FORUM Kritische Belastungen und die Sanasilva-Inventur
FÜR WISSEN
John L. Innes, Sucharita Ghosh, Matthias Dobbertin, Martine Rebetez, Stefan Zimmermann WSL, Birmensdorf1997
Es bestehen ernste Befürchtungen, dass Einträge von versauernden Substanzen und Stickstoff aus der Atmo
sphäre eine Ursache für die Destabilisierung von Waldökosystemen darstellen. Die Verlichtung von Baum
kronen wird oft als Indikator für den Gesundheitszustand eines Waldökosystems genommen. Doch kann eine solche Annahme auch in Frage gestellt werden. Eine Analyse der räumlichen und zeitlichen Entwicklung der Baumkronenverlichtung in der Schweiz ergab keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zunahme der Verlichtung mit modellierten Stickstoffdepositionen und mit der Bodenazidität zusammenhängt. Es wurde ein schwacher Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Verlichtung und der Schwefeldeposition festgestellt. Allerdings bedeutet eine gefundene Korrelation nicht gleichermassen einen Kausalzusammenhang. Deshalb müssen die Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden. Erforderlich sind, neben der Überprüfung durch experimentelle Forschung, vor allem Verbesserungen bei den zur Zeit verfügbaren Messmethoden für die Gesundheit des Waldes und Informationen über die Zuverlässigkeit der Modelle, die zur Schätzung von Depositionen verwen
det werden. Diesbezügliche Studien sind zur Zeit unter der Ägide der «Langfristigen Waldökosystem
Forschung» im Gange.
1 Einleitung
Seit 1985 werden in der Schweiz jährlich Ansprachen des Gesundheitszustands des Waldes vorgenommen.
Zwar hat sich mit der Zeit die Dichte des Stichpro
benrasters verändert, aber die Bestimmungsmethoden, die zur Beurteilung einzelner Bäume angewandt wer
den, sind mutmasslich die gleichen geblieben. Das einzige Kriterium, das über die ganze Zeitspanne für den Zustand des Waldes verwendet wurde, ist der
«Nadel-/Blattverlust», eine visuelle Schätzung der quantitativen Kronenverlichtung, für deren Erklärung es keine bekannten Ursachen gibt. Dieses Kriterium ist mit einer Reihe von Problemen verbunden, insbe
sondere was seine Interpretation betrifft. Trotzdem stellt es weiterhin den in Europa am verbreitetsten In
dikator für die Gesundheit des Waldes dar.
Das Fehlen einer deutlichen räumlichen oder zeit
lichen Korrelation zwischen der Entwicklung der Baumkronenverlichtung und dem Auftreten bestimm
ter Schadstoffe (KANDLER und INNES 1995) auf mit
teleuropäischer Ebene führte zu einer Verschiebung der Schwerpunkte in den Forschungsarbeiten, die über den Zustand des Waldes in ganz Europa unter
nommen wurden. Es wurde zunehmend die Bedeu
tung des Bodenzustands, insbesondere die Bodenazi
dität betont. Der Bodenzustand, vor allem die Katio
nenaustauschfähigkeit, wurde mit der Deposition von Schadstoffen in Zusammenhang gebracht, und zwar nach dem Konzept der kritischen Belastung und der Überschreitung der kritischen Belastung. Eine kriti
sche Belastung wurde als die höchste Deposition einer Substanz definiert, die keine chemischen Veränderun-
gen verursacht, welche sich langfristig schädlich auf Struktur und Funktion eines Ökosystems auswirken (NILSSON und GRENNFELT 1988; HETTELINGH et al. 1992). Das gleiche gilt für die Menge an Säure, die in ein bestimmtes Ökosystem eindringen kann, ohne dort möglicherweise Schäden zu verursachen.
Auf politischer Ebene hat man dazu geneigt, die empfindlichsten Arten mit den wertvollsten Arten gleichzusetzen. In Grossbritannien wurden beispiels
weise die kritischen Belastungen für Frischwasser als die versauernden Einträge definiert, die stattfinden können, ohne Schäden für die Bachforelle (Salmo trutta) zu verursachen, obwohl viele wirbellose Arten wahrscheinlich empfindlicher sind. In Waldstudien herrschte die Tendenz, die gleiche Methode anzu
wenden, wobei den wichtigen Baumarten mehr Be
deutung zugemessen wurde als anderen Bestandteilen des Waldökosystems. Dies ist vielleicht eher zu recht
fertigen, da ja die Bäume nicht nur wirtschaftliche Bedeutung haben, sondern auch die wichtigsten struk
turellen Komponenten eines Waldökosystems darstel
len. Für die Bestimmung von kritischen Belastungen werden im allgemeinen eher die Böden als die Bäume selbst als sensitiver Parameter genommen (DE VRIES et al. 1993, 1995a).
Baumarten werden in Studien über belastende Einträge in erster Linie als modifizierende Grösse der Depositionsraten berücksichtigt. (DE V R I E S et al.
1992). Einen Zusammenhang zwischen Veränderun
gen der Bodenchemie und Veränderungen des Ge
sundheitszustands der Bäume herzustellen, hat sich als äusserst schwierig herausgestellt. Es wurden verschie
dene Hypothesen aufgestellt, bei denen die wichtigsten
74
Auslöser von Überschreitungen kritischer Belastun
gen in Waldökosystemen folgende waren (DE VRIES 1988; DE VRIES et al. 1995b):
- durch Ammonium im Boden verursachte Hemmung der Nährstoffaufnahme
- Veränderungen der Vegetation infolge erhöhter N-Zufuhr aus dem Boden
- verminderte Frosthärte und erhöhte Empfindlich
keit gegenüber Insekten, Pilzen, Bakterien und Viren im Zusammenhang mit einer Erhöhung des N-Gehalts in den Blättern
- toxische Wirkungen von mobilisiertem Al - durchsickern von N03 in Bäche und ins Grund-
wasser.
In der Schweiz wurden auf den Sanasilva-Überwa
chungsrastern Laub- und Nadelanalysen vorgenom
men, in denen aber die N-Gehalte nicht berücksichtigt wurden (LANDO L T et al. 1984, 1985). FLOCKIGER et al. (1 986) berichteten, dass der Blattgehalt an N bei Buchen im allgemeinen über 2% und gelegentlich über 2.5% lag. Die ökologische Auswirkung dieser Konzentrationen ist jedoch unbekannt, da die Bezie
hung zwischen dem Gehalt der Blätter an einzelnen Elementen und dem Gesundheitszustand der Bäume weiterhin unsicher ist (INNES 1995). So variieren zum Beispiel die normalen Gehalte des Laubes und der Nadeln an N zwischen den verschiedenen Arten, wo
bei Buchen im allgemeinen höhere Konzentrationen aufweisen als Fichte, Kiefer oder Tanne.
Eine internationale Literaturübersicht lässt erken
nen, dass überraschend wenig Informationen über die kritischen Belastungen von Sulfat, Nitrat, Ammonium oder Azidität für die einzelnen Waldbaumarten zur Verfügung stehen (siehe aber Schleppi in diesem Band). Umgekehrt gibt es viele Studien über die kriti
schen Konzentrationen von gasförmigen Schadstoffen bei Bäumen. Dieser scheinbare Gegensatz ergibt sich daraus, dass Bäume gasförmige Schadstoffe direkt durch ihre Stomata aufnehmen können, während die Wirkungen nasser und trockener Deposition der obigen Art hauptsächlich durch den Boden statt
fimJcn. Folglich treten Wirkungen mit grösster Wahr
scheinlichkeit erst ein, nachdem eine Veränderung der Bodenchemie stattgefunden hat. Die kritischen Bela
stungen von Böden werden in anderen Artikeln dieses Bandes untersucht. In dieser Arbeit gehen wir der Frage nach, ob es irgendwelche Anhaltspunkte dafür gibt, dass die räumlichen und zeitlichen Muster der in der Schweiz beobachteten unerklärten Verlichtung von Bäumen mit modellierten Schadstoffkonzentra
tionen oder Depositionsbereichen in Verbindung ge
bracht werden können, unter gleichzeitiger Berück
sichtigung der verfügbaren Boden- und Klimadaten.
FORUM für Wissen 1997 2 Methoden
Für die Nadel- und Blattverluststudien in der Schweiz kommen verschiedene Rasterdichten zur Anwendung.
Zwischen 1985 und 1992 wurden Schätzungen auf einem 4 x 4-km-Rasternetz vorgenommen. 1993 wurde die Zahl der Stichprobenflächen auf einen Raster von 8 x 8 km reduziert. Von 1995 an werden die Stichpro
benflächen auf dem 8 x 8-km-Raster nur jedes dritte Jahr ausgewertet (das nächste Mal 1997), während das europäische 16 x 16-km-Rasternetz in den dazwischen
liegenden Jahren verwendet wird. Jede Stichproben
fläche beinhaltet einen inneren Kreis von 200 m2 und einen äusseren Kreis von 500 m2. Im inneren Kreis wurden alle Bäume mit einem Brusthöhendurchmes
ser (BHD: Durchmesser auf 1.3 m Höhe) ab 12 cm als Proben genommen, wie auch alle Bäume im äusseren Kreis mit einem BHD ab 36 cm, und zwar ungeachtet ihrer sozialen Stellung. 1993 wurden allen Stichpro
benflächen auf den 8 x 8-km und 16 x 16-km-Rastern Satelliten-Stichprobenflächen hinzugefügt, wodurch die Probenzahl auf jeder Stichprobenfläche effektiv verdoppelt wurde. Eine solche Massnahme war nötig, wenn der Baumzustand standortspezifisch bestimmt werden sollte. Die zugrundegelegten Probenauswahl
methoden stammen aus der für das erste Landesforst
inventar entwickelten Aufnahmenleitung (ZINGG und BACHOFEN 1988), und die Methoden für die Beurtei
lung der Bäume basieren auf MÜLLER und STIERLIN (1990) und einer anonymen Arbeit (1994a).
2.1 Kronenverlichtung
Als Höhe der Kronenverlichtung wird in dieser Studie der unerklärte Nadel-/Blattverlust benutzt. Diese Schätzung beruht auf der Blatt- bzw. Nadelmasse, die ein Baum verloren hat, ohne dass dieser Verlust durch offensichtliche Faktoren wie Insekten oder Sturm
schäden erklärt werden kann. Für die Analysen, die die Verlichtung mit Umweltfaktoren in Zusammen
hang stellen, wurden diese Daten zu einem Trend
indikator umgeformt, der auf den Veränderungen ein
zelner Bäume innerhalb des Beobachtungszeitraums beruhte. Für die Trendindikatoren wurden dann ge
wichtete Mittelwerte gebildet, um für jeden Standort einen einzelnen Wert zu erhalten. Es ist fraglich, ob dies aus biologischer Sicht sinnvoll ist, doch die Pro
bengrössen waren zu klein, um die einzelnen Arten getrennt betrachten zu können. Die Daten wurden nicht durch die soziale Stellung oder den Brust
höhendurchmesser gewichtet, da in dieser Studie nur die Veränderungen des Nadel-/Blattverlustes der Bäume und nicht der Nadel-/Blattverlust selber be
nutzt wurden. Das Alter der Bäume wurde in der Analyse ausgeschlossen, da erstens keine zuverlässige Schätzung des Alters der in der Inventur aufgenom
menen Bäume verfügbar ist und da zweitens die Schätzverfahren des unerklärten Nadel-/Blattverlusts die zunehmende Neigung zur Verlichtung mit dem
Alter berücksichtigt und die Werte entsprechend an
passt (SCHWYZER und HUG, unveröffentlicht).
Die geschätzten Probenquantile der Standortindi
katoren zeigen deutlich, dass an den meisten Stand
orten der Trendindikator höher als Null ist, was auf eine allgemeine Zunahme der unerklärten Kronenver
lichtung hinweist.
2.2 Erklärende Variablen
Die Beobachtungen des Kronenzustandes wurden durch weitere Studien ergänzt. Diese blieben meistens auf den 8 x 8-km-Raster beschränkt. 1993 wurden die Böden der verschiedenen Stichprobenflächen be
schrieben und Proben davon genommen, wobei - un
ter Verwendung der vom UN-ECE (PCC 1994) be
schriebenen Methoden - Profile erstellt und Proben aus verschiedenen Tiefen genommen wurden (ZI M - MERMANN und BLASER 1993). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind aufgrund der sehr hohen Anzahl der Probeflächen und der Schwierigkeiten, Böden für die chemische Analyse zu präparieren, nur ein Viertel der Stichprobenflächen vollständig analysiert worden (die
jenigen auf dem 16 x 16-km-Raster des europäischen Netzwerks). Dennoch stehen Informationen über ver
schiedene Bodeneigenschaften für den 8 x 8-km-Raster zur Verfügung.
Andere Daten zu erklärenden Variablen wurden aus verschiedenen Quellen gewonnen. Die Daten zur Umweltverschmutzung wurden von der Firma Meteo
test erhoben und sind weitgehend diejenigen, die bei RIHM (1994) veröffentlicht sind. Die ermittelte Ozon
belastung beruhte auf AOT40-Werten (siehe Glossar).
Die kritischen Belastungen wurden unter der Ver
wendung einer «Steady-State-Massenbilanzmethode»
abgeleitet. Diese Werte stellen vorläufige Schätzungen der tatsächlichen und der kritischen Schadstoffbela
stungen an jedem einzelnen Standort dar, und es ist durchaus möglich, dass die Werte sich durch zukünf
tige Überarbeitungen des Modells erheblich verändern werden.
Die klimatischen Daten beruhten auf Schätzungen für bestimmte Standorte während des Zeitraums von 1985 bis 1995 nach einer bei BA E R I S W Y L und REBETEZ (1997) beschriebenen Methode. Die meteo
rologischen Daten basierten nicht auf einer Interpola
tion. Die Daten für jeden Rasterpunkt beruhen auf den Daten der nächstgelegenen SMA-Station (nach einer manuellen Nachprüfung, um sicherzustellen, dass bezüglich der Topographie keine Widersprüche zwischen SMA- und SANASILV A-Punkten entstan
den). Für die Temperatur wurde ein Koeffizient von 0.65 °C 100 m-1 verwendet, um den Höhenunterschie
den Rechnung zu tragen. (Was die Anzahl Frosttage betrifft, wurden die Temperaturen transformiert, bevor die Tage gezählt wurden). Für den Niederschlag ist, wie dies kürzlich von REBETEZ und BAERISWYL (1997) aufgezeigt wurde, die Region das wichtigste Kriterium, und es gibt keinen Koeffizienten im Zu-
sammenhang mit der Höhe. Daher wurden keine Transformationen der Niederschlagsdaten vorgenom
men, um Höhenunterschiede zu berücksichtigen.
3 Ergebnisse
3.1 Zeitliche Tendenzen im Zustand der Baumkronen
Die Entwicklung der Kronenverlichtung sollte nur auf dem gleichen Stichprobenflächenraster analysiert wer
den. Da die Rasterdichte in der Schweiz zwischen 1985 und 1995 zweimal verändert wurde und die Satel
liten-Stichprobenflächen hinzugefügt worden sind, müssen die verschiedenen Datenquellen getrennt aus
gewertet werden. In der Abbildung 1 ist die Entwick
lung des prozentualen Anteils der Bäume mit einer unerklärten Kronenverlichtung von mehr als 25% zwi
schen 1985 und 1995 dargestellt. Unabhängig von der Rasterdichte liegt eine zunehmende Tendenz vor. Die verschiedenen Rastergrössen weisen allerdings wegen der variierenden Baum- und Stichprobenflächenzah
len verschiedene Schätzgenauigkeiten auf, wie dies durch die Fehlerbalken zum Ausdruck kommt. Sie dienen als Indikator der Schätzgenauigkeit in einem Jahr, nicht der Signifikanz zwischen zwei Jahren!
Es lässt sich auch beobachten, wie viele Bäume hinsichtlich der Verlichtungsschätzungen von einem Jahr zum anderen variieren. Wenn zwei Beobachter denselben Baum beurteilen, schwankt die genaue Übereinstimmung in der Schweiz zwischen 23 und 33%. Das bedeutet, dass, selbst wenn zwischen den Jahren keine Veränderung stattfindet, doch 67 bis 77%
der Bäume ihre Kategorie wechseln. Vor dem Hinter
grund dieser Ungenauigkeit nahm in den meisten Jah
ren bei mehr Bäumen die Verlichtung zu als dass sie abnahm (Abb. 2). Jedoch weisen selbst in Jahren mit einer erheblichen Zunahme der Zahl der Bäume mit einer stärkeren Verlichtung, mehr als 20% der Bäume eine Abnahme der Verlichtung auf.
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4 x 4-km-Netz 8 x 8km 16x16
0
Abb. 1. Entwicklung des Anteils der Bäume mit mehr als 25% unerklärtem Nadel-/Blattverlust in Prozent. Der Feh
lerbalken entspricht dem 95 %-Vertrauensbereich der Schätzung.
76
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!i1m Zunahme D Abnahme -- Veränderung Abb. 2. Veränderungen des unerklärten Nadel-/Blattverlustes von einem Jahr zum nächsten. In jedem Jahr weisen einige Bäume und Standorte . eine Besserung auf, während andere eine Verschlechterung zeigen.
3.2 Beziehungen zwischen dem Zustand der Kronen und anderen Parametern
Daten über den Zustand der Baumkronen im Jahre 1993 und über den Boden, das Klima (Niederschlag und Evapotranspiration) und über die Topographie wurden analysiert, um zu bestimmen, in welchem Ausmass der Kronenztistand (Verlichtung, Verfär
bung, Prozentsatz der toten Äste, der toten Zweige usw.) mit diesen Faktoren zusammenhängt (WE 8- STER et al. 1996). Die Verlichtung war das einzige weit verbreitete Symptom eines schlechten Ge
sundheitszustands oder mangelnder Lebenskraft. Die Beziehungen zwischen der Verlichtung und den be
obachteten Umweltvariablen waren schwach (maxi
male erklärte Varianz von 22 % ) und für Buchen (Fagus sylvatica L.) zu schwach, um signifikant zu sein. Der ausgeprägteste Zusammenhang bestand bei der Fichte (Picea abies (L.) Karst.) mit der Wasser
speicherkapazität des Bodens und bei der Weisstanne (Abies alba Mill.) mit der Wasserspeicherkapazität und dem Carbonatgehalt des Bodens. Es scheint, dass der Nadel-/Blattverlust die natürliche physiologische Reaktion der Bäume auf Wassermangel im Boden ist:
Dürre kann eine ausreichende Erklärung für den be
obachteten Baumkronenzustand sein (WEBSTER et al. 1996). Die Ergebnisse und deren Interpretation stimmten 1993 mit denjenigen in anderen Gebieten Europas überein (Anonym 1994b).
3.3 Zusammenhänge zwischen dem Baumkronen
zustand und Einträgen von versauernden Substanzen und von Stickstoff
Das räumliche Muster der Entwicklung der Verlich
tung wird in Abbildung 3 dargestellt. Dieses lässt er
kennen, dass es (im Gegensatz zu vielen anderen Ländern Europas) keine Region mit einer besonders starken Zunahme der Verlichtung gibt und dass
FORUM für Wissen 1997 Standorte mit massigen bis starken Zunahmen der Verlichtung auf die ganze Schweiz verteilt sind. Folg
lich gibt es kein offensichtliches Muster, das sich leicht mit den verfügbaren Karten über die N-Depositionen in Beziehung setzen lässt. In der Abbildung 4 werden die Verteilungen der Indikatoren auf verschiedenen Höhenlagen angegeben. Die allgemeine Häufigkeits
verteilung ist linksschief, was darauf hinweist, dass die Verlichtung an den meisten Standorten zugenommen hat.
Eines der Hauptprobleme in der Verwendung der Baumkronenverlichtung als Indikator der Baumge
sundheit, liegt in ihrer unspezifischen Natur. Das heisst, dass eine Vielfalt von Faktoren sie beeinflussen können, einschliesslich klimatische Bedingungen, Waldbewirtschaftung, Nährstoffgehalt des Bodens, Pilz- oder Insektenbefall sowie Umweltverschmut
zung. Es ist äusserst schwierig, den Einfluss dieser Faktoren zu eliminieren, insbesonders da viele von ihnen in Wechselwirkung zueinander stehen. So weiss man beispielsweise, dass klimatische Bedingungen den Schweregrad des Befalls durch gewisse Insekten beeinflussen (HADLEY und VEBLEN 1993). Wichti
ger ist vielleicht noch, dass es bekanntermassen Wech
selwirkungen zwischen der Umweltverschmutzung und einer Vielfalt von Faktoren gibt, angefangen bei der Dürre- und Frostempfindlichkeit bis zum Auftre
ten bestimmter Krankheiten (INNES 1993). Bei einer routinemässigen Sanasilva-Inventur stehen viele dieser detaillierten Informationen nicht zur Verfügung. Doch selbst wenn solche Informationen verfügbar wären, ist es zweifelhaft, ob sie in ein statistisches Modell einbe
zogen werden sollten. Sollte beispielsweise die durch Borkenkäfer verursachte Sterblichkeit mitberücksich
tigt oder unbeachtet gelassen werden? Sie wurde bis zu einem gewissen Grade bei der Schätzung der Ver
lichtung berücksichtigt. Die vorliegende Analyse hat sich nur mit der unerklärten Verlichtung beschäftigt.
Mit den Schätzungen der gesamten Verlichtung wurde erst 1990 begonnen, so dass relativ wenige Daten vor
liegen.
Es gibt jedoch statistische Methoden die zur Su
che nach Mustern in den Daten angewandt werden können. Die Verlichtungstendenzen während des Zeitraums 1985-1995 wurden mit einer Reihe von Umweltfaktoren verglichen. Die in der Analyse be
rücksichtigten Standorte befanden sich auf dem 8 x 8- km-Unternetz des 4 x 4-km-Stichprobenrasters. Die in der Analyse enthaltenen Variablen sind in der Tabelle 1 wiedergegeben. In allen Fällen wurden für Baumda
ten jedes Standorts Mittelwerte gebildet, und es wurde kein Versuch unternommen, die Daten nach Baum
art, Region, Alter oder einer anderen Kategorie zu gruppieren. Das wäre zwar interessant, aber eine solche Stratifizierung würde zu einer Verminderung der für die Analysen verfügbaren Probengrössen füh
ren, wodurch Probleme für die Erkennung relevanter Tendenzen entstehen würden.
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Trendindikatoren
• sehr hoch O hoch D mässig
X niedrig
Abb. 3. Räumliche Verteilung der Trend-Indikatoren des unerklärten Nadel-/Blattverlustes i11 der Schwei:.:. Die Indizes sind unterteilt in weniger als Null (niedrig), zwischen Null und dem Median (mässig), zwischen dem Median und dem 75. Perzentil (hoch) und zwischen dem 75. Perzentil und 1 (sehr hoch). Die Daten stammen aus der Periode 1985-1996).
3.3.1 Die 0-1-Indikator-Variablen: hohe Niveaus der 3.3.2 Schrittweise Regression erklärenden Variablen
Da die verschiedenen Umweltdaten sowohl ordinal als auch nominal skaliert sind, war es nötig, eine ge
wisse Standardisierung vorzunehmen. Alle Daten wurden daher zu 0-1-Indikator-Variablen konvertiert, wobei diejenigen als «hoch» (1) hervorgehoben wur
den, die in der Verteilung der Werte für jede Variable oberhalb des 75. Percentils auftraten. Die Schwellen
werte für jede Variable sind in der Tabelle 1 angege
ben.
Die Variable «Feinwurzeldichte» wurde als kate
gorische Variable mit zwei Kategorien verwendet:
hoch (mehr als 5 Wurzeln pro 100 cm2) und niedrig (weniger oder gleich 5 Wurzeln pro 100 cm2). Der Carbonatgehalt des Bodens wurde in vier Klassen ka
tegorisiert, nämlich keine, leichte, mässige und starke Reaktion auf HCI, wobei mässige und starke Reaktio
nen als die hohen Variablen zusammengefasst wur
den. Die Variable Lagerungsdichte war ebenfalls eine kategorische Variable: für die Analyse wurden zwei Stufen der Lagerungsdichte definiert (Lagerungsdichte von mehr als 1.2 g/cm-3 und von weniger oder gleich 1.2 g/cm-3). Ausserdem wurden zwei Stufen der Bo
denazidität unterschieden (pH über 5.25 und pH unter oder gleich 5.25). Die Humusform wurde in zwei Klassen unterteilt: Mull und Mullmoder oder Moder, rohhumusartiger Moder und Rohhumus. Der Hu
musgehalt wurde in bis 5% und mehr als 5% Humus
anteil unterteilt. Den Skelettgehalt unterschied man in bis 10% und mehr als 10% Skelettanteil.
Um die Daten zu analysieren wurde eine gewichtete schrittweise Regression angewandt. Nur Bäume, die in mehr als einem Jahr beurteilt worden waren, wurden in die Studie aufgenommen. Der sensitive Parameter (mittlerer Standort-Trendindikator) und Daten über die Standortmerkmale standen für 124 Standorte zur Verfügung. Die Ergebnisse sind in der Tabelle 2 zu
sammengefasst. Die p-Werte und Standardfehler soll
ten nur als Richtlinien verwendet werden.
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669-963 964-1316 1317-2189 Höhen (m)
Abb. 4. Verteilung der Trend-Indikatoren für die Entwick
lung des unerklärten Nadel-/Blattverlustes in der Schweiz (1985-1996) in Höhenklassen aufgeteilt. Diese wurden von den Verteilungspercentilen abgeleitet. D as Vorherrschen positiver Indizes gibt die allgemeine Zunahme der be
obachteten Verlichtung wieder.
78
Tab. 1. In der Analyse verwendete Variablen.
Umweltverschmutzung
Überschreitung der kritischen Belastungen mit Azidität (eq. ha-1 a-1) Überschreitung der kritischen Belastungen mit dem Nährstoff N Mittlere Jahreskonzentrationen von NO2 (µg m-3)
Gegenwärtige Belastung mit NHy (kt N ha-1 a-1) NOx-Deposition (kg N ha-1 a-1)
Schwefeldioxid (µg m-3)
Gegenwärtige Belastung mit S (eq. ha-1 a·1) Ozon (AOT40)
Klima
Durchschnittliche Tagestemperaturen (Mai-August) (0C) Absolute Minimaltemperatur Dezember-Februar (0C) Absolute Maximaltemperatur (Mai-August) (0C) Mittlere Maximaltagestemperatur (Mai-August) (0C) Anzahl Tage mit Temperaturen unter O °C (Mai-Juni) Jährlicher Niederschlag (mm)
Anzahl Tage mit weniger als 1 mm Niederschlag (Mai-August) Evapotranspiration (mm)
Böden
Bodenazidität (Kategorie)
Feinwurzeldichte des Bodens (Kategorie)
Speicherkapazität des Bodens in tieferen Wurzeltiefen (mm) Carbonatgehalt des Bodens (Kategorie)
Lagerungsdichte (g cm -3) Humusform (Kategorie) Humusgehalt (Kategorie) Skelettgehalt des Bodens (%)
Schwellenwert
1458.5 25 20 26 15 8 1225 35.25
1 5.7 -13.3 30.8 21 .3 4.7 1645 81.8 744
pH 4.25 hoch 94.5 1.2
(siehe Text) 5%
10%
Tab. 2. Ergebnisse der schrittweisen multiplen Regression. (Multiple R 2 = 0.176, n = 124, Ergebnis des F-Tests = 5.056 mit 5 und 118 Freiheitsgraden mit p-Wert = 0.0003).
Ausgewählte Variablen und geschätzte Koeffizienten.
Parameter Koeffizient Standardfehler !-Statistik p-Wert
y-Achsenabschnitt 0.232 0.045 5.144 0
Ozon 0.156 0.056 2.795 0.006
Schwefel 0.224 0.062 3.604 0
Absolute Minimaltemperatur -0.129 0.058 -2.23 0.028
Dezember-Februar
Carbonatgehalt -0.294 0.116 -2.53 0.013
Humusgehalt -0.086 0.051 -1.692 0.093
FORUM für Wissen 1997
Bei der schrittweisen Regression wurden Ozon, S, die absolute Minimaltemperatur (Dez.-Febr.), der Carbonatgehalt und der Humusgehalt als die signifi
kanten erklärenden Variablen ausgewählt. Die Stick
stoffdeposition wurde vom Modell nicht als signifi
kante Variable ermittelt. Ebenso hatten Überschrei
tungen der kritischen Belastungen der Bodenazidität keinen wesentlichen Einfluss auf das Modell.
Die Ergebnisse sind in der Abbildung 5 wieder
gegeben, wo die Mittelwerte zusammen mit ihren Feh
lerbalken (± einfache Standardabweichung)' dargestellt sind. Auch hier sollten die Schätzungen_ der Stan
dardabweichungen nur als Richtlinien benutzt wer
den. Die erhöhten Indikatoren beispielsweise im .. Zu
sammenhang mit höheren Ozonkonzentrationen sind deutlich erkennbar.
3.3.3 Interpretation
Die Analyse deutet darauf hin, dass die Verlichtung in Gebieten mit hohen Ozonkonzentrationen und S-De
positionen, in Gebieten mit niedrigen Wintertempera
turen und an Standorten mit einem niedrigen Humus
gehalt des Bodens stärker zugenommen hat. Der Zu
sammenhang mit dem Carbonatgehalt war komplex, da die Verlichtungszunahmen bei mässigem Gehalt im Boden schwächer, jedoch sowohl bei niedrigen als auch bei hohen Gehalten stark waren. Die Schätzung
Ozon: 0 = niedrig, 1 = hoch ,_ 0.35
I
0
� 0.30
-0 C
� 0.25 C
I
"'
F 0.20 0
Absolute Minimaltemperatur: 0 = niedrig, 1 = hoch 0.26
I
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;:. 0
'6
C 0.22-0 ;j 0.18
F 0.14
0
Humusgehalt: 0 = niedrig, 1 = hoch .... 0.35
I
] 0.30 0
'Ö � 0.25
C
I
� 0.20 0.15
0
des Carbonatgehalts war schwierig, da nur wenige Standorte mässige oder hohe Carbonatgehalte aufwie
sen. Das multiple R2 für die Analyse betrug nur 0.176, ein Hinweis darauf, dass etwa 83% der räumlichen Variabilität bei den Tendenzen hinsichtlich der Ver
lichtung «unerklärt» bleibt. Einige der Koeffizienten bei der Regression sind jedoch ziemlich hoch. So er
scheint beispielsweise Ozon mit einem Koeffizienten von 0.156, was besagt, dass, wenn alle anderen Vari
ablen konstant gehalten werden, ein AOT40-Wert von 35.25 oder mehr den durchschnittlichen Standortindi
kator um 0.156 erhöht. Ähnlich wird eine S-Deposi
tion von 1225 eq ha·1 a·1 oder mehr den durchschnitt
lichen Standortindikator um einen Wert von 0.22 er
höhen, wenn man annimmt, dass alle anderen Vari
ablen konstant gehalten werden. Andererseits tragen ein hoher Humusgehalt, ein mässiger Carbonatgehalt und Winter mit nur wenigen extremen Temperaturen dazu bei, die Trend-Indikatoren niedrig zu halten.
Die Zahl der ausgewählten Variablen im endgül
tigen Modell und das multiple R2 sind gering. Der grösste Teil der Variabilität der Reaktionsvariablen (der Standort-Trendindikator) bleibt unerklärt, was darauf hinweist, dass die wichtigsten Standortbedin
gungen, welche die Verlichtung betreffen, noch nicht erkannt wurden oder, dass die Methoden zur Messung der Parameter zur Beantwortung der hier gestellten Frage ungeeignet sind.
S: 0 = niedrig, 1 = hoch 0.35
] 0.30 'Ö C
� 0.25
C
I
"'
F 0.20
I
0
Carbonat: 0 = kein/schwach/stark, 1 = mässig
I
....
;:. 0.20 0
� 0.10 C C
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Abb. 5. Beziehung zwischen spezifischen Umweltvariablen und den Trend-Indikatoren für die Entwicklung der unerklärten Verlichtung. Die Fehlerbalken stellen ± einfache Standardabweichung dar.
80
4 Diskussion
Im Laufe der letzten zehn Jahre ist eine grosse Zahl von Studien über ;-die mögliche Rolle der Luftver
schmutzung bei der offensichtlichen Verschlechterung des Zustands der Bäume in der Schweiz durchgeführt worden. Das NFP14+-Projekt, das von 1985 bis 1989 lief, deutete darauf hin, dass gasförmige Luft
schadstoffe, wenn überhaupt, eine geringe Wirkung auf die Physiologie der Fichte in alpinen, subalpinen und Mittelland-Wäldern ausüben (HÄSLER 1991). Die Netto-Photosynthese sowie das Verhalten der Stomata wurden in erster Linie durch meteorologische Bedin
gungen gesteuert. Keine erheblichen Auswirkungen von Luftschadstoffen konnten auf der epikutikulären Wachsschicht der Nadeln von Fichten entdeckt wer
den (GÜNTHARDT-GOERG 1991). In Kombination mit Studien, die mit oben offenen Kammern durchge
führt wurden, liessen die soeben erwähnten Studien erkennen, dass für Weisstannen und Fichten keine Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie durch Ozonkon
zentrationen in der umgebenden Luft beeinträchtigt werden. Buchen waren empfindlicher und zeigten Reaktionen auf Ozonkonzentrationen in der umge
benden Luft.
Weitere Forschungsarbeit wurde von Flückiger und seinen Mitarbeitern geleistet. Ein besonders wich
tiges Ergebnis bestand in der Festst�llung, dass die Düngung eines alpinen Standorts von Fichten zu einer wesentlichen Verminderung der Kronenverlichtung führte, was mit einer erheblichen Steigerung des radia
len Zuwachses, des Triebwachstums, der Nadellänge und des Stärkegehalts der Feinwurzeln einherging (FLOCKIGER und BRAUN 1995). Die Phosphorkon
zentrationen scheinen besonders kritisch zu sein. Die Ergebnisse weisen stark darauf hin, dass eine schlechte Versorgung mit Nährstoffen eine wichtige Rolle bei der Verlichtung spielt, die in vielen Gegen
den der Alpen beobachtet wurde, womit Studienresul
tate aus anderen Alpenländern bestätigt werden.
Das Fehlen einer engen Beziehung zwischen der Entwicklung der Baumkronenverlichtung und der Bodenazidität ist interessant und entspricht Ergebnis
sen, wie sie in anderen Ländern gewonnen wurden, zum Beispiel in den Niederlanden (DE VRIES et a/.
1995b). In den Niederlanden hatte die Aluminium
konzentration in der Bodenlösung keine Wirkung auf den Zustand der Baumkronen, und es wird interes
sant sein, nachzuprüfen, ob sich aus den Schweizer Daten irgendein Zusammenhang erkennen lässt.
Die Analyse hat ergeben, dass in der ganzen Schweiz die Verlichtung in Gebieten mit höheren Ozonkonzentrationen schneller zugenommen hat. Ein ähnliches Muster wurde bei einer regionalen Analyse des Nadelverlusts der Kronen von Fichten im Süden der Schweiz festgestellt. Das Muster ist schwer zu er
klären, da viele der in die Studie aufgenommenen Baumarten, einschliesslich der Fichte, nicht als diesem Gas gegenüber empfindlich angesehen werden. Aller
dings wurde jetzt nachgewiesen, dass Ozon Blattschä-
FORUM für Wissen 1997 digungen an einer Reihe von empfindlichen Strauch
und Baumarten in der Schweiz verursacht (SKELLY et al. 1997). Möglicherweise ist oder sind eine oder meh
rere Umweltvariablen nicht in diese Studie einbezo
gen worden, die einen Einfluss auf die Verlichtung von Baumkronen haben und mit Ozon in einer Wechselwirkung stehen. Dies würde die Ergebnisse erklären, die in den statistischen Analysen gefunden wurden. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Wir
kungen von Ozon über Bahnen erfolgen, die bisher noch nicht in experimentellen Studien erkannt wur
den. Dasselbe trifft weitgehend auch für Schwefelde
positionen zu.
Von den verschiedenen Formen der gasförmigen Umweltverschmutzung scheint bisher Ozon die gröss
te Gefahr für die Pflanzenarten in den Schweizer Wäl
dern darzustellen. Die Fichte und die Weisstanne sind gegenüber Ozon in den zur Zeit vorkommenden Konzentrationen relativ unempfindlich, während eini
ge breitblättrige Arten als empfindlich identifiziert wurden (GÜNTHARDT-GO ERG et al. 1993). Blatt
schädigungen, die mit denjenigen vergleichbar sind, welche durch Ozon verursacht werden, wurden an ungefähr 60 einheimischen Kräuter-, Strauch- und Baumarten festgestellt, und experimentelle Studien haben bestätigt, dass die Schädigung an mindestens 10 dieser Arten durch Ozon verursacht wird (SKELL Y e t a/. 1997). Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass der sich offenbar verschlechternde allgemeine Gesund
heitszustand der Bäume, von dem die Sanasilva-Beur
teilungen berichten, durch Ozon verursacht wird, da verschiedene der einbezogenen Hauptarten gegenüber diesem Typ der Umweltverschmutzung relativ unemp
findlich sind.
Die Verwendung epidemiologischer Methoden zur Erklärung räumlicher und zeitlicher Unterschiede hinsichtlich des Gesundheitszustands von Baumkro
nen, wie sie hier zur Anwendung kamen, ist proble
matisch (INNES und WH ITTAKER 1993). Insbeson
dere kann eine statistische Korrelation nicht als Be
weis für einen Kausalzusammenhang genommen wer
den. Statistische Analysen können dazu beitragen, Hypothesen zu untermauern oder zu widerlegen, und sie können auch zur Formulierung neuer Hypothesen dienen. Jede statistische Korrelation, die durch solche Analysen erkannt wird, muss durch experimentelle Forschungsarbeit überprüft werden, um die sich dar
aus ergebende Hypothese zu bestätigen. Dies trifft be
sonders angesichts der Schwierigkeiten bei der Aus
sonderung der einzelnen Faktoren zu, die den Zu
stand der Baumkronen beeinträchtigen, von denen viele selbst Wechselbeziehungen untereinander auf
weisen.
Ein letztes Argument besteht darin, dass der zu
grundeliegende sensitive Parameter, nämlich die Ver
lichtung der Baumkronen, hinsichtlich seiner Beurtei
lung vielen Ungewissheiten ausgesetzt ist (GHOSH et a/. 1995). Die Genauigkeit und Reproduzierbarkeit der subjektiven Beurteilungen des Baumkronenzu
stands unterliegen einer Vielfalt von Faktoren (KÖHL
1991), von denen viele nur äusserst schwer zu quanti
fizieren sind. Der niedrige R2-Wert, der für das multi
ple Regressionsmodell erzielt wurde, könnte zu einem grossen Teil auf die Unterschiede bei den Beurteilun
gen der Verlichtung von einem Jahr zum anderen und im Verlauf der einzelnen Jahre zurückzuführen sein.
5 Folgerungen
Auf europäischer Ebene stellt die Schweiz einen Grenzfall dar zwischen Regionen, in denen die kriti
schen Belastungen mit S, N und Azidität für alle Bö
den überschritten werden und solchen, in denen nur die empfindlichen Böden betroffen sind. Das Muster wird noch komplizierter durch die Vielfalt der Boden
typen in der Schweiz. Diese Umstände lassen vermu
ten, dass es viele Schwierigkeiten geben wird, Zu
sammenhänge zwischen dem Zustand der Baumkro
nen und kritischen Belastungen zu finden. Diese Schwierigkeiten können folgendermassen zusammen
gefasst werden:
1. Der zugrundeliegende sensitive Parameter, die Baumkronenverlichtung, ist ein allgemeiner Indi
kator für den Gesundheitszustand des Baumes.
Dieser funktioniert am besten in Extremfällen, wenn beispielsweise ein Baum völlig entlaubt ist, er ist aber weniger nützlich in den mittleren Berei
chen. Ein erheblicher Anteil der Bäume in der Schweiz fallen in den Bereich einer 15-30%igen Verlichtung.
2. Die komplexe Topographie der Alpen erschwert die Modellierung von Umweltparametern. Das be
deutet, dass für viele der Variablen, welche das Muster für die Verlichtung erklären könnten - ein
schliesslich der Schätzungen der Schadstoffdeposi
tionen - beträchtliche Unsicherheiten bestehen.
Insbesondere sind die Schätzungen der AOT40- Werte bestenfalls als vorläufig anzusehen, und die Grundlage für ihre Berechnung wurde noch nicht allgemein zugänglich gemacht. Dadurch wird es äusserst schwierig, ihre Zuverlässigkeit zu beurtei
len.
3. Die lokale Variabilität ist extrem hoch, und zwar sowohl was die verursachenden Variablen als auch was die sensitiven Variablen angeht. Dies bedeutet, dass ein äusserst enger Netzwerkraster der Stand
orte erforderlich wäre, um den potentiellen Ursa
che/Wirkung-Mechanismus voll auswerten zu kön
nen. Ausserdem sind die Probengrössen der Bäume auf den einzelnen Stichprobenflächen manchmal sehr klein, was zu weiteren Interpreta
tionsschwierigkeiten führt.
4. Es liegen keine genauen Schätzungen für das Alter der Bestände auf den Stichprobenflächen vor. An
gesichts der Wichtigkeit des Bestandesalters als
Einflussgrösse für die Verlichtung, verhindert die
ser Umstand eine straffere Beziehung zwischen Verlichtung und erklärenden Variablen.
Die oben angegebenen Schwierigkeiten, die zwar in der Schweiz besonders ausgeprägt sind, mit denen aber auch viele andere Länder konfrontiert sind (zum Beispiel Norwegen - THOMSEN et al. 1995), haben zu einer internationalen Überarbeitung des Vorgehens geführt, mit dem man Zusammenhänge zwischen dem Gesundheitszustand des Waldes und Schadstoffbela
stungen herzustellen versucht. Statt einer einfachen jährlichen Inventur mit zahlreichen Stichprobenflä
chen aber wenigen Beobachtungen wurde über ganz Europa ein Netzwek von Beobachtungsflächen er
stellt, auf denen jetzt viel detailliertere Messungen vor
genommen werden. Dazu gehören ins Detail gehende Bestimmungen des Baumkronenzustands, wozu eine Vielfalt von Variablen verwendet wird, und Messun
gen einer ganzen Reihe verschiedener Umweltvaria
blen vor Ort, einschliesslich Bodenchemie, Schad
stoffdepositionen und meteorologische Daten. Einer
seits stellt jede dieser Stichprobenflächen eine Fall
studie dar, andererseits sind aber in der Gesamtheit der in Europa etablierten Stichprohenflächen die wichtigsten Kombinationen der Boden- und Klima
verhältnisse vertreten und durch die modernen Kom
munikationsmittel ist ein vollständiger und rascher Datenaustausch gewährleistet.
In der Schweiz wurde im Verlauf der letzten zehn Jahre eine Zunahme des Anteils der Bäume der Ver
lichtungsklasse 1 (15-25%) und der Klasse 2 (30-60%) beobachtet. Die Ursachen für diesen Trend sind noch unbekannt. Als Erklärungen kommen in Frage: natür
liche Schwankungen, Veränderungen der Methodik, klimatische Faktoren, eine allgemeine Überalterung der Bestände, Luftschadstoffe, Veränderungen der Bodenchemie, eine Zunahme der Insektenpopulatio
nen oder der Pilze und einige spezifische waldbauli
che Praktiken. Die potentielle Ursache für den Trend ist zur Zeit Gegenstand intensiver Forschung, aber es steht jetzt schon eindeutig fest, dass die zur Zeit übli
che Inventur, mit der beabsichtigt wurde, Verände
rungen im Zustand der Baumkronen festzustellen, wahrscheinlich nicht viel mehr Informationen über die Kausalzusammenhänge zwischen Versauerung und Verlichtung liefern wird. Statt dessen hat ein Pro
gramm intensiver Messungen an einer begrenzten Zahl von Standorten begonnen. An diesen Standorten werden Messungen der Bodenchemie, der Schadstoff
depositionen, der Meteorologie und einer Reihe ande
rer Umweltvariablen vorgenommen, und diese wer
den mit den Beurteilungen des Kronenzustands einer grossen Anzahl Bäume an jedem Standort in Verbin
dung gebracht. Über ganz Europa verteilt wurden 650 solche Standorte vorgesehen, um den Ursache/
Wirkung-Mechanismus zu bestimmen, der den Ge
sundheitszustand der Bäume beeinträchtigt.
82
6 Dank
Wir sind Herrn B. Rihm dankbar dafür, dass er uns die digitale Version seiner Datensammlung zur Um
weltverschmutzung zur Verfügung gestellt hat. Die hier vorgelegte Arbeit hätte nicht ohne den Einsatz der Feldequipen, die an den jährlichen Inventuren be
teiligt sind, durchgeführt werden können. Ihr Beitrag sei dankend anerkannt. J. Wey und A. Baltensweiler haben durch die Bereitstellung von Daten und Karten ausserordentlich wertvolle Beiträge geleistet.
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