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Archiv "Über die Amblyopie: Notwendige Frühdiagnose und Therapie" (15.10.1993)

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Über die Amblyopie

Notwendige Frühdiagnose und Therapie Regelrechte Sehschärfe mit voller Stereopsis entwickelt

sich zwischen dem 3. und 12. Lebensmonat nur dann, wenn beide Augen gleich scharf abbilden und parallel zu- einander stehen. In dieser Zeit ist die Vorsorgeuntersu- chung besonders wichtig. Leider sind die Rückmeldequo-

ten der Kinderärzte mit 0,2 Prozent bei der Amblyopie (Häufigkeit etwa 10 Prozent) und mit 0,7 Prozent beim Strabismus (Häufigkeit etwa 7 Prozent) um den Faktor 10 bis 20 zu gering. Die Kooperation zwischen Pädiatern und Ophthalmologen muß enger werden.

1. Einleitung

Im Vergleich zur Schielhäufig- keit von sechs Prozent ist die Rück- meldequote der Kinderärzte bei der Vorsorgeuntersuchung mit 0,7 Pro- zent zu gering. Noch deutlicher ist die Diskrepanz bei der Refraktions- amblyopie: bei einer Inzidenz von zehn Prozent liegt die Rückmelde- quote nur bei 0,2 Prozent. Dies zeigt die besonderen Schwierigkeiten un- serer pädiatrischen Kollegen bei der Diagnose von Refraktionsfehlern (7).

In diesem Artikel wird die Be- deutung einer möglichst frühen Dia- gnose und Therapie durch die neue- ren Befunde der neurophysiologi- schen Forschung belegt. Des weite- ren werden diagnostische Möglich- keiten von Pädiatern und Ophthal- mologen besprochen, um eine besse- re Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Optimal wäre eine au- genärztliche Vorsorgeuntersuchung eines jeden Kindes zwischen dem vierten und neunten Lebensmonat und im dritten Lebensjahr. So würde die Amblyopie im Erwachsenenalter zu einer Rarität werden.

2. Physiologische Entwicklung des Sehens Neurophysiologische Experi- mente an Katzen und Affen haben Einblicke in die Entwicklung des Sehsystems ermöglicht: Durch Zunä-

Augenklinik der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Direktor: Prof. Dr. Hans Eber- hard Völcker)

Gerold Herbert W. Kolling

hen eines Augenlides kann in der empfindlichen Phase der Sehent- wicklung eine einseitige Amblyopie

(Schwachsichtigkeit ohne sichtbare krankhafte Veränderungen des Au- ges) hervorgerufen werden (1, 4, 8, 13, 15). Es kommt zu einer Hem- mung des Signaleingangs vom ver- schlossenen Auge und daraufhin zu einer Verkleinerung der von diesem Auge angesteuerten Zellen im Cor- pus geniculatum laterale. Auf korti- kaler Ebene ändert sich die Domi- nanzverteilung zwischen beiden Au- gen: Während bei Geburt etwa 90 Prozent der Neurone von beiden Au- gen aus erregbar sind, führt die ein- seitige Deprivation dazu, daß über 90 Prozent der Neurone nur noch von einem Auge erregbar sind (8). Wenn die Tiere gezwungen sind, sich mit dem sehschwachen Auge zu orientie- ren, verhalten sie sich wie hochgradig sehbehinderte oder blinde Tiere. In- nerhalb der sensitiven Periode kann durch das Zunähen eines Auges nicht nur eine einseitige Deprivation hervorgerufen, sondern auch wieder geheilt werden. Bei Katzen reicht die sensitive Periode von der vierten Wo- che bis zum sechsten Monat, bei Af- fen bis zum 24. Monat (4). Eine künstlich induzierte Schielstellung führt bei Katzen und Affen dazu, daß die bei Geburt vorhandenen beidäu- gig erregbaren Eingänge zum Cortex nicht mehr trainiert werden und daß die Cortexneurone nur noch einäugig erregt werden können. Künstlich in- duzierte Fehlsichtigkeiten, zum Bei- spiel Stabsichtigkeiten, führen zu Schwachsichtigkeiten, die ihr physio- logisches Korrelat in der unter-

schiedlichen Empfindlichkeit der kortikalen Neurone auf verschieden orientierte Reizmuster haben („me- ridionale Amblyopie").

Elektrophysiologische und psy- chophysische Befunde beim Men- schen zeigen, daß sich die Sehschärfe und die normale beidäugige Zusam- menarbeit vom dritten bis zum zwölf- ten Lebensmonat rasch entwickeln (2, 4, 6, 11, 15). Am Ende des vierten Mo- nats ist das Stereosehen fast in dersel- ben Güte wie beim Erwachsenen nachzuweisen (11, 14). Am Ende des ersten Lebensjahres kann durch visu- ell evozierte Potentiale nachgewiesen werden, daß eine seitengleiche Seh- schärfe fast wie beim Erwachsenen vorhanden ist (6). Die sensitive Phase des Sehsystems beim Menschen läßt sich nicht so sicher wie bei Katzen und Affen abgrenzen. Vom dritten bis zum zwölften Monat ist der Säugling hochempfindlich auf ein- oder beid- äugige Störungen des Sehsystems.

Zwischen dem fünften und achten Le- bensmonat werden die meisten Syn- apsen gebildet, von denen 40 Prozent wieder bis zum elften Lebensjahr zu- rückgebildet werden (4). Diese Ten- denz deckt sich mit der klinischen Er- fahrung: Wird die augenärztliche Therapie zwischen dem dritten und sechsten Lebensmonat begonnen, so kann bei Schiel- und Refraktions- amblyopien fast mit Sicherheit ein beidseits gleich gutes Sehvermögen Danksagung: Priv.-Doz. Dr. Dietlind Fried- rich, Lübeck, und Prof. Dr. Klaus-Peter Boergen, München, seien herzlich für die kritische Durchsicht des Manuskriptes und die wertvollen Anregungen gedankt.

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Patient Beteuchtungs - Test

PARALLELSTAND

INNENSCHIELEN LINKS

AUSSENSCHIELEN LINKS

Fixierlicht

Arzt

Abbildung 2: Durch- leuchtungstest nach Brückner. Neben dem zentralen Hornhautre- flexbild leuchtet bei Parallelstand der Augen ein seitengleiches dunk- les Fundusrot auf. Das schielende Auge zeigt selbst bei kleinsten Schielwinkeln einen helleren Reflex. Eine Katarakt hebt sich als schwarzer Schatten vom Fundusrot ab.

Durchleuchtungstest

n. Brückner

Patient Parallelstand

Mikrostrabismus links

Abdecktest

zentra e Fixation

Katarakta nucl.

Augen - spiegel

Arzt

MEDIZIN ZUR FORTBILDUNG

Abbildung 1: Beleuchtungstest. Der Untersucher hält eine Lichtquelle unter sein beobachtendes Au- ge und sieht bei Parallelstand der Augen seiten- gleiche, zentrale Hornhautreflexbilder. Bei größe- ren Schielwinkeln verschiebt sich das Reflexbild.

erreicht werden. Auch bis zum vierten Lebensjahr bestehen noch gute Aus- sichten, Amblyopien zu bessern, nach dem achten Lebensjahr hingegen werden sie deutlich schlecht (3).

3. Maßnahmen

zur Früherkennung von Sehstörungen

3.1. Anamnese

Der Kinderarzt muß auf die Fa- milienanamnese von Sehstörungen Wert legen, da häufig Schielen, auch

ein Mikrostrabismus, oder eine Re- fraktionsstörung (Anisometropie, Hyperopie) vererbt werden. Schielt ein eineiiger Zwilling, so schielt der andere in über 90 Prozent der Fälle ebenfalls. Wenn ein Elternteil oder ein Familienangehöriger schielt, so steigt die Schielhäufigkeit von 6 Pro- zent auf 20 Prozent oder mehr (9).

Auch sollten alle Geschwister eines Schielkindes einmal vom Augenarzt im sechsten Lebensmonat und im dritten Lebensjahr kontrolliert wer- den. Untersucht der Pädiater ein Kind mit postnataler Sauerstoffthe- rapie, mit einer verzögerten Sehent- wicklung, mit Nystagmus, mit Anzei- chen einer Zerebralparese, mit er- höhter Blendungsempfindlichkeit oder mit einer Kopfschiefhaltung, so ist ebenfalls der Rat eines Augenarz- tes einzuholen.

3.2. Diagnostik des Strabismus In vielen Fällen reicht natürlich der klinische Blick auf den Säugling aus, um das Schielen zu diagnostizie- ren. Bei diesen großen Schielwinkeln ist die Gefahr einer einseitigen Schwachsichtigkeit in den ersten Le- bensmonaten wegen gekreuzter Fixa- tionsaufnahme oft gering, sie kann aber im späteren Alter wieder zuneh- men. Viel wichtiger ist das sichere Erkennen auch von kleinsten Schiel- winkeln, die kosmetisch nicht auffal- len und so sehr spät, oft zu spät, er- kannt werden. In solchen Fällen Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 41, 15. Oktober 1993 (61) A1-2705

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Abbildung 3: Refraktionsausgleich bei hoher Anisometropie. Das Kind verlangt dringend nach seiner Korrektion (links Myopie von — 18,0 Dioptrien). Das rechte aphake Auge ( + 12,0 Dioptrien als Kor- rektionsglas für die Nähe) muß sein Sehtraining nachholen, in dem das linke, bessere Auge täglich sechs Stunden mit Pflaster okkludiert wird (nähere Einzelheiten im Text).

kann sich zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr unbemerkt ein Mikrostrabismus mit hochgradiger Amblyopie entwickeln und zu blei- benden Schäden führen.

Im Folgenden werden einfache Untersuchungsmethoden beschrie- ben, mit Hilfe derer der Kinderarzt sowohl bei der Schieldiagnostik als auch bei der allgemeinen ophthalmo- logischen Diagnostik die Wege für ei- ne rechtzeitige Therapie der Säuglin- ge durch die Augenärzte ebnen kann.

Beleuchtungstest

Hält der Arzt eine Lichtquelle di- rekt unter sein beobachtendes Auge, so stimmen der Beleuchtungsstrah- lengang und der Beobachtungsstrah- lengang annähernd überein (Abbil- dung 1). In diesem Fall bildet sich die Lichtquelle als zentrales Hornhautre- flexbildchen über der Pupillenmitte des Kindes ab. Diese Abbildung muß auf beiden Augen gleich sein. Die Ge- nauigkeit dieses Tests ist beschränkt, da eine Verschiebung des Reflexbil- des um einen Millimeter einem Schielwinkel von 8 Grad entspricht (9). Auch liegt bei organischen Ver- änderungen am Augenhintergrund (zum Beispiel Macula-Ektopie bei Retinopathia praematurorum) der Reflex oft nicht in der Pupillenmitte.

Wesentlich genauer wird die Untersu- chungstechnik, wenn der Beleuch- tungstest mit dem Abdecktest verbun- den wird: Bei Abdecken des rechten Auges darf sich die Stellung des lin- ken Auges nicht ändern und umge- kehrt. Beide Augen müssen gleich ru- hig und zentral die Fixation aufneh- men, und das Kind muß sich bei bei- den Fixationen gleich verhalten.

Durchleuchtungstest nach Brückner Noch genauer kann die Untersu- chung mit dem Durchleuchtungstest nach Brückner geschehen, den jeder Pädiater durchführen kann, wenn er einen Augenspiegel besitzt (siehe

„Hinweise zur Durchführung der Früherkennungsuntersuchungen im Kindesalter", Band 10 der Publikati- onsreihe „Diagnose — Therapie", Deutscher Ärzte-Verlag, Köln). Der Untersucher beleuchtet mit seinem Augenspiegel aus etwa 50 cm Entfer- nung beide Augen des Säuglings gleichzeitig (Abbildung 2) (9). Da Be- leuchtungs- und Beobachtungsstrah- lengang identisch sind, treten Phäno-

mene auf, die jedem Amateurphoto- graphen geläufig sind: Bei einem ge- ringen Abstand zwischen Objektiv und Blitzlicht leuchten beide Pupil- len rot auf. Dieses Pupillenaufleuch- ten ist seitengleich, wenn der Patient die Lichtquelle fixiert und nicht schielt. Schielt ein Kind, so zeigt das fixierende Auge den dunkleren Re- flex, während das schielende Auge einen auffallend helleren Fundusre- flex aufweist, da das Licht auf einen Netzhautteil fällt, der weniger Pig- ment enthält als die stark pigmentier- te Foveola. Verdeckt man das fixie- rende Auge, so kann das schielende Auge unter Umständen die Fixation wieder zentral aufnehmen, der Fun- dusreflex wird ebenso dunkel wie vorher derjenige des fixierenden Au- ges (Abbildung 2). Bei exzentrischer

Fixation bleibt der Fundusreflex je- doch hell, und das Kind wird sich ge- gen diesen Abdeckversuch zur Wehr setzen. Wenn pathologische Netz- hautveränderungen vorliegen, die heller sind (Netzhaut-Aderhaut-Ko- lobom) oder dicht retrolental begin- nen (amaurotisches Katzenauge bei Retinoblastom, retrolentale Fibro- plasie), dann leuchtet das erkrankte Auge ebenfalls heller auf. Selten kann das schlechtere Auge auch den

dunkleren Fundusreflex aufweisen, wie zum Beispiel bei höherer Ani- sometropie und bei zentralen, pig- mentierten Toxoplasmosenarben der Netzhaut.

Ein wichtiger zusätzlicher Aspekt dieses Tests ist die Tatsache, daß sich im regredienten Licht jede Trübung der brechenden Medien als schwarzer Schatten darstellt. Beim einfachen Durchschauen durch einen Augenspiegel „stolpert" also der Un- tersucher über jede Katarakt und über jede Hornhauttrübung und dies in jedem Lebensalter des Säuglings (Abbildung 2)! Einseitige Linsentrü- bungen müssen zu einer sofortigen Überweisung an den Augenarzt und zu einer Operation in den ersten Le- benswochen führen, um funktionell zufriedenstellende Resultate zu er-

reichen. Deshalb ist es so wichtig, diese Diagnose bereits in den ersten Lebenstagen zu stellen. Eine beidsei- tige Katarakt kann dagegen noch bis zur sechsten Woche mit Erfolg und Aussicht auf relativ gutes Sehvermö- gen operiert werden. Auch Kinder mit Ptosis, Hämangiomen oder Lag- ophthalmus sind möglichst frühzeitig einer Behandlung zuzuführen, da bei ihnen häufiger eine Refraktionsam- blyopie entstehen kann.

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Abbildung 5: Normak- kommodativer, mit Nahteil ausgeglichener Konvergenzexzeß. Bei Nahblick ohne Nahteil wird einseitig ein Bild- eindruck unterdrückt und kräftig nach innen geschielt, mit Nahteil von + 3,0 Dioptrien jedoch regelrecht mit beiden Augen räumlich gesehen.

MEDIZIN

3.3 Diagnostik der Refraktions- amblyopie

Ein wesentlich schwierigeres Problem stellt die Kontrolle der Re- fraktion im Säuglingsalter dar. Sie kann wegen mangelnder Kooperati- on nicht mit automatischen Refrak- tometern durchgeführt werden. Der Ophthalmologe benutzt das Skiaskop und bestimmt aus einer Entfernung von 50 bis 67 cm die Refraktion mit Vorhalten von Korrektionsgläsern.

In geübten Händen ist diese Untersu- chung fast genauso schnell und min- destens genauso zuverlässig wie die- jenige mit den Automaten. In einigen Fällen können mit dem Skiaskop noch weitreichendere Aussagen gemacht werden: neben der Klarheit der bre- chenden Medien ist die Homogenität der abbildenden Medien (zum Bei- spiel bei hinterem Polstar, Lentiko- nus, Keratokonus) beurteilbar.

Die Refraktionsbestimmung durch Skiaskopie ist eine unerläßli- che Untersuchung bei jedem Kind und in jedem Kindesalter. Zum Bei- spiel muß auch bei Patienten mit Re- tinopathia praematurorum die häufig vorkommende Kurzsichtigkeit mit entsprechender Hornhautverkrüm- mung gemessen und früh genug aus-

ZUR FORTBILDUNG

Abbildung 4: Akkommodativer Strabismus conver- gens. Mit einer Korrektion von + 5,0 bzw. + 7,0 Dioptrien Sphäre beidseits besteht Parallel- stand mit gutem Binokularsehen, ohne Korrektion jedoch ein manifester Strabismus convergens.

geglichen werden. Eine grob orien- tierende Untersuchung ist bereits mit enger Pupille möglich. Eine sichere Aussage ist jedoch nur unter Zyklo- plegie möglich. Als kurz wirkendes Zykloplegikum kann bei einer orien-

tierende Untersuchung Tropicamid (Mydriaticum Stulln) genommen werden. Bei jedem nachgewiesenen Schielen und bei jeder Anisometro- pie sollte im Säuglings- und Kindes- alter die Zykloplegie jedoch mit Atropin oder Zyklopentolat durchge- führt werden.

Diese Untersuchungsmöglich- keiten sind leider dem Ophthalmolo- gen vorbehalten, da die Skiaskopie einer steten Übung bedarf. Eine Al- ternative könnte in Zukunft die ori- entierende Refraktionsbestimmung mittels Photorefraktion werden (zum Beispiel 12). Dabei wird die Vertei- lung des regredienten Lichtes in der Pupille beurteilt: bei Emmetropie ist das regrediente Licht über die Pupil- le gleichmäßig verteilt, während es bei Ametropien ungleichmäßig ist.

Dieser Leuchtdichtegradient kann ausgerechnet werden, er erlaubt Rückschlüsse auf die bestehende Ametropie. Die heute käuflichen Un- tersuchungsgeräte bedienen sich der Photo- oder der Videotechnik und sind noch nicht so einfach, zum Teil recht teuer und nicht schnell genug, um als Vorsorgegerät für Pädiater empfohlen werden zu können. Viel- leicht können in Zukunft einfachere Untersuchungsgeräte hier eine Bes- serung bringen.

4. Therapie der Refraktionsamblyopie und des Strabismus

4.1. Konservative Therapie Grundsätzlich ist die Aussage richtig: Je früher die Diagnose und Therapie einer Augenerkrankung ge- stellt beziehungsweise begonnen wer- den, desto besser ist die Prognose.

Dies trifft vor allem für die ein- oder beidseitigen Katarakte und die ande- ren organischen Erkrankungen der Augen zu, aber auch für die Refrakti- onsamblyopien und den Strabismus.

Die Therapie sollte innerhalb der er- sten sechs Lebensmonate begonnen werden.

Ein- oder beidseitige Ametro- pien sollten ausgeglichen werden, wenn sie gewisse Grenzen über- schreiten: ohne Strabismus werden im allgemeinen eine Hyperopie erst ab drei Dioptrien, eine Myopie je Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 41, 15. Oktober 1993 (65) A1-2709

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nach Alter ebenfalls erst ab drei Di- optrien, eine Anisometropie jedoch bereits ab 1,5 Dioptrien auskorri- giert, mit Strabismus werden Hyper- opien ab einer Dioptrie ausgeglichen (9). Seit einigen Jahren werden gut sitzende Babybrillen hergestellt, so daß auch Säuglinge mit Brillenglä- sern korrigiert werden können. Da die binokulare Verschaltung in die- sem Alter noch nicht abgeschlossen ist und das Gehirn äußerst anpas- sungsfähig ist, können auch hochgra- dige Anisometropien mit Brillenwer- ten ausgeglichen werden. Das Gehirn kann trotz großer optischer Anisei- konie ein gewisses Maß an beidäugi- gern Sehen erlernen. Das in Abbil- dung 3 gezeigte kleine Mädchen hat- te im Alter von sieben Monaten am linken Auge eine noch nicht auskor- rigierte Myopie von — 18,0 Diop- trien und am rechten Auge bei der ersten Untersuchung eine Netzhaut- ablösung. Nach Wiederanlegung der Netzhaut und Verschluß des zentra- len Netzhautloches mit Silikonöl mußte einige Monate später die Lin- se entfernt werden. Die jetzige Kor- rektion auf dem rechten Auge be- trägt + 8 Dioptrien mit kleinem Astigmatismus für die Ferne. Das lin- ke Auge wird täglich sechs Stunden okkludiert, um die Amblyopie des rechten Auges zu behandeln. Bino- kularsehen ist nach dieser Vorge- schichte nicht zu erwarten, es kann lediglich eine normale Orientie- rungsfähigkeit, eventuell Lesefähig- keit mit dem rechten Auge erhofft werden. In näherer Zukunft werden Kontaktlinsen auf beiden Augen den Visus, die Orientierung und das Aus- sehen des Kindes verbessern.

Auch das Schielen kann durch frühzeitigen Ausgleich einer Ametro- pie gebessert werden, besonders bei höherer Hyperopie. Der frühzeitige Refraktionsausgleich kann den Schielwinkel beseitigen oder so ver- kleinern, daß eine Operation nicht notwendig wird. Die Abbildungen 4 und 5 zeigen positive Beispiele: Im ersten Beispiel ist mit dem Tragen der Brille (rechts: + 5,0; links: + 7,0 Dioptrien Sphäre) das Schielen völlig ausgeglichen mit intaktem Stereose- hen (Lang-Test positiv, der Visus ist beidseitig 0,8, ohne Brille ist ein In- nenschielen sichtbar. Im zweiten Bei-

spiel (Abbildung 5) konnte durch das Nahteil der Bifokalbrille auch in der Nähe Binokularsehen erreicht wer- den. Die Güte des Binokularsehens hängt vom Zeitpunkt des Schielan- fangs, vom Therapiebeginn und von nicht näher bekannten zentralen Verschaltungen ab. Es gibt fließende Übergänge von Parallelstand mit re- gelrechtem Binokularsehen bei nor- maler Korrespondenz bis zum Stra- bismus mit reduziertem Binokularse- hen bei anomaler Korrespondenz.

Der Mikrostrabismus ist ein Beispiel mit besonders angepaßter Sehweise:

bei mittelgradiger Hyperopie zeigt das schielende Auge eine höhere Fehlsichtigkeit mit deutlicher Ambly- opie, die beidäugige Zusammenar- beit findet stets auf der Basis einer anormalen Korrespondenz statt (10).

Der Schielwinkel ist meist mit weni- ger als 5 Grad kosmetisch völlig un- auffällig und wird deshalb sehr leicht übersehen. Die Güte der Sehschärfe des schlechteren Auges hängt nur vom möglichst frühen Therapiebe- ginn ab: auch beim Mikrostrabismus kann in über 90 Prozent eine gute Lesefähigkeit beider Augen erwartet werden, wenn rechtzeitig genug der kleine Schielfehler erkannt und streng genug behandelt wurde. Be- sonders betont werden muß die aus- gesprochen kostengünstige Therapie, die nur aus einer Brille und Okklusi- onspflastern besteht. Die konsequen- te Amblyopienachsorge muß etwa bis zum 14. Lebensjahr fortgeführt wer- den. Danach kann das Gehirn die an- trainierte Lesefähigkeit nur noch in Ausnahmefällen verlernen.

4.2 Operative Therapie des Strabismus

Über die Heilungsaussichten des Strabismus bei Säuglingen muß je nach Schielform geurteilt werden.

Ein wirklich konnataler Strabismus convergens ist eine Rarität und kommt mit einer Häufigkeit von etwa einem Promille vor, im Säuglingsalter etwa mit einer Häufigkeit von einem Prozent (5). Das frühkindliche Schielsyndrom entwickelt sich erst nach dem dritten Lebensmonat (10).

In den Jahren von 1960 bis 1970 wur- den diese Kinder in Deutschland häufig vor dem 18. Monat operiert, um eine bessere Motilität und besse- re Binokularität zu erzielen. Die Er-

gebnisse enttäuschten jedoch: Das Höhenschielen oder ein Restschiel- winkel mußten später doch noch kor- rigiert werden, die Binokularfunktio- nen waren nicht besser als bei späte- ren Operationen nach dem dritten Lebensjahr (9). Zur Zeit wird in Deutschland meist zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr ope- riert. Bei rechtzeitigem Beginn der konservativen Therapie kann davon ausgegangen werden, daß zwei gleichwertige, voll funktionstüchtige Augen zur Verfügung stehen und daß durch die heutige Technik der Augenmuskeloperationen in über 70 Prozent der Fälle ein annähernder Parallelstand mit kleinem Restschiel- winkel unter 5 Grad und groben beidäugigen Funktionen erreicht werden kann.

Um die Heilungsaussichten der Amblyopie und des Strabismus wei- ter zu verbessern, muß die Zusam- menarbeit zwischen Pädiatern und Ophthalmologen intensiviert werden.

Dies besonders deshalb, weil die Pro- gnose nur bei frühestem Behand- lungsbeginn so gut ist und dann auch die Therapie so kostengünstig bleibt.

Mit den hier beschriebenen Untersu- chungsmethoden kann die Diagnose des Strabismus durch den Pädiater rechtzeitig erfolgen. Bei der reinen Refraktionsamblyopie ist er auf die Mithilfe des Ophthalmologen ange- wiesen.

Deutsches Ärzteblatt

90 (1993) A1-2704-2710 [Heft 41]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Priv.-Doz.

Dr. Gerold Herbert W. Kolling Leiter der Sehschule der Universi- täts-Augenklinik Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg

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