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Archiv "Vor dem Magistertitel viel Drangsal und Schulden" (17.09.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Aus dem Universitätsleben im Mittelalter Dietrich Schmidt

A

n der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert bestan- den in den deutschen Ter- ritorien achtzehn Universitäten, die nach dem Vorbild von Paris organisiert waren und in ihren Gründungsurkunden immer auch die Rechte und Privilegien der Universität von Bologna mit- erwähnten. Unterrichtssprache war an allen Universitäten La- tein. Die Hochschullehrer hießen in Bologna zunächst „Docto- res", in Paris „Magister". Erst gegen Ende des 15. Jahrhun- derts kam die Bezeichnung

„Professor" auf und wurde dann an fast allen europäischen Uni-

Vor dem Magistertitel

viel Drangsal und Schulden

Nicht immer waren die musi- kalischen Ständchen der Scholaren willkommen;

Ein Holzschnitt um 1489

versitäten gebräuchlich. Fast al- le Universitäten hatten vier Fa- kultäten: Theologie, Jura, Medi- zin und „septem artes liberales"

(Artistenfakultät = die sieben freien Künste: Arithmetik, Geo-

metrie, Astronomie, Musik, Grammatik, Dialektik und Rheto- rik. Sie knüpfte an Überlieferun- gen der antiken Philosophie und Dichtkunst an). Die Vorlesungen und Collegien fanden oft in der Burse, aber auch in Klöstern, Kirchen und in freien Höfen statt.

Das Reglement war starr festge- legt. Art und Zahl der Bücher (weswegen das Jurastudium be- sonders teuer war), die Abfolge von Veranstaltungen mit Länge der Pause zwischen den Vorle- sungen, genaue Termine mit un-

terschiedlicher Winter- und Sommerzeit für Lehrveranstal- tungen und die Länge der Ferien wurden in den Satzungen festge- legt. Die Magister bzw. Professo- ren wurden nach Rangordnung in ihrer Fakultät zu bestimmten Vorlesungen zugelassen, wobei sie vorausgehend vor dem zu- ständigen Dekan einen Eid schwören mußten, sich an den vorgegebenen Stoff beziehungs- weise das Buch und die jeweili- gen Statuten der Universität zu halten. Es wurde sogar festge- halten, welche Passagen vom Blatt abzulesen und welche frei vorzutragen waren. Die Schüler mußten zu Füßen ihrer Magister auf dem Boden sitzen. In „Dispu- tierstunden" wurde der Unter-

richt durch schlechter besoldete Lehrer gegen entsprechendes Honorar der Scholaren vertieft.

Universität konnte

gar die Todesstrafe verhängen Es gab eine akademische Ge- richtsbarkeit, die völlig unab- hängig von staatlicher oder kirchlicher Beeinflussung war und über folgende Bestrafungs- möglichkeiten verfügte: Geld- strafen, Zurückstellung von Er- langung eines akademischen Grades auf bestimmte Zeit oder ständig (Suspension, Exclusion und Relegation, bei Klerikern so- gar Exkommunikation) und De- gradierung. An körperlichen

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 38 vom 17. September 1986 (59) 2547

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Universitätsleben im Mittelalter

Strafen gab es Prügel oder Kar- zer (als Universitätsgefängnis).

Todesurteile waren selten, aber immerhin allein von der Universi- tät her möglich. Für Bestrafun- gen innerhalb der Wohngemein- schaft (Burse) war der Bursen- vorstand zuständig. Der akade- mischen Gerichtsbarkeit waren nicht nur die Scholaren, sondern auch Handwerker und Händler, die für die Universität von Be- deutung waren (Buchbinder, Apotheker, Papierhändler usw.), untergeordnet. Arme Studenten durften betteln oder nahmen die Stelle als Diener (Famulus) an.

Von Werkstudenten hielt man wenig. Der Student sollte frei von Nebenarbeit sein. Von den Immatrikulierten schafften nur 25 Prozent das Baccalaureat, und nur ein Viertel von diesen studierten weiter. Nur etwa sie- ben Prozent aller Studenten schafften einen höheren akade- mischen Grad. Allerdings waren Arbeitsplätze für diese Akademi- ker an Hof, Verwaltung und Kir- che auch gering.

Natürlich waren auch das Leben, die Rechte und Pflichten der Studenten damals anders als heute. Nicht nur, daß sie der aka- demischen Gerichtsbarkeit und der Disziplinargewalt der Magi- ster unterstellt waren, es gab auch geregelte Lebensformen und rituelle Handlungen, die all- gemein anerkannt und befolgt wurden. Offenbar entstanden sie im Laufe der Zeit und breiteten sich auf die verschiedenen Uni- versitäten aus. Da viele Schola- ren zuwanderten und Wohnraum knapp war, kam es zur Bildung der sogenannten Bursen. Nach Art der Stiftung waren es Wohn-, Eß- und Lerngemeinschaften, wobei die Heimbewohner (socii) einen Vorsteher aus ihren Rei- hen (Prior) wählten. Der Name stammt wohl ursprünglich von dem Ausdruck „Geldbeutel"

(Börse), da diese Unterkünfte wöchentlich bezahlt werden mußten. Der einzelne Bewohner hieß ,,burßgesell", „bursant"

oder „mitbursch", die Gesamt-

heit „die Bursch". Erst im 18.

Jahrhundert kam dann für den einzelnen die Bezeichnung „der Bursch" und für die Gesamtheit

„die Burschenschaft" auf. Die Bezeichnung „bürste(I)n"

kommt vom Trinken in der Burse als Zechgemeinschaft, nicht et- wa Putzen der Kehle. Die Zunft der besonders starken Trinker wurde später „Bürstenbinder"

genannt. Der Unterricht war hart.

Es wurde nur lateinisch gespro- chen, Deutsch reden wurde mit Geldstrafe belegt.

Der Tag begann morgens um vier, die Vorlesungen um fünf

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..2I:ma:x.e■ ...w Professor und Studenten in den Trachten ihrer Universität, Holz- schnitt aus Braunschweig, 1497 oder sechs Uhr. Um zehn Uhr gab es Mittagessen, um 17 Uhr Abendessen, um 20 Uhr bezie- hungsweise 21 Uhr wurde die Burse geschlossen. Eine zu spä- te Heimkehr wurde ebenso be- straft wie Lärmen und Mitbrin- gen weiblicher Personen. In un- beheizten Schlafräumen um den heizbaren Unterrichts- und Eß- raum herum lebten etwa 20 Per- sonen in einer Burse in straffer Internatsführung. Die Verpfle- gung war schlecht. Dagegen wurden zum Vorzeigen für die Gäste üppige Feiern, manchmal

tagelange Feste gefeiert. Privat- leben gab es außerhalb der Bur- se für einen Bewohner nicht. Da es Privatinstitutionen reicher Bürger waren, waren Mietwu- cher und Auseinandersetzungen zwischen den Studenten und den Vermietwirten und Kaufleu- ten üblich.

Jeder Magister, der fast alle Stu- dienfächer allein unterrichtete, bildete mit seinen Scholaren ei- ne familiäre Gemeinschaft. Aber er hauste in einem Zimmer der Burse. Einer der Scholaren war als Famulus Diener für seinen Magister. Er war für Stube, Klei- der und Besorgungen zuständig.

Um dem Magister Würde und Ansehen seiner Person zu ge- ben, mußten die Scholaren ihn als Schar beim Ausgehen beglei- ten. Die Magister hatten Diszipli- nargewalt, sogar körperliches Züchtigungsrecht.

Die Leiden der Leibburschen An den Universitäten bestand ein strenges hierarchisches Re- glement. Ältere Studenten brachten jüngere in ihre Gewalt und amüsierten sich auf deren Kosten. Ankommende Scholaren wurden schon vor den Toren der Stadt abgefangen und in eine bestimmte Burse oder ein Kolleg gezwungen oder bei Weigerung drangsaliert und mißhandelt.

Schloß sich ein Student einer Burse oder Gemeinschaft an, mußte er für diese zu Beginn des Studiums ein Fest mit großem Gelage finanzieren. Dadurch war er in der Regel schon früh ver- schuldet.

Er wurde einem Burschen zuge- ordnet, dem er als „Leibbur- sche" zu dienen hatte. Er mußte dessen Mantel und Degen tra- gen, die Unterkunft reinigen und für dessen Aggressionen und Sadismen mit körperlichen Miß- handlungen oder auch homose- xueller Belästigung Blitzableiter sein. Nach einem Jahr hatte er dann gleiche Rechte. Eine sym- 2548 (60) Heft 38 vom 17. September 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Universitätsleben im Mittelalter

bolische Aufnahmeprüfung, die

„Deposition", wurde von offiziel- len Organen der Hochschule durchgeführt. Dem Neuan- kömmling wurde vor Beginn des Studiums klargemacht, daß er zu nichts nutze sei und erst einmal gereinigt werden mußte. Dazu wurde er als Tier verkleidet, zum Beispiel mit Hörnern und Eber- zähnen. Diese wurden dann in langer Prozedur abgesägt, das Tierfell geschoren, der Student längere Zeit in Wasserbottiche getaucht und ihm Pillen aus Tier- kot verordnet, und er wurde mit Abwasser der Kloake übergos- sen. Nach Anlegen eines Beicht-

Studenten, auch „burßgesellen"

genannt, beim Trinkgelage in der

„Wohngemeinschaft", der „burse"

hemdes mußte er allerlei Sünden bekennen und als Strafe die Be- wirtung der Magister und des Universitätspersonals auf sich nehmen. Vom Rektor wurde dann nach gründlicher Reini- gung die Absolution erteilt, um das Studium beginnen zu kön- nen. Dieses Aufnahmeritual wur- de erst im 17./18. Jahrhundert abgeschafft.

Die Universitäten hatten auch ei- ne Kleiderordnung. Die Studen- ten liefen mit Kutten und Kapu- zen in dunklen Farben wie Mön- che herum. Die Magister trugen

zusätzlich eine Barett. Es be- stand aber ein Drang nach bun- ten Kleidern mit Federhut und Schnabelschuhen, und an nicht allen Universitäten konnte sich die Kleiderordnung behaupten.

Formale Zugangsvoraussetzun- gen für die Universitäten bestan- den nicht. Lediglich Lese- und Schreibkenntnisse und die Be- herrschung der lateinischen Sprache waren Vorbedingung, was bei dem damaligen Schul- wesen eine nicht unbeträcht- liche Zugangshürde darstellte.

Viele suchten den Umweg über ein Kloster. Im Verlauf eines Stu- diums erreichten die meisten nur den Grad eines Baccalaureus, weit weniger wurden Magister.

Dabei war der erreichte Titel

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Bei den Aufnahmeritualen hatten die Scholaren vielerlei „Reinigun- gen" zu erdulden, Holzschnitt, 1578 wichtiger als das Recht zu leh- ren. Der Grad des Baccalaureus war für das Prestige und die Er- reichung bestimmter Posten und Berufe wichtig. Der Magister- bzw. Doktorgrad brachte deut- liche Vorteile im ganzen Mittelal- ter. Mit der Verleihung der Lehr- berechtigung (jus ubique docen- di) war im gesamten Machtbe- reich des Kaisers und Papsttums die Lehrbefugnis gegeben. Der Inhaber eines akademischen Grades kam aber auch in den Genuß von Steuerbefreiungen, Privilegien und Rechtsvorteilen des jeweiligen Adelsranges.

Zunächst fehlten Doktorarbei- ten. Die Dissertationen kamen erst gegen Ende des Mittelalters auf. Kleine Kommissionen der Fakultätsmitglieder entschieden nach mehrstündiger mündlicher Prüfung über die Verleihung des Titels und die Rangfolge der Lehrberechtigung. Es erfolgte eine Vereidigung, und es schlos- sen sich umfangreiche teure Ze- remonien an.

Den Magistern der Fakultät muß- ten reichliche Geschenke ge- macht werden. Damit wurde die Erlangung eines Magistertitels für viele Studenten auch aus pe- kuniären Gründen unerschwing- lich. Die Spenden und Geschen- ke kamen den Fakultätsmitglie- dern und den Universitätsein- richtungen zugute, da die Hoch- schulen schlecht finanziert wa- ren und darin ihre wesentlichen Einkünfte hatten.

Ein Arbeitsmarkt für akademisch Qualifizierte — im Unterschied zu den Graduierten — war nicht er- kennbar. Von den höchstens 15 000 Studenten, die an den fünfundsiebzig europäischen Universitäten ihre Ausbildung erhielten, erwarb nur ein Viertel einen akademischen Grad. Diese Zahl unterstreicht den Elitecha- rakter der mittelalterlichen Uni- versitätsabsolventen. Dabei ist zu bedenken, daß bei einer anal- phabetischen Gesellschaft die Bildung zunächst wenig zählte.

Selbst Herrscher und Thronfol- ger waren meistens Analphabe- ten. Der Adel hatte wenig Inter- esse an Universitäten. Höfische und ritterliche Bildung hatten bei ihnen Vorrang. Aus den Schichten der Kaufleute, des Verwaltungspersonals und der Handwerker bestand Interesse am Universitätsstudium wegen der damit verbundenen Privile- gien.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Dietrich Schmidt Hudtwalckerstraße 2 2000 Hamburg 60

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