• Keine Ergebnisse gefunden

Deutsch als Zweitsprache

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Deutsch als Zweitsprache"

Copied!
30
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)
(2)

Deutsch als Zweitsprache

(3)

Reihe

Mehrsprachigkeit und Bildung

herausgegeben von Anke Wegner

İ nci Dirim

Band 3

(4)

İ nci Dirim

Anke Wegner (Hrsg.)

Deutsch als Zweitsprache

Inter- und transdisziplinäre Zugänge

Verlag Barbara Budrich

Opladen • Berlin • Toronto 2021

(5)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Verlag Barbara Budrich GmbH, Opladen, Berlin & Toronto www.budrich.de

ISBN 978-3-8474-2379-9 (Paperback) eISBN 978-3-8474-1312-7 (PDF) DOI 10.3224/84742379

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver- wertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustim- mung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigun- gen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Umschlaggestaltung: Bettina Lehfeldt, Kleinmachnow – www.lehfeldtgraphic.de Typographisches Lektorat: Anja Borkam, Jena – kontakt@lektorat-borkam.de Druck: docupoint GmbH, Barleben

Printed in Europe

(6)

Inhalt

Einführung – Deutsch als Zweitsprache in inter- und

transdiziplinärer Perspektive ... 9 Anke Wegner / İnci Dirim

Kapitel 1: Inter- und transdisziplinäre Verortungen

Interdisziplinäre Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ) – Begründung und Annäherung an eine Standortbestimmung ... 19 Johanna Bleiker

Deutsch als Zweitsprache: Zum Verhältnis von Allgemeiner

Didaktik und Fachdidaktik ... 35 Anke Wegner

DaZ connected – Perspektiven zur Vernetzung von Deutsch als Zweitsprache in der akademischen Bildung ... 61 Christine Heimerer

Lehrer/innenbildung zu den Themen „Deutsch als Zweitsprache“

und „kulturelle Diversität“ in Österreich ... 85 Klaus-Börge Boeckmann

Generisches Lernen in der Zweitsprache ... 99 Wolfgang Hallet

Lernendenorientierung in der sprachlichen Bildung neu

zugewanderter junger Erwachsener ... 117 Marco Triulzi / Ina-Maria Maahs / Rode Veiga-Pfeifer / Erol

Hacısalihoğlu / Waltraud Steinborn

(7)

6

Kapitel 2: Beispiele inter- und transdisziplinärer Forschung Mehrsprachigkeit und Literatur – Autopoetologisches

Nachdenken und machtkritische Reflexion ... 137 Melanie David-Erb

Starke Mädchen, starke Frauen – Einblicke in ein

berufsbezogenes Sprachförderprojekt für Schülerinnen ... 155 Sandra Steinmetz

Typologische Zugänge zum Fach Deutsch als Zweit- und Fremdsprache: Noch einmal zur Frage nach den

charakteristischen Merkmalen des Deutschen ... 175 Elena Stadnik

Lehrkräfteprofessionalisierung im Kontext von Heterogenität.

DaZ-kompetenter Umgang mit Differenzordnungen im

Unterricht ... 189 Stephanie Falkenstern / Sarah-Larissa Hecker /

Svenja Lemmrich

Wie viel Linguistik brauchen Lehrer/innen? Empirische Befunde zum sprachbezogenen Professionswissen von Lehrkräften ... 203 Franziska Wallner

Between two languages: the interpreter’s invitation ... 227 Marie-Eve Saraïs

Anforderungen an Nachhaltigkeit in Forschung und Lehre am Beispiel Deutsch als Zweitsprache ... 239 Kristin Bührig / Patrick Grommes

(8)

7 Kapitel 3: Gastbeiträge

Romani, Nationalstaat, Schule ... 257 János Imre Heltai

Von der Interkulturalität zur Transkulturalität als neuer

Perspektive in der Fachdidaktik Deutsch ... 275 Irmgard Honnef-Becker

Autorinnen und Autoren……… 295

(9)
(10)

Einführung – Deutsch als Zweitsprache in inter- und transdisziplinärer Perspektive

Deutsch als Zweitsprache entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem im- mer komplexeren Forschungs- und Arbeitsgebiet. Ein Grund für die Zunahme dieser Komplexität liegt darin, dass nach dem „PISA-Schock“ der 2000-er Jahre vor allem in Deutschland eine Welle der drittmittelfinanzierten For- schung begann, deren wichtigstes Ziel es war, den deutschsprachigen Regel- unterricht des Bildungssystems für Schüler_innen, die sich im Prozess der An- eignung des Deutschen befinden und zugleich den monolingual deutschspra- chigen Regelunterricht besuchen (müssen), zugänglicher zu gestalten und die Vermittlung der deutschen Sprache evidenzbasiert systematisch zu verbessern.

Die dabei in den Blick genommenen Forschungsfragen wie die der Möglich- keiten der Sprachstandsdiagnostik als Basis für die Deutschvermittlung erfor- derten einen breiten forschungsmethodologischen Zugang, der weit über den philologischen Kanon hinausging bzw. nach einem anderen Forschungskanon suchte, mit dem Lernen und Lehren als (institutioneller) psychosozialer Pro- zess beobachtet, beschrieben und interpretiert werden konnte. Im Rahmen die- ser Forschungstätigkeit kommen zahlreiche Methoden der empirischen Sozi- alforschung zum Einsatz und die Ergebnisse schulpädagogischer, lerntheoreti- scher und weiterer Felder ins Spiel, die es zu berücksichtigen gilt.

Das Fach Deutsch als Zweitsprache befasst sich in seinen theoretischen Zu- gängen und in der empirischen Forschung von Anbeginn mit unterschiedlichen Kontexten des Erwerbs des Deutschen als Zweitsprache und mit Adressat_in- nen, die die deutsche Sprache als Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit je eigenen Aspirationen und in diversen institutionellen, schulischen und außer- schulischen Zusammenhängen erlernen und/oder erwerben. Einen gewichtigen Schwerpunkt des Fachs bildet die Didaktik des Deutschen als Zweitsprache mit Blick auf das allgemeinbildende, in den vergangenen Jahren verstärkt auch das berufsbildende Schulwesen. Die Didaktik Deutsch als Zweitsprache nimmt die Komplexität von Unterricht, von Lernen und Bildung im Unterricht, schü- lerseitige Subjektperspektiven, das pädagogische und didaktische Denken und Handeln von Lehrpersonen sowie die Gegenstände des Unterrichtsfachs und des sprachsensiblen Fachunterrichts theoretisch und empirisch in den Blick.

Schüler_innen an allgemeinbildenden Schulen und erwachsene Lerner_in- nen etwa im berufsbildenden Schulwesen stehen nicht nur hinsichtlich der in- dividuellen Sprachdiagnostik und mit Bezug auf den Erwerb, etwa spezifischer Erwerbssequenzen in der deutschen Sprache, im Fokus. Das Fach Deutsch als Zweitsprache befasst sich mit dem gesamten sprachlichen Repertoire von Kin- dern, Jugendlichen und Erwachsenen, es erhebt die sprachlichen Fähigkeiten

(11)

10

und Kenntnisse von Lerner_innen im Ganzen. Es eruiert diesbezüglich Mög- lichkeiten des Einbezugs der Mehrsprachigkeit, mehr noch des individuellen sprachlichen Repertoires in den Unterricht Deutsch als Zweitsprache und in den Regelunterricht in allen Fächern. Darüber hinaus bildet die Erforschung von Lehr-/Lernbedingungen, kognitiver und psychologischer Aspekte des Ler- nens und des Erwerbs des Deutschen einen Schwerpunkt der Disziplin. Neu migrierte Kinder, Jugendliche und Erwachsene etwa bringen ein spezifisches bildungsbiographisches Gepäck, zudem oftmals seelisch belastende Erfahrun- gen mit, die aus psychologischer und sozialer Sicht erforscht und pädagogisch und didaktisch reflektiert werden. Weiter interessiert sich das Fach Deutsch als Zweitsprache dafür, welche subjektiven Bedürfnisse, welche Neugier, welche Interessen und Entwicklungsziele Heranwachsende und Erwachsene mitbrin- gen und wie diese in Schule und Unterricht und im außerschulischen Kontext anerkannt und ausgeschöpft werden können. Die Perspektive auf das Bildungs- subjekt und seine Belange bildet einen gewichtigen Kern der Didaktik Deutsch als Zweitsprache.

Die Theorie und Empirie des Deutschen als Zweitsprache beziehen sich neben den Schüler_innen und an Sprachkursen Teilnehmenden auch auf Lehr- personen in den verschiedenen Institutionen. In den vergangenen Jahren hat die Professions- und Professionalisierungsforschung an Bedeutung gewonnen, es entstanden und entstehen Studien zu den eigentheoretischen Vorstellungen von angehenden und praktizierenden Lehrpersonen, zu ihren subjektiven di- daktischen Theorien und zu ihrem unterrichtlichen Handeln in unterschiedli- chen institutionellen Kontexten. Einen Schwerpunkt bildet zudem die lehrer- seitige Wahrnehmung neu migrierter Kinder und Jugendlicher in Schule und Unterricht. Studien verweisen darauf, dass Lehrpersonen teils mehr oder we- niger bewusst diskriminierende, selbst rassistische Denkmuster transportieren, die sich auch auf ihr pädagogisches und didaktisches Handeln auswirken. Stu- dien verweisen aber auch darauf, dass die professionelle Entwicklung von Lehrpersonen als Motor der Schulentwicklung fungieren kann, weil diese mit ihren Erfahrungen in der pädagogischen Arbeit mit neu Migrierten gewinn- bringende pädagogische und didaktische Perspektiven entwickeln.

Die Didaktik Deutsch als Zweitsprache widmet sich der Analyse und Re- flexion auf Fachcurricula sowie auf Gegenstände des Faches und des Regelun- terrichts im allgemein- und berufsbildenden Schulwesen. Hinsichtlich der vor- findlichen Curricula für Deutsch als Zweitsprache sind beispielsweise An- schlüsse und Vernetzungen mit den Fächern des Regelunterrichts zu schaffen und zu erforschen und eine Verzahnung des Deutsch als Zweitsprache-Unter- richts mit Blick auf die Vermittlung bildungs- und fachsprachlicher Fähigkei- ten und Kenntnisse im Regelunterricht zu leisten. Die Lehrwerkanalyse und im weiteren Sinne die Analyse von Lehr-/Lernmaterialien, auch digitalen Medien, bildet einen klassischen Schwerpunkt des Faches und umfasst beispielsweise die Kritik an stereotypisierenden, nationalen Kulturen fixierenden Darstel-

(12)

11 lungen des anderen. Es befasst sich mit Chancen und Herausforderungen inter- und transkulturellen Lernens und vorfindlichen didaktischen Kurzschlüssen im Fach. Eine kritische Revision dieser allgemeindidaktischen gesellschaftsbezo- genen Traditionen wird in den letzten Jahren nicht mehr ausschließlich aus Sicht der traditionellen kulturbezogenen Perspektive vorgenommen – diese wird immer mehr durch macht- und gesellschaftskritische sowie migrationspä- dagogische Zugänge ersetzt. In den vergangenen Jahren wurde zudem mit Blick auf den sprachsensiblen Unterricht in allen Sachfächern eine umfassende Erforschung des bildungs- und fachsprachlichen Inventars und Bedarfs begon- nen, es wurden differenzierte didaktische Annäherungen an Formen integrier- ten fachlichen und bildungs- und fachsprachlichen Lernens entworfen und um- gesetzt, die künftig im Sinne einer durchgehenden sprachlichen Bildung über Schulstufen und -formen hinweg zu verstetigen und weiterzuentwickeln sind.

Die Forschung im Fach Deutsch als Zweitsprache fokussiert auf die Re- konstruktion sprachlichen und fachlichen Lernens, sprachlicher und fachlicher Bildung im Unterricht in allen Schulformen, in weiteren Bildungsinstitutionen und im außerschulischen Bereich. Was Lernen und Bildung in der Institution Schule betrifft, so ist besonders die Rekonstruktion der unterrichtlichen Inter- aktion und damit einhergehend der Lern- und Bildungsprozesse im Unterricht relevant und bereits etabliert. Eben dies sowie die Zusammenschau der Sicht- weisen der am Unterricht Beteiligten, mehr noch die Rekonstruktion der Inter- aktion von Schüler_innen, Lehrpersonen und Gegenstand im Unterricht, etwa mit Blick auf die epistemische Qualität von Unterricht, führt zur Entwicklung weiterführender pädagogischer und didaktischer Perspektiven.

Die angesprochene Konzentration auf die Kernelemente didaktischer The- orie und Empirie – Schüler_innen, Lehrer_innen und Gegenstand und ihre In- teraktion – erfolgt in der Didaktik und auch in der Didaktik Deutsch als Zweit- sprache grundsätzlich nicht nur aus sich heraus. Die Theorie und Empirie des Deutschen als Zweitsprache beziehen sich grundsätzlich auch auf je vorfindli- che und fortzuentwickelnde institutionelle Rahmenbedingungen auf regiona- ler, nationaler und transnationaler Ebene. Aufgrund der vorfindlichen pädago- gischen und didaktischen Herausforderungen im Kontext von Migration, ge- sellschaftlicher Teilhabe und sozialer Inklusion schließt die Disziplin Deutsch als Zweitsprache wesentlich gesellschaftliche, politische, auch bildungspoliti- sche Fragestellungen ein sowie vielfältige Aspekte der Schulentwicklung, die beispielweise die Förderung von Bildungsgerechtigkeit, die Überwindung von Exklusion und Diskriminierung usw. betreffen. Damit gehen vom Fach zahl- reiche Impulse aus, die über die Deutschvermittlung in engerem Sinne hinaus- gehen. Wissenschaftler_innen des Faches übernehmen die Aufgabe, Kinder und Jugendliche, auch Erwachsene, die unter prekären Verhältnissen leben, zu repräsentieren. Repräsentation ist nicht immer einfach und bedarf der perma- nenten Selbstreflexion des Faches bzw. seiner Akteur_innen im Hinblick auf seine sozialen sowie subjektivierenden Implikationen. Aber auch wenn sie

(13)

12

nicht einfach umsetzbar ist, verweist die Frage der Selbstreflexion, der Be- rücksichtigung von Involviertheit in gesellschaftliche Diskurse auf Qualifika- tionsprozesse, die in der postmodernen globalen Migrationsgesellschaft zentral sind. Das Fach Deutsch als Zweitsprache kann damit in seiner Vielfalt, Gesell- schaftsbezogenheit und Aktualität ein wichtiger Motor der Schulentwicklung der Migrationsgesellschaft sein. Allerdings möchten wir nicht verschweigen, dass in unserem Fach modernistische und postmoderne bzw. nationalistische und postnationale Strömungen ganz unterschiedliche Selbstverständnisse er- zeugen, die zu thematisieren einer eigenständigen Reflexionsarbeit bedarf. Der bildungspolitische und migrationspolitische Zugriff auf das Fach erfordert fachinterne Auseinandersetzungen um politische Positionierungen, die etwa auf philosophisch-theoretische Fundierungen angewiesen sind. Auch die Frage, welcher „Schulen“ das Fach folgen möchte, ist inter- und transdiszipli- när anzugehen.

Das Fach Deutsch als Zweitsprache erweist sich gerade in seiner Inter- und Transdisziplinarität als zentral für die Reflexion auf und Transformation von Unterricht, Schule und Gesellschaft in Zeiten von Globalisierung und weltwei- ter Migration. Es ist ein herausragendes Merkmal des Faches Deutsch als Zweitsprache, sich Fragen des Lernens und der Bildung im Kontext von Mig- ration und Mehrsprachigkeit konsequent und in inter- und transdiziplinärer Weise zu stellen. Die Didaktik Deutsch als Zweitsprache übernimmt die An- waltschaft für den Erwerb der Bildungssprache Deutsch und den Erhalt und die Förderung des individuellen sprachlichen Repertoires in der Migrationsge- sellschaft; sie entwickelt diesbezüglich zudem pädagogische und didaktische Perspektiven. Fokussierter als in anderen Fachdidaktiken und Fachwissen- schaften befasst sich das Fach Deutsch als Zweitsprache außerdem in inter- und transdisziplinärer Weise mit Fragen der Institution Schule, die sich auf Hindernisse und Chancen der Bildungsgerechtigkeit unter der Prämisse von Migration und Mehrsprachigkeit beziehen. Diesbezüglich stellt sich die Dis- ziplin der Komplexität der Sprache des Bildungssubjekts sowie Formen der Diskriminierung, Schlechterstellung und Exklusion im Bildungswesen. Das Fach inkludiert außerdem über die unterrichtliche und institutionelle Ebene hinaus die inter- und transdisziplinäre Erforschung des Zusammenhangs von Individuum, Institution und Gesellschaft im Kontext von weltweiter Migration und pluraler Erfahrungen, Kenntnisse, Fähigkeiten und Bildungsaspirationen.

Es intendiert diesbezüglich die kritische Reflexion auf die Schule (und außer- schulische Bildungsinstitutionen) und ihre Transformation als Subsysteme ei- ner migrationsbedingt pluralistischen Gesellschaft insgesamt.

Das Fach Deutsch als Zweitsprache ist, so können wir zusammenfassen, durch eine transdisziplinäre Ausrichtung gekennzeichnet, die neben der Sprachwissenschaft, der Spracherwerbsforschung, der Mehrsprachigkeitsfor- schung, der Neuro- und Psycholinguistik sowie der Soziolinguistik auch die Pädagogik, Schulpädagogik und die Allgemeine Didaktik, die Migrations-

(14)

13 pädagogik, die Kulturwissenschaft, Politikwissenschaft sowie die Soziologie inkludiert. Noch wurde diese Inter- und Transdisziplinarität des Arbeits- und Forschungsgebiets Deutsch als Zweitsprache wenig thematisiert. Der vorlie- gende Sammelband geht auf die gleichnamige Tagung im Jahre 2018 zurück, bei der ein Austausch über Forschungsfragen und deren interdisziplinäre Be- arbeitung stattfand.

Der Band gliedert sich in ein erstes Kapitel, in dem eher paradigmatische inter- und transdiziplinäre Verortungen des Faches thematisiert werden, in ein zweites Kapitel mit Beispielen aus der Forschung sowie in ein drittes Kapitel, das zwei Gastbeiträge umfasst.

Kapitel 1: Inter- und Transdisziplinäre Verortungen

Johanna Bleiker zeichnet in ihrem Beitrag „Interdisziplinäre Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ) – Begründung und Annäherung an eine Standortbestimmung“ die Position des Faches am Beispiel einer Gruppenarbeit im schweizerischen Unterrichtsfach „Natur – Mensch – Gesellschaft“ nach.

Sie stellt diesbezüglich die Bedeutung des Fachwissens für das Verstehen der Deutschaneignungsprozesse und die Deutschvermittlung heraus. Aus dieser Perspektive erfolgt im zweiten Teil des Beitrags mit Rückblick auf das 22.

Symposium Deutschdidaktik eine Standortbestimmung des Faches. Bleiker untersucht die Vorträge des Symposiums im Hinblick auf die Frage der Be- rücksichtigung transdisziplinärer Bezüge.

Um die Bedeutung der oft in den Hintergrund geratenden Allgemeinen Di- daktik für Fachdidaktiken geht es in dem Beitrag „Deutsch als Zweitsprache:

Zum Verhältnis von Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktik“ von Anke Weg- ner. Wegner zeigt, inwiefern allgemeindidaktische Perspektiven die Fachdi- daktik Deutsch als Zweitsprache mitbestimmen. Am Beispiel von Interviews mit Deutschlernenden erfolgt ein tieferer Einblick in die Bedeutung der Allge- meinen Didaktik für das Verstehen des Deutschlernens als von Gesellschaft beeinflusster Prozess, in dem die jungen Menschen bestimmten Entwicklungs- aufgaben gegenübergestellt werden, die es behutsam zu erfassen, theoretisch geleitet zu verstehen und praktisch angemessen zu berücksichtigen gilt.

Christine Heimerer geht es um die Gestaltung der akademischen Angebote zu Deutsch als Zweitsprache. Sie zeigt in ihrem Beitrag „DaZ connected – Per- spektiven zur Vernetzung von Deutsch als Zweitsprache in der akademischen Bildung“ entlang des Umgangs mit dem Deutschlernen Geflüchteter, wie uni- versitätsinterne und außeruniversitäre Vernetzungen eine umfassende Ausbil- dung der Studierenden im abgesprochenen thematischen Kontext ermöglichen.

Die Entwicklung der „Lehrer/innenbildung zu den Themen ‚Deutsch als Zweitsprache‘ und ‚kulturelle Diversität’ in Österreich“ arbeitet Klaus-Börge Boeckmann heraus. Dabei geht er von dem wissenschaftlichen Konsens aus, dass die Zweitsprachentwicklung einen interdisziplinären und integrierten

(15)

14

Ansatz benötigt, der es erforderlich macht, dass alle Unterrichtsfächer und Stu- dienbereiche das Qualifikationsziel Deutsch als Zweitsprache inkludieren. Der Autor stellt nach einer historischen Einordnung der Entwicklungen der Leh- rer_innenausbildung aus dieser Perspektive die Ergebnisse seines interdiszip- linären Forschungsprojekts zum Thema vor. Abschließend wird der Hand- lungsbedarf in der gegenwärtigen und zukünftigen Lehrer_innenbildung in Ös- terreich herausgearbeitet.

Wolfgang Hallet arbeitet in seinem Beitrag „Generisches Lernen in der Zweitsprache“ den Ertrag des Einbezugs der Genre-Didaktik in die Vermitt- lung des Deutschen als Zweitsprache heraus. Dabei werden besonders die kog- nitiven Schemata der Narration fokussiert. Ausgehend von einem Vorschlag einer Genre-Systematik fasst Hallet abschließend zentrale Aufgaben für die Didaktik des Deutschen als Zweitsprache hinsichtlich des generischen Lernens in der Schule zusammen.

Wie Anke Wegner stellen auch Marco Triulzi, Ina-Maria Maahs, Rode Veiga-Pfeifer, Erol Hacısalihoğlu und Waltraud Steinborn die Deutschlernen- den in den Mittelpunkt ihres Beitrags „Lernendenorientierung in der sprachli- chen Bildung neu zugewanderter junger Erwachsener“ und fordern einen ganz- heitlichen Zugang der sprachlichen Bildung. Die Autor_innen setzen sich zu- nächst mit einem soziologischen Blick mit der medialen Darstellung von jun- gen Migrant/innen auseinander. Anschließend schlagen sie vor, dass die Sprachbiographien der Jugendlichen in einem ganzheitlichen Ansatz der sprachlichen Bildung berücksichtigt werden.

Kapitel 2: Beispiele inter- und transdisziplinärer Forschung

In ihrem Beitrag „Mehrsprachigkeit und Literatur – Autopoetologisches Nach- denken und machtkritische Reflexion“ zeichnet Melanie David-Erb zunächst aus literaturhistorischer Perspektive die Entwicklung von der „Gastarbeiterli- teratur“ zur postkolonialen Weltliteratur nach. Sie bezieht sich auf Begriffe machtkritischer Diskurse aus postkolonialen Ansätzen und analysiert die im Rahmen von Poetik-Vorlesungen vorfindliche Selbstreflexion von Autor_in- nen mit Blick auf ihr sprachliches Repertoire als individuell Mehrsprachige.

Die Zusammenschau von Deutsch als Zweitsprache und Literaturvermittlung im Deutschunterricht führt sie dazu, den Einbezug der Literatur mehrsprachi- ger Autor_innen in den Unterricht kritisch zu reflektieren.

Sandra Steinmetz stellt in ihrem Beitrag „Starke Mädchen, starke Frauen – Einblicke in ein berufsbezogenes Sprachförderprojekt für Schülerinnen“ das genannte Projekt vor. Im Fokus des Beitrags steht sodann die Frage, wie die die Schülerinnen begleitenden und fördernden Lehramtsstudentinnen auf ihre Erfahrungen und ihr Rollenverständnis reflektieren. Angesprochen werden Themenbereiche aus den Sprach-, Sozial- und Bildungswissenschaften.

(16)

15 Elena Stadnik thematisiert in ihrem Beitrag aus linguistischer Perspektive

„Typologische Zugänge zum Fach Deutsch als Zweit- und Fremdsprache:

Noch einmal zur Frage nach den charakteristischen Merkmalen des Deut- schen“ eben solche, die auch Schwierigkeiten beim Erwerb der deutschen Grammatik implizieren und zugunsten einer professionellen Gestaltung der Sprachvermittlung von Lehrpersonen wahrzunehmen und zu reflektieren sind.

Im Anschluss an bildungs- und erziehungswissenschaftliche Diskurse um Heterogenität in der Schule geht es im Beitrag von Stephanie Falkenstern, Sa- rah-Larissa Hecker und Svenja Lemmrich: „Lehrkräfteprofessionalisierung im Kontext von Heterogenität. DaZ-kompetenter Umgang mit Differenzordnun- gen im Unterricht“. Der Beitrag fokussiert auf das DaZKom-Video-Projekt und spezifisch auf die Analyse der Wahrnehmung von und des Umgangs mit migrationsbezogener Heterogenität (angehender) Lehrpersonen. Im Zentrum dieses Beitrags stehen der Umgang mit migrationsbezogener Heterogenität als Teil von DaZ-Kompetenz, die Rolle von Differenzkonstruktionen auf der Un- terrichtsebene und die Analyse von Reaktionen von Proband_innen auf Fragen zu einer Video-Vignette.

Franziska Wallner befasst sich in ihrem Beitrag mit der Frage: „Wie viel Linguistik brauchen Lehrer/innen? Empirische Befunde zum sprachbezogenen Professionswissen von Lehrkräften“. Mit Blick auf ihre Studie zur Sprachsen- sibilität und zum sprachbezogenen Professionswissen von Lehrer_innen, in der Verfahren aus der empirischen Unterrichtsforschung und der Korpuslinguistik angewandt werden, legt sie den Zusammenhang von sprachbezogenem Wissen und Sprachförderkompetenz dar und erläutert dies anhand ausgewählter empi- rischer Befunde zum sprachbezogenen Professionswissen von Lehrpersonen.

Marie-Eve Saraïs diskutiert den Fall einer Dreijährigen, die mit ihrer Mut- ter aus Estland nach Frankreich migriert. Der Beitrag „Between two languages:

the interpreter’s invitation“ zeigt, inwiefern seelische Belastungen, die mit dem Exil einhergehen, dazu führen, dass das Kind zunächst sprachlos bleibt. Der Beitrag verweist aber auch auf Möglichkeiten der erfolgreichen therapeuti- schen Behandlung, bei der gerade Übersetzende eine zentrale Rolle spielen können.

Mit „Anforderungen an Nachhaltigkeit in Forschung und Lehre am Bei- spiel Deutsch als Zweitsprache“ setzen sich Kristin Bührig und Patrick Grom- mes auseinander. Sie legen dar, was nachhaltige Bildung sein kann und wel- chen Beitrag Schule und Hochschule dazu leisten können. Sie beziehen sich auf die Entwicklung von Deutsch als Zweitsprache aus sprachwissenschaftli- cher Sicht sowie auf aktuelle Entwicklungen zur Lehrerbildung an der Univer- sität Hamburg. Die Perspektiven von Lehramtsstudierenden auf Deutsch als Zweitsprache zeigen eine diesbezügliche Verunsicherung, die zur Forderung einer interdisziplinären und nachhaltigen Auseinandersetzung mit Deutsch als Zweitsprache führt.

(17)

16

Kapitel 3: Gastbeiträge

János Imre Heltai, „Romani, Nationalstaat, Schule“, zeigt am Beispiel von Un- garn auf, wie Konstruktionen der als Roma kategorisierten Menschen und ihrer an Romani gebundenen Sprechweisen erfolgen. Entgegen der entsprechenden Vernachlässigung dieser Sprachen in Ungarn schlägt der Autor die Aktivie- rung und Förderung des gesamten sprachlichen Repertoires Heranwachsender vor, die er mit Blick auf ein Projekt in Tiszavasvári veranschaulicht.

Irmgard Honnef-Becker beschäftigt sich in ihrem Beitrag „Von der Inter- kulturalität zur Transkulturalität als neuer Perspektive in der Fachdidaktik Deutsch“ mit dem Literaturunterricht innerhalb des Deutschunterrichts, der die Lebensrealität der Deutschlernenden bzw. Lernenden mit Migrationsge- schichte berücksichtigt. Dabei steht die „Transkulturalität“ als theoretische Leitdimension der Auswahl und Interpretation von literarischen Texten im Vordergrund, mit der der „interkulturelle Literaturunterricht“ zu einer zeitge- mäßen didaktischen Verfassung weiterentwickelt wird.

Anke Wegner und İnci Dirim September 2020

(18)

Kapitel 1:

Inter- und transdisziplinäre Verortungen

(19)
(20)

Interdisziplinäre Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ) – Begründung und Annäherung an eine Standortbestimmung

Johanna Bleiker

Ein Morgen im Klassenzimmer einer 4. Klasse1 in der Schweiz, auf dem Stun- denplan steht das Fach NMG (Natur – Mensch – Gesellschaft): Die Schüler*in- nen versuchen in Gruppen, ohne Anleitung einen Fallschirm zu basteln, der möglichst lange in der Luft bleibt. Dafür stehen den Kindern unterschiedliche Materialien zur Verfügung: Plastikfolie, Papierservietten, Korkzapfen, Schnur, Klebeband, Büroklammern. Die Schüler*innen basteln eifrig, aber scheinbar planlos vor sich hin, bis plötzlich ein Junge einen anderen, der gerade mit einer Schere in der Mitte einer Plastikfolie ein Loch herausschneiden möchte, fragt:

„Und wozu soll das gut sein?“ Dieser Junge antwortet: „Für Luft!“ So sinnvoll seine Idee in physikalischer Hinsicht für die Konstruktion eines Fallschirms ist (vgl. Bölsterli Bardy/Schweizer 2017: 16), so wenig gelingt es ihm aufgrund seiner begrenzten Deutschkompetenzen, diesen Sachverhalt seinen Gruppen- mitgliedern plausibel zu machen. Die Fortsetzung der Episode verläuft wenig überraschend: Er wird von den anderen Kindern daran gehindert, das Loch herauszuschneiden („Du machst den Fallschirm ja kaputt!“). Als der Fall- schirm schliesslich getestet wird, kippt er sofort zur Seite, fällt in sich zusam- men und stürzt zu Boden. Ein Loch in der Mitte des Schirms hätte ihn stabili- siert.

An dieser alltäglichen Episode wird unmittelbar deutlich, warum das Ar- beits- und Forschungsfeld DaZ2 interdisziplinäre Zugänge nicht nur nahelegt,

1 Die empirische Basis des vorliegenden Beitrags bilden Daten aus einem an der Pädagogi- schen Hochschule Zürich (PHZH) angesiedelten Forschungsprojekt zur Schnittstelle zwi- schen medialer Mündlichkeit und medialer Schriftlichkeit im naturwissenschaftlichen Unter- richt unter dem Titel „… und was schreiben wir jetzt auf?“ (uwasa, Projektstart: November 2018, Leitung: J. Bleiker). Datum der hier dargestellten Unterrichtsstunde: 12. Dezember 2018.

2 Ich weise gleich zu Beginn des vorliegenden Beitrags darauf hin, dass ich den Bereich DaZ- Didaktik als integralen Bestandteil der Deutschdidaktik sehe. Dies gilt ganz besonders im Hinblick auf die Praxis des Deutschunterrichts auf der Volksschulstufe: In den meisten Klas- sen sitzen zahlreiche Kinder mit Deutsch als Zweit- oder Drittsprache, Klassen mit aus- schließlich monolingual deutschsprachigen Kindern sind kaum mehr zu finden. Auch wenn historisch betrachtet die Definition einer Didaktik des Deutschen als Zweitsprache als Indiz dafür gewertet werden kann, dass die Zielgruppe „Kinder mit Migrationshintergrund“ er- kannt und ernst genommen wurde, birgt diese Separierung die Gefahr einer Abkapselung des

(21)

20

sondern sie geradezu erfordert, wenn man der Komplexität des Gegenstandes gerecht werden möchte. Im folgenden Beitrag werde ich diese Notwendigkeit aus drei Perspektiven begründen (Absatz 1). Anschließend nähere ich mich anhand eines Rückblicks auf das 22. internationale Symposion Deutschdidak- tik (SDD) einer Standortbestimmung an, indem ich drei Typen von Interdis- ziplinarität unterscheide (Absatz 2). Den Abschluss meines Beitrags bildet ein vorläufiges Fazit (Absatz 3).

1 Das Loch im Fallschirm: Warum Interdisziplinarität im Bereich DaZ eine Notwendigkeit ist

Die Notwendigkeit interdisziplinärer Zugänge zur Thematik DaZ lässt sich aus drei Perspektiven begründen: aus jener der Schüler*innen, und aus jener der Lehrer*innen und aus jener der Forschung. Auch wenn diese Perspektiven eng miteinander verknüpft sind, werden diese im Folgenden kurz einzeln betrach- tet, damit die unterschiedlichen Blickwinkel deutlicher sichtbar gemacht wer- den können.

1.1 Aus der Schüler*innenperspektive

Schüler*innen sprechen nicht nur im Sprachunterricht miteinander. Vielmehr ist ihr Schultag gekennzeichnet von sprachlichen Interaktionen unterschiedli- cher Art: Sie erzählen sich auf dem Schulweg die wichtigsten Neuigkeiten, rufen einer Kindergruppe auf der anderen Straßenseite Schimpfwörter nach, verhandeln die Sitzordnung im Morgenkreis, flüstern einander Tipps beim Übungsdiktat zu, besprechen (wie im Eingangsbeispiel demonstriert) Lösungs- wege für Lernaufgaben in Sachfächern, kommentieren das Verhalten von Mit- schüler*innen. Für Kinder ist Spracherwerb nichts Isoliertes (und schon gar nichts auf das Schulfach Deutsch Beschränktes), sondern Teil ihrer ganzen Entwicklung und Sozialisation: Sie erschließen sich ihre Lebenswelt unter an- derem über sprachliche Interaktionen. Entsprechend sind Modelle und Metho- den aus der Entwicklungs- und Sozialpsychologie ebenso von Relevanz wie lernpsychologische, sprachdidaktische und linguistische Zugänge. Für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache kommt hinzu, dass ihre sprachliche Sozialisation

DaZ-Unterrichts (vgl. Nodari 2009: 23). Gerade im Bereich des Erwerbs von Bildungsspra- che stellen sich für Kinder mit Deutsch als Erstsprache jedoch oft dieselben Probleme wie für DaZ-Kinder (vgl. Absatz 3 und Bleiker 2020).

(22)

21 durch den Eintritt in die Schule oft einen Bruch erfährt: Um sich sprachlich

„richtig“ ausdrücken zu können, sind nicht nur Sprachkompetenzen auf der Ebene des Sprachsystems notwendig, sondern auch solche auf der Ebene des Sprachgebrauchs einer bestimmen Community of Practice (Eckert 2006). So konnte beispielsweise Heller (2012) in ihrer Studie zu Sprach- und Diskurs- praktiken von Kindern deutscher, türkischer und vietnamesischer Familien- sprache zeigen, dass die Erwartungen, die Lehrkräfte an Schulanfänger*innen stellen, längst nicht immer den kommunikativen Erfahrungen entsprechen, die Kinder in ihrer familialen Lebenswelt machen. Auch Bleiker (2013) stellte in ihrer Studie zu kommunikativen Praktiken von Kindern mit unterschiedlichem sprachlich-kulturellem Hintergrund fest, dass sich bei kommunikativen Akti- vitäten, die normalerweise eher im familiären Umfeld als in der Schule statt- finden, im Hinblick auf die Rahmung einer Äußerung als Kritik oder als Rat- schlag Unterschiede zwischen Kindern unterschiedlicher Herkunft beobachten lassen. Möglicherweise erleben sich also Kinder mit Deutsch als Zweitsprache in sprachlichen Interaktionen im Schulunterricht (aber auch auf dem Schulweg und in der Pause) plötzlich nicht mehr als so kompetent, wie das im Familien- umfeld der Fall war. Dies dürfte umso mehr gelten, wenn Lehrkräfte sich un- bewusst von einem „monolingualen Habitus“ (Gogolin 2008) leiten lassen.

Weil für Kinder Spracherwerb untrennbar mit ihrer ganzen Entwicklung und Sozialisation verknüpft ist, muss der Blick auf den kindlichen Spracher- werb traditionelle Grenzen universitärer Disziplinen und schulischer Fächer überwinden und die Domänen miteinander verbinden. Dies gilt ganz besonders für Lehrkräfte, wenn es darum geht, ihre Schüler*innen beim Aufbau von Sprachkompetenzen zu unterstützen. Mit der Lehrer*innenperspektive be- schäftigt sich deshalb der folgende Abschnitt.

1.2 Aus der Lehrer*innenperspektive

Die Lehrerin in der anfangs referierten Episode ist in Bezug auf ihre Unter- richtsfächer typisch für Schweizer Verhältnisse: Lehrkräfte von Kindern im Alter zwischen 4 und 12 Jahren unterrichten in der Schweiz meist (beinahe) das ganze Spektrum von Fächern, das von Deutsch und Mathematik über Na- tur, Mensch, Gesellschaft bis hin zu Musik und Sport reicht. Wenn schon das Berufsfeld und der Arbeitsalltag der Lehrkräfte so viele Disziplinen vereinen, sollten die angehenden Lehrkräfte in ihrer Aus- und Weiterbildung auch darauf vorbereitet werden, diese Chance zu nutzen, d.h. Theorien und Modelle aus unterschiedlichen Studienfächern aufeinander zu beziehen und interdisziplinär zu denken. Das gilt umso mehr, je heterogener eine Schulklasse insbesondere in sprachlicher Hinsicht ist: Der sprachliche Anteil des Mathematikunterrichts etwa wird Lehrkräften oft erst bewusst, wenn sie Kinder mit Deutsch als

(23)

22

Zweitsprache unterrichten. Gleichzeitig verfügen Mathematiklehrer*innen sel- ten über eine spezifische Ausbildung für die sprachliche Förderung von Kin- dern mit Deutsch als Zweitsprache, um solchen Herausforderungen effektiv zu begegnen. Interdisziplinär angelegte Lehrveranstaltungen bereits in der Lehr- amtsausbildung sind deshalb zwingend notwendig. Die gesamte Verknüp- fungsleistung den Lehrkräften in Eigenregie zu überantworten, dürfte in vielen Fällen eine Überforderung darstellen. Die Erfahrung in der Begleitung von Lehramtsstudierenden und in der Weiterbildung amtierender Lehrkräfte zeigt nämlich, dass fachdidaktische Konzepte, die Bestandteil der Lehrer*innenaus- und -weiterbildung sind (z.B. Scaffolding, Lesestrategien, Narrativität), nicht automatisch und selbstverständlich über die Fachgrenzen hinaus miteinander verknüpft und im Unterricht wirksam werden.3

Wie eng etwa Sprachlernen und Sachlernen auch curricular verknüpft sind, zeigt nicht zuletzt ein Blick in die schweizerischen, deutschen und österreichi- schen Lehrpläne und Bildungsstandards (Deutschschweizer Erziehungsdirek- toren-Konferenz (D-EDK) 2016; Kultusministerkonferenz (KMK) 2004; Bun- desinstitut für Innovation und Qualitätsentwicklung (bifie) 2011). Sprachkom- petenzen sind auch in den Sachfächern entscheidend, wenn die beschriebenen Kompetenzen erreicht werden sollen: „Die Schülerinnen und Schüler können Körperteile, deren Lage und Funktion beschreiben“, „Eigenschaften […] zu- ordnen und die Bedeutung erfassen“, „Vorgänge und Funktionen […] im Zu- sammenhang von Organsystemen beschreiben“, „Reaktionen […] erkennen und Folgerungen ableiten“, „Zusammenhänge […] erklären“ (Deutschschwei- zer Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK) 2016: NMG1.4) – all dies sind sprachliche Tätigkeiten. An diesen wenigen Beispielen aus dem Fachbereich Natur – Mensch – Gesellschaft (NMG) wird unmittelbar einsichtig, dass Sach- lernen und Sprachlernen untrennbar zusammenhängen – was nicht nur, aber besonders auch für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache erhebliche Konse- quenzen für deren Erfolgsaussichten im Bildungssystem haben kann (Müller/Ehmke 2013; Gogolin/Lange 2011; Tajmel 2017 u. a.). Für die Schweiz kommt der nationale PISA-Bericht unter dem Titel „Ergebnisse in den Naturwissenschaften nach zu Hause gesprochener Sprache“ zu folgender Aussage: „Die Schülerinnen und Schüler, die zu Hause eine andere Sprache sprechen als die Testsprache, erzielen eine schwächere Durchschnittsleistung als diejenigen, die die Testsprache auch zu Hause sprechen“ (Konsortium PISA.ch 2018: 36).

Im Zuge der neuen Lehrpläne erscheinen auch neue Lehrmittel, die eine Umsetzung der Lehrpläne in konkrete Unterrichtseinheiten anstreben. Exemp- larisch soll hier auf das in vielen Schweizer Kantonen obligatorische oder

3 Auf die Tatsache, dass Lehrkräfte im Berufsalltag in multiprofessionelle Teams eingebunden sind (zusammen mit Fachkräften für DaZ, Logopädie, Heilpädagogik, Psychomotorik usw.), wird hier nicht weiter eingegangen, obwohl sie selbstverständlich eine weitere Dimension von Interdisziplinarität darstellt.

(24)

23 offiziell empfohlene neue Lehrmittel NaTech (Bölsterli Bardy/Schweizer 2017) verwiesen werden: Den Ausgangspunkt der Lerneinheiten bilden Auf- gaben, anhand derer die Schüler*innen Phänomene aus Natur und Technik selbst erkunden und beschreiben sollen. Erst danach kommen erläuternde Texte und Abbildungen sowie weiterführende Fragen zum Einsatz. Anschlie- ßend sollen die Schüler*innen im sogenannten Forscherheft selbstständig wei- terarbeiten. Dieses Forscherheft dient der schriftlichen Dokumentation eigener Forschungsfragen, -experimente und -ergebnisse. Die Arbeit mit einem sol- chen Lehrmittel setzt also entweder sehr hohe Sprachkompetenzen bei den Schüler*innen voraus oder aber das Lehrmittel ist hervorragend dafür geeig- net, Sprachunterricht und naturwissenschaftlichen Unterricht miteinander zu verbinden. Das jedoch muss die Lehrkraft im Fall von NaTech selbst leisten.

Die angebotenen Lehrmaterialien bieten dafür keine Unterstützung.

Aus der Lehrer*innenperspektive müsste angesichts der Kompetenzbe- schreibungen in den Lehrplänen und Bildungsstandards klar sein: Interdiszip- linarität ist im Unterricht kein Wunschprogramm, sondern ergibt sich zwin- gend aus den normativen Rahmenbedingungen, wie sie die aktuellen Lehr- pläne und Bildungsstandards formulieren. Wenn die Lehrkräfte dann zu Lehr- mitteln greifen, die sich auf die Lehrpläne stützen, ist zu hoffen, dass sie fest- stellen: Sachunterricht ist immer auch Sprachunterricht – und ihren Unterricht entsprechend gestalten. Die Tatsache, dass der Kompetenzaufbau im Sach- und im Sprachbereich untrennbar miteinander verknüpft sind, stellt nämlich nicht nur eine didaktische Herausforderung, sondern auch eine Chance dar (vgl.

Bleiker 2020: „Zwei auf einen Streich!“).

1.3 Aus der Forschungsperspektive

Damit Aussagen möglich sind, wie Kinder mit Deutsch als Zweitsprache ge- fördert und ihre Bildungschancen erhöht werden können, braucht es ein empi- risch abgestütztes Wissen darüber, wie Unterricht tatsächlich vonstatten geht und welche didaktischen Herausforderungen sich für Lehrkräfte dabei stellen.

Wenn nun Forschende aus der Sprachwissenschaft/Sprachdidaktik feststellen, dass „Bildungssprache“ – seit mindestens zehn Jahren ein Leitbegriff im bil- dungspolitischen und pädagogischen Diskurs – in allen Fächern gefördert wer- den müsse und dazu z.B. Mathematik-, Biologie- oder Geschichtsunterricht unter die sprachdidaktische Lupe nehmen, sind für fundierte Aussagen auch Grundkenntnisse der entsprechenden Theorien und Modelle aus den jeweiligen Fachdidaktiken notwendig. Um Unterrichtskommunikation wie im Eingangs- beispiel zu untersuchen, müsste eine Deutschdidaktikerin auch über Kennt- nisse im Bereich Luftwiderstand, Strömung etc. verfügen, damit sie rekonstru-

(25)

24

ieren kann, welche Bedeutung die sprachlichen Äußerungen der involvierten Kinder für die zu bewältigende Unterrichtsaufgabe haben (können).

Kotthoff (2009: 136–141) demonstriert an Transkripten von Orthografie- und Grammatiklektionen eindrücklich, was geschieht, wenn ein Phänomenbe- reich aus linguistischer Sicht von der Lehrkraft nicht ausreichend überblickt und deshalb auch nicht adäquat aufgerollt wird. Zwar findet sich in ihren Bei- spielen „die aus didaktischer Perspektive wünschenswerte Überleitung vom Beispiel zur Erklärung und wieder zurück zur Übung“ (ebd.: 141). In der von Kotthoff besprochenen Unterrichtseinheit jedoch nützt das wenig, weil die Er- klärungen und Impulse der Lehrperson zur Anbahnung eines adäquaten Ver- ständnisses des Gegenstandsbereichs nichts beitragen. Unzureichendes Fach- wissen führe in dieser Situation dazu, dass sich der Unterricht vom Erklären von fachlichen Zusammenhängen auf das Erklären des prozeduralen Vorge- hens beim Lösen eines Übungsblattes verlagere. Angesichts von Kotthoffs Be- funden stellt sich unweigerlich die Frage, ob das fehlende Fachwissen seitens der Lehrkraft der Forscherin auch aufgefallen wäre, wenn es sich um eine Ma- thematik-, Chemie-, Physik- oder Biologie-Lektion gehandelt hätte. Als Lin- guistin kann Kotthoff anmerken: „Die linguistische Fachliteratur verdeutlicht zwar, dass man zunächst ein Konzept von syntaktischer Phrase benötigt […], um funktionelle Satzglieder zuordnen zu können. Hier versucht die Lehrerin aber, […]“ (ebd.: 136). Ob eine solche Aussage auch im Fall einer aus fachli- cher Sicht unzureichenden Erklärung in einem anderen Unterrichtsfach gelun- gen wäre, darf zumindest bezweifelt werden. Es ist also unabdingbar, dass auch Forschende über die fachlichen und fachdidaktischen Grundlagen des Fachs verfügen, dessen Unterricht sie untersuchen.

In Personalunion dürfte dies realistischerweise nur begrenzt leistbar sein.

Umso wichtiger wird es für die Zukunft sein, dass Forschungsteams interdis- ziplinär zusammengesetzt sind und auf diese Weise Unterricht, Lehrmittel und Lernarrangements mit unterschiedlichen methodischen Zugängen und kumu- liertem Fachwissen analysieren.

Inwieweit solche interdisziplinären Zugänge in aktuellen Forschungspro- jekten im Bereich DaZ bereits eine Rolle spielen, möchte ich im zweiten Teil meines Beitrags anhand eines Rückblicks auf das 22. internationale Sympo- sion Deutschdidaktik (SDD), das vom 16. bis 19. September 2018 an der Uni- versität Hamburg stattfand, skizzieren. Dies bietet sich insofern an, als das SDD einen verhältnismäßig breiten Einblick erlaubt, welche Fragen in der Deutschdidaktik im (amtlich) deutschsprachigen Raum zu einem gegebenen Zeitpunkt erforscht und diskutiert werden. Zu diesem Zweck werden in erster Linie die Beiträge in der Sektion zum Thema „Herkunftssprachen, Zweitspra- che, Bildungs- und Fachsprachen – Spracherwerb erforschen und Sprachbil- dung gestalten“ (Symposion Deutschdidaktik e.V. 2018) unter der genannten Perspektive betrachtet. Aber auch in anderen Sektionen zeigte sich, dass inter- disziplinäre Zugänge gewählt wurden (oder retrospektiv festgestellt wurde,

(26)

25 dass solche hätten gewählt werden sollen bzw. für weiterführende Untersu- chungen erstrebenswert wären).

2 Das Loch im Fallschirm: Wie interdisziplinär es im Bereich DaZ aktuell betrachtet wird

Die eingangs beschriebene Schulstunde kann aus verschiedenen forschungs- disziplinären Perspektiven betrachtet werden. Einer Erziehungswissenschaft- lerin fällt möglicherweise auf, dass diese Lehrerin in Bezug auf „Inhaltsde- sign“, „Prozessdesign“ (Reusser 2003) und Klassenführung in der betreffen- den Unterrichtsstunde erfolgreich ist: Alle Kinder arbeiten still und eifrig an einer sinnvollen Aufgabe. Ein Sprachdidaktiker wird gerade dieses Nicht- Sprechen in einer Gruppenarbeit befremden; er wird darin eine verpasste Übungsgelegenheit im Bereich bildungssprachlicher Praktiken (wie BEGRÜN- DEN oder ERKLÄREN, vgl. Heller/Morek 2015) sehen. Eine (Schweizer) Phy- sikdidaktikerin wird erkennen, dass zwar an der Kompetenz NMG 5.1d4 des Schweizer Lehrplan 21 gearbeitet wird, der Verständnisaufbau inhaltlich-fach- licher Zusammenhänge jedoch aufgrund der Fokussierung auf das Basteln in den Hintergrund zu rücken droht. Weitere Perspektiven dürften sich eröffnen, wenn Lehrkräfte diese Schulstunde analysierten: Eine DaZ-Lehrkraft würde beispielsweise feststellen, dass der Schüler noch Mühe mit der Artikelverwen- dung zu haben scheint, eine Regelklassen-Lehrkraft etwa, dass sich der Schüler noch nicht seinen Fähigkeiten entsprechend am naturwissenschaftlichen Un- terricht beteiligen kann. Für die Lernfortschritte des fokussierten Schülers mit Deutsch als Zweitsprache sind diese Beobachtungen alle bedeutsam. Deshalb ist er auf interdisziplinäre Zugänge in Forschung und Unterrichtspraxis ange- wiesen.

Wie groß sind die Chancen des oben erwähnten Schülers, dass seine schu- lische Realität tatsächlich interdisziplinär beleuchtet wird? Um dieser Frage nachzugehen und eine Art Standortbestimmung in Bezug auf Interdisziplinari- tät im Bereich DaZ vorzunehmen, ist eine Strukturierung notwendig. Im Fol- genden wird deshalb aus heuristischen Gründen zwischen drei Typen von In- terdisziplinarität unterschieden.5

4 „Die Schülerinnen und Schüler […] können zentrale Elemente von Konstruktionen bei Bau- ten und technischen Geräten und Anlagen entdecken, modellartig nachkonstruieren und dar- stellen (z.B. […] Fallschirm, Heissluftballon)“ (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren- Konferenz (D-EDK) 2016: NMG 5.1d).

5 Auf grundsätzliche Fragen zur Interdisziplinarität und insbesondere auf die Diskussionen rund um die begrifflichen Unterscheidungen zwischen Interdisziplinarität, Transdisziplina-

(27)

26

Interdisziplinarität Typ I: Die Bezeichnung „Deutschdidaktik“ weist schon dem Wort nach auf die interdisziplinäre Ausrichtung der Deutschdidaktik hin.

Germanistik und Didaktik sind jedoch nicht ihre einzigen Bezugsdisziplinen.

Budde/Riegler/Wiprächtiger (2012) vertreten sogar die Position, dass die All- gemeine Didaktik ihren früheren Status als Leitwissenschaft für alle Fachdi- daktiken nahezu vollständig eingebüßt habe. Insbesondere seit der empirischen Wende nach PISA 2000 orientiere sich vor allem die empirische Sprachdidak- tik in ihrer Forschungsmethodik stark an den Methoden pädagogisch-psycho- logischer und soziologischer Forschung (vgl. ebd.: 14).6 Wenn also unter In- terdisziplinarität verstanden wird, dass Deutschdidaktiker*innen in ihren For- schungsprojekten neben sprach- und literaturwissenschaftlichen Methoden auch Methoden und Gütekriterien aus Psychologie, Didaktik, Soziologie, Pä- dagogik oder der empirischen Bildungsforschung anwenden, dann wird man in den meisten Projekten, die am Symposion Deutschdidaktik 2018 vorgestellt wurden, interdisziplinäre Ansätze feststellen.

Interdisziplinarität Typ II: Eine weitere Form von Interdisziplinarität erfreut sich im Rahmen der Modelle „Sprachlichkeit des Fachunterrichts“ (Voll- mer/Thürmann 2010), „Bildungssprache und Durchgängige Sprachbildung“

(Gogolin/Lange 2011), „Sprache im Fach“ (Becker-Mrotzek et al. 2013),

„sprachsensibler Fachunterricht“ (Leisen 2013: 2017), „Förderung der Schul- sprache in allen Fächern“ (Neugebauer/Nodari 2016) usw. zunehmend großer Beliebtheit: Sprachdidaktiker*innen untersuchen nicht Sprachunterricht, son- dern den Umgang mit Sprache in den Sachfächern wie Mathematik, Biologie usw. In diesem Fall resultiert die Interdisziplinarität oft daraus, dass mit dem theoretischen Hintergrund und mit Methoden von Linguistik und Sprach-

rität und Multidisziplinarität gehe ich an dieser Stelle nicht ein, sondern verweise auf den Sammelband von Jungert et al. (2014).

Für die Deutschdidaktik (zu der ich auch die Didaktik für Deutsch als Zweitsprache zähle, vgl. Fußnote 2), stellt sich seit ihrer Entstehung die Frage nach der disziplinären Verortung und/oder ihrem Status als eigenständige Disziplin. Diese wird unterschiedlich beantwortet (vgl. dazu z.B. Wieser 2015), was sich nicht zuletzt darin äußert, dass das Fach Deutschdi- daktik an einigen Universitäten (z.B. Hamburg) an der Fakultät für Erziehungswissenschaft angesiedelt ist, während es anderswo (z.B. an der Universität zu Köln) einen Bestandteil des Instituts für deutsche Sprache und Literatur bildet.

6 Ein Beispiel für diese Form von Interdisziplinarität im Bereich DaZ ist etwa der Sammelband von Redder/Weinert (2013a), der den Begriff der Interdisziplinarität sogar im Titel führt. Der Blick in die Beiträge zeigt, dass oft interdisziplinär angelegte Projekte aus forschungsprakti- schen Gründen entlang traditioneller Disziplinengrenzen in Teilprojekte aufgegliedert wer- den (wie z.B. das Projekt BiSpra, das explizit zwischen einem „psychologisch-erziehungs- wissenschaftlichen Teilprojekt“ (Berendes et al. 2013: 29) und einem „linguistischen Teil- projekt“ (Uesseler/Runge/Redder 2013: 42) unterscheidet). Interdisziplinär angelegt ist der Band von Redder/Weinert (2013a) also in seiner Gesamtheit aufgrund der Tatsache, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen Beiträge verfasst haben und insbesondere das Review-Verfahren disziplinenübergreifend organisiert wurde (Redder/Weinert 2013b: 15).

(28)

27 didaktik Unterrichtskommunikation, Lehr-Lerngespräche, Schulbücher usw.

in Sachfächern analysiert werden (Beispiel: Heller 2015 untersucht Mathema- tikunterricht gesprächsanalytisch).

Interdisziplinarität Typ III: Um eine dritte Form von Interdisziplinarität schließlich handelt es sich, wenn theoretische Konzepte, Methoden und For- schungsfelder aus unterschiedlichen Disziplinen (wobei hier aus der Schü- ler*innen- und Lehrer*innenperspektive an Schulfächer, aus der Forschungs- perspektive an universitäre Disziplinen zu denken wäre) miteinander verbun- den und fruchtbar gemacht werden (Beispiel: Tajmel 2017 für den Bereich Physikdidaktik).

Diese kurz skizzierte mögliche Strukturierung des Feldes der Interdisziplinari- tät wird im Folgenden für den oben angekündigten Rückblick auf das Sympo- sion Deutschdidaktik (SDD) 2018 genutzt. Im Zentrum steht die Sektion zum Thema „Herkunftssprachen, Zweitsprache, Bildungs- und Fachsprachen – Spracherwerb erforschen und Sprachbildung gestalten“. Die Darstellung ver- sucht sich einer Standortbestimmung im Hinblick auf interdisziplinäre For- schungszugänge zu Deutsch als Zweitsprache anzunähern, ohne jedoch An- spruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Im Bereich der frühen Bildung wurden mehrere Projekte vorgestellt, die sich dem oben skizzierten Typ III von Interdisziplinarität zuordnen lassen. So werden im Projekt MePraS (Mehrsprachige Praktiken von Kindern und Fach- personen in Spielgruppen) Videosequenzanalysen immer in interdisziplinär zusammengesetzten Gruppen vorgenommen. Im Team sind folgende Diszipli- nen vertreten: Psychologie, Bildungssoziologie, Erziehungswissenschaften, Deutschdidaktik und Schulpraxis. Ziel dieser Art der qualitativ-rekonstruieren- den Analyse ist, aus unterschiedlichen Perspektiven eine gemeinsame Lesart herauszuarbeiten und so den kommunikativen Alltag mehrsprachiger Kinder in Spielgruppen zu beschreiben, konzeptionell zu fassen und auf dieser Basis Ansatzpunkte für Weiterentwicklungen der Fachpersonen herauszuarbeiten (Kirchhofer/Dursun/Isler 2018: 169).

Auch Naujoks Studie „Erzählbrücken“ (Naujok 2018a) fällt unter den Typ III von Interdisziplinarität: Naujok begleitete während eines halben Jahres aus- gebildete Erzählerinnen, die einmal wöchentlich in „Willkommensklassen“

Geschichten erzählten. Dabei wurden verschiedene unterstützende Elemente kombiniert: ausgeprägte Musterhaftigkeit der Geschichten, stark mimisch, gestisch geprägte sowie rhythmisch strukturierte Erzählweise, Nutzung von Bildern und Requisiten. Naujok analysierte das Zusammenspiel der Aus- drucksmodalitäten und von Kindern genutzte Partizipationsmöglichkeiten, die auch jenseits gesprochener Sprache liegen. Sie interpretiert ihre Befunde als Verweise auf die „Notwendigkeit, die Deutschdidaktik interdisziplinär zu öff- nen“ (Naujok 2018b: 148).

(29)

28

Wenn ältere mehrsprachige Kinder und Jugendliche in den Fokus genom- men wurden, geschah dies oft unter der Perspektive der „Bildungssprache“. In diesem Forschungsfeld wird zwar oft explizit nicht zwischen ein- und mehr- sprachigen Kindern unterschieden, sondern stattdessen auf Unterschiede im Bereich des sozioökonomischen Status und der „Bildungsnähe“ hingewiesen, die hier eine bedeutendere Rolle spielten. Insgesamt lässt sich feststellen, dass interdisziplinäre Forschungsprojekte zu bildungssprachlichen Kompetenzen sehr oft dem Interdisziplinaritätstyp II entsprechen: Mit dem theoretischen Hintergrund und mit Methoden von Linguistik und Sprachdidaktik werden Un- terrichtskommunikation, Lehrmittel usw. in Sachfächern untersucht, jedoch wird nur am Rande danach gefragt, wie der Kompetenzaufbau aus fachdidak- tischer Sicht in Fächern wie Biologie, Physik, Mathematik oder Geschichte modelliert wird (z.B. Borgmeier et al. 2018; Hee 2018; Fornol 2018).

Anders präsentiert sich die Situation im Beitrag von Ohlhus (2018). Die dargestellte Fallanalyse ist Teil eines interdisziplinären Projekts im Sinne von Typ III: Seine Untersuchungen sind in enger Zusammenarbeit von Vertretern der Sprach- und der Mathematikdidaktik entstanden (Kern/Ohlhus/Rottmann 2017). Ohlhus fokussierte den Zusammenhang zwischen sprachlichem und fachlichem Lernen in einer videografierten mathematischen Einzelförderungs- situation und zeigte auf, wie Diskurserwerb und fachliches Lernen ineinander verschränkt sind. Er stellte fest, dass die Multimodalität (Rechenrahmen, Fin- ger als Hilfsmittel) im Laufe des Lernprozesses abnimmt, während sich die Sprachlichkeit im Gegenzug erhöht. Konkret zeigte sich im Fallbeispiel, wie der Schüler nicht nur das Zerlegen von Zahlen lernt, sondern insbesondere auch, wie dieses Zerlegen mit Worten begleitet werden muss, damit die Lehr- kraft Kompetenzerwerb im mathematischen Bereich feststellen kann. Die Ar- beit mit dem Rechenrahmen scheint nicht nur dem Erwerb mathematischer Fertigkeiten zu dienen, sondern auch dem Erwerb adäquater Formen des sprachlichen Umgangs mit diesem Hilfsmittel.

Auch das Projekt SchriFT (Schreiben im Fachunterricht der Sekundarstufe I unter Einbeziehung des Herkunftssprachenunterrichts Türkisch) darf dem Typ III zugeordnet werden. Das Projekt untersuchte in einer umfangreichen quantitativen Studie Zusammenhänge zwischen Fachwissen, fachlicher und fachübergreifender Schreibkompetenz im Deutschen in den Fächern Physik, Technik, Geschichte sowie Politik und zusätzlich Schreibkompetenzen im Deutschen und Türkischen bei deutsch- und türkischsprachigen Schüler*innen (Gürsoy/Kaulvers 2018). Als Ergebnis der Studie wurde formuliert, dass die Schreibkompetenz im Deutschunterricht nur einen geringen Einfluss auf die Schreibkompetenz im Fachunterricht habe, dass also Schreibkompetenz im Fachzusammenhang durch eine Koordination von Deutsch-, Herkunftsspra- chen- und Fachunterricht im Sinne einer mehrsprachigen Sprachbildung ange- strebt werden müsse. Der Transfer von Schreibkompetenzen im Fach Deutsch auf das Schreiben im Fachunterricht scheint nicht von selbst stattzufinden, was

(30)

29 für die Notwendigkeit von Interdisziplinarität in der Schulpraxis spricht (vgl.

Absatz 1.1 „1.1 Aus der Schüler*innenperspektive“ und Absatz 1.2 „1.2 Aus der Lehrer*innenperspektive“).

Die Untersuchungsanlagen der drei letzten Symposionsbeiträge, die hier erwähnt werden, entsprechen dem – wie oben erwähnt – am weitesten verbrei- teten Interdisziplinaritätstyp I. Sie widmeten sich der Einstellung von Lehr- kräften zu Mehrsprachigkeit: Kaplan (2018) untersuchte die Einstellung von Lehramtsstudierenden zu sprachlicher und kultureller Vielfalt im Klassenzim- mer und deren Umgang damit nach dem Besuch des in NRW obligatorischen DSSZ-Moduls (Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsge- schichte). Ihre Befunde können wie folgt zusammengefasst werden: Die ange- henden Lehrkräfte sind zwar für das Problem sensibilisiert, aber äußern Unsi- cherheiten in Bezug auf die praktische Umsetzung. Daraus schließt Kaplan, dass zusätzliche Vorbereitung durch mehr Inhalte im Studium notwendig sei.

Bien-Miller und Andronie wählten als Ausgangspunkt für ihre Studie zu Einstellungen von Grundschullehrkräften gegenüber Mehrsprachigkeit die Einschätzung, dass Einstellungen von Lehrkräften einen zentralen Einflussfak- tor nicht nur für die Unterrichtsgestaltung, sondern auch für den Bildungser- folg dieser Zielgruppe darstellten (Bien-Miller/Andronie 2018). Sie nutzten für ihre Fragebogenerhebung das in der Sozialpsychologie verortete Drei-Kompo- nenten-Modell (kognitiv – affektiv – konativ, vgl. Werth/Mayer 2008).

Eine Interventionsstudie zur Professionalisierung von Lehrkräften im Um- gang mit Mehrsprachigkeit im Grundschulunterricht stellten Fürstenau, Böttjer und Celik vor (Fürstenau/Böttjer/Celik 2018): Sie beleuchteten den Einfluss einer Qualifizierungsmaßnahme zum Konzept der „Language Awareness“ auf Überzeugungen von Grundschullehrkräften und deren Handlungspraxen.

3 Fazit und Ausblick

Geht man davon aus, dass das Symposion Deutschdidaktik (als internationale Konferenz mit rund 500 Teilnehmer*innen und 160 Vorträgen in 12 Sektio- nen) einen verhältnismäßig aussagekräftigen Einblick erlaubt, was in der Fach- didaktik Deutsch und Deutsch als Zweitsprache im (amtlich) deutschsprachi- gen Raum zu einem gegebenen Zeitpunkt erforscht und diskutiert wird, dann zeigt sich in Bezug auf interdisziplinäre Ansätze allgemein und in Bezug auf interdisziplinäre Ansätze im Bereich DaZ folgendes Bild:

Interdisziplinarität des Typs I ist weit verbreitet. Das erstaunt wenig angesichts der Tatsache, dass die Deutschdidaktik seit jeher Berüh- rungsflächen mit der Sprach- und Literaturwissenschaft, der Ent-

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Im letzten Kapitel 6 (157–195) wird die Behandlung der sieben Referenzkollokati- onen in vier großen Lernerwörterbüchern DaF und im Wörterbuch der Kollokationen (2010) analysiert,