Hemmende und fördernde Faktoren
für die Verbreitung des Christentums in Fernasien
Von Hans Aufhaüser, München
Don Francesco de Yasu y Xavier, Freund des Inigo de Onazy de
Loyola und Mitbegründer des ,, Fähnlein Jesu", landete am 15. August
1549 in Kagoshima. Zwei Jahre verkündete er hier wie in Yamaguchi
und Bungo die Frohbotschaft Jesu. Während der ersten Monate seines
Aufenthaltes im Reiche der aufgehenden Sonne war er auf Grund der
Liebenswürdigkeit, Freundlichkeit, Höflichkeit, Ritterlichkeit und der
sonstigen von ihm mit beredten Worten gerühmten natürlichen Tugenden
der Japaner von begeisterter Hoffnung auf baldige Bekehrung des Insel¬
volkes zum Christentum beseelt. Nur eine seiner vielen ähnlichen Äuße¬
rungen in seinen Briefen an Ignatius in Rom oder seine Mitbrüder in
Goa sei hier wiedergegeben: ,, Kommt zur übernatürlichen Kraft des
Evangeliums noch äußere Empfehlung (durch die von ihm reichlich
gepflegte Geschenksmethode im Missionswerk), so hege ich die zuver¬
sichtliche Hoffnung, in kurzer Zeit in Japan durch zahlreiche Be¬
kehrungen eine blühende christliche Kirche erstehen zu sehen." (Brief
an P. Antonius Gomez vom 5. 11. 1549.) ,,Ich bin im Vertrauen auf die
Gnade Jesu Christi ganz von der Hoffnung erfüllt, daß ein großer Teil
Japans unsere hl. Religion annehmen werde, weil das Ansehen der Ver¬
nunft, wie ich klar sehe, bei diesem Volke sehr viel gilt." (Brief an Don
Pedro de Silva aus Kagoshima vom 5. 11. 1549.) Freilich seine enthusi¬
astischen Erwartungen und Hoffmmgen brachen bald zusammen, als
er in Yamaguchi den Widerstand der Bonzen wie die geistig anders ge¬
artete asiatische Seele mit ihrer Fremden gegenüber stets freundhch be¬
jahenden Liebenswürdigkeit zu fühlen begann, der er nur aUzu leicht
vertraut hatte.
Diese erste Begegnung eines hoch gebildeten christlichen Westländers
mit den geistig-religiösen Fragen gleichfalls sehr aufgeschlossenen Ver¬
tretern östlicher Lebensweisheit läßt uns heute bei dem vierhundert¬
jährigen Gedenken die fördernden und hemmenden Faktoren im ost¬
asiatischen christlichen Missionsfelde angesichts der politisch-wirt¬
schaftlich-sozial-kulturellen Änderungen im asiatischen Lebensräume
— seit wenigen Jahren haben neun Staaten ihre volle Selbständigkeit
mehr oder weniger bereits erreicht — in völlig neuem Lichte erscheinen.
An fördernden Elementen seien genannt: die riesige Annäherung
der asiatischen Länder an das Abendland infolge der unglaubhch raschen
technischen Überbrückung der räumlich-zeitlichen Abstände. Die früh¬
mittelalterlichen christlichen Glaubensboten brauchten wie auch die
H. AuFHAtrsEK, Hemmende und fördernde Faktoren 259
Gebrüder Poli's zu ihren Fahrten, sei es durch die Steppen Südrußlands
oder auf der uralten südlichen ,, Seidenstraße", von der Mittelmeerküste
nach Zentralasien bis Karakorum oder Kambalik mehrere Jahre, ein
Franz Xaver zu seiner Segelschiffreise von Lissabon nach Goa 14 Monate,
von dort nach Japan bei günstiger Witterung weitere vier Monate.
Unsere deutschen Schnelldampfer ,,Gneisenau" oder ,, Potsdam" legten
1938 den Seeweg von Hamburg bis Yokohama in drei Wochen zurück.
Wie ich jüngst in Caux von einer japanischen Delegation erfuhr, brachte
sie das Flugzeug in 2^/2 Tagen von Tokio nach Genf, eine indische Dele¬
gation flog von Bombay bis Genf in 24 Stunden. Diese Überwindung von
Raum imd Zeit schafft eine geistige Begegnungsmöglichkeit in bisher un¬
geahntem Maße. Auf allen internationalen Tagungen, sei es der Gewerk¬
schaften in Genf, der Parlamentarier in Stockholm nahmen heuer Ab¬
geordnete aus allen alten und neuen asiatischen Staaten mit Ausnahme
von Tibet und den Sozialistischen Sowjetrepubliken teil. Auf der Welt¬
konferenz für moralische Erneuerung in Caux waren unter den 8000 Teil¬
nehmern aus 82 Nationen heuer etwa 100 aus der Welt des Islam, 15 aus
Syrien, Irak, Iran und Afghanistan, je rund 20—30 aus Pakistan und
Indien, etwa 10 aus Ceylon, 20 aus Burma, 10 aus Siam, 30 aus Vietnam
und Indonesien, rund 50 aus China, 33 aus Japan. Unter den 400 Stu¬
denten des ,,Collegs vom guten Wege" aus 35 Nationen befanden sich
gleichfalls eine Reihe junger Asiaten.
Mit der raschen Beförderung von Kontinent zu Kontinent geht Hand
in Hand die weitere räumlich-geistige Erschließung der fremden Länder
durch Ausbau und Motorisierung des Verkehrs, die Verbesserung der
sanitären Verhältnisse, was gleichfalls der christlichen Mission zugute
kommt.
Die Verfassungen der modernen neun jüngst geschaffenen selb¬
ständigen Staaten Israel, Pakistan, Indien-Bharat, Burma, Ceylon, Siam,
Vietnam (in oder außerhalb der Union francaise), die indonesische freie
Repubhk (in oder außerhalb einer holländisch-indonesischen Union),
Korea, wie auch die neuen Grundrechte der modernen Türkei, Irans,
Chinas und Japans anerkennen mit den allgemeinen Menschenrechten
ausdrücklich die Freiheit des Denkens, des Gewissens, der religiösen
Überzeugung. Damit wird auch der christlichen Mission grundsätzhch
freie Betätigungsmöglichkeit garantiert. Die Aufnahme diplomatischer
Beziehungen all dieser Staaten mit dem Hl. Stuhle zeigt die Bereitschaft
zur Mitarbeit an den hohen politisch-kulturell-ethischen Menschheits¬
fragen ohne Hemmung durch Traditionsgebundenheit. Faktisch sind
freilich auch heute noch Saudi-Arabien, Afghanistan, Nepal, Sikkim,
Bhotan imd Tibet ,, missionslose" Länder.
Weite Kreise in Asien begrüßen auch heute noch die Mitarbeit der
christlichen Kirchen beim Neuaufbau oder der Weiterführung ihres
Erziehungs- und Schulwesens, wenn auch freilich imter Aus¬
schluß direkter religiöser und politischer Beeinflussung sowie mit der
Forderung, die weltlich-geistliche Kultur ihres eigenen Landes mehr als
260 H. AuFHAtrsEB, Hemmende und fördernde Faktoren
bisher zur Grimdbasis des ganzen Erziehungswerkes zu gestahen. Sehen
die Grundrechte vielfach von der Erteilung irgend eines Religions¬
unterrichtes in den Elementar- und Sekundärschulen ab, so scheint sich
gerade die moderne Türkei, das Urbild aller asiatischen freiheitsliebenden
Staaten, nach jüngsten Berichten wieder dem Unterricht im Koran mehr
zugänglich zu erweisen. Die überall gegebene Möglichkeit, an der neu
geschaffenen Erziehung der jungen Mädchen mitzuwirken — in der
Türkei zählt man zur Zeit rund 80000 Schülerinnen in 82 Sekundär¬
schulen und 23 Lyzeen für Mädchen — steht auch den christlichen
Missionen offen. Ihrem meigensten Wirken erwächst freilich durch das
Verbot des Rehgionsrmterrichtes und religiöser Beeinflussimg ein
schweres Hemmnis, das das Problem der Missionsschulen noch mehr als
bislang einer kritischen Beleuchtung unterwirft.
Die soziale Mitarbeit der christlichen Kirchen in Notzeiten, sei es
des Hungers, sei es bei Überschwemmmigen, bei der Linderung all der
furchtbaren Leiden der vielen Millionen von Flüchtlingen in Israel-
Arabien, Pakistan-Indien, China, Korea, Japan öffnet ihnen immer
wieder die Herzen der dortigen Menschen, gewinnt ihnen das Vertrauen
und Wohlwollen der Regierungen. Namen wie P. Jaquinot de Belsiac
S. J., des Schöpfers der Jaquinot-Linie in Shanghai zugunsten von
hunderttausenden flüchtigen Chinesen, P. Fauljac vom Pariser Missions¬
seminar und seine sozialen Werke in der Umgebung von Tokio, Tojohiko,
Kagawa und seine Reichs-Gottes-Bewegung, das Settlement in den
Elendsvierteln von Mikawashima-Tokio der Studierenden der Jochi
Daigaku, der Hochschule unserer deutschen Jesuiten, mögen für viele
andere zeugen. Einsichtige konservative Kreise begrüßen die soziale
Arbeit der christlichen Kirchen, sei es bei den Harijans oder den armen
Landarbeitern Indiens, bei den Kulis und Kleinbauern Chinas, bei den
Industriearbeitern Japans, den Kohlenarbeitern Kyushus oder den in-
teUektueUen Proletariern im Lande der aufgehenden Sonne als will¬
kommene Hilfe, um mit den einheimischen Religionen und ethischen Sy¬
stemen eine bessere soziale Atmosphäre zu schaffen und damit die Ge¬
fahr eines Kommunismus stalinistischer Prägung mit seinem Terror und
Zerstörung der Menschenwürde, die heute ganz Asien umschattet, zu
bannen. Im sozialen Kampfe der Zukunft wie im religiösen Wettstreit
um die Menschheit, dessen globale Ausweitung und Verschärfung wir ja
tagtäglich erleben, wird die christliche Liebestat ebenso ihre Anziehungs¬
kraft erweisen wie ehedem: ,, Sehet wie sie einander lieben" wird zum
Prüfstein ihres Wertes werden, den die Völker an ihren Früchten er¬
kennen werden.
Die weltweite Möglichkeit der Mitarbeit an den peripherischen Missions-
werken der Erziehung, der sozial-caritativen und ärztlichen Fürsorge
ließ seit dem zweiten Weltkriegsende eine Menge neuer Missions¬
kräfte aus US-Amerika und Kanada, zumal in die asiatischen Länder,
einströmen. Sie öffnet auch ihrem eigentlichen Wirken durch Predigt
und sakramentale Betreuung die Wege. Weit erfreulicher als diese zahlen-
H. AuFHAtrSEB, Hemmende und fördernde Faktoren 261
mäßige Vermehrung der fremden Glaubensboten bleibt indes die Zu¬
nahme landesgeborener Katecheten, Lehrer, Priester, ordinierter
Pastoren wie eingeborener Brüder und Schwestern. Und die letzte
Krönung der werdenden Volkskirchen als des eigentlichen letzten Missions¬
zieles dürfen wir in der Verselbständigung der jungen Kirchen draußen
sehen, sei es in Form landesgeborener Oberhirten der einzelnen Diözesen
oder Vikariate, sei es der Bildung einer selbständigen südindischen oder
japanischen evangehschen Kirche. So liegt in Vorderindien heute die
Leitung von 20 der 59, auf Ceylon von 3 der 6, in Siam eines, in Indo¬
china von 4 der 18, in Indonesien eines der 18, in China von 28 der 139
Sprengein in den Händen einheimischer Bischöfe. In Korea und Japan
wurden bekanntlich 1941/42 alle 8 bzw. 15 kirchlichen Gebiete landes¬
geborenen Oberhirten anvertraut. Für die bisher getrennt arbeitenden
verschiedenen protestantischen Denominationen fehlt den Jungchristen
in Übersee das historische Verständnis und die Überzeugung von der
Notwendigkeit ihrer Verpflanzung in völlig anderes Neuland. Die Er¬
örterungen auf den Weltkirchenratskonferenzen von Jerusalem (1928),
Tambarene (1938) und Amsterdam (1948) wiesen imter lebhafter Anteil¬
nahme der jungen Kirchen aus Übersee neue klare Ziele. Mit der
politisch-wirtschaftlichen Selbständigkeit erstreben sie auch geistig¬
religiöses Selbstbestimmungsrecht. Gerade das Bewußtsein völliger Ver¬
antwortung für das Gedeihen und Wachstum der jungen Gemeinden
imd Kirchen läßt die innere Verbundenheit und Tatkraft zugunsten
eigener missionarischer Mitarbeit in den jungen Kirchen nur erstarken.
All diese erfreuhchen fördernden Faktoren zugunsten der christlichen
Mission haben sich seit den Tagen eines Franz Xaver wesentlich ver¬
stärkt. Doch umschatten sie heute wie vor 400 Jahren mancherlei
Hemmnisse. Zunächst war es die enge Verbindung und vielfache
Förderung der christlichen Mission mit und durch die europäischen
kolonialen Mächte. In den Augen der asiatischen Menschen, der
dortigen führenden politischen Kreise galt die christliche Mission nur
allzusehr als Wegbereiterin für eine politische Annexion ihres Landes,
durch ihre geistige Unterstellung unter eine ausländische fremde Macht
in Rom als eine eventuelle Quelle unangenehmer Disharmonien. Heute,
wo das Ende des europäischen Imperialismus unmittelbar bevorsteht,
erleben wir in Vietnam und Indonesien die Schwierigkeiten zwischen
dem eingeborenen, in Freiheitsliebe mit ihrem Volk zu tiefst verbundenem
Klerus und den französisch-spanisch-holländischen Priestern. Auch von
Vertretern anderer Länder hören wir auch heute noch ihre Befürchtungen
ob der politischen Einstellung mancher Missionare als Vertreter der
europäischen Vormachtstellung in Asien.
Die politisch-wirtschaftliche Selbständigkeit läßt natürhch auch auf
kulturellem Gebiet ein starkes Bewußtsein geistiger Mündigkeit,
eine feste Überzeugung vom Werte der ererbten Religiosität oder ethi¬
schen Lehren erstehen. Der überall mehr und mehr erwachsende Kampf
um die Schule, um das geistige Lehrgut, erscheint als erste Etappe der
262 H. AuFHAUSEB, Hemmende und fördernde Faktoren
Neuorientierung auf die eigene, der europäischen an Alter und Volks¬
verbundenheit weit überlegene Kultur. Das nationale Bewußtsein wird
natürlich auch die eigene Religiosität, sei es Islam, Hindutum, Buddhis¬
mus, Parsismus, kung fu tszeanische Ethik, selbst auch Shinto weit mehr
als bisher zu pflegen sich mühen. Einige Beobachtungen bei den asiati¬
schen Teilnehmern der heurigen Weltkonferenz in Caux sind dafür sehr
interessant. Die Konferenz erstrebt bekanntlich entgegen dem Mate¬
rialismus und Indifferentismus unserer Zeit eine Vertiefung und Ver-
innerlichung religiös-christlicher Haltung des Einzelnen, aufgebaut auf
dem Glauben an einen Gott und sich bewährend in absoluter Ehrlichkeit,
Selbstlosigkeit, Reinheit imd Liebe. Für die westlichen Teilnehmer galt
es evtl. sogenannte Atheisten wieder für den Gottesglauben als der Grund¬
basis des natürlich-sittlichen Handelns zurückzugewinnen. Von den
asiatischen Teilnehmern bekannte sich der Imam von der Londoner
Moschee M. A. Bajwa auf Grund des gemeinsamen Eingottglaubens als
der Lebensweisheit der moralischen Erneuerung sehr nahestehend. Die
Gesinnung brüderlicher Liebe unter den Menschen, aufgebaut auf dem
Glauben an Gott, den Herrn der Welt, könne allein die Welt retten. Eine
junge malaische Studentin, Frl. Saleha Asis, erklärte, sie hätte in ihrer
Heimat mit ihrem Vater, einem streng gläubigen Moslim, ob ihrer
religiösen Gleichgültigkeit mancherlei Schwierigkeiten gehabt. Der Ein¬
fluß ihrer marxistisch gesinnten Kommilitonen in London wäre für sie
schlecht gewesen. Hier in Caux sei sie wieder eine gute Mohammedanerin
geworden. So erlebten wir dort unmittelbare Zeugen der Kraft des
wiedererwachenden Islam, der besonders in Pakistan die gesamte Kultur,
auch das Schulwesen mit seinen Ideen erfüllt, dabei aber jegliche Unter¬
schiede von Farbe, Kaste, Geschlecht, Religion durch Brüderlichkeit
und Toleranz zu überbrücken sucht. Die Rama-krishna-Mission und die
Sanatana-Bewegung von Poona, dem Hauptquartier des Nationalismus
in Indien, wissen die Anhänglichkeit an das Hindutum wieder in Kreise
zu tragen, die sich aus den Schichten der Harijans, der früheren ,, Un¬
berührbaren" dem Christentum zugewandt haben. Um die 70 Millionen
dieser untersten indischen BevöLkerungsschichten entbrennt ja der
Kampf täglich mehr von seiten des Reformhüidutums, des Islam,
Sikhismus wie des Buddhismus und Christentums. Die 2500jälirige Feier
des Geburtstages des Kung fu tsze am 27. August 1949 zu Canton in
China war von Gedanken getragen, wie wir sie aus der Schrift ,, Chinas
Verteidigung gegen abendländische Ideen" vom Jahre 1914 her kennen.
Die autochtonen Religionen Asiens, ihre dogmenlose Moral, wissen mit
dieser neuen religiösen Lebenskraft um so leichter ihre Anhänger zu
beseelen, als sie seit Jahrtausenden in ununterbrochener Kontinuität
dort die Menschenherzen beeinflussen. Selbst auch der Staatsshinto
und die zahlreichen Shintosekten Japans haben trotz aller Verbote durch
die amerikanische Besatzungsmacht ihren Einfluß auf das japanische
Volk nicht eingebüßt. Aus dem Lande der aufgehenden Sonne repatriierte
Deutsche berichten, daß auch heute noch vornehme Japaner in der
H. AuFHATJSEB, Hemmende mid fördernde Faktoren 263
Straßenbahn aufstehen und sich gegen den Kaiserpalast hin verneigen,
die Verehrung des Kaisers trotz aller Demokratisierungsforderungen in
den Herzen der gebildeten Japaner ungebrochen weiterlebe. Das gleiche
melden neutrale Beobachter des Auslandes. Wir brauchen uns darüber
nicht zu wundern. Gerade auf rehgiös-kulturellem Gebiete bewährt sich
ja der konservative Geist der Menschen und Völker am stärksten. Eine
seehsche Umformung erfolgt, wenn überhaupt nur sehr langsam; und
wenn sie von äußerer Macht befohlen wird, noch zögernder und oft nur
nach außen.
Rein religiös gesehen hat sich die allzu europäische Formung und
Prägung des Christentums von jeher als ein starkes Hemmnis für seine
Ausbreitung erwiesen. Die intuitiv-pneumatisch-kontemplativ-mystisch-
quietistische Spiritualität des Orientalen wird das historisch-rational,
kritisch-spekulativ-logisch unterbaute, westlich geprägte Christentum
immer wieder als artfremd-ausländisch,nur dem westlichen Denken genuin
anerkennen. Wohl weiß sich der Asiate von der Schlichtheit der Gleich¬
nisse des Herrn, ihrer bilderreichen Sprache, von der ergreifenden Höhe
und Tiefe der Bergpredigt, den Seligpreisungen, den erhebenden Ge¬
danken der Abschiedsreden des Kyrios aufs tiefste berührt. Aber der
abendländisch-hellenistisch-humanistischem Geiste entsprungene dog¬
matische Aufbau, die mittelalterlich-scholastische Formung, der ständige
historische Erweis der Wahrheiten der christlichen Lehren wie der
Authentizität des sakralen christlichen Schrifttums vermag seinen
historischem Denken abgeneigten Verstand um so weniger zu beein¬
flussen als bei ihm Gemüt und Gefühl den Primat im Menschenwesen
darstellen. Der Absolutheits- und Unfehlbarkeitsanspruch des Christen¬
tums widerspricht seiner toleranten Denkungsart aufs stärkste. Der
Geist der aktiven Betriebsamkeit der christlichen Missionen, ihre Ver¬
bindung mit politisch-wirtschaftlichen Zielen stößt ihn ab. Indischem
Denken mag der Gottesgedanke, auch die Idee der Gottessohnschaft
Jesu, der Wunderglaube, das Beispiel christlicher Asketen und Heiligen
genuin sein. Der diesseitig-historischem Denken erschlossene, an meta¬
physischen Fragen aber uninteressiert, materialistisch, pädagogisch-
ethisch orientierte Chinese vermag daran ebenso wenig zu glauben wie
an den die gesamte Menschheit erlösenden Opfertod Jesu am Kreuze, an
Transsubstantiation, Gnade, Sakramente, Mysterien usw. Manche
Herrenworte wie :, ,Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner
nicht wert, und wer den Sohn und die Tochter mehr liebt als mich, ist
meiner nicht wert"(Mt. 10,37) oder: ,,Ich bin gekommen, um den Sohn
zu entzweien mit seinem Vater, die Tochter mit ihrer Mutter und die
Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Feinde des Menschen sind
also seine eigenen Hausgenossen (Mt. 10,35, vgl. Mc. 3,33; Lc. 14,26)"
widersprechen dem Grundgesetz seiner Erziehung, dem Hsia, nur allzu¬
sehr. Die gleiche Ablehnung erfahren diese Herrenwoi'te bei selbst¬
bewußten Japanern, deren Kultur und Erziehungsgrundsätze ja völhg
von der ererbten älteren chinesischen Lebensweisheit geformt sind.
264 , H. AuFHAUSBE, Hemmende und fördernde Faktoren
Die Erfahrungen asiatischer Studierender an den westlichen
Hochschulen Europas und Amerikas, die im familiären Leben ihrer Haus¬
wirte wie im öffentlichen Leben, in Politik und Wirtschaft, eine prak¬
tische Auswirkung christlicher religiöser Lebensgrundsätze nur allzu
sehr vermißten, ließen sie, in ihre Heimat zurückgekehrt, vielfach zu
Gegnern der christlichen Glaubensboten werden, denen sie gerne den
Rat erteilten, erst das ,, christliche" Europa und US-Amerika wirklich
für Christus zu gewinnen, bevor sie den asiatischen Völkern predigten,
deren ethisch-religiöse Lehren sie kennen zu lernen sie sich ebensowenig
mühten wie das dortige sakrale Schrifttum zu studieren. Konservativ
gestimmte Familien waren natürlich von der religiösen und politischen
Entwicklung ihrer Söhne zu intellektuellen Proletariern während ihres
westlichen Studiums wenig erfreut. Es bleibt verständlich, wenn die
mehr und mehr zunehmende abweisende oder gar feindliche Einstellung
gegenüber den Fremden sich auch auf deren Religion übertrug. Von der
sog. christlichen Zivilisation des Westens war und ist man wohl bereit,
die technischen Errungenschaften zu übernehmen, ihrer Kultur und
Religion aber erwies man sich mehr und mehr verschlossen, zumal viel¬
fach die Überzeugung vorherrschte, daß ein großer Teil der Christen wohl
noch äußerlich christliches Brauchtum pflege, aber an die Grundgedanken der Frohbotschaft Jesu nicht mehr wirklich glaube, selbst die geheimnis¬
volle Idee des christlichen Weihnachts- und Osterfestes von geschäft¬
lichem Geiste, vom Glücke des Schenkens imd Beschenktwerdens fast
völlig verschüttet und dem Bewußtsein tausender von ,, Christen" ab¬
handen gekommen sei, nur als Legende weitergepflegt werde. Die geistig¬
religiös führenden Schichten Asiens wie etwa die Brahmanen Indiens,
die Bonzen und Lehrer an den buddhistischen Colleges Ceylons, Burmas,
Slams gingen natürlich hierin beispielhaft voran, um so mehr als auch sie
den vielfachen Gegensatz zwischen christlicher Lehre und ,, christlichem"
Familien- und staatlich-öffentlichem Leben kannten und kennen, im
,, christlichen" Westen und seiner egoistisch-materialistischen Geistes¬
richtung den Herd immer neuer Kriege sehen.
Stellt bei vielen Kreisen, zumal den intellektuellen, religiöse Skepsis,
Gleichgültigkeit oder eine gewisse Aufgeschlossenheit vielleicht zu syn-
kretistisch-universalem Theismus ein starkes Hemmnis für ihre Ge¬
winnung für das Christentum dar, so begegnen wir kämpferischer Gott¬
losigkeit oder religiösem Anarchismus und Nihilismus erfreulicherweise
selten. Hingegen erwächst ein mächtiges Hemmnis für die christliche
Mission aus der beharrenden Geistesart, dem ungebrochenen ur¬
konservativem Denken des Orientalen auf religiösem Boden. Die Frauen¬
welt, seit jüngster Zeit aber auch viele Männer, stehen ganz und gar unter
dem Banne der von den Ahnen ererbten religiösen Tradition. Der Ahnen¬
kult, das Herzstück fernasiatischer Religiosität, ist auch heute trotz aller
Milderungen derVerboteimhöchstbetrübIichenRitenstreitdesl6./18. Jahr¬
hunderts wie sie 1935/36 für China, die Mandschurei, Korea und Japan,
also die ganze von der Kung fu tszeanischen Kultur geformte Welt Ost-
H. AtTFHAUSEB, Hemmende und fördernde Faktoren 265
asiens von Rom erlassen wurden, noch eine Quelle mancherlei rm-
erfreulicher Spannungen zwischen der Kultm des Ostens und dem
Denken des Westens. Die nahöstliche Christenheit, die eine Brücke vom
westlichen zum östlichen religiösen Denken und Fühlen bilden könnte
(vgl. Hesychia, Pilgergedanke, mystische Frömmigkeit, wiederholte Sto߬
gebete u.a.)i), hegt leider heute selbst in schwerer Ohnmacht zumal in
ihrer russisch-orthodoxen Form. Ächtung und Ausschluß aus Familie
imd Sippe, wirtschaftlicher Boykott droht in Fernasien dem, der den
Glauben der Väter gegen eine andere Religion preisgibt, auch heute noch.
Die Haltung des heute in Asien mehr und mehr an Einfluß und Ver¬
breitung gewinnenden National- bzw. stalinistischen atheistischen
Kommunismus gegenüber Christentum und seiner Mission ist noch
nicht abzusehen. Neben völlig aggressiver terroristischer Bekämpfung
hören wir auch von toleranter Gesinnung, je nach der Einstehung der
persönlichen Führung. Im ideologischen Kampfe zwischen Ost und West
wird die christliche Kirche nur allzu sehr als Wegbereiterin und Streit¬
gefährtin des Kapitalismus betrachtet, mit der bisweilen allzu geringen
sozialen Tat bei noch so herrlichen Lobreden einer der Hauptgründe auch
der Entfremdung Millionen westlicher Arbeiter von der Kirche. Manche
vom rein christhchen Gesichtsfelde aus gesprochenen Worte wie etwa:
,,Es gibt nichts Größeres auf der Welt als die Botschaft Christi, und es
gibt in der Botschaft Christi nichts Größeres als die Botschaft der Liebe.
Der Herr ist unser Erlöser, unser einziger Erlöser. Der Friede, den wir
erwarten, wird entweder ein christlicher Friede sein oder er werde über¬
haupt nicht sein. .. Niemand gibt es neben ihm (dem Herrn)" (Bischof
Theas von Lourdes am 25. 9. 49 in Altötting) oder „Es gab ein Europa
erst, seit und solange sich Europa zu Christus bekaimt hat, und Europa
wird nur so lange bestehen, wie es sich zur Botschaft der Bibel bekennt.
Diese Aufgabe muß ganz klar erkannt werden, zumal in einem Augen¬
bhck, da die Absage des modernen Rußland an Christus die Wieder¬
erweckung des gegen das Abendland gerichteten Geistes Asiens bedeu¬
tet" (Prof. Ethelbert Stauffer auf der Tagung der Evang. Akademie
Hermannsburg) würden begreiflicherweise von den Asiaten mit ungläu¬
bigen, ja verletzten Gefühlen aufgenommen. Solche Worte empfinden die
Asiaten als Ausdruck religiöser Intoleranz und geistlichen Fanatismus.
Sie bedauern sie um so mehr, als sie sich mit dem Christentum und den
übrigen Rehgionen gern zu einer gemeinsamen Abwehrfront gegen Ma¬
terialismus und Gottlosigkeit, wo immer sie sich findet, vereinen möchten.
Wenn wir von höherer Warte aus den asiatischen Lebensraum mit
seiner rund einer Milliarde Bewohner überschauen, so zählen wir unter
ihnen etwa 16 Millionen Christen ohne die Philippinen. Davon treffen
auf Vorderindien 7,2—8 MiUionen (darunter 4668000 Katholiken),
Ceylon rd. 600000 (532000 K.), Burma 331106 (150000 K.), Siam 80000
(50000 K.), Brit. Malaya 150000 (82000 K.), Indochina P/a Million,
1) Vgl. Erzählungen eines russischen Pilgers, Luzern 1944
266 H. AtTFHAUSEB, Hemmende und fördernde Faktoren
meist Katholiken, Indonesien 1,3 Millionen (732000 K.), China 4,2 Millio¬
nen (3258536 K.), Korea 300000 (178000 K.), Japan 350000 (130388 K.).
Nach jüngsten Berechnungen der ,, Propaganda" stieg die Zahl der
Katholiken Ostasiens, abgesehen von den rd. 12,5 Millionen Katholiken
der Philippinen, von 6881Ö00 des Jahres 1925 auf 11569000 im Jahre
1949. Für die evangelischen Missionen fehlen mir leider entsprechende
jüngste Zahlen. Rein menschlich gesprochen überwiegen die hemmenden
Faktoren, zumal heute, die fördernden um ein beträchtliches. AberderHerr fügte seinem Missionsauftrag an die Jünger :,, Gehet hin, lehret alle Völker und taufet sie. .." das tröstlich beglückende Wort bei: ,,Und siehe, ich
bin bei Euch alle Tage bis ans Ende der Welt" (Mt. 28,19. 20). Ein
anderes den Heilsplan Gottes und seine dem Menschengeist dunklen Wege
erhellendes Wort sprach der Herr: ,, Vater, ich preise Dich, Herr des
Himmels und der Erde, daß Du dieses vor Weisen und Klugen verborgen,
Kleinen aber geoffenbaret hast. Ja, Vater, denn also ist es wohlgefällig gewesen vor Dir" (Mt. 11,25. 26; Lc. 10,21). Es mag uns das Rätsel ent¬
hüllen, warum Christen-Menschen, sei es infolge kritischer Veranlagung,
sei es infolge geistiger Weiterentwicklung ihren kindhaften Jugend¬
glauben preisgaben, warum die geistig führenden Schichten der nicht¬
christlichen Welt den Mysterien des Christentums ihr Herz nicht öffnen,
ihren Verstand nicht zu beugen vermögen. Christ sein heißt Kind sein
und bleiben Gott gegenüber das Leben lang.
Diese ,, Begnadigung" bewirkt freilich vielfach im modernen Menschen
eine Spaltung seiner Persönhchkeit zwischen christlicher Gläubigkeit und
naturwissenschaftlichem Denken, eine psychologische Stimmung, welche
der berühmte englische Physiker und Chemiker Michael Faraday
(1791—1867) in die schlichten symbolischen Worte kleidete : Wenn ich
in die Kirche gehe, schließe ich mein Laboratorium zu.
Zwei indische Lehrerzählungen im Isläm
Von Alexander Zieseniss f
Die folgende Untersuchung will an der Hand von zwei Lehrerzählungen
einen Beitrag zum Problem „Einwirkung indischer Lehren auf den
Isläm" liefern. Die erste von den Geschichten, die hier erörtert werden
soUen, ist die ,, Parabel von dem Blinden und dem Elefanten".
Sie findet sich im 4. Sutta des 6. Kapitels des ,, Udäna" des PäU-Kanonsi)
und wird dem Erhabenen bei Gelegenheit eines von den Jüngern be¬
lauschten und ihm berichteten Streites zwischen den Vertretern ver¬
schiedener Lehrmeinungen in den Mund gelegt. Sie lautet folgender¬
maßen : Der König von Sävatthi befiehlt eines Tages einem seiner Leute,
alle Blindgeborenen der Stadt an einem Ort zusammenzubringen und
ihnen einen Elefanten zu zeigen. Dies führt der Beauftragte des Königs
in der Weise aus, daß er die einzelnen Blinden je verschiedene Körper¬
teile des Elefanten betasten läßt und dabei jeweils sagt: ,,So ist ein
Elefant". (Diese Worte fehlen jedoch in der barmanischen und siame¬
sischen Ausgabe des Tripitaka.) Dementsprechend bestimmen die
Blinden auf Befragen des Königs das Aussehen eines Elefanten als das
eines Kessels, einer Worfel, einer Pflugschar, einer Stange am Pflug,
eines Kornspeichers, einer Säule, eines Mörsers, einer Keule und eines
Besens. In der Verteidigung ihrer verschiedenen Ansichten geraten die
Bünden dann in Streit und gehen mit Fäusten aufeinander los, sehr zum
Vergnügen des Königs. Der Erhabene zieht dann den Vergleich mit den
Asketen verschiedener Richtungen. Abschheßend tut der Erhabene einen
feierhchen Ausspruch des Sinnes, daß eben diejenigen Menschen, die nur
einen Teil (der Wahrheit) sehen, in Streit miteinander geraten.
Die Analyse des Inhalts der Parabel ergibt folgendes Bild : Wichtig ist
zunächst das Element der absichtlichen Irreführung der Blinden durch
den Beauftragten des Königs und des letzteren Vergnügen über den Streit
der Bhnden untereinander. Das zeigt, daß die Idee, die Blinden den Ele¬
fanten betasten zu lassen, offenbar als Ausgeburt boshaften Machtkitzels,
bestenfalls einer Herrscherlaune anzusehen ist. Eine Nutzanwendung
in dem Sinne, daß die Vertreter der verschiedenen Lehren böswillig Irr¬
lehren verbreiten, ergibt sich daraus nicht, anders als in der weiter unten
zu besprechenden Version der Parabel. Das bestimmende Element der
äußeren Form der Parabel ist die Aufzählung der neun Körperteile des
Elefanten, die von den Blinden betastet werden und eine jeweils scharf
1) Deutsche Übersetziuig bei K. Seidenstücker, ,, Udäna. Das Buch
der feierlichen Worte des Erhabenen" (Augsburg 1920); ferner H. Olden¬
berg, ,, Reden des Buddha" (München 1922) S. 130ff. ; H. v. Glasenapp,
„Gedanken von Buddha" (Berlin-Zürich 1942) S. 20ff.