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F o rsch u n g ssch w erp u n k t U m w eltpolitik ( In te rn a tio n a le s I n s titu t fü r Umwelt und G esellsch aft - IIUG ) W issen sch aftszen tru m B erlin fü r S o zialfo rsch u n g IIUG p re 8 7 - 7

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Academic year: 2022

Aktie "F o rsch u n g ssch w erp u n k t U m w eltpolitik ( In te rn a tio n a le s I n s titu t fü r Umwelt und G esellsch aft - IIUG ) W issen sch aftszen tru m B erlin fü r S o zialfo rsch u n g IIUG p re 8 7 - 7"

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IIUG p r e 8 7 - 7

WISSENSCHAFTSZENTRUM BERLIN FÜR SOZIALFORSCHUNG

Forschungsabteilung ' ’Normbildung und Umwelt”

Reichpietschufer 50 D-1000 Berlin (West) 30

Tel.: 25 491-0

* P r o fe s s o r f ü r U m w eltrech t a n d e r U n iv e r s itä t F r a n k f u r t/M . E r s c h e in t in : U -E. Sim onis ( H g .) : P r ä v e n tiv e U m w e ltp o litik - O p tio n e n u n d R e s tr i k tio n e n , F r a n k f u r t / M . , New Y ork: C am p u s, 1987, i.V .

IIUG - P o ts d a m e r S tr . 58, 1000 B e rlin (W est) 30, T e l .: (030) 26 10 71

(2)

Das Vorsorgeprinzip betrifft den Inhalt, die Richtung und Intensität des Umweltschutzes. Es wird daher als das zentrale Prinzip der Umweltpolitik verstanden. In diesem Beitrag wird das Vorsorgeprinzip als Prinzip des Umweltrechts und der Umwelt­

politik analysiert. Im Umweltrecht tritt das Prinzip in zwei Formen auf: als rechtssatzförmiges Prinzip und als Struktur­

prinzip; es ist relativ eindeutig formuliert. In der Umwelt­

politik ist das Vorsorgeprinzip nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion dagegen noch recht unscharf. Der Autor beschreibt daher die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten des Vorsorgeprinzips und die Bedingungen einer erfolgreichen Umsetzung in der Praxis.

Summary

Preventive Environmental Policy and Environmental Law

The prevention principle applies to content, direction and intensity of environmental protection and can therefore be interpreted as being the central theme of environmental policy. This paper analyzes the prevention principle as one of environmental law and environmental policy. In envi­

ronmental law it appears in two ways: as a form of rules of law principle and as a structural principle, each clearly defined. In environmental policy, however, the prevention principle is still quite vague. The author describes the further possibilities of the prevention principle and its requirements for successful implementation.

(3)

1. VORSORGE ALS PRINZIP DER UMWELTPOLITIK UND DES UMWELTRECHTS

1.

Bereits im "Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971" wurde die Ver­

meidung von Umweltbelastungen durch vorausschauende Planung - noch ohne ausdrückliche Nennung des Vorsorgeprinzips - und im "Umweltbericht '76"

das Vorsorgeprinzip ausdrücklich als grundlegende Leitgedanken der Um­

weltpolitik hervorgehoben. In den "Leitlinien zur Umweltvorsorge von 1986" wird das Vorsorgeprinzip konkretisiert. Das Vorsorgeprinzip be­

trifft den Inhalt - die Richtung und Intensität - des Umweltschutzes. Es wird daher als das

ze n tra le P rin zip der U m w eltpolitik

verstanden. Es besagt nach allgemeiner Auffassung, daß die Umweltpolitik sich nicht in der Beseitigung eingetretener Schäden und in der Abwehr konkreter Gefah­

ren erschöpft; vielmehr soll bereits das Entstehen von Umweltbelastungen unterhalb der Gefahrenschwelle verhindert oder eingeschränkt werden, und es sollen die natürlichen Lebensgrundlagen langfristig bewahrt und scho­

nend in Anspruch genommen werden. In den Leitlinien zur Umweltvorsorge hat die Bundesregierung das Vorsorgeprinzip "... als ein dynamisches Prinzip zur schrittweisen Minimierung von Umweltrisiken durch Schadstoff­

einträge entsprechend dem technischen Fortschritt" und zum Schutz und zur Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen bezeichnet. Durch voraus­

schauende und gestalterisch planerische Maßnahmen soll erreicht werden, daß alle Umweltakteure sich umweltschonend verhalten und bei ihren Ent­

scheidungen mögliche Umweltauswirkungen berücksichtigen. Dies bedeutet nach Auffassung der Bundesregierung auch, daß ökologische Gesichtspunkte beachtet werden und Entlastungen in einem Bereich nicht zu Verlagerungen der Umweltbelastungen auf andere Bereiche führen sollen (Umweltbe­

richt '76).

2.

Entgegen manchen Fehldeutungen steht das Vorsorgeprinzip nicht im Gegen­

satz zu einem anderen maßgeblichen Prinzip der Umweltpolitik: dem Verur­

sacherprinzip. Letzteres betrifft nicht den Inhalt der Umweltpolitik, sondern die Kostenzurechnung und die Maßnahmenauswahl. Es wäre also falsch, im Vorsorgeprinzip einen Grundsatz der Verhütung von Umweltbela­

stungen, im Verursacherprinzip dagegen einen Grundsatz der Hinnahme von

(4)

Umweltbelastungen mit nachträglicher Kostenanlastung für Sanierung oder Schadensausgleich zu sehen. Das Verursacherprinzip besagt vielmehr allge­

mein, daß - je nach den betreffenden staatlichen Umweltschutzregelungen - der Verursacher die durch diese Regelungen bedingten Kosten für Vermei­

dung, Verminderung, Beseitigung oder Ausgleich der von ihm (potentiell oder tatsächlich) verursachten Umweltbelastungen zu tragen hat. Welche staatlichen KontrolImaßnahmen mit welcher Zielsetzung zu treffen sind, läßt sich aus dem Verursacherprinzip nicht ableiten. Es ist daher durch­

aus auch für Umweltvorsorge offen. Vorsorge- und Verursacherprinzip lie­

gen auf verschiedenen Ebenen; sie sind keine Gegensätze, sondern können sich ergänzen.

3.

Das Vorsorgeprinzip ist nicht nur eine Leitidee der Umweltpo/itik, son­

dern auch ein Prinzip des UmweltrecAts. Es tritt nach allgemeiner Auffas­

sung in zwei Formen auf: als rechtssatzförmiges Prinzip und als Struktur­

prinzip. Als

re ch tssa tzfö rm ig e s P rin zip

ist das Vorsorgeprinzip zu einem unmittelbar anwendbaren Maßstab verdichtet und hat die Funktion einer Norm (Genehmigungsvoraussetzung, Eingriffsermächtigung, Planungsleitli­

nie, Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvor­

schriften). In dieser Form findet es sich, wenngleich in recht differen­

zierter Art und keineswegs flächendeckend, in einer ganzen Reihe wichti­

ger Umweltgesetze (z.B. § 5 Abs. 1 Nr. 2, 3 BImSchG; § la Abs. 1, § 7a WHG; § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG; § la, § 3 Abs. 2 Satz 3, § 14 AbfG; § 2 Abs. 1 Nr. 3, 7, § 8 Abs. 2, 3 BNatSchG). Als

S tr u k tu r p r in z ip

ist das Vorsorgeprinzip ein Leitgedanke allgemeiner Art, der bestimmten Regelun­

gen zugrunde liegt und diese legitimiert, aber darüber hinaus nicht di­

rekt anwendbar ist. Die betreffenden Regelungen (z.B. Vorschriften, die eine Berücksichtigung des Umweltschutzes in der Planung gebieten; die Um- weltverträglichkeitsprüfung; Anmelde- und Prüfungsverfahren für Chemika­

lien)

dienen

der Vorsorge; bei deren Anwendung spielt das Vorsorgeprin­

zip aber keine direkte Rolle. Anders wäre dies nur dann, wenn man das Vorsorgeprinzip noch in einer dritten Form anerkennen wollte, nämlich als

allgem eines R e c h ts p r in z ip ,

das über den aus den gesetzlichen Regelungen unmittelbar ableitbaren oder in den Regelungen festgeschriebenen Rege- lungs- oder Anwendungsbereich hinaus verallgemeinert werden kann und die

(5)

Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung im Umweltrecht allgemein zu steuern vermag.

II. VORSORGEPRINZIP UND PRÄVENTIVE UMWELTPOLITIK

1.

Das Vorsorgeprinzip als politische Leitidee und allgemein die präventive Umweltpolitik einerseits und das Vorsorgeprinzip als Rechtsprinzip ande­

rerseits liegen auf verschiedenen Ebenen. Eine präventive Umweltpolitik setzt ihre Ziele nicht nur mit den Mitteln des Umweltrechts um, sondern bedient sich vielfältiger anderer Mittel und Maßnahmenbereiche wie Wirt­

schaftspolitik, Technologiepolitik und Agrarpolitik. Auch soweit sich das Vorsorgeprinzip als politische Leitidee und Vorsorgeprinzip als Rechts­

prinzip hinsichtlich ihres gegenständlichen Bezugsfeldes decken, können sie divergieren, z.B. weil die Umsetzung von der Umweltpolitik in das Recht - und damit die Ausprägung als Rechtsprinzip - hinter dem Postulat einer präventiven Umweltpolitik zurückbleibt. Auf den ersten Blick scheint jedoch das Vorsorgeprinzip als Rechtsprinzip insoweit mit dem Po­

stulat einer präventiven Umweltpolitik identisch zu sein.

Obwohl der Begriff "präventive Umweltpolitik" noch keine festen Konturen gewonnen hat, kann man ihn allgemein dahin verstehen, daß nicht erst im nachhinein das Belastungsniveau gesteuert, sondern die Struktur menschli­

cher Aktivitäten als potentielle Quelle von Umweltbelastungen von vorn­

herein mit dem Ziel der Vermeidung von Umweltbelastungen beeinflußt wer­

den soll. Ziel dieser Einflußnahme ist also, im einzelnen zu erreichen, daß Umweltbelastungen erst gar nicht entstehen, daß das Risiko für die Umwelt minimiert wird, die Material ströme (einschließlich Reststoffströ­

me) möglichst reduziert und die natürlichen Ressourcen schonend in An­

spruch genommen werden. Zugleich ist dabei - im Sinne einer ganzheitli­

chen Betrachtungsweise - eine Verlagerung von Umweltbelastungen von einem auf das andere Medium, von einem auf den anderen Raum, von einem auf den anderen Ursprungsbereich und von der Gegenwart auf die Zukunft zu vermei­

den. Präventive Umweltpolitik ist eine langfristige Politik unter Berück­

(6)

sichtigung ökologischer Zusammenhänge (Jaenicke 1985, O'Riordan 1985, OECD 1980, World Charta for Nature 1982).

2.

Die juristische Diskussion über den Schutz der Umwelt wird stark be­

herrscht von dem Bemühen,

G efahrenabw ehr

(Schutzprinzip) und

Vorsorge

mit den Mitteln der Begriffsexplikation abzugrenzen. Dieses Anliegen be­

ruht darauf, daß die Unterscheidung zum Teil von den Umweltgesetzen vor­

gegeben ist und die staatlichen Schutzpflichten im Bereich der "klassi­

schen" (schon dem Polizeirecht zugrunde liegenden) Gefahrenabwehr nach allgemeiner Auffassung intensiver sind. Gefahren sind "unbedingt" zu ver­

hüten, während bloße Risiken lediglich entsprechend den vorhandenen wis­

senschaftlich-technischen Erkenntnissen und Mitteln und unter Berücksich­

tigung von Kosten-Nutzen-Erwägungen und nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Wege der Vorsorge zu vermeiden oder zu mindern sind. Hinzu kommen Probleme des gerichtlichen Rechtsschutzes, weil - nach neuerer Auffassung - zwar die Pflicht zur Gefahrenabwehr, nicht jedoch die Vorsorgepflicht Individualschutz vermittelt und dem Betroffenen Kla­

gerechte verleiht. Grundlegend ist also die begriffliche Dreiteilung zwi­

schen

Gefahr, R isik o

und

R estrisiko-.

Gefahren, d.h. Geschehensabläufe, bei denen der Eintritt eines Schadens mit hinreichender Wahrscheinlich­

keit zu erwarten ist, sind "unbedingt" zu verhüten; Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle sind nur nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäs­

sigkeit im Wege der Vorsorge zu vermeiden oder zu mindern; das danach verbleibende Restrisiko ist als allgemeine Zivilisationslast vom Bürger hinzunehmen (Breuer 1978, Marburger 1983). Unter Restrisiko kann man da­

bei ein möglicherweise großes, aber äußerst unwahrscheinliches

oder

ein wahrscheinliches, jedoch äußerst geringfügiges und daher zumutbares Risi­

ko verstehen. Vielfach wird die Abgrenzung zwischen Gefahr, Risiko und Restrisiko auch anders gesehen, und zwar entweder in der Weise, daß man lediglich Gefahr und Restrisiko unterscheidet, aber eine Verpflichtung zur Minimierung des Restrisikos bejaht,

oder

aber in der Weise, daß man den Gefahrenbegriff auf nicht erkennbare, äußerst unwahrscheinliche oder geringfügige Risiken ausdehnt, aber im so erweiterten Gefahrenbereich eine (gestufte) Verpflichtung zur Vorsorge annimmt. Weiter verwirrt wird die Diskussion dadurch, daß nach allgemeiner Auffassung der Gefahrenbe­

(7)

griff - und damit auch der Komplementärbegriff der Vorsorge -

r e la tiv

ist, d.h. daß die Anforderungen an den Grad der Unwahrscheinlichkeit des möglichen Schadens umso höher sind und damit der Gefahrenbegriff umso weiter ist, je größer das Ausmaß und die Intensität des möglichen Scha­

dens sind.

Meines Erachtens besteht keine Möglichkeit einer wirklichen Abgrenzung von Gefahr (Schutzprinzip) und Risiko (Vorsorgeprinzip) mit Mitteln der Begriffsexplikation, da es sich um ein Kontinuum handelt, innerhalb des­

sen Einschnitte letztlich nur durch politische Dezision gemacht werden können. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Entscheidung vom 19.12.1985 über das Kernkraftwerk Wyhl (BVerwGE 72, 300) eine Abgrenzung von Gefahr und Risiko im Atomrecht nicht vorgenommen, sondern unter­

schiedslos von "bestmöglicher Gefahrenabwehr und Risikovorsorge" gespro­

chen und verlangt, daß "Gefahren und Risiken" von Kernkraftwerken im Hin­

blick auf den Stand von Wissenschaft und Technik "praktisch" ausgeschlos­

sen sein müssen. In den Leitlinien der Bundesregierung zur Umweltvorsorge (1986) wird für den Bereich der Umweltpolitik - und mit ausdrücklicher Beschränkung hierauf - eine Unterscheidung zwischen Gefahrenabwehr und Vorsorge ebenfalls abgelehnt.

Jedenfalls ist festzuhalten, daß diese Diskussion, die in der Rechtswis­

senschaft viele Kräfte absorbiert hat, wenig zu der Frage beizutragen vermag, inwieweit das Vorsorgeprinzip als Ausdruck präventiver Umweltpo­

litik verstanden werden kann. Bei allen möglichen Definitionen und Ab­

grenzungen bleibt ein mehr oder weniger weiter Bereich, den man als Äqui­

valent zur vorsorgenden Umweltpolitik bezeichnen kann.

3.

In inhaltlicher Hinsicht ist das Vorsorgeprinzip nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion recht unscharf. Dies wird deutlich, wenn man einmal die möglichen Begriffsinhalte des Vorsorgeprinzips (in einer Skala ten­

denziell zunehmenden "V o rs o rg e g e h a lts ") m ite in a n d e r v e r g le ic h t ^ Das V o rso r geprinzip kann bedeuten:

(8)

(1) Verhütung unmittelbar bevorstehender Schäden (also letztlich Gefah­

renabwehr im Sinne des Schutzprinzips) bei fehlender Zurechenbarkeit zu bestimmten Stoffen oder Verursachern (Vorsorgeprinzip als "Auf- fangtatbestand");

(2) Immissionsminderung zur Freihaltung von ökologischen Ausgleichsräu­

men und von Reserven für künftige Belastungen ("Planungsfunktion");

(3) Reduzierung des Risikos (von Stoffeintrag oder Unfällen) bei gewis­

sen, aber sehr unwahrscheinlichen Schäden;

(4) Reduzierung des möglichen Risikos bei bloßem (konkretem) Risikover­

dacht (mögliche, aber ungewisse Schäden);

(5) Minimierung der Umweltbelastungen, auch wenn kein konkreter Gefah­

ren- oder Risikoverdacht besteht;

(6) bestmögliche Umweltoption (nicht nur Reduzierung der Emissionen, sondern auch Benutzung des unter dem Gesichtspunkt des Umweltschut­

zes besten Mediums für die danach noch erforderliche Inanspruchnahme der Umwelt);

(7) Verschlechterungsverbot;

(8) Umweltbeeinflussungen (Emissionen, Inverkehrbringen von Stoffen) sind bei fehlendem Nachweis der Unschädlichkeit verboten;

(9) Gebot der Null emission.

Hinzu kommen aus dem Bereich der Planung und der Nutzung natürlicher Res­

sourcen:

(10) das Gebot der Konfliktvermeidung und

(11) das Gebot nachhaltiger Nutzung.

(9)

Während die Varianten (8) und (9) kaum als Wiedergabe des bestehenden Rechts, so wie die UmweltJuristen dies sehen, gelten können, gibt es im übrigen über die Auslegung des Vorsorgeprinzips erhebliche Meinungsver­

schiedenheiten. Dies hat zur Folge, daß das Vorsorgeprinzip

kein e w irk ­ lic h e L e itfu n k tio n

besitzt, sondern von der Exekutive in den verschiede­

nen Umweltpolitikbereichen und auch im Zeitverlauf j'e nach den Zufällig­

keiten des politischen Prozesses und der Einstellung des zuständigen Res­

sorts ganz unterschiedlich konkretisiert wird. Exemplarisch sind die Aus­

legungsprobleme beim Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, wo die obigen Varianten (1) bis (5) sowie teilweise (7) - in unterschiedli­

cher Zusammenstellung - als dem Gesetz entsprechend angesehen werden, oh­

ne daß bislang Einigkeit erzielt werden konnte. Das Beispiel zeigt, daß es sich nicht allein um Folgen des relativ hohen Abstraktionsgrads des Vorsorgeprinzips und seiner oben genannten Ausprägungen handelt, der im Hinblick auf spezifische Umweltprobleme dann reduziert werden muß. Aller­

dings sind unterschiedliche Konkretisierungen des Vorsorgeprinzips je nach den Gegebenheiten des zu regelnden Umweltproblems erforderlich.

Hiervon geht bereits die im Katalog möglicher Interpretationen angelegte Unterscheidung von Emissionsminderung, Planung und Nutzung natürlicher Ressourcen aus. Aber unabhängig davon bleibt festzustellen, daß das Vor­

sorgeprinzip als Rechtsprinzip in bezug auf ein und dasselbe Umweltpro­

blem bisher keine wirkliche, die Tätigkeit der Exekutive bei der Imple­

mentation des Gesetzes effektiv steuernde Funktion besitzt.

4.

Das juristische Verständnis des Vorsorgeprinzips bleibt in zweierlei Hin­

sicht hinter dem Postulat einer präventiven Umweltpolitik zurück. Zum einen führt die gängige Gegenüberstellung von Umweltqualitätswerten als Ausdruck der Gefahrenabwehr (Schutzprinzip) und Emissionsbegrenzungen als Ausdruck des Vorsorgeprinzips zu dem paradoxen Ergebnis, daß die Vorsorge um so stärker erscheint, je laxer die Schutzpolitik betrieben wird. Wenn ein Staat nicht in der Lage ist, zum Schutz gegen Waldschäden einen

Im ­ m issionsw ert

für S0£ von 0,03 mg/m3 festzusetzen und dessen Einhaltung zu gewährleisten - wie dies z.B. die Schweiz anstrebt -, so erscheinen strenge

Em issionsgrenzw erte

zur quantitativen Minderung der Gesamtemis­

sionen in formaler Betrachtung als Vorsorge, obwohl sie in materieller

(10)

Betrachtung nichts weiter als pauschale Schutzmaßnahmen sind. Diese Ein­

schätzung hängt freilich auch von der Frage ab, ob man sich bei bereits eingetretenen und in Zukunft mit Sicherheit drohenden Schäden, aber nicht völlig geklärten Ursache-(Dosis-)Wirkungsbeziehungen, juristisch gesehen noch im Bereich der Gefahrenabwehr (Gefahrenverdacht) oder schon in dem der Vorsorge bewegt.

Es dürfte einleuchten, daß unter der Perspektive des effektiven Schutzes der Opfer von Umweltbelastungen staatliche Kontrollmaßnahmen eher legiti­

miert sind und daher an geringere rechtliche Schranken gebunden sein müs­

sen, wenn bereits Schäden eingetreten sind oder unmittelbar bevorstehen, als wenn lediglich ein Verdacht künftig möglicher Schäden besteht. Jedoch paßt die der Gefahrenabwehr zugeordnete Formel von der "absoluten" Verhü­

tung nicht, wenn die Ursache-Wirkungsbeziehungen nicht feststehen. Wie­

derum erweist sich, daß eine strenge Trennung von Gefahrenabwehr, Risiko und Restrisiko nicht durchzuhalten ist. Umgekehrt können Immissionswerte und andere Umweltqualitätswerte durchaus Vorsorgegehalt besitzen. Diese Einschätzung ist z.B. für das 30/90 mrem-Konzept im Strahlenschutz denk­

bar. Auch die aufgrund des neuen Strahlenschutzvorsorge-Gesetzes im Kata- strophenfall zu erlassenden Grenzwerte für Lebensmittel können - müssen nicht - Vorsorgewerte sein.

Das juristische Vorsorgeprinzip bleibt auch insoweit hinter den Postula- ten einer präventiven Umweltpolitik zurück, als Maßnahmen der

S tr u k tu r - und der N ivea u steu eru n g der W irtschaft

grundsätzlich als

g le ic h w e rtig

verstanden werden. Wenn man im Sinne des Vorsorgeprinzips von Vermeidung von Umweltbelastungen spricht, dann meint man im allgemeinen die bloße Begrenzung von Emissionen sowie von Eingriffen in die Umwelt. Eine ganz­

heitliche Betrachtungsweise, die z.B. die Möglichkeit der Verlagerung von Umweltbelastungen berücksichtigt, ist nur ansatzweise vorhanden. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2, 3 BImSchG ist nicht nur Vorsorge durch Maßnahmen der Emis­

sionsbegrenzung erforderlich, sondern die bei der Produktion (einschließ­

lich der Emissionsbegrenzung) entstehenden Reststoffe sind darüber hinaus nach Maßgabe des technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren zu vermeiden oder wiederzuverwerten. Diese Regelung beschränkt sich aber auf feste Abfälle und erfaßt nicht den Abwasserpfad. Auch gibt es keine ent­

(11)

sprechenden Vorschriften im WHG für Abwassereinleitungen, obwohl § la Abs. 1 als Ausdruck des Vorsorgeprinzips gilt und im Sinn eines allgemei­

nen Abwasservermeidungsgebots verstanden werden könnte. Für die Produk­

tion hat das neue AbfG eine Vermeidungspflicht nur nach Maßgabe von Rechtsverordnungen eingeführt; Verwertungsgebote hängen von den techni­

schen Möglichkeiten, der wirtschaftlichen Zumutbarkeit und zusätzlich vom Vorhandensein eines Marktes für die gewonnenen Werkstoffe ab. Auch das ChemG bietet kaum Ansatzpunkte für eine strukturbezogene Produktions­

steuerung. Schließlich wird auch die Eingriffsregelung des § 8 BNatSchG, wonach vermeidbare Eingriffe zu unterlassen sind, grundsätzlich dahin verstanden, daß nicht das

Ob,

sondern nur das Wie des Eingriffs natur­

schutzrechtlich zu kontrollieren sei.

5.

Eine weitere Einschränkung des Vorsorgeprinzips - und damit zugleich eine potentielle Schwächung als juristisches Instrument präventiver Umweltpo­

litik - ergibt sich aus dem verbreiteten Bestreben, das als "uferlos"

weit empfundene Prinzip anhand traditioneller rechtsstaatlicher Grundsät­

ze zu begrenzen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 69, 37) und die herrschende Lehre (z.B. Ossenbühl 1986) beschränken den Vorsorgeanlaß auf einen "konkreten", insbesondere durch wissenschaftliche Erkenntnisse be­

gründeten

"G efahrenverdacht"

und die Maßnahmen der Vorsorge auf solche, die diesem

verm uteten R isiko p ro p o rtio n a l

sind. Diese Einschränkung ist auf das Phänomen des Gefahrenverdachts zugeschnitten, also auf eine Si­

tuation, in der bereits Schäden eingetreten sind oder unmittelbar bevor­

stehen, die Ursache-(Dosis-)Wirkungsbeziehungen jedoch noch nicht ausrei­

chend geklärt sind. Mit dieser Formel wird aber die Anwendung des Vorsor­

geprinzips in seinem genuinen Anwendungsbereich, nämlich auf in ihrer Größenordnung oder ihrer Wahrscheinlichkeit unbekannte Risiken (bloßer Risikoverdacht), stark erschwert. In der Entscheidung vom 19.12.1985 (BVerwGE 72, 300) hat auch das Bundesverwaltungsgericht für das Atomrecht anerkannt, daß "... auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht gezogen werden (müssen), die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können und daher insoweit noch keine Gefahr,

(12)

sondern nur ein Gefahrenverdacht oder ein 'Besorgnispotential1 besteht"

(ähnlich Murswiek 1985, S. 378 ff.).

6.

Bei der Analyse des rechtlichen Status des Vorsorgeprinzips als Rechts­

prinzip darf nicht übersehen werden, daß die Interpretationsherrschaft über seine inhaltliche Ausfüllung nur noch formal beim Recht (d.h. beim Gesetzgeber und der Gerichtsbarkeit) liegt, während sie inhaltlich weit­

gehend an Politik, Naturwissenschaft, Medizin und Technik (d.h. an die Exekutive und an parastaatliche oder private Normungsinstitutionen) über­

gegangen ist. Die angesichts der geringen Regelungstiefe des Vorsorge­

prinzips erforderliche Konkretisierung erfolgt durch Verwaltungsvor­

schriften (seltener durch Rechtsverordnungen) oder private Regelwerke, auf die das Gesetz verweist. Trotz der vielfältigen wertenden und nicht rein technisch-wissenschaftlichen Elemente von Grenzwertfestsetzungen - hinsichtlich der Schutzwürdigkeit des betroffenen Rezeptors, des Ausmaßes der Gefährdung durch eine bestimmte Aktivität (Dosis-Wirkungsbeziehungen und Sicherheitsabstände, Auswahl prioritärer Stoffe oder Einwirkungen), der volkswirtschaftlichen Tragbarkeit von Kontrollmaßnahmen und der Zu­

mutbarkeit der verbleibenden Umweltbelastung - ist die Neigung der Ver­

waltungsgerichte, die traditionellen Methoden der gerichtlichen Richtig­

keitskontrolle von Entscheidungen der Exekutive anzuwenden, bisher ge­

ring. Auch nachdem die Konzeption des "antizipierten Sachverständigengut­

achtens" (BVerwGE 55, 250), die die Rolle des technischen Sachverstands bei der Grenzwertfestsetzung in den Vordergrund stellte, aufgegeben wor­

den ist, bleibt es grundsätzlich bei der Annahme einer nur sehr be­

schränkten Nachprüfbarkeit, weil es sich um politische Wertungen handele:

"Die Verantwortung für die Risikoermittlung und -bewertung trägt ... die Exekutive; sie hat hierbei die Wissenschaft zu Rate zu ziehen" (BVerwGE 72, 300). Verstärkt wird der Rückzug der Gerichte - und damit letztlich des Rechts - aus der Anwendung des Vorsorgeprinzips noch dadurch, daß ein Drittbetroffener bei uns dessen Verletzung nicht geltend machen, sondern belastet mit allen Problemen der Abgrenzung - die Einhaltung des Schutz­

prinzips verlangen kann (BVerwGE 61, 256; BVerwGE 65, 313).

(13)

III. ENTWICKLUNGSMÖGLICHKEITEN DES VORSORGEPRINZIPS

1.

Fragt man von dem geschilderten Befund der juristischen Erfassung des Vorsorgeprinzips ausgehend nach den Entwicklungsmöglichkeiten im Sinne einer stärkeren Orientierung am Postulat präventiver Umweltpolitik, so liegt es nahe, die Strukturpolitik stärker zu betonen. Dabei lassen sich zwei Ausprägungen unterscheiden: einmal eine Makro- und Meso-Strukturpo- litik, die durch Abbau rechtlicher Hemmnisse, durch ökonomische Anreize und Forschungsförderung eine allgemeine umweltfreundliche Entwicklung der Industriestruktur und der Produktionstechnologie begünstigt, zum anderen eine regulative Mikro-Struktursteuerung, die im Hinblick auf konkrete Um- weltprobleme im einzelnen Unternehmen Änderungen der Produktionsweise und der Produktpalette zu erreichen sucht. Die letztere Variante steht unter juristischem Blickwinkel im Vordergrund. Die Notwendigkeit, aber auch die rechtlichen Probleme einer solchen Neuorientierung der Strukturpolitik lassen sich anhand des ReststoffVermeidungsgebots und - allgemeiner - des Gebots der bestmöglichen Umweltoption gut zeigen.

Die gegenwärtige sektorale Anwendung des Vorsorgeprinzips führt tenden­

ziell zu einer

V erlagerung von U m w eltbelastungen

auf das regulativ schwächste Glied. So läßt z.B. das bloße Erfordernis, zur Vorsorge gegen Luftverunreinigungen bestimmte, am Stand der Technik der Reinigungstech­

nologie orientierte Emissionsgrenzwerte einzuhalten, dem Unternehmen grundsätzlich die Möglichkeit, ohne Veränderung des Produktionsverfahrens die betreffenden Stoffe durch Filter o.ä. zurückzuhalten, wodurch sie dann als feste oder flüssige Abfälle anfallen. Je nach Strenge der Anfor­

derungen im Abfall- oder Abwasserrecht und den Kosten ihrer Einhaltung wird der Unternehmer den Abfall- oder den Abwasserpfad zur "Beseitigung"

der Reststoffe wählen. Ökologisch sinnvoll wäre es dagegen, durch Verän­

derung des Produktionsverfahrens, ggf. auch durch Produktsubstitution, den Anfall von Reststoffen von vornherein zu minimieren und im übrigen für die "Beseitigung" der danach noch anfallenden Reststoffe den ökolo­

gisch günstigsten Reststoffpfad zu wählen.

(14)

Mit einer derartigen regulativen Strategie wären jedoch qualitative Ver­

änderungen der Stellung der Umweltschutzbehörden verbunden. Im gegenwär­

tigen System, das trotz des gesetzlichen Ansatzes beim "Stand der Tech­

nik" als

E m issio n ssta n d a rd system

gekennzeichnet werden kann, kann sich die Behörde grundsätzlich auf die Vorgabe von Zielwerten - wenngleich orientiert an einer Referenztechnologie - beschränken. Es ist Sache des Unternehmens zu entscheiden, wie es die Anforderungen erfüllt, insbeson­

dere ob es die Einsatzstoffe, das Produktionsverfahren oder die Reini­

gungstechnologie verändert. Ein striktes Reststoffvermeidungsgebot und das Gebot der bestmöglichen Umweltoption würde dagegen die Behörde zur Intervention in hochkomplexe unternehmerische Entscheidungen über be­

triebswirtschaftliche und ökologische Vor- und Nachteile bestimmter Vor­

gehensweisen, letztlich also zur

P ro d u k tio n sste u eru n g

ermächtigen. Es würden flächendeckende Verhandlungen mit einer Vielzahl von Betreibern im Einzelfall erforderlich, für die klare Entscheidungskriterien nicht be­

reit stehen. Die in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG (Reststoffvermeidungsgebot) verwandte Formel der "wirtschaftlichen Zumutbarkeit" verschleiert die Problematik eher als daß sie sie klärt. Ermächtigungen zu tiefgreifenden Eingriffen in unternehmerische Entscheidungen ohne klare Entscheidungs­

kriterien erscheinen rechtsstaatlich bedenklich. Die bisherigen Erfahrun­

gen bei Einzelverhandlungen hinsichtlich einfach gelagerter Fragestellun­

gen wie "Stand der Technik" und "wirtschaftliche Vertretbarkeit" von Auf­

lagen gegenüber Altanlagen sind nicht gerade ermutigend. All das spricht dafür, ReststoffVermeidung und bestmögliche Umweltoption eher bei der Festlegung von Standards, insbesondere hinsichtlich der Referenztechnolo­

gie und als Begründung für Reststoffabgaben, zu berücksichtigen, aber grundsätzlich am System von Zielwerten festzuhalten. Daneben sollte man den Behörden ein "Versagungsermessen" einräumen, um in extremen Fällen trotz Erfüllung aller standardisierten Anforderungen die bestmögliche Um­

weltoption durchzusetzen.

Eine interessante, freilich auf die Steuerung der Menge von Konsumabfäl­

len beschränkte Regelungstechnik findet sich in § 14 Abs. 2 des neuen Ab- fallgesetzes. Danach kann die Bundesregierung zur indikativen Steuerung der Abfallmengen im Bundesanzeiger zu veröffentlichende Ziel Vorgaben ma­

chen, um die Unternehmen zu freiwilliger Reduzierung der Abfallmengen zu

(15)

veranlassen; subsidiär, d.h. für den Fall, daß die Zielprojektionen über­

schritten werden, kann durch Verordnung interveniert werden. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dieses Instrument auf Branchenebene auch zur globa­

len (Belastungspfad-unabhängigen) Verminderung gefährlicher Reststoffe der Produktion einzusetzen.

2.

Anzustreben ist im übrigen eine stärkere

K o n k re tisieru n g des Vorsorge­

p r in z ip s .

Erforderlich erscheint insbesondere eine gesetzliche Festle­

gung der

"S ich e rh eitsp h ilo so p h ie",

d.h. eine deutliche Aussage darüber, in welche Richtung die gebotene Vorsorge gehen soll, wobei zwischen ein­

zelnen Umweltpolitikbereichen aus deren Sachgesetzlichkeiten heraus durchaus gewisse Differenzierungen angebracht sein können. Weitere Kon­

kretisierungen (z.B. Entwicklung einer langfristigen Vorsorgekonzeption mit Festsetzung von Grenzwerten) können dann der Exekutive überlassen werden. Damit sind die Grenzen der Normierbarkeit der Umweltpolitik kei­

neswegs überschritten. Das gängige Argument, nur eine fast völlige Unbe­

stimmtheit des Vorsorgeprinzips gewährleiste einen "dynamischen Grund­

rechtsschutz", erscheint insoweit kaum stichhaltig. Es handelt sich um eine grundsätzliche Wertungsfrage, die im Hinblick auf das Rechtsstaat­

prinzip und das Demokratiegebot nicht der Exekutive überlassen werden kann. Andererseits läßt sich nicht verkennen, daß in der praktischen Um­

weltpolitik längst nicht mehr das gewählte Parlament, sondern die Exeku­

tive und die Länder die Führungsrolle übernommen haben. Das Parlament hat auch bislang kein Interesse an Fragen der Sicherheitsphilosophie gehabt.

Von daher ist die Überlassung der Entscheidung über die Sicherheitsphilo­

sophie an das gewählte Parlament nicht ohne Risiko. Jedoch können hier das Gewicht des Bundesrats und der öffentlichen Diskussion ausgleichend wirken.

Unabhängig von dieser allgemeinen Frage ist ferner eine problemspezifi­

sche Verschärfung des Vorsorgeprinzips durch Gesetz oder Verordnung erwä­

genswert. Dies gilt z.B. für das Verbot

der w esentlichen V erschlechte­

ru n g

der Umweltqualität, das über die gegenwärtig anerkannten begrenzten Anwendungsfälle hinaus verallgemeinert werden könnte. Bei besonders ge­

fährlichen Stoffen (z.B. bestimmte Schwermetalle, die sich im Boden an­

(16)

reichern, ohne daß bislang ein Schwellenwert angegeben werden könnte) kommt auch das Gebot der

N ullem ission

in Betracht. Beim Inverkehrbringen von chemischen Stoffen sollte eine ausdrückliche Eingriffsermächtigung schon für

b e d en k lich e S to ffe

mit dem Ziel größtmöglicher Sicherheit für Gesundheit und Umwelt gelten. Im Recht der räumlichen Planung und im Na­

turschutzrecht könnte ein

r e la tiv e r Vorrang fü r die Umweltvorsorge

in der Abwägung geschaffen werden, was die quantifizierende oder sonstwie konkrete Festlegung erwünschter oder unerwünschter Zustände (z.B. "Sperr­

klauseln" für die Inanspruchnahme ökologisch wertvoller Flächen, quanti­

fizierte Freiraumpolitik) einschließt. Eine derartig ausgestaltete Vor­

sorgepolitik kann zu stärkeren Eingriffen in die Investitionspolitik der Unternehmen führen, bewegt sich jedoch im Bereich "traditioneller" Inter­

vention und mag daher eher akzeptabel sein als eine direkte Produktions­

steuerung .

3.

Die von der überwiegenden Meinung in der Rechtswissenschaft befürwortete Begrenzung des Vorsorgeprinzips hinsichtlich des Vorsorgeanlasses auf einen konkreten Gefahrenverdacht und hinsichtlich der Maßnahmen der Vor­

sorge auf solche, die dem vermuteten Risiko proportional sind, erschwert die Anwendung des Vorsorgeprinzips auf in ihrer Größenordnung oder ihrem Gefährdungspotential unbekannte Risiken und verkürzt damit die Vorsorge in einem Bereich, in dem sie nach den bisherigen Erfahrungen - Waldster­

ben, Bodenschutz, Grundwasserschutz, Artenschutz, Schutz der Ozonschicht - besonders sinnvoll (gewesen) wäre. Das auf den ersten Blick überzeugen­

de Argument zugunsten einer derartigen Einschränkung geht dahin, daß es ohne einen konkreten Verdacht hinsichtlich eines möglichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Schadstoff oder einer bestimmten Schadstoffkonzentration und Art und Umfang des möglichen Risikos für die Umwelt kein Material für eine rationale Entscheidung unter Berücksichti­

gung der Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit von Gegenmaß­

nahmen gibt und Vorsorge "ins Blaue hinein" betrieben würde (Ossenbühl 1986). Dem läßt sich jedoch entgegenhalten, daß gesellschaftliche Aktivi­

täten von einigem Gewicht, die empfindliche Umweltmedien nicht unerheb­

lich verändern, z.B. die Herstellung und Anwendung chemischer Stoffe, nach unseren bisherigen Erfahrungen regelmäßig mit Risiken für Mensch und

(17)

Umwelt verbunden sind. Aus der "praktischen Vernunft" ergibt sich eine Vermutung für die Gefährlichkeit, nicht für die Gefahrlosigkeit derarti­

ger Aktivitäten oder Stoffe. Dieses

a b s tr a k te G efä h rd u n g s-( B eso rg n is-) p o te n tia l

kann zum Anlaß für Maßnahmen der Vorsorge genommen werden, so­

fern diese nicht in offensichtlichem Mißverhältnis zur lediglich vermute­

ten Entlastung der Umwelt stehen (vgl. BVerwGE 72, 300).

Eine mit durchschnittlichem Aufwand erzielbare Begrenzung der Emission von Stoffen mit abstraktem Gefährdungspotential ist z.B. grundsätzlich auch ohne konkreten Gefahrenverdacht zulässig, sofern die Möglichkeit eines nicht unerheblichen Schadens nicht völlig fernliegt. Empfindliche Umweltmedien können in dieser Weise jedenfalls vorsorgend geschützt wer­

den. Beispiele für eine solche Schutzkonzeption gibt es bereits im gel­

tenden Recht. Nach dem Gefahrstoffrecht können "milde" Kontrollmaßnahmen, wie z.B. Vorschriften über Kennzeichnung und Verpackung, bereits an die abstrakte Gefährlichkeit (bloße gefährliche Eigenschaften im Sinne des

§ 3 Nr. 3 ChemG) anknüpfen, ohne daß die Frage des epidemiologisch rele­

vanten Bevölkerungsrisikos und damit des möglichen Schadensumfangs eine Rolle spielt. Nach dem Lebensmittel recht kann schon gegen - allein oder aufgrund der täglichen Gesamtaufnahme anderer Stoffe - gesundheitlich be­

denkliche Stoffe vorgegangen werden.

In derartigen Fällen ist der Staat allerdings gehalten, im Rahmen des fi­

nanziell und administrativ Möglichen das konkrete Risiko systematisch ab­

zuschätzen (möglicherweise, wie im Gefahrstoffrecht, aufgrund von Prüfun­

gen, die die Unternehmen durchzuführen haben) und ggf. die getroffene Re­

gelung nachzubessern. Je nach Erkenntnisstand kommt dabei eine Milderung oder Aufhebung des Eingriffs, aber auch eine - nunmehr Risiko-proportio­

nale - Verschärfung in Betracht.

Besondere Vorsorgemaßnahmen sind auch im Hinblick auf eine - planerisch verfestigte - angestrebte besondere Umweltqualität eines Gebiets zulässig (z.B. Erhaltung von Teilen der Landschaft im "natürlichen" Zustand, Ver­

schlechterungsverbot für "saubere" Gebiete u.ä.).

(18)

Als wesentliche Schranke für Maßnahmen der Vorsorge und als Kriterium der Abwägung des Umweltschutzes mit gegenläufigen Allgemein- und Individual­

interessen, auf deren Schutz uns die Verfassung verpflichtet, bleibt also der

G rundsatz der V e r h ä ltn ism ä ß ig k e it,

nur nicht in der Verengung, wie sie die überwiegende Meinung anzunehmen scheint. Quantitative Aussagen - etwa dahin, daß ein bestimmter Kostenaufwand für eine zusätzliche Immis­

sions- oder Emissionsminderung von einem bestimmten Ausmaß (bei einem be­

stimmten Immissions- oder Emissionssockel) im Lichte des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit noch oder umgekehrt nicht mehr zu rechtfertigen sei - lassen sich freilich kaum machen.

4.

Ob über die immer noch sehr abstrakt bleibende Festlegung der Sicher­

heitsphilosophie und einzelne problembezogene Spezifizierungen hinaus eine

re c h tlic h e (R e~ )M a teria lisieru n g des V orsorgeprinzips

möglich ist, erscheint zweifelhaft. In dem Vorrang der Exekutive sowie der Naturwis­

senschaft, Medizin und Technik bei der Grenzwertfestsetzung drücken sich Sachgesetzlichkeiten aus, nämlich die Tatsache, daß das Problemverarbei­

tungspotential des Rechts hinsichtlich Art und Umfang der notwendigen Um­

weltvorsorge nur begrenzt ist, weil spezifisch rechtliche Wertmaßstäbe fehlen. Statt einer umfassenden Kontrolle der inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidungen der Exekutive nach traditionellem Muster ist aber eine intensivere Kontrolle der Legitimität des konkreten Entscheidungsvorgangs im Sinne einer Rationalitätsprüfung (z.B. hinsichtlich Nachvollziehbar­

keit der Ergebnisse, Ausschöpfung der Erkenntnismöglichkeiten, geordnetes Verfahren mit Transparenz und Repräsentation aller betroffenen Interes­

sen) zu fordern, um die gestörte Machtbalance zwischen Exekutive und Ge­

setzgeber /Gerichten, zwischen Politik und Recht auszutarieren. Das erste- re zu lassen, aber das letztere ebenfalls nicht zu tun, würde eine totale Abdankung des Rechts zur Folge haben, die verfassungsrechtlich (aber auch ökologisch) nicht zu verantworten ist.

(19)

IV. AUSBLICK

Bei der Würdigung des gegenwärtigen juristischen Verständnisses des Vor­

sorgeprinzips und seiner künftigen Entwicklungsmöglichkeiten im Vergleich zum Konzept einer präventiven Umweltpolitik sind stets die

Grenzen des Umweltrechts im V erh ä ltn is zu r U m w eltpolitik

mit zu bedenken. Das Vor­

sorgeprinzip als Prinzip des Umweltrechts nimmt daher von vornherein an den Grenzen teil, die dem Recht als Mittel des Schutzes, der Pflege und Entwicklung der Umwelt immanent sind. Eine präventive Umweltpolitik setzt, wie dargelegt, ihre Ziele nicht nur mit den Mitteln des Umwelt­

rechts um, sondern bedient sich vielfältiger anderer Mittel und Maßnah­

menbereiche wie Wirtschaftspolitik, Technologiepolitik und Agrarpolitik, bei deren Durchsetzung das Recht zwar nicht ohne Bedeutung ist, aber nicht im Vordergrund steht. Schwächen des Vorsorgeprinzips als Prinzip des Umweltrechts sind daher nicht notwendigerweise gleichbedeutend mit Schwächen einer präventiven Umweltpolitik. Andererseits ist zu berück­

sichtigen, daß das Vorsorgeprinzip in der politischen Diskussion auch als Handlungsmaxime der Umweltpolitik verstanden wird und daß sich politi­

sches und juristisches Vorsorgeprinzip in ihrem gegenständlichen Anwen­

dungsfeld zum Teil decken. Es besteht daher die Gefahr, daß Eingrenzungen des Vorsorgeprinzips, die aus juristischer Sicht gerechtfertigt erschei­

nen, unbesehen auch auf die Umweltpolitik allgemein erstreckt werden.

(20)

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