ZUM DIPLOMATISCHEN ASPEKT DER SIGIL -URKUNDEN
Von Vanco Boskov, Sarajevo
In den osmanistischen Studien der Nachkriegsperiode ist ein stärkeres In¬
teresse an allen Arten türkischer Urkunden zu bemerken, einschließlich der
Kadi-Sigils, von denen bisher zwei komplett in Regestenform und einige in
Typendruck, Faksimile bzw. Übersetzung veröffentlicht worden sind (l). In
allen diesen Publikationen liegt das Schwergewicht jeweils auf dem Inhalt der
Urkunden als historische Quellen, während ihr diplomatischer Aspekt völlig
vernachlässigt wurde. In den osmanischen Diplomatikwerken behandelt man
hauptsächlich die Sultansurkunden. Indessen zeigt eine Analyse der Sifeil -Ur-
kunden, daß auch sie, wie es der Fall bei den Sultansurkunden ist, in einige
Teile zergliedert werden können, die aus streng festgelegten Formeln und Aus¬
drücken bestehen.
Wenn man die sich in den Sigils befindenden Abschriften der Ferman, Berat
Buyuruldu und Briefe als Urkunden, die von Seiten höherer Administrativ-
orgEine an den Kadi gerichtet sind, ausschließt, dann stellen die Sigil -Urkunden
Kopien der originalen Kadi-Urkunden dar, welche den Parteien ausgehändigt
wurden. Die originalen Kadi-Urkunden enthalten einige Elemente, die es in
den Sigil -Urkunden nicht gibt; das sind: invocatio, die Beglaubigungsformel
( ibäre-i tagdig ) bzw. die Unterschrift des Kadi ( imzä-i qäzT ) und sein Sie¬
gel. Sie befinden sich in der Urkunde oberhalb des Textes (2).
Der Text der originalen Kadi-Urkunden beginnt mit einer Einleitungsfor¬
mel, deren bekannteste und häufigste Form ist: Sebeb-i tahrTr-i hurüf budur
ki oder oldur ki - (3) "Der Anlaß zur Fertigung der Urkunde ist folgender".
Diese Einleitungsformel in der Sigil -Urkunde hat immer eine gekürzte Form
und lautet nur: budur ki oder oldur ki - "es ist folgendes", so daß sich am Be¬
ginn jeder Sigil -Urkunde einer dieser zwei Ausdrücke findet. Es gibt aber
auch Sigil -Urkunden. die zeigen, daß der Schreiber manchmal die Einleitungs¬
formel vollständig verwendet hat.
Nach der Einleitungsformel folgt der Text der Urkunde, in welchem, meiner
Meinung nach, folgende Teile auseinandergehalten werden können: a) Vorstel¬
lung der Parteien, b) Expositio des Gerichtsgegenstandes und c) Schlu߬
protokoll.
a) Die Vorstellung der Parteien ist so formuliert, daß sie in grammati¬
scher Hinsidit einen einfachen oder zusammengesetzten Satz mit dem Kopu-
lativum -ub darstellt. Die Vorstellung hat folgende Form: an erster Stelle
kommt die Identität der Partei, die vor dem Richter eine Erklärung abgibt,
und auf die sich das Verb des Satzes bezieht. Die Identität umfaßt den Wohn¬
ort, den Personen- und Vatersnamen und den Beruf. Dem Vatersnamen nicht
nur der Parteien, sondern aller Personen in der Expositio, folgt als Apposi¬
tion der Ausdruck näm kimesne "die Person namens" für den Moslim und
statt kimesne das Wort aim ml "Schutzbefohlener" für den Christen-Ortho¬
doxen bzw. frenk für den Katholiken und YehüdT für den Juden.
Wenn es sich um einen Stadtbewohner handelt, wird der Name der Stadt und des Stadtviertels (majialle) hinzugefügt.
Zum Beispiel: o-^J^^ ^ liL JU-j ja.::>U.^L.
(4) 4LL.-.5 |.L- J!t^ a-
( Mabmiye-i Monastir maballätindan Dimisqi Beg mahallesi säkinlerinden (s)
Muräd Beg bin Mugtafa näm kimesne ) - Die Person namens Murad Beg . Sohn
des Mustafa . Bewohner des Stadtviertels Dimisqi Beg in dem wohlgeschütz¬
ten Monastir (6).
Nicht selten wird nur der Name der Stadt oder umgekehrt, nur der Name
des Stadtviertels gekennzeichnet (7).
Wenn es um einen Bewohner eines Dorfes geht, enthält die Identität außer
dem Namen des Dorfes und dem Personen- und Vatersnamen noch den Namen
des Qäziliq oder der Stadt, zu denen das betreffende Dorf gehört.
Zum Beispiel: O-^j^^ f^- j^b
(8) |.L- Ojj
( Mabmiye-i Monastir qazäsina täbi^ Nizepole näm qariye zimmilerinden
Yovan veled-i Gorgo näm aimmi ) - Der Schutzbefohlene namens Jovan, Sohn
des Gjorgo, von den Schutzbefohlenen (oder Bewohnern) des zum qäzillq des
wohlgeschützten Monastir gehörenden Dorfes Nizepole.
Auf die Konstatierung der Identität der ersten Partei folgt das Syntagma
i_,_jJS' *tj-i ^j"^^ ( meglis-i ser^a gelüb ) oder aber seltener
*!■ u— Iä. ( meglis-i ser'^a bäzir olub ) - "indem er zum Sche-
riatsgericht kommt". Der erste Teil dieses Syntagma meglis-i ser^a kann
durch J**M ( mabfil-i ser^a ) und «t-Uü JjL>m ( mabfil-i
qaz äya ) ausgedrückt werden. Das Standardepitheton serif (geheiligt) steht
sehr oft allein oder mit seinen erweiterten Formen neben dem Wort serC (9).
Es ist üblich, daß man statt dieser Dativkonstruktion ( mabfil-i serCa .
meglis-i ser^a. mabfil-i qazäya gelüb ) eine Lokativkonstruktion ohne das
Kopulativum mabfil-i qazäda verwendet.
Dem erwähnten Syntagma folgt die Vorstellung bzw. die Identität der zwei¬
ten Partei, in der die gleichen Elemente wie bei der ersten Partei vorkommen.
Vor dem Personennamen erscheint sehr oft einer der Ausdrücke: ^t
i^bfll ( isbu bä^is ül-kitäb) . J^^' ( isbu bä^ig ül-sigil ).
JiiU ^1 ( isbu bäfi?: ul-kitäb ), i^bS]!
( isbu räfi^ ül-kitäb ). J^^-J' t_j-Uo ( isbu gäbib ül-sigil ) -
alle in der Bedeutung "dieser Besitzer der Urkunde".
Wenn beide Parteien aus dem gleichen Wohnort stammen, dann gebraucht
man für die zweite Person die Syntagmen: mabmiye-i mezbüre säkinlerinden
"von den Bewohnern der wohlgeschützten und erwähnten (Stadt) oder qariye-i
mezbüre säkinlerinden "von den Bewohnern des erwähnten Dorfes".
Anschließend an die Identität der zweiten Partei steht der Ausdruck müväce-
hesinde oder mabzarinda "in der Anwesenheit von", der mit dem vor ihm ste¬
henden Namen die Konstruktion eines verkürzten Genitivs, aber in der Bedeu¬
tung des Vollgenitivs, bildet.
Als letztes Glied dieses Teiles der Sigil-Urkunde erscheint eine Reihe von
Ausdrücken des Typus: VJ"^' j-lr» A;>" ( söyle edä-i merän edüb ).
VJ*^' f^ jiß^ ( taqrir-i keläm edüb ).
(taqrlr-i keläm ve ta^bTr-i meräm edüb ).
I i
ve jctiräf edüb ). yj-^* J-j» j^i/" ^Lr*-'J J- j'yl ( iqrär-i gatjTb-i
ser^T ve jCtiräf-i garih-i mer'^r edüb ) usw. - alle in der Bedeutung "(er) er¬
klärte". Neben dem Kopulativum edüb können noch die Verben dedi ki oder
eyitdi (ayitdi) ki stehen.
Als die Adverbialbestimmung für die Art und Weise treten vor der obener¬
wähnten Reihe die Ausdrücke: ( tav'^an ). tii^^. {bil-Jav£).
^J} ^y^^. ( bil-tavC vel-rizä ). oLaJI ( bil-tav^ il-§äf) .
At^jJa.., ( bi-tav^ ihi ) usw. - alle in der Bedeutung "freiwillig".
Es ist besonders zu berücksichtigen, daß das letzte Glied taqrTr-i keläm
edüb mit seinen Varianten ausgelassen werden kann. In diesem Falle be¬
ginnt die Erklärung der ersten Partei gleich nach dem Wort müväcehesinde
oder mah zar inda .
Damit ist die Vorstellung der Parteien in einer der häufigsten und üblich¬
sten Formen beendet. Als Illustration einer solcher Form sei folgendes Bei¬
spiel angeführt: ^jjjl,_jj>- ,_^<k,n. U-.-JI ^^JJ^L. L.>i. iS'joJjl
(10)^^0,1 j^^j cj:Jij^ ,j~JLä' -4c/ fL- ^ji^jj »jUI Ji^
( Oldur ki mahmiye-i Monastir säkinlerinden el-Seyyid Mustafa Celebi el-mü -
derris mafafil-i qazäda Dobromir näm qariye ehälisi mahzarlarinda iqrär ve
taqrTr-i keläm edüb ) - " El-Seyyid Mustafa Celebi , Professor der Medrese .,
Bewohner des wohlgeschützten Monastir, hat in dem Scheriatsgericht in der
Anwesenheit der Bewohner des Dorfes Dobromir erklärt".
Wenn der Gerichtsgegenstand eine Anklage verschiedener Inhalte darstellt,
in der die zweite Partei von der ersten angeklagt wird, dann können die Po¬
sition und die Vorstellung der zweiten Partei etwas verändert werden, müs¬
sen aber nicht. Statt dem Kopulativum gelüb steht jetzt der arabische Infinitiv
itizär (vorführen), dessen Objekt im Akkusativ die zweite Partei darstellt.
Mit der nach dem Infinitiv stehenden Konjunktion ve 'und' endet die Textän¬
derung, weil die danach kommenden Glieder von müväcehesinde oder mah-
zarinda ab unverändert bleiben.
ZumBeispiel: <«: ...«"T ^L" j_jJL ^^jVjl '-...">«« <j^L. .u-wU UU- ji" jjjjl (ll)i--jJ;l jjjc t ClL^ t-^\y» j jUa>-l «I:,.„«'T ^L' j^i>- jr^U- <l.UJ Jjt»4
( Oldur ki häliyä medlne-i Monastirde muljtesib olan Bäli näm kimesne mahfil-i
qazäya Ijalläg IjTzir näm kimesneyi ihzär ve müväcehesinde taqrTr-i keläm
edüb) - "Die Person namens BälT, der jetzt Marktmeister in der Stadt Mo¬
nastir ist, hat die Person namens Ijalläg (Krämpler) Uizir in das Scheriats¬
gericht vorgeführt und in seiner Anwesenheit erklärt".
Falls die Parteien von Bevollmächtigten vertreten werden, so wird dieses
gewöhnliche Schema durch einige Elemente erweitert, mit denen die Redhts-
gültigkeit der Vollmacht bestätigt wird.
In den Urkunden, die Ehe- und Geldleihverträge darstellen, ist die Vor¬
stellung der Parteien auf ein Textminimum reduziert worden - nur Personen-
und Vatersnamen, was in dem Sigil gewöhnlich den Raum einer Zeile ein¬
nimmt.
Das sind die Hauptglieder des ersten Teiles der Sigil -Urkunden, den ich als
Vorstellung der Parteien bezeichnet habe. Uber die anderen Teile der Urkunde,
in denen einzelne Formeln und Standardausdrücke anzutreffen sind, werde ich
bei einer anderen Gelegenheit sprechen.
Anmerkungen
I. Halit Ingan, Ankara'nm 1. Numarali Ser^iyye Sicili. Ankara 1958; Galab
D. Galabov, Die Protokollbücher des Kadiamtes Sofia, München 1960;
Jan Grzegorzewsky, Z sidzyllatow rumelijskieh epoki wyprawu wiedenskiej
acta turetkie, Lwowie 1912; Giro Truhelka, Pabirci iz jednog sidzila. In:
Glasnik Zemaljskog Muzeja u Bosni i Hercegovini XXX, 1918, S. 157-175,
(Nur ein Uberblick des Sigil-lnhaltes ohne Urkunden); Halil Inalcik, Bursa
§erCiyye Sicillerinde Fatih Sultan Mehmed'in Fermanlari. In: Belleten XI,
44 (1947), S, 693-708 (Die Abschriften der Sultansurkunden); ders.:
Saray Bosna ^er'^iyye sicillerine göre Viyana bozgunundan sonraki harp
ylllarlnda Bosna. In: Tarih Vesikalarl II, 9, (1942), S. 178-187; II, 11
(1943), S. 372-384 (Die Urkunden stellen nur Carzuhäls dar); ders. :
Bursa I.XV. asir sanayi ve ticaret tarihine dair vesikalar. In: Belleten
XXIV, 93 (i960), S. 45-102; Panta Dzambazovski - Arif Starova, Turski
dokumenti za makedonskata istorija, Tom I (1800-1803), Skopje 1951;
Tom II (1803-1808), 1953; Tom III (1808-1817), 1955; Tom IV (1818-
1827), 1957; Tom V (1827-1839), 1958, (Institut za Nacionalna istorija -
Skopje) Muhamed Mujic, Polozaj Cigana u jugoslovenskim zemljama pod
osmanskom vlascu. In: Prilozi za Orijentalnu Filologiju III-IV (1952-53),
Sarajevo, S. 137-193; Hamid Hadzibegic, Dzizija ili Harac. Prilozi za
Orijentalnu Filologiju III-IV (1952-53), Sarajevo, S. 55-135; Prilozi V
(1954-55), S. 43-102; Djoko Mazalic, Popis zaostavstine i rasulo sara-
jevske porodice Selaka. In: Prilozi za OF X-XI (1960-61), S. 223-236;
Aleksandar Matkovski, Turski izvori za ajdutstvoto i aramijstvoto vo Ma-
kedonija. Tom I-II (l96l), III (l973), Skopje (Institut za Nacionalna
istorija); ders.: Prilog pitanju devsirme. In: Prilozi za OF XIV-XV
(1964-5), S. 273-309; Turski dokumenti za istorijata na makedonskiot
narod. Serija prva. Tom I. Red. : M. Sokoloski, A. Starova, V. Boskov,
F. Ishak, Skopje 1963 (Drzavna arhiva na SR Makedonija); Tom II. Red.
Vanco Boskov, Skopje 1966; Tom III, Red. Metodija Sokolovski, Skopje
1969; Tom IV, Red. V. Boskov, Skopje 1972; V. Boskov, Ein osmanischer
Ketzer-Prozeß im 18. Jahrhundert. In: Südost-Forschungen XXXIII, 1974,
S. 296-306.
2. L. Fekete, Einführung in die osmanisch-türkische Diplomatik der tür¬
kischen Botmäßigkeit in Ungarn. Budapest 1926, S. 62-63; B. Nedkov,
Osmanoturska diplomatika i paleografija I. Sofija 1966, S. 159.
3. L. Fekete, op. cit. S. 56-57; B. Nedkov, op. cit. S. 158.
4. V. Boskov,- Turski dokumenti, II, Skopje 1966, Faksimil 221.
5. Anstelle von säkinlerinden erscheienen noch sükkänindan und mütemek -
kinlerinden .
6. Heute die Stadt Bitola in Jugoslawien.
7. V. Boskov, op. cit., Faksimil 47; V. Boskov, Turski dokumenti, IV, .
Skopje 1972, Faksimile 40 und 44.
8. V. Boskov, Turski dokumenti, II, Faksimil 201.
9. Als erweiterte Formen erwähnen wir die folgenden:
6ju^l ß Ju^ <. Ji^ <. o.^^
• jJ^\ j^^j^ Ji^.jJyül ^ß^j^^
10. V. Boskov, Turski dokumenti II, Faksimil 205.
II. V. Boskov, Turski dokumenti IV, Faksimil 87.
DIE DUALFORM IN DER INSCRIPTIO - FORMEL DES SULTANSBEFEHLS
In allen mir bisher beksrnnten Abhandlungen und Handbüchern über die tür¬
kische Diplomatik sind nur Formen des Singulars und Plurals in der Inscriptio-
formel des Sultansbefehls analysiert werden, wofür die veröffentlichten Urkun¬
den zahlreiche Beispiele bieten. Das Vorhandensein des Dual in dieser For¬
mel, das sowohl einige neuerlich veröffentlichte als auch unveröffentlichte Ur¬
kunden aufweisen, blieb bisher völlig unberücksichtigt.
Die Dualform in der Inscriptio wird in jedem Fall verwendet, wenn es sich
um zwei Persönlichkeiten gleichen Ranges handelt. Wie bekannt ist, bezieht
sich die Inscriptio auf Persönlichkeiten verschiedenen Ranges, man verwen¬
det dann für jede von ihnen eine besondere Formel, wobei die Reihenfolge
sich nach dem jeweiligen Rang richtet.
Den Dual in der Inscriptio kennzeichnet man mit dem Buchstaben "ye" ( <J ),
der das Akkusativ- oder das Genitivsuffix des arabischen Duals von einem
Namen, der in der arabischen Genitivkonstruktion das erste Glied bildet, dar¬
stellt. ^ .
ZumBeispiel: (D f>^'j J^' f'^'j ^J^
was in der Transliteration heißt: Qidvetey (oder: Qudvetey) ül-quzät ve I-
hukkäm ma^deney ül-fazl ve 1-keIäm = Zwei Vorbilder der Kadis und Richter,
zwei Fiindgruben der Tugend und Beredsamkeit.
Dem Dual in der Inscriptio folgt der Dual in Salutacio, der durch den Dual
des Possessivpronomens in der dritten Person ( Ua - hümä) ausgedrückt
wird.
Zum Beispiel: L.^-Lä» jlJ (zTde fazlühümä) = es möge die Tugend
beider zunehmen, oder LajJÜ j^- (zTde qadruhumä) = es möge die
Macht beider zunehmen.
Dem Dual in der Inscriptio begegnen wir zum ersten Mal in den Faksimile
zweier Sultanserlasse aus dem 18. Jhdt., die der rumänische Turkologe M.
Guboglu in seinem erwähnten Werk veröffentlicht hat, wobei der Herausgeber
in der Transliteration in beiden Fällen so verfuhr, als handele es sich um
den Singular (2).
Ein dritter Fall von einer Dualform in den veröffentlichten Urkunden fin¬
det sich im Faksimile eines Erlasses, ebenfalls aus dem 18. Jhdt., das in
den Osmanischen Urkunden des Sinai-Klosters veröffentlicht worden ist. Der
Herausgeber verwechselte bei der Transcription des Textes auch den Dual
mit dem Singular und anstelle von ij-j'^ (qidvetey) steht i^j o»
(qidvet) (3).
Die veröffentlichten Beispiele des Dual in der Inscriptio stammen alle aus
dem 18. Jhdt., sodaß man schlußfolgern könnte, daß diese Form erst spät
in die Verwaltungssprache der osmanischen Hofkanzlei aufgenommen wurde.
In dem grundlegenden Werk zur türkischen Diplomatik "Munseät" von FerTdün
Beg gibt es zwar kein Beispiel von Sultansbefehlen, in dem die Dualform in
der Inscriptio enthalten wäre, aber diese Form finden wir in einem an zwei
Esref's zu Mekka gerichteten Sultansbrief (4).
Einen sehr wichtigen Hinweis auf die Verwendung des Dual in der Inscriptio
des Sultanserlasses geben die türkischen Urkunden des Athos-KIosters Hi-
landar, in denen die Dualform mehrfach erscheint. Für unsere Frage ist die
Tatsache von Bedeutung, daß die älteste Urkunde dieser Sammlung von etwa
200 originalen Sultanserlassen, ein Befehl von Sultan Murat II. aus dem
Jahre 1440, gerade den Dual in der Inscriptio-Formel enthält und heißt:
JUjJI ijjjJu Mefharey ul-'^ummäl = Ruhmvolle cÄmils (5).
Neben der Inscriptio-Formel mit Dual wie im obenerwähnten Beispiel bei
M. Guboglu und K. Schwarz erscheinen in diesen Urkunden auch folgendeVa-
rianten: a)^b"ill i'llj J-i^ VI 5Lai jj:^aJ Qldvetey-i quzät ül-isläm
'^umdetey-i vulät ül-enäm = Vorbilder der Kadis des Islam, Stützen der Walis
derMenschheit. b) 0:?*>--"«ll v'>^' tsö"^ Qidvetey ün-nüvväb ül-
müteserri'^Tn - Vorbilder der gesetzeskundigen nüvväb.
Der Befehl von Sultan Murat II. zeigt, daß die Dualform in der Inscriptio-
Formel schon in der frühesten Periode der osmanischen Verwaltungssprache
auftaucht; andere Beispiele aus der Hilandar-Sammlung, die aus verschie¬
denen Zeitaltern stammen, zeugen davon, daJ3 die Dualform keine seltene Er¬
scheinung war, sondern daß die durchaus den Status eines normalen Anwen¬
dungsmodus in allen jenen Fällen hatte, in denen sich der ErlaJB auf zwei Per¬
sönlichkeiten gleichen Ranges bezog.
Anmerkungen
1. M. Guboglu, Paleografia gi diplomatica turco-osmana. (Bucarest) 1958,
Faksimil 35 (S. 188); KI. Schwarz, Osmanische Sultansurkunden des
Sinai-Klosters in türkischer Sprache. Freiburg im Breisgau 1970, Tafel
XIV.
2. M. Guboglu, op. cit. Die Inscriptio-Formel im zweiten Beispiel lautet:
o!/"^'J Jil»"i/I Jjji Faksimil 77 (S. 224). Die Transliteration des
Textes: die Urkunde Nummer 35 S. 138 und Nummer 77 S. 145.
3. KI. Schwarz, op. cit., S. 84. Siehe auch meine Rezension in: Godisnjak
Drustva Istoricara Bosne i Hercegovine, XX, 1972-73, Sarajevo, S.
241-244.
4. 03"^ ChJsMJI oLlu Band 2., 1275, S. 104.
5. Siehe meinen Aufsatz: Jedna originalna naredba (misäl) sultana Murata
II za Svetu Goru (Ein originaler Befehl des Sultans Murat II für Athos).
In: Hilandarski Zbornik 4, Beograd (im Druck).
ZUM SELBSTVERSTÄNDNIS DER TURKOLOGIE
Von Horst Wilfrid Brands, Frankfurt a. M.
1.
Die relativ jungen turkologischen Disziplinen - ein bewußter Plural, der
später noch begründet werden wird - haben zweifellos gerade in den letzten
Jahrzehnten eine stetig wachsende Produktivität aufzuweisen. Ihre Arbeits¬
ergebnisse kommen in zunehmendem Maß auch den älteren Fächern der all¬
gemeinen und regionalen Sprach- und Literaturwissenschaften zugute. Mit
diesem Stand der Dinge könnte man durchaus zufrieden sein, wenn nicht ge¬
wisse Faktoren ein Unbehagen wachhalten würden, das selbst den Gedanken
eines Fach-Quietismus garnicht erst aufkommen läßt. Das ist gut so, aber
die darin liegenden Chancen für eine neue Besinnung und Ortsbestimmung
innerhalb des Fachs können nur genutzt werden, wenn wir diesen Faktoren
Rechnung tragen. Ich muß sie erst einmal beim Namen nennen: Es handelt
sich einerseits um einen mancherorts noch immer nicht behobenen, wenn
auch keineswegs zu verallgemeinernden Mangel an echtem Verständnis bei
den traditionellen orientalistischen Nachbarfächern, die ja für die Turkolo¬
gie zum Teil bis heute Dach-Disziplinen, Überbau-Fächer, oder wie man
dies nennen mag, geblieben sind. Andererseits muß hier die provokante Be¬
hauptung gewagt werden, daß "Turkologie" gegenwärtig noch ein so verschwom¬
mener und widersprüchlicher Begriff in der Wissenschaftssystematik ist,
daß man sich über die Schwierigkeiten Außenstehender, sie vernünftig vmd
gerecht einzuordnen - und zu bewerten - nicht wundern darf.
Nun ist es leider so, daß die Stellung einer Disziplin oder einer Fächer¬
gruppe innerhalb der Gesamthierarchie der Wissenschaften (und ihrer Zwei¬
ge) nicht allein von quantitativem Anteil, Rang und internationaler Resonanz
ihrer Forschung bestimmt wird. Sonst müßte die Turkologie geltungs- und aus¬
stattungsmäßig in den vordersten Reihen stehen, was erwiesenermaßen nicht
der Fall ist. Neben der normativen Kraft der Entwicklungsgeschichte - hier
darf an die Schwierigkeiten der Emajizipation der Islamphilologie (mit Semi¬
tistik), aus ihrer Rolle als ancilla oder doch filia der Theologie erinnert wer¬
den - schlägt wohl auch das Engagement der Fachbeteiligten in Fragen der
Wissenschaftssystematik zu Buch. Eine vage, oder gar kontroverse, Defi¬
nition eines Fachs kann nur auf Schwierigkeiten und Widersprüche im Selbst¬
verständnis der betreffenden Disziplin(en) zurückgehen; schlichter gesagt
auf Meinungsverschiedenheiten oder verschiedene Aussagen zur Sache bei
den Personen, die, jeweils für sich, das Fach repräsentieren.
2.
Worin bestehen nun die Schwierigkeiten und Widersprüche, die einem kla¬
ren Selbstverständnis (und Selbstbewußtsein) der Turkologie gegenwärtig
noch im Wege sind ? Sie sollen im folgenden punktuell aufgezählt werden.