© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Die aktuelle Kolumne, 21.12.2009 www.die-gdi.de
Die aktuelle Kolumne vom 21.12.2009
Mehr demokratisches Klima wagen. Die ärmsten Länder sind die moralischen
Gewinner eines enttäuschenden Kopenhagener Klima-Gipfels
Von Fariborz Zelli,
Deutsches Institut für
Entwicklungspolitik (DIE)
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Mehr demokratisches Klima wagen. Die ärmsten Länder sind die moralischen Gewinner eines enttäuschenden Kopenhagener Klima-Gipfels
Bonn, 21.12.2009. Schon lange vor dem Showdown der letzten Nacht hatte die Klima-Konfe- renz von Kopenhagen so manche Absurdität zu bieten. Während die einen draußen vorm Tagungs-Zentrum teils geduldig, teils verzweifelt auf Einlass warteten, drohten andere drinnen mit dem Verlassen der Gespräche. Vor den Toren des Bella Centers im Süden der dänischen Metropole mussten Hunderte Delegierte von Nichtregierungsorganisationen z. T. über sieben Stunden in Schnee und Kälte stehen, bevor sie sich registrieren und als Beobachter teilnehmen konnten. Die überforderten Veranstalter konfrontierten die Vertreter der Zivilgesellschaft täglich mit neuen Einschränkungen, bis zuletzt nicht einmal mehr hundert von ihnen hineingelassen wurden. Zeitgleich erwogen innerhalb des Centers die Delegationen der ärmsten Entwicklungs- länder einen Boykott aus Unmut über den Verlauf der Verhandlungen. Trotz dieser gegensätz- lichen räumlichen Ambitionen schien beiden Gruppen bis kurz vor Ende eines gemeinsam: ihr mangelnder Einfluss auf den Ausgang der Gespräche.
Dass es schließlich anders kam und ausgerechnet die vermeintlich schwächsten Staaten der Kopenhagener Konferenz ihren Stempel aufdrückten, darf man getrost als Beginn einer neuen Ära in den internationalen Klimaverhandlungen werten. Mit ihrem Widerstand gegen einen von Industrieländern sowie führenden Entwicklungsländern abgesegneten Kompromiss brachen die ärmsten Nationen gleich mit zwei ehernen Traditionen in der 17-jährigen Geschichte der UN- Klimakonvention. Zum einen hatte die mittlerweile 130 Mitglieder umfassende Gruppe der Ent- wicklungsländer in zentralen Fragen bisher stets Einigkeit demonstriert, ungeachtet der be- trächtlichen internen Diskrepanzen in punkto Wirtschaftsstand oder Betroffenheit durch den Klimawandel. Zum anderen war es regelmäßig ein kleiner Zirkel mächtiger Staaten gewesen, der in den letzten Stunden einen Durchbruch aushandeln konnte, so geschehen in Kyoto 1997 und in Bali vor zwei Jahren. Dieses Konzert der Mächtigen versucht man gerne mit dem Hin- weis darauf zu legitimieren, dass es zugleich die stärksten Emittenten von Treibhausgasen an einen Tisch bringt. Doch eine solche Cliquenbildung der Klimawandelverursacher vernach- lässigt zwangsläufig die Interessen der Gruppen, die nicht geladen sind: die am wenigsten entwickelten Länder, kleine Inselstaaten und die Koalition der afrikanischen Länder.
Noch bis zum späten Abend des letzten Verhandlungstages schien alles diesen gewohnten Gang zu gehen. Während sich im Vordergrund ein Defilee von nicht weniger als 119 Staats- und Regierungschefs am Rednerpult abwechselte, tagte US-Präsident Obama hinter verschlos- senen Türen mal mit den Führern von 24 Industrie- und Schwellenländern, mal bilateral mit Chinas Premier Wen Jiabao. Anschließend ließ er es sich kurz vor seinem Abflug nicht neh- men, als Erster das vermeintliche Last-Minute-Ergebnis zu verkünden. Ganz nebenbei leistete er mit diesem Alleingang einen Beitrag zur weiteren Schwächung der unglücklich agierenden dänischen Verhandlungsführung unter Premier Rasmussen. Fast täglich hatten entweder die Gastgeber selbst oder die verschiedenen Ländergruppen neue Entwürfe für eine Abschluss- erklärung lanciert. Dies steigerte nicht nur die Unübersichtlichkeit der ohnehin an Themen und Zankäpfeln nicht armen Konferenz. Schlimmer noch: die Verwässerung des ‚Kopenhagen Ab- kommens‘ wurde erst recht befördert – bis zu einem Maße, das für die ärmeren Entwicklungs- länder nicht mehr akzeptabel war.
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Zu Recht monierten sie u.a. das Fehlen eines klaren Zeitplans, der zu einem bindenden Ab- kommen führen würde, und das bloße Lippenbekenntnis, einen Anstieg der globalen Durch- schnittstemperatur über 2°C zu vermeiden. Dessen ungeachtet birgt der von vielen armen Ländern abgelehnte Kompromiss einige verwertbare Elemente für ein künftiges Vertragswerk.
Dies gilt zum Beispiel für die von Obama mediengerecht betonte Bereitschaft von Schwellen- ländern zur Emissionsbegrenzung. Ferner kündigten die Industrieländer an, bis 2012 30 Milliarden und ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Emissionsminderungen und Anpas- sungsmaßnahmen von Entwicklungsländern bereitzustellen. Zwar sind diese Summen nach Schätzungen der Weltbank noch immer nicht ausreichend, doch bedeuten sie gegenüber den bisher zugesagten Mitteln einen Quantensprung. Entscheidend wird freilich sein, aus welchen Töpfen diese Gelder kommen. Im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit müssen die Industrie- länder, wie der frühere Leiter des UN-Umweltprogramms Klaus Töpfer jüngst anmahnte, Um- buchungstricks vermeiden: statt bereits bewilligte Entwicklungshilfe umzudeklarieren, müssen sie zusätzliche Mittel aufbringen.
Was ist das Vermächtnis von Kopenhagen? Auch wenn kostbare Zeit verschenkt wurde, die Konferenz hinterlässt keinen reinen Scherbenhaufen, sondern einen klaren Auftrag, die Inte- ressen der ärmsten Länder stärker zu berücksichtigen. Wer jetzt reflexartig die Trägheit des UN-Prozesses kritisiert und kleinere Foren als bessere Alternative preist, hat diese Botschaft nicht verstanden. Es gibt genug Arenen, in denen Industrie- und Schwellenländer bei der Dis- kussion klimarelevanter Themen unter sich sind, etwa die G8+5- bzw. G20-Verhandlungen oder das von den USA initiierte ‚Major Economies Forum on Energy and Climate‘. Der Aufstand der Kleinen in Kopenhagen hat verdeutlicht, dass die UN-Klimaverhandlungen derzeit die einzige Plattform für die Stimmen derer bieten, die von der globalen Erwärmung am stärksten betroffen sind. Ziel der nächsten Monate muss sein, diese Stimmen stärker einzubinden, um eine breitere Basis für ein ehrgeizigeres Abkommen zu schaffen.
So könnte das Scheitern von Kopenhagen vielleicht wie ein heilsamer Schock wirken, der einer faireren Verhandlungskultur den Weg ebnet. Just vor Beginn der Konferenz hatte der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan solch eine neue Qualität internationaler Zusammenarbeit ein- gefordert: das Gegeneinander und Taktieren der einzelnen Ländergruppen werde dem ‚Alle-in- einem-Boot‘-Charakter des Klimaproblems nicht gerecht. Die ausgesperrten Vertreter der Zivil- gesellschaft, ganz gleich ob aus reichen oder ärmsten Ländern angereist, sind dieser Erkennt- nis in den letzten beiden Wochen deutlich näher gewesen als die Insassen des Bella Centers.
‚Wandelt die Politik, nicht das Klima‘ schrieben sie auf ein Transparent beim großen Protest- marsch zur Halbzeit der Konferenz. Das nächste Mal sollte man früher auf sie hören, statt sie in der Kälte stehen zu lassen.
Von Fariborz Zelli
Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).