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Die Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz in der Franzosenzeit Fakten und Fiktionen

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Die Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz in der Franzosenzeit – Fakten und Fiktionen

Die Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz in der

Franzosenzeit – Fakten und Fiktionen Veranstalter:Stiftung Mecklenburg; Europäi- sche Akademie Mecklenburg-Vorpommern Datum, Ort: 08.11.2013-09.11.2013, Wa- ren/Müritz

Bericht von:Günter Kosche, Historisches In- stitut, Universität Rostock

Auch die beiden mecklenburgischen Herzog- tümer waren bis 1813 von der französischen Besatzung betroffen und in die Auseinander- setzungen darum einbezogen. Die Stiftung Mecklenburg (Schwerin) und die Europäische Akademie Mecklenburg-Vorpommern (Wa- ren) veranstalteten dazu am 8./9.11.2013 ei- ne wissenschaftliche Tagung zum Thema:

„Die Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz in der Franzosen- zeit – Fakten und Fiktionen“. Namhafte Re- gionalhistoriker legten ihre Forschungsergeb- nisse und Sichtweisen zu ausgewählten As- pekten des Geschehens vor 200 Jahren vor, mit dem Ziel, überkommene Irrtümer, Legen- den und Mythen zu destruieren.

HELMUTH FREIHERR VON MALTZAHN (Ulrichshusen), Vorstandsvorsitzender der Stiftung sowie der Europäischen Akademie, begrüßte die Teilnehmerinnen und Teil- nehmer mit einem pointierten historischen Exkurs, in dem er die landesgeschichtli- chen Ereignisse mit der Geschichte seiner Familie verband. Dabei bestätigte er en passant die Einsicht, dass wissenschaftliche Geschichtsbetrachtung und fiktives Erzählen einander zwar einerseits ausschließen, aber Wirklichkeit und Imagination, Tatsachen und Erdichtetes sich in unserem Geschichts- bewusstsein andererseits immer wieder vermischen, weshalb die Grenzziehung durch Historiker und die Produkte ihrer Forschungsarbeit nötig ist, um das Reale von den mannigfaltigen Formen des Fiktiven zu trennen.

Einführend beschrieb GÜNTER KOSCHE (Rostock) die Vielschichtigkeit der Aktivitä- ten in der Gegenwart zur Erinnerung an die Kämpfe gegen die Napoleonische Fremd- herrschaft 1813. Deren Grundanliegen ent- sprach auch die Zielstellung der Tagung an

der Europäischen Akademie Mecklenburg- Vorpommern: Pflege der Erinnerungs- und Geschichtskultur durch eine kritische Be- trachtung der „Franzosenzeit“ sowie der Kämpfe, die im Frühjahr und Herbst 1813 das Ende der napoleonischen Ära in Europa ein- leiteten, aus der regionalgeschichtlichen Per- spektive, das heißt durch die „mecklenburgi- sche Brille“.

In seinem Einführungsvortrag untersuch- te ROBERT RIEMER (Greifswald) in einer zwanzigjährigen Zeitreise das Verhältnis zwi- schen Napoleon und Deutschland, um da- bei die „Franzosenzeit“ in Mecklenburg in den „nationalen“ und europäischen Kontext einzuordnen. Er richtete den Blick besonders auf jene Berührungspunkte in der deutsch- französischen Geschichte von 1792 bis 1815, in denen sich die gesellschaftspolitischen Bezie- hungen und militärischen Ziele der Kontra- henten schlaglichtartig offenbaren. Der Refe- rent zeichnete deshalb in einer tour d’horizont einen weiten Bogen von den Auswirkungen der Französischen Revolution auf das Alte Reich über den Aufstieg und die Herrschaft Napoleons bis hin zu seinem Sturz und dem Wiener Kongress. Berührungspunkte gab es viele. Allein die Tatsache, dass in jedem der sechs Koalitionskriege mindestens eine der beiden deutschen Großmächte – Österreich und/oder Preußen – Frankreich bzw. Na- poleon kämpfend gegenüberstand, verweist auf die Konflikte und Bündnisverpflichtun- gen sowie die daraus resultierenden umfang- reichen Wechselwirkungen. Schließlich sorg- ten Macht und Einfluss Napoleons im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, als er nach der deutschen Staatenwelt griff, nicht nur für den Untergang des Heiligen Römischen Reiches, sondern auch für eine – wenn auch in Wien deutlich gebremste – Umstrukturierung und Modernisierung Europas und Deutschlands.

MICHAEL BUSCH (Hamburg/Rostock) behandelte in seinem Vortrag über die meck- lenburgischen Stände zwischen Modernisie- rung und Beharrung die Frage, ob in den bei- den mecklenburgischen Herzogtümern mit dem Beitritt zum Rheinbund eine Reform- politik einsetzte und ob der Weg zu mo- derner Staatlichkeit und Staatsbürgergesell- schaft beschritten wurde. In seinen Ausfüh- rungen untersuchte er das Verhältnis der

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vor allem die Bereitschaft zur Auflösung der Lehnsverfassung und der Leibeigenschaft so- wie zur Beseitigung altadeliger Privilegien.

„Wenn ja“, so lauteten seine Problemfragen,

„wer waren dann die Träger dieser Reformen, welche Gruppen und Netzwerke bestanden, um sie durchzuführen oder um sie zu verhin- dern?“ Anhand der Konvents- und Landtags- verhandlungen der Jahre 1806/08 und 1813 konnte Michael Busch überzeugend darlegen, dass nahezu alle Reformanstrengungen der herzoglichen Regierung und eines aufgeklär- ten Teils der mecklenburgischen Stände von der Mehrheit der ultrakonservativen Ritter- schaft blockiert wurden, die dafür in erheb- lichem Maße die Staatschulden beglich. Auf dem Gebiet der Judenemanzipation jedoch wurde Mecklenburg für kurze Zeit zum Vor- reiter. Mit dem Emanzipationsedikt vom 22.

Februar 1813, das in wesentlichen Teilen ohne Wissen und Beteiligung der Stände, von den jüdischen Gemeindevorstehern selbst verfasst worden war, erhielten die Juden in Meck- lenburg für einige Jahre gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten wie die Christen, bis – begünstigt durch die nahezu überall im Deutschen Bund herrschende revisionistische Stimmung – auf Betreiben der Stände dieses mecklenburgische Edikt am Ende des Jahres 1817 aufgehoben wurde.

Über die Beteiligung mecklenburgischer Truppen in den Napoleonischen Kriegen von 1806 bis 1815 referierte der Militärhistoriker KLAUS-ULRICH KEUBKE (Schwerin). Da- bei stützte er sich vor allem auf die Re- sultate seiner langjährigen Forschungen und wies nach, dass beide mecklenburgische Her- zogtümer, die durch die erzwungene Mit- gliedschaft im Rheinbund zur aktiven Teil- nahme an den Kriegen Napoleons verpflich- tet waren, besonders hohe Verluste im Feld- zug gegen Russland 1812 erlitten. So überleb- ten nach den statistischen Analysen des Red- ners vom Schweriner Kontingent-Regiment den „Marsch durch Feuer und Eis“ nur 6,8 Prozent der Mannschaften und Unteroffiziere und sogar nur 5,2 Prozent der Offiziere. Ähn- lich erging es den Truppen aus Mecklenburg- Strelitz. Nachdem jedoch das Schicksal der

Rheinbund los und kämpften fortan auf der Seite der Verbündeten gegen Napoleon. Letzt- lich boten sie an die 10.000 Männer auf, die in den Befreiungskriegen 1813-1815 gegen den französischen Usurpator ins Feld zogen.

Einen wichtigen Platz nahmen im Rahmen der Tagung historische Persönlichkeiten ein, die sich im Ringen gegen die französische Vorherrschaft und die zunehmende Tyrannei Napoleons einen großen Namen machten. Zu den „Helden aus Leidenschaft“ gehört Major Ferdinand Baptista von Schill aus Wilmsdorf bei Dresden ebenso wie der preußische Gene- ralfeldmarschall Gebhard Leberecht von Blü- cher aus Rostock. Jede deutsche Gesellschafts- ordnung hat sie sich alsihreHelden zurecht- gelegt, die bis heute in vielgestaltigen Mythen und Legenden fortwirken. Die Fakten der Er- eignisgeschichte von den Fiktionen zu tren- nen, war Anliegen der Referenten Wolf Karge und Karl-Heinz Steinbruch.

Der Rebellenzug Schills 1809 durch Westfa- len und Norddeutschland wurde von KARL- HEINZ STEINBRUCH (Schwerin) eingehend beschrieben. Er stellte fest, dass diese Ge- schichte bereits in hunderten Publikationen behandelt wurde. Im Mittelpunkt seiner Be- trachtung stand die Flucht des schillschen Freikorps durch Mecklenburg und Vorpom- mern bis zu seinem tragischen Ende in den Straßen von Stralsund. Dabei hob er her- vor, dass der Mythos der Heldenfigur Schill bereits von den Zeitgenossen (Ernst Moritz Arndt) konstruiert wurde. Steinbruch charak- terisierte den Zug, mit dem Schill das Fa- nal zum Aufstand gegen Napoleon geben wollte eher als Ausdruck von Tollkühnheit denn strategisch überlegten Handelns. Einge- hend schilderte der Referent die Auswirkun- gen auf die Bevölkerung der mecklenburgi- schen Orte, in denen Schills Freikorps Stel- lung bzw. Quartier bezog; zum Beispiel in Dömitz. Noch deutlicher wurde dieser As- pekt durch die Vorstellung seiner neuesten Forschungsergebnisse über die wirtschaftli- chen Belastungen des mehrtägigen Aufent- haltes der schillschen Husaren für die Bewoh- ner der Stadt Wismar, die er gerade durch die Auswertung von Ratsakten im Stadtar-

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Die Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz in der Franzosenzeit – Fakten und Fiktionen

chiv Wismar gewonnen hatte.

WOLF KARGE (Schwerin) schilderte den Lebensweg und die Lebensleistung des Man- nes, den – nach seiner Aussage – die russischen Waffenbrüder hochachtungsvoll

„Ìapøaëë ïîø¼ë – Marschall Vorwärts“

nannten:Gebhard Leberecht von Blücher. Er charakterisierte ihn als eine der großen patrio- tischen Identifikationsfiguren der deutschen Geschichte im Allgemeinen und der Befrei- ungskriege im Besonderen und nannte ihn den „richtigen Mann – zur richtigen Zeit – am richtigen Ort.“ (Die Ausstellung des Stadt- geschichtlichen Museums Leipzig, die am 4.

September 2013 eröffnet wurde und bis zum 5. Januar 2014 zu sehen war, zählt ihn zu den

„Helden nach Maß“.) Die Huldigungen, Ehr- bezeugungen und Auszeichnungen, die ihm bereits zu Lebzeiten zuteil wurden, sind nach Karges Aussage Legion, darunter die bei- den ihm von den Universitäten Oxford und Berlin verliehenen Doktortitel honoris cau- sa. In Kenntnis der Persönlichkeit seines Pro- tagonisten gelang es Karge auch, den Fürs- ten von Wahlstatt vom Sockel der hehren Geschichtsschreibung zu holen und Blücher in einem ausgewogenen Gesamturteil als ei- nen blutvollen Menschen mit seinen Stärken und Schwächen, Ecken und Kanten, Vorzü- gen und Nachteilen zu präsentieren. Unver- ständnis rief seine Mitteilung bei den Anwe- senden hervor, dass seine Geburtsstadt Ros- tock über die größte Sammlung von Blücher- unterlagen bzw. -devotionalien verfügt, diese aber bislang nicht ausgestellt hat.

An den Befreiungskriegen beteiligten sich auch elf – bislang namentlich bekannte – Frauen, getarnt in Männerkleidung mit der Waffe in der Hand. Zu ihnen gehörte Friede- rike Krüger aus Friedland, die 1814 mit in Pa- ris einzog und vom preußischen König Fried- rich Wilhelm III. als erste Frau das von ihm gestiftete Eiserne Kreuz verliehen bekam. Die Stiftungsurkunde wurde bewusst auf den 10.

März 1813 datiert, den Geburtstag der Köni- gin Luise.

Über Königin Luise und die preußische Po- litik zu Beginn des 19. Jahrhunderts berich- tete in einem kurzweilig gehaltenen Vortrag MANFRED JATZLAUK (Rostock). Einleitend stellte er heraus, dass sich Preußen durch die Einflussnahme Napoleons auf die Entwick-

lung in Deutschland nicht nur brüskiert, son- dern regelrecht provoziert sah. Die Königin Luise Auguste Wilhelmine Amalie, Herzogin von Mecklenburg-Strelitz gehörte zu den trei- benden Kräften, die ihren Ehegatten, den Kö- nig Friedrich Wilhelm III., zur Entscheidung drängten, Frankreich auch ohne Unterstüt- zung anderer Mächte den Krieg zu erklären.

Hauptsächlich beleuchtete der Referent aber die Rolle der Kabinette und der Ministerial- bürokratie. Dabei nahm er eine Umwertung der politischen Rolle der „Königin der Her- zen“, wie sie der Dichter und Philologe Au- gust Wilhelm von Schlegel bezeichnet hatte, vor und korrigierte die in den bekannten Bio- grafien vertretene Auffassung und in der Öf- fentlichkeit weit verbreitete Meinung über die

„preußische Madonna“ (Christine von Brühl) und destruierte die Legende von ihrer Ein- flussnahme auf die von Männern dominier- te praktische Politik der Hohenzollern, vor al- lem aber in der Begegnung zwischen ihr und Napoleon am 6. Juli 1807 im Hause des Justiz- kommissionsrates Ernst Ludwig Siehr in Til- sit.

Historiker unterliegen einem strikten Rea- lismusgebot und sind verpflichtet, darzustel- len und zu erklären, was im Leben von Men- schenwirklich passiert ist. Deshalb standen auch Faktizität und Authentizität im Vorder- grund bei der Betrachtung der zuvor aufge- führten Themen. Anders ist es hingegen bei den Schriftstellern und Dichtern. Sie haben die Freiheit, zu schildern und zu beschreiben, was möglicherweise hätte geschehen können.

Fritz Reuter liefert uns in Person und Werk ein augenscheinliches Beispiel.

Über Fritz Reuter und seine Erzählung

„Ut de Franzosentid“ berichtete CORNELIA NENZ (Stavenhagen). Angesichts bereits pu- blizierter ausgiebiger Betrachtungen von „Ut de Franzosentid“ behandelte sie das Thema vorwiegend aus dem Stavenhagener Blick- winkel, referierte darüber hinaus über die politisch motivierte Rezeption der Reuter- schen Erzählung. Obwohl Fritz Reuter selbst zu jener Zeit, als die aus dem Russland- Feldzug zurückströmenden Franzosen seine Vaterstadt besetzten, gerade erst zwei Jahre alt war, mussten die Vorfälle und Erlebnis- se mit ihnen in den Erzählungen der Stadt- bewohner eine große Rolle gespielt haben.

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erhaltung des städtischen Lebens verantwort- lich gewesen war. Für einige Episoden aus Reuters Erzählung finden sich auch Belege in Briefen des Stavenhagener Amtmanns Weber.

Fritz Reuter, seit 1859 Mitglied des National- Vereins, fand mit der Aufnahme des The- mas der Befreiungskriege bei den konserva- tiven wie den nationalliberalen Kräften Re- sonanz. Die Referentin zeigte an einigen Bei- spielen wie die politischen Verhältnisse, be- sonders die erneute Zuspitzung der deutsch- französischen Beziehungen, nicht nur zu er- höhter Aufmerksamkeit gegenüber dieser Er- zählung, sondern auch zu zahlreichen re- zeptionsgeschichtlich bemerkenswerten Ad- aptionen führten. Die in den Theatern ge- spielten Stücke erreichten eine besonders gro- ße Wirksamkeit in der Öffentlichkeit. Von 1870 an wurde die „Franzosentid“ nicht nur als Komödie, sondern in unterschiedlichen

„Zeitstücken“, „Zeitbildern“ und zwei Opern zu ausdrücklicher Kriegspropaganda auf die Bühne gebracht. Sie begleiteten den Deutsch- Französischen Krieg 1870/71 und fanden spä- ter agitatorische Verwendung im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg. Zum Abschluss des Vortrages wurden Szenen aus dem 1983 von NDR und DEFA in Stavenhagen gedrehten Film „Ut de Franzosentid“ gezeigt.

Mit ihren patriotischen Gedichten, die zum Teil vertont und als Lieder verbreitet wur- den, nahmen die „Dichter der Befreiungs- kriege“ entscheidenden Einfluss auf das Na- tionalbewusstsein der Menschen in Deutsch- land. Als gefühlsbetonte Medien hatten sie einen erkennbaren Anteil an Sinnstiftungs- prozessen im Kampf gegen die napoleoni- sche Fremdherrschaft. Dennoch ruft die Ly- rik der Befreiungskriege beim heutigen Le- ser weniger Zustimmung und Identifikation, sondern eher Reflexe von Abkehr und Dis- tanzierung hervor. ANDREA RUDOLF (Opo- le/Neubrandenburg) machte deutlich, dass die bewusste Auseinandersetzung mit den ly- rischen Texten jener Jahre gerade wegen der Gleichzeitigkeit von emanzipatorischen und chauvinistischen Elementen zur politischen wie zur literarischen Bildung gehören soll- te. An ausgewählten Beispielen belegte sie,

nalismus nicht aufrecht zu erhalten ist. Vie- le vaterländische Topoi wurden bereits frü- her ausgeformt. An Gedichten aus den Be- freiungskriegen zeichnete sie einen durchge- henden vornationalen bzw. nationalen Vater- landsdiskurs nach und untersuchte die Frage, ob es den Autoren tatsächlich um die Popu- larisierung des Bewusstseins ging, einer Na- tion anzugehören, um dadurch eine überre- gionale Mobilisierung der Bevölkerung in al- len Teilen Deutschlands zu erreichen. Von der Referentin wurde die enorme soziale Reich- weite der Aufrufe, ihr die Stände übergrei- fender Appell thematisiert. Sie arbeitete auch die Dichotomie der Geschlechterdarstellung in den lyrischen Texten heraus. Die anschlie- ßende Diskussion über Schwierigkeiten des Umgangs mit einer Lyrik die Fremdenhass und Kriegsgewalt verherrlicht, kam zu dem Ergebnis, dass das Unbehagen an solcher Lite- ratur solange nicht abreißen dürfte, wie nicht ein übergreifender Gesichtspunkt gefunden sei, von dem aus die Dinge ihre dialektische Natur offenbaren. Beide Tendenzen – nationa- le Emanzipation und hassvolle Feindbildkon- struktion – waren einander Kehrseiten. Dies ließe sich auch an lyrischen Texten anderer Völker zeigen, die im 19. Jahrhundert um ihre Selbstbestimmung und Nationswerdung ran- gen.

Mit seinem Abschlussreferat beleuchtete MATTHIAS MANKE (Schwerin) mecklen- burgische Erinnerungsorte aus der Franzo- senzeit und den Befreiungskriegen und ließ ihre Wirkungsgeschichte über 200 Jahre le- bendig werden. In seinen Ausführungen flos- sen historische und literarische Betrachtung zusammen. Er benannte und bündelte nicht nur mecklenburgische Erinnerungsorte die- ser Epoche, sondern sichtete kritisch ihre Symbolkraft in der regionalen Geschichtsre- zeption und Traditionspflege und zeigte ih- re identitäts- und sinnstiftende Wirkung für die Ausprägung und die Vertiefung des re- gionalen Geschichtsbewusstseins. Dieser Un- tersuchungsansatz verdient es, ausgebaut zu werden, resümierte der Referent, um einer- seits die Geschichts- und Kulturlandschaft des Bundeslandes aus verschiedenen Blick-

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Die Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz in der Franzosenzeit – Fakten und Fiktionen

winkeln historischer Forschung zu betrach- ten und andererseits um Irrtümer richtig zu stellen, Urteile zu überprüfen und Legenden, Mythen und Erdichtetes über die Franzosen- zeit und die Befreiungskriege zu widerlegen.

Der Referent hat dafür eine theoretisch stim- mige und in der Praxis umsetzbare Orientie- rung gegeben.

Wenn nunmehr, basierend auf den Vorträ- gen dieser Tagung, ein Projekt zur Umsetzung dieser Ideen und Empfehlungen entstünde, betonte der Moderator Günter Kosche, dann könnten sogar die beiden Ausrichter der Ver- anstaltung, die Stiftung Mecklenburg und die Europäische Akademie Mecklenburg- Vorpommern, das geschichtsträchtige Quali- tätssiegel Erinnerungsort erhalten und Ein- gang finden in die kollektive Erinnerung un- serer Region.

Seine Zusammenfassung beschloss der Mo- derator mit einem Blick auf die Zeit nach der Überwindung Napoleons, als, nachdem die beiden mecklenburgischen Herzogtümer, beim Wiener Kongress zu Großherzogtümern erhoben worden waren und ihre Herrscher nunmehr das Recht auf die Anrede Königli- che Hoheit hatten, aus den vormaligen Frei- heitsdichtern sehr schnell so genannte Dem- agogen, wie Friedrich Ludwig Jahn, Ludwig Uhland, gemacht wurden. Die breite Masse der Mecklenburgerinnen und Mecklenburger aber, die in der Franzosenzeit die drückende Last der Fremdherrschaft geschultert und sich tapfer im Kampf gegen Napoleon geschlagen hatten, blieben, was sie vorher waren, Unter- tanen.

In Vertretung der Geschäftsführerin der Stiftung Mecklenburg nahm MATHIAS RAU- TENBERG (Rostock) die Gelegenheit wahr, den Dank an Referentinnen und Referenten sowie den Tagungsleiter mit der Bemerkung zu verbinden, dass alle Vortragenden durch neue Quellen, Bewertungen, Fragestellungen oder Zusammenhänge die Debatte über die Sicht auf die Geschichte des Krieges zur Be- freiung von napoleonischer Herrschaft belebt haben. Die kritische Reflexion von Matthias Manke zum Umgang mit Geschichtsbildern aufgreifend, betonte er die Aufgabe von Ge- schichtsschreibung als wissenschaftliche Dis- ziplin, sich immer wieder der Sisyphosarbeit zu stellen, sich mit Instrumentalisierung, Tri-

vialisierung und Zurichtung von Geschichts- erzählung auseinanderzusetzen.

Konferenzübersicht:

Helmuth Freiherr von Maltzahn, (Stiftung Mecklenburg/Europäische Akademie M-V), Begrüßung

Günter Kosche (Rostock), Einführung Robert Riemer (Greifswald), Napoleon und Deutschland

Michael Busch (Hamburg/Rostock), Die mecklenburgischen Stände zwischen Moder- nisierung und Beharrung

Klaus-Ulrich Keubke (Schwerin), Beteiligung mecklenburgischer Truppen in den Napoleo- nischen Kriegen

Cornelia Nenz (Stavenhagen), Fritz Reuters

„Franzosentid“ – Literarische Rezeption der Franzosenzeit

Wolf Karge (Schwerin), Marschall „Vorwärts“

– Gebhard Leberecht von Blücher Abendvortrag:

Andrea Rudolf (Opole/Neubrandenburg), Lyrik der Befreiungskriege

Karl-Heinz Steinbruch (Schwerin), Das Frei- korps Schill in Norddeutschland

Manfred Jatzlauk (Rostock), Königin Luise und die preußische Politik zu Beginn des 19.

Jahrhunderts

Matthias Manke (Schwerin), Mecklenburgi- sche Erinnerungsorte – Die Befreiungskriege in der regionalen Geschichtsrezeption Mathias Rautenberg (Stiftung Mecklenburg), Resümee der Tagung

TagungsberichtDie Herzogtümer Mecklenburg- Schwerin und Mecklenburg-Strelitz in der Fran- zosenzeit – Fakten und Fiktionen. 08.11.2013- 09.11.2013, Waren/Müritz, in: H-Soz-u-Kult 07.04.2014.

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