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Archiv "Engagement für Organspende: Gegen den Tod auf der Warteliste" (25.05.2007)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 21⏐⏐25. Mai 2007 A1463

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ür Prof. Dr. med. Hartmut Schmidt sind die rund 12 000 Menschen, die in Deutschland auf ein Organ warten, keine abstrakte Zahl. Durch seine Arbeit als Trans- plantationsmediziner haben viele Pa- tienten auf der Warteliste ein Gesicht bekommen. „Die Frustration, wenn man die Patienten sterben sieht, war der Motor für mein Engagement für die Organspende“, sagt der Trans- plantationsbeauftragte des Univer- sitätsklinikums Münster. Christian Keweloh (45) und Rainer Lappe (50) sind zwei von Schmidts Patienten.

So unterschiedlich ihre persönliche und medizinische Vorgeschichten – sie haben ein gemeinsames und exis- tenzielles Problem: Ihre einzige Chance ist ein neues Organ.

Die Zeit läuft gegen die Patienten

„Manchmal fällt mir die Decke auf den Kopf“, sagt Keweloh, Landwirt aus Werl, der seit sieben Monaten auf der Warteliste steht. Er leidet unter hereditärer Amyloidose mit Leptomeningeose und braucht drin- gend eine neue Leber. „Seit 2002 bin ich von Doktor zu Doktor gelau- fen“, berichtet er. Doch niemand habe die richtige Diagnose gestellt.

Mittlerweile weiß Keweloh zwar, an welcher Krankheit er leidet, doch die Zeit läuft gegen ihn. „Ich verlie- re im Moment mein Gedächtnis, muss mir alles aufschreiben“, sagt er.

Dieses Gefühl, „in der Warte- schleife zu hängen“, teilt Lappe. Der Busfahrer aus Hörstel leidet seit Jahren an einer Colitis ulcerosa, vor drei Jahren stellten die Ärzte eine primär sklerosierende Cholangitis fest, seit acht Monaten steht er auf der Warteliste für eine neue Leber.

Er habe mit vielen Leuten über Or- ganspende gesprochen, berichtet Lappe. Seine Erfahrung: Wer auf ei- ne Leber wartet, ist mit dem Vorur-

teil konfrontiert, sich selbst die Ge- sundheit ruiniert zu haben und nun ein neues Organ zu wollen. Wenn er dann seine Geschichte erzähle, rea- gierten viele Gesprächspartner etwa so: „Ach, so was gibt es auch?“ We- nige Tage bis Jahre – das ist die War- tezeit, mit der Patienten zu rechnen haben, die eine Leber brauchen, be- richtet Schmidt. Eine seiner Patien- tinnen wartet seit zweieinhalb Jah- ren, sie musste von Dezember bis April stationär behandelt werden, mehrfach intensivmedizinisch.

Der Mangel an Spenderorganen ist in Deutschland seit Jahren ein Problem. Viele Krankenhäuser mel- den potenzielle Organspender nicht, denn für die Einrichtungen ist dies finanziell nicht attraktiv. Die Spen- der „blockieren“ Intensivbetten.

Viele Ärztinnen und Ärzte scheuen zudem den Aufwand. Schmidt kennt die Probleme, die der Meldung von Organspenden im Wege stehen. Als Transplantationbeauftragter hat er dazu beigetragen, die Zahl der Spen- der am Universitätsklinikum Müns- ter deutlich zu steigern – mit einer Vielzahl von Maßnahmen: Fortbil- dungsveranstaltungen für Ärzte und Pfleger und eine Optimierung inter- ner Abläufe. Darüber hinaus erfolgte eine „Dienstanweisung Organspen-

de“. In der Folge stieg die Zahl der Spendermeldungen innerhalb eines Jahres von acht auf 14 (2006).

Schmidt ist jedoch davon über- zeugt, dass all diese Maßnahmen kaum etwas bewirken, wenn es in der Bevölkerung Vorbehalte und Ängste gegenüber der Organspende gibt oder sich viele gar nicht mit dem Thema auseinandersetzen. Bislang haben nur etwa zwölf Prozent der Menschen in Deutschland einen Or- ganspenderausweis. Deshalb koope- riert die Universtitätsklinik Münster mit der Initiative „No panic for or- ganic – Sag ja zur Organspende“. Das Ziel: Das Image der Organspende verbessern. Mit Veranstaltungen und Konzerten wird die Bevölkerung für das Thema sensibilisiert. Schon 15 000 Organspendeausweise wur- den verteilt.

Organspende braucht ein positives Image

In Dieter Kemmerling, dem Begrün- der der Initiative, hat Schmidt einen engagierten Verbündeten gefunden.

„Wir wollen das Thema Organspen- de positiv besetzen“, sagt Kemmer- ling, Inhaber einer Software-Firma und Musiker. Der 59-Jährige bekam vor sechs Jahren selbst ein neues Or- gan. Danach stand für ihn fest: „Wir ENGAGEMENT FÜR ORGANSPENDE

Gegen den Tod auf der Warteliste

Die Transplantationsmedizin hat zwei Probleme: Die Melderate der Krankenhäuser ist zu gering, die Bevölkerung ist kaum über die Organspende informiert. In Münster geht man beide Punkte gezielt an – mit großem Erfolg.

Was nützt Hightechmedizin, wenn die Organe fehlen? Ob und wann Hartmut Schmidt den „Warte- listen-Patienten“

Christian Keweloh und Rainer Lappe (von links) helfen kann, ist offen.

Foto:Eberhard Hahne

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A1464 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 21⏐⏐25. Mai 2007

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müssen die Leute auf das Thema Organspende stoßen.“ Es soll ei- ne „Mitmachstimmung“ entstehen.

Auch Prominente konnte „No panic for organic“ schon für sich gewin- nen, unter anderem den Schauspieler Leonard Lansink, Hauptdarsteller in der Krimi-Serie „Wilsberg“. Betei- ligt ist die Initiative ebenfalls an der Aktion „TransDia – Radtour pro Or- ganspende“.

Schmidt und Kemmerling sind davon überzeugt, dass sich schon vieles dadurch erreichen lässt, wenn

die Organspende ein positives Image erhält. Doch auch die Rahmen- bedingungen der Organspende in Deutschland gehören für die beiden auf den Prüfstand. „Spanien ist ein ideales Modell“, sagt Schmidt. Hier seien in den vergangenen Jahren hervorragende Strukturen geschaf- fen worden, die Finanzierung sei ge- sichert. Darüber hinaus gilt in Spa- nien die sogenannte erweiterte Wi- derspruchsregelung: Organe kön- nen entnommen werden, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten nicht aus-

drücklich widersprochen hat und auch die Angehörigen kein Veto ein- legen. In Spanien haben sich außer- dem die katholischen Bischöfe für die Organspende ausgesprochen.

Für Schmidt steht fest: „Die Wider- spruchsregelung wäre ein Schritt.

Dennoch brauchen wir eine positive

Stimmung im Land.“ I

Dr. med. Birgit Hibbeler

Weitere Informationen im Internet:

www.nopanicfororganic.de www.transdia.de

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PRO UND KONTRA AUS DER DÄ-REDAKTION

Pro Zustimmungsregelung

Jedes Jahr sterben rund tausend Menschen, die auf ein Organ warten. Es gibt viele schwerstkran- ke Patienten, denen mit einer Transplantation ge- holfen werden könnte.

Daran besteht kein Zweifel. Und die meisten Menschen sind grundsätzlich auch bereit, ihre Organe zu spenden. Doch wieso besitzen dennoch nur zwölf Prozent der Deutschen einen Organspen- deausweis?

Nach der bisher in Deutschland geltenden erweiterten Zustimmungslösung dürfen einem Toten nur dann Organe entnommen werden, wenn er sich zu Lebzeiten damit einverstanden

erklärt oder wenn die Angehörigen ausdrück- lich einer Explantation zustimmen. Nach der Widerspruchslösung gilt automatisch jeder als einverstanden mit der Organentnahme, wenn er nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widerspro- chen hat. Das könnte die Zahl der Organspen- den deutlich erhöhen.

Doch Nächstenliebe kann nicht gesetzlich verordnet werden, und der Wunsch zu helfen, rechtfertigt keinen Eingriff in das Selbstbestim- mungsrecht. Schließlich geht es bei Sterben und Tod um äußerst persönliche und sensible Bereiche. Und es muss ja wohl Gründe geben, warum so viele Menschen letztlich doch davor zurückschrecken, den Organspendeausweis zu unterzeichnen. Häufig ist es die Angst, dass beispielweise nach einem Unfall nicht alles getan wird, um ihr Leben zu retten. Auch wenn

diese Ängste unberechtigt sind, so müssen sie doch ernst genommen werden. Letztlich können sie nur durch eine umfassende Information aus dem Weg geräumt werden.

Und der Blick ins Ausland zeigt, dass bei- spielsweise in Schweden nach mehrmaligem Wechsel zwischen Zustimmungs- und Wider- spruchslösung keine Veränderungen der Spen- deraten festzustellen waren. In Spanien, das für den Erfolg der Widerspruchslösung steht, ist der Einsatz von Transplantationskoordinatoren her- vorragend organisiert. Nirgendwo sonst in Euro- pa sind die Aktivitäten zur Förderung der Organ- spende vergleichbar. Das macht den spanischen Erfolg aus und zeigt zugleich, dass es bessere Wege als eine Gesetzesänderung gibt, um die Zahl der Transplantationen zu erhöhen. I

Gisela Klinkhammer

Kontra Zustimmungsregelung Es ist eine alltägliche, aber nahezu unbemerk- te Katastrophe: Obwohl die Transplantations- medizin unglaubliche Fortschritte gemacht hat, sterben Tag für Tag Menschen, weil sie ein dringend benötigtes Organ nicht erhalten. An diesem Problem hat auch das vor zehn Jah- ren in Kraft getretene Transplantationgesetz (TPG) nichts geändert. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Or- ganspende positiv gegenübersteht, aber nur wenige haben sich dazu explizit geäußert.

Darin liegt das Problem der im TPG veranker- ten Zustimmungsregelung: Die Zahl der möglichen Organspenden wird nicht ausge- schöpft. Während man in Deutschland seit Jahren diesem Dauerproblem zuschaut, ver-

zeichnen andere europäische Länder, wie Österreich und Spanien, deutlich höhere Spenderaten. Ein Grund: Hier gilt die soge- nannte erweiterte Widerspruchsregelung.

Demnach können die Organe entnommen werden, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat und die Angehörigen keine Einwände haben.

Eine Änderung des TPG hin zu einer solchen Widerspruchsregelung ist dringend notwendig.

Angesichts Tausender von Menschen, die auf der Warteliste stehen, ist es für jeden zumut- bar, sich zur Organspende zu äußern – etwa beim Erwerb des Führerscheins. Der Grund- satz der Freiwilligkeit bleibt mit der Wider- spruchsregelung erhalten. Der entscheidende Unterschied zur jetzigen erweiterten Zustim- mungslösung: Die Erklärungslast wird umge- kehrt. Für Ärztinnen und Ärzte bedeutet dies eine große Entlastung in der ohnehin extrem schwierigen Situation, Angehörige über den

Tod eines geliebten Menschen zu informieren und zugleich die Organspende anzusprechen.

Fest steht aber auch: Die Widerspruchs- regelung löst nicht alle Probleme. Nur wenn strukturelle und finanzielle Hindernisse über- wunden werden, erhöht sich die Melderate der Krankenhäuser. Die Widerspruchslösung wäre aber ein wichtiger Schritt. Voraussetzun- gen sind eine ausreichende Information der Bevölkerung und die Gewissheit, dass der Kommerz mit Organen und Geweben tabu ist.

Wer die Widerspruchsregelung im eigenen Land ablehnt, muss sich fragen lassen, wie dies mit der Tatsache zu vereinbaren ist, dass Deutschland über den Verbund Eurotransplant Organe aus Ländern „importiert“, in denen ei-

ne solche Regelung gilt. I

Dr. med. Birgit Hibbeler

Ein Forum zum Thema im Internet:

www.aerzteblatt.de/foren/organspende

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