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Boss, Günther (1996): Auf der Suche nach der Geistin. In: Dorothee Sölle: Scientia und Sapientia, Wege zu einer ökofeministischen Spiritualität. Vaduz: Verlag der Liechtensteinischen Akademischen Gesellschaft (Kleine Schriften, 23), S. 25-28.

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Academic year: 2022

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Günther Boss*

Auf der Suche nach der Geistin

Dorothee Sölle versteht sich als Befreiungstheologin und gilt als Vorkämpferin der feministischen Theologie. Eine per- sönliche Vorbemerkung sei deshalb vorausgeschickt: Ich habe mich intensiv mit befreiungstheologischen und femi- nistisch-theologischen Ansätzen auseinandergesetzt; die Schriften und Gedanken Dorothee Sölles sind mir von da- her vertraut. Auch wenn ich heute in vielen Fragen eine andere Position einnehme, war für mich die Begegnung mit dieser Persönlichkeit ein eindrückliches Erlebnis. Die gros- se Publikumsresonanz bei ihrem Vortrag in Bendern und bei ihrer Predigt in der Evangelischen Kirche in Vaduz zeigt, dass es allen Unkenrufen zum Trotz heute ein Bedürfnis nach einer verantwortungsvollen theologischen Rede gibt.

Scientia und Sapientia

Während dem Peter-Kaiser-Vortrag übte Sölle massive Kri- tik an der heutigen kapitalistischen Weltwirtschafts(un)ord- nung. Sie sprach vom "Endsieg des freien Marktes" und vom "Fetisch Weltmarkt". Einer massiven Verarmung stün- de die zynische Bereicherung von wenigen gegenüber. Heu- te werde der Mensch auf den "homo oeconomicus" (Wirt-

* Dieser Text erschien als Diskussionsbeitrag zum Vortrag von Dorothee Sölle im

"Kirchenblatt für die Pfarreien des Dekanates Liechtenstein, In Christo" Nr. 5 vom 15. März 1996.

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schaftsmensch) reduziert. Der Mensch lebe, um Geld zu vermehren. Sölle liess keinen Zweifel daran: Wo das Geld zum obersten Ziel wird, dort wird Götzendienst geleistet.

Gleichzeitig kritisierte sie das heutige Wissenschafts- verständnis. Eine "ökonomisch-instrumentelle Vernunft"

herrsche in den heutigen Wissenschaften vor. Die Scientia (Wissenschaft, "Know-how") habe sich von der Sapientia (Weisheit, Einsicht) abgekoppelt. "Unser Wissen ist Todes- wissen geworden." An die Stelle der Bewahrung der Schöp- fung sei eine rücksichtslose Naturbeherrschung getreten.

Sölle wartete also mit einer sehr düsteren Beschreibung der heutigen Weltlage auf. Mit dem Wort "Geistlosigkeit"

brachte sie es auf den Begriff. Gibt es aus dieser Situation eine Rettung? Ja: Wir dürfen nicht länger im "wunschlosen Unglück" (P. Handke) mitschwimmen. Und Religion wäre demnach genau die Sehnsucht nach der verlorengegange- nen Weisheit und der Ruf nach der heiligen Geistin.

Ökofeministische Spiritualität?

Damit die heilige Geistin wehen kann, forderte Sölle eine ökofeministische Spiritualität. Deutlich setzte sie sich vom heutigen "Psychoboom" und der verbreiteten "Wochenend- spiritualität" ab ("Spiritualität des Eskapismus").

Für eine" ökofeministische Spiritualität" nannte Sölle drei Voraussetzungen, die sie ihrer amerikanischen Kollegin Ro- semarie Radford-Ruether entliehen hat:

1) Annahme der Vergänglichkeit des Ich.

2) Erkenntnis von der gegenseitigen Abhängigkeit alles Seienden.

3) Andere Wertschätzung der Gemeinschaft.

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Sölle forderte dazu auf, sich in einer Procreatio (Mit- schöpfung) an Gottes Arbeit zu beteiligen: Für Gerechtig- keit, Friede und Bewahrung der Schöpfung.

Kritische Rückfragen

Bei aller Faszination haben mich Sölles Ausführungen son- derbar unzufrieden zurückgelassen. Abgesehen davon, dass sie viele Allgemeinplätze und modische Themen einband, ohne die nötige Konkretion zu leisten, sehe ich in ihrem Denken einige Ungereimtheiten. Drei will ich formulieren:

1) Sölle kritisiert das heutige, auf den "homo oeconomi- cus" reduzierte, Menschenbild. Nimmt sie aber nicht die- selbe Reduktion vor, wenn sie in ihrer Schilderung der heu- tigen Weltlage fast ausschliesslich wirtschaftliche Aspekte in Anschlag bringt, anstatt die ganze Palette heutiger Welt- erfahrung zu skizzieren - einschliesslich einem nicht un- mittelbar ökonomisch bedingten Absurditätsgefühl vieler heutiger Menschen?

2) Sölle will für eine umfassende Gerechtigkeit kämpfen und sich für die unterdrückten Subjekte einsetzen. Eine wichtige Grundlage für die Gerechtigkeit ist aber die Idee der Menschenwürde und der Menschenrechte. Bei aller be- rechtigten und nötigen Kritik am "totalitär gewordenen In- dividualismus" stellt sich mir die Frage: Schüttet Sölle nicht das Kind mit dem Bade aus, wenn sie das Subjekt gleichsam als Tropfen im Meer aufgehen lässt - sei dieses Meer nun dieN atur, die Gesellschaft oder Gott? Dass jedem mensch- lichen Individuum eine unantastbare Würde zukommt, dies ist eine unaufgebbare Einsicht, die massgeblich auf dem jüdisch-christlichen Menschenbild fusst. Bei aller Kritik am 27

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Individualismus wäre dies zu betonen, und das habe ich bei Sölle vermisst. Sie will jedes Subjekt retten und löst gleich- zeitig das einzelne Subjekt auf. In der Konsequenz wird aber auch jede Rede von persönlicher Verantwortung und Schuld ortlos.

3) Könnte es nicht sein, dass Sölle, indem sie das Christen- tum im wesentlichen auf eine diesseitige Befreiungspraxis reduziert, unbemerkt die Diesseitsfixierung der säkulari- sierten Kultur und des Kapitalismus in der Theologie in- thronisiert? In diesem Sinne würde ich ihrer Theologie paradoxerweise - trotz all ihrer Kritik an der neuzeitlichen Entwicklung- eine problematische Anpassung an den sä- kularen Geist der Neuzeit unterstellen. Das zeigt sich am schärfsten daran, dass sie jegliche Hoffnung über den Tod hinaus als "falschen Wunsch" apostrophiert. Das ist ein auf säkulare Plausibilitäten reduziertes Christentum.

Mag sein, dass diese Anfragen der Theologie Sölles nicht ganz gerecht werden. Sie versteht Theologie als "Geschich- ten erzählen". Sie will kein versöhntes, ausgeglichenes theo- logisches Denken pflegen, sondern in einem mitunter "heili- gen Zorn" das prophetische Wort erheben. Der biblische Gott habe ein "eigentümliches Interesse an Wirtschaftsfra- gen", und die judisch-christliche Tradition müsse für die Op- fer der Geschichte Partei ergreifen. Kurz: Erfolg ist keiner der Namen Gottes. Gerechtigkeit aber ist ein Name Gottes.

Es ist gut und wichtig, wenn das im "Dienstleistungsstaat"

Liechtenstein laut und deutlich gesagt wird, und dafür müs- sen wir Dorothee Sölle dankbar sein. Die Frage bleibt aber, ob diese Prophetie auf offene Ohren stossen kann an einem Ort, wo die jüdisch-christliche Erzähltradition weitgehend abgebrochen oder verblasst ist?

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