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Wie jeder Jahrhundertwechsel forderte auch der zum 21. die außenpolitischen Vordenker heraus. Sie lieferten eilfertig und gaben dem neuen Jahrhundert Adjektive wie „amerikanisch“,1 „pazifisch“,2 „asiatisch“,3 „unipolar“ (ameri- kanisch),4 „bipolar“ (Demokratien/Autokratien)5 oder „multipolar“ (USA, Russland, China, Indien, Japan).6 Zum Trost Europas gab es sogar die These vom „europäischen“ Jahrhundert.7

Das Jahrzehnt von 1997 bis 2007 war dann jedoch von einem Strom so kon- tradiktorischer Ereignisse gekennzeichnet, dass die Halbwertzeit solcher Prog- nosen eher in der Maßeinheit des Monats als des Jahrhunderts geschätzt wer- den musste: die asiatische Finanzkrise 1997, die russische Finanzkrise verbun- den mit dem Zusammenbruch des LTCM Fund 1998, die NATO-Intervention im Kosovo ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats 1999, das Platzen der Techno- logieblase an der Wall Street 2000, der 11. September 2001, die Intervention der NATO in Afghanistan mit Mandat des UN-Sicherheitsrats 2001, der Beitritt Chinas zur WTO 2001, der Aufstieg Chinas seit 2001, die Kaschmir-Krise, dank

Prof. Dr. MICHÈLE SCHMIEGELOW, geb. 1945, lehrt Politische Wissenschaft an der Université Catholique de Louvain.

Gullivers Fesseln

Die Welt als Problemlösungsgemeinschaft: Funktionale Netze und multilaterale Kooperationen werden im 21. Jahrhundert stärker sein als Machtpole

Michèle und Henrik Schmiegelow | Die größten Probleme der Menschheit sind inzwischen global – Klimawandel, Ernährungskrise, Ressourcenknappheit etc. lassen sich nicht mehr mit politischen oder militärischen Mitteln ein- zelner „Mächte“ lösen, sondern nur noch gemeinsam. Der Zwang zur Zu- sammenarbeit wird die kommende Weltordnung entscheidend prägen.

1 Bruce Cummings: Still the American Century, in Michael Cox, Ken Booth und Tim Dunne (Hrsg.): The Interregnum: Con troversies in World Politics 1989–1999, New York 2002.

2 Mark Borthwick: Pacific Century. The Emergence of Modern Pacific Asia, Boulder 1992.

3 Theo Sommer: Is the 21st Century Going to be the Asian Century?, Asien, Juli 2006, S.70 ff.

4 Charles Krauthammer: The Unipolar Moment, Foreign Affairs, 1–2/1991, S. 23–33.

5 Robert Kagan: The World Divides – and Democracy is at Bay, The Sunday Times, 2.9.2007.

6 Richard Haass: The Palmerstonian Moment, The National Interest online, 1.2.2008.

7 Zaki Laïdi: How Europe Can Shape the Global System, Financial Times, 30.4.2008;

„The Normative Empire“, www.telos-eu.com HENRIK

SCHMIEGELOW, geb. 1941, Botschafter a.D., ist Geschäftsführer der Schmiegelow Partner GbR für internationale Politikberatung.

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funktionierender indisch-pakistanischer Nuklearabschreckung beigelegt 2002, der Bannfluch Präsident Bushs gegen Irak, Iran und Nordkorea als Achse des Bösen 2002, der Irak-Krieg ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats 2003, die Spal- tung Europa in ein „altes“ und „neues“ je nach Haltung zur neo-konservativen Bush-Administration 2003, der Aufstieg Indiens als Thema seit 2005, das Wie- dererstarken Russlands seit 2006, das Profil der BRIC-Länder seit 2006, mit Chinas effektiver Unterstützung erfolgreicher Abschluss der Sechserverhand- lungen (USA, China, Russland, Japan, Südkorea, Nordkorea) über Nordkoreas Denuklearisierung 2007, die US-Immobilienkrise 2007, das Anschwellen asia- tischer und mittelöstlicher Staatsfonds und der Verfall des Dollarkurses seit 2007, der Durchbruch des Klimawandels als G-8-Thema 2007, die rasante En- ergie- und Nahrungsmittelverteuerung 2007/2008. Die Beschleunigung der Umwälzungen zwingt die Vordenker zum Nachdenken.

Außen- und Wirtschaftspolitiker, Politologen und Ökonomen haben Mühe, mit wissenschaftlicher Zuversicht Einfluss auf das sich immer schneller dre- hende Mühlrad der Geschichte der Gegenwart zu nehmen. Nicht, dass es an mutigen Beispielen der Suche nach neuen Konzepten zur Lösung der unerbitt- lich wachsenden Probleme fehlte. Das erste war die Reaktion führender Öko- nomen in Asien auf die asiatische Finanzkrise von 1997. Als „spill-over“ aus der Krise fanden sie sich in der Überzeugung zusammen,

dass Asiens Volkswirtschaften sich in Zukunft nur durch Währungskooperation und gemeinsame Finanzmarktinsti- tutionen nach Europas neofunktionalistischem Muster gegen die Volatilität der Kapitalströme der Wallstreet immu- nisieren könnten. Europa seinerseits reagierte mit gedankli-

chen Frontveränderungen auf den Irak-Krieg. Der aggressive Idealismus der amerikanischen Neokonservativen, der sich in diesem Krieg entlud, bewegte viele europäische „Transatlantiker“ dazu, am klassischen amerikanischen Ide- alismus, der die Weltordnung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und sogar die Integration Europas inspiriert hatte, zu zweifeln. Manchen erschien eine multipolare Weltordnung als Versicherung gegen allzu unilaterales Han- deln des amerikanischen Hegemons.

Ein drittes Beispiel der Suche nach Problemlösungen ereignete sich auf globaler Ebene, nämlich im Vorfeld des G-8-Treffens in Heiligendamm. Trotz wachsender Grade wissenschaftlicher Verlässlichkeit der Prognosen über den Klimawandel war die Bush- Regierung bis wenige Tage vor dem Gipfel nicht bereit, das Thema in Fortentwicklung des Kyoto-Protokolls auf der Ebene der G-8 oder gar der Vereinten Nationen zu behandeln. Stattdessen schlug sie ein Treffen der wichtigsten CO2-Emittenten in Washington vor, was in der inter- nationalen Presse als klassischer Spoiler diskutiert wurde. Den Staats- bzw Regierungschefs zweier asiatischer Mächte, die häufig als Mitglieder eines neuen multipolaren Systems genannt werden und darüber hinaus in einem traditionell spannungsreichen Verhältnis zueinander stehen – nämlich dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao und dem damaligen japanischen Premier- minister Shinzo Abe – gelang es schließlich, Präsident Bush dazu zu bewe-

Es macht Mühe, Einfluss auf das sich immer schneller drehende Mühlrad der Geschichte zu nehmen.

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Die Denkschule des Idealismus scheint weltweit diskreditiert zu sein.

gen, in Heiligendamm einem Verhandlungsprozess zum Klimawandel auf UN-Ebene zuzustimmen.

Diese drei Beispiele verdeutlichen das Bedürfnis nach Klärung der philoso- phischen Grundlagen, historischen Leitbilder und Weltordnungsmuster der außenpolitischen Denkschulen, die in der westlichen Welt seit 300 Jahren, in anderen Weltteilen – mit vergleichbaren, aber in ihrem kulturellen Kontext ei- genständigen Argumenten zum Teil schon sehr viel länger – miteinander kon- kurrieren. Die westliche Variante ist in Tabelle 1 schematisch dargestellt. In zahlreichen strategischen Variationen tauchen sie in nahezu allen Diskursen über die anzustrebende, tunlichst zu vermeidende oder gar zu bekämpfende Weltordnung des 21. Jahrhunderts auf.

Nach dem Irak-Krieg auf den ersten Blick weltweit diskreditiert scheint, wie gesagt, die Denkschule des Idealismus; die des Realismus hat Konjunktur. Damit wird man allerdings beiden nicht gerecht. Denn die neokonservative Kriegfüh- rung zur Verbreitung der Demokratie entspricht einer dritten Denkschule, einer ebenso aggressiven wie utopischen Mischung aus Idealismus und Realismus

(Tabelle 1). Der amerikanische Diskurs steht inzwischen im Zeichen der Ernüchterung über Genesis und Folgen des Irak-Kriegs und ist gleichzeitig von Sorgen über die Krisen- anfälligkeit der bis vor kurzem als unanfechtbar überlegen geltenden amerikanischen Finanzmärkte und Leitwährung geprägt. Unipolarität mit den USA als einziger Supermacht und Multipolarität, in der die USA wie Großbritannien im 19. Jahrhundert die Fäden der Balance of Power in der Hand hielten, erscheinen nunmehr als vorübergehende „Mo- mente“, eine „nichtpolare“ Welt als das bessere Analyseniveau, um zu einer stabileren Verbindung von Weltwirtschaft und Weltpolitik zu gelangen (I).

Dass Multipolarität aus amerikanischer wie aus jeder anderen Sicht keine Antwort auf die nicht durch Diplomatie oder Krieg beherrschbaren Probleme der Weltwirtschaft, des Klimawandels, der Epidemien und anderen neuen Si- cherheitsrisiken sein kann, ist Anlass für die Suche nach Problemlösungen aus den fruchtbarsten Erfahrungsreservoirs des klassischen Idealismus, nämlich der multilateralen Kooperation und funktionalen Integration. Bemerkenswert ist die Konvergenz des offenbar wiedererwachenden Interesses der USA an diesen Politikmustern mit der „Entdeckung“ und aktiven Nutzung dieser Mus- ter in Asien, und zwar insbesondere durch drei asiatische „Machtzentren“ im Sinne des multipolaren Moments, nämlich China, Indien und Japan (II).

Als neue Weltordnung sollte man ein Konzept suchen, das heute verwertbare Tugenden des klassischen Idealismus und des politischen Realismus verbindet, ohne in den dogmatischen Streit seit John Locke und Thomas Hobbes zurückzu- fallen. Wir schlagen vor, für das Konzept der neuen Weltordnung auf alle Polari- täten, Aufstiegs- und Niedergangsprognosen und Hierarchien der „Macht“ in der Staatengemeinschaft zu verzichten. Die eingangs enumerierte Sequenz der Ereig- nisse von 1997 bis 2007 verdeutlicht eines: die Ohnmacht der „Macht“ eines einzelnen Nationalstaats im Sinne des Westfälischen Systems. Die Weltordnung, die die Welt braucht, ist eine globale Problemlösungsgemeinschaft (III).

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I. Unipolarität, Multipolarität, Bipolarität, Nichtpolarität

Eine eindrucksvolle Serie von Aufsätzen von Richard Haass, zur Zeit des Irak- Kriegs Leiter des Planungsstabs im State Department und jetzt Präsident des Council on Foreign Relations, demonstriert in schneller Folge einen atembe- raubenden Wandel der Analyse der nationalen Interessen Amerikas in der einen oder anderen denkbaren Weltordnung. Er reicht von der Selbsteinschät- zung Amerikas als Anker der Unipolarität8 über von Washington in einem

„Palmerstonian Moment“ aktiv nutzbare Multipolarität9 bis hin zu einer letzt- lich auch im Interesse der USA liegenden Nichtpolarität der Welt.10 Schließ- lich bedarf es nur eines kurzen Innehaltens, um zu erkennen, dass Multipola- rität ein Spieß ist, der von anderen „Machtzentren“ sehr leicht auch gegen Washington umgedreht werden kann. Das gilt insbesondere, wenn das neo- konservative Spektrum neuerdings für eine „League of Democracies“ eintritt, die die chinesischen und russischen „Autokratien“ zu einer neuen Variante des bipolaren Wettkampfs der Systeme herausfordert. Russische und chinesi- sche Politologen sind bereits mobilisiert, um der universalistischen Verbrei- tung westlicher Werte konfuzianische11 oder solche der russisch-orthodoxen Kirche12 entgegenzuhalten. Selbst auf die größte Demokratie der Welt, Indien, wird die „League of Democracies“ verzichten müssen. Zumindest ein einfluss-

8 Richard Haass: The Case for Integration, National Interest online, 9.1.2005.

9 Ders.: The Palmerstonian Moment, National Interest online, 1.2.2008.

10 Ders.: What follows American Dominion?, Financial Times, 16.4.2008.

11 Xiang Lanxin: What Prospects for Normative Foreign Policy in the New Multipolar World?, Paper presented at 29th session of the CEPS/IISS/DCAF/GCSP European Security Forum, Brussels, 26.5.2008.

12 Andrey Makarychev: Rebranding Russia, Norms, Politics and Power, CEPS Working Document Nr. 283, Februar 2008.

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Multipolarität kann nur als Negation der Unipolarität Zugkraft entfalten.

reicher Teil des indischen politischen Spektrums fühlt sich – trotz bilateraler Territorialkonflikte – China kulturell näher als dem „Westen“, zumindest in dessen neokonservativer Erscheinungsform des ebenso gewaltbereiten wie utopischen Idealismus.13 Dieser bewirkt das Gegenteil seiner Ziele, nämlich die Flucht des Restes der Welt in die Multipolarität und die Suche nach alter- nativen Normen in nationalen Kulturen. Damit verbunden sind die Risiken des Kulturrelativismus, der, wie die europäische Geschichte zeigt, seinerseits seine Gefahren birgt und kaum als normative Grundlage einer neuen Weltord- nung dienen kann.

Robert Kagans Buch „Of Paradise and Power“ (2003) hatte darüber hinaus die offensichtlich unbeabsichtigte Wirkung, dass viele Bewohner des Europäi- schen Paradieses den politischen Realismus plötzlich für harmloser und friedens- fördernder hielten als den Idealismus. Jacques Chirac konnte seine Absage an den Irak-Krieg mühelos mit der Erneuerung der alten gaullistischen Doktrin einer multipolaren Welt als Antithese zur „angelsächsischen“ Hegemonie unterlegen.

Gerhard Schröder hatte es schwerer. Als deutscher Bundes- kanzler konnte er sich kaum vom klassischen amerikanischen Idealismus, dem Nachkriegsdeutschland so viel verdankte, abwenden. Er erteilte stattdessen eine philosophische Absage an die Multipolarität: „Es gibt nur einen Pol, das ist der Pol der Freiheit.“ Es klang nach John Locke und Immanuel Kant und wirkte gleichzeitig wie ein Appell an die „Dangerous Nation“ (Kagan 2006), sich auf den klassischen amerikanischen Idealismus zurückzubesinnen.

Das Problem der Multipolarität ist, dass sie nur als Negation der Unipolari- tät, als Widerstand gegen ein bestehendes Imperium oder einen Hegemon Zug- kraft entfalten kann. Das war schon so im Westfälischen Frieden, der dem universalen Anspruch des Heiligen Römischen Reiches ein Ende bereitete und das nach ihm benannte internationale System souveräner Nationalstaaten be- gründete. Das war wieder so, als de Gaulle seine Aufsehen erregende Anerken- nung Chinas im Jahr 1964 unverkennbar als Negation sowohl des damaligen bipolaren Systems als auch der „angelsächsischen Hegemonie“ in der westli- chen Hälfte desselben verstand.

Das einzige historische Beispiel erfolgreich durchgesetzter und zu einem internationalen System ausgebauter Multipolarität, nämlich das Westfälische, spricht nicht für ihre Eignung als positives Programm zwischenstaatlicher Frie- denserhaltung. Während die teilnehmenden europäischen Staaten bemüht waren, den inneren Frieden, die innere Wirtschaftsentwicklung und das sozia- le Zusammenleben mehr oder weniger gedeihlich zu gestalten, betrachteten sie das internationale System als Freiraum für die Wahl zwischen Diplomatie oder Krieg, der sie sich mit Inbrunst und vorwiegend mit dem Ziel hingaben, die eigene Macht, das eigene Staatsgebiet, den eigenen Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen auf Kosten anderer Staaten des Systems oder der nicht über eigene

13 Radha Kumar: What Prospects for Normative Foreign Policy in the New Multipolar World?, Paper presented at 29th session of the CEPS/IISS/DCAF/GCSP European Security Forum, Brussels, 26.5.2008.

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Staatlichkeit verfügenden Kolonien zu vergrößern. In der weit überwiegenden Staatenpraxis war es ein Hobbesianisches System, in dem innerhalb der Staa- ten Hobbes’ Leviathan für Ordnung sorgte, zwischen den Staaten aber das Ge- setz des Dschungels galt. Selbst die von angesehenen Realisten wie Henry Kissinger und Richard Haass als modellhafte Weltordnung gerühmte europäi- sche Pentarchie (Großbritannien, Russland, Frankreich, Preußen, Österreich)

„leistete“ sich im 18. und 19. Jahrhundert nicht weniger als 52 Kriege nur unter den fünf Mächten, von ihren Kriegen gegen andere Staaten oder nicht als Staaten anerkannte außereuropäische Gebiete ganz zu schweigen. Es erscheint fraglich, ob die von Lord Palmerston als im nationalen Interesse Großbritanni- ens liegend betrachtete Bereitschaft zum jederzeitigen Wechsel der Allianzen wirklich zur friedenserhaltenden Balance of Power beitrug (Schaubild 2).

Um zumindest zeitweise kriegsvermeidend funktionieren zu können, braucht jedes Balance-of-Power-System Staatsmänner von außerordentlicher analytischer Fähigkeit wie Palmerston, Bismarck und Kissinger. Sobald sie

„von Bord gehen“ (wie Bismarck 1890 in der Karikatur des Punch), droht der Kollaps des Systems. Wirklich beruhigend konnte Richard Haass’ Plädoyer für einen „Palmerstonian Moment“ der nach dem Irak-Krieg auf ihre Unipolarität verzichtenden USA für den Rest der Welt also nicht sein.

Das gilt insbesondere für die EU, die trotz des Namens der

„GASP“ keine eigene außenpoliti- sche Kompetenz hat. Ohne Einver- ständnis der Mitgliedsstaaten kann sie nicht über Krieg oder Frieden entscheiden. Die wichtigste Hürde dafür wird stets sein, dass der deut- sche Mitgliedsstaat ein Einver- ständnis durch den Bundestag de- mokratisch legitimieren lassen muss, wie frei von parlamentari- schen Fesseln der Präsident der französischen V. Republik auch immer sein mag. Sie kann deswe- gen mit anderen nationalstaatli- chen „Machtzentren“ wie China, Indien und Russland nicht „mit-

halten“. Das führt dazu, dass für Richard Haass sogar die NATO für die USA ihren Wert verliert und aus diesem Grund wechselnde Allianzen wie zu Pal- merstons Zeiten vorzuziehen sind.14 In den meisten Aufzählungen der Zusam- mensetzung der globalen Pentarchie eines multipolaren Systems im 21. Jahr- hundert kommt die EU daher nicht einmal vor, insbesondere nicht bei Kissin- ger. Die eigentliche weltpolitische Brisanz des „Palmerstonian Moment“ der

14 Vgl. Richard Haass (Anm. 6).

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heutigen USA sind die Wanderung der Pentarchie von Europa in den pazifi- schen Raum und der Umstand, dass die Mehrheit der fünf nunmehr drei asia- tische Nationalstaaten sind, nämlich China, Indien und Japan (Schaubild 3).

II. Globale Konvergenz zu Multilateralismus und Funktionalismus

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Entscheidung über die neue Weltordnung damit zugunsten der Multipolarität im Sinne eines globalisierten Westfälischen Systems gefallen ist. Denn gerade diese drei neuen Machtzentren sind treiben- de Kräfte für eine Renaissance des Multilateralismus und für eine vorausschau- ende Strategie funktionaler Integration Asiens.

Je unilateraler die Bush-Administration handelte, desto multilateraler trat China auf der ganzen Welt auf.15 Im Falle der nordkoreanischen Nuklearkrise stimmte China erstmalig im UN-Sicherheitsrat der Verhängung von Sanktionen zu, und das gegen einen Nachbarn, der stets als sein Schutzbefohlener galt.16 Washington begann, sich in den Sechserverhandlungen über die Denuklearisierung dieses Mit- glieds der Achse des Bösen auf China als Geburtshelfer der Pro- blemlösung zu verlassen. So über- rascht es nicht, dass Richard Haass im letzten Artikel seiner Serie – unter Hervorhebung der nordkore- anischen Lösung – für eine nicht- polare Welt plädiert.17

Ebenso wie die anderen Staa- ten Asiens, insbesondere die ASEAN-Staaten, haben zunächst vor allem Japan, dann zunehmend aber auch China die Erfahrungen Europas auf diesem Gebiet genauestens beobachtet, ihre eigenen Schlussfolge- rungen – auch aus den Schwächen des europäischen Musters – gezogen und einen Prozess mit der Asien angemessenen eigenen Sequenz begonnen.18 Die funktionale Integration Asiens, die wie zuvor in Europa früheren Kriegsgeg- nern so große Vorteile bringt, dass es für Krieg zwischen ihnen keine vernünf- tige Kosten-Nutzen-Relation mehr gibt, ist das beste Beispiel für die Chance einer Weltordnung, die die Risiken des Westfälischen Systems überwindet.

Es ist darüber hinaus eines, das trotz des europäischen Musters nicht dem Vorwurf ausgesetzt ist, Ausfluss des Eurozentrismus oder einer aggressiven

15 Henrik Schmiegelow: Asiens künftige Rolle als Ordnungsmacht, Internationale Politik (IP), Juli 2007, S. 66–72.

16 Ebd.

17 Richard Haass (Anm. 10).

18 Michèle Schmiegelow und Henrik Schmiegelow: Der Weg zur asiatischen Gemeinschaft, IP, November 2007, S. 8–16; sowie Hitoshi Tanaka in dieser Ausgabe, S. 112–117.

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Expansion westlicher Werte zu sein. Kosten-Nutzen-Rechnungen sind glückli- cherweise mit transkultureller Mathematik zu bewerkstelligen. Die Integration der chinesischen Volkswirtschaft in die Weltwirtschaft, insbesondere ihre un- ternehmerischen Verflechtungen mit der amerikanischen und japanischen Wirtschaft, legte nahe, dass chinesische Unternehmen darin keinen Wider- spruch zu konfuzianischen Normen sehen. Russland, bisher vorwiegend von seinem Rohstoffreichtum lebend und sehr viel weniger in

die Weltwirtschaft integriert als China, ist bereits dabei, aus diesem Beispiel Lehren zu ziehen. Während das Wiederer- starken Russlands seit 2006 zunächst zu bewusst „kanti- gen“ außenpolitischen Auftritten Putins führte, wird das Profil dieses Machtzentrums inzwischen durch den „Med-

vedev Moment“ verfeinert und der neue Präsident mit den Worten zitiert, Russland werde am Ende den Respekt der Welt „nicht durch Stärke, sondern durch verantwortliches Handeln“ gewinnen.19 Auch hier wird Kulturrelativis- mus letztlich nicht dem funktionalen Interessenkalkül entgegenstehen, so nati- onalistisch die Tradition der russisch-orthodoxen Kirche auch sein mag.

Mit derartigen Prozessen stehen die neuen Machtzentren nicht allein. Über die ganze Welt ziehen sich mehrschichtig überlappende Netze funktionaler Kooperation, von denen Schaubild 4 nur die wichtigsten regionalen Organisa- tionen in Afrika (AU, SADC), Amerika (OAS, Mercosur, NAFTA, SICA), Asien (ASEAN, ASEAN+3, East Asian Summits), Eurasien (SCO), in der Golf-Region (GCC) und unter den pazifischen Anrainern (APEC, US-Japani- scher Sicherheits- und Kooperationsvertrag) schematisch wiedergibt.

Solche funktionalen Netze mögen traditionellen Machtzentren suspekt er- scheinen, weil sie wie die Fäden wirken, mit denen die Liliputaner Gulliver fesselten. So hat Washington zunächst mit gewisser Skepsis betrachtet, wie in- nerhalb der von ihm inspirierten APEC die Verflechtung zwischen ASEAN, China, Japan und Korea (ASEAN+3) ohne seine Beteiligung eine erstaunliche wirtschaftliche Integrationstiefe gewann. Dieser Skepsis nahm am 22. Mai 2008 Japans Premierminister Yasuo Fukuda (in Erneuerung der Fukuda-Dok- trin seines Vaters Takeo Fukuda von 1977) den Wind aus den Segeln, indem er für die langfristige Entwicklung des Pazifiks zu einem „Binnenmeer“ in Ana- logie zum Mittelmeer des 17. Jahrhunderts warb. Er lud die nord- und lateina- merikanischen Anrainer ebenso dazu ein wie Australien, Neuseeland, die ASEAN- Staaten, China und Russland. Studentenaustausch nach dem Muster des europäischen Erasmus-Systems soll funktionale Integration auch in künfti- gen Generationen verankern.20 Wenn auch nur mit der Blässe des Gedankens (und seiner beachtlichen Erfahrung) hat Europa also trotz allem einen gewis- sen Anteil an der Bewegung zu einer neuen Weltordnung.

Angesichts der Probleme, denen die Gesamtheit der interdependenten Welt ausgesetzt ist, wird „Macht“ im traditionellen Sinn zur Ohnmacht. Richard

19 Nikolai Petro: Seizing the Medvedev Moment, International Herald Tribune, 14.3.2008.

20 Rede von Yasuo Fukuda: When the Pacific Becomes an Inland Sea, bei der 14. internationalen Konferenz über die Zukunft Asiens, Tokio 22.5.2008.

Kosten-Nutzen-Rechnungen sind glücklicherweise mit transkultureller Mathematik zu bewerkstelligen.

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Haass hat dies am Beispiel der Machtlosigkeit der im Irak mit Hightech ausge- rüsteten GIs gegenüber den mit Lowtech aus dem Hinterhalt operierenden Aufständischen hervorgehoben. Das Zurückschrecken Indiens und Pakistans vor dem tatsächlichen Einsatz von Millionen an der Grenze aufmarschierter Soldaten und dem Einsatz von Atomwaffen in der durch einen islamistischen Terroranschlag in Neu Delhi ausgelösten Kaschmir-Krise von 2002 ist ein wei- teres Indiz.

Die periodischen Krisen der US-Finanzmärkte führen den Begriff „Wirt- schaftsmacht“ ad absurdum. Henry Kissinger, der konservative politische Rea- list, nimmt die vom liberalen Ökonomen Joseph Stiglitz analysierten „Discon- tent“ der Verlierer der Globalisierung ernst, geißelt „verschwenderische und finstere Praktiken“, die zur US-Immobilienkrise (und anderen periodisch auf- tretenden Krisen) des globalen Finanzsystems führten und wirbt für eine Ver- bindung von wirtschaftlicher und politischer Weltordnung.21 Das entfernt uns

21 Henry Kissinger: Falling behind: Globalization and its Discontents, IHT, 30.5.2008.

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weit vom System des Westfälischen Friedens, dessen bester Analytiker Kissin- ger stets war, ebenso wie von allen anderen auf Machtzentren beruhenden Blaupausen der Weltordnung. Das Abschmelzen der Eiskappen der Arktis und Antarktis, globale Seuchen, die Verknappung endlicher Ressourcen etc. sind nicht mit politischen „Machtmitteln“ aufzuhalten. In der ganzen Welt wächst das Bewusstsein, bei der Suche nach Lösungen für globale Probleme in einem Boot zu sitzen.

III. Problemlösungsgemeinschaft als Weltordnung

Die Ernüchterung im außenpolitischen Diskurs der USA ist ein entscheiden- der Beitrag zu einer funktionaleren Weltordnung. Die Wiederbelebung des amerikanischen philosophischen Pragmatismus (Charles Peirce, William James und John Dewey) wäre wünschenswert. Er wäre ein wirksames Heilmittel gegen den gewaltgeneigten Utopismus der Neokonservati-

ven, den der Ideengeschichtler John Gray in der Nähe der Methodik der marxistischen Weltrevolution sieht.22 Nicht minder beunruhigend ist der Einfluss des Chicagoer Philo- sophen Leo Strauss auf die Neokonservativen. Sein Diskurs

über eine platonische Elite, die den ungebildeten Massen nicht stets die Wahr- heit eröffnen sollte, war von der Warte des kritischen Rationalismus, der heute Standard der universalen Wissenschaftstheorie ist,23 und der politischen Philo- sophie der offenen Gesellschaft,24 die Nachkriegseuropa entscheidend prägte, ein atemberaubender Rückschritt.

Der Vorteil des amerikanischen philosophischen Pragmatismus ist, dass er die Praxis nicht in den Dienst einer dogmatische Bestätigung suchenden Theo- rie stellt, wie die Neokonservativen den Irak-Krieg, sondern umgekehrt in vollem Bewusstsein der Fehlbarkeit menschlicher Erkenntnis alle verfügbaren Theorien auf ihre Verwendbarkeit für die problemlösende Praxis prüft. Daran könnten sich auch europäische Transatlantiker orientieren. Die asiatischen Partner der USA hätten damit ohnehin kein Problem. Japanische Wirtschafts- politiker haben aus dieser Philosophie eine überall in Asien anerkannte und als Muster verwertete Strategie gemacht.25

Die Weltordnung, die die Welt braucht, ist eine Problemlösungsgemein- schaft. Ihre transkulturelle Grundnorm muss heißen: Handle so, dass die Ma- xime deines Handelns mit dem Überleben der Menschheit vereinbar ist.26

22 Besprochen in Frankfurter Allgemeine Zeitung: Der Übergang der Utopie zu den Neokons, 16.4.2008.

23 Karl Popper: Conjectures and Refutations. The Growth of Scientific Knowledge, London 1963.

24 Karl Popper: The Open Society and Its Enemies, London 1945.

25 Henrik Schmiegelow und Michèle Schmiegelow: Strategic Pragmatism: Japanese Lessons in the Use of Economic Theory, New York 1989.

26 Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a.M. 1979

In der ganzen Welt wächst das Bewusstsein, in einem Boot zu sitzen.

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