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Erziehungsmethoden in den

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Academic year: 2022

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Fachveranstaltung 

„Folgen von DDR‐Heimerziehung“

Erziehungsmethoden in den

Spezialheimen der Jugendhilfe

Dr. Christian Sachse

Magdeburg, den 13. November 2020

(2)

Bildung versus Erziehung (1)

Das bürgerliche Verständnis von Bildung geht davon aus, dass  jedes Individuum mit bestimmten Anlagen und Begabungen  ausgestattet ist, die in Korrespondenz mit den historischen 

Kulturgütern durch Versuch und Irrtum zur Entfaltung kommen. 

Weg und Ziel ist der mündige Mensch, der den Mut hat, „sich  ohne Anleitung eines anderen seines Verstandes zu bedienen“ 

(Kant).

Bildung ist ein offener, wenn auch nicht grenzenloser Prozess. 

Ihr Scheitern ist „tragisch“.

Die Bildung ist auf die Kategorie „Sinn“ ausgerichtet.

(3)

Bildung versus Erziehung (2)

Das sozialistische Bildungssystem verfolgt definierte Ziele, über  deren Sinnhaftigkeit das Individuum nicht zu entscheiden hat. 

Auf die Anerkenntnis dieser überindividuellen Wahrheiten hin,  wird der Mensch erzogen (Wortstamm: ziehen). Ziel ist die 

„sozialistische Persönlichkeit“, die in ihrer geistigen und 

emotionalen Ausstattung einem vorgefertigten Bild entspricht. 

Erziehung ist ein streng determinierter Prozess. Ihr Scheitern  hat Sanktionen zur Folge.

Diese Erziehung ist auf die Kategorie „Zweck“ ausgerichtet.

(4)

Schwererziehbarkeit und Umerziehung

Spezialheime waren nicht Einrichtungen der Erziehung, sondern der  Umerziehung. 

Vorausgesetzt wurde die Diagnose, dass mit den üblichen 

Erziehungsmethoden das Ziel der „sozialistischen Persönlichkeit“ nicht  mehr erreicht werden würde.

Als Ursachen wurden

a. Negative Einflüsse der Umwelt,

b. Eine „verfestigte Haltung“ gesehen,

die in ihrer Summe als Schwererziehbarkeit bezeichnet wurden.

Mit Schwererziehbarkeit ist in diesem Sinne jeglicher Widerstand gegen  die Hingabe an die staatlichen Erziehungsziele gemeint. 

Umerziehung hieß: Diesen Widerstand brechen.

(5)

Was geschah in den Spezialheimen?

Mehrere Schritte sind erkennbar:

Frühere Einflüsse konkurrierender Sinn‐ und Zielgeber wurden  durch Isolation ausgeschaltet (Peergroups, westliche 

Musikkulturen, „bürgerliche“ oder „alternative“ Lebensstile“,  religiöse Schriften etc.)

Mittels psychischer, physischer Gewalt, Entwürdigung wurde  der Widerstand gebrochen und die „Erziehungsbereitschaft  hergestellt “ (Lehmann, GJWH Torgau).

Auf dieser Basis wurden in der Regel bestimmte 

Sekundärtugenden in „feste Gewohnheiten“ überführt. Damit  waren die Voraussetzungen gegeben, doch noch zur 

„sozialistischen Persönlichkeit“ zu werden.

War dieser „Erziehungserfolg“ erreicht, war eine Entlassung  angezeigt.

(6)

Praktische Umsetzung (1):

Isolation

Spezialheime bedeuteten die vollständige langfristige Isolation von der Außenwelt  und nach innen:

Kontrolle bzw. Verbot 

jeglicher Kommunikation nach außen mit Verwandten, Freunden, Institutionen  per Brief, Besuch, Ausgang, Telefon,

jeglicher Information von außen (Zeitungen, Fernsehen, Radio, aber auch  bestimmte Literatur, Bibeln, Lebenshilfe),

zwischengeschlechtlicher Kontakte (in der Regel),

von „Gruppenbildungen“ im Kollektiv.

Darüber hinaus wurde die Isolation (Arrest) exzessiv als Sanktionsmaßnahme  angewandt.

Die Dauerisolation führte zu extremen Einschränkungen der sozialen 

Kompetenzen und Verzerrungen der Wahrnehmung, sowie Umleitung der  horizontalen Kommunikation in herrschaftsbetonte hierarchische Strukturen  (Goffman, Anstaltssoziologie).

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Praktische Umsetzung (2):

Disziplinierung

Die in der DDR gelehrte zweistufige Disziplinerziehung „passive 

Disziplin“, „bewusste Disziplin“ wurde in den Spezialheimen um eine  Vorstufe erweitert: „die Herstellung der Erziehungsbereitschaft“.

Kennzeichen:

1. Durch eine »zielgerichtete Einflussnahme« würden die 

»negativen Lebensgewohnheiten der Jugendlichen zerstört«, um  dann eine neue Orientierung zu ermöglichen.

2. Durch militärischen Drill und permanente Wiederholung von  Handlungsabläufen wird ein Automatismus in der Bewältigung  des Alltages installiert, der unabhängig vom Willen funktioniert  (analog zu Pawlowschen Reflexen).

3. Durch permanente ideologische Beeinflussung wird die 

Überzeugung induziert, dass diese Lebensweise als die beste  aller möglichen volle Unterstützung verdient.

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Praktische Umsetzung (3):

„Erziehungsbereitschaft herstellen“

In der Heimliteratur als „Eingangsschock“ oder „Schocktherapie“ bezeichnet.

Die zentrale Methode bestand darin, dem Neuankömmling seine völlig  aussichtslose Lage des Ausgeliefertseins bzw. der »bedingungslosen  Abhängigkeit« vor Augen zu führen. 

Das geschah durch gezielt entwürdigende Behandlung: stundenlanges 

Strammstehen in einem Flur, einzelne grundlose Schläge (zum Beispiel mit einem  schweren Schlüssel in den Rücken), das Kahlscheren der Kopfbehaarung, Nackt‐

Ausziehen von Mädchen vor männlichen Erziehern (mitunter mit Berühren der  Brüste), das Abspritzen mit kaltem Wasser zwecks »Reinigung«, nicht selten auch  die Untersuchung sämtlicher Körperöffnungen, Beschimpfungen, verbale 

Entwertungen. Danach erfolgte meist eine mehrtägige Unterbringung in einer  Arrestzelle. Junge Mädchen haben hier Unterwerfungsriten in Form (weiterer)  sexueller Übergriffe erlebt. 

Diese Riten des Eingangsschocks zielten auf eine absolute Unterwürfigkeit bzw. 

eine Vernichtung des Bewusstseins der Würde. In diesem Sinne war die Methode  durchaus erfolgreich und hat langfristige Wirkungen bis heute erzielt.

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Praktische Umsetzung (4):

„passive Disziplin“

Durch permanente Wiederholung einfacher Handlungen, aber auch  kompletter Tagesabläufe, sollten sich »feste Gewohnheiten« 

ausbilden, die sich fest in das menschliche Reflexschema 

einschrieben und nicht mehr änderbar waren, selbst wenn der 

Betroffene das wollte. Man argumentierte an dieser Stelle mit Iwan  Pawlow, dem Entdecker des bedingten Reflexes. In dieser ersten  Phase waren Zwang und Drill nicht nur erlaubt, sondern geboten.

Genutzt wurden militärische Ordnungsübungen (Appelle, 

Gleichschritt), Umgangsformen (Grußformeln, Anreden), teilweise  auch Uniformen und Manöver.

Heimkinder berichten bis heute, dass sie nicht in der Lage sind,  bestimmte andressierte Gewohnheiten abzulegen (Beispiel: 

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Praktische Umsetzung (5):

„bewusste Disziplin“

Als bewusste Disziplin wurde Eigenschaft bezeichnet, die  vorgegebenen und eingeübten Normen aus eigener 

Überzeugung einhalten zu wollen, die „normengerechte  Selbststeuerung des sozialen Verhaltens“. Es wurde die 

Erwartung formuliert, dass Befehle, Vorgaben und Normen  mit einem vorauseilenden engagierten Einverständnis 

rechnen könnten ‐ und das unabhängig von allen Inhalten.

Der dauerhafte Zugriff auf Überzeugungen, Wollen und 

Empfinden scheint nur bei einer kleinen Gruppe gelungen 

zu sein.

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Praktische Umsetzung (6):

weitere Praktiken

• Kollektiverziehung

• Arbeitserziehung

• Militärische Ausbildung

Siehe Aufsatz: Christian Sachse: Erziehungsmethoden in den  Spezialheimen der DDR. In: Trauma & Gewalt Heft2/2013.

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Fortwirkungen nach 1990

Diese Sozialisationsstrategien waren sehr effektiv  im Sinne ihrer Erfinder.

Isolation, Disziplinerziehung, Kollektiverziehung  haben Einstellungen befördert, die tendenziell

• In Erwartung des „autoritären, aber guten  Landesvaters“ stehen.

• Die Geborgenheit der Gruppe dem kühnen  Entwurf von individuellen Entscheidungen  vorziehen.

• Innovationen, Motivationsschüben von „außen“ 

prinzipiell misstrauisch gegenüber stehen.

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