollte,   und mit revolutionären Freiheitsmärtyrern (Le Pelletier, Marat u.a.) wurde das kirchliche Ritual der  Erinnerung an frühchristliche Märtyrer instrumentalisiert und säkular gewendet –  

alles in allem eine Umwertung der Werte. 

   

III. Längerfristige Modernisierungsimpulse der Revolution   

a) Grundlagen für die Ausformung der bürgerlichen Gesellschaft   

Modernisierungsimpulse gab die Französische Revolution vor allem für die Ausformung der bürger‐

lichen  Gesellschaft. Mit der  Überwindung der ständischen  Gliederung und der Abkehr vom  Feudal‐

system eröffnete sie ein neues sozialpolitisches Modell als Bedingung der Möglichkeit von Demokratie. 

Wegweisend war hier die geschriebene Verfassung als rechtlicher Rahmen politischer Herrschaft und  als Gewährleistung von Freiheit, Rechtsgleichheit und Privateigentum. Hinzu kamen Unabhängigkeit  der Justiz und Steuerbewilligungsrecht des Parlaments als Grundelemente einer liberalen Verfassung. 

Mental war von besonderer Bedeutung die Erfahrung der Machbarkeit revolutionärer Veränderungen. 

 

b) Politische Mobilisierung und Erprobung demokratischer Standards   

Zukunftsweisend war die Erfahrung von politischer Öffentlichkeit und Pressefreiheit, ebenso die Frage  nach deren Grenzen. Durch die Druckfreiheit wurden alte Privilegien gebrochen. Politische Interessen  und Diskurse organisierten sich in diversen Klubs und Volksversammlungen. Dabei kamen politische  Übereinstimmungen  als  Konservative,  Liberale,  demokratische  Linke  und  in  der  Form  basisdemokratischer Bewegungen zum Vorschein. 

 

c) Verfassungsrechtliche Lernprozesse als Erfahrung für die Zukunft   

Politische Erfahrungen sammelten die  Revolutionäre auch  mit diversen Verfassungsformen von der  konstitutionellen Monarchie mit monarchischem Prinzip, Oberhaus und königlichem Vetorecht bis zur  Parlamentarisierung mit Volkssouveränität, Einkammersystem und Budgetrecht. Sie setzten Impulse  mit der Erprobung von Modellen repräsentativer und direkter Demokratie sowie ansatzweise mit der  Gestaltung des Wahlrechts, vor allem bei den Verfassungsreferenden 1793 und 1795. Lehren für die  Zukunft ergaben sich aus dem Staatsterror der Jakobinerdiktatur und dem Einfluss sozialrevolutionärer  Basisbewegungen.  Eine  singuläre  Erfahrung  war  die  napoleonische  Monarchie  als  autoritäre 

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Herrschaft  mit  Akklamation  des  Volkes.  Insgesamt  bot  die  Revolution  einen  Modellbaukasten  für  zukünftige Verfassungen. 

 

d) Sozialökonomische Modernisierung   

Modernisierungsimpulse gab es auch in sozialökonomischer Hinsicht. Hier war die Erfahrung wichtig,  dass die Entfeudalisierung durch Überführung in bürgerliche Rechtstitel oder durch entschädigungs‐

lose  Enteignung  bewirkt  werden  konnte.  Ständische  Relikte  wie  Zünfte  und  Gilden  wurden  durch  moderne Formen organisierter Interessen ersetzt. Eine Sackgasse war das Verbot von Koalitionen und  Streiks,  exemplarisch  dagegen  der  politische  Ausgleich  sozialer  Interessen  durch  Instrumente  wie  staatliche Werkstätten und sozialstaatliche Elemente. Entgegen marxistischer Deutung gab es keinen  Klassenkampf zwischen Kapital und Proletariat, weil Klassen noch nicht existierten, die revolutionären  Akteure  nicht  klassenmäßig  organisiert  waren  und  die  Revolution  den  Industriekapitalismus  eher  gehemmt als befördert hat. Dazu trug auch die Stärkung bäuerlicher Kleinbetriebe bei, weil sie eine  Abwanderung vom Land ins städtische Proletariat verzögerte. 

 

e) Emanzipationsprozesse, Freund‐Feind‐Denken und Antinomien   

(1) Die Revolution setzte Maßstäbe mit der Überwindung der patriarchalischen Ordnung von Staat und  Gesellschaft.  Frauen  konnten  sich  zwar  eher  weniger  politisch,  aber  vor  allem  sozial  emanzipieren,  Erbrecht und Ehescheidung wurden ebenso durchgesetzt wie das bürgerliche Familienmodell möglich  wurde.  Grenzen  der  Realisierung  des  Gleichheitsgrundsatzes  zeigten  sich  dagegen  bei  der  Emanzipation der Juden sowie bei der Gleichstellung der Farbigen in den Kolonien, die den Handels‐

interessen Frankreichs und der kolonialen Selbstverwaltung nachgeordnet wurde (1794 Abschaffung  Sklaverei, 1799 Wiedereinführung, 1803 Republik Haiti). 

 

(2) Die Selbstkonstitution des Dritten Stands als „Nation“ bedingte in gewisser Weise ein Denken in  Freund‐Feind‐Kategorien. Einerseits wurden Emigranten ausgebürgert und eidverweigernde Priester  deportiert, andererseits erprobte man mit dem ius soli ein modernes Bürgerrecht. In Zeiten des Krieges  überwog allerdings das Interesse an der Überwachung und Diskriminierung von Fremden. 

 

(3) Modernisierend wirkte die Neuordnung kirchlicher Verhältnisse als Folge ihrer Verbindung mit dem  Ancien  Régime:  Aufhebung  kirchlicher  Feudalrechte,  Abschaffung  des  Zehnten  und  Enteignung  des  Kirchenguts auf Initiative des Bischofs Talleyrand von Autun. Kurzsichtig waren die Einführung der Zivil‐

verfassung des Klerus, die priesterliche Eidpflicht als Keim der Kirchenspaltung und die Ausweisung der  Eidverweigerer. Kein Vorbild war die revolutionäre Kirchenfeindlichkeit mit ihrer Steigerungsform der  Dechristianisierung. Ambivalent war schließlich  die  Erkenntnis, dass radikaler  Atheismus eine sozial  desintegrierende Wirkung und alternative Kulte einen ideologischen Nutzen haben konnten.  

 

Fazit:  Die  Französische  Revolution  erwies  sich  als  Katalysator  demokratischer  Elemente,  konkrete  Utopie einer selbstbestimmten Gesellschaft und Paradigma für Modernisierung und Gegenrevolution. 

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