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Entscheid vom 14. Mai betreffend

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b. 485

Entscheid vom 14. Mai 2004

betreffend

Schweizer Fernsehen DRS: Sendung "Rundschau" vom 17. Dezember 2003;

Beitrag "Rentenmissbrauch"; Eingabe von A und mitunterzeichnenden Personen vom 15. März 2004

Es wirken mit:

Präsident: Denis Barrelet

Mitglieder: Regula Bähler (Vizepräsidentin), Paolo Caratti, Carine Egger Scholl, Veronika Heller, Heiner Käppeli, Denis Masmejan, Alice Reichmuth Pfammatter

Juristisches

Sekretariat: Pierre Rieder, Catherine Josephides Dunand _________________

Den Akten wird entnommen:

A. Am 17. Dezember 2003 strahlte Schweizer Fernsehen DRS (im Folgenden SF DRS oder SF 1) im Rahmen des Informationsmagazins "Rundschau"

den Beitrag "Rentenmissbrauch" (Dauer: 11 Minuten 34 Sekunden) aus, der den Missbrauch bei Renten aus der schweizerischen Invalidenversicherung (im Folgenden: IV-Renten) durch ausländische Staatsangehörige themati- siert. Anschliessend folgte ein Live-Interview mit Nationalrat Rudolf Rechsteiner auf dem Rundschau-Stuhl (Dauer: 10 Minuten 29 Sekunden).

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B. Mit Eingabe vom 15. März 2004 erhob A (im Folgenden: Beschwerdeführe- rin) Beschwerde bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (im Folgenden: UBI, Beschwerdeinstanz) gegen den erwähnten Beitrag. Sie beantragt, es sei festzustellen, dass der Beitrag verschiedene Programmrechtsbestimmungen verletzt habe. Der Eingabe lagen der Om- budsbericht sowie die Unterschriften von 21 Personen bei, welche die Be- schwerde unterstützen.

C. In Anwendung von Art. 64 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (im Folgenden: RTVG, SR 784.40) wurde die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR idée suisse (im Folgenden: SRG;

Beschwerdegegnerin) zur Stellungnahme eingeladen. In ihrer Antwort vom 3. Mai 2004 beantragt sie, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einge- treten werden könne.

D. Die Stellungnahme der SRG wurde der Beschwerdeführerin am 4. Mai 2004 zugestellt. Gleichzeitig wurde den Parteien mitgeteilt, dass kein weiterer Schriftenwechsel mehr stattfindet.

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Die Unabhängige Beschwerdeinstanz

zieht in Erwägung:

1. Die Eingabe wurde fristgerecht eingereicht und ist hinreichend begründet (Art. 62 Abs. 1 und 2 RTVG).

2. Art. 63 RTVG umschreibt die Beschwerdebefugnis. Zur Beschwerde ist u.a. legitimiert, wer im Beanstandungsverfahren vor der Ombudsstelle be- teiligt war, mindestens 18 Jahre alt ist, über das Schweizerbürgerrecht oder als Ausländer über eine Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung ver- fügt und eine Beschwerde einreicht, die von mindestens 20 weiteren Per- sonen unterzeichnet ist, die ebenfalls zur Beschwerdeführung legitimiert wären, wenn sie selber an die Ombudsstelle gelangt wären (Abs. 1 lit. a;

sogenannte Popularbeschwerde). Da die Beschwerde diese Voraussetzun- gen erfüllt, kann darauf eingetreten werden. Hingegen ist der Schweizeri- sche Gewerkschaftsbund bzw. seine Migrationskommission nicht zur Be- troffenenbeschwerde im Sinne von Art. 63 Abs. 1 lit. b RTVG befugt, wie dies die Beschwerdeführerin zusätzlich geltend macht. Juristischen Perso- nen und anderen Vereinigungen ist im geltenden Beschwerdeverfahren dieses Recht generell verwehrt (BGE 123 II 69).

3. Die Beanstandung definiert das Anfechtungsobjekt und begrenzt insofern die Prüfungsbefugnis der UBI. Diese ist bei der Prüfung des anwendbaren Rechts frei und nicht an die Vorbringen der Parteien gebunden (vgl. dazu Martin Dumermuth, Rundfunkrecht, in: Schweizerisches Bundesverwal- tungsrecht, Basel/Frankfurt a.M. 1996, Rz. 453). Die Beschwerdeführerin rügt, der Beitrag sei aufgrund von Fehlinformationen, Weglassungen, Ver- drehungen, Unterstellungen und Unvoreingenommenheit nicht objektiv gewesen und verletze daher das Sachgerechtigkeitsgebot von Art. 4 Abs. 1 RTVG sowie den Programmauftrag von Art. 3 der Konzession der SRG vom 18. November 1992. Letztere Bestimmung geht inhaltlich nicht wei- ter als die RTVG-Norm, weshalb sich eine separate Prüfung erübrigt.

4. Das Thema des beanstandeten Beitrags fasst der Moderator in seinen ein- führenden Bemerkungen zusammen: "Immer mehr Menschen beziehen in der Schweiz eine IV-Rente. Die Rundschau hat vor einiger Zeit darüber berichtet. Das grosse Echo hat einige Ärzte dazu bewogen, vor der Kame- ra über ein heisses Eisen zu sprechen. Der Missbrauch der IV-Rente sei tatsächlich grösser als vermutet – und der Anteil der Ausländer überdurch- schnittlich". Der anschliessende Filmbericht versuchte dies mit verschie- denen Beispielen zu belegen. Das erste ist der 21-jährige Türke G, der eine IV-Rente bekommen möchte. Er leide unter psychischen Problemen, aus-

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gelöst durch Liebeskummer. Bei einer Schiesserei habe er zudem einen Streifschuss erlitten. Der behandelnde Psychotherapeut erklärt seine Be- denken gegen die allfällige Entrichtung einer IV-Rente. Der Off- Kommentar bemerkt danach, dass Ärzte beinahe täglich mit solchen Fäl- len konfrontiert seien. Zwei Ärzte und der Präsident der Vereinigung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH geben Statements dazu ab. Danach erhält die Vizedirektorin des Bundesamts für Sozialversicherung, Beatrice Breitenmoser, im Beitrag als IV-Chefin bezeichnet, Gelegenheit, sich zum Ausmass des Missbrauchs der IV-Rente zu äussern. Als nächstes Fallbei- spiel dient der Marokkaner B, der keine IV bezieht, aber von der Sozialhil- fe unterstützt wird. Vor einer Siedlung erklärt er, dass hier 27 Personen aus dem Balkan wohnen würden, welche eine IV-Rente bezögen. B wird zudem über seinen Schwager M befragt. Der Beitrag bringt anschliessend ein allgemeines Statement des Oberarzts der Medizinischen Abklärungs- stelle MEDAS in Basel über die häufige Diskrepanz von beklagten Sym- ptomen und den medizinischen Befunden bei Gesuchstellern. MEDAS hat auch den Marokkaner M untersucht und ihm Arbeitsfähigkeit attes- tiert. Der entsprechende Textabschnitt des MEDAS-Berichts wird einge- blendet. Es werden kurz die finanziellen Verhältnisse von M, der eine IV- Rente von monatlich 4800 Franken erhält, geschildert. Eine ihm angebo- tene Stelle habe er abgelehnt. Der Journalist konfrontiert ihn mit seiner ablehnenden Haltung. M will anonym bleiben. Er kommt daher nur mit verdunkeltem Kopfprofil ins Bild. M argumentiert, weshalb er nicht in ei- ner Werkstatt mit Behinderten arbeiten möchte. Es folgen zusätzliche Sta- tements der beiden Ärzte und des FMH-Präsidenten, die darüber berich- ten, dass IV-Gesuchssteller Ärzten mitunter Gewalt androhen, um einen für sie günstigen Krankheitsbericht zu erhalten. Im Gespräch auf dem

"Rundschau"-Stuhl, das nach dem Filmbericht folgt, befragt der Modera- tor den sozialdemokratischen Nationalrat Rudolf Rechsteiner zu Miss- bräuchen der IV-Rente. In diesem Gespräch sagt der Moderator unter an- derem, der Film habe gezeigt, wie das IV-System systematisch ausgenützt werde und wie man sich sogar einen Sport daraus mache, eine Rente zu ergattern. In 20% der Fälle würde Missbrauch getrieben. Weiter hebt der Moderator die große Zunahme von IV-Renten im psychischen Bereich hervor.

5. Art. 93 Abs. 3 der Bundesverfassung (BV; SR 101) und Art. 5 Abs. 1 RTVG gewährleisten die Programmautonomie des Veranstalters. Im Rah- men des Leistungsauftrags muss es jedem Veranstalter erlaubt sein, sich kritisch mit den verschiedensten Bereichen des staatlichen, gesellschaftli- chen, kulturellen und religiösen Lebens auseinanderzusetzen. Insbesonde- re muss Kritik und Opposition auch gegen dominierende politische Mei- nungen, herrschende Strukturen, Mehrheitsauffassungen sowie etablierte Ansichten und Institutionen möglich sein. Es ist kein Thema denkbar, das einer Behandlung oder einer kritischen Erörterung in den elektronischen

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Medien entzogen ist. Dies beinhaltet auch die Ausstrahlung eines kriti- schen Beitrags über ausländische Staatsangehörige im Zusammenhang mit dem Missbrauch der IV-Rente. Missbräuche oder andere Verfehlungen von in der Schweiz lebenden Ausländern dürfen Rundfunkveranstalter thematisieren, selbst wenn ein solcher Beitrag fremdenfeindlichen Grup- pierungen unbeabsichtigt Argumente liefern könnte und damit wohl der

"Political Correctness" widerspricht. Einzuhalten gilt es indessen die In- formationsgrundsätze von Art. 4 RTVG und insbesondere das Sachge- rechtigkeitsgebot von Art. 4 Abs. 1, 1. Satz RTVG.

5.1 Die UBI prüft im Zusammenhang mit dem Sachgerechtigkeitsgebot, ob dem Publikum aufgrund der in der Sendung oder im Beitrag vermittelten Fakten und Meinungen ein möglichst zuverlässiges Bild über einen Sach- verhalt oder ein Thema vermittelt worden ist, so dass es sich darüber frei eine eigene Meinung bilden kann (VPB 62/1998, Nr. 50, S. 459; 60/1996, Nr. 24, S. 183). Fehler in Nebenpunkten, welche nicht geeignet sind, den Gesamteindruck der Ausstrahlung wesentlich zu beeinflussen, sind pro- grammrechtlich nicht relevant. In einem zweiten Schritt gilt es allenfalls noch zu prüfen, ob der Veranstalter zentrale journalistische Sorgfalts- pflichten (vgl. Dumermuth, a.a.O., Rz. 73-84) wie die Prinzipien der Wahrhaftigkeit, der Transparenz (Art. 4 Abs. 2 RTVG), der Sachkenntnis und des Überprüfens übernommener Fakten im Rahmen des Möglichen respektiert hat.

5.2 Bei Sendungen, die schwerwiegende Vorwürfe erheben und so ein erhebli- ches materielles und immaterielles Schadensrisiko für Direktbetroffene oder Dritte beinhalten, gelten qualifizierte Anforderungen bezüglich der Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflichten. In diesem Falle ist eine sorgfältige Recherche angezeigt, die sich auf Details der Anschuldigungen erstreckt (VPB 62/1998, Nr. 27, S. 201; 60/1996, Nr. 83, S. 745).

5.3 Gemäss der Praxis der UBI ist zur Beurteilung einer Sendung oder eines Beitrags im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Sachgerechtigkeitsge- bot neben der Würdigung jeder einzelnen Information auch der Gesamt- eindruck entscheidend (VPB 62/1998, Nr. 27, S. 200; 58/1994, Nr. 46, S.

373; BGE 114 Ib 334, 343). Bei der Würdigung einer Sendung im Hinblick auf die programmrechtlichen Anforderungen steht der Schutz des Publi- kums im Vordergrund; entsprechend ist eine wirkungsorientierte Betrach- tungsweise angezeigt (VPB 62/1998, Nr. 27, S. 200; BGE 119 Ib 166, 169). Dabei gilt es auch den Charakter und die Eigenheiten des in Frage stehenden Sendegefässes zu beachten.

5.4 Die Rügen der Beschwerdeführerin beziehen sich ausschliesslich auf den Filmbericht. Im Rahmen der programmrechtlichen Prüfung gilt es aber, wie die Beschwerdegegnerin zutreffend anführt, auch das dem Filmbericht

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folgende Interview mit Nationalrat Rechsteiner einzubeziehen. Dieses nimmt einige Male direkt Bezug auf den Filmbericht und dreht sich auch schwergewichtig um das Thema Rentenmissbrauch durch ausländische Staatsangehörige. Es handelt sich damit um einen zweiteiligen Beitrag im Rahmen des politischen Informationsmagazins "Rundschau", auf welchen das Sachgerechtigkeitsgebot anwendbar ist.

5.5 Im Folgenden prüft die UBI die von der Beschwerdeführerin behaupteten Mängel der beanstandeten Sendung im Lichte des Sachgerechtigkeitsge- bots.

5.5.1 Der Fall von G stellt im Filmbericht das erste Beispiel dar, welches einen Rentenmissbrauch belegen sollte. Es wird denn auch vom Moderator im nachfolgenden Interview wiederholt aufgenommen, um darzulegen, dass immer mehr Personen aufgrund von psychischen Leiden eine IV-Rente bezögen. Die von G angeführten Depressionen aufgrund von Liebes- kummer werden im Beitrag mit einem ironischen Unterton beschrieben.

Der behandelnde Psychotherapeut als unabhängiger Experte verdeutlicht, dass ein solches Leiden keinen Anspruch auf eine IV-Rente begründe. Auf den Streifschuss, welcher gemäss G bleibende Schäden bei ihm verursacht habe, geht der Beitrag nur indirekt ein. Indem die "Rundschau" G beim Krafttraining zeigt und gleichzeitig süffisant bemerkt, dass er zum Arbei- ten zu schwach sei, wird sein angebliches Leiden ad absurdum geführt. G dürfte wohl auch tatsächlich keinen Anspruch auf eine IV-Rente haben.

Da er aber gar keine IV-Rente bezieht, sondern ein (chancenloses) Ren- tenbegehren stellen will, kann er auch nicht als Beispiel für den Miss- brauch durch eine IV-Rente durch einen ausländischen Staatsangehörigen herhalten, wie dies sowohl im Filmbericht wie auch im nachfolgenden In- terview getan wird. Auch die angeblich vergleichbare Einstellung zur IV- Rente, wie die Beschwerdegegnerin anführt, rechtfertigt sachlich keine Gleichstellung von unbegründeten Rentenbegehren und eigentlichem Missbrauch der IV-Rente, wenn der "Rentenmissbrauch" erklärtes Thema des Beitrags ist.

5.5.2 B bezieht ebenfalls keine IV-Rente. Er kennt aber angeblich 27 Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien, welche in der gleichen Siedlung wohnen und eine IV-Rente erhalten. Unausgesprochen bleibt, dass bei so vielen Rentenbezügern zumindest ein gewisser Teil die Renten missbräuchlich bezieht. Eine für das Publikum transparente Verifizierung der Angaben von B erfolgt jedoch nicht. Auch der Fall seines Schwagers, welcher auf- grund einer Herzoperation und Diabetes eine IV-Rente erhält, beruht vor allem auf den Ausführungen von B. Auf die Frage des "Rundschau"- Journalisten, ob sein Schwager die IV missbrauche, antwortet B lachend mit "nein, sicher nicht". Das Nonverbale dürfte dem Publikum wohl eher das Gegenteil vermitteln. Der "Rundschau"-Journalist unterstützt diesen

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Eindruck noch, indem er anführt, dass sich der Schwager von B gut von seiner Herzoperation erholt habe und "jetzt einfach noch Diabetes habe".

5.5.3 Der Marokkaner M, welche eine IV-Rente bezieht, lehnt eine ihm angebo- tene Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte ab. Ein Gutachten der zu- ständigen medizinischen Abklärungsstelle attestiert ihm Arbeitsfähigkeit.

Aus dem Beitrag geht nicht hervor, ob M weiterhin die volle IV-Rente be- kommen wird, obwohl er die ihm angebotene Stelle auch anonym vor der Kamera ausschlägt. Der Off-Kommentar beschränkt sich darauf, die Hö- he der IV-Rente und die anderen Leistungen (keine Arztrechnungen, Krankenkassenprämien, Steuern), welche M erhält, aufzulisten. Die Be- schwerdeführerin bestreitet im Übrigen, dass M keine Steuern zu entrich- ten habe.

5.5.4 Nach dem Bericht über G erwähnt der Off-Kommentar, dass Ärzte "bei- nahe täglich mit solchen Fällen" konfrontiert seien. Die beiden Ärzte, wel- che dies bestätigen sollen, geben in ihren Statements aber fast nur Erfah- rungsberichte aus zweiter Hand wider. Einer der Ärzte erzählt davon, dass ihm eine kroatische Frau gesagt habe, ihre Landsleute würden sich einen Sport daraus machen, zu versuchen, in der Schweiz eine IV-Rente zu er- halten. Der Präsident des Ärzteverbands schätzt die zu Unrecht von Aus- ländern gestellten Rentenbegehren auf 20% aller Gesuche, was der "Rund- schau"-Journalist prompt als missbräuchlichen Rentenbezug auslegt. Der Umstand, dass Ärzte von ausländischen Staatsangehörigen mit Gewalt be- droht werden, um eine für sie günstige medizinische Diagnose zu erhalten, beruht ebenfalls auf subjektiven Erfahrungsberichten, die überdies teilwei- se aus zweiter Hand stammen. Aktenkundige Fälle, welche entsprechende Sachverhalte dokumentieren würden, fehlen im Filmbericht.

5.5.5 Im Zusammenhang mit den Äusserungen von Beatrice Breitenmoser, we- nig präzise als IV-Chefin bezeichnet, erscheint der Off-Kommentar ten- denziös. Es wird nämlich gesagt, dass offizielle Zahlen über den IV- Missbrauch fehlen würden. Hingegen bestätige Breitenmoser, dass 35% al- ler IV-Bezüger ausländische Staatsgehörige seien. Beatrice Breitenmoser betont in ihrem Statement aber gerade, dass ausländische Staatsangehörige im Verhältnis zur Schweizer Bevölkerung viel eher erwerbstätig seien und überdies körperlich risikoreichere Arbeiten ausführen würden. Implizit legt sie damit dar, dass der im Off-Kommentar gemachte Vergleich ohne wei- tergehende Analyse nicht dazu taugt, um einen erhöhten Missbrauch der IV-Rente durch ausländische Staatsangehörige zu belegen.

5.5.6 Der Filmbericht erweckt den Anschein, dass jemand mit einem einiger- massen entsprechenden ärztlichen Attest ohne grosse Probleme eine IV- Rente erhalten kann. Nötigenfalls wird der Arzt mit Drohungen zu einem willfährigen Bericht gezwungen. Im nachfolgenden Interview auf dem

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"Rundschau"-Stuhl weist zwar der Moderator kurz auf bevorstehende Än- derungen der rechtlichen Rahmenbedingungen hin. Ein wenigstens rudi- mentärer Überblick über das geltende Verfahren und die zurzeit bestehen- den Zuständigkeiten bei der Zusprechung von IV-Renten fehlen dagegen im Beitrag. Kantonale IV-Stellen beurteilen nach geltendem Recht, ob ein Anspruch auf eine Rente besteht. Es handelt sich dabei um eine versiche- rungsrechtliche Fragestellung, die nur teilweise auf ärztlich-medizinischen Kriterien beruht. Diese grundlegenden Fakten dürften einem überwiegen- den Teil des Publikums nicht bekannt gewesen sein. Ein entsprechendes Vorwissen kann nicht vorausgesetzt werden.

5.5.7 Der Filmbeitrag vermittelt dem Publikum den Eindruck, die Dimension des missbräuchlichen Rentenbezugs durch ausländische Staatsangehörige sei grösser als angenommen und werde systematisch betrieben. Nationalrat Rechsteiner legt zwar dar, dass die hohen Kosten bei der IV und damit auch der Rentenmissbrauch in einem umfassenderen Sinne zu betrachten seien. Er weist auf den Arbeitsmarkt und die Rolle von Fürsorgeämtern hin. Viele nicht mehr vermittelbare Arbeitnehmer würden, insbesondere auch durch Arbeitgeber, der IV zugeführt, um damit Kosten sparen zu können. Da bei der Fürsorge teilweise ebenfalls eine solche Mentalität be- stehe, müsse die IV als letztes Glied in der Kette die Zeche bezahlen. Hin- sichtlich des eigentlichen Themas des Beitrags gesteht er ein, dass gewisse ausländische Staatsangehörige (Balkan, Nordafrika) die IV-Rente miss- brauchen würden, relativiert aber das Ausmass. Der Moderator seinerseits verweist immer wieder auf den Filmbeitrag und die darin gezeigten Bei- spiele und führt sie als Beleg für die offenbar unterschätzte Dimension des IV-Rentenmissbrauchs an. Permanent setzt er dabei zu Unrecht gestellte Rentenbegehren und missbräuchlichen Rentenbezug gleich. Es gilt auch zu berücksichtigen, dass das Studiointerview zwar unmittelbar auf den Filmbeitrag folgt und sich grundsätzlich mit dem gleichen Thema beschäf- tigt, aber ganz eine andere Wirkung auf das Publikum hat. Der Filmbeitrag dürfte mit dem selbstzufriedenen G, dem lächelnden B, M, welcher sich weigert, in einer Behindertenwerkstatt zu arbeiten und den bedrohten Ärz- ten beim Publikum einige Emotionen und einen nachhaltigen Eindruck ausgelöst haben. Beim Interview auf dem Rundschau-Stuhl herrscht dage- gen trotz des vorangegangenen Filmberichts und des sensiblen umstritte- nen Themas der Ausländerpolitik eine äussert sachliche Gesprächsatmo- sphäre vor. Während sich der Filmbeitrag vor allem auf einige wenige konkrete Fälle fokussiert, welche den Rentenmissbrauch durch ausländi- sche Staatsangehörige exemplarisch verdeutlichen sollen, dreht sich die nachfolgende Interview schwergewichtig um die Probleme der IV als Ganzes. Darin wird auch nur sehr punktuell Bezug auf die im Filmbeitrag gezeigten Fälle eingegangen.

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5.6 Insgesamt gilt es festzuhalten, dass der beanstandete Beitrag die Dimen- sion des Missbrauchs der IV-Rente durch ausländische Staatsangehörige aufzeigen wollte. Unter Rentenmissbrauch ist der missbräuchliche Bezug einer Rente zu verstehen, was auch aus der Anmoderation hervorgeht. Im nachfolgenden Filmbeitrag werden jedoch zu Unrecht gestellte Rentenbe- gehren und der missbräuchliche Bezug einer Rente weitgehend gleichge- stellt (Fall G, Statistiken). Da überdies der Eindruck erweckt wird, es sei mit einem entsprechenden Gutachten eines Mediziners ohne weiteres möglich, zu einer IV-Rente zu kommen, wird diese Gleichstellung noch unterstützt. Die "Rundschau" hat es unterlassen, das Verfahren und die Zuständigkeiten bei der Zusprechung der IV-Renten wenigstens summa- risch darzustellen. Dagegen wird im beanstandeten Beitrag mit zahlreichen subjektiven Erfahrungsberichten, teilweise aus zweiter Hand, dem Publi- kum suggeriert, dass der IV-Rentenmissbrauch von ausländischen Staats- angehörigen grösser sei als vermutet. Die dargestellten Beispiele erschei- nen tendenziös, weil sie den relevanten Sachverhalt mehrmals nur so weit wiedergeben als er dazu dient, den Missbrauchstatbestand zu unterstützen.

So wird den Aussagen von B über die angeblich 27 IV-Rentenbezüger in der gleichen Siedlung und über seinen Schwager nicht weiter nachgegan- gen. Dasselbe gilt für den Fall von M, bei dem nicht abgeklärt wird, ob der nicht arbeitswillige Marokkaner weiterhin Anspruch auf die (ganze) IV- Rente hat. Das nachfolgende Interview mit Rudolf Rechsteiner relativiert zwar die Bedeutung des IV-Rentenmissbrauchs durch ausländische Staats- angehörige im Zusammenhang mit den Gesamtkosten für diese Versiche- rung. Bezüglich der Dimension des IV-Rentenmissbrauchs durch auslän- dische Staatsangehörige bringt das Gespräch mit Nationalrat Rechsteiner aber wenig zusätzliche Aspekte zu Tage. Der Moderator erachtet offen- sichtlich den Filmbeitrag als klaren Beleg dafür, dass das Ausmass des Missbrauchs grösser ist als bisher vermutet. Die dargestellten Mängel ver- unmöglichen es dem Publikum, sich aufgrund des beanstandeten Beitrags eine eigene Meinung zur Dimension des Rentenmissbrauchs durch auslän- dische Staatsangehörige zu bilden.

5.7 Indem die "Rundschau" in unzureichender Weise zwischen (nicht begrün- deten) Rentenbegehren und (nicht gerechtfertigten) Rentenbezügen unter- scheidet, dem Publikum wesentliche Fakten nicht vermittelt (Verfahren und Zuständigkeiten bei der Zusprechung einer IV-Rente) und subjektive Erfahrungsberichte nicht ausreichend hinterfragt, verletzt sie journalisti- sche Sorgfaltspflichten. Dies betrifft insbesondere das Transparenzgebot (Art. 4 Abs. 2 RTVG), aber auch etwa die Sachkenntnis und damit ver- bunden die zumutbare Recherche.

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6. Da sich das Publikum aufgrund des beanstandeten Beitrags keine zutref- fende Meinung zum behandelten Thema bilden konnte und der Veranstal- ter dabei journalistische Sorgfaltspflichten verletzt hat, wurde das Sachge- rechtigkeitsgebot (Art. 4 Abs. 1, 1. Satz RTVG) verletzt. Die Beschwerde erweist sich als begründet und ist daher gutzuheissen.

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Aus diesen Gründen wird

beschlossen:

1. Die Beschwerde von A und mitunterzeichnenden Personen vom 15. März 2004 wird mit 6:2 Stimmen gutgeheissen und es wird festgestellt, dass der am 17. Dezember 2003 in der Sendung "Rundschau" von Schweizer Fern- sehen DRS ausgestrahlte Beitrag "Rentenmissbrauch" die Programmbe- stimmungen verletzt hat.

2. Die SRG wird aufgefordert, der Beschwerdeinstanz innert 60 Tagen seit Eröffnung dieses Entscheids Bericht über die im Sinne von Art. 67 Abs. 2 RTVG getroffenen Vorkehren zu erstatten.

3. Verfahrenskosten werden keine erhoben.

4. Zu eröffnen:

- (…)

Im Namen der

Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen

Rechtsmittelbelehrung

Entscheide der Beschwerdeinstanz können gemäss Art. 65 Abs. 2 RTVG sowie Art. 103 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (SR 173.110) innerhalb von 30 Tagen seit Eröffnung des Entscheides mit Verwal- tungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden.

Versand: 4. August 2004

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