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Das Heer der USA trat unvorbereitet in den Krieg ein

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Lothar Burdiardt

Die personellen und wirtschaftlichen Anstrengungen der USA im Ersten Weltkrieg

Häufig wird der amerikanische Anteil am alliierten Sieg von 1918 relativ niedrig eingeschätzt. In der Tat hatte die American Expeditionary Force (AEF) nodi im Winter 1917/18 kaum mehr als symbolischen Wert, und ihre Kampftätigkeit er- reichte bis zuletzt niemals kriegsentsdieidende Ausmaße. Andererseits gelang es, die AEF innerhalb weniger Monate auf ein Vielfaches ihrer Anfangsstärke zu vergrößern und sie dadurch zu einem wesentlidien Bestandteil der alliierten Ge- samtstreitkräfte zu madien. Im folgenden soll hauptsächlich von der Schaffung der personellen und rüstungswirtsdiaftlidien Voraussetzungen für diese Entwicklung die Rede sein. Die Forschungsergebnisse, auf denen die nachstehenden Ausführun- gen aufbauen, sind teils neueren Datums, teils entstammen sie der Zwischenkriegs- zeit. Wenn sie bislang in der deutschen Forschung kaum zur Kenntnis genommen wurden, so mag das daran liegen, daß die amerikanische Geschichte, und hier insbesondere die Wirtschaftsgeschichte der USA, in Deutschland als weithin irrele- vant gilt und oft nur untergeordnetes Interesse findet. Die folgenden Darlegungen sollen dazu beitragen, dieses irrige Urteil zumindest abzuschwächen.

Das Heer der USA trat unvorbereitet in den Krieg ein. Zwar war schon Jahrzehnte vorher sein völlig ungenügender Rüstungsstand kritisiert worden1, doch hatte sich das Zahlenverhältnis zwischen Heeresstärke und Bevölkerungszahl in den folgen- den Jahren fast ständig weiter verschlechtert; selbst nach Ausbruch des Krieges in Europa wurde die Armee nur unwesentlich vergrößert2. Daher betrug ihre Ist- Stärke noch am Vorabend des amerikanischen Kriegseintritts nur 133 000 Mann, von denen 77 000 in den Vereinigten Staaten selbst standen; darunter befanden sich ganze 35 000 Mann Kampftruppen. Zwar kamen 174 000 Mann National Guard dazu, doch unterstanden sie größtenteils den Einzelstaaten und waren dementsprechend uneinheitlich ausgerüstet und ausgebildet?. Eine nennenswerte amerikanische Rüstungsindustrie existierte nicht.

Erst nach der amerikanischen Kriegserklärung begannen die Ereignisse schneller abzulaufen. Insbesondere wurde die in den Vereinigten Staaten stets besonders leidige Rekrutierungsfrage verblüffend rasch gelöst4: Als sich das deutsch-ameri- kanische Verhältnis zuspitzte, ließ sich Wilson endlich von den Verfechtern der Allgemeinen Wehrpflicht überzeugen und veranlaßte diesbezügliche administra-

1 Vgl. den Jahresbericht des amerikanisdien Kriegsministers für 1887: Die US-Armee sei »by far the feeblest . . . of all the nations called great« (Annual Report of the Secretary of War, Wa- shington D. C. 1887, Bd 1, S. 115 f.).

«Vgl. auch folgende Ist-Stärken der Armee (Stand jeweils vom 30.6.): (1914) 98 544; (1915) 106 754; (1916) 108 399 (Historical Statistics of the United States, Colonial Times to 1957 (zit.

Historical Statistics). Hrsg. U. S. Bureau of the Census, Washington D. C. 1960, S. 736). Vgl.

ferner: C. J. Bernardo u. E. Bacon: American Military Policy. Its Development since 1775, Har- risburg Pa. 1955, S. 341 ff. (zit. Bernardo - Bacon).

' Für Heer, Marine und National Guard vgl. die Zahlenangaben in: Historical Statistics, S. 736 f.; M. Kreidberg u. M. Henry: History of Military Mobilization in the United States Army 1775-1945, Washington D. C. 1955, S. 221 ff. (zit. Kreidberg-Henry). Zum Ausbildungs- stand der National Guard vgl. M.Sullivan: Our Times. Bd 5: Over Here 1914-1918, New York 1946, S. 207 ff. (zit. Sullivan). (Die dortigen Zahlen sind teilweise überholt.)

4 Für das Folgende vgl. Sullivan, S. 288 ff.; Kreidberg-Henry, S.262 ff. Die Genese des Wehr- pflichtgesetzes wird besonders ausführlich von F. Palmer in seiner Biographie des Kriegsministers Baker dargestellt.

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tive Vorarbeiten, ehe auch nur eine entsprechende Vorlage im Kongreß eingebracht worden war. Das Bekanntwerden seiner Absichten löste heftige Diskussionen aus, doch erteilte am 18. Mai 1917 eine substantielle Kongreßmehrheit ihre Zustim- mung. Damit hatten erstmals Bestrebungen zur Einführung der Wehrpflicht in den Vereinigten Staaten Erfolg gehabt. Schon zweieinhalb Wochen später, am 5. Juni 1917, registrierte man alle einundzwanzig- bis einunddreißigjährigen männlichen Amerikaner, um Unterlagen für die Musterungsausschüsse zu gewin- nen. Zu den stellenweise befürchteten inneren Unruhen kam es bis auf verschwin- dende Ausnahmen nicht.

Um die einrückenden Rekrutenmengen bewältigen zu können, vervielfachte das Kriegsministerium im Sommer 1917 die Ausbildungskapazitäten durch die Anlage neuer Ausbildungslager5. Auf die dortige sechsmonatige Ausbildung folgten zwei Monate in frontnahen Lagern in Frankreich, denen sich nach Möglichkeit ein ein- monatiger Gewöhnungseinsatz in ruhigen Frontabschnitten anschloß®. Die Front profitierte von den amerikanischen Neuzugängen also erst nach einer gewissen An- laufzeit, während sich andererseits die anglo-französische Ersatzlage laufend ver- schlechterte. Daher drängten die Alliierten seit Herbst 1917 auf die beschleunigte Bereitstellung von Kampftruppen7. Das amerikanische Kriegsministerium rea- gierte darauf mit der Vorlage eines ersten langfristigen Programms für den Auf- bau der AEF. Ziel dieses sogenannten 30-Divisionen-Programms vom 19. Okto- ber 1917 war es, die AEF zu einer Stärke von 30 Divisionen mit einer Gesamt- stärke von 1,4 Millionen Mann aufzubauen8. Im Januar/Februar 1918 lief es auf breiter Front an, und schon nach einer recht kurzen Anlaufzeit konnten die Plan- ziele erreicht und fortan eingehalten werden.

Nachdem die deutsche Frühjahrsoffensive von 1918 den Alliierten erneut schwere Verluste zugefügt hatte, entschloß sich das Kriegsministerium auf Pershings Drän- gen hin, das 30-Divisionen-Programm zu erweitern. An seine Stelle trat am 30. April 1918 eine Variante, die bis zum Jahresende 1919 54 amerikanische Divi- sionen in Frankreich und weitere zwölf in den Vereinigten Staaten mit einer Ge- samtstärke von knapp 3,6 Millionen Mann vorsah9. Zunächst aber galt es, die schwierige alliierte Ersatzlage behelfsmäßig abzugleichen, zumal bis zum April 1918 nicht die von Pershing seinerzeit geforderte Million amerikanischer Soldaten, sondern nur 320000 Mann in Frankreich eingetroffen waren10. Noch im selben Monat gelang es, die bisherigen Planziele geringfügig zu übertreffen, und im Mai betrug die tatsächliche Transportleistung bereits 205 Prozent des ursprünglichen Solls. Insgesamt wurden von Mai bis Juli 1918 21 neu aufgestellte Divisionen im Rahmen des revidierten Programms nach Frankreich verlegt, doch schien auch das angesichts der weiterhin kritischen Lage nicht mehr zu genügen. Daher drängten

* Für VorgescüAte und Dislozierung vgl. Sullivan, S. 310 f. Eine Fülle von statìstisdien Einzel- heiten zu diesem Punkt enthalten: L. P. Ayres: The War with Germany. A Statistical Study, Washington D. C. 1919 (zit. Ayres); Kreidberg-Henry, S. 310 ff.

6 Bernardo-Bacon, S. 364; Sullivan, S. 314 ff.; J.G.Harbord: Die amerikanisdie Armee in Frank- reich. Dt. Ausgabe Berlin o. J., S. 80 f., 88, 124 (zit. Harbord).

7 D. Lloyd George: War Memoirs, 6 Bde, London 1933 ff., Bd 5, S. 2999 (zit. Lloyd George).

Vgl. ferner: J. Pershing: My Experiences in the World War, 2 Bde, New York 1931, Bd 1, S. 173 (zit.Pershing); Lloyd George, S. 2602 f., 3005 f. u. 3017; R.Baker: Woodrow Wilson, Life and Lette«, Garden City N . Y . 1927 ff., Bd 7, S.411; E.Hurley: The Bridge to France, Philadelphia 1927, S. 76 (zit. Hurley).

8 Für das Folgende vgl. Kreidberg-Henry, S. 303 f.

•Vgl. z.B. eine Tagebudinotiz des englischen Feldmarschalls Haig v. 23.3.1918 (The Private Papers of Douglas Haig, 1914-1919. Hrsg. R. Blake, London 1952, S.299); Der Weltkrieg 1914-1918. Hrsg. Reidisardiiv, OKH, Bundesardiiv, Bd 14, Frankfurt/M. 1956, S. 542 f.; Lloyd George, Bd 5, S. 3031 f. u. 3039 f.

>· Bernardo-Bacon, S. 356.

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England, Frankreich und Italien im Mai und Juni 1918 auf eine nochmalige Er- höhung der Planziele auf nunmehr 100 Divisionen; Pershing Schloß sich nach einigem Zögern an11.

Das Kriegsministerium setzte die Endstärke der AEF auf 80 Divisionen fest und machte diese Zahl zur Grundlage des sogenannten 80-Divisionen-Programms, das nach Billigung durch Wilson am 25. Juli 1918 in K r a f t trat. Es sollte die AEF bis zum Juli 1919 auf 80 Divisionen mit insgesamt 3 360 000 Mann bringen und sah weitere 1,5 Millionen Mann in den Vereinigten Staaten selbst vor. Im einzelnen enthielt das Programm folgende Einberufungs- und Transportquoten12:

Ubersicht 1 : Das 80-Divisionen-Programm in der Planung (alle Angaben in Tsd.

am Ende des Berichtsmonats)

Transport nach Frankreich Stärke Summe davon Ersatz der AEF

1918, Juni Programm noch nicht in Kraft 1000

Juli 345 250 50 1235

August 250 250 50 1470

Sept. 200 250 50 1705

Okt. 155 250 50 1945

Nov. 150 225 40 2160

Dez. 150 200 25 2350

1919, Januar 100 175 15 2515

Februar 200 175 15 2675

März 300 235 35 2885

April 300 250 75 3060

Mai 300 250 100 3210

Juni 300 250 100 3360

Summe 2750 2760 605

Bald zeigte es sich, daß man den bisherigen Einberufungsmodus würde ändern müssen, wenn dieser Plan verwirklidit werden sollte. Schon im Mai 1918 hatte der Kongreß Wilson ermächtigt, am 5. Juni 1918 alle männlichen Personen registrie- ren zu lassen, die seit dem 5. Juni 1917 21 Jahre alt und damit wehrpflichtig geworden waren. Angesichts der durch das 80-Divisionen-Programm erhöhten Personalforderungen wiederholte man dieses Verfahren am 24. August, doch er- wies es sich als ungenügend13.

Daher stand das Kriegsministerium nun vor der Wahl, entweder die zwar erfaß- ten, aber bislang nicht einberufenen Wehrpflichtigen stärker heranzuziehen oder die bisherige Zurückstellungspolitik beizubehalten und dafür den Kreis der Wehr- pflichtigen drastisch zu erweitern. Um die Zahl der sozialen Härtefälle möglichst niedrig zu halten, entschied sich Kriegsminister Baker für eine Verbreiterung der Erfassungsgrundlage, obwohl dieser Weg der kompliziertere war, da er eine neue gesetzliche Basis erforderte. Daraufhin wurde am 5. August 1918 eine Vorlage, die auch die Altersgruppen 18-20 und 32—45 Jahre in den Kreis der Wehrpflichti-

11 Harbord, S. 177; Schreiben von Clemenceau, Lloyd George und Orlando an Wilson v. 2.6.1918 (zit. bei E. Ludendorff: Urkunden der OHL über ihre Tätigkeit 1916-1918, Berlin, 4. Aufl. 1922, S. 496 f.) und Telegramm Pershings v. 23. 6.1918 (Pershing, Bd 2, S. 123; vgl. audi ebd.

S. 107 f.).

12 Hierzu und für die folgenden tabellarischen Angaben vgl. »Report of the Chief of Staff«, in:

War Department Annual Reports, Washington D. C. 1919, S. 241.

u Hierzu und für das Folgende vgl. Kreidberg-Henry, S. 262 f.

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gen einbezog, im Kongreß eingebracht und ohne nennenswerten Widerstand ver- abschiedet.

Da dieser neuen Erfassungswelle eine intensive Werbekampagne vorausging, ver- lief sie höchst erfolgreich und erbrachte weitere 13,2 Millionen Registrationen.

Damit waren seit Juni 1917 fast 24 Millionen Wehrpflichtige erfaßt worden, dodi kam nur ein Teil von ihnen für eine sofortige Einberufung in Frage. Um der Öffentlichkeit das erste Wehrpflichtgesetz akzeptabler zu madien, hatte man die- sen Personenkreis zunächst monatelang mittels eines wenig effizienten Systems festgestellt, das den rund 4600 regionalen Musterungsaussdiüssen weiten Ermes- sensspielraum ließ. Diese Rücksichtnahme wurde im Dezember 1917 aufgegeben.

Das fortan geübte Verfahren teilte die Zurückgestellten nicht mehr wie bisher nach dem Rückstellungsgrund ein, sondern lediglich nach dem Grad der Verfügbarkeit für den Wehrdienst. Auch wurden die Rückstellungskriterien nun einheitlicher gefaßt und eine Aufteilung der Gemusterten auf fünf Klassen vorgenommen:

Klasse I konnte sofort, Klasse V überhaupt nicht einberufen werden; dazwischen gruppierten sich die Klassen II bis IV. Folgende Aufstellung vermittelt ein zumin- dest grobes Bild der Musterungsergebnisse14:

Ubersicht 2: Musterungsergebnisse 1917/18 (in Tsd.)

Klasse in % der Summe

I. 6 373 26,7

II.—IV. 7 923 33,1

V. 3 297 13,8

Nichtgemusterte 6 315 26,4

Summe 23 909 100,0 Nur gut ein Viertel der Wehrpflichtigen fiel in Klasse I, aber schon diese eine Klasse wurde durch das 80-Divisionen-Programm nicht voll ausgeschöpft. Daher blieben neben der Klasse V auch die Klassen II bis IV vollständig vom Wehrdienst befreit - ein Luxus, den sich 1918 keine andere kriegführende Macht mehr hätte leisten können. Ersatzprobleme, wie sie die Planungen von Großbritannien, Frankreich oder Deutschland komplizierten, bestanden fortan in den USA nicht mehr.

Daher wurden die im 80-Divisionen-Programm vorgesehenen monatlichen Ein- berufungsquoten regelmäßig überboten15:

Ubersicht 3: Planung und Durchführung des 80-Divisionen-Programms 1918 (alle Angaben in Tsd. am Ende des Beriditsmonats)

I. Einberufungen II. Transport z. AEF III. Stärke d. AEF

Soll Ist Soll Ist Soll Ist

Juli 345 420 250 306 1235 1293

August 250 294 250 286 1470 1579

September 200 263 250 258 1705 1843

Oktober 155 249 250 186 1945 1971

November 150 7 225 11 2160 1944

(Gewisse Unstimmigkeiten zwischen den Spaltensummen haben sich nicht restlos aufklären lassen.)

» Ebd., S. 267.

15 Zahlen nach Ayres, S. 15.

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Wie diese Tabelle zeigt, bewegten sich die monatlichen Zugänge zur AEF nicht so kontinuierlich oberhalb der Planziele wie die Einberufungsquoten. Vielmehr lagen die monatlichen Zugänge zunächst erheblich über dem Soll, näherten sich ihm aber im September und unterschritten es im Oktober beträchtlich18. Eine Darstellung der tatsächlich erreichten Leistungen in Prozent der Plangrößen läßt das deutlich erkennen, zeigt aber auch, daß der Rückgang im September/Oktober 1918 geringer war als die vorher erzielten Überschüsse. Daher lag die AEF selbst Ende Oktober 1918 noch um rund 25 000 Mann über ihrer Sollstärke.

Obersicht 4: Abweichungen von der Planung bei der Durchführung des 80-Divi- sionen-Programms (Angaben in Prozent der Plangrößen am Ende der Berichts- monate)

(Die Abszisse stellt jeweils den geplanten Monatsendstand dar. Für die absoluten Werte vgl. Übersicht 3.)

Das Absinken unter die Planziele erklärt sich daraus, daß im September/Oktober 1918 die letzten Einheiten bei der AEF eintrafen, die noch vor der ersten Novellie- rung des Wehrgesetzes aufgestellt worden waren. Danach senkte der Mangel an verfügbaren Wehrpflichtigen vorübergehend das Aufstellungstempo, doch zog es sofort nach Bereitstellung der nötigen Personalreserven wieder stark an. Ab Februar/März 1919 wären, wie die Kurve der monatlichen Einberufungen zeigt, die Zuwachsraten bei der AEF wieder auf das vorgesehene Maß gestiegen. Dem- nach muß das durch frühere Fehlplanungen bedingte Absinken der Zugänge als eine vorübergehende Erscheinung gelten, nicht aber als erstes Anzeichen f ü r einen tendenziellen Rückgang der amerikanischen Kriegsanstrengungen.

Problematischer als die Aufstellung neuer Divisionen war deren Ausrüstung und ihr Transport nach Europa. Was zunächst die Ausrüstung mit Waffen und Gerät

M Die Zahlen für November sind nidit vergleichbar, da in diesen Monat der Absdiluß des Waf- fenstillstandes fiel.

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anlangt, so trat die Armee auch auf diesem Gebiet unvorbereitet in den Krieg ein. Alsbald stand man vor der Aufgabe, eine Armee ausrüsten zu müssen, ohne auf nennenswerte Bestände, eine Rüstungsindustrie oder audi nur auf orga- nisatorische Vorarbeiten zurückgreifen zu können.

Als das Kriegsministerium im Februar 1917 erstmals die Frage auf warf, innerhalb weldies Zeitraums eine Million Soldaten bewaffnet und ausgestattet werden könne, lauteten die Antworten wenig hoffnungsvoll17: schon für Bekleidung und Ausrüstung wurden Fristen von sechs bis zwölf Monaten genannt; f ü r die Be- schaffung der nötigen Handfeuerwaffen rechneten die Verantwortlichen mit zwölf Monaten, f ü r Maschinengewehre mit achtzehn und für Artillerie sogar mit dreißig Monaten Lieferzeit. Von mehr als einer Million Mann war zunächst überhaupt noch nicht die Rede.

Wenn sich die Ausstattung der AEF trotzdem ohne größere Stockungen vollziehen konnte, so hatte das mehrere Gründe: hinsichtlich der Bereitstellung der nötigen Uniformstücke bestanden nach einer gewissen Anlaufzeit nie mehr ernste Pro- bleme. Insgesamt wurden über zwölf Millionen Uniformjacken, etwa acht Millio- nen Militärmäntel etc. hergestellt. Ebenso hätten die sehr hohen Planziele für 1919 vermutlich erfüllt werden können, allerdings nur bei vorübergehendem Verzicht auf Wollieferungen an die Zivilbevölkerung18.

Auch die amerikanische Gewehrproduktion ließ sich relativ frühzeitig angemessen steigern, und entsprechend gestaltete sich die Versorgung mit Gewehr- und Maschinengewehrmunition. Die Beschaffung der Maschinengewehre selbst bot erheblich größere Schwierigkeiten. Jedoch standen genügend französische Maschi- nengewehre zur Verfügung, um die AEF bis zu dem Zeitpunkt zu versorgen, an dem die amerikanische Industrie ihren Bedarf würde decken können. Dieser Zu- stand trat im Spätsommer 1918 ein, und bei Kriegsende hätten die amerikanischen Maschinengewehrbestände aus eigener Produktion für eine Armee von der dreiein- halbfachen Größe der AEF ausgereicht.

Ähnlich griff das amerikanische Kriegsministerium bei der Flugzeugbeschaffung auf die Bundesgenossen zurüdc, denn trotz erheblicher Investitionen gelang es den Amerikanern bis zuletzt nicht, fronttaugliche Kampfflugzeugtypen zu entwickeln.

Dies erklärt sich daraus, daß es nodi bei Kriegseintritt der USA eine amerikanische Flugzeugindustrie praktisch nicht gab. 1913 waren in den Vereinigten Staaten 43, 1916 ganze 411 Flugzeuge gebaut worden, davon nur 142 Militärmaschinen.

Unter diesen Umständen blieb man während des ganzen Krieges dabei, bewährte anglo-französische Typen wie den französischen Spad S 13 und den englischen Aireo D H 4 in Lizenz nachzubauen. Es kennzeichnet die rasche Anpassung der amerikanischen Industrie an die Anforderungen des Krieges, daß weder deren Großserienbau noch Entwicklung und Serienproduktion des recht leistungsfähi- gen amerikanischen Liberty-Flugzeugmotors ernsthafte Schwierigkeiten bereite- ten: 1918 wurden in den USA rund 14 000 Militärflugzeuge gebaut, großenteils von Autofirmen, und bei Kriegsende waren allein für den Spad S 13 Lizenzauf- träge über rund 6000 Maschinen untergebracht. Der Liberty-Motor wurde insge- samt in 16 000 Exemplaren gebaut, bei Kriegsende mit einer Tageskapazität von 150 Stück. Allerdings diente die Eigenproduktion fast ausschließlich der Flieger-

» Kreidberg-Henry, S. 319.

" G. B. Clarkson: Industrial America in the War. The Strategy Behind the Line 1917-1918, Boston, New York 1923, S. 442 f. (zit. Clarkson). Für die Besdiaffungssdrwierigkeiten während der Anlaufphase vgl. audi Sullivan, S. 644 f.; Daniels - Tagebuch v. 21.10.1917 (E. D. Cronon Hrsg.: The Cabinet Diaries of Josephus Daniels, 1913-1921, Lincoln Nebr. 1963, S.225) (zit.

Daniels); Kreidberg-Henry, S. 322 f.

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Schulung; die Verbände der AEF flogen daher bis zuletzt großenteils mit französi- schen Maschinen19.

Desgleichen stützten sich die Amerikaner bei der Artillerieausrüstung der AEF auf anglo-französische Kriegserfahrungen, indem sie erprobte alliierte Gesdiütztypen wie die französische 7,5-cm-Feldkanone und die französische 15,5-cm-Haubitze nicht nur einführten, sondern zunächst auch samt Munition von Frankreich kauf- ten. Dies bot sich insofern an, als die Franzosen bei ständig sinkender Heeresstärke ihre artilleristisdien Produktionskapazitäten laufend vergrößerten (ohne allerdings eine entsprechende Rohstoffproduktion zu besitzen), während es in den USA zwar die Rohstoffe, aber zunächst keine nennenswerte Eigenproduktion gab. Dennodi errichteten die Amerikaner bei weiterer Inanspruchnahme der französischen Pro- duzenten gleichzeitig eigene Produktionsstätten. Offenbar lagen diesem Verhalten neben wirtschaftlidien Sonderinteressen der Rüstungsindustrie Prestigegesichts- punkte zugrunde. Die AEF sollte nach weitverbreitetem Wunsch nicht nur eine mit allen Waffen versehene »balanced force« sein, sondern sie sollte audi möglichst aus amerikanischer Produktion ausgestattet werden. Hinzu kamen allerdings zwin- gende Transporterwägungen: eine Verlagerung der gesamten Gesdiützerzeugung nach Frankreich hätte erheblich umfangreichere Rohstofftransporte über den Atlantik erfordert, Transporte, die das Allied Maritime Transport Council nidit ohne Schwierigkeiten hätte leisten können20.

Ohnehin galt in der amerikanischen Industrie nicht die Serienfertigung, sondern die Entwicklung fronttauglicher Typen als die eigentliche Klippe. War sie durch Neukonstruktion oder Lizenznahme einmal überwunden und die Industrie ent- sprechend umgestellt, so standen der Großserienfertigung keine wirklich ernst- haften Hindernisse mehr entgegen. Wegen des redit langsamen Starts der amerika- nischen Kriegswirtschaft wurde dieser Punkt im allgemeinen erst in den letzten Kriegsmonaten erreicht. Von da ab allerdings pflegten die amerikanischen monat- lichen Produktionsdurchschnitte sehr nahe bei, wenn nidit über den anglo-franzö- sischen zu liegen.

Übersicht 5: Artillerie- und Munitionsproduktion Englands, Frankreichs und der Vereinigten Staaten 1917/18, absolute Zahlen21

Großbritannien Frankreich USA vollständige Geschütze

Geschützrohre ungefüllte Art.-Munition

gefüllte Art.-Munition

486 802 7 748 7 347

8 065 11 852 138 357 121 739

659 1 138 6 661 7 638

11056 19 492 156170 149 827

412 832 7 044 2 712

2 008 4 275 38 623 17 260 (Die Spalten 1, 3 und 5 geben die monatliche Durchschnittsproduktion f ü r die Monate Juli bis September 1918, Spalten 2 , 4 und 6 die gesamte Produktion in den 19 Monaten gemeinsamer Kriegführung. Angaben zur Munition in Tsd.)

18 Für die Versorgung mit Maschinengewehren vgl. Clarkson, S. 133. Für die Flugzeugproduktion vgl. ebd., S. 236 u. 465; Sullivan, S. 436 u. 633; Daniels - Tagebudi v. 23. 7.1918 (Daniels, S. 323); K. Kens u. H . Müller: Die Flugzeuge des ersten Weltkrieges 1914-1918, Mündien 1966, S. 71 u. 144; Historical Statistics, S. 466.

10 Für die Versorgung mit Artillerie vgl. Clarkson, S. 236 ff.; Harbord, S. 121 u. 123; Lloyd George, Bd 3, S. 1703 f., u. Bd 5, S. 3063 f. Für den Lizenzbau von Panzerfahrzeugen in den Vereinigten Staaten vgl. Clarkson, S. 383.

11 Alle vorstehenden Zahlen aus: Was wir vom Weltkrieg nidit wissen. Im Auftrag der Welt- kriegsbüdierei hrsg. v. F. Felger, Berlin, Leipzig o. J. (1930), S. 371 f. (zit. Was wir vom Welt- krieg nidit wissen).

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Obiger Vergleich läßt diesen Vorgang deutlich erkennen: Wegen der langen Anlauf- zeiten standen die USA in der Gesamtproduktion weit hinter Großbritannien und Frankreich, während sie im Produktionsdurchschnitt der Monate Juli bis September 1918 ihre europäischen Verbündeten ein- ja teilweise überholten. Noch eindrucksvoller entwickelte sich die amerikanische Pulver- und Sprengstoffindu- strie, deren Produktion anfänglich sehr weit hinter dem Ausstoß der anglo-franzö- sischen Werke zurückblieb. Innerhalb von 18 Monaten kehrte sich das Verhältnis um.

Übersicht 6: Die alliierte Sprengstoff Produktion im Durchschnitt der Monate Juli bis September 1918, Angaben in Monatstonnen22

Großbritannien Frankreich USA Gesamtprod.

Pulver 5 460 7 830 19 360 32 650

andere Sprengstoffe 14 000 10 320 19 860 44 180

Summe 19 460 18 150 39 220 76 830

Diese besonders günstige Entwicklung erklärt sich zunächst daraus, daß schon einige Zeit vor dem amerikanischen Kriegseintritt alliierte Sprengstoffwerke in den Vereinigten Staaten bestanden hatten, auf deren Erfahrungen und Anlagen die Amerikaner zuriickgriffen. Alsbald begannen auch private Firmen mit der Pro- duktion. Pershings erste Forderung nach täglichen Lieferungen von 200 Tonnen Pulver und 300 Tonnen T N T an England und Frankreich trieb diese Entwicklung weiter voran, aber audi die Preise in die Höhe. Letzteres wiederum bewog die zuständigen Behörden zum Aufbau staatlicher Produktionsstätten mit hoher Kapazität. Ein erstes derartiges Sprengstoffwerk entstand in West Virginia, ein zweites in Tennessee. Beide Anlagen nahmen im Frühherbst 1918 die Produktion auf und waren bei Kriegsende etwa zu 80 Prozent fertiggestellt. Weitere Werke befanden sich im Bau oder in der Planung.

So gelang es, die amerikanische Tagesproduktion bis zum November 1918 auf das Sechsfache der /«Aresproduktion von 1914 anzuheben und zugleich die Preise um fast 50 Prozent zu senken. Für das Jahr 1919 war allein an rauchlosem Pulver ein Ausstoß von rund einer halben Million Tonnen vorgesehen, der den weitaus größ- ten Teil des alliierten Gesamtverbrauchs gedeckt hätte. Man muß sich demgegen- über vor Augen halten, daß die deutsche Pulverproduktion seit Oktober 1917 bei nur 12-14 000 Monatstonnen stehengeblieben war (weitere Produktionssteige- rungen wären dort ohnehin wenig sinnvoll gewesen, weil sie auf Grund von Stahl- mangel gar nicht in der Geschoßproduktion hätten verarbeitet werden können).

Der zweite der obengenannten neuralgischen Punkte war der Transport der in den Vereinigten Staaten aufgestellten Einheiten und ihres Materials nach Frankreich.

Bekanntlich hatte der Ubergang zum uneingeschränkten U-Bootkrieg die deut- schen Versenkungserfolge im Jahre 1917 auf fast das Dreifache des Vorjahres ansteigen lassen23. Zwar begannen die Versenkungszahlen schon im Herbst des

Für die amerikanische Pulver- und Sprengstoffproduktion vgl. Clarkson, S. 397 ff.; Β. M. Ba- rudi: American Industry in the War. A Report of the War Industries Board, Washington D. C.

1921, S. 177 f. (zit. Baruch: American Industry); Was wir vom Weltkrieg nidit wissen, S. 372.

Für Deutschland vgl. ebd., S. 363.

" Für das Folgende vgl. die Zahlenangaben bei J. A. Salter: Allied Shipping Control. An Experi- ment in International Administration, Oxford 1921, S. 355 ff. (zit. Salter). Diese Zahlen liegen besonders für 1918 weit unter denen bei A. Midielsen: Der U-Bootkrieg 1914-1918, Leipzig 1925, S. 196 f. (zit. Midieisen), erscheinen aber glaubwürdiger, da sie sich mit den Ermittlungen

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Jahres wieder abzusinken, doch stellten die U-Boote audi 1918 eine gefährliche Waffe dar; noch im Dezember 1917 vertraute der amerikanische Marineminister seinem Tagebuch die treffende Bemerkung an, »the ship is the neck of the bottle«24. Selbstverständlich konnte unter diesen Umständen die aktive U-Boot- bekämpfung allein nicht genügen. Daher fehlte es auf alliierter Seite nidit an sonstigen Gegenmaßnahmen, von denen hier aber nur das umfangreiche amerika- nische Neubauprogramm kurz behandelt werden soll25.

Nachdem Wilson auf Grund der Shipping Act vom 7. September 1916 die Mit- glieder des US Shipping Board ernannt hatte, konnten zumindest die Vorarbeiten für eine Verstärkung der amerikanischen Handelsflotte beginnen. Angesichts der für den amerikanischen Handel lukrativen Kriegssituation hatte Wilson derarti- ges schon in seiner Jahresbotschaft an den Kongreß von 1915 gefordert2®, doch handelte es sich seit 1917 hauptsächlich darum, die durch den U-Bootkrieg dezi- mierte amerikanische Handelsflotte überhaupt wieder auf ihren alten Stand zu bringen. Diese Aufgabe oblag der Emergency Fleet Corporation (EFC), einer dem Shipping Board nachgeordneten Dienststelle27.

Zunächst wurden die vorhandenen Werftkapazitäten mit staatlicher Hilfe erwei- tert. Daneben entstanden über 160 Neugründungen; deren größte, Hog Island am Delaware River, beschäftigte zeitweise mehr als 34 000 Arbeiter und konnte gleichzeitig 78 Schiffe bauen28. Bei Kriegsende besaßen die Vereinigten Staaten Werften mit 350 000 Mitarbeitern (dem Siebenfachen des Vorkriegsstandes!) und 1100 Hellingen, insgesamt also mehr als die doppelte Kapazität der übrigen Welt.

Englands Schiffbau- und Transportexperte Sir James Salter bemerkte daher rück- blickend mit Redit, daß nicht England, sondern Amerika den entscheidenden Bei- trag zum alliierten Sdiiffbauprogramm geleistet habe29.

Ursprünglich hatte die EFC den Bau von 3283 Schiffen mit rund 18,5 Millionen tons dead weight (tdw) geplant30. Am 1. September 1918 waren davon nur 1,81 Millionen tdw fertiggestellt, doch wurde diese Zahl schon in den beiden nächsten Monaten auf 2,67 Millionen tdw gesteigert. Der damit erreichte Monatsdurch- schnitt von 400 000 tdw stellte noch nicht die Endstufe der Planung dar31, über- stieg aber zu diesem Zeitpunkt bereits die Summe der monatlichen Schiffsverluste

von Lloyd's und von Gayer (in : Was wir vom Weltkrieg nidit wissen, S. 260) etwa decken.

Salters Zahlen enthalten auch die neutralen Verluste und die Verluste durch Minen, die etwa 20-25 »/o der Gesamtsumme ausmachen dürften. Vgl. audi Anm. 33.

u Daniels - Tagebuch v. 3.12.1917 (Daniels, S. 245). Vgl. audi die Einträge v. 11.12.1917 u. v.

3.4.1918 (ebd., S. 249 u. 296).

™ Für weitere Gegenmaßnahmen vgl. Daniels - Tagebuch v. 4. 5., 8. 5., 9. 6., 2.10. u. 2.11.1917 (Daniels, S. 146, 149, 153, 215 u. 230); Michelsen, S. 102; Hurley, S. 39 ff.; Kreidberg-Henry, S. 332 f. Für das im November 1917 gegründete Allied Maritime Transport Council, das alle Anstrengungen im alliierten Seetransportwesen koordinierte, vgl. Salter, S. 151 ff., 281 ff., 295;

Hurley, S. 198 ff.

" Für das Shipping Board vgl. Hurley, S. 19 ff., 27 u. 30. Für Wilsons Haltung vgl. ebd., S. 21;

The State of the Union' Messages of the Presidents 1790-1966. Hrsg. F. L. Israel, 3 Bde, New York 1966, Bd 3, S. 2560 ff. (besonders S. 2567 f.).

17 Für Vorgeschichte und Arbeitsweise der EFC vgl. Hurley, S. 21 ff. u. 46 ff. Die EFC entstand im April 1917, wenige Tage nadi dem amerikanischen Kriegseintritt.

18 Sullivan, S. 401.

** Salter, S. 82. Für die Zahlenangaben vgl. ebd., S. 84. (Die Zahlen bei Sullivan, S. 402, liegen höher, scheinen aber weniger zuverlässig.)

, 0 Angaben in tons dead weight (tdw) entspredien dem in den USA üblidien Maßsystem, während in Europa die Bruttoregistertonne (BRT) verwendet wird. Eine Umrechnung zwischen beiden Maßen ist wegen ihrer verschiedenen Bezugsgrößen nicht möglich. Erfahrungsgemäß liegen An- gaben in tdw um etwa 50 °/o über den entsprechenden Angaben in BRT. Short tons schließlich sind ein reines Gewichtsmaß (2000 pounds).

M Vgl. dazu die Zahlen bei Kreidberg-Henry, S. 329 u. 333; Hurley, S. 147 f. In der Endstufe sah die Planung eine durchschnittliche Monatsproduktion von 500 000 tdw vor.

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erheblich. So konnten in den letzten Kriegsmonaten nicht nur die laufenden Ab- gänge ersetzt, sondern auch frühere Verluste wieder wettgemacht werden.

Ubersidit 7: Bilanz der Verluste und Neubauten im Handelsschiffbau 1914—1918;

alle Angaben der Spalten 1, 2 und 5 in Tsd. BRT32

Summe der Summe der Anteil an den Bilanz Verluste Neubauten Neubauten (%) (Sp. 2—Sp. 1)

GB USA

1914 319 2 406 71 8 + 2 087

1915 1 312 1 192 56 15 — 120

1916 2 306 1 678 38 30 — 628

1917 6 078 2 910 42 34 — 3 168

1918 x 2 528 5 398 29 56 + 2 870

(Jan.—Nov.)

Summen 12 543 13 584 + 1 041 Uberhaupt hing die schiffbauliche Gesamtentwicklung der Jahre 1916 bis 1918 zunehmend von den amerikanischen Leistungen ab, während Englands Anteil pro- zentual zurückging. Im übrigen gestaltete sich die alliierte Transportlage günstiger, als die deutschen Versenkungszahlen vermuten lassen38.

Hier wie auf anderen Gebieten der amerikanischen Rüstungswirtschaft wäre der volle Effekt der eingeleiteten Maßnahmen erst im Jahre 1919 fühlbar geworden.

Allerdings bleibt zu fragen, ob das Schiffbauprogramm nach seinen Planzielen und deren Durchführbarkeit den Anforderungen gewachsen war, die sidi aus der Entwicklung der AEF ergeben mußten. Hurley, der damalige Vorsitzende des Shipping Board, bejaht diese Frage für die oben beschriebene Variante des 30- Divisionen-Programms ohne Zögern; in der Tat wurden deren Transportziele fast durdiweg erreicht34. Audi die Forderungen des 80-Divisionen-Programms wären nach Hurley realisierbar gewesen, allerdings erst ab Juli 1919. Für die Zwischen- zeit wurden schon während des Krieges Ubergangsmaßnahmen getroffen, die es erlaubten, das Programm wenigstens in seinem personellen Teil planmäßig weiter- zuführen35.

Dagegen blieben die Materialtransporte trotz steigender Tendenz immer weiter hinter dem Plan wie auch besonders hinter den Forderungen der AEF zurück3®.

Hier bestand zweifellos ein Problem, doch läßt die enge Korrelation zwischen den Ist-Stärken der AEF und ihren Transportwünschen vermuten, daß diese Anforde- rungen etwas schematisch aus der jeweiligen Ist-Stärke errechnet wurden. Falls das

u Aus den Zahlen bei Salter, S. 355 ff. u. 361, beredinet.

M Für die Zahlendifferenzen vgl. oben Anm. 23, ferner Midieisen, S. 195. Mit hoher Wahrschein- lichkeit gehen die ebd., S. 196 f., genannten Zahlen auf Midieisens Tätigkeit als BdU zurück.

Die Differenzen (deutsche Angaben minus englische Angaben) betrugen in Tsd. BRT (Sp. 1) und in Prozent der englischen Angaben (Sp. 2) :

1914 — 219 Tsd. BRT — 69 ®/o 1915 + 184 Tsd. BRT + 14 Vo 1916 + 517 Tsd. BRT + 22 Vo 1917 + 3116 Tsd. BRT + 51 ®/o 1918 + 2586 Tsd. BRT + 1 0 2 · / ο

Trotzdem werden Midieisens Zahlen gelegentlich in der Literatur kritiklos übernommen, so von Erdmann in: Gebhardt, Hdb. d. deutschen Geschichte, Bd 4, Stuttgart, 8. Aufl. 1959, S. 344.

M Für das Folgende vgl. Hurley, S. 129 ff., u. Salter, S. 174.

ω Hauptsächlich wurden den USA 1,2 Millionen BRT nichtamerikanischer Tonnage überlassen, die mit wachsender Produktion der amerikanischen Werften wieder an die Herkunftsländer zurückfließen sollten. Vgl. dazu Salter, S. 204 ff. u. 310 ff.

»· Vgl. die Zahlen bei Hurley, S. 132.

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zutrifft, hätte ein gewisses Unterschreiten dieser Forderungen vermutlich auch über längere Zeit hinweg keine allzu schweren Folgen gehabt. Schon die Tatsache, daß die AEF im Herbst 1918 ihre Kampfaufträge unbeschadet der logistischen Entwicklung weithin erfüllen konnte, zeigt, daß Einsparungen möglich waren und notfalls auch durchgeführt wurden. Eine ernste Gefährdung des 80-Divisionen- Programms bestand also auch auf dem Transportsektor weder im Herbst 1918, noch war dergleichen für 1919 zu erwarten.

Rüstungswirtschaftliche Produktionserfolge setzen einen stetigen Zufluß von Roh- stoffen, Halbfabrikaten und Lebensmitteln voraus. Jedoch hatten relativ frühe Anregungen, eine »wirtschaftliche Mobilmachung« schon im Frieden vorzuberei- ten, in den USA nodi geringeren Erfolg gehabt als in Europa. Während sich Wilson auch in den ersten Kriegsjahren weiterhin zurückhielt, brachte die »pre- paredness-Discussion« neben militärischen zunehmend auch kriegswirtschaftliche Rüstungsfragen zur Sprache. 1915/16 entstanden erste halbamtliche Planungsstel- len37. Etwa gleichzeitig schaltete sich der Mann in die Diskussion ein, der in den folgenden Jahren zur Schlüsselfigur der amerikanischen Kriegswirtschaft aufstieg:

Bernard Baruch, erfolgreicher Spekulant, Millionär und verschworener Anhänger Wilsons, wandte sich im September 1915 erstmals mit rüstungswirtschaftlichen Plänen an den Präsidenten38. Wilson äußerte zwar zunächst keine Zustimmung, inkorporierte aber Baruchs Anregungen teilweise in seinen Entwurf eines nationa- len Verteidigungsgesetzes.

Dieses Gesetz, das am 29. August 1916 verabschiedet wurde, sah unter anderem die Bildung eines aus Kabinettsmitgliedern bestehenden Nationalen Verteidi- gungsrates vor39. Ihm sollte ein siebenköpfiger Beraterstab beigegeben werden, in den Wilson neben anderen Wirtschaftsführern auch Baruch berief. Damit war etwa gleichzeitig mit dem US Shipping Board ein zweites kriegswirtschaftlich orientiertes Gremium entstanden. In den nächsten Jahren folgten weitere derartige Gründungen, dodi blieben das Shipping Board und das später aus dem Berater- stab des Verteidigungsrates hervorgegangene War Industries Board stets das eigentliche Nervenzentrum der amerikanischen Kriegswirtschaft40.

Der neugegründete Ausschuß begann seine Arbeit im Januar 1917. Wilson hatte ihn damit beauftragt, »Voraussetzungen zu schaffen, die es erlauben, in Notzeiten die nationalen Ressourcen sofort zu koordinieren und einzusetzen«. Praktisch be- deutete das zunächst das Studium von Transportfragen und die Fortsetzung der bislang etwas dilettantisch betriebenen kriegswirtschaftlichen Mobilmadiungsvor- arbeiten. Beidem widmete sich die Kommission mit Eifer, so daß Wilson im April 1917 wenigstens über einen gewissen Fundus von Informationen und Plänen ver- fügte. Im übrigen stand der Ausschuß den Ressorts gelegentlich beratend zur Seite.

Da ihm neben Vertretern der Arbeitgeberseite auch der Gewerkschaftsführer Gompers angehörte, bildete er außerdem den Rahmen für eine erste Annäherung zwischen Unternehmern und Gewerkschaften in kriegswirtschaftlichen Fragen41. Im Grunde aber war die Kommission ihren Aufgaben nicht gewachsen42: sie

Clarkson, S. 11 ff.; Sullivan, S. 377f.

M Für das Folgende vgl. ausführlich B. M. Barudi: The Public Years, New York 1960, S. 19 ff.

(zit. Barudi); M. L. Coit: Mr. Baruch, Cambridge Mass. 1957, S. 147ff. (zit. Coit).

, a Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen bei Clarkson, S. 491 f.

40 Für das Shipping Board vgl. oben S. 67 f. Für die Anfänge der Advisory Commission vgl. Ba- rudi, S. 25f.; Coit, S. 154ff.; Clarkson, S. 24 ff. Das folgende Zitat entstammt Wilsons bei der Gründung des Verteidigungsrates und seines Beraterstabes abgegebener Erklärung (Wortlaut:

Clarkson, S. 21 f.).

41 Für die Beratertätigkeit der Kommission vgl. u. a. Daniels - Tagebuch v. 23. 3. 1917 (Daniels, S. 120). Für Gompers vgl. das Zitat aus den Kommissionsprotokollen bei Coit, S. 158.

" Für das Folgende vgl. Barudi, S. 41 ff.

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besaß weder nennenswerte Kompetenzen noch das ungeteilte Vertrauen von Heer und Marine und stand einem Behördenchaos von beträchtlichem Ausmaß gegen- über. Als sich auch die Gründung eines General Munitions Board als Fehlsdilag erwies, wurden Beraterstab und Munitionsausschuß im August 1917 zum War Industries Board (WIB) umgebildet.

Freilich hatte das WIB mit den Aufgaben audi die strukturellen Schwächen seiner Vorgänger übernommen43. Hinzu kam, daß der Winter 1917/18 in Washington

»eine Zeit des Treibenlassens und der Entschlußlosigkeit« war, die umfassende Lösungen nicht begünstigte. Nachdem sich Wilson schließlich von der Notwendig- keit einschneidender Maßnahmen hatte überzeugen lassen, beschloß er, die Kompe- tenzen des WIB-Vorsitzenden erheblich zu erweitern und Baruch auf diesen Posten zu berufen. Am 4. März 1918 benachrichtigte er ihn brieflich von seiner Ernennung44.

Dieser Brief markiert die eigentliche Zäsur in der kriegswirtschaftlichen Entwick- lung. Er wies dem umgebildeten WIB folgende Aufgaben zu:

1. Die Umstellung schon bestehender Betriebe auf Kriegsbedürfnisse 2. den Aufbau rüstungswirtschaftlicher Produktionsstätten

3. die Erschließung neuer Versorgungskanäle

4. die Einführung von Dringlichkeitsstufen in der Fertigung

5. die praktische Durchführung anglo-französisdier Einkäufe in den USA.

Wilson beendete sein Schreiben mit dem Satz, in Zukunft sei der Vorsitzende des WIB »the general eye of all supply departments in the field of industry«. Recht- lich basierte alles das freilich nur auf Wilsons im Verteidigungsgesetz verankertem Recht, Verteidigungsaufgaben zu delegieren. Ihre eigentliche Legitimation erhielt die Arbeit des WIB durch Wilsons unbedingte Unterstützung, die nie mehr ernst- hafte Kompetenzstreitigkeiten aufkommen ließ45.

Organisatorisch bot das WIB ein recht komplexes Bild48: Baruch leitete das eigentliche Board, ein zwölfköpfiges Gremium, das sich aus einigen Juristen und Offizieren, einem Gewerkschaftsfunktionär und vor allem einer Reihe von Wirt- schaftsvertretern zusammensetzte. Außer den Offizieren leitete jedes Mitglied sei- nerseits eine Hauptabteilung, deren Kern wiederum ein Ausschuß bildete. Unter diesen Abteilungen, jedoch ihnen nicht unterstellt, arbeiteten rund 60 »commodity sections«, die für die Herstellung jeweils einer Produktgruppe verantwortlich waren. Sie bildeten das eigentliche Rückgrat der kriegswirtschaftlichen Organisa- tion, da sie den Informationsfluß zwischen dem WIB und der Industrie bewerkstel- ligten. Zwischen ihnen und den Betrieben selbst standen sogenannte war service committees, die aus den Reihen der regionalen Wirtschaftsführer beschickt wurden.

Insgesamt umfaßte dieser Apparat rund 730 hauptamtliche Mitarbeiter, die vor- her zu mindestens 60 Prozent der freien Wirtschaft angehört hatten. Großenteils handelte es sich dabei um Besitzer oder leitende Angestellte industrieller Unter- nehmen. Städtische und staatliche Bedienstete (Beamte, Offiziere und Hochschul- lehrer) waren mit 16 Prozent, freiberufliche Juristen mit 6 Prozent vertreten.

18 Prozent der Mitglieder sind beruflich nicht eindeutig identifizierbar, scheinen

« Vgl. Clarkson, S. 35ff.; Coit, S. 164ff.; Barudi, S. 43 ff. (die zitierte Wendung ebd., S. 44);

Daniels - Tagebuch v. 25. 7. u. 30. 10. 1917 (Daniels, S. 182 u. 229).

44 Wilsons Brief an Barudi v. 4. 3. 1918 b. Baruch: American Industry, S. 25 f. Vgl. ergänzend Coit, S. 171 f. Wilsons Entsdiluß wurde am 28. 5.1918 durdi einen Präsidialerlaß formalisiert, der seinerseits auf der am 20. 5. verabschiedeten Overman Act basierte (Wortlaut b. Barudi:

American Industry, S. 26).

45 Zu Baruchs Stellung vgl. Barudi: American Industry, S. 27; Clarkson, S. 94 ff.; Coit, S. 172f.

u. 200.

" Für das Folgende vgl. Baruch: American Industry, S. 29, 103 ff. u. 185. Eine Aufstellung von Board, main divisions und war service committees bei Clarkson, S. 501 ff.

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aber großenteils ebenfalls aus der Wirtschaft gekommen zu sein. Dagegen war die Arbeiterschaft nur durch drei Gewerkschaftsfunktionäre, also mit etwa 0,4 Pro- zent vertreten47.

Wie schon die personelle Zusammensetzung des WIB zeigt, basierte Baruchs Orga- nisation auf dem Prinzip, die Wirtschaft ihre Kriegsaufgaben nach Möglichkeit eigenverantwortlich lösen zu lassen. Praktisches Ergebnis dieser Einstellung war das Bestreben, auch die Kriegswirtschaft am Marktgleichgewicht zu orientieren48. Allerdings hatte sich infolge der riesigen staatlichen Kriegsaufträge ein so großer Nadifrageiiberhang gebildet, daß praktisch keine Anbieterkonkurrenz mehr be- stand. Daher wurde mit Hilfe der erwähnten commodity sections ein künstliches Marktgleichgewicht herbeigeführt: Da sich diese Gremien aus Vertretern der Wirt- schaft und der kaufenden Regierungsstellen (Heer, Marine, EFC etc.) zusammen- setzten und ihre Beschlüsse einstimmig fassen mußten, erfolgte hier in gewissem Sinn tatsächlich ein Einpendeln von Angebot und Nachfrage. So ließ sich wenig- stens partiell am wirtschaftlichen laissez-faire festhalten und eine Verstaatlichung der Rüstungsindustrie vermeiden, für die Wilson und Baruch kaum mehr Interesse aufbrachten als die Industriellen selbst.

Zugleich erforderte dieses System zwingend das Arbeiten mit Ausschüssen. Wie wir sahen, wurde dieser Weg im allgemeinen tatsächlich beschritten, doch zeigte es sich wiederholt, daß auf ein gewisses Maß staatlicher Befehlsgewalt nicht verzich- tet werden konnte. Daher wurden seit dem Spät jähr 1917 immer mehr kriegswirt- schaftliche Spitzenbehörden je einem Verantwortlichen unterstellt49. Diese Amts- chefs bildeten zusammen mit den Ministern für Heer, Marine und Finanzen Wil- sons Kriegskabinett und schuldeten nur ihm Rechenschaft. Innerhalb der einzelnen kriegswirtschaftlichen Spitzenbehörden wurde jedoch auch weiterhin nach Kräften am Ausschußprinzip festgehalten: Solange die Amtschefs nicht absolute und all- umfassende Autorität besaßen - und davon blieb man bis zuletzt weit entfernt - versprach auf mittlerer und unterer Ebene das »meeting of the minds« aller Beteiligten die besten Ergebnisse - allerdings auch die höchsten Kriegsgewinne.

Andererseits war Baruch nicht nur auf Patriotismus und Kooperationswilligkeit der Industriellen angewiesen. Vielmehr stand ihm ein verhältnismäßig wirksames In- strumentarium zur Verfügung, das wiederholt erfolgreich gegen widerspenstige Unternehmer eingesetzt wurde50: Ehe ein Produkt in die Serienfertigung gehen konnte, bedurfte es einer Produktionserlaubnis (»clearance«), die nur das WIB oder einer seiner Unterausschüsse geben konnte. War sie erteilt, so mußte das Pro- dukt nach seiner Dringlichkeit (»priority«) eingestuft werden51. Wilson hatte die alleinige Entscheidung über diesen Punkt dem WIB übertragen, das insgesamt mehr als 200 000 entsprechende Gesuche erledigte. Sie wurden auf die vier Dringlichkeits- stufen A bis D und eine Sonderstufe AA verteilt und entsprechend ihrer Priorität mit Arbeitskräften, Rohstoffen etc. versorgt. Seit dem 1. Juli 1918 fand dieses Verfahren praktisch auf die gesamte amerikanische Wirtschaft Anwendung. Ihm

" Baruch: American Industry, S. 298 ff., nennt den gesamten Mitarbeiterstab sowie die Friedens- tätigkeit der Mitarbeiter und ihre Funktion im WIB.

4 8 Clarkson, S. 477; Barudi, S. 53 f.

" So im August 1917 die Brennstoffverwaltung (Garfield), am 15. 10. 1917 das War Trade Board (McCormidt), am 26.12.1917 die Eisenbahnen (McAdoo), ferner die Lebensmittelverwaltung (Hoover) und die EFC (Hurley).

ol> Vgl. als ein Beispiel für viele Baruchs Behandlung der Automobilindustrie, als sie sidi einer

Senkung der Produktion von PKW für den Zivilverbraudi widersetzte (Baruch, S. 59 ff.). Vgl.

ferner Clarkson, S. 480 f.

51 Clearance vgl. Clarkson, S. 116ff.; Barudi: American Industry, S. 34f. Priorities vgl. Clark- son, S. 143 ff.; Barudi: American Industry, S. 52 ff. (mit Angabe der Klassifizierungsmerkmale).

Vgl. besonders das ebd., S. 330-339, abgedruckte Priorities Circular Nr. 4 v. 1. 7.1918.

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entsprach eine Einteilung der Industrie in fünf nach ihrer Kriegswichtigkeit unter- schiedene Gruppen, die ebenfalls einer optimalen Aufteilung der verfügbaren Pro- duktionsfaktoren diente62.

Da die Dringlichkeitsstufe unabänderlich über das Wohl und Wehe eines Produkts entschied, wurde sie Baruchs wirksamstes Lenkungs- und notfalls Zwangsinstru- ment. Nur selten brauchten unter diesen Umständen Produktionsbefehle erteilt oder Unternehmen beschlagnahmt zu werden, was durchaus im Sinne der Baruch- schen Kriegswirtschaftskonzeption lag53. Vielleicht war es die größte Leistung des WIB, daß es auf diese Weise das zentrale Redistributionsproblem löste, ohne eine Inflationierung der Dringlichkeitsstufen auszulösen.

Problematischer gestaltete sich die Preispolitik. In den ersten Kriegsmonaten hatte es statt wirksamer Preisfixierungen lediglich einzelne freiwillige Absprachen ge- geben, die auf die Dauer ebensowenig genügten wie Drohungen und moralische Appelle der Regierung84. Schließlich erteilte Wilson der Industrie im Juli 1917 eine scharfe Rüge, und seitdem versteifte sich die Haltung aller staatlichen Abneh- mer in der Preisfrage. Nun erst gelang es, die Stahlindustrie zur Annahme einer festen Preisliste zu bewegen, von der die Preise zahlloser Fertigprodukte abhin- gen55. Wenn diese Liste bis zum Kriegsende kaum verändert wurde, so stellte das zweifellos einen Erfolg des WIB und seines im März 1918 gegründeten Preis- bildungsausschusses dar. Andererseits lagen die vereinbarten Preise in sehr vielen Fällen so hoch, daß die Reingewinne das in Friedenszeiten übliche Maß weit überschritten.

Immerhin bot diese recht liberale Preispolitik einen wesentlichen Ansporn zur Produktionssteigerung in Industrie und Landwirtschaft, wie sie auch sonst auf jede Weise gefördert wurde. Desgleichen unterstützte die Regierung den Aufbau von Produktionsstätten für die Stoffe, die bisher nicht oder nicht in genügender Menge im Inland erzeugt worden waren. Hier bildeten hohe Gewinnerwartungen eben- falls einen Anreiz für die Industrie, doch baute der Staat notfalls eigene Werke auf, wenn ihre Preisforderungen zu hoch erschienen56. Ähnlich intensiv förderte er den Import knapper Rohmaterialien. Im Mittelpunkt stand das Bestreben, maxi- male Mengen salpetersauren Natriums aus Chile einzuführen, da dieser Rohstoff unentbehrlich für die Sprengstofferzeugung war. Politischer und wirtschaftlicher Druck auf Chile bewirkte, daß sich das Importvolumen verdoppelte, ohne daß die Preise allzusehr anstiegen57. In zweiter Linie suchte man die Einfuhr von Wolle und Jute zu vergrößern. Beides stieß gelegentlich auf Schwierigkeiten, da beide Stoffe nur mit englischer Vermittlung und zu den dort gewünschten Preisen be- zogen werden konnten. Der Hinweis auf die Möglichkeit amerikanischer Gegen- maßnahmen verringerte jedoch auch hier die bestehenden Schwierigkeiten.

Einen dritten Weg zur Verbesserung der Lebensmittel- und Rohstoffbasis eröffnete die Einführung verschiedener Sparmaßnahmen. Verhältnismäßig unkompliziert waren Konsumbeschränkungen, die ein wichtiges Instrument vor allem der Le-

M In den letzten Kriegsmonaten umfaßten diese Präferenzlisten etwa 7000 bevorzugt zu versor- gende Betriebe. Vgl. die Präferenzlisten Nr. 1 v. 6. 4.1918 u. Nr. 2 v. 3.9.1918 (Clarkson, S. 340-350).

M Zunächst konnten audi andere Behörden Beschlagnahmen verfügen, dodi war das seit Septem- ber 1918 nur nodi mit Billigung des WIB möglich (ebd., S. 103 u. 177).

M Vgl. z. B. das Daniels-Tagebuch v. 3. 4. u. 29. 5.1917 (Daniels, S. 128 u. 158); Baruch: Ameri- can Industry, S. 74; Clarkson, S. 162 ff.

ω Daniels-Tagebuch ν. 7. 7., 12. 7., 23. 7. u. 26. 7.1917 (Daniels, S. 174, 178 u. 181 f.). Für die Stahlpreisliste v. 24.9.1917 vgl. Baruch, S. 63 ff.

M Vgl. ζ. Β. Clarkson, S. 403, 405 u. 408 f.; Barudi: American Industry, S. 158 f. u. 163 ff.

" Hierzu und zum Folgenden vgl. Clarkson, S. 387ff.; Baruch: American Industry, S. 92 u. 157f.;

Barudi, S. 71.

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bensmittelverwaltung bildeten. Diese im Mai 1917 von dem späteren Präsidenten Hoover aufgebaute Behörde hatte die Aufgabe erhalten, durch Einsparungen und Anbauförderung ein Maximum an Lebensmitteln für die Versorgung der europäi- schen Alliierten bereitzustellen58. So beherrschte Hoover als »Lebensmitteldikta- tor« letztlich »jede Phase der Lebensmittelbewirtschaftung vom Acker bis zum Magen«, wenngleich auch er sich wie andere Amtschefs in hohem Maße auf die freiwillige Mitarbeit der Betroffenen angewiesen sah. George Creels Committee on Public Information sorgte dafür, daß er in diesem Punkt nicht enttäuscht wurde59: Der Kauf von »Victory bread«, der »fleischlose Dienstag« und ähnliche Kampagnen erfreuten sich ebenso weiter Verbreitung wie Hoovers allgegenwärti- ger Slogan »Food will win the War«. Der Erfolg dieser Maßnahmen (und der Lebensmittelreichtum der Vereinigten Staaten!) war so groß, daß auf Rationierung und Preisfixierung verzichtet werden konnte60.

Auch in der Industrie wurden Sparmaßnahmen angeordnet, die bis zur Stillegung ganzer Industriezweige oder deren Umstellung auf die Herstellung kriegswichtiger Produkte reichten. Berühmtestes Beispiel für diese Politik wurde die Stillegung beziehungsweise Umstellung der zivilen Autoproduktion, gegen die die Autopro- duzenten vergeblich angingen91.

Ihre Ergänzung fanden diese Sparmaßnahmen in einer drastischen Typenreduk- tion im nicht kriegswichtigen Warenangebot. Besonders f ü r das Jahr 1919 waren auf diesem Gebiet einschneidende Schritte geplant worden, doch endeten mit dem Krieg auch alle derartigen Bestrebungen62. Daneben versuchte man, den Produk- tionsprozeß selbst zu vereinfachen und dadurch weniger aufwendig zu gestalten oder bei gleicher Einsatzmenge den Ausstoß zu erhöhen. Diese Maßnahmen erwie- sen sich als außerordentlich fruchtbar, zumal sich die Schüler des amerikanischen Rationalisierungsexperten Frederick W. Taylor rückhaltlos in den Dienst dieser Bewegung stellten: »Effizienz wurde zur vaterländischen Pflicht«, eine Erschei- nung, der wir in jenen Jahren übrigens auf beiden Seiten der Front begegnen.

Besonderes Gewicht kam dem Vorschlag zu, jeweils alle Teile einer Waffe oder Maschine im selben Landesteil herzustellen. Baruch griff diese Anregung sofort auf und unterteilte das Gebiet der Vereinigten Staaten in 21 Industrieregionen, die möglichst unabhängig voneinander produzieren und weiterverarbeiten sollten63. Diese Maßnahme setzte nicht nur Transportkapazitäten frei, sondern entlastete außerdem den hochindustrialisierten Nordosten des Landes, der vorher rüstungs- wirtschaftlich die Hauptlast getragen hatte.

Wie erfolgreich waren nun die Versuche, durch Importsteigerung, Produktions- erhöhung oder Ersparnis mehr Lebensmittel und Rohstoffe verfügbar zu machen?

Betrachten wir zunächst die amerikanische Produktion an Grundnahrungsmit- teln: zwischen 1916 und 1918 erhöhte sich die Weizenernte von 635 auf 904 Mil- lionen, die Kartoffelerzeugung von 270 auf 346 Millionen Tonnen64. Vom Juli 1917 bis zum Kriegsende gelang es, den Rinderbestand um 3 Millionen auf 73 Millio-

M H. Hoover: Memoiren, 3 Bde, Dt. Ausg. Mainz 1951, Bd 1, S. 216 (zit. Hoover).

M Für das Committee on Public Information vgl. neuerdings die Dissertation von G. Scholz:

Staatlidie Information und Propaganda im Krieg. Das US Committee on Public Information (1917-1919). Diss. phil. Heidelberg 1967.

·» Sullivan, S. 416 ff. u. 479; Hoover, S. 219 f.

" Baruch: American Industry, S. 58 f; Clarkson, S. 331 f. u. 342.

11 Für die Konsumbeschränkungen vgl. Sullivan, S. 418 ff. Zur Angebotsstandardisierung vgl. Ba- ruch: American Industry, S. 65 ff.

" Für technologische Effizienzsteigerungen vgl. Clarkson, S. 209 ff.; S. Haber: Efficiency and Up- lift. Scientific Management in the Progressive Era 1890-1920, Chicago 1964, S. 117 ff. (die zitier- ten Wendungen auf S. 119); Coit, S. 185. Eine Liste der regional advisers bei Clarkson, S. 508.

M Zahlenangaben zur Lebensmittelerzeugung bei Hoover, S. 239 ff. Die für die Volksernährung weniger wichtigen Mais-, Reis- und Haferernten stiegen im gleichen Zeitraum weit sdiwädier.

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nen, den Schweinebestand um 11 Millionen auf 64 Millionen anzuheben; entspre- chend stieg die Anzahl der Schlachtungen sowie die Fleisch- und Fetterzeugung.

Da der amerikanische Eigenkonsum infolge der geschilderten Sparmaßnahmen eher gegenüber dem Vorkriegskonsum absank, stand die Mehrproduktion fast un- eingeschränkt den europäischen Alliierten zur Verfügung.

Von den Textilrohstoffen war Baumwolle stets in genügender Menge vorhanden, während die Wollversorgung erhebliche Probleme aufwarf6®. Der Friedensbedarf der USA lag bei jährlich 450 Millionen Pfund, wovon zwei Drittel im Inland erzeugt wurden. 1918 wurden dagegen 752 Millionen Pfund verbraucht, während sich die Eigenproduktion nur geringfügig erhöhte. Der zuständige WIB-Aussdiuß suchte diesen Mangel durch Beschlagnahme der gesamten einheimischen Wollpro- duktion zu beheben. In der Tat gelang es, die Versorgung der kriegswichtigen Betriebe zu verbessern; allerdings standen der Zivilbevölkerung fortan nur noch kleine Mengen zur Verfügung. Auch 1919 hätte sich die Situation nidit wesentlich geändert, dodi war zumindest keine Versorgungskrise mehr zu befürchten.

Weitaus reibungsloser gestaltete sich die bei den Mittelmächten besonders kritische Gummiversorgung, da den Amerikanern der Weltmarkt zugänglich war66. Auch die Bereitstellung der benötigten Aluminium-, Blei- und Zinkmengen stieß nidit auf Schwierigkeiten. Im Mittelpunkt der amerikanischen Bemühungen um eine ausreichende Versorgung mit Nichteisenmetallen stand vielmehr das Kupfer, nach Stahl das kriegswichtigste metallische Ausgangsmaterial®7. Die Vereinigten Staa- ten hatten vor 1914 etwa zwei Drittel des Weltkupfers erzeugt, und während des Krieges gelang es, die Jahresproduktion allmählich um insgesamt 51 Prozent auf 1,1 Millionen Tonnen im Jahre 1918 zu steigern. Dennoch bestand schon vor dem Kriegseintritt der Amerikaner ein Nachfrageüberhang, da England und Frank- reich laufend riesige Bestellungen vornahmen. Unter diesen Umständen wurde die Kupferproduktion frühzeitig staatlicher Kontrolle unterstellt und durch eine der Industrie entgegenkommende Preisgestaltung sowie notfalls durch energisches Vor- gehen gegen streikende Kupferbergleute gesteigert. Da zudem der zivile Bedarf relativ gering war, konnte die Kupferversorgung der Vereinigten Staaten und ihrer Alliierten meistens als ausreichend gelten.

Kern aller kriegswirtschaftlichen Anstrengungen war zweifellos die Stahlversor- gung. In den letzten Friedensjahren hatten die amerikanischen Stahlwerke jährlich rung 30 Millionen Tonnen, 1916 auf Grund alliierter Aufträge fast 43 Millionen Tonnen Stahl erzeugt68. Schwierigkeiten in der Beschaffung von Eisenerz bestan- den nicht, denn die USA importierten nur ein bis zwei Prozent ihres Bedarfs.

Jedoch stieg seit 1914 die Nachfrage nach Stahl soviel schneller als die Produktion, daß der Stahlpreis schließlich im Juli 1917 eine Spitze von 370 Prozent des Vor- kriegsstandes erreichte. Wilsons Eingreifen führte schließlich zu der bereits erwähn- ten Stahlpreisliste vom 24. September 1917, der rasdi weitere Reglementierungen folgten. Seit Anfang 1918 kontrollierte das WIB praktisch die Stahlproduktion, seit Juli des Jahres audi die gesamte Weiterverarbeitung.

Von Anfang an wurde die Stahlproduktion mit allen verfügbaren Mitteln gestei- gert, während die Industrie über dem lukrativen Stahlgeschäft die Roheisenkapa- zitäten eher vernachlässigte.

ω Baruch: American Industry, S. 229 ff.

w Ebd., S. 255 ff.; Clarkson, S. 436 f.

7 Für Aluminium, Blei und Zink vgl. Baruch: American Industry, S. 137 u. 148 ff. Für die Kup- ferversorgung vgl. ebd., S. 130 ff.; Clarkson, S. 346 ff.

1,8 Für die Stahlversorgung vgl. Baruch: American Industry, S. 110 ff.; Clarkson, S. 324 ff. u. 331 ff.;

Historical Statistics, S. 416. Das Jahr 1914 ist als Depressionsjahr in der Stahlindustrie zum Ver- gleich nidit geeignet.

(17)

Übersicht 8: Produktionskapazitäten für Roheisen und Stahl 1907 bis 1919 in Millionen Jahrestonnen®9

Roheisen Stahl

1907 34,0 36,5 (Stand v. 1908!)

1914 49,7 42,7

1915 49,7 44,4

1916 50,4 49,3

1917 51,4 53,9

1918 53,7 57,1

1919 55,2 59,2

Wie die Tabelle zeigt, stiegen seit 1914 die Stahlkapazitäten etwa doppelt so sdinell wie die Roheisenkapazitäten, dodi gelang es, durch verschiedene Planungs- verbesserungen die Entstehung eines wirklichen Engpasses zu vermeiden70. Trotz- dem mußte der zivile Verbrauch erheblich eingeschränkt werden: im Spätsommer 1918 wurde die Landmaschinenproduktion auf drei Viertel, die zivile Autopro- duktion auf ein Viertel des Friedensstandes gesenkt; für 1919 waren auf beiden Sektoren fast totale Einschränkungen geplant.

Da die Erzeugung hochwertiger Stähle von der Versorgung mit Legierungsmetal- len abhing, bewilligte der Kongreß auf Anraten des Innenministers mehrfach grö- ßere Summen für die Erkundung und den Abbau einheimischer Lagerstätten71. Dadurch gelang es, die Versorgung zu zwei Dritteln aus inländischer Produktion zu bestreiten. Es blieb die Sorge um die Beschaffbarkeit des restlichen Drittels, die ausschließlich vom Stand der U-Bootkriegführung abhing. Versorgungskrisen traten bis zum Kriegsende nicht auf.

Unter den f ü r die Sprengstofferzeugung benötigten Materialien nahm, wie schon erwähnt, das salpetersaure Natrium einen besonderen Platz ein. Angesichts seiner Bedeutung wurden amerikanischerseits erhebliche Mittel auf die Steigerung der Importe wie auf den Aufbau einer synthetischen Eigenproduktion verwendet. So konnte die Versorgung frühzeitig stabilisiert werden72. Auch die Beschaffung von Schwefel und Pyrit, Schwefelsäure etc. warf mehrfach Probleme auf, doch gelang es auch hier, die Kapazitäten genügend zu vergrößern.

In seinen Memoiren bemerkte Englands Kriegspremier Lloyd George, die ameri- kanische Wirtschaftshilfe sei für England und Frankreich »von Anfang an un- schätzbar« gewesen73. In der Tat: die Alliierten waren im Herbst 1917 wirtschaft- lich so erschöpft, daß die Entsendung amerikanischer Truppen allein nicht genügt hätte. Vermutlich wäre dieser Zustand noch weit früher eingetreten, wenn England und Frankreich nicht schon lange vor dem amerikanischen Kriegseintritt riesige Käufe und Kreditaufnahmen in den USA hätten tätigen können. Auch danach überwogen die amerikanischen Exporte an die Verbündeten stets die Importe bei weitem.

·» Historical Statistics, S. 418.

' · Zu einem gewissen Teil erklärten sidi die Mängel in der Roheisenversorgung aus Transport- sdiwierigkeiten, die ihrerseits wieder auf Kohlenmangel zurückgingen. Eine Reihe von Rationa- lisierungsmaßnahmen verbesserte die Situation.

71 Clarkson, S. 376 ff. Anregungen für die zukünftige Vorratsbildung auf diesem Gebiet bei Ba- ruch: American Industry, S. 142 ff.

71 Für salpetersaures Natrium vgl. Clarkson, S. 387 ff. u. 405, für die übrigen Chemikalien vgl.

Baruch: American Industry, S. 161 ff.

« Für das Folgende vgl. Lloyd George, Bd 5, S. 2602 f., 2996 u. 3017 (das Zitat auf S. 2996);

Clarkson, S. 3.

(18)

Diese Exporte waren redit verschiedenartig. Englands Kriegsmarine bedurfte immer wieder amerikanischer öllieferungen74; Frankreich brauchte amerikani- schen Stahl für die Produktion von Artilleriemunition, und beide Alliierten kauf- ten amerikanisches Kupfer in jeder nur irgend beschaffbaren Menge. So stiegen die Kupferexporte nach Europa wertmäßig schon 1916/17 auf 220 Prozent, die Exporte von Eisen, Stahl und Stahlprodukten sogar auf 450 Prozent des Vor- kriegsstandes75. Auch erzeugten die Amerikaner seit Herbst 1918 60 Prozent des gesamten alliierten Pulverbedarfs und 45 Prozent des Sprengstoffes; im folgenden Jahr wäre dieser Anteil weiter gestiegen76. Selbst die verbleibende anglo-französi- sche Eigenproduktion hing davon ab, daß es den Vereinigten Staaten gelang, die Verbündeten mit salpetersaurem Natrium zu versorgen. Eine gewisse Verbesserung oder zumindest Klärung der Lage brachte auf diesem Gebiet erst die von Baruch und Winston Churchill aufgebaute Alliierte Nitratexekutive. Sie regelte Bedarf und Deckung fortan zentral für die Alliierten und entband damit die Vereinigten Staaten von ihrer bisherigen Alleinverantwortung77.

Erhebliche Bedeutung gewannen audi die amerikanisdien Lebensmittellieferungen nadi Europa78. Da England und Frankreich während des Krieges um etwa 40 Prozent hinter ihren Friedensernten zurückblieben, die indisdien und australi- schen Märkte aber aus Transportgründen kaum genutzt werden konnten, blieb nur die Versorgung durch Kanada und die Vereinigten Staaten. Daraus erwuchs für Hoover die Aufgabe, den amerikanischen Exportüberschuß der letzten Friedens- jahre zu verdreifachen. Es gelang, dieses Ziel erheblich zu übertreten, zumal die Ernte von 1918 gut ausfiel: der durdisdinittlidie Vorkriegsexport von Weizen (3,3 Millionen Jahrestonnen) wurde im Erntejahr 1918/1919 auf 10,6 Millionen Jah- restonnen gesteigert; der Fleisdi- und Fettexport stieg im gleichen Zeitraum von 0,6 auf 2,4 Millionen Jahrestonnen, der Zuckerexport von 0,6 auf 1,7 Millionen Jahrestonnen. Die Ausfuhr von Futtergetreide verdoppelte sidi im gleichen Zeit- raum. Zum weitaus größten Teil kamen diese Exportsteigerungen den europäi- schen Alliierten zugute79.

Wie sich der amerikanische Handel mit England und Frankreich insgesamt ent- wickelte, ergibt sidi aus der Übersicht 9 auf der folgenden Seite oben80.

Ein Vergleidi mit dem amerikanisdien Gesamtaußenhandel im gleichen Zeitraum läßt deutlich die Versorgerrolle erkennen, die den Vereinigten Staaten innerhalb der Allianz immer mehr zufiel: der Import anglo-französischer Produkte sank absolut allmählich auf die H ä l f t e des Vorkriegsstandes und ging relativ zum ameri- kanischen Gesamtimport noch weit stärker zurück. Dagegen entwickelte sich der Export nach England und Frankreich genau umgekehrt; er wuchs wertmäßig auf rund das Vierfache des Vorkriegsstandes und machte im Durchschnitt der letzten

74 Vgl. z. B. Lloyd Georges Telegramm an die British War Mission in Washington v. 2. 7.1917 (zit. in: Daniels-Tagebuch v. 2. 7.1917, Daniels, S. 171).

™ Berechnet für die Jahre v. 1. 7.1913-30. 6.1914 u. v. 1. 7.1916-30. 6.1917 nadi Baruch: Ame- rican Industry, S. 71. Teilweise spiegelt diese Wertstatistik allerdings lediglich den Anstieg der Kupfer- und Stahlpreise im Betrachtungszeitraum wider. Vgl. audi Coit, S. 174.

" Vgl. Übersicht 6; Clarkson, S. 408; Baruch: American Industry, S. 177.

77 Vgl. besonders die Versorgungskrise vom März 1918 (Daniels-Tagebuch v. 6.3., 8.3., 19.3..

26.3.1918 etc., Daniels, S. 287 f., 292 u. 294). Für die Nitratexekutive vgl. Baruch, S. 45 u.

70 f.; Coit, S. 208 ff.

78 Zur Lebensmittelversorgung vgl. Hoover, S. 215 ff., 227 ff. u. 269. Für Englands und Frank- reichs Lebensmittelsorgen vgl. zusammenfassend u. a. Sullivan, S. 392 u. 415 f.

" Ebd., S. 422 (geringfügig davon abweichende Angaben bei Hoover, S. 240 u. 242). Vgl. auch Übersicht 9. Mengenmäßig stieg der Lebensmittelexport im Erntejahr 1918 auf knapp 300 %», wertmäßig infolge der überhöhten Kriegspreise sogar auf ca. 450 %> des durchschnittlichen Vo- lumens von 1911-13.

60 Berechnet nach: Historical Statistics, S. 550 u. 552.

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