0
Anforderungen an einen neuen Universaldienst aus Sicht der Verbraucher
PDL-Forum 28.11.2019
Sonja Thiele Senior Economist, Abteilung Post und Logistik
1
WIK – Wissenschaftliches Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste
• Unabhängige Forschung/Beratung durch bundeseigenes Institut
• Fokus auf Infrastruktur-Branchen
• Über 30 Jahre Erfahrung mit Tele- kommunikation und Digitalisierung
• 35 Wissenschaftler, überwiegend Ökonomen
• Großes Netzwerk von Partnern
• Weltweit erfolgreich mit klarem Fokus auf Europa
2
Der deutsche Postmarkt im europäischen Vergleich
Mengen
• Briefmengen in Deutschland gegenläufig zum internationalen Trend
• Relativ stabile Entwicklung seit globaler Finanzkrise
100 150 200 250 300 350
2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
Briefmengen pro Kopf
AT BE DE FR UK NL
DE: 188
AT: 195 FR: 169 UK: 168 NL: 152 BE: 143
3
Der deutsche Postmarkt im europäischen Vergleich
Preise
• Einzelsendungspreise steigen in vielen EU-Ländern stark, getrieben durch sinkende Mengen
0.00 0.50 1.00 1.50 2.00 2.50 3.00 3.50 4.00 4.50
2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
Briefpreise (20g, Inlandspreis, Einzelsendung)
AT BE FR NL UK DK IT Deutsche Post
4
Der deutsche Postmarkt im europäischen Vergleich
Qualität
• Deutsche Post: Trend zu leicht sinkender Qualität – für Einzelsendungen!
• 6-Tage-Zustellung ist Ausnahme in der EU
5
Kommunikationsverhalten heute
Wie nutzen Verbraucher Briefe?
Quelle: Bundesnetzagentur, Evaluationsstudie zum Post-Universaldienst
6
Kommunikationsverhalten heute
Voraussetzungen für Digitalisierung
• Deutsche Verbraucher und Unternehmen haben Zugang zu Breitband-Internet, aber sehr schnelles Internet hat sich noch nicht durchgesetzt
• Voraussetzungen für Nutzung digitaler Kommunikationskanäle sind vorhanden
Haushalte mit Breitband-Internetzugang in der EU
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
DK SE PT FI NL LT BE ES LU NO MT IE RO PL SI HU DE LV EE UK BG AT CZ SK FR CY IT HR EL Ø
% of enterprises
< 2 Mb/s ≥ 2 Mb/s, < 10 Mb/s ≥ 10 Mb/s, < 30 Mb/s ≥ 30 Mb/s, < 100 Mb/s ≥ 100 Mb/s 0
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
NL IS UK NO LU FI SE DE CH DK EE IE AT SI CZ ES CY BE MT HU IT FR HR SK LV PL RO LT PT EL BG Ø
% of households
2014 2018
Maximale vertragliche Geschwindigkeit für Breitband- Internetzugang in der EU (Unternehmen)
Quelle: Eurostat
7
Kommunikationsverhalten heute
Nutzung digitaler Anwendungen in Deutschland
• Deutschland im Mittelfeld bei
Nutzung fortgeschrittener digitaler Anwendungen
Internetnutzung für Onlinebanking
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
IS NO FI DK NL SE EE UK BE LU LV CH FR CZ LT DE IE AT MT SK ES PL SI HU HR PT IT CY EL BG RO Ø
% Einzelpersonen
2014 2018
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
IS NO SE LU FI DK EE CZ NL CH LT LV UK DE MT ES HU CY AT SK SI EL HR PL PT BE FR IE BG RO IT Ø
% of individuals
2014 2017
Internetnutzung für Zugang zu digitalen Zeitungen/Zeitschriften oder Online-Nachrichten
8
Kommunikationsverhalten heute
E-Government
• Beim E-Government liegt Deutschland im EU-Vergleich weit zurück
• Nur 38% der Bürger nutzen digitale Kanäle, um mit Behörden zu kommunizieren (2017)
E-Government Nutzer 2017
9
Kommunikationsverhalten heute und morgen
Verbraucher
Private Kommunikation
• Private Kommunikation bereits größtenteils substituiert
• Karten und Briefe zu besonderen Anlässen:
Feiertage und Feste
Trend
• Stabil / leichter Rückgang
• Millenials?
Gov2C und C2Gov
• Kommunikation Bürger und öffentlicher Sektor oft per Brief
• z.B. Stadtverwaltungen, Behörden, kommunale Unternehmen
Trend
• Großes
Substitutionspotenzial
• Voraussetzung: einfache E-Government-Lösung
10
Kommunikationsverhalten heute und morgen
Unternehmen
Rechnungen etc.
• Elektronische
Rechnungen nehmen zu
• Onlineportale für Rechnungen, Vergabeportale
Trend
• Weitere Digitalisierung
• Hindernis: Föderalismus, Kultur
• eher Insellösungen als großer Wurf
Werbung
• Adressierte Werbung erfolgreich
• Große Bandbreite an Briefprodukten
Trend
• Stabile
Mengenentwicklung
• Genutzt in
Kombination mit digitalen Medien
11
Internationale Perspektive
• Wie kommunizieren Verbraucher in anderen Ländern?
• Zwei Länderbeispiele zu Digitalisierung und Auswirkungen auf den Briefmarkt
12
Dänemark
Kommunikationsportal E-boks
• E-boks ist B2C-Portal für sichere elektronische Kommunikation
• Bürger / Verbraucher sind Empfänger! Keine Sendefunktion für Private
• Existiert seit 2001, im Eigentum der dänischen Post (jetzt PostNord) und Zahlungsdienstleister Nets
• E-Governmentdienst seit 2009
• Verpflichtend für Dänen
• Ca. 500.000 Ausnahmen
13
Dänemark
E-boks: Nutzung und Kosten
• E-boks wird genutzt für Vielzahl von Anwendungen in allen
Branchen: Banken, Versicherungen, Versorgungsunternehmen, Gesundheitssektor, Behörden
• 2018: 16 Mio. Nutzer in Skandinavien (auch Schweden, Norwegen, Grönland)
• Grundfinanzierung des Portals durch dänische Regierung: ca. 8 Mio. € pro Jahr
• Versender zahlen für Versand abhängig von Dateigröße, etwa 0,05
€ für eine Rechnung
• Keine Kosten für Bürger
14
Dänemark
Briefmarkt und Universaldienst
• Briefmarkt
Starker Rückgang: 3 von 4 Briefen
• Universaldienst
Nur Einzelsendungen
Zustellung am nächsten Werktag ist möglich, aber sehr teuer
Zweite Klasse wird
alternierend zugestellt: 1.
Woche Mo / Mi / Fr, 2.
Woche Di / Do
Standardlaufzeit D+5
15
Niederlande
Kommunikationsportal Mijn Overheid
• Niederländisches E-Government-Portal Mijn Overheid mit Identifikationssystem DigiD
• Grundsätzlich freiwillig, aber verpflichtend für Kommunikation mit Steuerbehörden seit 2015
Ausnahmen für 26.000 Bürger
• DigiD: 13,5 Millionen Nutzer (Bürger und Unternehmen)
= 95% der Bevölkerung über 14 Jahren in 2019
• ~4,7 Millionen empfangene Nachrichten über das Portal pro Monat
16
Niederlande
Mijn Overheid: Kosten
• Zuerst staatlich finanziert
• Seit 2018 zahlen angeschlossene Unternehmen oder öffentliche Institutionen für Nutzung
pro Anmeldevorgang eines Nutzers (0,117 €)
Kosten für Versand über das Portal in 2019: 0,44 €
17
Niederlande
Briefmarkt und Universaldienst
• Briefmarkt
Mengenverlust >50% seit 2009
• Universaldienstumfang
Zustellung an 5 Werktagen:
Dienstag bis Samstag
nur Einzelsendungen Brief und Paket
keine Zeitungen/Zeitschriften, Bücher, Kataloge
Pakete im Universaldienst bis 10kg für Inlandssendungen
18
Niederlande
Einschätzungen der Nutzer
Nutzereinschätzungen verändern sich, wenn digitale Kanäle genutzt werden
Auch skeptische Nutzer erkennen Vorteile
69% der Verbraucher und 71% der KMUs würden weniger als 5 Zustelltage/Woche akzeptieren
Größere Entfernung zur Poststelle akzeptabel
Quelle: MinEZ/GfK, Behoeften Postmarkt 2016
19
Anforderungen deutscher Nutzer
• Zu Bedürfnissen von deutschen Verbrauchern kaum (veröffentlichte) Erkenntnisse
• 2018: repräsentative Befragung der BNetzA
1.500 befragte Verbraucher
500 befragte KMU
Befragungszeitraum Frühjahr/Sommer 2017
20
Anforderungen deutscher Nutzer
Verbraucher: Bereitschaft zur Substitution
• Gründe sind v.a. persönliche Ansprache (29% ) und Sicherheitsaspekte (14%)
Quelle: Bundesnetzagentur, Evaluationsstudie zum Post-Universaldienst
21
Anforderungen deutscher Nutzer
Unternehmen: Bereitschaft zur Substitution
• Gründe: Schriftform / Originaldokumente (28%), Wunsch von Geschäftspartnern (16%)
• Sicherheitsaspekte finden nur 11% relevant
22
Ausblick
Zukünftige Trends
• Briefmarktentwicklung in Deutschland bisher viel besser als im europäischen Vergleich
• Gründe: gut entwickelter Werbemarkt, Wettbewerb, wenig Substitution, Föderalismus
• Zukunft: Wann kippt der Trend?
• Deutlicher Sendungsmengenrückgang zu erwarten, falls einfache E-Governmentlösung sich durchsetzt – Vorbildfunktion
23
Ausblick
Anforderungen der Verbraucher an Briefdienste
• Verbraucher heute sind v.a. Empfänger
• Tägliche Zustellung an 6 Werktagen verliert an Bedeutung – für Briefe
• Schnelle Zustellung für immer weniger Verbraucher von Bedeutung
• Gruppe derjenigen, die auf Briefe angewiesen sind, schrumpft
• Briefdienste werden noch für lange Zeit wichtiger
Kommunikationskanal bleiben, aber Inhalte und Anlässe ändern sich
• Internationale Erfahrungen: Wahlmöglichkeiten sind wichtig
24
Ausblick
Anforderungen der Verbraucher an Paketdienste
• Bedeutung der Paketdienste für viele Verbraucher höher als Briefdienste – E-Commerce!
• Zustellung:
Standard 6x/Woche
Empfänger wollen Auswahl von Zeitfenstern, Abendzustellung, alternative PUDOs
Schnelligkeit!
• Internationale Erfahrungen: Postunternehmen, die aus Kostengründen tägliche Paketzustellung einschränken, sind wenig erfolgreich im
Paketmarkt
Sind rechtliche Vorgaben zum Universaldienst für E- Commerce-Pakete
erforderlich?
WIK Wissenschaftliches Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste GmbH
Sonja Thiele
Tel.: +49 2224-9225-34 s.thiele@wik.org
www.wik.org