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[Rezension zu:] Schrumpfende Städte / shrinking cities (KW Institute for Contemorary Art, Berlin, 04.09.–07.11.2004)

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Oswalt, Philipp (Hrsg.): Internationale Untersuchung. [anlässlich der Ausstellung Schrumpfende Städte. Internationale Untersuchung, Ausstellungsstationen

(Planungsstand Juli 2004) ; KW Institute for Contemporary Art, Berlin 4. September bis 7. November 2004, Spike Island, Bristol (GB), 2005, Schusev State Museum of Architecture, Moskau (RUS), 2005, Stadtmuseum der Landeshauptstadt Düsseldorf, 2006 ...], Ostfildern: Hatje Cantz Verlag 2004

ISBN-10: 3-7757-1481-2, 735 S.

Schrumpfende Städte / shrinking cities

KW Institute for Contemorary Art, Berlin, 04.09.–07.11.2004 Rezensiert von: Christian Forster

Während die Metropolen in den ärmeren Regionen der Welt dank eines stetigen Zustroms von Landflüchtigen immer noch wachsen und wachsen, sind viele Städte in den klassischen Industrie- nationen vom gegenteiligen Trend betroffen: Schrumpfung. Der Begriff bezieht sich auf ein demo- grafisches Phänomen, nämlich den merklichen Rückgang der Einwohnerzahl, und bezeichnet eine städtebauliche Situation. Eine schrumpfende Stadt behält ihre flächenmäßige Ausdehnung bei, aber die Dichte tatsächlich genutzter Bebauung hat abgenommen; Leerstand, Verfall und Brach- flächen sind ihre Kennzeichen. Ihre gewachsenen Strukturen sind überflüssig geworden.

Die Ausstellung „Schrumpfende Städte/shrinking cities“ der Kulturstiftung des Bundes in der Berli- ner Galerie „KunstWerke“ illustriert die architektonische Gestalt von vier betroffenen Städten: Det- roit, Manchester, Leipzig und Ivanovo. Der Blick geht dabei auch in die Vororte Detroits, nach Liver- pool, Halle, Wolfen und Juscha. Die Beispiele sind so gewählt, dass sich an ihnen die verschiede- nen Ursachen von Stadtschrumpfung zeigen lassen. In Detroit ist es eine anfangs rassistisch moti- vierte Suburbanisierung, die Abwanderung der weißen Bevölkerung und der Produktionsstätten in die Vororte. Automobile werden in Amerikas „rustbelt“ nach wie vor gebaut, nur eben jetzt an peri- pheren Standorten. In Manchester, auch in Leipzig und Ivanovo, ist es die Deindustrialisierung, die aber im Geburtsland der Massenproduktion schon nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, wäh- rend sie in Sachsen und in der Sowjetunion an das Ende des sozialistischen Staates gekoppelt war. 1989/90 haben etwa 16000 Einwohner Leipzig in Richtung Westen verlassen. Mittlerweile ist die Abwanderungsquote zurückgegangen, doch Geburtenrückgang und Suburbanisierung haben dazu geführt, dass heute mehr als ein Viertel aller Leipziger Wohnungen leersteht, seien es Altbau- ten aus der Gründerzeit oder Plattenbauten in der Großsiedlung Grünau. Ivanovo, 350 km östlich von Moskau, hat, trotz der gemeinsamen sozialistischen Vergangenheit, andere Probleme. Die Abwanderung nach Moskau wurde durch den Migrationszuwachs vom Land, aus den unwirtliche- ren Regionen Russlands und ehemaligen Sowjetrepubliken weitgehend kompensiert. Aber 82 % der Bevölkerung leben unter dem Existenzminimum, und das benachbarte Juscha, wie Ivanovo monostrukturell von Textilindustrie geprägt, hat die höchste Arbeitslosenquote Russlands,

offiziell 39 %.

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Die Ausstellung, die auf fünf Stockwerke verteilt ist, bietet eingangs Statistiken und Tafeln zur his- torischen Entwicklung und überlässt jedem der vier Stadtporträts eine Etage. Gezeigt wird, wie die Zurückbleibenden mit ihrer veränderten urbanen Umwelt umgehen. Um ihre Lage einschätzen zu können, soll der Besucher, so scheint das methodische Konzept der Ausstellung zu lauten, vor allem die ästhetische Dimension ihres Alltags erfahren. Obwohl die Medien der Dokumentation - Foto, Film und Tonbandaufnahmen - gegenüber Gemälden oder Objekten überwiegen, sind es fast ausnahmslos bildende Künstler, Fotografen und Architekten, die diesen Zugang herzustellen ver- suchen. Die Stärke der Schau liegt in ihrem Hinweisen auf oft überraschende, dann aber konsequ- ent erscheinende Details, die das Leben in einer Schrumpfstadt auszeichnen. Aus Detroit zieht es die Bewohner in die Vorstädte? Also werden auch die Toten nachgeholt. Gebäude stehen leer? Sie werden von „scrappers“ nach Altmetall durchsucht, von Jugendlichen oder Versicherungsbetrü- gern in Brand gesteckt, vorzugsweise in der so genannten „Devil's Night“ am Vorabend von Hallo- ween, oder in Kunstobjekte verwandelt wie in der Heidelberg Street. Aus Manchester wurde das

„migrant office“ geholt, ein temporäres Büro für Künstler, die in ein für den Abriss vorgesehenes Hochhaus ziehen können, man hört Telefoninterviews mit Angestellten von Call Centern und lernt, die Zeichen zu lesen, die das Leben in einer auf Abbruch wartenden Wohnsiedlung in Liverpool regeln. Gegenstände des Alltags, hergestellt aus Zivilisationsmüll, lassen die schwierigen Lebens- bedingungen im postsowjetischen Ivanovo nur erahnen. Die Menschen müssen, um zu überleben, Kartoffeln anbauen, und dafür nutzen sie auch die innerstädtischen Freiflächen - eine zynische Umdeutung des Bildes von den blühenden Landschaften drängt sich auf. Die ostdeutsche Abtei- lung zeigt Plattenbauabrisse in Wolfen-Nord, einen Comic, der die ökonomischen Hintergründe sol- cher „Rückbau“-Maßnahmen erläutert, und den Pressespiegel zu den Vorgängen rund um ein Jugendzentrum in Leipzig-Grünau, das von Rechtsradikalen annektiert wurde. Ein Gemälde von Konrad Knebel aus dem Jahr 1981, in dem nüchterne Plattenbauscheiben hinter Berliner Altbauge- rippen aufragen, führt in die Vorwende-Zeit zurück und erinnert an die ideologisch motivierte Denk- malvernichtung in der DDR, gegen die neben Knebel nur wenige protestierten. Leider wird dieser historische Vorlauf der Schrumpfung in Ostdeutschland nicht weiter thematisiert ebenso wenig wie die Folgen, die daraus für den heutigen Denkmalschutz resultieren.

Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen, der fast alle Exponate abbildet, sie aber nicht nummernweise erläutert, sondern in den Kontext essayistischer Betrachtungen zu den sozio- logischen, wirtschaftlichen und ästhetischen Besonderheiten der schrumpfenden Stadt stellt. Alle Daten des empirischen Teils sind hier nachzulesen. Man vermisst allerdings einen historischen Ansatz, der aufzeigt, dass es entleerte Siedlungen auch in der Vergangenheit gegeben hat, etwa Römerstädte in der Zeit der Völkerwanderung, Wüstungen des Spätmittelalters, Konstantinopel im 15. Jahrhundert. Ein Beitrag immerhin widmet sich den Ruinenfantasien Piranesis und Hubert Roberts und schlägt den Bogen zu dem amerikanischen Land Art-Künstler Robert Stephenson.

Versuche zu einer Ikonographie der schrumpfenden Stadt wurden ferner im Bereich Schallplatten- cover und Kino gemacht, doch ist die Auswahl manchmal willkürlich; was hat die berühmte Explo- sion am Ende von Antonionis „Zabriskie Point“ mit Schrumpfstädten zu tun? Vor allem fehlt die jüngste Vergangenheit der betroffenen Städte und mit ihr ein Maßstab für den Verlust, den die Bewohner empfinden müssen. Und die Perspektive? Teil 2 von „Schrumpfende Städte“ mit dem Untertitel „Handlungskonzepte“ wird 2005 in Leipzig zu sehen sein. Schon heute verweisen die Ausstellungsmacher, bemüht, den entmutigenden Fakten etwas Positives gegenüber zu stellen, auf das kreative Potenzial der Schrumpfstädte, vor allem im Bereich Musikkultur mit Detroit und

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Manchester als einschlägig bekannten Zeugen. Leider bewirkte bisher nur in wenigen Fällen die Existenz einer innovativen Jugendsubkultur mehr als einen Imagewandel, gab sie den Anstoß zur Re-Urbanisierung von Straßenzügen und Stadtvierteln, holte sie die Stadtsanierung zurück und ver- größerte die Einwohnerschaft. Manchester-Hulme und Leipzig-Connewitz sind hier Ausnahmen auf weiter Flur.

Das Veranstaltungsprogramm ist unter www.shrinkingcities.com zu finden.

Empfohlene Zitation:

Christian Forster: [Rezension zu:] Schrumpfende Städte / shrinking cities (KW Institute for Contemorary Art, Berlin, 04.09.–07.11.2004). In: ArtHist.net, 15.10.2004. Letzter Zugriff 27.02.2022.

<https://arthist.net/reviews/480>.

Dieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 4.0 International Licence". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter

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