• Keine Ergebnisse gefunden

Über die alte politische Literatur Indiens und ihre Bearbeiter.

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Über die alte politische Literatur Indiens und ihre Bearbeiter. "

Copied!
14
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

VII.

Über die alte politische Literatur Indiens und ihre Bearbeiter.

Von

Julius Jolly.

Seitdem ich auf der Heidelberger Tagung (1911) der Inter- nationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre über den Inhalt des damals neu entdeck- ten altindischen Lehrbuchs der Politik Kautiliya Artha§ästra berichtet habe 1), ist über dieses Werk eine ganze Reihe von Schriften entstanden, teils in Europa, teils und noch mehr in dem Lande seiner Entstehung. In diesem regen Interesse für einen keineswegs leicht verständlichen, vielmehr trotz aller ge- lehrten Untersuchungen und Kommentare noch immer vielfach dunklen Sanskrittext, sowie für die ganze politische Literatur Altindiens, drückt sich die große Bedeutung dieser Literatur aus, die uns die einheimische Kultur Indiens von einer ganz neuen Seite zeigt.

Unter den indischen Forschern, auf deren Arbeiten ich mich in dem nachstehenden Referat beschränken will, ragt durch Großzügigkeit hervor der Bengale Professor Ben o y Ku m a r Sa r k a r, der in seinen zahlreichen Schriften, englisch, deutsch und französisch, geistreiche Parallelen zwischen den altindischen Theorien und den Lehren europäischer Denker zieht, mit denen er sich eingehend vertraut gemacht hat. Seine politischen Ziele hat S ar k a r sehr weit gesteckt und erhebt die Forderung eines Herausgehens aller europäischen Völker aus seinem Jung-Asien und der Herstellung einheimischer Reiche, gleichviel mit welchen

1) Verh. d. Internat. Vereinigung f. vergl. Rechtswiss. u, Volkswirl- schaftsl. zu Heidelberg 1911, Berlin 1912, 181 ff. - Vgl. auch J. J o 11 y, Eine neue indische Rechtsquelle, in Zeitschr, f, vergl, Rechtswiss. XXXVII, 329 ff.

Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft. XLI. Band. 20

Aus: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 41, S. 305-318

(2)

Verfassungen und Staatseinrichtungen. Der Kolonialismus und die Albinokratie der weißen Völker soll einer völligen Gleich- stellung der weißen und farbigen Rassen weichen, wie sie schon auf dem Kongreß von Versailles der japanische Gesandte verlangte.

Deutschland, das durch den Verlust seiner Kolonien aus der Reihe der Kolonialmächte ausgeschieden ist, weist er bei dieser panasiatischen Politik eine aktive Rolle zu, es mUsse in seinem kommenden Freiheitskampf sich mit den ähnliche Zwecke ver- folgenden Bevölkerungen Ägyptens, Persieus, Afghauistans und Indiens verbunden. Diese Tendenzen stimmen mit den jungasiati- schen Bestrebungen einiger chinesischer Staatsmänner Uberein 1).

Mit Schärfe wendet sich Sa r k a r gegen die einseitige Auf- fassung Indiens als das Wunderland des Mystizismus und fUhrt diese Anschauung auf die deutschen Romantiker zurUck, die in Indien ihr Paradies, das Land ihrer Träume gefunden zu haben glaubten. Gerade aus der alten politischen Literatur Indiens läßt sich der Beweis entnehmen, daß es ein hochorganisiertes Land war, mit einer weitverzweigten Beamtenhierarchie mit fixen Gehältern, mit einem aufgeklärten Despotismus, großen stehenden Heeren, einerStaatsindustrie, mit See- und Landhandel, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Verbänden, befestigten Städten, der Ackerbau und der Bergbau hoch entwickelt. Wie alt die indische Baumwollindustrie ist, zeigen die indischen Baum- wollstoffe, in die man ägyptische Mumien eingehüllt fand.

Über die Entstehung des Königtums in der Welt lehren die alten indischen Politiker, daß in der Urzeit ein Fischrecht Mätsyanyäya geherrscht habe, indem die Stärkeren die Schwä- cheren vergewaltigten, gerade wie die großen Fische die klei- nen auffressen. Daher erwählten die Menschen den Urvater Manu als Herrscher und gaben ihm als Lohn für seinen Schutz den sechsten Teil •der Ernte und den zehnten Teil der verkauf-

1) B. K. S arkar, Positive Background of Hindu Sociology. Book II.

Political. Allahabad 1921. Political Institutions and Theories of theHindus.

Leipzig 1922. The Futurism of Young Asia.- Berlin 1922. Die Lebensan•

schauung des Inders. Leipzig (Markert & Petters) 1923 u. a.

(3)

Über die alte politische Literatur Indiens und ihre Bearbeiter, 307 ten Waren. Sa r k a r vergleicht das 'indische Fischrecht mit dem Naturzustand bei Hobbes und Spinoza, der ebenfalls in Anarchie und in einem Krieg aller gegen alle besteht. Die Strafgewalt des Herrschers, die nach indischer Auffassung allein solchen Zustän- den ein Ende machen kann, vergleicht er mit der Lehre der christlichen Kirchenväter, wonach die Herrschaft der Fürsten durch die Sündhaftigkeit der Menschen bedingt und als ein gött- liches Strafmittel für die Sünden der Menschen aufzufassen ist.

In der äußeren Politik herrscht bei den indischen Theore- tikern die Lehre von dem Umkreis von Staaten (Ma1;ujala) mit einem Eroberer in der Mitte, der nach Überwältigung der Nach- barstaaten seine Herrschaft auszudehnen und zu befestigen sucht.

Der Nachbarfürst nach vorne ist der natürliche Feind des Er- oberers, nach ihm folgt ein Freund, auf diesen Freund der Freund des Feindes, weiterhin ein Freund des Freundes und ein Freund des Freundes des Feindes. Ähnlich ist der Nachbar im Rücken als Feind zu betrachten, auf ihn folgt der Freund im Rucken, der Freund des Feindes im Rücken usw., auch kommt dazu noch ein neutraler und ein dazwischenliegender Staat, so daß ein sol- cher Umkreis von Staaten einschließlich des Erobererstaats zwölf Länder umfaßt. Sa r k a r sucht diese etwas schematische, aber für die in Indien herrschende Kleinstaaterei bezeichnende Auffassung der internationalen Beziehungen durch den Hinweis auf euro- päische Verhältnisse zu veranschaulichen. So handelt Frankreich im Sinne der indischen Theorie, wenn es Polen einerseits gegen Deutschland, andererseits gegen Rußland unterstützt, wie auch Italiens ungarische Sympathien sich aus der durch die geo- graphische Lage gegebenen Feindschaft gegen Jugoslavien er- klären. Noch mehr als in der Gegenwart träfen diese Parallelen für das europäische Mittelalter zu, als die Anzahl der Staaten in Europa noch eine viel größere war als heutzutage.

Unerfindlich ist, weshalb der gelehrte Inder in seinem pa- triotischen Streben, die Vorzüge der indischen Staatsverfas- sungen hervorzuheben, das Bestehen theokratischer Herrschaften in Indien leugnen und dem in Europa einst weit verbreiteten

(4)

Caesaropapismus gegenliber die indischen Staatswesen als rein weltliche bezeichnen möchte. Man denke z. B. an die unter der Leitung orthodoxer Brahmanen emporgekommenen Mahratten- staaten der Neuzeit und an so manche geistliche Staaten des indischen Altertums.

Eine ähnliche patriotische Tendenz wie die Schriften von Sa r k a r verfolgt ein anderer Bengale, der Professor der Ge- schichte U. G h o s a 1 in Kalkutta in seinem Werk über die Ge- schichte der politischen Theorien der Hindus bis zum Schluß des ersten Viertels des 17. Jahrhunderts n. Chr.1). In der Ein- leitung tritt er der oft zitierten Äußerung Max Müllers ent- gegen, welche die Inder als ein Volk von Philosophen charak- terisierte und Indien als ein Land, das keine Stellung in der politischen Geschichte der Welt einnimmt. Die Idee des Staates war vielmehr bei den Indern hoch entwickelt und man erblickte in den staatlichen Einrichtungen ein wesentliches Mittel, nicht nur um das ganze Leben des Volkes zu regeln, sondern um ihm überhaupt eine Existenzmöglichkeit zu bieten. Schon in den Liedern des Rigveda tritt uns ein wohlgeordnetes monarchisches Staatswesen entgegen, 'mit Vergöttlichung des Königtums; so identifiziert sich der König Trasadasyu mit Varu:r;ia und lndra, den beiden Hauptgöttern des Rigveda. In den Brahma:r;ias wird der König in seiner Eigenschaft als Veranstalter der großen Staatsopfer mit dem Gott Indra verglichen, allerdings neben dem König auch der Brahmane zum Gott erhoben, woraus sich dann die Lehre von dem notwendigen Zusammengehen der Prie- ster und Krieger, dem Bund von Kirche und Staat, ergibt. Schon in den ältesten Rechtsblichern, den Dharmasutras, tritt jedoch die Anschauung hervor, daß der König ein Beamter ist, dem seine Untertanen, flir den ihnen gewährten Schutz ein Sechstel ihrer Einnahme abgeben, und diese Theorie durchzieht die ganze Entwicklung des indischen Staatsrechts. Eine ungerechte Aus- übung der königlichen Herrschergewalt ist sündhaft und muß

1) A History of Hindu Political Theories. From the earliest times to the end of the first quarter of the seventeenth Century A. D. Oxford 1919.

(5)

Über die alte politische Literatur Indiens und ihre Bearbeiter. 309 durch eine Buße gesühnt werden. Als dann eine weltliche Staats- wissenschaft, das Arthasa;stra, aufkommt, stellt dieselbe Leit- sätze für das Verhalten eines Königs auf, die das Staatswohl als maßgebend erscheinen lassen. An die Gesetze der bürger- lichen Moral ist der König allerdings· nicht gebunden, wie z. B. die Ratschläge über betrügerische Ausbeutung der Unter- tanen in Zeiten der finanziellen Not und über die gewaltsame Beseitigung mißliebiger Prinzen beweisen. Reich an politischen Lehren und Vorschriften ist das ungeheure Epos Mahäbha;rata, das eine Mischung von religiösen und praktischen Grundsätzen enthält, die Beschützung der Untertanen für die höchste Pflicht des Königs erklärt und ihm übrigens die Betretung eines Mittel- wegs zwischen allzugroßer Strenge und allzugroßer Weichherzig- keit empfiehlt.

Einen großen Fortschritt in demokratischer Richtung hat nach G h o s a 1 der Buddhismus gebracht durch die Kreierung der Figur· eines Königs Mahäsammata, d. h. der große Erwählte, so genannt, weil er einst von einer überwältigenden Menge Volks gewählt wurde, als nach dem Aufhören des goldenen Zeitalters das Land durch Diebe und Räuber bedrängt wurde. Er war der schönste, mächtigste und gnädigste Mann in dem ganzen Lande und zum Lohn für die Beschirmung des Volks wurde ihm ein Sechstel der Reisernte überwiesen, wie nach der älteren brah- manistischen Sage, die früher erwähnt wurde. Die Ähnlichkeit dieser Vertragstheorie mit dem "contrat social" R o u s s e aus ist nicht zu verkennen. Mit dem Buddhismus wurde die Sage von dem Wahlkönig Mahäsammata auch nach Tibet und Birma verpflanzt.

Auch die politische Literatur der mit dem Buddhismus ver- wandten Jaina-Sekte hat G h o s a 1 untersucht, kommt aber zu dem Ergebnis, daß dieselbe ganz auf den oben erwähnten brah- manistischen Lehren beruht, obschon sie den sagenhaften Jaina- könig ~abha als Begründer des indischen Staats auftreten läßt.

Das jüngste, von dem bekannten Juristen Mitramisra verfaßte Lehrbuch der Politik, das der Verfasser bespricht, gehört schon dem 17. Jahrhundert an und enthält auch wenig Originelles.

(6)

Schon etwas älter als G h o s als Buch sind die Veröffent- lichungen des bekannten Sanskritforschers Ja y a s w a 1 in Patna in den Zeitschriften: Calcutta Weekly Notes, Modern Review und Journal of the Bihar and Orissa Research Society 1913-1915.

Dieser Gelehrte verfolgt besonders den Zweck, das Bestehen alter Republiken in Indien neben den mehr oder weniger des- potisch regierten Königreichen zu erweisen. Doch handelt es sich an den bezeichneten Stellen, wie Hillebrandt gezeigt hat1), mehr um alte Aristokratien als um eigentliche Republiken. Auch die Sanghas des Artha§ästra sind nur Vereinigungen kriege- rischer Adelsgeschlechter. Man übersehe nicht, daß die indischen Gelehrten der Gegenwart aus nationalen Grilnden ein prak- tisches Interesse daran haben, das frilhe Vorkommen freiheit- licher Einrichtungen und demokratischer Richtungen in Indien nachzuweisen (s. u.).

Durch Gründlichkeit und Originalität ausgezeichnet sind die Arbeiten von N. N. La w in Kalkutta, der manche Dunkel- heiten der indischen Quellen aufgehellt und die bekannte eng- lische Übersetzung des Artha§ästra von Shamasastri wesentlich verbessert hat. In seinem ersten Werk: Studies of Ancient Hindu Polity (1914) handelt er auf Grund des Artha§ästra über Berg- bau, Bewässerung und :Meteorologie, Viehzucht und Forstwissen- schaft, Pferde- und Elefantenzucht, Straßen und Verkehrsmittel, Schiffahrt und Handel, medizinische und hygienische Vorkeh- rungen, Volkszählung, Gerichtshöfe und Rechtsverfahren, Ob- ligationenrecht, insbesondere gültige und ungültige Verträge, Kauf- und Verkaufsrecht, Darlehen und ihre Sicherung, Hinter- legungen, Dienstverträge, Gesellschaftsverträge. Man gewinnt den Eindruck einer hochentwickelten Kultur, namentlich in Anbetracht der frühen Epi;)Che, um 300 v. Chr., in die der Verfasser der Einleitung zu dem vorliegenden Werk, R. Mookerji, im An- schluß an europäische Forscher das Artha§ästra versetzen möchte.

Doch ist gerade diese Annahme sehr unsicher und gewinnt auch nicht an Sicherheit durch die kUhnen Behauptungen über die

1) Altindische Politik. Jena 1923, 81-84.

(7)

Über die alte politische Literatur Indiens und ihre Bearbeiter. 311 angebliche historische Bedeutung gewisser Stellen des Artha-

§astra, durch die Mo ok er j i seine Hypothese zu stutzen gesucht hat. Nach meiner Meinung, betreffs deren Begründung ich auf R. Schmidts und meine neue Ausgabe des Artha§astra 1) ver- weis~, ist es etwa im 3. Jahrhundert nach Chr. entstanden, viel- leicht noch später wegen der darin enthaltenen Hinweise auf die Alchimie und das Goldmachen.

In seinem kürzeren aber inhaltreichen Werk Uber inter- nationale Beziehungen im alten Indien (Inter-state Relations in Ancient lndia, Kalkutta 1920) hat Law die schon oben erwähn- ten Lehren der altindischen Politik über den Staatenkreis von zwölf Ländern eingebend untersucht, manche der schwierigen Kunstausdrücke genauer und richtiger als bisher übersetzt und die Lage der Staaten zueinander durch Zeichnungen veranschau- licht. Statt "Neutraler Staat" sagt La w "Überstaat", weil dieser Staat als der mächtigste Staat in der ersten Zone geschildert wird, der jedem einzelnen der anderen Staaten überlegen ist und daher eine große Rolle in dem Staatensystem spielt. Unter den verschiedenen Arten von Friedensschlüssen ist der "goldene"

der beste, weil er gegenseitiges Vertrauen bewirkt, während ein Friede mit großer Kriegsentschädigung kein Vertrauen schafft.

Man denke etwa an den Frieden von Versailles.

Als das Hauptwerk des Verfassers sind die "Aspects of Indian Polity" (Oxford 1921) anzusehen, wozu der bekannte-schot- tische Sanskritist K e i t h ein Vorwort geschrieben hat, in dem der Zusammenhang diese( Studien mit den politischen Be- strebungen der Hindus betont, das angebliche sehr hohe Alter des Artha§ästra bestritten und der praktische, dem übertriebenen Brahmanismus abgeneigte Sinn seines Verfassers dargelegt wird.

La w selbst handelt in neun Kapiteln über Staatsformen, den Staatsrat, den königlichen Hauspriester, die Thronfolge, die Er- ziehung der Prinzen, die Tageseinteilung des Königs, die Ge- schichte der hauptsächlichen Staatsämter, die Theorien über die

1) Arthasa;stra of Kautilya. A new edition by J. Jolly and R. Schmidt.

Labore 1923.

(8)

Entwicklung des Königtums und die religiöse Seite der indi- schen Staatskunst. Von den verschiedenen Hypothesen über den Ursprung des indischen Königtums wird der Zurückführung des Königs auf den Patriarchen der Urzeit die größte Wahrschein- lichkeit zugesprochen, dabei .aber auch die Wichtigkeit der per- sönlichen Qualitäten des Thronkandidaten betont, gerade wie in der indischen Gesamtfamilie der Gegenwart nicht immer der Älteste an die Spitze tritt, sondern auch ein jüngeres, durch Würdigkeit hervorragendes Familienmitglied durch Wahl diese Stellung erlangen kann. Sehr eingehend werden die religiösen Elemente des Staatslebens besprochen. So hat der Staat nach indischer Auffassung nicht nur für das materielle Wohl seiner Angehörigen zu sorgen, sondern er ist auch eine geistige Heils- anstalt, die durch die Erreichung der drei menschlichen Lebens- ziele: Pflicht, Gewinn und Genuß zur Erlösung führt. Der König ist ein Gott, der sogar andere Welten zu schaffen und die Götter ihrer Stellung zu entsetzen vermag, und je nach den verschie- denen Seiten seiner Tätigkeit mit verschiedenen Gottheiten gleichgestellt wird, indem er z. B. seinen Untertanen Wohltaten erweisen soll, wie der Gott Indra auf die Erde herabregnen läßt, oder indem er wie der Gott des Todes über die Menschen herrschen soll. Die Rechte und Pflichten der Untertanen sind nach den Ständen abgestuft, wobei die Brahmanen, der geist- liche Stand, die erste Stelle einnehmen. Zur Abwendung dem

Staat drohender Übel und Heimsuchungen und zur Beförderung des Staatswohls werden mannigfache religiöse Begehungen vor- geschrieben, worüber das Nähere aus dem Atharvaveda zu er- sehen ist. Die Einsetzung eines Königs, Kaisers, Kronprinzen oder Feldherrn in ihre hohen Ämter ist mit verschiedenen re- ligiösen Feierlichkeiten verbunden, die sich mit den Krönungs- zeremonien bei a'bendländischen Völkern vergleichen lassen.

Ein in Frankreich lebender Hindu, K a I i das Na g, hat in französischer Sprache die diplomatischen Theorien Altindiens dargestellt: Les Theories diplomatiques de l'Inde ancienne et l' Arthasastra (Paris 1923).

In

vier Kapiteln wird hier die Di-

(9)

"Über die alte politische Literatur Indiens und ihre Bearbeiter, 313 plomatie der Vedas, der Epen, der Schulen und des Artha-

§ästra beschrieben, woran sich ein fünftes Kapitel mit Schluß- folgerungen und zwei Anhänge über das Vorkommen auf Diplomatie bezüglicher Ausdrücke_ in den alten indischen In- schriften und über geographische Daten im Artha§ästra anschließen.

Sehr ausgebildet ist im Artha§ästra das Spionenwesen, das nicht nur zur Überwachung der Beamten und der Verbrecher des eigenen Landes, sondern auch zur Auskundschaftung benach- barter, feindlicher oder neutraler Staaten dient durch die Ver- wendung von Geheimagenten in den verschiedensten Verklei- dungen und mit Benützung von Geheimschriften und symbolischen Zeichen. Die Spione werden als die Augen des Königs bezeich- net, weil der König durch seine Spione sehend gemacht wird.

Die Diplomatie verfolgt als Hauptzweck die Verhinderung des Kriegs, wie auch nach den Rechtsbüchern von den vier diplo- matischen Mitteln: Freundlichkeit, Bestechung, Entzweiung und Gewalt, das letzte nur im äußersten Falle angewendet werden darf, wenn die anderen Mittel versagen. Der Krieg führt nach dem Artha§astra zu Verlusten, Ausgaben, zum Verlassen der Heimat und zur Begehung von Sünden, daher muß man, wenn die vom Krieg und Frieden zu erwartenden Vorteile gleich sind, den Frieden vorziehen. Hat man eine Eroberung gemacht, so muß man die neuen Untertanen durch Milde zu gewinnen suchen und die Herrschertugenden des Gegners durch doppelt so große Tugenden in Schatten stellen. Bei Friedensschlüssen sind zur Sicherung des Friedens Geiseln von hohem Rang, besonders Prinzen, zu stellen, doch werden den Prinzen eine Menge Rat- schläge erteilt, wie sie mit Hilfe von Freunden in Verkleidung aus dem feindlichen Gewahrsam entkommen können. Für den Kriegführenden ist es wichtig, einen tüchtigen V erblindeten zu haben, wobei die Frage entsteht, ob größere Vorteile zu er- warten sind von einem an Menschen oder e.inem an Gold reichen Verbündeten. Hier scheint der erstere Verbündete auf den ersten Blick vorteilhafter, weil er Furcht verbreitet und einen raschen Erfolg erzielt; in Wahrheit aber ist ein an Gold reicher Ver-

(10)

bündeter besser, weil man das Geld immer gebrauchen und da- mit auch ein Heer und alles, was man nur will, kaufen kann.

Daß es Söldlinge gab, sieht man aus der Einteilung der Trup- pen in angestammte oder ererbte Truppen, bezahlte Truppen, Truppenverbände, Hilfstruppen und wilde Stämme. Die Ver- träge brauchen sich nicht immer auf Krieg und Frieden oder auf Bündnisse zu beziehen, sondern es gibt auch Verträge über gemeinsame Erwerbung von Land, über die Urbarmachung un- bewohnter Strecken, über gemeinsame Arbeiten, wie z. B. An- legung einer Befestigung. Immer handelt es sich bei solchen diplomatischen Unterhandlungen um ein Intriguenspiel, wobei der Klilgere die andere Partei überlistet und oft der Verbün- dete zum Feind oder umgekehrt der Feind zum Freunde wird.

In der chronologischen Frage nach der Entstehungszeit des Artha§ästra nimmt Na g eine Mittelstellung ein, indem er ein allmähliches Zustandekommen dieses Lehrbuchs der Politik vermutet, etwa wie die Lehrbücher der Medizin in Indien mehr- fache Überarbeitungen erfahren haben, was auch durch das Klima bedingt war, das zu öfterem Abschreiben der Manu- skripte nötigt, wobei dann Änderungen und Zusätze unver- meidlich sind. Am deutlichsten sprechen nach Na g, der sich hier auf Finot und Pelliot beruft, die geographischen Namen in dem Kapitel über den Schatz und die Juwelen des Königs gegen eine frühe Entstehung des ganzen Werks, obwohl die Wissenschaft der Politik als solche sehr alt ist und namentlich ihre juristischen Elemente schon in die vorbuddhistische Epoche zurückgehen. Die späte Auffindung des Artha§astra ist daraus zu erklären, daß es durch die reinere Moral eines jüngeren Zeitalters und schon eines Königs Asoka gänzlich zurück- gedrängt wurde U;nd in Vergessenheit geriet, bis es in einer südindischen Bibliothek wieder auftauchte.

Prof. J. N. Samaddar in Patna hat eine Reibe von ihm an der Universität Kalkutta gehaltener Vorlesungen über indi- sche Wirtschaftsgeschichte veröffentlicht unter dem Titel: Lec- tures on The Economic Condition of Ancient lndia (Kalkutta

(11)

Über die alte politische Literatur Indiens und ihre Bearbeiter. 315 1922), er handelt darin über die Anfänge der Wirtschaft, wirt- schaftliche Ideen im Gesetzbuche des Manu, die beiden großen Epen vom wirtschaftlichen Standpunkt, die wirtschaftlichen Yer- häfü1isse der Mauryazeit, d. h. des Artha§ästra, und das wirt- schaftliche Leben in den buddhistischen J ätakas. Für die Ver- hältnisse in den Vedas stützt sich der Verfasser besonders auf Kaegi und den Vedic Index von Macdonell und Keith, für die buddhistische Epoche auf die bekannten wirtschaftlichen Studien von Mrs. Rhys Davids, die ihn überhaupt zu seinem Werk angeregt haben. Gegen die Ansicht, daß den Indern des Rigveda die See noch nicht bekannt war, wird polemisiert und das frühe Vorkommen eines Seehandels zu erweisen gesucht, ebenso eine primitive Metallurgie und der Gebrauch von ge- münztem Geld. Von den Gesetzen Manus wird ein anschaulicher Überblick gegeben und die Streitfrage, ob der ganze Grund und Bo_den dem König gehörte, dahin entschieden, daß es auch Privateigentum an Äckern gab, der König aber der oberste Herr des Bodens war. In den beiden Epen tritt der Ackerbau als die Hauptquelle der materiellen Existenz hervor und Srtä, die Hel- din des fütmäyaJ;J.a, ist die personifizierte Ackerfurche, doch ver- dammte eine strengere Richtung den Ackerbau, weil die eiserne Pflugschar den Boden und die darin lebendtn Geschöpfe ver- wundet. Aus dem Artha§a;stra, das der Verfasser unbedenklich um 300 v. Chr. setzt, werden die Beschreibungen der liönig- lichen Beamten und ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit hervor- gehoben, dann die Volkszählung und Statistik, Handel, Schiff- fahrt und Straßenbau. Die interessanten Auszuge aus buddhisti- schen Märchen beziehen sich besonders auf Land- und Seehandel, Karawanen, den Export von Pfauen nach Babylon, verpfändete Siegelringe und andere Pfänder, reiche Kaufleute, Handelstraßen, Münznamen u. dgl., so das Bild einer hohen Kultur gebend. In seinem neuen, im Druck befindlichen Werk: "The Glories of Magadha" gibt Sam ad dar eine Beschreibung der alten Haupt- städte und Universitäten dieses gelobten Landes des Buddhismus.

Eine groß angelegte Verfassungs- und Rechtsgeschichte

(12)

nebst einem Abriß der politischen Geschichte Indiens verdanken wir einem Rechtsanwalt und Lecturer in Lahore, Ch. L. Anand.

Hier kann uns von dieser dreibändigen 9lntroduction to the History of Government in lndia" nur Part I, The Rind~ Period, Lahore 1924, interessieren, ein recht lesbarer, wenn auch kaum Neues bietender Überblick über die vormuhammedanischeEpoche.

Auch die Berichte der griechischen, chinesischen und arabi- schen Reisenden über indische Zustände werden eingehend ver- wertet, natürlich auch wieder ausführliche Auszüge aus dem ArthaMstra gegeben, außerdem aus dem von Sarkar aus dem Sanskrit übersetzten politischen Lehrbuch Sukran1ti. Der König war zuerst nur der erwii.hlte Führer des Volks in Waffen, kein Richter und Verwalter, während die höchste Gewalt in den Händen der Volksversammlung lag. Erst im epischen Zeit- alter, als große Staaten entstanden und die allgemeinen Ver- hältnisse sich konsolidierten, wurden die Könige zu erblichen Friedensherrschern, Beschützern ihrer Untertanen und Inhabern der Strafgewalt, während die Volksversammlung zurücktrat.

Später wurde eine wohlabgestufte Beamtenhierarchie eingeführt und ein verantwortlicher Staats- und Ministerrat geschaffen. Die Schutzpflicht des Königs, für deren Ausübung er sein Ein- kommen iu der Form von Abgaben bezieht,· geht so weit, daß er das von Dieben Gestohlene den Eigentümern ersetzen muß.

Der Buddhismus steigerte die Fürsorge der Regierung für das Volkswohl, schwächte aber die militärische Kraft des Staates, indem er die waffenfähige Jugend aus dem Heer in die Klöster trieb. Auch die Geschichte des Kastenwesens, besonders das Vierständesystem, wird eingehend dargestellt. Unter den V er- brechen treten besonders hervor: Verbalinjurien, Realinjurien, Diebstahl, Räub~rei, sexuelle Verfehlungen. Die Strafen sind · mannigfacher A;t, von bloßem V erweis bis zur verschärften Todesstrafe, weitaus am häufigsten kommen Geldbußen zur An- wendung, wie dies auch die chinesischen Reiseberichte über Indien bestätigen. Die Beweisaufnahme ist entweder menschlich, d. h. es werden Zeugen oder Schriftstücke beigebracht oder langer

(13)

Ober die alte politische Literatur Indiens und ihre Bearbeiter. 317 Besitz der Streitsache bewiesen, oder göttlich, d. h. es wird beim Fehlen menschlicher Beweise irgendein Gottesurteil vollzogen.

Der Vollständigkeit halber erwähne ich nachstehend noch e.inige mir nur aus Anführungen bekannte neuere Werke von indischen Gelehrten über altindische Politik und Regierungs- kunst: R. V. R. Aiyangar, Some Aspects of Indian Polity, Madras 1916; P. N. Banerjea, Public Administration in An- cient lndia, London 1916; D. R. Bhandarkar, Carmichael Lectures, Kalkutta 1919 (über die Lehre vom Fischrecht, den Ursprung der Monarchie, Beschränkungen der Königsgewalt, republikanische Einrichtungen u. a.); R. C. M aj um dar, Cor- porate Life in Ancient lndia, Kalkutta 1919 (über indische Re- publiken); R. Sh am a s a s

tr

i, Evolution of Hindu Polity, Kal- kutta 1920 u. a. Wie 0. Stein richtig bemerkt hat, sind diese Werke indischer Forscher nunmehr schon schwer übersehbar geworden und noch weniger alle erreichbar.1)

Soeben beim Abschluß dieser Arbeit kommt mir aus In.

dien noch das besonders umfangreiche (540 S. gr. 8°), schön ausgestattete Werk von Jayaswal zu: Hindu Polity a Con- stitutional History of lndia in Hindu Times by K. P. Jayas- wal, Kalkutta 1924. Der erste Teil handelt über die Republik, der zweite über die Monarchie in Indien, und der Verfasser hat mit staunenswerter Belesenheit aus den verschiedensten Quellen Material zur Begründung seiner schon oben erwähnten Anschau- ungen zusammengetragen. Die wichtige S_telle über die Gav.as in dem Epos Maba;bha;rata wird in Text und Übersetzung mit- geteilt. Doch bleibt die Auffassung von Gav.a als "Republik"

bedenklich und ich verweise nochmals auf Hi 11 e brand t, der es auf die reichsunmittelbaren Familien des Adels bezieht, an deren Spitze die kleineren Ra;jas des Landes stehen. Es soll verhütet werden, daß sie zum Feinde übergeben und sie sollen ihren Führern treu bleiben. Auch in anderen Werken bezieht sich Gav.a auf Korporationen, nicht auf Republiken. Ebenso- wenig ist es dem Verfasser gelungen, die Sa1ighas als Repu-

1) Zeitschr. für Indologie und Iranistik III, 158 (1924:).

(14)

bliken zu erweisen, obwohl seine neue Erklärung der schwie- rigen Stelle über die Sai1ghas im Artha§a;stra XI, 1, 4 richtig sein mag. In dem Teil über das Königtum ist viel neues Material über ständische Einrichtungen gesammelt, doch geht der V er- fasser zu weit in der Annahme eines altindischen Parlaments mit den ausgedehntesten Befugnissen, wie Absetzung und Ein- setzung des Königs, Steuerverwilligung, Ernennung von Mini- stern, Erlaß von Gesetzen u. a. Ein interessantes Kapitel handelt über den Einfluß der Waldeinsiedler und Bettelmönche und überhaupt der öffentlichen Meinung auf die Regierung. Die Theo- rie, daß aller Grund und Boden dem König gehört, wird ent- schieden abgelehnt und filr unindisch erklärt. Im ganzen ist dieses Werk als eine hervorragende Leistung zu bewerten.

Als ein allen vorstehenden Arbeiten gemeinsamer Zug ist anzusehen die Hervorhebung des staatlichen Lebens an Stelle der bisher einseitig betonten Philosophie und Religion der Inder und der Hinweis auf demokratische und republikanische Staatformen und die Rechte der Korporationen im alten Indien.

Das Königtum erscheint außerdem beschränkt durch die ihm auf erlegten Bedingungen des Schutzes und guter Regierung und die Auffassung des Königs als eines von dem Volk be- zahlten Beamten. Ein Zusammenhang dieser nur scheinbar rein wissenschaftlichen Tendenzen mit der modernen freiheit- lichen und Autonomiebewegung ist nicht zu verkennen. Es liegt im Interesse der Svarajisten, sich auf ähnliche Strömungen in der alten Literatur ihres Vaterlandes berufen zu können. Dar- um wollen auch die meisten der besprochenen Autoren den Glauben an die Echtheit und das hohe Alter des Artha§astra nicht aufgeben, obwohl die Beweise dafür ungenügend sind.

So sehr man mit den freiheitlichen Tendenzen dieser indischen Forscher sympathisieren kann, so sind doch ihre historischen · Anschauungen und Ergebnisse mit Vorsicht aufzunehmen und man kann die hier genannten Autoren nicht ganz von dem Vorwurf freisprechen, Geschichte und Politik nicht auseinander- gehalten zu haben.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

The first quarter of the 16th century was the heyday of woodcut illustrations, with noted artists of the age – Erhard Altdorfer, Lucas Cranach (the Elder and the

Ʉɚɬɨ ɜɴɡɩɪɢɟɦɚ ɨɫɧɨɜɧɚɬɚ ɬɟɨɪɟɬɢɱɧɚ ɪɚɦɤɚ ɧɚ ɇ. ɒɭɦɩɟ - ɬɟɪ ɪɚɡɜɢɜɚ ɫɜɨɹ ɬɪɚɤɬɨɜɤɚ ɩɨ ɩɨɜɨɞ ɪɚɡɜɢɬɢɟɬɨ ɢ ɪɚɫɬɟɠɚ ɧɚ ɢɤɨɧɨɦɢɤɚɬɚ. Ɉɬ ɟɞɧɚ

duced in 1572 in a collection of engravings edited by Hieronymus Cock, and was widely circulated in later editions."1 The analysis of Bosch ’s features as displayed in

The Case for Simplicity: a Paradigm for the Political Economy of the

The Polish authorities sought, however, to reorient the seasonal migration flows to new counties and provinces in order to draft the poorest laborers for

Moreover, from the sixteenth century onwards, Cracow possessed a highly developed tradition of purely scientific illustration.3 The use of scientific subject-matter for allegorical

Kuhn F, Morris R, Witherspoon CD, Heimann K, Jeffers J, Tre- ister G (1996) A standardized classification of ocular trauma ter- minology. Bulut E, Dokur M, Basar E (2020) The top

See: Leon Simanschi, "Fom1area personalitä�ii lui Stefan cel Mare" (The Formation of Stephen the Great's Personality], in $tefan ce/ Mare �i Sfdnt - Porrret in Istarie