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Archiv "Internationale Aktion gegen Beschneidung" (07.06.1996)

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Academic year: 2022

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olgende Begebenheit ist leider kein Einzelfall mehr: Eine hoch- schwangere Afrikanerin wird zur Entbindung in eine Londo- ner Klinik eingeliefert. Als die Heb- amme den Unterleib der jungen Frau freimacht, ist sie fassungslos. Dort, wo die Härchen des Babys bereits aus dem Leib hervorschauen, ist nur ein winzi- ges kleines Loch zu sehen. Was die Hebamme nicht weiß: Sie steht vor ei- ner pharaonisch beschnittenen Frau, die „gewaltsam“ geöffnet werden muß, um ihr Kind gebären zu können.

In diesem Fall ging noch einmal alles gut. Die herbeigeeilten Ärzte operier- ten die Frau und konnten einem ge- sunden Jungen zum Leben verhelfen.

20 000 betroffene Frauen in Deutschland

Auch in Deutschland wird zu- nehmend über rituelle Verstümme- lungen von Mädchen berichtet. Nach Schätzungen sind bei uns inzwischen rund 20 000 Frauen betroffen, denn immer mehr ethnische Gruppen, die dieses grausame Ritual praktizieren, leben in der Bundesrepublik. Leider gibt es bezüglich der rituellen Ver- stümmelung, euphemistisch „Be- schneidung“ von Mädchen genannt, noch ganz erhebliche Informati- onsdefizite. Der Ausschuß „Ärztin- nen“ der Bundesärztekammer hat sich deshalb auf seiner jüngsten Sit- zung dieses Problems angenommen (vgl. hierzu auch Politik Aktuell in DÄ 14/1996).

Daß es sich bei der weiblichen Beschneidung um eine schwere geni- tale Verstümmelung handelt, wissen nur die wenigsten. Die „harmloseste“

Art, die sunnitische Beschneidung, bei der die Klitoris abgetrennt wird, wird nur bei einem sehr kleinen Teil der Mädchen angewandt. Dagegen handelt es sich bei der am weitesten verbreiteten Variante der Beschnei- dung, der Exzision oder Klitoridekto- mie, um einen wesentlich einschnei- denderen Eingriff: die Klitoris und die kleinen Schamlippen werden teil- weise oder vollständig amputiert.

Von der brutalsten Beschneidungs- form, der pharaonischen Beschnei- dung einschließlich Infibulation, sind fünf Millionen afrikanischer Frauen betroffen. Dabei werden sowohl die Klitoris als auch die inneren und ein Teil der äußeren Schamlippen ampu- tiert. Danach werden zwei Drittel oder die gesamte Vulva mit Seide oder Darmsaiten zusammengenäht beziehungsweise mit Dornen gehef- tet. Lediglich eine winzige Öffnung zum Urinieren und für die Menstrua- tion bleibt erhalten.

In der Regel erfolgt die Operati- on ohne jegliche Betäubung und un- ter verheerenden hygienischen Be- dingungen. Instrumente sind Rasier- klingen, Messer, Glasscherben, Holz- stückchen, Dornen und stumpfe Scheren. Gegen Infektionen sollen Öl, Akazienharz oder Kräuter helfen.

Die Heilung wird beschleunigt, indem man den Mädchen die Beine von der Hüfte bis zu den Knöcheln zusam- menbindet, damit sie sich 40 Tage lang nicht bewegen können.

Chronische Entzündungen als Folge des Eingriffs

Die „Operateure“ bei diesem un- ter primitiven Bedingungen stattfin- denden Eingriff haben keinerlei me- dizinische Ausbildung. Oft sind es al- te Frauen oder Hebammen, manch- mal sogar Friseure. Die Folgen sind gravierend: Entzündungen sind an der Tagesordnung, viele der Mädchen verbluten. Ungefähr ein Drittel der

A-1526 (44) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 23, 7. Juni 1996

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Beschneidung

Rituelle Verstümmelung – auch in

Deutschland sind Mädchen gefährdet

Daß in manchen afrikanischen Ländern Mädchen noch immer beschnitten wer- den, wissen viele. Daß schätzungsweise 20 000 betroffene Frauen in der Bundes- republik Deutschland leben, ist den meisten unbekannt. Dabei wäre die Kenntnis der Rituale und ihrer Folgen gerade für deutsche Ärztinnen und Ärzte wichtig, um betroffene Frauen im Fall einer Krankheit oder einer Schwangerschaft bes- ser behandeln zu können und ihren Töchtern die Verstümmelung zu ersparen.

Renate Dessauer Elisabeth Hauenstein Christa Müller

Sister MBi erklärt an einem Modell, was die Verstüm- melung bedeutet. Sie arbeitet im Rahmen einer Anti- Beschneidungskampagne in Gambia.

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pharaonisch beschnittenen Kinder bezahlt die Operation mit dem Le- ben. Die, die durchkommen, leiden mittelfristig an Rückenschmerzen, Blasen- und Nierenleiden sowie an chronischen Entzündungen.

Die infibulierten Frauen müssen in der Hochzeitsnacht vom Ehemann regelrecht aufgeschnitten werden – mit entsprechender psychischer und somatischer Traumatisierung. Durch die aufgrund der Beschneidung er- höhte Verletzungsgefahr ist zudem das Risiko einer AIDS-Übertragung für die Frauen sehr groß. Die Be- schneidungen dürften ein wesentli- cher Faktor für die große Zahl der an AIDS erkrankten Frauen in Afrika sein. Auch die Geburt von Kindern wird durch die Beschneidung massiv erschwert. Die Schwangeren müssen aufgeschnitten werden, wobei die Mutter oft verblutet oder das Baby noch im Mutterleib stirbt. Die Hälfte aller geburtsbedingten Todesfälle im Sudan lassen sich auf solche Kompli- kationen zurückführen.

Trotz all dieser negativen Aus- wirkungen halten viele afrikanische Völker an ihrer jahrtausendealten Tradition fest. Der Hauptgrund ist wohl, daß „man es immer so gemacht hat“. Männern garantiert die Be- schneidung ihrer Frau Jungfräulich- keit vor und Treue während der Ehe.

Die Gesellschaft verlangt die Be- schneidung, weil nur sie „Ansehen und Ehre, Reinheit und Anstand“ ei- nes Mädchens sicherstellt. Wenn Müt- ter ihre Töchter beschneiden lassen, tun sie dies in bester Absicht. Denn ein unbeschnittenes Mädchen will in

Afrika kein Mann heiraten. So leben dort nach Angaben der Weltgesund- heitsorganisation noch 100 Millionen beschnittene Frauen. Und jedes Jahr kommen zwei Millionen verstümmel- te Mädchen hinzu. Zum Zeitpunkt der Beschneidung sind sie zwischen sieben Tagen und vierzehn Jahren alt, meist jedoch erfolgt der Eingriff im Alter von vier bis acht Jahren.

Komitees gegen

Beschneidungen gegründet

Rituelle Verstümmelungen gibt es praktisch im gesamten mittleren Gürtel Afrikas, von Äthiopien und Kenia im Osten bis zur Elfenbeinkü- ste im Westen – zunehmend aber

auch in europäischen Ländern, insbe- sondere in Frankreich und Großbri- tannien. Aber der Widerstand gegen diese Praktiken wächst. Er kommt von Ärzten, Hebammen und Frauen- verbänden. In 26 afrikanischen Län- dern gibt es bereits „Komitees gegen traditionelle Praktiken, die die Ge- sundheit von Frauen und Kindern schädigen“. Mit Erziehungs- und Aufklärungsmaßnahmen, aber auch durch Einflußnahme in der Politik versuchen die Komitees, gegen diese barbarische Tradition anzugehen. Bei ihrer Arbeit sind sie dringend auf fi- nanzielle und organisatorische Hilfe aus dem Ausland angewiesen (siehe auch Kasten).

In Deutschland besteht vor al- lem dringender Informationsbedarf über die grausamen Verstümme- lungsrituale. Wer denkt bei einem Niereninfekt schon daran, daß die afrikanische Patientin beschnitten sein könnte? Bei Mädchen schließ- lich ist ein derartiger Eingriff unter Umständen schwierig zu erkennen.

Jeder Arzt und jede Ärztin, die ent- sprechende ethnische Gruppen be- treuen, sollten um die Problematik wissen und das Gespräch mit den El- tern suchen. Nur so kann es gelingen, zumindest den in Deutschland gebo- renen beziehungsweise aufwachsen- den Mädchen ein grausames Schick- sal zu ersparen. Gefordert sind aber auch die deutschen Politiker. In ande- ren europäischen Ländern, beispiels- weise in Norwegen, Frankreich und in der Schweiz, ist die Beschneidung von Frauen und Mädchen schon längst strafrechtlich sanktioniert. In Deutschland besteht noch ein enor- mer Nachholbedarf.

Anschriften für die Verfasserinnen:

Dr. med. Elisabeth Hauenstein Fachärztin für Allgemeinmedizin Birkenweg 12

79288 Gottenheim Sanitätsrätin

Dr. med. Renate Dessauer Eduard-Mörike-Weg 9 66133 Saarbrücken-Scheidt

A-1528 (46) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 23, 7. Juni 1996

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Internationale Aktion gegen Beschneidung

In Afrika existieren bereits in 26 Ländern „Komitees gegen traditionelle Praktiken, die die Gesundheit von Kindern und Frauen schädigen“. Im Saarland setzt sich unter anderem Christa Müller, die Frau des dortigen Ministerpräsiden- ten Oskar Lafontaine, für deren Arbeit ein. Sie bittet, die Arbeit von (I)NTACT e.V. zu unterstützen, einer internationalen Aktion gegen die Beschneidung von Mädchen und Frauen. Die Anschrift des Vereins lautet Johannisstraße 4, 66111 Saarbrücken. Die Bankverbindung ist Sparkasse Saarbrücken, Kontonummer 712 000, Bankleitzahl 590 501 01. Informationen gibt auch Terre des Femmes e.V., Nauklerstraße 60, 72074 Tübingen, Tel 0 70 71/2 42 89. Weitere Auskünfte erteilen die Verfasserinnen des Artikels.

Vor kurzem hat sich auch der Berufsverband der Frauenärzte des Themas an- genommen. Er hat in einer Resolution den Bundesjustizminister aufgefordert, die rituelle Beschneidung von Mädchen als vorsätzliche schwere Körperverlet-

zung strafrechtlich zu ahnden. th

Plakat gegen die Beschneidung von Mädchen

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-1526–1528 [Heft 23]

Fotos (2): Cordula Kropke

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