M 115/2006 GEF 9. August 2006 44C Motion
1481 Wisler Albrecht, Burgdorf (SP)
Weitere Unterschriften: 0 Eingereicht am: 28.03.2006
Keine unnötigen Hürden beim Datenschutz in der Sozialhilfe
Der Regierungsrat wird beauftragt, die rechtlichen Grundlagen zu erlassen, damit die Sozialdienste einen unbürokratischen Zugriff auf die für die Sozialhilfe relevanten Personendaten innerhalb der Verwaltung haben.
Begründung:
Im Alltag eines Sozialarbeiters bzw. einer Sozialarbeiterin stellen sich immer wieder Datenschutzfragen. So sollte der Sozialdienst beispielsweise im direkten Kontakt mit den zuständigen Stellen abklären können, ob Leistungen der Arbeitslosenversicherung ausbezahlt werden bzw. warum nicht oder ob die Aufenthaltsbewilligung demnächst verlängert wird. Datenschutzfragen stellen sich auch bei der Dossierübertragung beim Wegzug des Sozialhilfeempfängers in eine andere Gemeinde. Der Umgang mit Personendaten in der Sozialhilfe ist einerseits im Sozialhilfegesetz (SHG) geregelt, andererseits gelten auch andere Grundlagen, insbesondere das Datenschutzgesetz. Die Rechtslage im Kanton Bern ist alles andere als klar und die Sozialdienste sind entsprechend verunsichert.
Gemäss Artikel 8 Absatz 2 Sozialhilfegesetz haben Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter über Angelegenheiten, die ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit zur Kenntnis gelangen, zu schweigen. Die Bekanntgabe von Daten ist den Sozialarbeiterinnen und -arbeitern in drei Fällen erlaubt,
• wenn das Erfüllen der Sozialhilfeaufgaben dies zwingend erfordert
• wenn die betroffene Person ihre ausdrückliche Zustimmung erteilt hat
• wenn dies die besondere Gesetzgebung vorsieht.
Vor allem der erste Punkt führt bei den Sozialdiensten immer wieder zu Interpretationsschwierigkeiten und Unsicherheiten. Was heisst zwingend notwendig? Ist nur die Abklärung der Subsidiarität gemeint oder geht es auch um Integrationsaufgaben? Der vorsichtige Sozialarbeiter verzichtet auf vertiefte Abklärungen und zahlt Sozialhilfe aus; die mutige Sozialarbeiterin nimmt Rücksprache mit dem RAV und riskiert eine Strafanzeige wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses.
Ein unkomplizierter Datenaustausch innerhalb der Verwaltung darf ohne ausdrückliche Zustimmung der betroffenen Person nicht erfolgen, was in der Praxis zu abstrusen Resultaten führen kann. Beispielsweise kann der Sozialdienst nicht von sich aus beim Migrationsdienst nachfragen, ob die vorgelegte abgelaufene Aufenthaltsbewilligung demnächst erneuert wird oder wie lange das Verfahren noch dauern wird. Umgekehrt darf der Sozialdienst dem Migrationsdienst ohne Zustimmung der betroffenen Person keine Auskunft darüber geben, ob diese Sozialhilfe bezieht bzw. wie lange sie Leistungen
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bezogen hat. In anderen Kantonen (z.B. Basel Stadt) ist es möglich, dass diese Auskunft direkt zwischen den Verwaltungsstellen erfolgen kann. Eine Ermächtigung (nicht aber eine Verpflichtung) des Sozialdienstes zur Kontaktaufnahme wäre für die Praxis hilfreich.
Eine Gesetzesanpassung ist meines Erachtens nicht notwendig, sondern Ausführungsbestimmungen zu Artikel 8 Absatz 2 SHG, welche die unbestimmten Begriffe präzisieren, genügen.
Antwort des Regierungsrates
1. Ausgangslage
Die Motion verlangt rechtliche Grundlagen, damit den Sozialdiensten ein unbürokratischer Zugriff auf die für die Sozialhilfe relevanten Personendaten der Verwaltung zur Verfügung steht. Die Motionärin weist in der Begründung darauf hin, dass Ausführungsbestimmungen für den Datenfluss von anderen Amtsstellen zu den Sozialdiensten und von den Sozialdiensten zu anderen Verwaltungsstellen notwendig sind.
2. Massgebende gesetzliche Grundlagen
Die Sozialdienste haben bei der Beschaffung und Bearbeitung von Personendaten das kantonale Datenschutzgesetz vom 19. Februar 1986 (BSG 152.04) zu beachten sowie allfällige Datenschutzbestimmungen in anderen Erlassen. Dies gilt auch für alle anderen Verwaltungszweige von Kanton und Gemeinden. Die Datenschutzgesetzgebung geht vom Prinzip aus, dass Personendaten in der Regel bei der betroffenen und nicht bei einer anderen Person zu beschaffen sind. Die direkte Beschaffung der Personendaten durch eine Behörde bei einer anderen Behörde erfolgt somit nur subsidiär, d.h., wenn die entsprechenden Daten nicht direkt bei der betroffenen Person erhältlich sind (davon ausgenommen sind Sachverhalte, in denen die Gesetzgebung eine Behörde zur Weitergabe von Daten verpflichtet). Nach Artikel 10 des Datenschutzgesetzes werden Personendaten einer anderen Behörde bekannt gegeben, wenn (a) die verantwortliche Behörde zur Erfüllung ihrer Aufgabe gesetzlich dazu verpflichtet oder ermächtigt ist oder (b) die Behörde, die Personendaten verlangt, nachweist, dass sie zu deren Bearbeitung gesetzlich befugt ist und keine Geheimhaltungspflicht entgegensteht oder (c) trotz Unvereinbarkeit der Zwecke die betroffene Person ausdrücklich zugestimmt hat oder es in ihrem Interesse liegt.
Das Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe vom 11. Juni 2001 (Sozialhilfegesetz, SHG;
BSG 860.1) enthält in Artikel 8 eine Bestimmung zur Schweigepflicht. Danach haben Personen, die sich mit dem Vollzug des Gesetzes befassen über Angelegenheiten, die ihnen dabei zur Kenntnis gelangen und die ihrer Natur nach oder gemäss besonderer Vorschrift geheim zu halten sind, zu schweigen (Absatz 1). Mitteilungen an Behörden oder an bestimmte Privatpersonen sind ihnen erlaubt, wenn die Betroffenen hierzu ihre ausdrückliche Zustimmung erteilen oder wenn das Erfüllen der Sozialhilfeaufgaben es zwingend erfordert (Absatz 2). Besondere Mitteilungspflichten und Mitteilungsrechte gemäss besonderer Gesetzgebung bleiben vorbehalten (Absatz 3).
Im Sozialversicherungsbereich (AHV, IV, Arbeitslosenversicherung) aber auch im Steuerrecht und in anderen Bereichen vollzieht der Kanton Bundesrecht. Dort, wo das Bundesrecht den Datenfluss – etwa mit besonderen Geheimhaltungspflichten – einschränkt, ist dem Kanton ein Einwirken nur höchst beschränkt möglich. Auch auf Bundesebene sind jedoch Regelungen geschaffen worden, die einen Datenfluss zu den
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Sozialhilfebehörden zulassen sollen (vgl. etwa Art. 97 a Buchstabe f des Bundesgesetzes über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung).
3. Umsetzung in der Praxis
Die Motionärin führt aus, dass die gesetzliche Regelung in der Praxis zu unbefriedigenden Resultaten führen könne. Der Vollzug der Sozialhilfegesetzgebung im Bereich der individuellen Hilfe ist Sache der Gemeinden bzw. ihrer Sozialdienste. Grundlage und Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeitenden und Hilfesuchenden im Einzelfall ist ein gutes Vertrauensverhältnis. Im Rahmen einer solchen Zusammenarbeit sollte es deshalb in der Regel auch möglich sein, im Einverständnis mit der betroffenen Person mit anderen Amtsstellen Daten auszutauschen.
Bei der Bekanntgabe von Personendaten durch die Verwaltung ist immer eine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen. Dabei ist das öffentliche Interesse an der Durchführung einer Verwaltungsaufgabe gegen das Interesse der betroffenen Personen an der Geheimhaltung der sie betreffenden Daten abzuwägen. Mit zu berücksichtigen ist, dass Daten über Massnahmen der sozialen Hilfe oder fürsorgerischen Betreuung besonders schützenswerte Personendaten sind (Art. 3 Bst. c Datenschutzgesetz). Dem öffentlichen Interesse ist deshalb nicht leichthin der Vorzug zu geben.
Aus den Kontakten mit den Sozialdiensten verfügt das Kantonale Sozialamt nicht über Hinweise, dass der Vollzug der Gesetzgebung in der Praxis zu Schwierigkeiten führt. In einzelnen Fällen ist es aber zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Sozialbehörde und Sozialdienst über den Datenfluss zwischen diesen beiden Organen gekommen. Denkbar ist, dass es im Einzelfall bei der Rechtsgüterabwägung zu unklaren Prioritäten kommen oder dass mangels der zur Verfügung stehenden Zeit die Einholung des Einverständnisses der betroffenen Person zu Schwierigkeiten führen kann.
4. Möglicher Handlungsbedarf
Artikel 8 Absatz 2 SHG enthält keine konkretisierenden Hinweise, welche Aufgaben der Sozialhilfe eine Datenweitergabe an Behörden oder an bestimmte Privatpersonen zwingend erfordern. Der Regierungsrat ist bereit, unter Beizug von Vertreterinnen und Vertretern der Praxis die Frage der Notwendigkeit klärender Bestimmungen im Bereich Datenschutz zu prüfen. Eine entsprechende Analyse erweist sich zum heutigen Zeitpunkt auch deshalb als sinnvoll, weil sich der Kanton Bern am wichtigen interinstitutionellen Pilotprojekt des Bundes „MAMAC„ (medizinisch – arbeitsmarktliche Assessments im Rahmen des Casemanagements) beteiligen wird. Im Rahmen dieser engeren Zusammenarbeit von Sozialhilfe, Arbeitslosenversicherung und Invalidenversicherung werden sich auch datenschutzrechtliche Fragen stellen.
Erst aufgrund der Ergebnisse dieser Prüfung kann entschieden werden, ob und gegebenenfalls welche, Ausführungsbestimmungen vorzuschlagen sind.
Antrag: Annahme als Postulat
An den Grossen Rat