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»Scharon hat mich überrascht«

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Academic year: 2022

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IP: Herr Grossmann, der neu gewählte palästinensische Präsident Mahmud Abbas verhandelt einen Waffenstill- stand mit den Extremisten, und in Isra- el will eine große Koalition unter Ariel Scharon den Rückzug der israelischen Siedler aus Gaza koordinieren. Sind das Gründe für Optimismus?

Grossmann: Im Nahen Osten ist allzu großer Optimismus nie ange- bracht. Mir ist eine nüchterne Analy- se der Hoffnungen und Gefahren viel lieber. Anlass zur Hoffnung ist für

mich natürlich schon, dass Mahmud Abbas, der neue palästinensische Präsident, während seiner gesamten Wahlkampagne betont hat, dass die Gewalt gegen Israel ein Ende haben muss – und zwar aus einem ganz wichtigen Grund: Sie schadet nicht nur uns, sondern der palästinensi- schen Sache. Eine große Mehrheit der Palästinenser hat für ihn ge- stimmt. Das zeigt mir, dass die meis- ten Palästinenser seine Position un-

terstützen. Wenn Mahmud Abbas und Ariel Scharon die nächsten Schritte sehr vorsichtig planen, dann könnten wir zum Friedensprozess zurückkehren.

IP: Während Abbas’ Amtszeit als Pre- mier hat die Regierung Scharon sich nicht besonders kooperativ gezeigt. Dass palästinensische Gefangene nicht ent- lassen wurden, unterminierte das Pres- tige des Premiers und sein Reformpro- gramm. Was kann und will Israel denn jetzt besser machen?

Grossmann: Wir haben eine ganze Reihe großer Fehler begangen, als Mahmud Abbas Premier war. Aber ich sehe auch eine ungeheure Wand- lung in der Politik und Haltung Ariel Scharons. Er handelt kühler, nüchter- ner und verantwortungsvoller. Der Schlüssel für eine Lösung dieses Kon- flikts liegt nach wie vor in den Hän- den Israels als Besatzungsmacht. Na- türlich müssen auch die Palästinenser ihre Hausaufgaben erledigen. Kann Mahmud Abbas die Extremisten in seine Regierung integrieren? Ich meine damit nicht die islamischen Fundamentalisten der Hamas, son- dern die jungen Führer der Al-Aksa- Brigaden und anderer Milizen säkula- rer palästinensischer Organisationen.

Sie müssen aufhören, Israel vom Gaza-Streifen aus mit Raketen zu be- schießen. Wichtig ist auch, dass Abbas diesen Männern weiter gehen- de und für die Wiederaufnahme von Verhandlungen oder gar ein Endsta- tus-Abkommen notwendige Kompro- misse abringen kann. Ein erster Test für Abbas und die palästinensische Seite wird unser Rückzug aus Gaza werden: Für Israel ist es ungemein wichtig, dass nach dem Rückzug kein

»Scharon hat mich überrascht«

Der Schriftsteller David Grossmann im Gespräch mit der IP

DAVID GROSSMANN, geb. 1954 in Jerusalem, ist einer der renommiertes- ten Schriftsteller Israels. Seine fünf Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

Foto: Ekko von Schwichow

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Chaos herrscht und ein Mindestmaß an öffentlicher Ordnung erhalten bleibt. Es wäre für uns inakzeptabel, wenn radikale Gruppen und Milizen dort faktisch die Macht übernähmen.

IP: Die Palästinenser wünschen sich einen gemeinsam abgesprochenen Rück- zug. Soll die israelische Regierung da- rauf eingehen?

Grossmann: Ariel Scharon sollte den Rückzug aus Gaza so eng wie möglich mit den Palästinensern koordinieren, denn sie müssen ein Gefühl der Ver- antwortung entwickeln, das sie nicht haben können, wenn wir sie zu Erfül- lungsgehilfen degradieren. Scharon muss und wird mit Mahmud Abbas sicherlich wesentlich besser zusam- menarbeiten als jemals mit Jassir Arafat. Aber auch die palästinensi- sche Bevölkerung muss den Stim- mungswechsel zu spüren bekommen.

Wir sollten ihr tägliches Leben er- leichtern, indem wir eine ganze Reihe von Checkpoints auflösen und die Abfertigung an Kontrollpunkten, die noch immer notwendig sind, wesent- lich erleichtern und beschleunigen.

Wir sollten Gefangene entlassen, und der Grenzzaun sollte möglichst eng an den Grenzen von 1967 verlaufen. Ob Ariel Scharon all diese Maßnahmen durchsetzen wird, weiß ich nicht, ich gehöre ja nicht zu seinen engsten Be- ratern. Aber ich verfolge seine Politik in den letzten Wochen und Monaten sehr genau und komme zu dem Schluss, dass er sich wesentlich kom- promissbereiter verhalten könnte als je zuvor.

IP: Wo sehen Sie die Hauptgefahren in diesem Prozess?

Grossmann: Wenn wir die Abriege- lung der West Bank und Gazas lo- ckern und möglichst viele Kontroll- punkte auflösen, können Extremisten sich auch wieder besser nach Israel einschleichen, um dort Attentate aus- zuüben. Das Dilemma hier ist ja

immer, dass Entgegenkommen ausge- nützt werden kann. Trotzdem sollten wir den Terror nicht als Entschuldi- gung nutzen, um die Verhandlungen wieder einmal zu stoppen. Beide Sei- ten müssen eine äußerst prekäre Ba- lance halten, nämlich eine friedliche Lösung vorantreiben, die eigene Ge- sellschaft und die andere Seite dabei beständig bei der Stange halten und gleichzeitig den Terror bekämpfen. Es ist für jeden is-

raelischen Pre- mier ungeheuer schwierig, wei- ter mit den Pa-

lästinensern zu kooperieren – oder sogar im Amt zu bleiben – wenn sich Attentäter in unseren Städten in die Luft sprengen und hunderte unschul- diger Menschen töten. Trotzdem gilt noch immer: Verhandlungen sind das einzige Mittel, den Terror langfristig zu beenden und wir werden alles tun müssen, um in beiden Gesellschaften eine Mehrheit zu gewinnen, die sich zuverlässig für den Friedensprozess stark macht.

IP: Sollte Israel endlich den Bau von weiteren Siedlungen stoppen?

Grossmann: Bis jetzt haben die Ame- rikaner keinen Druck auf Ariel Scha- ron ausgeübt, wenigstens die illegal errichteten Außenposten der Siedler in der West Bank zu räumen. Sie ver- stehen, dass er sich jetzt vor allem auf den Rückzug aus dem Gaza-Streifen konzentrieren muss. Aber in den letzten Wochen bemerke ich eine wichtige Veränderung. Jahrzehnte- lang ließ sich die Armee zum Hand- langer der Siedler degradieren. In der Politik wedelte ebenfalls der Schwanz mit dem Hund. Die Siedler waren gewöhnt, auf allen Korridoren der Macht zu Hause zu sein, sämtliche Premierminister unter Druck zu set- zen und der Mehrheit der Israelis ihren Willen aufzuzwingen. Sie dik-

»Wir sollten den Terror nicht als

Entschuldigung benutzen, um

die Verhandlungen zu stoppen.«

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tierten eine nationale Agenda, die nicht unsere war. Jetzt begreifen Scharon und die Armeeführung lang- sam, dass es höchste Zeit ist, den Siedlern zu zeigen, wer hier eigent- lich das Sagen haben sollte, und wer die rechtmäßigen Vertreter der staat- lichen Souveränität sind. Scharon, der ja zu den Geburtshelfern der Siedlungsbewegung gehört, versteht, dass er die von ihm gezüchtete Ge- fahr auch wieder unter Kontrolle bringen muss.

IP: Wie erklären Sie sich Scharons Wandlung vom Übervater der national- religiösen Bewegung zum ersten Pre- mier, der sich mit den Siedlern anlegen würde?

Grossmann: Das Schlüsselwort ist

„Premier“. Als Staatschef besitzt man eine etwas weitere Perspektive. Ver- mutlich hat Scharon verstanden, dass das Interesse der Siedler den Interes- sen Israels zuwider läuft. In den letz- ten Monaten gab es ungeheuer viele Beispiele, die zeigten, dass die Siedler sich ihrer göttlichen Ordnung ver- pflichtet sehen und nicht der weltlich- demokratischen unseres Staates. Wie- der und wieder sahen die Israelis fürchterliche und empörende Szenen im Fernsehen, die nicht deutlicher zeigen könnten, wie sehr die Siedler den Aufruhr gegen die Insti- tutionen unseres Staates und un- serer Gesell- schaft riskieren, wenn nicht sogar bewusst suchen. Siedler attackierten Soldaten. Eine Siedlerfrau schlug einem hochrangigen Offizier ins Ge- sicht. Natürlich kann er als Offizier nicht zurückschlagen oder sich sonst gegen diese Frau wehren. Sie schlug ihn so lange, bis er stolperte und hin- fiel. Ich kann wirklich nur hoffen, dass es noch nicht zu spät ist, um ihnen endlich Einhalt zu gebieten.

Denn ich fürchte, dass der Versuch, die staatliche Autorität möglichst ef- fektiv zu untergraben, sich auch auf andere Gruppierungen in unserer Ge- sellschaft auswirken wird.

IP: Welche Gruppierungen?

Grossmann: All diejenigen, die in unserer Gesellschaft wenig integriert sind wie die Ultra-Orthodoxen, einige Segmente der arabisch-israelischen Gemeinschaft, einige der Ärmeren, die sich von unserer Gesellschaft und unserer Regierung im Stich gelassen fühlen. Sie alle könnten sich von der Siedlerbewegung Solidarität oder we- nigstens Sympathie erhoffen. Anar- chie kann eine große Attraktivität ausüben. Es steckt etwas Verführeri- sches in dem Chaos, das die Siedler zu provozieren versuchen. Vor allem für Gruppierungen, die sich allein gelas- sen fühlen.

IP: Bislang sprach man immer von einer Spaltung der israelischen Gesell- schaft in rechts und links, Friedensbe- fürworter und Friedensgegner. Verläuft die Trennungslinie eher zwischen Bür- gern eines weltlichen Staates und jenen, die Israel um ihrer eigenen heilsge- schichtlichen Agenda willen untermi- nieren wollen und andere mit sich zie- hen könnten?

Grossmann: Genau. Die Siedler wis- sen, dass der Kampf um Gaza eigent- lich verloren ist. Wir werden uns aus diesem Gebiet zurückziehen und die Siedlungen dort räumen. Der harte Kern der Bewegung – ich schätze ihn auf etwa tausend bis zehntausend Leute – wird alles versuchen, um die Räumung der Siedlungen zu einem nationalen Trauma für die Israelis werden zu lassen. Sie hoffen, dass es dann noch einmal zehn Jahre dauert, bis ein israelischer Premier es wagen kann, weitere Siedlungen zu räumen.

Vergessen Sie auch nicht, dass Gaza in unserer Geschichte keine allzu große Bedeutung hatte. Die West Bank

»Ich kann nur hoffen, dass es

nicht zu spät ist, den Siedlern

endlich Einhalt zu gebieten.«

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aber, „Judäa und Samaria“ sind das Kernland des Judentums, was die na- tionalreligiösen Siedler nicht müde werden zu betonen. Die Zeit spielt für die Siedler, deren Anzahl sich seit den Anfangsjahren des Friedensprozesses verdoppelt hat. Auch die Gewalt, die sich seit dem Ausbruch dieser Intifa- da ja auch explizit gegen Siedler rich- tete, schreckte viele nicht ab, in diese Gebiete zu ziehen. Heute leben dort 250.000 Menschen. In zehn Jahren könnten es eine halbe Million sein.

IP: Siedler brauchen Baugenehmigun- gen, militärischen Schutz, Subventio- nen. Warum bekamen sie all das von israelischen Regierungen, wenn sie doch gleichzeitig dem Interesse Israels schaden?

Grossmann: Es stimmt, dass die meis- ten israelischen Regierungen einen Friedensprozess wollten und gleich- zeitig den Siedlungsbau in zuvor un- geahntem Ausmaß fortsetzten. Das reflektiert die innere Ambivalenz der Israelis. Wir wollen zwar Frieden, aber wir trauen der Sache nicht. Wir haben seit über fünfzig Jahren einen Staat, benehmen uns aber oft genug noch immer wie eine Minderheit, die ohne den Schutz eines eigenen Staats- wesens auskommen muss. Die paläs- tinensische Gesellschaft ist wiederum geprägt von Furcht, Gewalt und einem Todeskult, der offensichtlich tief ver- ankert ist. Beide Seiten müssen sich völlig aus ihrer mentalen Struktur, ihrer Geschichte, ihrer politischen Kultur lösen, um neue Wege zu fin- den. Sind wir dazu fähig? Ich bin nicht so sicher. Deshalb bin ich trotz der jüngsten Entwicklungen auch nicht übermäßig optimistisch. Solche ungeheuren Veränderungen unserer Mentalität zu erwirken, erfordert eine fast übermenschliche Anstrengung.

Trotzdem gibt es eine kleine Chance:

Wir haben uns beide erschöpft. Die politische Führung beider Seiten

weiß, dass es so nicht weiter geht.

IP: Bislang hatte sich die israelische Armee nur auf Auseinandersetzungen mit der Linken einzulassen, mit Piloten etwa, die sich weigerten, Kampfeinsätze zu fliegen. Diese Gruppe konnte leicht als „unpatriotisch“ abgestempelt wer- den. Was gibt Ihnen die Sicherheit, dass die Armee eine ähnliche Konfrontation mit der Rechten aushält, die sich ja als die einzig wahren Patrioten darstellen?

Grossmann: Man hat schon damit begonnen, sich einer ähnlichen Ver- fahrensweise zu bedienen: Verweige- rer hatten sich vor einem Gericht zu verantworten. Das werden auch jene Soldaten tun müssen, die aus den Rei- hen der Siedler stammen und sich jetzt weigern, den Befehlen zur Räu- mung von Siedlungen Folge zu leis- ten. Damit soll klar werden, dass poli- tische Auseinandersetzungen inner- halb der Armee nichts zu suchen haben. Befehlsverweigerung bleibt Befehlsverweigerung.

IP: Und Sie sind sich sicher, dass Ex- General Ariel Scharon diese Auseinan- dersetzung riskieren wird?

Grossmann: Ja. Das ist das Interes- sante an der Entwicklung Scharons.

Der Likud kannte immer eine ideolo- gische und eine pragmatische Seite.

Ginge es nach der Ideologie des Likud oder dessen Vorläuferpartei „Cherut“

könnte das Land Israel gar nicht groß genug sein.

In der „Cherut- Hymne“ fanta- sierte man sogar

davon, dass uns nicht nur das westli- che, sondern auch das östliche Jor- dan-Ufer zustünde. Aber man wusste auch: Wir wollen einen jüdischen, demokratischen Staat. Mit einer gro- ßen palästinensischen Mehrheit ist aber kein jüdischer Staat mehr mög- lich. Schließen wir sie von jeglicher politischer Teilnahme aus, ist es mit

»Wir haben seit über fünfzig

Jahren einen Staat, benehmen

uns aber immer noch wie

eine Minderheit.«

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unserer Demokratie vorbei. Scharon hat eine klare Wahl getroffen. Für ihn ist die Existenz eines kleinen jüdi- schen und demokratischen Staates Israel wichtiger als alle Träume von einem biblischen Land Israel. Ich bin sehr angenehm von seiner Wandlung überrascht – bis jetzt macht er jeden- falls alles ganz richtig. Natürlich würde ich lieber gestern als morgen aus Gaza abziehen, natürlich wün- sche ich mir beim Abzug eine enge Kooperation mit den Palästinensern.

Doch Scharon tut, was der politische Spielraum zulässt. Mit Jassir Arafat auf der anderen Seite war es ihm un- möglich, die Dinge schneller voran- zutreiben. Jetzt haben wir einen pa- lästinensischen Partner und eine Mehrheit in Israel, die den Rückzug will. Jetzt wird der Abzug vermutlich auch schneller vonstatten gehen als geplant. Vorgesehen ist der Juli 2005 – aber ein halbes Jahr ist viel zu lang.

Dafür gibt es zu viele Elemente auch auf unse- rer Seite, die sich alle Mühe geben werden, den Abzug zu torpe- dieren. Das sahen wir bei der Ermor- dung Rabins – er war zögerlich, er nahm die Extremisten nicht ernst und erlaubte ihnen damit, unsere Geschichte zu kidnappen. Scharon hat aus der Geschichte gelernt. Er ist ein sehr guter Stratege. Ich glaube, dass er sehr schnell und entschlossen handeln wird.

IP: Erwarten Sie jetzt ein größeres En- gagement der Bush-Regierung?

Grossmann: Bis jetzt verstehe ich nicht wirklich, was die Amerikaner vorhaben. Zu sehen ist nur, dass sie Scharon auf ganzer Linie unterstüt- zen. Ich wünschte mir, dass sie größe- ren Druck auf Scharon ausüben, ihm klarere Grenzen aufzeigen würden.

Dass sie natürlich die Sicherheit un-

seres Staates in dieser verrückten Re- gion garantieren, aber uns auch ent- schlossen in die Richtung einer fairen Lösung drängen. Wann immer ein is- raelischer Premier von einem Besuch im Weißen Haus zurückkehrte, er- klärte er stolz, dass Israel in Washing- ton einen großartigen Freund hätte.

Ich wünschte mir, unsere Freunde dort wären manchmal etwas weniger großartig. Loyal zwar, aber entschlos- sen, uns immer wieder zu erinnern, dass das Ende der Besatzung und eine klare, international anerkannte Gren- ze mit einem palästinensischen Staat ganz in unserem eigenen Interesse liegen. Und ich spreche natürlich nicht von dem Sicherheitszaun, der den Palästinensern jetzt von uns auf- gedrängt wird. Wir – Israelis und vielleicht noch mehr die Palästinenser – brauchen diese Grenze, damit wir uns endlich um unsere eigenen Ange- legenheiten kümmern können und uns nicht mehr nur über unsere Feindschaft mit dem anderen definie- ren. Seit Generationen fehlt uns diese Möglichkeit. In seiner zweiten Amts- zeit hätte Präsident Bush die einmali- ge historische Chance, uns, Palästi- nensern wie Israelis, auf die Sprünge zu helfen.

IP: Druck scheint die neue US-Außen- ministerin Condoleezza Rice aber offen- sichtlich nicht auf Israelis oder Palästinenser,sondern auf den Iran aus- üben zu wollen, wie ihre ersten Äuße- rungen im Amt zeigen.

Grossmann: Man darf nicht verges- sen, dass der Iran das einzige Land dieser Region ist, das Israel offen mit Vernichtung bedroht. Selbst wenn wir die Traumata der jüdischen Geschich- te außer Acht ließen, müssten wir den Versuch des Iran, sich in den Be- sitz von Nuklearwaffen zu bringen, für außerordentlich beunruhigend halten. Als Israeli weiß ich aber nur zu genau, dass uns gewaltsame Lö-

»Ich wünschte mir, unsere

Freunde in Washington wären

etwas weniger großartig.«

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sungen keinen Schritt weiter bringen.

Allerdings muss man – was die Euro- päer leider manchmal vergessen – ge- legentlich mit Gewalt drohen, wenn man etwas erreichen will. Doch man sollte Gewalt wirklich nur als aller- letztes Mittel einsetzen. Außerdem würde ein Krieg mit dem Iran wohl in erster Linie Israel in Gefahr bringen.

IP: Wie können die Europäer sich am Friedensprozess beteiligen?

Grossmann: Wir können uns nicht allein auf die USA verlassen. Jede nüchterne Staatsführung sollte über Alliierte und gute Freunde in ver- schiedenen Teilen der Welt verfügen.

Wir haben eine große Affinität zu Europa, kulturelle und historische Verbindungen – nicht zuletzt ver- knüpft uns der Holocaust mit einem starken Band. Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass Deutschland eine äußerst konstruktive Rolle spielen könnte, um Israel zu den notwendi- gen Kompromissen zu bewegen. Ich weiß, dass sich deutsche Regierungen wegen der Vergangenheit eher vor- sichtig verhalten. Sie haben das Ge- fühl, dass sie nichts tun könnten, was Israel in Gefahr bringt. Aber das, was oberflächlich betrachtet aussieht wie eine Gefahr für Israel, nämlich der Rückzug aus den besetzten Gebieten, ist in unserem ureigensten Interesse.

Es wäre die hilfreiche Tat eines Freundes, uns dazu zu bringen.

IP: Momentan misstrauen viele Israelis den Europäern eher. Man hält sie für propalästinensisch und obendrein zu- nehmend antisemitisch.

Grossmann: Antisemitismus ist un- glücklicherweise in der christlichen, der säkularen westlichen und der islamischen Kultur tief verwurzelt.

Oft braucht dieser Antisemitismus nur einen Auslöser wie den Beginn der Intifada und Israels Politik in

den besetzten Gebieten, um wieder an die Oberfläche zu gelangen. Ja, Israel wird allzu oft nach härteren Kriterien beurteilt als andere Län- der. Juden oder Israelis dienen oft als eine Art Metapher. Man betrach- tet sie nicht als Volk oder als Indivi- duen – mit allen Vorzügen und Feh- lern – sondern dämonisiert oder idealisiert sie. Beides sind nur unter- schiedliche Formen des gleichen Phänomens – nämlich einer Ent- menschlichung.

Es gibt immer wieder starke Kräfte, die die- sen Antisemi- tismus kontrol-

lieren können – nur im Augenblick sind sie leider nicht besonders aus- geprägt. Ich kann nur hoffen, dass Israels Kritiker immer wieder dar- auf achten, wo die Grenzen legiti- mer Kritik überschritten werden.

Um sich das Vertrauen beider Kon- fliktpartner zu erringen, bräuchte Israel ein paar positive Gesten der Europäer. Deutschland, mit dem uns die Geschichte verknüpft, und Frankreich und Belgien, die hier als besonders antisemitisch gelten, müssten uns zeigen, dass sie sich um unsere Sicherheit bemühen. Damit wäre uns schon sehr gedient. Natür- lich können die Europäer dazu bei- tragen, uns und den Palästinensern so etwas wie ein normales Leben zu verschaffen. Damit wir endlich nicht mehr täglichen Stoff für die Nach- richten abgeben müssen, sondern uns mit unserem kleinen, bescheide- nen Leben beschäftigen können.

Das würde vermutlich auch helfen, den Virus des Antisemitismus zu bekämpfen.

Das Gespräch führte Sylke Tempel.

»Israel wird allzu oft nach

härteren Kriterien beurteilt als

andere Länder. Juden werden

dämonisiert oder idealisiert.«

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