Willy Bang Kaup.
9. August 1869 — 8. Oktober 1934.
Ein Nachruf von Hans Heinrich Schaeder.
Wenige Wochen nach seinem 65. Geburtstag ist W. Bang
Kaup in seinem Wohnsitz Darmstadt, gänzhch unerwartet
für seine Angehörigen und seine Freunde, nach kaum halb-
lägiger Krankheit und einer glücklich verlaufenen Operation
dahingegangen, mitten aus der Arbeit heraus. Sein Tod be¬
deutet einen nicht zu ersetzenden Verlust für die Berliner
Orientalistik, die erst vor wenigen Wochen durch das Ableben
seines Altersgenossen K. Sethe schwer betroffen worden ist.
Und mit ihm geht einer der letzten von den Männern dahin,
die im vergangenen Menschenalter die türkische Sprach¬
wissenschaft und Philologie zur ebenbürtigen Partnerin der
älteren orientalistischen Disziplinen erhoben haben.
W. Bang Kaup stammt aus einer alten hessischen Ge¬
lehrtenfamilie, zu deren Geschichte er in den 1908 privat
gedruckten und seinen Söhnen zugeeigneten ,Parentaha'
wertvolle Materialien mit liebevollem Fleiß zusammen¬
getragen hat. Den Wahlspruch, den er vor dies Buch schrieb:
Vivos amare voluptas, defunctos religio, hat er in seinem
Leben wahrgemacht. Menschlich wirkte er durch nichts so
stark wie durch die Treue, die er seinen Freunden hielt, und
durch die warme Verehrung, mit der er das Andenken seiner
Lehrer umgab. Unter ihnen stand ihm Charles de Harlez
in Löwen voran, der dem jungen Rheinländer die wissen¬
schaftlichen Wege wies und ihn über die ersten Stufen seiner
akademischen Laufbahn führte. Auf Bang Kaups Arbeits¬
tisch stand immer das Bildnis, das die scharfgeschnittenen.
H. H. Schaeder, Willy Bang Kaup. 201
vergeistigten Züge des großen Kenners der altiranischen und
ostasiatischen Sprachen zeigte.
V. TnoMSENS Entzifferung der Orchon-Inschriften ent¬
schied Bang Kaups Wendung zur Türkologie. Er suchte das
sprachliche Verständnis der Inschriften mit Hilfe seiner
Kenntnis des Mandschu und des Mongolischen zu fördern —
ein Unternehmen, von dem er später abkam. Äußere Um¬
stände veranlaßten ihn, die türkischen Studien für mehr als
ein Jahrzehnt zurückzustellen. Der Lehrstuhl für Germa¬
nistik und englische Philologie, den er seit 1895 als außer¬
ordentlicher, seit 1899 als ordentlicher Professor in Löwen
inne hatte — daneben war er seit 1892 Studiendirektor der
ficole des Langues Orientales ebenda —, forderte seine un¬
geteilte Kraft. Als Herausgeber der vierundvierzig Bände
,Materialien zur Kunde des älteren englischen Dramas'
(Löwen 1902—1914) hat er sein wissenschaftliches Ansehen
als Anglist begründet.
Daß aber seine erste Liebe zur Türkologie nicht ver¬
gessen war, geht aus seiner 1909 schlagartig wieder einsetzen¬
den und von nun an nicht mehr unterbrochenen turkolo-
gischen Produktion hervor, die jahrelange stille Studien
voraussetzt. Der äußere Anlaß wird die nach K. Foys vor¬
zeitigem Tode von F. W. K. MüiiLKR und A. von Le Coq in
Gang gebrachte Erschheßung der uigurischen Texte aus
Turfan gewesen sein. Gleichzeitig richtete sich Bang Kaups
Interesse auf zwei andere Gebiete der Türkologie: auf den
Codex Cumanicus, die unschätzbare einzige Quelle für das
von franziskanischen Missionaren vorübergehend zur Lite¬
ratursprache erhobene Komanische, und auf die von W. Rad-
LOFF und anderen gesammelten Materialien aus den modernen
osttürkischen Dialekten. In den beiden letzteren Fällen sah
er sich durch den Stand der Forschung, den er vorfand, zu
einschneidender Kritik veranlaßt.
Mitten in diesen Arbeiten traf ihn der Ausbruch des
Krieges, der ihn zum Abschied von Löwen zwang. In der
Heimat sah er sich nun der vollen Freiheit für seine turkolo-
gischen Forschungen wiedergegeben. Einen neuen Wirkungs-
202 H. H. ScHAEDBH, Willy Bang Kaup.
kreis fand er 1917 in Frankfurt, dann von 1920 ab in Berlin,
wo er in den Verband des von R. Gragger aufgebauten
Ungarischen Instituts eintrat.
Seit dieser Zeit erschienen in ununterbrochener Folge
seine Abhandlungen und Textveröffentlichungen, die er zu¬
meist in den Schriften der Berliner Akademie, daneben nach
dem Kriege wieder in dem Löwener ,Museon', dem er sich
besonders verbunden fühlte, und in den , Ungarischen Jahr¬
büchern' erscheinen ließ. Sein eigentliches Interesse war und
bheb auf das Spraehliche gerichtet, zumal auf den Formen¬
bau und die Wortbildung der Türksprachen, bei deren Er¬
hellung er die ausgebreitetste Stoffkenntnis mit einem be¬
wundernswerten Scharfsinn und einer auch vor kühnen Hypo¬
thesen nicht zurückschreckenden Kombinationsgabe verband.
Es konnte nicht fehlen, daß er mit den Jahren fort¬
schreitend seine eminente Kraft in den Dienst der Haupt¬
aufgabe stellte, die der Türkologie in Berlin gesetzt ist: die
sprachliche und sachliche Erklärung der zahllosen türkischen
Texte und Textbruchstücke aus dem Ertrag der Turfan-
Expeditionen. Mehrere der von A. von Le Coq erstmalig
und nach dem damaligen Stand der sprachlichen und sach¬
lichen Kenntnisse notwendigerweise provisorisch heraus¬
gegebenen manichäischen Texte hat er neu bearbeitet und
dabei als Exeget von eindringendem religionsgeschichtlichem
Verständnis die gleiche Meisterschaft an den Tag gelegt wie
in der Aufhellung des Sprachhchen. Den Sammlungen A. von
Le Coqs hat er mehrere umfangreiche und inhaltlich be¬
deutsame manichäische Texte hinzugefügt. Die Erschließung
der christlich-türkischen Texte hat er durch die glänzende
Bearbeitung der ,Türkischen Bruchstücke einer nestoriani¬
schen Georgspassion' gefördert, um sich dann in den letzten
Jahren besonders den buddhistischen Texten zu widmen, die
er in Gemeinschaft mit Dr. A. von Gabain herausgab. Mit
der gelehrten Sinologin zusammen arbeitete er zuletzt an den
schwierigen, für die Kenntnis der älteren osttürkischen Laut¬
verhältnisse neuen Aufschluß verheißenden Textbruchstücken
in Brahmi-Schrift.
H. H. ScHAXDEB, Willy Bang Kaup. 203
Bang Kaup, der nur während des Semesters in Berhn
lebte und den man kaum außerhalb seines Arbeitszimmers
sah, hat als erster der Türkologie an der Berliner Universität
einen festen Platz verschafft und im letzten Jahrzehnt eine
Reihe von Schülern ausgebildet, die in seinem Sinne weiter¬
arbeiten werden. Neben Dr. A. von Gabain und Dr. K. Mkn-
GES stehen die Tataren Dr. G. R. Rachmati, der sich durch
die Bearbeitung schwieriger Turfantexte verdient gemacht
hat und heute in Istanbul wirkt, und seine Landsmännin
Dr. S. ScHAKiR-IsHAKi, die über denominale Verbbildungen
in den Türksprachen gearbeitet hat, sowie Dr. J. Schinke-
wiTSCH, dessen ergebnisreiche Untersuchung über die Syntax
des Rabghuzi bekannt ist.
Es ist angelegentlich und zuversichtlich zu hoffen, daß
die von Bang Kaup geschaffene Tradition im Leben er¬
halten wird, nicht zum wenigsten mit Rücksicht auf die
wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und
der Türkei sowie den Türkvölkern der Sowjetunion. Die
Beschäftigung mit der osmanischen Sprache und Literatur,
die gewiß aus vielerlei Gründen von besonderer Bedeutung
ist, macht so wenig den Turkologen wie die Beschäftigung
mit dem Alten Testament den Semitisten macht. Die Sprachen
und Kulturen des älteren und neueren zentralasiatischen
Türkentums, die seit Jahren in der neuen Türkei fortschrei¬
tende Aufmerksamkeit finden, stellen der Forschung eine
unübersehbare Fülle reizvoller und dringlicher Aufgaben.
Es liegt im eigensten Interesse der deutschen Orientforschung,
an der Lösung dieser Aufgaben weiterhin beteiligt zu sein.
Eine bis 1929 reichende, von A. von Gabain, G. R. Rachmati
und H. DE Vocht zusammengestellte Bibliographie der wissenschaft¬
lichen Veröffentlichungen Bang Kaups ist in den ,Ungarischen Jahr¬
büchern' IX, 1929, 188—195 gedruckt. Sie wird in der gleichen Zeit¬
schrift von A. VON Gabain bis 1934 ergänzt werden.
Bücherbesprechungen.
George H. Danton, the culture contacts of the United
States and China — the earliest Sino-American culture
contacts 1784 — 1844. New York, Columbia University
Press 1932.
Ein aufschlußreiches Buch über den so wichtigen Ge¬
schichtsabschnitt der frühen chinesisch-amerikanischen Be¬
ziehungen. Es behandelt eine Zeit von 60 Jahren, vom ersten
Erscheinen amerikanischer Kaufleute in China bis zum Chine¬
sisch-Amerikanischen Vertrage von Wang-hia, d. h. etwa
gerade bis zur Öffnung Chinas, örtlich beschränkt es sich da¬
mit chinesischerseits auf die Plätze Macao und Kanton. Unter
Benutzung eines großen Quellenstoffs aus zeitgenössischen
Akten, Pressenachrichten, Missionsberichten und periodischen
Zeitschriften hat der Verfasser ein Bild von den Kreisen der
ältesten Kaufmannschaft und protestantischen Mission zu
gewinnen gesucht. Er schildert ihre Wesensart, ihr Verhältnis
zum chinesischen Beamten- und Kaufmannsstande, und zeigt,
wie man in Amerika den Chinesen und in China den Ameri¬
kaner zunächst sah und wie man sich allmählich etwas zu
verstehen begann. Wir finden in dem Buche eine kurze Ge¬
schichte der ältesten Firmen und Nachrichten über Anfänge
und Entwicklung der protestantischen Mission, erfahren Per¬
sönliches über Männer wie Morrison, Bridgman, Brown,
Parker, Gützlaff, Williams und Medhurst. Alles in allem ein
höchst anschauliches Bild jener Zeit, versehen mit geist¬
reichen, in die Tiefe gehenden Deutungsversuchen. Aber
doch immerhin, da ganz auf amerikanischer Literatur be¬
ruhend, eben gesehen mit amerikanischem, wenn auch china-