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»Wir« und »Andere«

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Academic year: 2022

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»Wir« und »Andere«

Modul für die Oberstufe Verfasserin: Maria Ecker (Mitarbeit: Albert Lichtblau)

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Didaktisch-methodische Überlegungen zum Modul (für LehrerInnen)

»Wir« und »Andere«

Interviewsequenzen

materialien und Arbeitsimpulse

_ Begegnung mit den Zeitzeuginnen _ Zugehörig – Unzugehörig

_ Identität(en)

_ Sprache(n) in Österreich _ Mit Sprache ausgrenzen...

_ …und sich dagegen wehren _ Zivilcourage

_ Vertiefung: Einwanderungsland Österreich

Titel:

Foto (im Jüdisches Museum Berlin) von Sabine Sowieja

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Didaktik

Im Zentrum dieser DVD stehen die ZeitzeugInnen, wie sie sich an ihr Leben erinnern und wie sie darüber erzählen. Daraus ergibt sich der Aufbau dieses Moduls. Aus den vorhandenen Interview- sequenzen wurden acht Themen entwickelt, mit zusätzlichem Text- und Bildmaterial angereichert und mit Arbeitsimpulsen versehen.

Am Beginn des Moduls befindet sich ein Basistext für SchülerInnen, der ihnen einen Einstieg in das behandelte Thema ermöglichen soll.

Bei der Suche nach Zusatzmaterial für die angebotenen Sequenzen bzw. Themen war es uns vor allem wichtig, den SchülerInnen die Möglichkeit zu bieten, Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten: Die Quellen reichen von zeitgenössischen Abbildun- gen bis zu Auszügen aus heutigen Texten. Die SchülerInnen erhalten so einen Einblick in die Vielfalt von (historischen) Quellen und ein Angebot von Methoden, wie diese »gelesen« werden können.

Dieses Angebot an Methoden befindet sich am Ende jedes Themas, und zwar in Form von Arbeitsimpulsen. Diese können je nach Rahmenbedingungen (Zeit, Klassensituation usw.) flexibel einge- setzt und modifiziert werden.

Grundsätzlich müssen die Themen nicht aufeinander aufbauend behandelt, sondern können voneinander unabhängig ausgewählt und erarbeitet werden. Allerdings ist es uns ein wichtiges Anliegen, das Thema »Begegnung mit den ZeitzeugInnen« (das sich gezielt in jedem Modul findet) an den Beginn jeder inhaltlichen Auseinan- dersetzung mit der DVD zu stellen. Die intensive Beschäftigung mit den Aussagen und dem Leben der ZeitzeugInnen ermöglicht den SchülerInnen ein besseres Verständnis dieser besonderen Art von historischen Quellen.

Didaktisch-Methodische Überlegungen (für LehrerInnen)

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Didaktik

Das Modul »‚Wir’ und ‚Andere’« orientiert sich nicht wie die anderen Module der DVD an klar begrenzten historischen Abschnit- ten. Es nimmt die Erfahrungen der ZeitzeugInnen als Anlass, nach unserem Umgang mit dem »Eigenen« und dem »Fremden«

zu fragen, und verdeutlicht so die Aktualität und Relevanz der Vergangenheit für unsere Gegenwart. Rassismus und Fremden- feindlichkeit, Migration und Integration, Zugehörigkeit und Identität(en) – das sind die Themen dieses Moduls.

Die SchülerInnen sollen dazu angeregt werden, tagespolitische Debatten (wie zum Beispiel Asylfragen) kritisch zu betrachten.

Außerdem werden sie (vor allem in den Abschnitten »Zugehörig – Unzugehörig« und »Identität(en)«) dafür sensibilisiert, mit Begriffen und Zuschreibungen vorsichtig umzugehen. »Sprache(n) in Österreich« gibt einen Einblick in die (Geschichte der)

multikulturellen Einflüsse auf das in Österreich gesprochene Deutsch. Außerdem bietet Sprache eine gängige Möglichkeit der Einbeziehung, aber auch der Ausgrenzung von Menschen.

Sophie Habers Erzählung und die weiteren angebotenen Quellen geben Hinweise, wie man sich gegen Ausgrenzungen wehren kann (siehe »Mit Sprache ausgrenzen...«; »... und sich dagegen wehren«).

Im Abschnitt »Zivilcourage« erfahren die SchülerInnen, ausgehend von einer Sequenz mit Elisabeth Jäger, verschiedene Beispiele, wie auf beobachtetes Unrecht reagiert werden kann. Schließlich bietet das Modul noch eine Reihe von Quellen mit Daten und Fakten zum Einwanderungsland Österreich.

Allen Themenbereichen des Moduls ist gemeinsam, dass in den Impulsen die Schülerinnen und Schüler immer wieder angeregt werden, über ihre eigenen Erfahrungen mit Ab- und Ausgrenzung nachzudenken. Falls gewünscht, werden ihnen hier auch Raum und Möglichkeit geboten, diese Erfahrungen mitzuteilen.

zum Inhaltsverzeichnis

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Basistext

Wie die anderen Module dieser DVD geht auch dieses von der Zeit des Natio- nalsozialismus und dem Holocaust aus. Es werden aber auch Fragen aufgewor- fen, die weit über diese Themen hinausgehen. Denn die Auseinandersetzung mit der Ermordung von Millionen von Menschen, die damals als »anders« oder

»unzugehörig« betrachtet und behandelt wurden, führt zu aktuellen Fragen über unseren heutigen Umgang mit dem »Eigenen« und dem »Fremden«.

Das heutige Österreich war schon in der Monarchie ein Einwanderungsland, und es ist jetzt wieder eines. Im November 2007 wiesen 1,35 Millionen Men- schen in Österreich (also 16,3 Prozent der Wohnbevölkerung) einen so genann- ten Migrationshintergrund auf. Das heißt, sie wurden entweder im Ausland geboren oder besitzen, selbst wenn sie im Inland zur Welt kamen, keine österreichische Staatsbürgerschaft. Österreich war und ist eine multikulturelle Gesellschaft, wie zum Beispiel ein Blick in Telefon- und Wörterbücher zeigt.

Menschen, die aus anderen Ländern zugewandert sind, tragen alleine durch ihre Arbeit zum Funktionieren der Gesellschaft bei und bereichern mit ihrer Kultur den Alltag. Zugewanderte können aber auch Konflikte erzeugen, denn die Spannung zwischen dem Mitgebrachten und dem Anpassungsdruck ist oft sehr groß.

Außerdem weckt die Konfrontation mit »Fremden« und »Anderen« oft auch Unsicherheiten, Ängste und Vorurteile – bei so genannten Einheimischen, aber auch bei den Zuwandernden. Um diese Unsicherheiten, Ängste und Vorurteile geht es auch in diesem Abschnitt, in dem folgende Fragen aufgeworfen werden: Wer sind »wir«? Wer sind die »anderen«? Was ist mir eigen, was ist mir fremd? Wer gehört dazu, wer nicht? Wer bestimmt über Zugehörigkeit oder Unzugehörigkeit? Wie gehe ich mit dem »Fremden«, dem »Anderen« um?

Und: Wie gehen andere mit mir um?

»Wir« und »Andere«

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Eine häufige und nur scheinbar harmlose Form der Ausgrenzung ist jene über Sprache. Deshalb spielt dieses Thema im folgenden Modul eine wichtige Rolle.

Sophie Haber berichtet im Interviewausschnitt davon, als »Saujüdin«

beschimpft worden zu sein. Für diese damals leider gängige Art der Diskrimi- nierung gibt es auch heute zahlreiche Beispiele und Entsprechungen, wie die Quellen dieses Moduls zeigen.

Es gab und gibt Menschen, die sich gegen das Ab- und Ausgrenzen zur Wehr setzen. Sie schreiten ein, wenn »anderen« Unrecht geschieht, wie Elisabeth Jäger berichtet. Damals und heute reagieren Menschen unterschiedlich, wenn sie Zeugin oder Zeuge von Ausgrenzung und Verfolgung werden: Das Spektrum reicht vom Mitmachen über Wegschauen und Dulden bis zum aktiven Helfen.

Auch das zeigen Ihnen die hier verwendeten Quellen.

Wie »wir« mit »anderen« umgehen – das ist der rote Faden dieses Moduls.

Der Psychoanalytiker Mario Erdheim hat dazu einmal bemerkt, dass »man vom Fremden nicht sprechen kann, ohne auch von sich selber zu erzählen«.

Die Themen dieses Abschnittes richten sich deshalb auch direkt an Sie, indem sie nach Erfahrungen mit Ausgrenzung in Ihrer eigenen Lebensgeschichte fragen.

Basistext

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Interviews

Transkripte der Interviewsequenzen: siehe Ordner Transkripte.

Jäger: Faschisten vor 38 EJ_5 Jäger: Jüdische Mitschüler EJ_2 Jäger: Fluchthilfe EJ_6

Aschner: Familie IA_1 Aschner: Religion IA_2 Haber: Sprache SH_1

Haber: Wehrt sich gegen Antisemitismus SH_4 Liste Interviewsequenzen

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Begegnung mit den Zeitzeuginnen

Die folgenden Übungen zeigen Ihnen Wege, wie Sie sich mit den Zeitzeugin- nen-Interviews als ganz besonderer Art von Quelle auseinandersetzen können.

Hier erzählt ein Mensch von seinen Erfahrungen und Erlebnissen während der NS-Zeit. In den folgenden Arbeitsaufgaben haben Sie Gelegenheit, etwas zu üben, das einfach erscheint, in Wirklichkeit aber große Aufmerksamkeit erfordert: genaues Hinhören und Hinsehen, um wahrzunehmen, was und wie erzählt wird. Zudem gibt es Übungen, die Ihnen helfen sollen, sich bewusst zu machen, welche Gedanken und Gefühle die Erzählungen bei Ihnen auslösen.

Sie haben auch die Möglichkeit, Ihre Eindrücke auf kreative Weise zu verarbeiten. Entscheiden Sie sich gemeinsam mit Ihrer Lehrperson, welche Aufgaben Sie auswählen wollen.

Material und Arbeitsimpulse

Arbeitsimpulse

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Arbeitsimpulse

Was wird erzählt?

a] Schauen Sie sich die Interviewsequenzen aufmerksam an.

b] Schreiben Sie am Ende jeder Interviewsequenz alles auf, was Ihnen von der Erzählung der jeweiligen Zeitzeugin in Erinnerung geblieben ist.

c] Gehen Sie danach in eine Dreier-Gruppe und vergleichen Sie Ihr Ergebnis mit dem Ihrer KollegInnen. Gehen Sie dabei folgenden Fragen nach:

_ Was haben sich alle gemerkt?

_ Was ist nur einem bzw. einer von Ihnen in Erinnerung geblieben?

_ Überlegen Sie, warum Sie sich bestimmte Teile der Erzählung gemerkt haben bzw. warum sich an manche Informationen jede/r von Ihnen erinnert.

d] Schreiben Sie die wichtigsten Punkte Ihres Gesprächs in Stichworten auf ein Blatt Papier.

e] Stellen Sie der gesamten Klasse die Ergebnisse Ihrer Gruppenarbeit vor.

Was hat Sie beeindruckt?

a] Jetzt arbeitet wieder jede/r für sich allein.

b] Schauen Sie die Interviewsequenzen ein zweites Mal an.

c] Beantworten Sie dann folgenden Fragen:

_ Welche Gedanken gingen Ihnen beim Anschauen der Interviews durch den Kopf?

_ Welche Gefühle tauchten dabei auf?

d] Berichten Sie von Ihren Erfahrungen in der Klasse.

Begegnung mit den Zeitzeuginnen

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Arbeitsimpulse

Wie wird erzählt?

a] Schauen Sie die Interviewsequenzen ein drittes Mal an und beobachten Sie die Erzählerinnen genau: ihre Bewegungen, ihre Körperhaltung, ihren Gesichtsausdruck und ihre Stimme.

b] Beantworten Sie nach dem Anschauen folgende Fragen:

_ Was habe ich gehört: Wie war die Stimme der Erzählerinnen? Hat sich die Lautstärke ihrer Stimmen während des Erzählens verändert?

Wenn ja, an welchem Punkt?

_ Was habe ich gesehen: Welche Bewegungen machten die drei Interviewten beim Erzählen, welchen Gesichtsausdruck hatten sie dabei? Hat sich ihre Haltung verändert?

_ Welches war mein stärkstes Gefühl, meine stärkste Reaktion beim Zuhören/

Zusehen?

c] Besprechen Sie Ihre Erkenntnisse in der Kleingruppe.

d] Schreiben Sie die wichtigsten Erkenntnisse aus Ihrem Gespräch auf und stellen Sie sie der Klasse vor.

»Kreative Rezeption: malen und formen«:

a] Wählen Sie eine der Interviewsequenzen aus.

b] Überlegen Sie, welcher Teil der Erzählung einen besonderen Eindruck bei Ihnen hinterlassen hat.

c] Sie haben nun Gelegenheit, diesen Teil der Erzählung zu malen oder mit Ton zu formen.

d] Sie stellen anschließend Ihr Werk vor, indem Sie in die Rolle einer guten Freundin/eines guten Freundes der Künstlerin/des Künstlers schlüpfen und den »AusstellungsbesucherInnen«

erklären, wie das Kunstwerk zu verstehen ist.

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Arbeitsimpulse

»Fragerunde«:

a] Lesen Sie nun auch die Niederschrift der Interviewsequenzen (vgl. Transkripte).

b] Notieren Sie auf Kärtchen (eine Frage pro Kärtchen) alle Fragen, die Ihnen beim Ansehen der Interviewsequenzen durch den Kopf gegangen sind.

c] Sammeln und besprechen Sie die Fragen in einer Kleingruppe.

d] Anschließend werden mit der gesamten Klasse die Antworten diskutiert.

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Einführung

Verwendete Interviewsequenzen:

Jäger: Faschisten vor 38 EJ_5 Jäger: Jüdische Mitschüler EJ_2 Aschner: Familie IA_1

Aschner: Religion IA_2 Haber: Sprache SH_1

Haber: Wehrt sich gegen Antisemitismus SH_4

Zusatzmaterial:

Quelle 1: Systeme der Zugehörigkeit Zugehörig – Unzugehörig

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Quellen

Quelle 1: Systeme der Zugehörigkeit. Eine Einleitung zum Thema:

Die Frage von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit zieht sich in ver- schiedenen Ausprägungen durch die Geschichte der Menschheit.

Zugehörigkeit gibt Sicherheit, Zugang zu knappen Gütern, Kommunika- tion und Vertrauen, ohne Zugehörigkeit zu einer Gruppe sind Menschen nicht überlebensfähig. Der eigenen Gruppe bestimmte – überwiegend positive – Merkmale zuzuschreiben und über negative Merkmale die Nicht-Gruppenzugehörigkeiten zu bezeichnen, ist ein Grundmuster der Legitimation des Ausschlusses anderer von den zur Verfügung stehenden Ressourcen. In jeder Gesellschaft und jedem Zeitalter fin- den sich Phasen, in denen Nicht-Zugehörige nicht nur ausgeschlossen, sondern bekämpft oder auch vernichtet werden. (...) Mit der Feststellung, die Spannung zwischen dem Eigenem und Fremdem sei eine historische Konstante, ist jedoch keineswegs gemeint, die Ablehnung von Abwehr und Gewalt sowie die gegen Fremde seien als natürliche Verhaltens- weise zu werten. Denn neben dem Ausschluss des Fremden kennt die Geschichte genauso Phasen der gegenseitigen Anerkennung, Achtung und des für beide Seiten positiven Austausches mit als »fremd« charak- terisierten Gruppen. (...) Territoriale Zugehörigkeitssysteme definieren Zugehörigkeit räumlich und schließen entweder alle an einem bestimm- ten Ort Lebenden oder alle dort Geborenen ein, gruppenbezogene Zugehörigkeitssysteme machen biologische Verwandtschaft, bestimmte Eigenschaften von Menschen oder ein Bekenntnis zu einer bestimmten Religion oder Werthaltung zum Kriterium für Ein- oder Ausschluss.

Bernhard Perchinig: Systeme der Zugehörigkeit. Eine Einleitung zum Thema. In: Forum Politische Bildung (Hg.), Dazugehören? Fremdenfeind- lichkeit. Migration. Integration. Wien 2001, S. 6.

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Arbeitsimpulse

a] Schauen Sie sich die Interviewsequenzen von Elisabeth Jäger (EJ 5, EJ 2), Ilse Aschner (IA 1, IA 2) und Sophie Haber (SH 1, SH 4) an. Lesen Sie die Kurzbiographien und Quelle 1:

_ Die Zeitzeuginnen wurden während des Nationalsozialismus als »anders«

und »fremd« betrachtet. Sie selbst fühlten sich aber der österreichischen Bevölkerung zugehörig. Welche Beispiele finden Sie dafür in den

Interviewsequenzen?

b] In Zweier-Gruppen: In Quelle 1 unterscheidet Perchinig zwischen zwei »Zugehörigkeits- systemen« (raum- vs. gruppenbezogen): Finden Sie konkrete Beispiele für beide Systeme.

c] In Vierer-Gruppen: Überlegen Sie sich zunächst ein »System«, dem jemand zugehört (Zum Beispiel: Österreich; Familie; Freundeskreis etc.). Erstellen Sie darauf aufbauend eine Liste mit der Überschrift: »Jemand gehört dazu, wenn ...«

d] Welchen Gruppen bzw. Systemen fühlen Sie sich zugehörig?

_ Haben Sie sich schon einmal unzugehörig gefühlt?

_ Schreiben Sie diese Erfahrung auf und tauschen Sie diese, wenn Sie möchten, mit einem Freund/einer Freundin und/oder in der Klasse aus.

Zugehörig – Unzugehörig

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Einführung

Verwendete Interviewsequenzen:

Jäger: Faschisten vor 38 EJ_5 Jäger: Jüdische Mitschüler EJ_2 Jäger: Fluchthilfe EJ_6

Aschner: Familie IA_1 Aschner: Religion IA_2 Haber: Sprache SH_1

Haber: Wehrt sich gegen Antisemitismus SH_4

Zusatzmaterial:

Quelle 1: Hitlerjunge Papanek Quelle 2: I bin a Ottakringerin

Quelle 3: Ein in Wien lebendes Kind von Arbeitszuwanderern über sein Verhältnis zu seiner Herkunft

Identität(en)

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Quellen

Quelle 1: Hitlerjunge Papanek

Auch im assimilierten Judentum bzw. innerhalb der nicht-religiösen

»zweiten Generation« waren Fälle von Deutschtümelei und Nähe zum Nationalsozialismus zu finden. (...) Jener Fall, den Erich Fried kurzweilig schildert, ging gut aus: der jüdische Ex-HJ-Junge Herbert Papanek über- lebt den Krieg in Bolivien:

Mein Nachbar auf der Schulbank war seit Jahren Herbert Papanek, ein lebenslustiger, aufgeweckter, fast immer freundlicher Junge, Mitglied der illegalen Hitlerjugend, was mich aber nicht allzu sehr störte, sowenig wie ihn die Tatsache, dass ich nicht nur Jude, sondern auch »einer von den Linken« war. Papanek war ein Mathematikgenie und machte meine Mathematik-Schularbeiten für mich, während ich in diesen kostbaren Minuten heftig werbende Liebesgedichte schrieb, die er für seine Freundin brauchte, eine Jüdin. Aber damals, ehe Hitler nach Österreich kam und auch bei uns die Nürnberger Rassegesetze eingeführt wurden, die Liebesbeziehungen zwischen Juden und sogenannten Ariern verboten, trösteten sich unsere Nazi-Mitschüler, wenn ihre Neigungen mit der Rassentheorie in Konflikt kamen, noch mit dem alten österrei- chisch-schlampigen Antisemitenspruch: »Jüdinnen sind keine Juden.«

Papaneks Liebesglück aber sollte auch nach Hitlers Einmarsch in Österreich von rassistischen Verboten nicht gestört werden.

An einem jener Märztage nach dem Einmarsch nämlich, als das für die Jahreszeit ungewöhnlich gute Wetter meiner trüben Laune zu spotten schien, eröffnete mir mein Banknachbar Papanek eines Morgens

aufgeregt, dass seine Eltern ihm soeben mitgeteilt hatten, sie seien zwar alle beide als Kinder gut katholisch getauft, der Rasse nach aber seien sie beide rein jüdischer Herkunft. »Das heißt«, sagte Papanek, der mit sei- nen 19 Jahren älter als die meisten in der Klasse aussah, »dass ich Ruth wirklich heiraten kann!« Ruth war die Empfängerin der Liebesgedichte, die mir das Überstehen meiner Mathematik-Schularbeiten so erleichtert hatten.

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Quellen

Jedoch war diese Heiratsmöglichkeit nicht die einzige Veränderung, die sich für den langjährigen illegalen Hitlerjungen aus seinem neuen Wissen ergab. Er hatte seinem HJ-Führer, der ebenfalls unserer Klasse an- gehörte, pflichtgemäß über das, was er erfahren hatte, Bericht erstattet, und Bertel, der HJ-Führer unseres ganzen Gymnasiums, fragte mich noch am selben Tag auf unserem gemeinsamen Schulweg, den wir seit Jahren mit Streiten und mit Gesprächen über Gott und die Welt verbrachten:

»Sag, was machen wir denn mit dem Papanek?«.

»Ganz einfach!« antwortete ich: »Bringt ihn um! Das passt gut zu euch, und damit seid ihr das Problem los.« (...) »Also im Ernst«, sagte ich: »Er wird natürlich emigrieren müssen, so wie ich und alle, die jetzt durch euch ihre Rechte und ihre Zukunftsaussichten verlieren. Vielleicht wird er jetzt auch seine Ruth heiraten.« (...) Herbert Papanek und seine Ruth wanderten etwa zwei Monate später nach Bolivien aus und heirateten zuvor. Die Vertriebenen heirateten damals häufig sehr jung, vielleicht um das Leben in der Fremde nicht allein erdulden zu müssen.

Den Grundsatz, man müsse sich zuerst eine Existenz aufbauen, hatte die allgemeine Existenzvernichtung durch Hitler für die Vertriebenen ohnehin außer Kraft gesetzt.

Erich Fried: Mitunter sogar Lachen. Zwischenfälle und Erinnerungen.

Berlin 1986, S. 48 – 51.

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Quellen Quellen

Quelle 2: I bin a Ottakringerin

Manche Zuwandererkinder, noch zur Zeit der Monarchie geboren, haben noch immer Schwierigkeiten bei ihrer persönlichen Zuordnung.

Also, Tschechin bin i eigentlich keine, obwohl tschechisch meine Mutter- sprache ist, Behmin bin i a kane, weil i aus Mähren kumm, aber jetzt bin ich scho 72 Jahr in Wien. Deutsche bin i aber auch nicht, ganz sicher nicht, Österreicherin, na i weiß net, bin i a Wienerin, obwohl i aus an mähri- schen Dorf kumm – na i weiß, was i ganz gwiß bin, i bin a Ottakringerin.

Interview mit Aurelia Zagler, geb. 1906, Transkript, S. 12.

Aus: Michael John/Albert Lichtblau: Schmelztiegel Wien einst und jetzt.

Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten.

Wien-Köln-Weimar 1993, S. 387.

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Quellen

Quelle 3: Ein in Wien lebendes Kind von Arbeitszuwanderern über das Verhältnis zu seiner Herkunft:

Wie ich mich fühle? Manchmal als Österreicher, manchmal als Türke.

Also, wenn ich so ganz normal mit Wienern zusammen bin, dann fühle ich mich schon als Österreicher. Wenn dann aber einer sagt, »Schau, da schauts aus wie bei die Tschuschen« – ich weiß nicht, dann wurmts mich schon. Ich sage nichts, aber dann fühle ich mich schon als Türke, weil ich bin doch einer. Ich bin zwar von unten ganz entwöhnt, aber irgendwie fühl ich mich dann wieder als Türke. Und ich denke mehr darüber nach, was das ist. (Türkischer Jugendlicher, 19 Jahre alt).

Institut für Höhere Studien: Untersuchung über die ausländischen Arbeitskräfte in Österreich. Sozialwissenschaftlicher Teil,

2. Zwischenbericht, Wien 1983, S. 775 – 780. (Unveröffentlichte Auftrags- studie.)

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Quellen

Quelle 4: Definitionen Begriff »Identität(en)«

Es gibt zwar viele verschiedene, aber keine allgemein akzeptierte Definition des Begriffes »Identität«. Einig sind sich WissenschafterInnen aber in der Un- terscheidung zwischen »Ich-Identität« und »Wir-Identität« (auch: »Gruppen- Identität«, »soziale Identität«, oder »kulturelle Identität«).

Eine Möglichkeit der Definition bietet die Brockhaus Enzyklopädie.

Dort wird »Ich-Identität« als die »subjektive Selbsteinschätzung einer Person (Selbstkonzept) in Abgrenzung zu der Beurteilung durch andere (Fremdbild)«

beschrieben.

Der Begriff der »kulturellen Identität« bezeichnet laut Brockhaus, wie sich Einzelpersonen oder Gruppen zu den in einer bestimmten Kultur vertretenen Werten, Fähigkeiten oder Verhaltensmustern in Beziehung setzen.

Die kulturelle Identität stärkt das Gruppenbewusstsein, indem die jeweils als kulturelle Eigenheiten angesehenen Muster und Vorgaben (Familie, Religion, Sprache, Traditionen, Gruppenzugehörigkeit) lebendig gehalten werden.

Außerdem verfügen wir meist über mehrere Identitäten (auch »plurale Identitäten« oder »Mehrfach-Identitäten« genannt), können also etlichen Gruppen und Kulturen gleichzeitig angehören.

Vereinfacht übernommen aus: Brockhaus Enzyklopädie. Leipzig – Mannheim 2006, Band 13, S. 88 und Band 16, S. 66-67.

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Arbeitsimpulse

a] Zweier-Gruppen:

Sehen Sie sich die Interviewsequenzen an und lesen Sie die Kurzbiographien und Quelle 4 (Definition »Identität(en«).

_ Was erfahren Sie über die Herkunft der Zeitzeuginnen (was Religion, Sprache etc.) betrifft.

_ Welche der folgenden Begriffe beschreiben die Identität(en) der Zeitzeuginnen jeweils am treffendsten (auch Mehrfachzuordnungen möglich): Wienerin, Österreicherin, Polin, Jüdisch, Evangelisch, Katholisch, Sozialistisch...

_ Welche weiteren Begriffe finden Sie noch?

b] Quelle 1: Mit welchen Begriffen würden Sie die Identität(en) von Papanek beschreiben?

c] Quelle 2 und 3: Mit welchen Begriffen würden Sie diese Identität(en) beschreiben? Welche Identität ist hier vorrangig?

d] Erstellen einer Mind-Map. Im Zentrum stehen Sie (»ICH«). Fügen Sie Begriffe hinzu, die Sie bzw. Ihre Identität(en) beschreiben.

_ Welche dieser Begriffe beziehen sich auf Ihre Ich-Identität, welche auf Ihre Gruppen-Identität?

_ Tauschen Sie die Ergebnisse mit einem Freund/einer Freundin und/oder in der Klasse aus.

e] Selbstbeschreibung – Fremdbeschreibung (Partnerarbeit): Notieren Sie 10 Eigenschaftswörter, die Sie selbst beschreiben; anschließend 10 Eigenschaftswörter, die Ihren Partner/Ihre Partnerin beschreiben – Ergebnisse im Zweierteam austauschen:

_ Gibt es Überschneidungen, Unterschiede?

_ Wo stimmen Sie zu bzw. nicht zu?

_ Wie treffend ist die Fremdbeschreibung? Warum?

Identität(en)

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Arbeitsimpulse

f] Ergänzung/Variation: Wählen Sie je nach Klassensituation zwei oder mehrere Gruppen- Identitäten (zum Beispiel nationale Identität: Österreicher/in und eventuell andere in der Klasse vertretene Nationalitäten). Notieren Sie nun je 10 Eigenschaftswörter, die die gewählten Nationalitäten am besten beschreiben.

_ Sammeln Sie die Ergebnisse im Plenum.

_ Unterscheiden Sie zwischen Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung.

_ Diskussion: Wie treffend finden Sie diese Selbst- und Fremdbeschreibungen?

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Einführung

Sprache(n) in Österreich

(Hinweis: Im Modul »Kindheit und Jugend vor 1938« finden Sie einen Abschnitt zum Thema Jiddisch.)

Verwendete Interviewsequenzen:

Haber: Sprache SH_1

Zusatzmaterial:

Quelle 1: Volkszählung 1934, Sprachliche Zugehörigkeit der Bevölkerung Quelle 2: Bevölkerung nach Umgangssprache, Volkszählung 2001 Quelle 3: Wiener Sprache

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quellen

Quelle 1: Volkszählung 1934 – sprachliche Zugehörigkeit der Bevölkerung

Aus: Statistisches Handbuch für den Bundesstaat Österreich.

Hg. vom Bundesamt für Statistik. Wien, 1936, S. 8.

Bevölkerung Deutsch Tschechisch Slowakisch Slowenisch Kroatisch Magyarisch eine (Ungarisch) andere Insgesamt

6.760.233 6.584.547 48.251 3.615 31.703 42.354 18.076 23.317 Wien

1.874.130 1.813.709 38.662 1.052 .525 1.094 4.844 10.137 Niederösterr.

1.509.076 1.493.839 7.877 2.327 .214 .473 1.783 1.411

Oberösterr.

.902.318 .900.529 .779 .028 .063 .016 .095 .382

Salzburg

.245.801 .245.046 .084 .003 .049 .007 .047 .232

Steiermark

1.015.106 1.007.315 .444 .060 3.839 .221 .673 1.451

Kärnten

.405.129 .376.930 .066 .019 26.796 .016 .069 .879

Tirol

.349.098 .347.326 .078 .023 .058 .017 .077 .946

Vorarlberg

.155.402 .154.281 .025 .015 .022 .002 .018 .978

Burgenland

.299.447 .241.326 .173 .084 .102 40.500 10.442 6.645

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Umgangssprache Insgesamt Österreichische darunter: Ausländische Bevölkerung gesamt in Österreich geb. Bevölkerung

Insgesamt 8.032.926 7.322.000 6.913.512 710.926

Deutsch 7.115.780 6.991.388 6.745.701 124.392

Sprachen der anerkannten

österr. Volksgruppen 119.667 82.504 49.321 37.163

Burgenland-Kroatisch 19.412 19.374 18.943 38

Romanes1 6.273 4.348 1.732 1.925

Slowakisch 10.234 3.343 1.172 6.891

Slowenisch 24.855 17.953 13.225 6.902

Tschechisch 17.742 11.035 4.137 6.707

Ungarisch 40.583 25.884 9.565 14.699

Windisch2 568 567 547 1

Sprachen des ehem.

Jugoslawien u. der Türkei 534.207 133.364 62.664 400.843

Bosnisch 34.857 3.306 1.286 31.551

Kroatisch 131.307 25.820 11.216 105.487

Mazedonisch 5.145 1.127 609 4.018

Serbisch 177.320 41.944 18.777 135.376

Türkisch 183.445 60.028 30.405 123.417

Kurdisch 2.133 1.139 371 994

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Quelle 2: Volkszählung 2001- Bevölkerung nach Umgangssprache, Staatsangehörigkeit und Geburtsland

Vorbemerkung zur Quelle: In Statistiken werden Sachverhalte oft vereinfacht dargestellt. Sprachgrenzen halten sich nicht immer an Kontinentalgrenzen. Arabisch wurde zum Beispiel hier nur Afrika zugeordnet, obwohl es in Afrika und Asien gesprochen wird.

Ähnliches gilt für Türkisch und Russisch.

1 Romanes ist die Sprache der Roma und Sinti.

2 Windisch ist eine in Südkärnten verwendete Form der slowenischen Sprache.

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Umgangssprache Insgesamt Österreichische darunter: Ausländische Bevölkerung gesamt in Österreich geb. Bevölkerung Englisch,

Französisch, Italienisch 79.514 43.469 29.770 36.045

Englisch 58.582 33.427 23.415 25.155

Französisch 10.190 4.977 3.020 5.213

Italienisch 10.742 5.065 3.335 5.677

Sonstige in Europa

gesprochene Sprachen 116.892 38.660 14.465 78.232

Albanisch 28.212 3.766 1.522 24.446

Bulgarisch 5.388 1.885 338 3.503

Dänisch 735 296 191 439

Finnisch 987 346 205 641

Griechisch 3.098 1.643 862 1.455

Holländisch/Flämisch 3.802 1.413 874 2.389

Norwegisch 569 237 151 332

Polnisch 30.598 12.699 3.695 17.899

Portugiesisch 3.197 1.323 645 1.874

Rumänisch 16.885 4.669 1.228 12.216

Russisch, Ukrainisch,

Weißrussisch 8.446 2.980 848 5.466

Schwedisch 2.683 872 573 1.811

Spanisch 9.976 5.712 3.027 4.264

Sonstige europäische

Sprachen 2.316 819 306 149

quellen

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Umgangssprache Insgesamt Österreichische darunter: Ausländische Bevölkerung gesamt in Österreich geb. Bevölkerung In Afrika

gesprochene Sprachen 19.408 10.020 4.025 9.388

Arabisch 17.592 9.610 3.836 7.982

Sonstige

afrikanische Sprachen 1.816 410 189 1.406

In Asien gesprochene

Sprachen 47.420 22.576 7.554 24.844

Chinesisch 9.960 5.022 1.543 4.938

Hebräisch 1.189 596 237 593

Indisch 3.582 1.631 617 1.951

Indonesisch 451 174 84 277

Japanisch 1.806 405 242 1.401

Koreanisch 1.264 316 113 948

Persisch 10.665 4.749 1.258 5.916

Philippinisch 5.582 3.861 1.281 1.721

Thailändisch 1.593 518 211 1.075

Vietnamesisch 2.310 1.630 473 680

andere asiatische

Sprachen 9.018 3.674 1.495 5.344

Andere Sprachen,

unbekannt 38 19 12 19

quellen

Quelle: Statistik Austria, Tabelle zusammengestellt von Albert Lichtblau.

(28)

28

Quellen

Quelle 3: Wiener Umgangssprache

Neben der Wiener Küche ist auch die Sprache der Wiener stark von multi- ethnischer Zuwanderung geprägt. Vor-, aber mehr noch Familiennamen, sowie Straßen- und Siedlungsnamen, Gebäudenamen und aus den Sprachen der Zuwanderer entlehnte oder verballhornte Wörter erinnern tagtäglich an die unterschiedlichen Herkunftsländer der Wiener. Das prominenteste Dokument dieser Art ist wohl das Wiener Telefonbuch. Manche Wiener mit ererbten slawischen Namen sehen ihre Abstammung als einen Makel an, den sie mit der Diskriminierung nichtdeutscher Mitbürger kompensieren zu müssen glauben. Einige haben ihn auch eindeutschen lassen.

Aus dem Französischen:

Lawur Waschschüssel lavoir

Leschèr großzügig, unkonventionell léger

Pomfineberer Leichenbestatter Pompes funèbres

Tschäsn Auto (abwertend) chaise à porteurs

Tuschen krachen, zusammenprallen toucher

Aus dem Italienischen:

Gatsch Schlamm, Dreck cacio

Mezzanin Halbstock mezzanino

Sekkieren ärgern seccare

Strawanzen herumziehen stravagare

Tschik Zigarettenstummel cicca

Aus dem Tschechischen:

Barabern schwer arbeiten poroba (Knechtschaft)

Auf lepschi gehen sich ein Vergnügen gönnen lepsi (besser)

Pawlatschen offener Hausgang pavlac (Balkon)

Schlatz Schleim sliz

Strizzi Arbeitsscheuer, Zuhälter stryc, Pl. Stryci (Onkel)

(29)

29

Quellen

Aus dem Ungarischen:

Tolpatsch Tölpel talpas (Fußgänger)

Gattihosn Unterhose (meist lange) gatya (Hose)

Schinakl kleines Boot csonak (Kahn)

Teschek einer, der immer ausgenützt wird tessèk

Tschako Hut csàko

Aus: Wir. Zur Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien. 217.

Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. Wien 1996, S. 221.

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30

Arbeitsimpulse

a] Sehen Sie sich die Interviewsequenz mit Sophie Haber (SH 1) an: Mit welchen Sprachen ist sie aufgewachsen? Welche Gründe könnte es geben, dass die Eltern mit ihr deutsch gesprochen haben?

b] Quelle 1 zeigt Ihnen, welche Sprachen in Österreich zu der Zeit gesprochen wurden, als Sophie Haber aufwuchs. Quelle 2 stellt die Situation aus dem Jahr 2001 dar:

_ Welche Sprachen wurden damals, welche werden heute neben Deutsch am häufigsten gesprochen?

_ Welche Sprachen wurden bzw. werden in Ihrer Familie (Eltern, Großeltern, Verwandte) gesprochen?

_ Welche Sprachen werden in Ihrem Umkreis (Klasse, Freunde) gesprochen?

_ Tauschen Sie die Ergebnisse in der Klasse aus.

c] Zu Quelle 3. Diskussion/Austausch in Kleingruppen:

_ Welchen dieser Begriffe kennen Sie?

_ Welchen dieser Begriffe verwenden Sie?

_ Welche weiteren Alltagsbegriffe fallen Ihnen ein, die aus anderen Sprachen entlehnt sind (z.B. aus dem Englischen, Türkischen oder Jiddischen)?

Sprache(n) in Österreich

zum Inhaltsverzeichnis

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31

Einführung

Verwendete Interviewsequenzen:

Haber: Wehrt sich gegen Antisemitismus SH_4

Zusatzmaterial:

Quelle 1: I haaß Kolaric, du haaßt Koolaric...

Quelle 2: Stigmatisierung in den Medien Mit Sprache ausgrenzen ...

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Quellen

Quelle 1: I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric ...

Information zum Plakat: »I haaß Kolaric, Du haaßt Kolaric, warum sogns zu dir Tschusch?« Dieser berühmt gewordene Werbeslogan einer Aufklärungskam- pagne Mitte der 1970er Jahre zitiert die einem Kleinkind in den Mund gelegte Frage, warum denn der abgebildete (in der Kleidung »ausländisch« anmuten- de) Mann abwertend »Tschusch« genannt werde, wo doch beide den selben Namen hätten? Dem Kind bleibt dafür nur Unverständnis. Aber der sogenannte

»Volksmund« findet für die Anrede von »Ausländern« gelegentlich wesentlich eindeutigere Bezeichnungen mit eindeutigem Aussagecharakter. Über den Ursprung bzw. die Entstehung des Wortes »Tschusch« gibt es zahlreiche, aber keine eindeutig wissenschaftlich abgesicherten Erklärungen. (...) Während der Ursprung nicht eindeutig rekonstruierbar ist, ist die negative, emotionsgelade- ne und abwertende Gebrauchsweise des Wortes sprichwörtlich. Dafür sprechen auch die zahlreichen das Negative noch verstärkenden Kompositabildungen, wie »Tschuschenweib«, »Tschuschenbankert« (für Kinder), »Tschuschenhur«

bzw. »-flittchen«, »Tschuschenbande, »Tschuschenpack«. (...) Wer immer einen anderen Menschen als »Tschusch« bezeichnet, will abwerten, verletzen bzw.

beleidigen.

Aus: Bernd Matouschek: Von Namen und Bezeichnungen, von Schimpfwörtern bis zu Redensarten. In: Forum Politische Bildung (Hg.): Dazugehören? Fremden- feindlichkeit. Migration. Integration. Wien 2001, S. 130.

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Quelle 2: Stigmatisierung in den Medien

Der Ersatztest zeigt sehr schnell die Fragwürdigkeit so mancher medialer Darstel- lungsweise: Ersetzt man in der Schlagzeile »Ex-Jugoslawe erschlug Sohn im Streit mit einem Bügeleisen« die Nationalitätenbezeichnung auf »Österreicher erschlug Sohn im Streit mit einem Bügeleisen«, stellt sich sofort die Frage, wozu im zweiten Beispiel »Österreicher« steht. Eine derartige Meldung einer österreichischen Zeitung befasst sich zumeist mit Handlungen oder Situationen, die in Österreich von

ÖsterreicherInnen ausgehen oder mit ihnen zu tun haben. Man muss sie also nicht extra hervorstreichen. Im ersten Beispiel beschreibt die Schlagzeile jedoch – unter diesen Rahmenbedingungen gelesen – eindeutig mehr als den traurigen Umstand einer Familientragödie: Dieses schreckliche Verbrechen wurde von einem Ex-Jugoslawen – und das in Österreich – verübt.

Kritische JournalistInnen haben die Problematik dieser Stigmatisierung in der medialen Berichterstattung längst erkannt und versuchen durch Formen der Selbstkontrolle und durch die Anwendung und Verbreitung einiger Richtlinien für nichtdiskriminierende Berichterstattung diese Formen der sprachlichen Diskriminierung zu vermeiden. Zur Illustration hier ein Beispiel einer Maxime für den möglichen sensiblen journalistischen Sprachgebrauch:

Erwähne nie »Rasse« einer Person. Erwähne die Nationalität, die Religionszugehö- rigkeit, den Kulturkreis, das Herkunftsland oder den Namen nur dann, wenn diese Information im Kontext der Reportage bzw. des Artikels unerlässlich sind. Wenn solche Auskünfte notwendig sind, sollte ihre Relevanz deutlich erkennbar gemacht werden, insbesondere bei der Berichterstattung über Kriminalität.

Bernd Matouschek: Von Namen und Bezeichnungen, von Schimpfwörtern bis zu Redensarten. In: Forum Politische Bildung (Hg.): Dazugehören? Fremdenfeind- lichkeit. Migration. Integration. Wien 2001, S. 130.

Quellen

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34

Arbeitsimpulse

a] Sehen Sie sich die Interviewsequenz mit Sophie Haber (SH 4) an und lesen/betrachten Sie die ergänzenden Quellen. Beantworten Sie anschließend folgende Fragen:

_ Mit welchem Schimpfwort wurde Sophie Haber bedacht?

Wie war ihre Reaktion darauf?

_ Welche diskriminierenden Bezeichnungen für andere Bevölkerungsgruppen kennen Sie noch?

_ Wer ist damit gemeint?

_ Was verbinden Sie mit diesen Bezeichnungen?

_ Gibt es Bezeichnungen, Schimpfwörter etc., mit denen Sie selbst geärgert wurden?

_ Was hat Sie daran geärgert?

_ Wie haben Sie reagiert?

_ Tauschen Sie die Ergebnisse mit einem Freund/einer Freundin, und/oder im Plenum aus.

b] In Zeitungen finden Sie Beispiele dafür, wie mit Sprache Bevölkerungsgruppen beschimpft und ausgegrenzt werden. Sammeln Sie zwei Wochen lang solche Artikel.

Versuchen Sie anschließend (unter Zuhilfenahme von Quelle 2), diese Texte neutral zu formulieren.

Mit Sprache ausgrenzen ...

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Einführung

Thema: ...und sich dagegen wehren

Verwendete Interviewsequenzen:

Haber: Wehrt sich gegen Antisemitismus SH_4

Zusatzmaterial:

Quelle 1: Um 1905, in einem Wiener Gymnasium Quelle 2: Es beginnt in der Volksschule

Quelle 3: Druck erzeugt Gegendruck Quelle 4: Du zeigen Fahrschein! (Karikatur) Quelle 5: Sag noch einmal Tschusch! (Plakat)

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Quelle 1: Um 1905, in einem Wiener Gymnasium:

Einmal rief mir ein wahrlich wenig distinguierter Kamerad aus irgendeinem Grunde, den ich vergessen habe, das Wort »Saujud« zu; ich reagierte mehr prompt als geistreich: »Sauchrist«; er schaute überrascht; Pause; die Sache war damit erledigt.«

Friedrich Engel-Janosi: ... aber ein stolzer Bettler. Erinnerungen aus einer verlore- nen Generation. Graz-Wien-Köln 1974, S. 31.

Quellen

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Quellen

Quelle 2: Es beginnt in der Volksschule

Als wir zum erstenmal für den Religionsunterricht aufgeteilt wurden, blieben die katholischen Jungen im Klassenzimmer zurück, und die Juden zogen im Gänsemarsch unter dem Spottgesang hinaus: »Jud’, Jud’, spuck in’ Hut, sag deiner Mutter, das ist gut!«

Während ich hinausging, bemerkte ich, dass der dicke Fredl Resch, der ruhige Junge mit dem runden, pausbäckigen Gesicht von meiner Nebenbank, schwieg und in die Luft starrte. Für viele Jahre sollte Fredl Resch mein engster Freund werden. Wir sprachen nie über diese Vorfälle, aber sein Schweigen, während die meisten anderen Katholiken über uns Juden herzogen, mochte sehr wohl etwas mit dem Beginn unserer Freundschaft zu tun gehabt haben.

Auf alle Fälle nahmen wir Juden das Verhalten der anderen nicht demütig hin.

Das nächste Mal, als sie mit ihrem »Jud’, Jud’, ...« anfingen, schrien wir zurück:

»Christ, Christ, g’hörst am Mist!« Ob tatsächlich einer von uns jene hinreißende Zeile erfunden hatte, oder ob beides, die antisemitische Litanei wie unsere Antwort, Bestandteil einer alten österreichischen Schultradition war, weiß ich nicht. Soweit es uns anging, war die Rechnung beglichen.

George Clare: Das waren die Klaars. Berlin – Frankfurt - Wien, 1980, S. 111.

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Quellen

Quelle 3: Druck erzeugt Gegendruck

Ich war blond und licht, also ich war so ein Grenzfall. Die Österreicher, vor allem die Wiener haben einen besonderen Instinkt dafür, wer ein Jude ist. In Schweden merkt das ja kein Mensch. In Wien: Der hat ausgeschaut wie ein Jud, ist ein Jud, aus. Es hat viele Witze darüber gegeben. (...) Zum alltäglichen Antisemitismus noch: wir haben Fußball gespielt mit den Buben irgendwo – du Jud, war schon a Rauferei. Einmal hab ich aus irgendeinem Grund mit meinem eigenen Bruder gerauft im Park und da ist dann ein Arbeiter stehen geblieben und hat gesagt, hast schon recht, hau nur den Juden. Net, das war das tägliche Brot – bei meinen eigenen Bruder. In der Schule ist’s auch oft passiert, dass einer daherstänkert:

Saujud. So jetzt hat man sich’s überlegt, ob’s dafürsteht, dass man ihm eine

»obezahlt« – oder net. Ist es dafürgestanden, hat man damit rechnen müssen, dass mehr Leute zusammenkommen, dass die Mehrheit gegen einen ist.

Oder, es kam der Lehrer und der hat gesagt, aus is’s, Buam.

Interview mit Bruno Kreisky, geb. 1911, Transkript, S. 17 f.

Aus: Michael John/Albert Lichtblau: Schmelztiegel Wien einst und jetzt.

Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten.

Wien-Köln-Weimar 1993, S. 399-400.

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39

Quellen

Quelle 4: Du zeigen Fahrschein

Aus: Wir. Zur Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien. 217.

Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. Wien 2005, S. 222.

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40

Quellen

Quelle 5: Sag noch einmal Tschusch!

Von Patricio Handl, aus der Serie: Auseinandersetzung mit Wien; Foto: Stefan Liewehr, 1991.

Dieses Plakat entstand auf Privatinitiative eines Betroffenen. Der Künstler Patricio Handl ist selbst Immigrant, ebenso sind es die auf dem Plakat

abgebildeten Personen. Der dargestellte Mann ist Pablo Cespedes, der im Jahr 1993 bei einem Überfall auf sein Lokal in Wien auf tragische Weise ums Leben kam. Die Frau ist Angelica Gutierrez, und sie formuliert sehr klar, worum es bei diesem Plakat geht: Die Betroffenen wehren sich. »Tschusch als Schimpfwort:

Es ist schwer für Ausländer, wenn man die Sprache nicht kann, zu antworten.

Vielleicht kann man nur mit einer Geste antworten, deshalb sitze ich hier so stolz da.«

Aus: Ursula Hemetek (Hg.): Am Anfang war der Kolaric. Plakate gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Wien 2000, S. 28.

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41

Arbeitsimpulse

a] Sehen Sie sich die Interviewsequenz von Sophie Haber (SH 4) und lesen bzw. betrachten Sie die ergänzenden Quellen:

_ Beschreiben Sie zunächst die Quellen: Wann sind sie entstanden?

Wer sind die VerfasserInnen? Was ist der Inhalt?

_ Wie reagieren die Betroffenen auf die sprachliche Diskriminierung?

_ Haben Sie selbst schon einmal erlebt, wie sich jemand gewehrt hat?

_ Welche weiteren Strategien, sich gegen Beschimpfungen zu wehren, gibt es?

Thema: ...und sich dagegen wehren

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42

Einführung

Zivilcourage

Verwendete Interviewsequenzen:

Jäger: Faschisten vor 38 EJ_5 Jäger: Jüdische Mitschüler EJ_2 Jäger: Fluchthilfe EJ_6

Zusatzmaterial:

Quelle 1: Reaktionen der Zuschauer Quelle 2: Zu wenig Gerechte Quelle 3: Was ist Zivilcourage?

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43

Quellen

Quelle 1: Reaktionen der Zuschauer

In einem Fragebogen wurden ehemalige ÖsterreicherInnen, die 1938 in die USA flüchten mussten, gebeten, über ihre Erfahrungen nach dem »Anschluss« zu berichten. Unter anderem wurde nach dem Verhalten der Zuschauer (Nachbarn, Bekannte und Passanten) gefragt. Hier eine kleine Auswahl der Antworten:

Anita F.:

The short time that I was allowed to continue in school the non-Jewish children who had been my friends suddenly were no longer friendly. They pushed their desk benches to one side to sit separate from the Jewish kids and greeted the teacher with »Heil Hitler«. They no longer associated with us and suddenly we knew who the non-Jewish kids were. I had never paid any attention to it. Other- wise I had no opportunity to get together with many people because we hardly ever went out of the house. We were afraid that my father would be arrested or that we would draw attention to us living there. Only my mother would go out at night to collect some leftover vegetables and potatoes from a kindhearted grocer who also gave her some fish or meat and bread. Mother paid him well, am sure.

Lore W.:

They behaved very shabbily, they pretended not to know us. There were 2 young men in the apartment building where we lived. We had been quite friendly with them. Now they wore SS uniforms and ignored us totally. The Viennese behaved very badly to the Jews.

Marietta B.:

I received several phone calls from girl friends who told me that they cannot be friends with me anymore because their father could loose his position. Some said they could not even greet me anymore on the street. People were afraid.

Gustav B.:

My best friend stopped talking to me immediately after the Anschluss. Class- mates communicated as little as possible. Most teachers were »correct«.

My French teacher was supportive to the extent to which his confirmed Nazi son permitted this.

(44)

44

Quellen

Frances G.:

Our non-Jewish friends apologized for not being able to see us or get together.

They tried to console us, that it would not last. We met secretly. They joined the party and wore the Swastika. Some non-Jewish friends brought us groceries during the night.

Anita B.:

A good friend, who was a lawyer in a Nazi law firm, heard about a razzia to take place the following day. He came to warn us and we moved immediately to my grandparents. This way my husband escaped.

Stella L.:

Most of them changed from one day to the next. But there were exceptions.

Our former maid remained a friend. Our neighbour took risks to help us. On November 10, when they arrested most Jewish men, our janitor (Hausbesorger) saved our part of the building (…) by not telling the SA about its existence.

Übersetzung:

Anita F.:

Die kurze Zeit, in der es mir noch erlaubt war, die Schule fortzusetzen, verhiel- ten sich nichtjüdische Kinder, die meine Freunde gewesen waren, plötzlich nicht mehr freundlich. Sie schoben ihre Tische auf eine Seite, um getrennt von den jüdischen Kindern zu sitzen, und grüßten den Lehrer mit »Heil Hitler«. Sie ha- ben nicht mehr mit uns verkehrt, so dass wir plötzlich wussten, wer die nichtjü- dischen Kinder waren. Ich hatte vorher nie darauf geachtet. Ansonsten hatten wir keine Gelegenheit, viele Leute zu treffen, weil wir kaum das Haus verließen.

Wir hatten Angst, dass mein Vater verhaftet werden würde oder dass wir die Aufmerksamkeit auf uns lenken könnten. Nur meine Mutter ging in der Nacht raus, um übrig gebliebenes Gemüse und Kartoffeln einzusammeln, die sie von einem gutherzigen Lebensmittelhändler bekam, der ihr auch ein wenig Fisch, Fleisch und Brot gab. Mutter zahlte ihm einiges dafür, da bin ich mir sicher.

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Lore W.:

Sie haben sich sehr schäbig verhalten und gaben vor, uns nicht zu kennen. Es gab zwei junge Männer in dem Haus, in dem wir lebten. Wir hatten ein freund- schaftliches Verhältnis mit ihnen gehabt. Jetzt trugen sie SS-Uniformen und ignorierten uns völlig. Die Wiener haben sich sehr schlecht gegenüber den Juden verhalten.

Marietta B.:

Ich erhielt einige Anrufe von Freundinnen, die mir sagten, dass sie nicht mehr mit mir befreundet sein könnten, weil ihr Vater sonst die Stellung verlieren könnte. Einige sagten, dass sie mich nicht einmal mehr auf der Straße grüßen könnten. Die Leute hatten Angst.

Gustav B.:

Mein bester Freund hörte sofort nach dem Anschluss auf, mit mir zu sprechen.

Schulkameraden kommunizierten so wenig wie möglich. Die meisten Lehrer verhielten sich »korrekt«. Mein Französisch-Lehrer war unterstützend, soweit es sein Sohn, ein überzeugter Nazi, erlaubte.

Frances G.:

Unsere nichtjüdischen Freunde entschuldigten sich, dass sie uns nicht mehr treffen konnten. Sie versuchten uns zu trösten, dass es (die Situation) nicht anhalten würde. Wir trafen uns heimlich. Sie gingen zur Partei und trugen das Hakenkreuz-Abzeichen. Einige nichtjüdische Freunde brachten uns in der Nacht Lebensmittel.

Anita B.:

Ein guter Freund, ein Anwalt in einer Nazi-Kanzlei, hörte von einer Razzia, die am nächsten Tag stattfinden würde. Er kam um uns zu warnen, und wir zogen daraufhin sofort zu meinen Großeltern. So konnte mein Mann entkommen.

Stella L.:

Die meisten veränderten sich von einen Tag auf den anderen. Aber es gab auch Ausnahmen. Unser früheres Hausmädchen blieb mit uns befreundet. Unser Nachbar nahm Risiken auf sich, um uns zu helfen. Als sie am 10. November die meisten jüdischen Männer verhafteten, rettete der Hausbesorger unseren Teil des Gebäudes, indem er der SA nichts über unsere Existenz sagte.

Quellen

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46

Quellen

Quelle 2: Zu wenig Gerechte

Am 9. August 1941 wurde in Meidling die Hausgehilfin Maria Groisböck festgenommen, weil sie Vermögen ausgewanderter Juden verheimlichte.

Am 19. Oktober 1940 wurde in Wien-Fünfhaus der 57jähriger Fleischhauer- gehilfe G. verhaftet, weil er Juden außerhalb der für sie festgesetzten Geschäftszeiten Fleisch hatte verkaufen wollen. »Die dadurch entstandenen Unmutsbekundungen beschwichtige G. mit dem Hinweis, dass die Juden auch Menschen seien. Einem einschreitenden SS-Untersturmführer wiederholte G. seine diesbezügliche Meinung und benahm sich diesem gegenüber schroff und beleidigend.« (...) Im Jänner 1941 wurde im niederösterreichischen Ort Gutenstein der Postfacharbeiter Johann Joestl wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz verhaftet. Er hatte in einer politischen Debatte u.a. geäußert,

»dass sich die Ostmark nach dem Krieg wieder selbständig mache und nicht mehr mittue.« Ferner erzählte er, »dass die Juden in Polen noch immer die größten Geschäfte besitzen, weil sie die gescheitesten und tüchtigsten Leute sind und solche Leute unter den Deutschen nicht zu finden sind.« (...)

Ein Favoritner Kaufmann wurde verhaftet, weil er im Gasthaus Streichers antisemitisches Hetzblatt »Der Stürmer« nach kurzer Lektüre aus dem

Zeitungshalter herausgerissen und zerknittert hatte. (...) Im März berichtete der SD-Leitabschnitt Wien, an verschiedenen Orten wurde beobachtet, dass Juden in den Geschäften zu jeder Tageszeit einkaufen können und »stellenweise sogar bevorzugt werden. Nicht selten entschuldigten sich die betreffenden Kaufleute mit der Bemerkung, dass die Juden eben auch Menschen seien.«

Aus: Erika Weinzierl: Zu Wenig Gerechte. Österreicher und die Judenverfolgung 1938 – 1945. Graz – Wien - Köln 1969, S. 114-116.

(47)

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Quellen

Quelle 3: Was ist Zivilcourage?

Angst, mangelnde Sicherheit und auch Unvermögen sind die Gegenspieler von Zivilcourage und lassen Menschen, die eingreifen könnten, abwarten oder wegsehen. Der Widerstreit von Zivilcourage besteht aber auch zu anderen menschlichen Verhaltensweisen, wie dem Eigensinn und dem individuellen Streben nach Glück. Aus der Schwierigkeit, sich mit Zivilcourage anders zu verhalten als gewohnt, sich dem Gemeinwohl zu verpflichten statt dem Eigennutz, ergibt ein Dilemma. Das Bedürfnis, die eigene Haut zu retten, nicht einzugreifen, sich einem Streit nicht zu stellen, nicht hinzusehen und sich keine Zeit zu nehmen, lässt egoistische Ziele obsiegen in einer Welt, die stark auf individuelles Glück ausgerichtet ist. (...) Die kleine Tat, die von allen

Menschen geleistet werden kann, ist Zivilcourage. Der kleine Schritt und der Mut, den eigenen Schatten zu überspringen, ohne sich grundlegend über die Folgen des eigenen Handelns sicher zu sein, gehören ebenfalls dazu.

Nicht zuletzt eine Handlung, die sogar gegen bestehende Gesetze verstoßen kann, zählt zu dem Spektrum. Der Grund ist: Zivilcouragiertes Handeln ist im Kern ein (verbales) Aufstehen/Handeln gegen kritikwürdige Zustände, Handlungen oder Meinungen etc.

Aus: Dieter Lünse: Zivilcourage – eine individuelle Tugend. In: Emil Brix, Jürgen Nautz, Klaus Thien (Hg.): Zivilcourage. Wien 2004, S. 20–21.

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48

Arbeitsimpulse

a] Sehen Sie sich die Sequenzen mit Elisabeth Jäger (EJ 5, EJ 2, EJ 6) an:

_ Wie verhielt sie sich?

_ Wie begründet sie ihr Verhalten?

b] Lesen Sie dann die weiteren Quellen:

_ Wie reagierten die Nachbarn, FreundInnen, Bekannten?

_ Wir wird deren Verhalten begründet?

c] Was bedeutet Zivilcourage für Sie?

d] Haben Sie schon einmal selbst solches Verhalten erlebt? Schreiben Sie den Vorfall auf. Wenn Sie möchten, lesen Sie das Ergebnis Ihrem Sitznachbar/Ihrer Sitznachbarin, und/oder der Klasse vor.

e] Welche aktuellen Beispiele für Zivilcourage finden Sie in den Medien?

f] In Dreier-Gruppen: Jede/r bekommt einen Zettel, auf dem entweder »Täter«, »Opfer«, oder

»Zuschauer« steht. Sammeln Sie Begriffe, die Ihnen zu diesem Wort einfallen. Danach: Aus- tausch in der Gruppe, und schließlich im Plenum.

_ Anschließende Diskussion über die eigenen Erfahrungen und die möglichen Probleme bei der Definition der Begriffe »Täter«, »Opfer«

und »Zuschauer«.

Zivilcourage

zum Inhaltsverzeichnis

(49)

49

Einführung

Vertiefung: Einwanderungsland Österreich

Zusatzmaterial:

Quelle 1: Artikel Standard

Quelle 2: Grafik Bevölkerung mit Migrationshintergrund Quelle 3: Religionszugehörigkeit in Österreich 2001 Quelle 4: Umgangssprachen in Österreich 2001 Quelle 5: Lauter Ausländer – lauter Wiener

(50)

50

Quellen

Quelle 1: Artikel Standard

16,3 Prozent der Österreicher haben Migrationshintergrund

Eingefleischte Hardliner müssen die Zahlen wie eine Ohrfeige empfinden.

Da verschärft ein Innenminister nach dem anderen die Fremdengesetze, faselt die FPÖ von Minus-Zuwanderung, dennoch strömen Jahr für Jahr scheinbar unbeeindruckt neue Ausländer ins Land. Und machen Österreich zu dem, was so viele fürchten: Eine multikulturelle Gesellschaft.

Jeder 3. Wiener ein Migrant

»Der Streit, ob Österreich ein Einwanderungsland sein soll, ist obsolet«, sagt der Demograf Gustav Lebhart zum Standard. »Tatsache ist: Wir sind es längst.«

Das beweisen die Daten, die Lebhart und seine Kollegen von der Statistik Austria nun präsentierten. Bereits 1,35 Millionen Menschen in Österreich, das sind 16,3 Prozent, weisen einen so genannten »Migrationshintergrund« auf, will heißen: Sie wurden im Ausland geboren oder besitzen, selbst wenn sie im Inland zu Welt kamen, keine österreichische Staatsbürgerschaft. 2001 waren es laut Volkszählung noch 14 Prozent gewesen.

Am meisten Neu-Bürger leben in Wien. Beinahe jeder Dritte in der Bundeshaupt- stadt stammt aus einem Zuwanderermilieu. Zehn Wiener Bezirke führen auch die einschlägige »Hitliste« an. Multikulti-Hochburg ist Rudolfsheim-Fünfhaus (46 Prozent mit Migrationshintergrund), auf den Plätzen folgen die Leopoldstadt, Margareten und die Brigittenau (alle über 40 Prozent). Auf den untersten Rängen die Waldviertelgemeinden Zwettl (2,5 Prozent) und Waidhofen an der Thaya (3,4 Prozent) sowie - auf Länderebene - das Burgenland mit 8,3 Prozent.

Immigranten lassen sich vor allem dort nieder, wo Landsleute davor bereits Netzwerke aufgebaut haben. Und wo Unternehmen neue Arbeitskräfte suchen – was am Land seltener der Fall ist.

(51)

51

Quellen

Die Rumänen kommen

Die größten Gruppen stellen, abgesehen von Zuwanderern aus Deutschland (190.000), Bürger aus den klassischen Gastarbeiterländern. Mehr als 440.000 Menschen haben ihre Wurzeln in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, 155.000 in der Türkei. Doch die Statistik belegt auch: Die Zuwanderung aus diesen Regionen – da zeigen die strengen Fremdengesetze wohl Wirkung – stagniert.

Eine Nebenrolle spielen Afrikaner, die zwar oft durch die Schlagzeilen geistern, aber kaum mehr als 20.000 Köpfe zählen.

Stattdessen werden, hält der Trend an, Einwanderer aus EU-Staaten dafür sorgen, dass Österreich im Jahr 2050 voraussichtlich 9,5 statt bisher 8,3 Millionen Einwohner beherbergen wird. Die Zahl der Zuzügler aus der Europäischen Union stieg allein in den ersten neun Monaten 2007 um 7,5 Prozent, größte Gruppe sind deutsche Staatsbürger, von denen derzeit 121.000 im Land leben.

Verhältnismäßig am größten ist der Zustrom – plus 21 Prozent – aber aus den neuen Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien. Der Demograf Lebhart rechnet damit, dass der Boom noch zwei bis drei Jahre anhalten könnte. Wogegen, weil EU, auch die strengsten Fremdengesetze nichts ausrichten könnten.

Abschotten als Illusion

Für eine »Illusion« hält Lebhart deshalb, wenn Politiker suggerierten, Ausländer aussperren zu können. Dauernde Zuwanderung müsse als Faktum anerkannt werden, fordert der Migrationsforscher: »Das Festhalten an der Vorstellung, dass Zuwanderer sich nur vorübergehend in Österreich aufhalten, führt zur Konsequenz, dass diese nur unzureichend integriert werden.«

(Gerald John, in: DER STANDARD, Printausgabe, 9. November 2007)

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52

Quellen

Quelle 2: Grafik Bevölkerung mit Migrationshintergrund

Aus: DER STANDARD, 9. November 2007.

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Quellen

Quelle 3: Religionszugehörigkeit in Österreich 2001

Erstellt von Albert Lichtblau. (Siehe: www.statistik.at)

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54

Quellen

Quelle 4: Umgangssprachen in Österreich 2001 (siehe Thema »Sprache(n) in Österreich«)

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55

Quellen

Quelle 5: Lauter Ausländer – lauter Wiener Von Oliver Lehman, 1997

Um zu dokumentieren, dass Wien auf ganz alltägliche Weise eine multikul- turelle Metropole ist, wird gern auf das Telefonbuch oder die Wiener Küche hingewiesen. Das Straßenverzeichnis wurde bislang kaum beachtet. (...) Die Namensgebung verdeutlicht – bei allem Zufall – den multikulturellen Aspekt.

Der Schottenring erinnert an die Zeit der Babenberger, als Mönche von den britischen Inseln mit ihrem Kloster auf der Freyung Bildung und Handwerk in Wien förderten. Die Ungargasse weist auf den uralten Handelsweg in Richtung Pannonien hin, die Griechengasse auf die frühe griechische Gemeinde in der Stadt. Manche Namen rufen die breit gefächerten Wurzeln der Donaumonar- chie (Lothringerstraße, Am Modenapark) und ihre Siege (Belgradplatz, Türkenstraße, Novaragasse) in Erinnerung. Die Niederlagen werden gerne vergessen, eine Königgrätzer Straße wird man vergeblich suchen. (...) Eine veritable Entdeckungsfahrt kann man mit dem Finger auf dem Stadtplan oder mit einem Straßenbahnfahrschein unternehmen: von der arktischen Kälte der Nordpolstraße bis zum karibischen Flair am Havannaweg. Was sie gemeinsam haben: Sie sind lauter Ausländer, sie sind lauter Wiener.

Aus: Ursula Hemetek (Hg.): Am Anfang war der Kolaric. Plakate gegen Rassis- mus und Fremdenfeindlichkeit. Wien 2000, S. 32-33.

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56

Arbeitsimpulse

a] Auf Grundlage obiger Quellen: Erheben Sie den Stand in Ihrer Klasse:

_ Wer ist wo geboren?

_ Wer ist wo aufgewachsen?

(Auch die Eltern/Großeltern miteinbeziehen) _ Wer hat welche Religionszugehörigkeit?

_ Wer spricht welche Sprache(n)?

b] Wie verhalten sich diese Klassen-Ergebnisse zu den Zahlen in Quelle 1 und Quelle 2?

c] Lesen Sie die Kurzbiographien der ZeitzeugInnen auf dieser DVD: Woher kamen die ZeitzeugInnen bzw. deren Eltern und Großeltern? Wo leben die ZeitzeugInnen heute?

d] Auf Grundlage von Quelle 5:

Erstellen Sie eine Liste der Straßennamen in Ihrem Ort/Ihrer Stadt. Welche davon haben ausländische Wurzeln?

e] Diskussion über ein Zitat zum Umgang mit »dem Fremden« bzw. »dem Anderen«:

»Auf befremdliche Weise ist der Fremde in uns selbst: Er ist die verborgene Seite unserer Identität. (...) Wenn wir ihn in uns erkennen, verhindern wir, dass wir ihn selbst verabscheuen.«

(Julia Kristeva: Fremde sind wir uns selbst. Frankfurt am Main 1990, S. 11).

Vertiefung: Einwanderungsland Österreich

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