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Sozialarbeit und/oder virtuelle Welten? Perspektiven zum sozialarbeiterischen Handlungsbedarf am Beispiel Second Life

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Academic year: 2022

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Fachhochschulstudiengang Sozialarbeit (TF) der Fachhochschule fh campus wien

Diplomarbeit zur Erlangung des Grades

eines Magister (FH) für sozialwissenschaftliche Berufe

Sozialarbeit und/oder virtuelle Welten?

Perspektiven zum sozialarbeiterischen Handlungsbedarf am Beispiel Second Life

Vorgelegt von: David Sutterlütte Matr.-Nr. 0410219068

Erstprüfer: Mag. Dr. Karlheinz Benke, MAS Zweitprüfer: DSA Bernhard Lehr

Abgabetermin: 20.10.2008

(2)

Kurzfassung

Sozialarbeit und/oder virtuelle Welten?

Perspektiven zum sozialarbeiterischen Handlungsbedarf am Beispiel von Second Life

Millionen Menschen nutzen und verbringen tagtäglich teils unzählige Stunden in ihnen, die Medien berichten jeden Tag über sie. Unser Alltag wird immer mehr von ihnen begleitet und durch sie bestimmt: Die Rede ist von virtuellen Welten, allen voran die wohl bekannteste – das Internet.

Dieses ‚Netz der Netze’ bietet unzählige Möglichkeiten, wie etwa die quasi parallele Welt des Internet über die Anwendung – nomen est omen – ‚Second Life’ zeigt. Mit über elf Millionen UserInnen, wovon gegenwärtig zeitgleich zwischen 45.000 und 60.000 online sind, zählt diese zu den größten und bekanntesten virtuellen Welten.

Fest steht allerdings auch, dass sich die Sozialarbeit (mit Ausnahme der Online-Beratung) aus virtuellen Welten weitgehend fernhält. Es stellt sich die Frage, gibt es ‚dort’, wo sich so viele Menschen ‚aufhalten’, also keine Aufgaben für die Sozialarbeit oder werden diese virtuellen Welten als Aufenthaltsorte nur (noch) nicht wahrgenommen?

Diese vorliegende Arbeit untersucht virtuelle Welten hinsichtlich eines sozialarbeiterischen Handlungsbedarfs und zeigt Möglichkeiten auf, wie sich die Sozialarbeit in diesem Handlungsfeld einbringen und etablieren könnte.

Der theoretische Teil stützt sich auf jüngste medien- und kommunikationspsychologische Erkenntnisse im Zusammenhang mit ‚virtuellen Welten’. Er zeigt die Arten und Wege der Kommunikation im Netz, wie in jenen kommuniziert wird vor dem Hintergrund möglicher Rollen der Sozialarbeit. Im speziellen Fokus steht die Welt von ‚Second Life’– theoretisch wie praktisch. Der empirische Teil als solcher ist ein Selbstversuch, in dem Second Life im Sinne der Explorationsmethode begangen, beobachtet und erforscht wird. Zusätzlich werden UserInnen im ‚Spiel’ befragt, die Ergebnisse in Chatprotokollen festgehalten und als Untersuchungsmedium in der Arbeit verwendet.

Fazit der Untersuchung ist, dass es sehr wohl einen Handlungsbedarf für SozialarbeiterInnen in virtuellen Welten wie ‚Second Life’ gibt, was über eine theoretische Ableitung auch im empirischen Teil Bestätigung erfährt, zumal zahlreiche Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sich professionelle Sozialarbeit in diesem neuen Handlungsfeld

‚virtuelle Welten’ präsentieren und bewähren könnte.

(3)

Abstract

Social work and/or virtual world?

Perspectives of social work services in the virtual world Second Life

Millions of people use and spend many hours in it, the media reports about it every day.

Our everyday life goes along with and is somehow determined by this media: the virtual world, the most famous is the Internet.

This net of networks offers unlimited possibilities, for example, the well-known application Second Life. This specific virtual world is used by more than eleven million people. Without a doubt social work has not yet recognize the virtual world, except for online-counselling, as a sphere of action. The thesis question is: when so many people come together is there no need for social work service or do they just not notice tasks in the virtual world as a space where real people interact?

The thesis emphasis on the virtual world is to examine those and search for needs of action for social work, with the objective to show possibilities for ways in which social work can exhibit and establish itself in this new sphere of activity.

The general survey is a review of current findings in the field of media- and communication-psychology in the context of the virtual world. Beyond this it shows ways of communication in the net, how it works and links it with possible social work roles.

With this theoretical background the focus lies on the exploration of Second Life. The exploration contains a login to observe and research this „game“. To get more information about the “game“ and the player it was necessary to chat with the people.

On the basis of the research conducted, the results confirmed that there is a need for social work action in a virtual world like Second Life. The outcome of the thesis shows multifarious possibilities of how social work can take action in the new sphere ‚the virtual world’.

(4)

Inhaltsverzeichnis

1.0
 Einleitung...4


2.0
Virtuelle
Welten... 10


2.1
Was
sind
virtuelle
Welten? ...10

2.1.1
Virtuelle
Welten
früher
und
heute...11

2.2
Virtuelle
Realität
–
reale
Virtualität ...12

2.3
Was
macht
eine
postmoderne
virtuelle
Welt
aus? ...14

2.4
Gesellschaftliche
Implikationen
virtueller
Welten ...17


3.0
Identitäten
in
virtuellen
Welten ... 19


3.1
Was
ist
Identität?...19

3.2
Anonymität...20

3.3
Qual
der
Wahl
­
maskiert
oder
real...21

3.3.1
Namensgebung
(Nickname,
Pseudonyme) ...22

3.3.2
Geschlechterwechsel...23

3.3.3
Alterswechsel...25

3.3.4
Ethnizitätswechsel...26

3.3.5
Wechsel
zur
„Normalität“ ...26

3.3.6
Wechsel
von
der
„Normalität“
zum
„Supermensch“ ...27

3.4
Auswirkungen
auf
die
reale
Identität ...28

3.4.1
Identitätsverlust ...29

3.4.2
Krankheitsbilder...31

3.4.3
Eskapismus ...33

3.5
Professionelle
Beratung
in
virtuellen
Welten...34


4.0
Virtuelle
Kommunikation... 37


4.1
Kommunikationsdienste
des
Internet
(vgl.
Döring
2003:
49ff):...37

4.1.1
eMail...37

4.1.2
Mailinglisten ...38

4.1.3
Newsgroups ...38

4.1.4
WWW‐Seiten ...38

4.1.5
Internet‐Telefonie ...40

(5)

4.1.6
Instant
Messaging...40

4.1.7
IRC‐Chats
(Chat‐Channels)...41

4.1.8
Web‐Chats...41

4.1.9
Grafik‐Chats ...42

4.1.10
Internet‐Videokonferenzen...43

4.1.11
Multi
User
Domains/Dungeons
(MUD)...44

4.1.12
Online‐Spiele...45

4.2
Ausdrucksformen
der
Internetkommunikation ...46

4.2.1
Emoticons ...47

4.2.2
Akronyme ...47

4.2.3
Soundwörter...48

4.2.4
Aktionswörter...48

4.2.5
ASCII‐Art...48


5.0
Second
Life... 50


5.1
Zur
Entstehung/Geschichte
von
Second
Life ...50

5.2
Was
ist
Second
Life? ...50

5.3
Möglichkeiten
in
Second
Life...53

5.3.1
Erkunden...53

5.3.2
Bauen/Erschaffen...53

5.3.3
Kaufen
und
Verkaufen...54

5.3.4
Treffen...55

5.3.5
Spielen...55

5.3.6
Erwerben
und
Besitzen ...55

5.4
Kommunikation
in
Second
Life ...55

5.5
Rechtliche
Situation
in
virtuellen
Welten
wie
Second
Life ...56


6.0
Sozialarbeit
und
virtuelle
Welten... 58


6.1
Aufgaben
der
Sozialarbeit...58

6.2
Sozialarbeiterische
Handlungsarten...62

6.3
Was
macht
Sozialarbeit
in
virtuellen
Welten? ...65


7.0
Selbstversuch
–
Spielanleitung
­
Beobachtungen
in
Second
Life ... 67


7.1
Der
Einstieg
in
Second
Life...67

7.2
Die
‚Geburt’
­
Willkommen
auf
der
‚Help
Island’ ...68

(6)

8.0
Schlussbetrachtungen
–
Sozialarbeit
und/oder
virtuelle
Welten? ... 86


Abbildungsverzeichnis ... 89


Literaturverzeichnis... 90


(7)

1.0 Einleitung

„Die vielen Beiträge haben mich zwar erschreckt, aber mir auf der anderen Seite gezeigt, dass auch andere Ehen durch Second Life zerstört wurden. Es gibt immer einen Grund, warum ein Partner in Second Life eintaucht, dass darf man auch nicht übersehen. Meist gibt es eine Vorgeschichte, die dafür sorgt, dass eine Faszination und damit dann auch langfristig eine Sucht entsteht. Ich hätte nie gedacht, dass meine Ehe 10 Monate nach ihrem ersten Login zerstört ist. Sie hatte es damals beiläufig erzählt, dass ein Kollege ab und zu in Second life sei und dort so tolle Menschen kennenlernen würde. Es fing ganz langsam an. [...] Sie verbrachte immer mehr Zeit online. [...] Schnell hatte sie viele Freunde und tobte sich so richtig aus. Aber die Zeit, die sie investierte, wurde immer mehr.

Sie steckte ihren Kopf immer weiter in diese Welt. Wenn die Kinder abends gekommen sind und etwas wollten, dann wurden sie wieder weggeschickt, weil sie gerade in einem der Clubs war und mit jemandem redete. Termine wurden verschoben, weil sie noch nicht fertig war, noch mit jemandem reden musste. Es hört sich merkwürdig an, wenn ich diese Worte schreibe, warum habe ich damals nicht konsequenter gehandelt? Es gab immer häufiger Stress durch Second Life. Sie fing immer mehr an, das Online-Spiel zu verteidigen, wie ein Alki seine Flasche. [...] Wir haben uns immer öfter gestritten.

Nach einem Streit haben wir uns dann getrennt - vor vier Wochen. Sie ist immer noch jede freie Minute online. Wenn ich zu den Kindern komme, ist immer der Rechner an.

Mittlerweile hat sie den SL-Freund auch geheiratet. (in sl). Ich mache mir große Sorgen um meine Kinder. Die Zeit, die meine Frau in SL verbringt, ist enorm“

(www.cyberlord.at/forum/).

Noch vor 15 Jahren war ein Beitrag wie dieser unvorstellbar. Gegenwärtig jedoch existieren mittlerweile unzählige Foren, in welchen Betroffene (noch eher jüngere Generationen) Hilfe suchen bzw. Problematiken wie die des Beitrags thematisieren.

Mein Interesse bezüglich dieser Thematik wurde in erster Linie durch die starke Medienpräsenz der virtuellen Welt ‚Second Life’ (www.secondlife.com) geweckt. Immer wieder wird dieses Spiel, oft auch durch negative Schlagzeilen, in verschiedensten

(8)

Tageszeitungen, Zeitschriften sowie TV-Sendungen thematisiert. Dabei wird von mehr als zehn Millionen UserInnen gesprochen.

Aus dieser Tatsache heraus entstand der Gedanke, dass an Orten, an denen sich so viele Menschen aufhalten, auch Probleme bzw. UserInnen mit unterschiedlichen Problematiken vorhanden sein könnten. Weiters war offensichtlich, dass sich die Sozialarbeit noch weitgehend aus virtuellen Welten fernhält, wobei die Vermutung nahe liegt, dass sehr wohl ein Handlungsbedarf vorhanden sein könnte.

Dieser Gedanke wurde von einem in einer sozialen Beratungsstelle arbeitenden Bekannten bekräftigt, in dem er berichtete, dass sie immer öfter Anfragen von Hilfesuchenden bekämen, welche von Second Life oder ähnlichen Spielen und Anwendungen nicht mehr los kommen würden.

Da in dieser virtuellen Welt überdies mit realem Geld hantiert wird bleibt zu klären, ob neben Sucht und/oder dem Eskapismus Gedanken (Flucht aus dem realen Leben) auch eine

„Schuldenfalle“ hinter Second Life steckt.

Im Zusammenhang mit Internetsucht ist häufig die Rede von körperlichen und psychischen Störungen. All diese Aspekte können zu sozialen Problemen im realen Leben führen und dürften somit auch von der Sozialarbeit nicht außer Acht gelassen werden.

Wie der Untertitel „Perspektiven zum sozialarbeiterischen Handlungsbedarf am Beispiel Second Life“ schon zum Ausdruck bringt, soll diese Arbeit nicht allein für die virtuelle Welt ‚Second Life’ Bedeutung haben. Es gibt sehr viele ähnliche Anwendungen bzw.

virtuelle Welten wie „World of Warcraft“, „Entropia Universe“ oder „Gaia Online“, welche aus der Arbeit nicht ausgeschlossen werden wollen. Da es aber nicht möglich ist auf alle Angebote konkret einzugehen, fiel die Wahl auf eines der bekanntesten, nämlich:

Second Life.

Innerhalb der Sozialarbeit und auch der Politik, die die Sozialarbeit steuern soll, werden virtuelle Welten offenbar noch nicht wirklich wahrgenommen. Dies spiegelt sich auch in Ausbildungen an Fachhochschulen und Universitäten wieder, wo Unterrichtsfächer wie Online Beratung bzw. über virtuelle Welten allenfalls als Wahlpflichtfächer angeboten werden, was auch den (noch geringen) Stellenwert zum Ausdruck bringt.

Virtuelle Welten wie das Internet prägen immer mehr den Alltag vieler Menschen. Es gibt quasi kein „Entrinnen“. Umso paradoxer, dass kaum darauf reagiert wird, wodurch auch wenig Bewegung und Impuls in die Vernetzung von Alltag und Wissenschaft gelangt.

(9)

Weiters scheint es paradox, dass davon ausgegangen bzw. angenommen wird, jeder Mensch hätte Zugang zum Internet.

Die Auswirkungen der rasanten Entwicklung des Internet auf die Menschheit sind noch nicht einmal annähernd erforscht. Dazu zählt/zählen auch die „digitaleN Ungleichheit-en“

(vgl. Benke 2008: 2ff). Digitale Ungleichheiten bzw. digitale Klüfte sind ein Beispiel, die beide Paradoxa beinhalten. Dabei geht es unter anderem um die Tatsache, das immer mehr Institutionen - auch staatliche - Formulare und Broschüren online zum Download bereitstellen. Die Institutionen setzen also voraus, dass jedeR auch zu Hause einen Computer mit Zugang zum Internet hat. Allerdings besitzt nicht jedeR, der/die das möchte, auch die tatsächlichen finanziellen Mittel, um sich Anschaffung und laufende Kosten zu finanzieren (Schuldenfalle), wodurch sich die sozialen Ungleichheit-en vertiefen.

Auch wenn ohne Zweifel diese digitalen Ungleichheiten vorhanden sind, ist es eine Tatsache, dass unser Alltag immer mehr von virtuellen Welten wie dem Internet begleitet und bestimmt wird.

Ziel dieser Arbeit ist es, allgemein virtuelle Welten und speziell Second Life vorzustellen und nach Handlungsbedarf für die Sozialarbeit zu suchen. Weiters werden Optionen und Handlungsmöglichkeiten von SozialarbeiterInnen in virtuellen Welten wie Second Life aufgezeigt. So wäre es vorstellbar, dass SozialarbeiterInnen sich mit einer Spielfigur, einem sogenannten Avatar1, direkt in der virtuellen Welt bewegen und dort in virtuellen Beratungsgebäuden professionelle Beratungen anbieten. Ebenso könnten sich die SozialarbeiterInnen-Avatare frei in der Landschaft, als Streetworker, bewegen. Diese Optionen sind nur zwei von vielen Möglichkeiten, wie sich Sozialarbeit in den riesigen virtuellen Welten einbringen kann.

Kapitel zwei dieser Arbeit beschäftigt sich mit dem Begriff ‚virtuelle Welten’. Um ein grundlegendes Verständnis für den Begriff ‚virtuelle Welten’ zu schaffen, wird neben seiner Definition auch aufgezeigt, dass diese keine rein postmoderne Erscheinung sind, sondern in ‚unseren’ Alltag viel häufiger einbezogen sind (und auch immer waren) als angenommen.

1 Der Begriff ‚Avatar’ stammt aus dem Hinduistischen und bedeutet ‚Inkarnation Gottes’ (vgl. Lober 2007:

68).

(10)

Häufig wird unter dem Wort ‚virtuell’, nicht real oder eine Sinnestäuschung verstanden. Ist das ‚Virtuelle’ also wirklich eine Täuschung und nicht real? Wie sich Virtualität und Realität zueinander Verhalten und ob sich diese vielleicht sogar gegenseitig beeinflussen, soll auch in diesem Kapitel erläutert werden. Da sich diese Arbeit mit postmodernen virtuellen Welten beschäftigt werden Merkmale eben dieser aufgezeigt.

Das Internet, der Prototyp virtueller Welten, hat in den letzten Jahren rasant an Bedeutung gewonnen. Im letzten Punkt des zweiten Kapitels werden gesellschaftliche Implikationen virtueller Welten beleuchtet. Dabei wird dargestellt, wie „allgegenwärtig“ das Internet inzwischen ist und dass durch die Vernetzung mit dem Cyberspace auch ein struktureller Wandel unserer Gesellschaft einhergeht.2

Ob Bankgeschäfte, Einkäufe, Kommunikation, Unterhaltung oder Information - kurz: Spaß oder Arbeit. Immer mehr alltägliche Dinge werden von zu Hause aus erledigt. So können virtuelle Welten als Marktplatz der Postmoderne verstanden werden.

Damit wir uns im Netz riesiger Datenautobahnen wiederfinden, kreieren wir uns virtuelle Identitäten. JedeR der/die sich in virtuellen Welten bewegt, wird sich früher oder später, bewusst oder unbewusst, einen Benutzernamen (Nickname) oder ein Pseudonym wählen.

Sei es, weil man sich in einem Chat anmelden, auf ‚ebay’ etwas verkaufen oder ‚Second Life’ spielen möchte. Durch eben jenes Erstellen eines Benutzernamens, Alter, Geschlecht und gegebenenfalls einer Spielfigur wie zum Beispiel bei Second Life, wird eine virtuelle Identität erschaffen.

Das Thema des dritten Kapitels beschäftigt sich genau mit dieser virtuellen Identität. Was passiert, wenn Menschen plötzlich nicht nur eine Identität, sondern zwei, drei oder noch mehr haben? Welche Optionen stehen einem bei der Erstellung einer neuen virtuellen Identität zur Verfügung? Diese Fragen werden neben den Auswirkungen auf die reale

2 Diese Arbeit beschäftigt sich mit (post)modernen virtuellen Welten wie dem Internet. In dieser Thematik ist auch immer wieder von virtuellem Raum die Rede. Da diese Diskussionen über den Raumbegriff sehr umfangreich sind, wird an dieser Stelle vermerkt, dass in dieser Arbeit darauf nicht weiter eingegangen wird, da die Diskussionen über (Sozial)Raumtheorien nicht unabdingbar notwendig für diese Arbeit sind.

(11)

Identität und den Krankheitsbildern durch das Internet in diesem Kapitel behandelt.

Das vierte Kapitel der Arbeit beschäftigt sich mit Kommunikation in virtuellen Welten.

Hier wird generell zwischen zeitgleicher (synchroner) und zeitversetzter (asynchroner) Kommunikation unterschieden. Will die Sozialarbeit mehr in virtuellen Welten tätig sein, ist ein Grundwissen über die Spezifika der am meist genutzten Kommunikationsdienste im Internet unabdingbar – also wie diese funktionieren und verwendet werden.

Momentan ist die häufigste Form der Kommunikation im Internet noch rein textbasiert. Im Vergleich zu einem face–to-face Gespräch fehlen dabei viele nonverbale Elemente.

Dadurch ist die Gefahr von Missverständnissen gegeben, da etwa der Gesichtsausdruck des Gegenübers fehlt, welcher einem verraten würde, dass eine Aussage nur als Scherz gemeint ist. Weiters ist bei synchroner Kommunikation eine flüssige textbasierte

‚Unterhaltung’ davon abhängig, wie schnell die UserInnen die Tastatur bedienen können.

Um diese fehlenden Informationen so gut wie möglich auszugleichen bedient sich die Internet-Kommunikation verschiedenster Hilfsmittel, wie zum Beispiel Emoticons, Akronyme, Soundwörter oder Aktionswörter. Wie diese Hilfsmittel verwendet werden, wie sie aussehen und wozu sie dienen, wird hier aufgezeigt.

Das fünfte Kapitel stellt den Forschungsraum dieser Arbeit an sich – also: ‚Second Life’

vor. Neben der Entstehung und Geschichte von Second Life wird unter anderem beschrieben, was genau sich hinter diesem ‚Spiel’ verbirgt.

Um eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, was den UserInnen in dieser virtuellen Welt alles geboten wird, werden die Möglichkeiten, welche BenutzerInnen in Second Life haben, aufgezählt und erklärt. Ein wichtiger Bestandteil von Second Life ist die Kommunikation zwischen den UserInnen. Welche Möglichkeiten der Kommunikation diese Anwendung bietet, wird ebenfalls beschrieben.

Im Zusammenhang mit virtuellen Welten wird gerne von einem rechtsfreien Raum gesprochen. Dies würde bedeuten, dass die UserInnen in dieser virtuellen Welt alle Freiheiten haben und tun und lassen können, was sie wollen. Tatsächlich jedoch sind virtuelle Welten alles andere als ein rechtsfreier Raum. Auch dieser Aspekt wird beleuchtet.

(12)

Kapitel sechs bewegt sich zunächst weg von den virtuellen Welten und beschäftigt sich mit der Rolle der Sozialarbeit. Es werden ganz allgemein die Aufgaben der Sozialarbeit dargestellt und untersucht, ob die Aufgaben auch virtuelle Welten mit einbeziehen.

Zusätzlich werden sozialarbeiterische Handlungsarten vorgestellt und auf ihre Anwendung für virtuelle Welten geprüft.

Im letzten Teil des sechsten Kapitels wird dargestellt ob, wo und wie Sozialarbeit in virtuellen Welten tätig ist bzw. sein kann.

Der empirische Teil als solcher ist ein Selbstversuch. Zu diesem Zweck habe ich mir selbst einen Avatar kreiert und Second Life im Beobachtungszeitraum von Jänner bis Oktober 2008 damit begangen, beobachtet und erkundet. Diese Beobachtungen und Erfahrungen werden neben Chat-Protokollen in diesem Teil wiedergegeben.

Neben Rahmenbedingungen für Second Life und der ‚Geburt’ eines Avatars wird der Fokus in ersten Linie darauf abzielen, ob in Second Life ein sozialarbeiterischer Handlungsbedarf vorhanden ist. Ebenso werden Ideen und Vorschläge angeführt, wie sich sozialarbeiterisches Handeln in virtuellen Welten wie Second Life einbringen und etablieren könnte.

Im achten Kapitel wird ein Resümee über die gewonnenen Erkenntnisse gezogen.

Zusammenfassend wird dargestellt, ob ein Handlungsbedarf für die Sozialarbeit in virtuellen Welten vorhanden ist und was sie in darin bewirken könnte.

(13)

2.0 Virtuelle Welten

2.1 Was sind virtuelle Welten?

Beim Versuch virtuelle Welten zu definieren, trifft man auf die unterschiedlichsten Blickwinkel. Oft werden virtuelle Orte auf die wohl bekanntesten virtuellen Welten, das Fernsehen (TV) und das World Wide Web, reduziert. Tatsächlich gibt es jedoch eine Vielfalt virtueller Realitäten, wenngleich sie nicht auf den ersten Blick – und dem herkömmlichen Denken nach – als solche erkannt bzw. gesehen werden.

„Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich eine virtuelle Abbildung von mir, denn ich bin ja nicht „wirklich“ hinter dem Spiegel“. Schindler (2005: 26) verdeutlicht mit dieser Aussage, dass wir virtuellen Welten in alltäglichen Situationen begegnen und diese, was vielleicht angesichts der Neuen Medien durchaus befremdend anmutet, auch ohne Computer existieren. In virtuellen Welten bewegen sich also nicht nur, wie oft angenommen wird, die ‚jungen Generationen’, sondern jedeR wird damit bewusst oder unbewusst konfrontiert. Somit sind auch die (post)modernen virtuellen Welten wie Second Life keine völlig fremde Form.

Die Tatsache, dass Menschen schon im Mittelalter mit Virtualität konfrontiert waren, zeigen unter anderem einige Gemälde des italienischen Malers Giotto. Der Künstler verstand es in seinen Gemälden eine Illusion im architektonischen Raum zu schaffen, wodurch er die BetrachterInnen quasi in jene 'versteckten' Räume hinter die Bildebene führte, welche es eigentlich gar nicht gibt. Ganz in diesem Sinne sind virtuelle Welten auch heute noch zu verstehen (vgl. Benke 2005: 4).

Maler wie der Franziskanermönch Roger Bacon, oder der bereits genannte Giotto di Bondone, erfanden 'quasi' dreidimensionale Bilder, indem sie erstmals eine dritte Dimension erschaffen haben. Diese zeigen aber nicht nur eine künstlerische Entwicklung, sondern symbolisieren auch gleichzeitig ein im Umbruch begriffenes, schwer verändertes Weltbild, in welchem die „dritte Dimension“ weniger metaphysisch als vielmehr über die physischen Beziehungen eine Rolle spielen (vgl. Benke & Schwarz 2007: 5).

Ein weiteres Beispiel für einen quasi prä-modernen existierenden virtuellen Raum ist die Basilika San Francesco in Assisi. Die Kathedrale zeigt den BetrachterInnen Szenen aus

(14)

dem Leben des Heiligen Franziskus. Durch die perspektivisch-illusionistischen Malereien werden die BesucherInnen dazu eingeladen, verschiedene Szenen aus dem Leben des Heiligen Franziskus aus einer jeweils anderen Perspektive zu sehen. Dies macht die Basilika im Grunde ebenso zu einem virtuellen Raum (vgl. Wertheim 1996: 1f).

Fazit: Virtuelle Welten respektive Räume sind also keine Erscheinung der Gegenwart bzw.

der Postmoderne (vgl. Benke & Schwarz 2007: 6). „Virtualität war immer schon: Sie ändert(e) nur ihre Form, ihren Ausdruck und auch ihre Geschwindigkeit“ (Benke &

Schwarz 2007: 6).

2.1.1 Virtuelle Welten früher und heute

Nachdem feststeht, dass virtuelle Welten keine rein (post)moderne Erscheinung sind, bleibt zu klären, wie und ob sich die ‚mittelalterlichen Versionen’ eben dieser von den aktuellen differenzieren.

Ein wesentlicher Unterschied zu den virtuellen Welten von heute ist, dass Giottos Gemälde nicht emotional belebt bzw. gelebt werden konnten. Giottos Werke wurden als Kunstwerke wahrgenommen und standen nicht, wie heute das Internet, etwa im alltäglichen Gebrauch.

Damit sind virtuelle Welten stets an Emotionen, wie Phantasien, Wünsche, Ängste, usw.

gebunden. Diese Emotionen, welche BenutzerInnen von virtuellen Welten bewusst oder unbewusst erleben, zeigen, dass die virtuelle Welt nicht nur ein Raum, sondern überdies auch als „Lebensraumgefühl“ verstanden werden kann (vgl. Benke 2005: 4f).

Jeder Mensch der einen virtuellen Raum betritt, sei dies nun das Internet oder der Blick in einen Spiegel, wird mit Emotionen und Assoziationen konfrontiert. An einem Tag löst der Blick in den Spiegel Freude, am nächsten Tag vielleicht Trauer aus. Auf manchen Plattformen im Internet finden UserInnen Themen, die sie interessieren und in welche sie sich gerne einbringen, bei anderen Thematiken wird ihr Interesse wiederum nicht geweckt.

Von diesen Emotionen und Assoziationen bzw. dem bereits genannten

‚Lebensraumgefühl’ werden UserInnen virtueller Räume stets begleitet - auch wenn dies von den handelnden Personen selbst oft unbemerkt bleibt.

(15)

2.2 Virtuelle Realität – reale Virtualität

Wer im Duden (2001: 1037) unter „virtuell“ nachschlägt, findet dort: „nicht echt, nicht in Wirklichkeit vorhanden, aber echt erscheinend, dem Auge, den Sinnen vortäuschend.“

Laut dieser Definition ist das Virtuelle ein Konstrukt, welches sich der Mensch selbst, in Gedanken oder mit Hilfe von diversen Hilfsmitteln wie Computer, Gemälden, Gedanken, Büchern etc., schafft. „Nicht in Wirklichkeit vorhanden“ würde eigentlich bedeuten, dass virtuelle Welten nicht real sind.

Wer virtuelle Welten mit nicht-wirklich gleichsetzt, liegt jedoch falsch, wie zwei simple Beispiele zeigen: Unternehmen, welche in der Virtualität tätig sind, verdienen schon längst reales Geld. Genauso bieten Universitäten die Möglichkeit an, über virtuelle Plattformen zu lernen. Dass virtuelle Unternehmen reales Geld verdienen, illustriert auch, dass die virtuellen Prozesse enorme Auswirkungen auf den Lebensalltag haben können und dadurch alles andere als fiktiv sind. Genauso ist eine eMail, also: ein elektronischer Brief, nicht weniger real als ein Brief auf Papier. Auch das Telefonieren kann durchaus als nicht real empfunden werden, denn zeitgleiche Kommunikation passiert ohne ‚leibhaftige’

Zusammenkunft. Offenbar hindert uns nur die jahrzehntelange Gewöhnung an das Telefon, diese Kommunikationsform nicht als virtuell zu empfinden (vgl. Schindler 2005: 2f).

„Ein virtueller Raum [...] ist eine eigene Wirklichkeit hinter der realen Welt, ein geistig immaterielles Abbild, geformt aus der sinnlich erfassten Realität. Somit ergibt sich:

Virtualität ist immer auch ein Teil der Realität (ein Text, ein Bild u.a.m.) - und zwar unabhängig von neuen Medien (der Postmoderne)“ (Benke & Schwarz 2007: 2). Beispiel hierfür sind etwa die spielerischen Handlungen von Kindern, die ihre Puppen im Sinne einer sogenannten „Lufthandlung“ füttern. (Diese reale Tätigkeit allerdings ist nur in der Gedankenwelt der Kinder vorhanden, jedoch erschließt sich über die Methode der Beobachtung das Bild auch für Erwachsene).

Seit Menschengedenken konstruieren Kinder so ihre virtuellen Räume in der Realität. Dass immer wieder Aspekte der Realität die Virtualität (und umgekehrt) beeinflussen, zeigt folgendes „Bild“ (vgl. Benke & Schwarz 2007: 4):

Wenn Menschen einen großen Saal betreten, um etwa einen Vortrag anzuhören, werden sie

(16)

als erstes mit der Wahl eines Sitzplatzes konfrontiert. Es gibt die Möglichkeit sich in die erste Reihe zu setzen oder eher weiter hinten Platz zu nehmen. Dies hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem davon, wer bei der Veranstaltung ist, wie das eigene Äußere ist, wie man von den Anderen wahrgenommen wird. Fühlt man sich wohl oder ist es einem selbst eher unangenehm beobachtet zu werden? In der Realität würden sich die meisten Personen eher nicht getrauen den Saal zu verlassen, auch wenn ihnen der Vortrag nicht gefällt.

Wenn Menschen zum ersten Mal einen virtuellen Raum, zum Beispiel einen Chat-Room betreten, werden sie ebenso vor Wahlmöglichkeiten gestellt. In diesem herkömmlichen Chat-Room kann man nicht gesehen werden und ist dadurch anonym. Durch diese Anonymität entstehen andere, teils neue Fragen für die UserInnen. Wie etwa: Soll die eigene Identität preisgegeben werden? Soll man ‚sich selbst’ sein? Verrät man den anderen Chat-TeilnehmerInnen sein eigentliches Geschlecht oder tauscht man die Rollen?

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist es einfacher, den virtuellen Raum zu verlassen, wenn einem das Thema im Chat nicht gefällt (vgl. Benke & Schwarz 2007: 4).

„Was machen wir Menschen also beim Betreten eines virtuellen Raumes – wir verwenden erprobte Strategien aus den realen Räumen und Muster aus unserer Lebenswirklichkeit und transferieren diese in die Virtualität/virtuellen Räume. Zunächst einmal unabhängig davon, ob sich diese Versuche als erfolgreich erweisen oder nicht, eine andere Möglichkeit bleibt vorerst nicht. Woraus zu folgern ist: Kein Mensch betritt Virtualität bzw. virtuelle Räume ohne Bezug zur Realität“ (Benke & Schwarz 2007: 3).

Diesem vorhandenen Bezug zur Realität und dem Gefühl des Eintauchens, welches BenutzerInnen von virtuellen Welten erleben, ist eine wichtige Bedeutung zuzuschreiben.

Genau dieser Bezug zur Realität und dieses Gefühl des Eintauchens machen gleichzeitig die Trennlinie zwischen virtuell und real unscharf. Dadurch, dass wir in der Realität erprobte Strategien und auch Verhaltensmuster in virtuelle Welten transferieren, werden virtuelle Räume immer auch von der Realität begleitet. Wenn Menschen viele Stunden am Tag in virtuellen Welten ihre Avatare steuern, bedeutet dies einen nicht unerheblichen Zeitaufwand in deren realem Leben. Der virtuellen Welt wird alleine durch diesen Zeitaufwand eine enorme Wichtigkeit zugeteilt, wodurch sie auch ‚echter’ wird und individuell an Realität gewinnt.

Weiters können UserInnen in virtuellen Räumen mit ihren Spielfiguren (Avataren) interagieren und damit virtuelle Räume mitgestalten oder auch verändern. Diese

(17)

Veränderung bleibt bestehen und ist somit eine reale Veränderung in den virtuellen Räumen.

Ebenfalls ist es an der Tagesordnung, dass UserInnen reales Geld für die virtuelle Kleidung ihrer Avatare ausgeben. Vereinzelte bezahlen andere Personen, damit sie ihre Avatare in der virtuellen Welt steuern, wenn sie selbst keine Zeit haben.

Somit bleibt festzuhalten, dass eine klare Trennlinie von Realität und Virtualität schwer festzulegen ist, da sich (wie bereits erwähnt) verschiedene Aspekte der Realität und Virtualität immer wieder gegenseitig beeinflussen und so die Grenzen unserer Wahrnehmung und unseres Empfindens verschwimmen lassen.

2.3 Was macht eine postmoderne virtuelle Welt aus?

Gegenwärtig, in der Epoche der Postmoderne, verändert sich vieles in einem rasanten Tempo. Dies betrifft neben der Gesellschaft, den Traditionen und Technologien auch jeden einzelnen Menschen. Mit der Veränderung der Gesellschaft (vgl. Storch 1999: 1) in den letzten beiden Jahrhunderten hat sich auch das Selbstverständnis der Menschen stark verändert.

Identität war etwa früher bei weitem kein so vielfältiges Thema wie heute und sie gestaltete sich auch anders. Traditionell war die Lebensgestaltung eines Menschen weitgehend durch die Umstände der Geburt geregelt. Dies bedeutete, dass es keine großen Variationen in den Lebensentwürfen der Menschen gab. So wurde etwa meistens der Sohn eines Bauern auch Bauer, das Kind von Adeligen bekam den Titel der Eltern usw., womit die Menschen quasi eine vorbestimmte ‚stabile’ Identität hatten.

In der Gesellschaft heute muss sich das Individuum in einer deutlich veränderten Situation zurechtfinden. Der Großteil der Bevölkerung kann zwischen vielen beruflichen Entwicklungen, Beziehungen, Beziehungsformen, und sozialen Aktivitäten wählen. Das Meer oder ‚Mehr’ an Informationen, das uns die neuen Medien und Kommunikationstechnologien bieten und zur Verfügung stellen, hat auch unser Bild von Identität verändert.

Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten ermöglichen einen wesentlich bunteren Kontakt mit verschiedenen Menschen, Kulturen und Weltanschauungen, die sich gegebenenfalls auch von der persönlichen unterscheiden.

(18)

Unter anderem aufgrund dieser neuen, erweiterten, vielfältigeren und globaleren Kommunikationsmöglichkeiten hat sich auch die Bedeutung von Identität verändert. Im Gegensatz zu früheren Zeiten bewahren sich die Menschen nicht nur ihre Kernidentität, sondern verfügen über eine Mehrzahl von Identitäten. Mit diesen Mehrfach-Identitäten umzugehen, diese zu ordnen und zu katalogisieren fällt vielen nicht leicht. Diese Identitäten wirken sich jedoch nicht nur auf das persönliche Individuum aus, sondern auch auf das soziale Umfeld sowie auf die neu entstandenen virtuellen Welten und Medien.

Eines dieser neuen Medien ist Second Life. Mit diesem Online-Spiel beschäftigen sich allerdings nicht nur UserInnen. Es entstanden zugleich Unternehmen und Firmen, die sich mit virtuellen Welten, wie Second Life, beschäftigen. Dies zeigt, dass die (post)modernen virtuellen Welten nicht nur zum Lernen, Kommunizieren, Spielen, etc. genutzt werden, sondern auch Unternehmen den großen Bereich als neuen Wirtschaftszweig für sich entdeckt haben.

Wo gewinnorientierte Unternehmen im ‚Spiel’ sind, wird mit realem Geld hantiert. Wo wiederum mit realem Geld hantiert wird, ist die Gefahr von Verschuldung gegeben.

Wirtschaftliche Unternehmen sind dabei die neuen Bereiche in den (post)modernen virtuellen Welten für sich zu nutzen.

Die Kernfrage lautet daher: Kann die Sozialarbeit es sich wirklich erlauben, aus einem Bereich, in dem sich Identitäten verändern, wohin sich Menschen flüchten wenn sie mit ihrer realen Identität nicht zurecht kommen, in dem ein hohes Suchtpotenzial vorhanden ist, sich UserInnen unter Umständen verschulden können, etc. fernzubleiben?

Einige dieser Unternehmen beschäftigen sich auch mit Definitionen (post)moderner virtueller Welten wie Second Life.3 Dabei sind treffende und verständliche Beschreibungen entstanden.

„The Otherland Group“ ist eines dieser Unternehmen, welches den Fokus auf professionellen Service auf virtuellen Welten legt. Diesem Verständnis folgend nennt das

3 An dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass in dieser Arbeit das World Wide Web als virtuelle Welt definiert wird und die unterschiedlichen Angebote im Internet wie Plattformen, Chatträumen, Second Life und so weiter als virtuelle Räume zu verstehen sind.

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Unternehmen vier Merkmale, die sogenannte „Online-Plattformen“ zu einer virtuellen Welt machen:

- Räumlichkeit

Unter Räumlichkeit wird verstanden, dass die virtuelle Welt, in welchem AnwenderInnen interagieren, als eine Art Raum dargestellt werden muss. In diesem Raum hat jedes Objekt eine Position. Weiters vermittelt der Raum den UserInnen Nähe und Distanz.

- Identität

JedeR AnwenderIn wird in virtuellen Welten durch einen Charakter repräsentiert und hat somit für die Anderen eine individuelle Identität. Diese Figur, meist „Avatar“ genannt, wird von den AnwenderInnen selbst gesteuert. Sie wird von den UserInnen selbst bzw. von anderen Avataren, welche sich in der Nähe aufhalten gesehen.

- Konsens

Konsens meint hier die Übereinstimmung der Wahrnehmung der UserInnen. Alle BenutzerInnen an einem Ort können die selben Objekte, bzw. Dinge und die selben Avatare sehen. Je nach Standort kann sich gegebenenfalls der Blickwinkel dabei ändern.

Alle AnwenderInnen können Veränderungen in der Welt gleichzeitig wahrnehmen.

- Wahrnehmung von Veränderungen

Wenn ein Avatar in der virtuellen Welt eine Veränderung hervorruft, ist diese permanent.

Wenn kein anderer Avatar diese Veränderung rückgängig macht, ist diese auch noch vorhanden wenn der/die AnwenderIn die virtuelle Welt verlässt und zu einem andern Zeitpunkt wieder zurückkehrt (vgl. Markus 2007: 1ff).

Auch die Schweizer Agentur „Pedro Meya Marty“ konzipiert, entwickelt und realisiert Ideen mit und in virtuellen Welten wie Second Life. Aus deren Sicht sollte eine Plattform folgende Kriterien enthalten, damit sie eine virtuelle Welt ist:

- ein Computer generierter Raum

- 3dimensional oder mindestens erweitert 2dimensional

- wo die steuernde Person als Avatar (Spielfigur) dargestellt wird

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- und wo sich gleichzeitig im selben Raum mehrere Avatare aufhalten können (Meya Marty 2007: 1)

Es bleibt festzuhalten, dass wir es in der Postmoderne nicht nur mit einer neuen Form virtueller Welten wie Second Life zu tun haben, sondern auch die Gesellschaft und die Identitäten des Einzelnen einen Wandel erlebt haben.

2.4 Gesellschaftliche Implikationen virtueller Welten

Die mediale Präsenz von virtuellen Welten, wie das Beispiel World Wide Web zeigt, steigt seit einigen Jahren enorm. Sowohl Fernsehen als auch Tageszeitungen und Zeitschriften berichten vielfältigst und tagtäglich über Computerspiele und die Datenautobahn. Bei fast jedem Werbespot im Fernsehen aber auch bei Werbungen auf Plakaten ist eine WWW- Adresse zu finden. Die Mehrzahl der Zeitungen und Zeitschriften, wie etwa „der Standard“, „Die Zeit“ oder „Der Spiegel“ veröffentlichen auch eine Online-Version ihrer Artikel.

Ebenfalls nutzen auch viele Wirtschaftsunternehmen das Internet. Sie verwenden es um Werbung unter die Menschen zu bringen, Beratungen anzubieten, für Online- Bestellservice, Kundenkontakte zu pflegen oder Stellenausschreibungen, um nur einige Anwendungen zu nennen. Auch politische Parteien nutzen längst das Internet um ihre Partei-Programme zu veröffentlichen und für sich zu werben.

Von dem in Medien oft genannten und diskutierten ‚Internet hype’ allein kann also nicht die Rede sein. Politik und Wirtschaft sind sich mit Wissenschaft weitgehend einig, dass durch die Einführung des Internet in den Lebensalltag unserer Gesellschaft ein tiefgreifender struktureller Wandel einhergeht.

Bereits in den 70er Jahren wurde über die Transformation der modernen Industriegesellschaft in eine sogenannte Informationsgesellschaft bzw. postmoderne Gesellschaft diskutiert. In den Sozialwissenschaften wird parallel zur ‚Informatisierung’

der Gesellschaft auch eine ‚Individualisierung bzw. Pluralisierung’ der Lebensmodelle festgestellt. Faktoren wie erhöhtes Bildungsniveau, gestiegener Wohlstand oder verbesserte Familienplanung tragen dazu bei, dass alternative Lebensmodelle plötzlich möglich werden. Diese alternativen Lebensmodelle bringen mit sich, dass sich Menschen

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immer öfter damit konfrontiert sehen, sich auf sich selbst verlassen zu müssen. Die Entwicklung, dass nun ein vielfältigeres Bild von Lebensmodellen vorhanden ist, wird teils sehr kritisch im Sinne einer wachsenden Orientierungslosigkeit, Überforderung, Wertezerfall und Gesellschafts-Zersplitterung beurteilt. Andere interpretieren diese neu gewonnene Vielfalt positiv, indem Sie die Überwindung eines im Grunde menschenfeindlichen Zwangs zur Einheitlichkeit anführen (vgl. Döring 1999: 27ff).

In der Sozialwissenschaft sind Informatisierung und Individualisierung seit vielen Jahren wichtige Themen. Für Schmundt (vgl. 1996: 3) ist es dementsprechend kein Wunder, dass Einschätzungen über die gesellschaftliche Bedeutung des Internets meistens auf folgende Diskurse hinauslaufen: Einmal erscheint das Internet als Grundpfeiler einer sich günstig entwickelnden Informationsgesellschaft, das andere Mal werden Globalisierung und fortschreitende Informatisierung als Bedrohung für die nationale Wirtschaft und insbesonders ihrer Arbeitsmärkte betrachtet. „Mal wird der Cyberspace als fiktive Scheinwelt kritisiert, in die sich der desorientierte, bindungslose moderne Mensch flüchtet und seinen ohnehin übersteigerten Individualsimus kultiviert, dann wieder wird die Vielfalt der Kontakt- und Entfaltungsmöglichkeiten im Netz als Übungs- und Darstellungsfeld unterschiedlicher Identitäten gewürdigt und die medienbedingte Auflösung herkömmlicher Vorstellungen vom ‚Realen’ und ‚Simulierten’ als instruktiv und sozial bereichernd begrüßt (Döring 1999: 29) und Schmundt (1996: 3) resümiert: „Das Netz ist nicht Entweder-Oder, sondern Und-Und-Und“.

Virtuelle Welten haben also trotz ihrer Vielfalt und Andersartigkeit positive wie negative Auswirkungen. Der Zugang zu Informationen wird durch das Internet wesentlich einfacher, auch wenn nicht alle gleich davon profitieren. Auch Bankgeschäfte und Einkäufe können großteils bequem am Computer von zu Hause aus erledigt werden. Dies erspart einerseits Zeit und kann auch für nicht mobile Menschen ein angenehmer Vorteil sein. Andererseits liest man immer häufiger von Menschen, die in der virtuellen Welt vereinsamen und sich von ihren realen Kontakten immer weiter distanzieren.

Immer wieder sehen sich virtuelle Welten mit Lobpreisung wie gleichwohl mit Kritik konfrontiert. Realität ist jedoch, dass unser Lebensalltag zusehends von virtuellen Welten geprägt ist und es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich dies in naher Zukunft ändern wird. Die Tendenz geht eher in Richtung Ausbau und Erweiterung virtueller Welten, wodurch ein immer größeres Angebot an Möglichkeiten entsteht und sie dadurch wiederum mehr und mehr zum fixen Bestandteil unseres Alltags werden.

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3.0 Identitäten in virtuellen Welten

Jeder Mensch hat sich im Laufe der Jahre im „real Life“ eine Identität zugelegt bzw. es wird ihm eine zugeschrieben. Einen Teil unserer Identität erhalten wir zum Beispiel durch unsere Herkunft, Ethnik, unseren Namen und unserer Körpergröße. Teils können wir diese auch selbst, etwa durch Kleidungsstil, unser Auftreten, Gestik und Mimik, etc. steuern.

Wer sich im World Wide Web bewegt wird früher oder später auch damit konfrontiert, sich eine Identität zu kreieren. Im Internet hat man die Möglichkeit sich eine komplett neue, virtuelle Identität zu schaffen, die ident mit der realen Identität sein kann – aber nicht muss.

Was bedeutet aber die „Qual der Wahl“ und welche Auswirkungen auf das reale Leben gibt es?

3.1 Was ist Identität?

Zu den Identitätsmerkmalen zählen laut Döring (vgl. 2003: 325) nicht nur identifizierbare Merkmale, welche auch in amtlichen Dokumenten wie Ausweisen und Pässen angeführt sind (Namen, Adresse, Geburtstag, Augenfarbe und Körpergröße), sondern auch Persönlichkeitsattribute wie Werte, Ziele und Fähigkeiten, durch welche sich eine Person definiert und welche sie interpretiert. Diese Selbstinterpretationen entstehen in einem langen Prozess, in welchem man sich mit Wahrnehmungen, Einschätzungen und Reaktionen der Umwelt auseinandersetzt.

Nach ‚modernen’ Sichtweisen geht es bei der Identitätsentwicklung darum, die eigene Identität bis zum Abschluss der Adoleszenz schrittweise zu entdecken und zu einem einheitlichen und stabilen Ganzen zu formen. Während also moderne Identitätskonzepte Dauerhaftigkeit und Einheit betonen, stellen neuere postmoderne Identitätskonzepte Veränderung und Vielfalt in den Mittelpunkt.

„Identität wird heute als komplexe Struktur aufgefasst, die aus einer Vielzahl einzelner Elemente besteht (Multiplizität), von denen in konkreten Situationen jeweils Teilmengen aktiviert sind oder aktiviert werden (Flexibilität). Einer Person hat aus dieser Perspektive also nicht nur eine „wahre“ Identität, sondern verfügt über eine Vielzahl von gruppen-,

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rollen-, raum-, körper- oder tätigkeitsbezogenen Teil-Identitäten (z.B Berufs-Identität, Familien-Identität, Geschlechts-Identität, sexuelle Identität, Fan-Identität, nationale Identität, religiöse Identität)“(Döring 2003: 325).

Weiters hat sich das Verständnis von postmoderner Identität dahingehend verändert, dass diese Teil-Identitäten kein stabiles und homogenes Ganzes bilden, sondern als ein lebenslanger Entwicklungsprozess gesehen werden.

Indem sich Menschen nicht mehr auf eine einheitliche und stabile Identität stützen können, verstärken sich oft auch Zweifel und Unsicherheiten an der eigenen Identität.

Selbstbewusstsein und Sicherheit gegenüber der eigenen Identität sind somit nicht mehr so stark gewährleistet und der Wechsel zwischen den einzelnen Identitäten gestaltet sich oft recht mühsam, schwer oder verwirrend.

Es ist vorstellbar, dass diese Unsicherheiten auch das Selbstwertgefühl schwächen und somit ein ‚Reinkippen’ in die virtuellen Welten - im Sinne einer Internet-Sucht oder eines Eskapismus, also die Flucht von der Wirklichkeit - leichter erfolgen kann.

3.2 Anonymität

Gegenwärtig sind die meisten Online-Kommunikationsformen rein textbasiert. Dadurch wissen die UserInnen nicht, wer ihr Gegenüber „wirklich“ ist. Merkmale wie Stimme, Aussehen, usw. sind nicht vorhanden.

Nach dem Kanalreduktions-Modell besteht bei textbasierter Kommunikation aufgrund fehlender Kopräsenz ein Mangel an den meisten Sinnesmodalitäten (Computerbasierte Kommunikation wird aber nicht nur auf den Text reduziert).

Aufgrund der geografischen Distanz findet neben der Ent-Sinnlichung auch noch eine Ent- Räumlichung und Ent-Zeitlichung statt (vgl. Döring 2003: 149).

Dadurch eröffnet sich für UserInnen die Möglichkeit, sich als jemand Anderer auszugeben.

Diese so „gewonnene“ Anonymität nutzen viele, um in eine andere Rolle zu schlüpfen und diese auszuprobieren. So ist es etwa ganz einfach als Mann die Rolle zu wechseln und sich als Frau auszugeben (bzw. umgekehrt). Weiters besteht auch die Möglichkeit, körperliche Benachteiligungen und die damit verbundene Befangenheit eines Menschen zu übergehen.

Zum Beispiel leidet Jason Rowe im real Life an Muskelschwund, wodurch ihm das

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Sprechen schwer fällt und er auf einen Rollstuhl angewiesen ist. In seiner virtuellen Identität ist Jason Rowe ein Held. Er kann seinen Avatar mit einem Touchscreen steuern.

„Ich kann dort ein Speedbike fahren, Monster bekämpfen oder mich mit Freunden in einer Bar treffen. [...] Im echten Leben sind viele Menschen befangen, wenn sie mich kennenlernen. Online ist es gleichgültig, wie ich wirklich aussehe. Da begegnet man meinen Gedanken, meinem Charakter, nicht meinem Körper. Für mich ist das eine unglaubliche Befreiung. Der Monitor ist mein Fenster zur Welt“ (Rowe in Hauptmeier 2007: 118).

Für Menschen wie Jason Rowe, aber auch für Menschen mit anderen äußerlichen Auffälligkeiten wie etwa Übergewicht, Akne oder Behinderungen anderer Art (Gehörlose beispielsweise), kann diese Anonymität ein Stück Integration in die Gesellschaft und Normalisierung bedeuten. Es eröffnet sich die Möglichkeit in virtuellen Welten auf andere UserInnen zuzugehen, ohne auf Grund körperlicher Erscheinungsbilder bzw. Merkmale stigmatisiert zu werden. Da sich die UserInnen in der textbasierten Kommunikation gegenseitig nicht sehen können, werden alle Beteiligten unvoreingenommen behandelt und akzeptiert. Die Möglichkeit sich im Sinne der Selbstmaskierungsthese zu verstecken, birgt aber auch gleichzeitig die Furcht vor einem Treffen in der Realität.

Die Möglichkeit zur Anonymität hat aber auch eine zweite Seite. So kann nie mit absoluter Sicherheit gesagt werden, wer sein Gegenüber bei einer rein textbasierten Kommunikation wirklich ist. Wenn sich die Kommunikationspartner nicht aus dem realen Leben kennen, bleibt ihnen eigentlich nur, dem/der jeweils anderen ‚blind’ zu vertrauen.

(Im folgenden Kapitel wird im übrigen auch gezeigt, dass es nur eine Minderheit von UserInnen ist, welche etwa von der Möglichkeit eines Geschlechterwechsels, im Internet Gebrauch machen).

3.3 Qual der Wahl - maskiert oder real

Die zentrale Variable der virtuellen Welten ist die Anonymität. Sie verleiht allen UserInnen die Möglichkeit, ihre wirkliche Identität im Internet zu verbergen. Diese werden quasi vor die Wahl gestellt, wer sie sein möchten. Sie können für sich eine neue Identität erfinden, denn es ist relativ einfach, Geschlecht, Alter, Ethnizität, körperliche

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Erscheinungsbilder, etc. zu ändern. Diese Option bzw. dieses ‚Spiel’ mit der eigenen Identität meint die Maskierungsthese.

Im Gegensatz dazu steht die These der Identitätsarbeit. Sie hat fast schon einen therapeutischen Aspekt, da UserInnen dabei neue Identitäten erproben können ohne im realen Leben Konsequenzen davonzutragen. Dabei geht es nicht wie in der Selbstmaskierungsthese darum, sich hinter einer ‚Scheinidentität’ zu verstecken.

Identitätsarbeit wird genutzt, um neue Identitäten zu testen und damit zu experimentieren (vgl. Benke 2007: 13 f).

3.3.1 Namensgebung (Nickname, Pseudonyme)

In der Realität wird man selten damit konfrontiert, sich selbst einen anderen oder weiteren Namen zu geben. Weder den Eigennamen noch den Spitznamen suchen sich die meisten Menschen selber aus. Anders ist dies bei einer virtuellen Identität. Hier können BenutzerInnen selbstständig entscheiden, wie sie heißen möchten.

Der erste Schritt zu einer virtuellen Identität ist also die Namensgebung. Hier müssen sich die UserInnen überlegen, welches Pseudonym sie in dem jeweiligen Programm verwenden möchten. Die meisten benutzen nicht ihren Eigennamen, sondern überlegen sich einen klingenden, bedeutungsvolleren Fantasie- bzw. Spitznamen. Diese Pseudonyme oder Nicknames werden oft von Fantasiegeschichten, Sagen oder Märchen abgeleitet.

Jugendliche verwenden häufig provokante Pseudonyme, um sich so mit gesellschaftlich geächteten Gruppen zu solidarisieren. Bei der Suche nach einem Pseudonym werden offensichtlich folgende Auswahlkriterien berücksichtigt: spezifische Neigungen, Interessen, Hobbys und Idole, Provokation, Humor und Ironie (vgl. Frühstück & Jacob &

Rudigier & Reindl 2008: 3)

Die israelische Kommunikationswissenschaftlerin Bechar Israeli (vgl. 1995) beobachtete zwei Jahre lang Chaträume. Dabei untersuchte sie 260 verschieden Nicknames, welche sie nach ihren Untersuchungen in 14 verschiedene Typen aufteilte:

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Durch die Namensgebung wird es also möglich, Rückschlüsse auf die jeweiligen UserInnen zu ziehen. So wollen etwa UserInnen, welche einen Nickname wie ‚Elvis’

haben meistens auf ihren Musikgeschmack oder ihr Äußeres aufmerksam machen.

Hingegen UserInnen, welche sich ein Pseudonym aus einem Film, Fernsehen oder aus der Literatur kreieren, wollen oft damit zeigen, dass sie quasi auf dem Laufenden sind.

Weiters hat Bechar Israli (vgl. 1995) in ihren Untersuchungen festgestellt, dass rund 74 Prozent der ChatterInnen über ihren Namen auch ihr Geschlecht erkennbar machen.

Immerhin noch 25 Prozent schreiben neben ihrem Nickname auch ihr Alter hinzu (zum Beispiel Christian_23).

3.3.2 Geschlechterwechsel

Geschlechterwechsel, auch gender switching/swapping genannt, ist die mit Abstand am häufigsten thematisierte Form des virtuellen Identitätswechsels.

Männern, die sich als Frauen ausgeben, wird dabei gern unterstellt, dass sie die Rolle wechseln, um Aufmerksamkeit ihrer heterosexuellen Geschlechtsgenossen auf sich zu ziehen, oder aus voyeuristischen Gründen, um sich Zugang zu Lesben-Foren oder -Chats

Nickname-Typen Beispiel: Häufigkeit:

1. Spitznamen, mit Bezug auf die UserInnen hardy 35,4%

2. Namen, welche sich auf Flora und Fauna beziehen blume1 10,4%

3. Technologie oder Medium bezogene Namen pentium 8,9%

4. Sprachspiel Whatthehell 7,7%

5. Hinweis oder Mangel zur Identität me 6,2%

6. Namen wie Objekte oder Marken BMW 3,5%

7. Namen von bekannten Personen elvis 3,1%

8. Namen aus Film, TV oder Literatur rainman 2,3%

9. Namen, die einen Sound ‚erzeugen’ tamtam 2,3%

10. Ortsbezogene Namen WienEr 1,9%

11. Namen, die auf Sex anspielen sollen bigtoy 1,9%

12. Provozierende Namen hitler 1,5%

13. Altersbezogene Namen younggirl 1,5%

14. Namen, welche auf eine Beziehung anspielen married 1,2%

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zu verschaffen.

Bei Frauen, welche in die Rolle eines Mannes schlüpfen, wird dagegen vermutet, dass sie dies tun, um unerwünschten sexuellen Annäherungen auszuweichen und um von Männern ernst genommen, bzw. gleichberechtigt anerkannt zu werden.

Döring (vgl. 2007: 378) verweist auf Interviewdaten und Erfahrungsberichte, laut denen Männer in die Rolle von Frauen schlüpfen, um ihre Emotionalität und Verletzlichkeit zuzulassen. Frauen hingegen wechseln in die Rolle eines Mannes, um ihre Kompetenz und Stärke zu erkunden. Dabei machen sowohl Männer als auch Frauen zwiespältige Erfahrungen.

So können Männer in der Rolle einer Frau auf der einen Seite leichter mit Frauen ins Gespräch kommen, sie bekommen mehr Aufmerksamkeit von anderen Männern und werden plötzlich freundlich begrüßt, wenn sie einen Chat betreten. Auf der anderen Seite werden sie plötzlich mit unerwünschten Hilfsangeboten und Belästigungen konfrontiert.

So erhalten sie unzählige Einladungen zu privaten Chats und werden mit eMails überhäuft.

Frauen in der Rolle eines Mannes machen hingegen zum einen die Erfahrungen, dass ihnen die eigenen Geschlechtsgenossinnen nun mit größerer Distanz begegnen und sie von Männern weniger Beachtung und Hilfe erhalten. Zum anderen haben sie nun die Möglichkeit, an „Männer-Gesprächen“ teilzunehmen und es ermöglicht ihnen, expansive und aggressive Verhaltensweisen, welche traditionell als männlich gelten, zu übernehmen und auszuprobieren.

Im sexuellen Kontext übt der Geschlechterwechsel auch den Reiz aus, um das Begehren des anderen Geschlechts nachvollziehen zu können. Auch Menschen, die im Zusammenhang mit Transsexualität bzw. Transidentität stehen, nutzen einen Geschlechtertausch in virtuellen Welten als Übungsfeld und stellen so eine Verbindung zur realen Identität her. Virtuelle Identität wird quasi als Vorbereitung auf die neue Offline- Identität genutzt (vgl. Döring 2003: 378ff).

Ähnlich sieht Knatz (vgl. 2008: 3) den Geschlechterwechsel als ein Experimentieren um mit den Facetten des Ich zu spielen. Das gender-switching kann dazu dienen, Konflikte zu ergründen, indem man in die Rolle des anderen schlüpft, um ihn besser zu verstehen.

Durch den Geschlechtertausch werden die Handlungen des Anderen transparenter und man erhält somit einen Einblick in die Rolle einer Frau oder eines Mannes. Knatz berichtet von Ausbildungen, Supervisionen und Trainings, in welchen sie die Erfahrung gemacht hat,

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dass sowohl Frauen als auch Männer daran interessiert sind, wie das andere Geschlecht denkt, fühlt und handelt. Die virtuelle Identität bietet die Möglichkeit, sich zum Beispiel als Frau in die Rolle eines Mannes zu begeben. Somit kann mit den gegengeschlechtlichen Anteilen gespielt und jongliert werden, sie können getestet und ausprobiert werden ohne dabei bestraft zu werden. Findet der/die UserIn gefallen daran, können diese ausprobierten Anteile auch ins reale Leben integriert werden.

Die Option des Geschlechterwechsels in virtuellen Welten kann laut Knatz dazu beitragen, dass sich Frauen und Männer mit mehr Verständnis begegnen. Weiters kann das gender- switching auch als ein Versuch gesehen werden, die eigene sexuelle Orientierung besser zu verstehen und unter sicheren, anonymen Bedingungen damit zu experimentieren.

Viele UserInnen vollziehen allerdings nie, oder allenfalls nur sporadisch um dies einmal auszuprobieren, einen Geschlechtertausch. Permanent oder regelmäßig wird der Rollenwechsel nur von einer Minderheit der UserInnen genutzt (vgl. Döring 2003: 380).

3.3.3 Alterswechsel

Wesentlich weiter verbreitet als der Geschlechterwechsel ist der Alterswechsel.4 Beim Alterswechsel wird das tatsächliche Alter nach oben oder unten ‚manipuliert’. Jugendliche machen sich in ihrer Online-Identität gerne älter, um von Erwachsenen in Chats respektiert und anerkannt zu werden. Ändert einE JugendlicheR sein/ihr Alter und wird dadurch in seiner/ihrer Online-Selbstdarstellung von Erwachsenen sozial anerkannt, so muss dies nicht zwingend nur als Täuschung angesehen werden, zumal sich dadurch ihm/ihr auch die Möglichkeit eröffnet, dass sie sich anerkannt fühlen und ihre Aspekte vorurteilsfrei zur Geltung bringen können und somit auch gehört werden.

Ein Alterswechsel im Internet und die dadurch neu konstruierte Online-Altersidentität kann oftmals authentischer sein als die reale körperbezogene Identität. „Fühlt sich ein 50- Jähriger so jung wie ein 30-Jähriger und gibt sich im Internet als 30-Jähriger aus, so stimmt seine subjektive Realität mit der intersubjektiv wahrnehmbaren Realität im Online-

4 Während den Geschlechterwechsel nur ein Prozent häufig und vier Prozent gelegentlich durchführen, sind es beim Alterswechsel schon 20 Prozent, die dies gelegentlich tun und 48 Prozent, die häufig mit ihrem Alter jonglieren.

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Kontext überein (Authentizität), würde im Offline-Kontext aber abweichen“ (Döring 2003:

384).

3.3.4 Ethnizitätswechsel

Viel seltener, aber über einen Fall recht bekannt geworden, ist der Ethnizitätswechsel.

Dieser ereignete sich 1993 in den Foren des Online-Dienstes AOL. Ein User namens ‚Blue Snake’ bot Informationen und Online-Seminare über indianische Zeremonien, Rituale und Heilverfahren aus erster Hand an. Er leitete mehrere Chat-Foren und sein Angebot fand großen Anklang. Dies ging so lange gut, bis eine indianische Gruppe diese Angebote prüften und feststellten, dass ‚Blue Snake’ gar kein „Indianer“ war. Darauf protestierten echte Native-Americans bei AOL gegen diesen Ethnizitätswechsel, da sie diesen als Angriff auf die Integrität ihrer Kultur empfanden. Unter anderem wurde festgestellt, dass die Informationen über die Zeremonien und Rituale in den Seminaren nicht wahrheitsgetreu und richtig weitergegeben wurden (vgl. Döring 2003: 384).

Auf der anderen Seite könnten Ethnizitätswechsel, gerade angesicht der fortschreitenen Globalisierung auch dazu dienen, dass Menschen sich vorurteilsfreier im Internet bewegen und von anderen sozial anerkannt werden.5

3.3.5 Wechsel zur „Normalität“

Unter dem Begriff „Wechsel von einer marginalisierten Identität zu einer Mainstream- Identität“ behandelt die Pionierin der Online-Kommunikation im deutschen Raum, Nicola Döring (2003: 381), diese Thematik. Menschen mit körperlichen Benachteiligungen können durch den Zusammenschluss mit anderen UserInnen positive Erfahrungen sammeln. Bei körperlich bezogenen Stigmata ist dies dadurch möglich, dass man einfach nichts von seiner Benachteiligung erwähnt und dadurch von den anderen ohne Stigmatisierungen in die Kommunikation aufgenommen und respektiert wird. „Bei einem

5 Zur Häufigkeit von Ethnizitätswechsel belegt eine Online Umfrage, dass rund elf Prozent einen häufigen und 27 Prozent einen gelegentlichen Ethnizitätswechsel im Internet vornehmen.

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deutschsprachigen Chat-Kontakt unterstellen die Beteiligten normalerweise unter anderem, dass das jeweilige Gegenüber nicht im Rollstuhl sitzt, nicht blind ist, nicht schielt, nicht stottert, nicht von Akne, Neurodermitis, oder Adipositas betroffen ist, keine dunkle Hautfarbe hat und nicht außerhalb von Deutschland geboren wurde“ (Döring 2003: 381). Somit ist es möglich, dass die Betroffenen ohne etwas Besonderes zu tun, ihre Identität in den Augen der anderen wechseln. Solange solche Bekanntschaften reine Internet-Bekanntschaften bleiben, funktioniert dies sehr gut (vgl. Döring 2003: 381).

Für Betroffene ist es somit auf der einen Seite eine gute Möglichkeit soziale Anerkennung ohne Stigmatisierungen zu erleben, auf der anderen Seite kann dies dann belastend auf sie wirken, wenn aus der Internetbekanntschaft eine reale Bekanntschaft wird.

3.3.6 Wechsel von der „Normalität“ zum „Supermensch“

Fast jeder, der sich im Internet schon einmal mit Unbekannten unterhalten hat, kennt die Frage, wie wohl sein „Gegenüber“ aussieht. Es ist recht weit verbreitet, dass schon beim Erstkontakt per Foto oder verbaler Selbstbeschreibung abgeklärt wird, wie das äußere Erscheinungsbild des jeweils Anderen ist. Sehr häufig wird dabei das Ziel verfolgt, sich attraktiver zu beschreiben, als man in Wirklichkeit ist. Besonders wenn vermutet wird, dass sich auf der anderen Seite ein/eine potenzielleR PartnerIn befindet, wird versucht, so attraktiv wie möglich zu wirken, um seine Kontaktchancen und auch das Selbstwertgefühl zu verbessern.

Diese Idealisierung gemäß gängigen Schönheitsidealen ist weit verbreitet und auch unter UserInnen bekannt. Durch das Wissen, dass im Netz viel simuliert ist, wird die Neugier auf das „wirkliche“ Aussehen zum einen verstärkt und zum anderen kollidiert es oft mit der eigenen Vorstellung des Gegenübers. Döring (2003: 383) schreibt dazu: „Das virtuelle Design des Körpers ist also im Spannungsfeld eigener Idealvorstellungen und Kontrollwünsche, antizipierter Erwartungen des Gegenübers und widerständiger Realitäten angesiedelt“. Dabei stellt sich aber die Frage, ob durch die Möglichkeit des Identitätswechsels zum „Supermensch“ nicht eine Entfremdung vom Körper und ein Perfektionszwang vorangetrieben werden (vgl. Döring 2003: 383f).

Zusammenfassend bieten alle diese Möglichkeiten, mit der Identität zu jonglieren, auf der

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einen Seite viel Handlungsfreiraum für die einzelnen BenutzerInnen, machen es auf der anderen Seite den Menschen, die im Cyberspace unterwegs sind, auch oft nicht ganz einfach. Durch diese Optionen entsteht zum einen die Möglichkeit sich hinter einer andern Identität im Sinne der Maskierungsthese zu verstecken, oder seine eigene reale Identität ohne Konsequenzen im realen Leben zu testen. Unter dem Aspekt der These der Identitätsarbeit und der darin vorhandenen Anonymität kann es schwer sein, Vertrauen zu anderen UserInnen aufzubauen. Um zu erfahren wer oder was sein ‚Gegenüber’ tatsächlich ist‚ bleibt nur, den Angaben der Person ‚auf der jeweils anderen Seite’ zu vertrauen.

Gewissheit über die/den jeweils andereN UserIn ist jedoch schwer – ausgenommen in Videokonferenzen – zu erlangen. (Einige dieser Optionen der Identitätsveränderungen, wie Ethnizitätswechsel und Alterswechsel sind ja nicht nur bei der virtuellen Identität möglich.

Begrenzt kann das Alter oder die Herkunft auch in einem face-to-face Gespräch verändert werden).

Wenn sich Menschen in ihrer virtuellen Identität akzeptierter und wohler fühlen kommt es vor, dass sie ihre reale Identität anzweifeln. Wenn UserInnen aber nicht tagtäglich unzählige Stunden mit ihren virtuellen Identitäten im Internet unterwegs sind, kann man davon ausgehen, dass sie lernen mit ihren verschiedenen Identitäten, ob online oder offline, zurecht zu kommen. Benke (im Druck, erscheint 2009) schreibt hierzu: „Wer in der Realität zu Hause ist, ist ein Reisender. Er ist im Sinne eines Web-Nomaden nicht sesshaft.

Ja, er kann gar nicht sesshaft sein: vor allem nicht in sich selbst. Er ist allerdings drauf und dran zu lernen, mit dieser Dualität von realer und virtueller Identität umzugehen“.

3.4 Auswirkungen auf die reale Identität

Über Theorien bezüglich Identitätsverlust, die virtuelle Welt als Fluchtmöglichkeit, Krankheitsbilder sowie Sucht in und durch virtuelle/n Welten, wird häufig diskutiert. Was bedeutet es nun, eine oder mehrere virtuelle Identitäten zu besitzen? Wird dadurch auch die Offline-Identität verändert? Sind virtuelle Welten eine Fluchtmöglichkeit aus der Realität und was bedeutet dies für die Nutzung von Plattformen wie Second Life?

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