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Archiv "Stellungnahme des Autors" (11.01.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Arzneimittelprüfung

Auffassung führender Biostatistiker sind Wahrscheinlichkeitsaussagen vom Tier auf den Menschen grund- sätzlich nicht möglich, weil weder die getesteten Parameter noch die Tierärten, noch die geprüften Sub- stanzen als zufällige Stichproben im Sinne der Wahrscheinlichkeitstheo- rie gelten können. Auch die empiri- sche Basis zur Beurteilung der Lei- stungsfähigkeit tierexperimenteller Modelle ist noch völlig unzurei- chend. Es gibt in der Weltliteratur nur wenige direkte Vergleiche von Wirkungsparametern bei Tier und Mensch (zum Beispiel Litchfield, 1965; Schein et al., 1970). Dabei hat sich gezeigt, daß der Tierversuch nicht nur zu einer positiven, sondern auch zu einer negativen Auslese führen kann, d. h. daß unter den für eine Tierart unschädlichen Substan- zen gehäuft solche vorkommen, die für den Menschen schädlich sind.

Ob ein Tierversuch zu einer positi- ven oder negativen Auslese führen wird, ist bis jetzt nicht vorhersehbar.

Wenn demgegenüber auf unbe- streitbare Beispiele erfolgreicher Vorhersagen aus dem Tierversuch verwiesen wird, so beruhen diese — die Feder sträubt sich — auf Analo- gieschlüssen, Erfahrung, Intuition und Glück.

Schon vom Denkansatz her kann der Doppelblindversuch keineswegs als sichere Methode gelten, um „echte"

Arzneimittelwirkungen von der Wir- kung des Faktors „Arzt" zu trennen.

Das wäre allenfalls möglich, wenn sich beide Faktoren rein additiv summierten, was nicht einmal für die Interaktion zweier Medikamente immer gilt. Deshalb ist die Übertrag- barkeit der im Doppelblindversuch gewonnenen Ergebnisse auf die rea- le therapeutische Situation ein bis heute ungelöstes Problem. Auch die oft gehörte Behauptung, ein Medi- kament sei allgemein unwirksam, weil es im Doppelblindversuch nicht wirkt, ist wissenschaftlich nicht fun- diert.

Was die ethischen und strafrechtli- chen Aspekte des randomisierten Doppelblindversuchs betrifft, so setzt sich der Beitrag von Sewing nur mit dem angeblich „extrem bi-

zarr konstruierten Extremfall" des Tötungsrisikos von Kontrollpatien- ten auseinander, während er auf die davor liegenden ärztlich-ethischen Probleme, beispielsweise die Frage einer optimalen Behandlung der Kontrollpatienten oder der hinrei- chenden Aufklärung der Patienten nach § 41 des Arzneimittelgesetzes, nicht näher eingeht. Als Vorsitzen- der einer Ethik-Kommission, die un- ter anderem die Planung und Durch- führung kontrollierter klinischer Versuche zu beurteilen hat, kann ich nur sagen, daß gerade in dieser Grauzone die Gefahr fragwürdiger Praktiken nicht von der Hand zu wei- sen ist. Das wird offenbar auch von Sewing eingeräumt, wenn er „unsin- nige und jenseits des Vertretbaren liegende Arzneimittelprüfungen"

kritisiert (DEUTSCHES ÄRZTE- BLATT vom 19. November 1978, Sei- te 2459). Es fragt sich nur, was noch übrigbleibt, wenn man alle erforder- lichen statistischen, ethischen und rechtlichen Kriterien strikt einhält.

Wer zur Beurteilung von Arzneimit- teln nur „harte Kriterien" gelten las- sen will, steht auf einem Stand- punkt, der in der internationalen Diskussion bereits überholt ist — ab- gesehen davon, daß Ausdrücke wie

„harte" und „weiche" Daten keine wissenschaftlichen Begriffe, son- dern Wertungen sind und somit ins Gebiet der Weltanschauung gehö- ren. Selbst die Physiologie als natur- wissenschaftliches Grundlagenfach der Medizin setzt heute in zuneh- mendem Maße subjektive Verfahren mit beachtlichem Erfolg ein. Was die Wirksamkeitsprüfung von Arznei- mitteln betrifft, so fordert der Phar- makologe Feinstein (1971) nicht we- niger als sieben Kategorien von Kri- terien, die vom Laborwert bis zur Lebensqualität des Patienten rei- chen. Vom statistischen Ansatz her erscheinen randomisierte Kontroll- gruppen nicht mehr unbedingt als der Weisheit letzter Schluß, nach- dem sich gezeigt hat, daß man mit nicht-randomisierten Verfahren manchmal bessere Resultate erzie- len kann (Gehan u. Freireich, 1974).

Alle Erkenntnismethoden zur Beur- teilung von Arzneimitteln liefern letztlich nur Bausteine für ärztliche

Entscheidungen. Einer dieser Bau- steine kann der kontrollierte klini- sche Versuch sein. Ihn unkritisch zu verabsolutieren zeugt nicht von Wis- senschaftlichkeit, sondern von einer dogmatischen Überschätzung na- turwissenschaftlicher Denkweisen in der Medizin.

Literatur

Feinstein, A. R.: CHflic& biostatistics. IX. How do we measure „safety and efficacy?". Clin.

Pharmacol Ther. 12, 544-558 (1971) — Gehan, E. A., Freireich, E. J.: Nonrandomized controls in cancer clinical trials. New Eng. J. Med. 290, 198-203 (1974) — Hensel, H.: Arzneimittel- sicherheit und Tierversuch. Z. Rechtspolitik 8, 286-288 (1975) — Litchfield, J. T. jr.: Predictabi- lity of conventional animal toxicity tests. Ann.

New York Acad. Sci. 123 268-272 (1965) — Schein, P. S., Davis, R. D., Carter, S., Newman, J., Schein D. R., Rall, D. P.: The evaluation of anticancer drugs in dogs and monkeys for the prediction of qualitative toxicities in man. Clin.

Pharmacol. Ther. 11, 3-40 (1970)

Prof. Dr. med. Herbert Hensel Institut für Physiologie der Universität Marburg Deutschhausstraße 2 3550 Marburg

Stellungnahme des Autors

Es war in der Tat meine Absicht klar- zulegen, daß mit dem Buch „Biolo- gische Medizin" die Vermarktung inadäquat geprüfter (nicht unge- prüfter) Zubereitungen propagiert wird. Das mag man zurückweisen, widerlegen kann man die Propagan- da nicht. Kritik am Doppelblindver- such wurde eigenartigerweise erst zu einem Zeitpunkt artikuliert, als das Arzneimittelgesetz '76 diskutiert wurde, obwohl er schon seit langem anerkannter und international un- umstrittener Bestandteil einer wis- senschaftlichen und gezielten Arz- neimittelprüfung ist und angewen- det wird. Daraus ergeben sich alle Schlußfolgerungen meines Artikels

„Vorsätzliche Irreführung".

Die Kritik kommt ausschließlich aus dem Lager derer, die einer bestimm- ten Therapierichtung nachgehen.

Man befürchtet also, daß bei konse- quenter Durchführung des kontrol- lierten klinischen Versuchs diese besonderen Therapeutika einer wis- senschaftlichen Wirksamkeitsprü-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 2 vom 11. Januar 1979

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Arzneimittelprüfung

fung nicht standhalten und vom Markt verschwinden. An diesen Zu- sammenhängen ändert auch die Tatsache nichts, daß die Kritik am Doppelblindversuch von elf Hoch- schullehrern als den Herausgebern des Buches „Biologische Medizin"

vorgetragen wurde (einen Pharma- kologen habe ich allerdings, entge- gen der Äußerung von Büttner, da- bei nicht entdecken können). Wenn Ärzte wissenschaftlich anerkannte Kriterien der Arzneimittelprüfung nicht akzeptieren wollen, ist das ihr gutes Recht. Das setzt aber voraus, daß der Nachweis erbracht wird, daß andere Verfahren der Arzneimittel- prüfung den kritisierten Kriterien gleichwertig oder gar überlegen sind. Für 0. R. Klimt bedeutet der Verzicht auf kontrollierte klinische Studien einen Rückfall ins tiefste Mittelalter. Bis heute ist keiner der Kritiker des Doppelblindversuchs willens und in der Lage gewesen, eine Methode der Öffentlichkeit vor- zustellen, die der objektiven Erken- nung von Arzneimittelwirkungen dienen und somit den Doppelblind- versuch ersetzen könnte. Statt des- sen wird mit „Thesen zur Arzneimit- telbegutachtung" hantiert. Ich neh- me an, daß den Autoren entgangen ist, daß sich die Arzneimittelprüfung, zum Beispiel mit Hilfe des Doppel- blindversuchs, im Vorfeld der Be- gutachtung und damit auf einer an- deren Ebene abspielt und daher nicht durch irgendwelche Thesen zur Begutachtung zu ersetzen ist.

Mir kommt es auf den Hinweis an, daß für jede Fragestellung die ihr adäquate wissenschaftliche Metho- dik eingesetzt wird. Das ist der Tier- versuch (auch er ist kontrolliert; kein Herausgeber einer Zeitschrift würde mir ein Manuskript abnehmen, bei dem keine Kontrollversuche durch- geführt wurden) zur Ermittlung von pharmakologischen Effekten (nicht mit dem primären Ziel der Übertrag- barkeit auf den Menschen, sondern zum Zweck einer pharmakodynami- schen Klassifikation). Es ist weiter- hin der Doppelblindversuch zur Er- mittlung erfaßbarer und klassifizier- barer therapeutischer Effekte beim Menschen erforderlich. Das sind epidemiologische Studien zur Erfas- sung von unerwünschten Wirkun-

gen (Hensel irrt, wenn er annimmt, ich würde epidemiologische Studien zu diesem Zweck als unwissen- schaftlich einstufen).

Warum epidemiologische Studien und ärztliche Erfahrung zur Doku- mentation therapeutischer Effekte trügen, soll an einem aus dem Leben gegriffenen Beispiel erläutert wer- den:

Zwei Kliniken verwenden jeweils Nitrazepam und Flurazepam als abendliche Tranquilizer zum besse- ren Einschlafen. Unter Hinweis auf die Erfahrung wird in der einen Kli- nik so verfahren, daß zuerst Nitraze- pam — und wenn die Patienten dar- auf nicht entsprechend reagieren, Flurazepam verabreicht wird. Die andere Klinik verfährt ebenfalls un- ter Hinweis auf die gemachte Erfah- rung umgekehrt. Nun?

Zur Notwendigkeit des Tierver- suchs: Herr Hensel, ich frage Sie:

Würden Sie sich im Ernstfall (wenn es nicht ernst ist, werden Sie auch wieder gesund, wenn Sie sich der Regulationstherapie unterziehen) ein Arzneimittel verordnen lassen, von dem Sie wüßten, daß es nicht im Tierexperiment vorgetestet wurde?

Daß die Übertragbarkeit von Ergeb- nissen des Tierversuchs Probleme in sich birgt, wissen wir alle. Können Sie einer Molekülstruktur mit der ge- botenen Treffsicherheit ansehen, welche pharmakologischen Wirkun- gen sie hat? Ich kann es nicht! Kön- nen Sie es verantworten, ohne im Tierversuch eine chemische Sub-

stanz in ein grobes pharmakologi- sches und toxikologisches Raster einordnen zu können, diese beim Menschen anzuwenden? Ich kann es nicht!

Der Vorwurf, ich setze mich „nur"

mit dem „extrem bizarr konstru- ierten Extremfall" auseinander, trifft mich nicht. Ich meine, Herr Fincke wäre besser beraten gewesen, die sicherlich diskussionswürdige Pro- blematik seines Gutachtens (wer war wohl der Auftraggeber?) an der Realität aufzurollen. Das hätte mir wahrscheinlich auch Gelegenheit gegeben, mich mit realistischeren Gedankengängen auseinanderzu-

setzen. Die ärztlich-ethischen Pro- bleme sind in dem Beitrag von Fink- ke nicht primär angesprochen ge- wesen, daher mein Schweigen zu dem Problem, was nicht bedeutet, daß ich in einer „Grauzone die Ge- fahr fragwürdiger Praktiken" nicht sehe oder diese gar gutheißen würde.

In jeder Phase der Arzneimittelent- wicklung kann man nur „harte Krite- rien" gelten lassen, womit ich beleg- bare und mit einem hohen Maß an Wahrscheinlichkeit reproduzierbar wiederkehrende Eigenschaften mei- ne. A. R. Feinstein ist von Hensel völlig mißverstanden und fehlinter- pretiert worden. Es ist richtig, daß er eine Reihe von verschiedenen Para- metern für die Beurteilung eines therapeutischen Erfolgs heranzie- hen will. Es ist aber auch richtig, daß er jeden der Parameter vor der Prü- fung definiert und präzisiert haben will, um ihn unter kontrollierten Be- dingungen testen zu können, selbst wenn ein Parameter wie Lebensqua- lität nicht sehr leicht zu erfassen ist und damit den „weichen Daten" zu- zuordnen ist. Der Gegensatz, den ich hier herauszuarbeiten beabsich- tigte, lautet nicht „harte" versus

„weiche" Daten, sondern „harte"

versus „keine" Daten, denn das ent- spricht dem Sachverhalt. Ich glaube, dieses Postulat nach Daten und Fak- ten ist wissenschaftlich.

Daß die Arzneitherapie etwas ande- res ist als Arzneimittelprüfung, ver- steht sich von selbst. Ich würde mich wiederholen, wenn ich dazu noch einmal Stellung nehmen würde. Es gibt genügend Störfaktoren oder synergistische Ereignisse, die in der Therapie eine Medikamentenwir- kung beim Patienten beeinflussen.

Gerade darum sollte der Arzt genau wissen, was er von dem Arzneimittel allein zu erwarten hat, im Guten wie im Schlechten. Wird die therapeuti- sche Wirkung eines wirksamen Arz- neimittels durch andere Faktoren (zum Beispiel Arzt) noch verstärkt:

um so besser für den Patienten.

Prof. Dr. med. Karl-Friedrich Sewing Pharmakologisches Institut

Wilhelmstraße 56 7400 Tübingen

104 Heft 2 vom 11. Januar 1979 DEUTSCHES ÄRZ 1EBLATT

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