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Die Autorin. Das Buch

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Academic year: 2022

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Leseprobe

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Die Autorin

Dunja Kasem wurde 1992 in Bonn geboren und studierte Modedesign, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Gemeinsam mit ihrem Partner lebt sie in Nordrhein-Westfalen und liebt lange Waldspazier- gänge, Tee und Tage, an denen sie sich komplett in der Welt ihrer Geschichten verlieren kann. Mit einer New-Adult Trilogie kündigt sie im Dezember 2020 ihr Debüt an. Sie schreibt gerne über die ganz gro- ßen Gefühle, über Herzschmerz und über den Mut zu Veränderungen.

Das Buch

Remy zieht für ihr Studium aus Manhattan in die Kleinstadt Blacks- bound, um ihrer reichen und kaltblütigen Familie zu entkommen. Sie kann es kaum erwarten, endlich ein unabhängiges Leben zu führen.

Dafür nimmt sie einen Job als Kellnerin an – und verliebt sich auf den ersten Blick in ihren Kollegen Ethan. Doch dieser scheint ihre Gefühle nicht zu erwidern, und dann taucht zu allem Überdruss auch noch ihr Exfreund aus New York in der zauberhaften Kleinstadt auf!

Ethans Herz ist gebrochen und er bezweifelt, dass er sich jemals wieder auf eine Frau einlassen kann. Aber Remy, die neue Kellnerin imZahyos, reißt all seine Mauern ein. Doch Ethans schmerzhafte Vergangenheit holt ihn ein und er weist Remy zurück. Erst, als ihr Exfreund in Blacks-

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bound aufkreuzt, beginnt er um Remy zu kämpfen. Hat er sie schon ver- loren?

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Dunja Kasem

Make me fearless

Roman

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Forever by Ullstein forever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever

Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Dezember 2021 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic®

Autorenfoto: © privat

E-Book powered by pepyrus.com ISBN 978-3-95818-647-7

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As You AreThe Weeknd Killing My TimeG Flip

safety netAriana Grande (feat. Ty Dolla $ign) KaputtLEA

MorningG Flip

Moon RiderJai Wolf (feat. Wrabel) (OTR Remix) Let it Be MeJustin Jesso

Donne-moi ton coeur (Radio Edit)Louane willowTaylor Swift

Get You the MoonKina (feat. Snøw) Only Want YouRita Ora (feat. 6LACK)

Playlist

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Remy

Blind taste ich die Armatur ab, um das Lied zu überspringen.

Country ist so ziemlich die schlimmste Musikrichtung, die es gibt.

Ich sitze in meinem dunkelgrünen Fiat 500 und fahre die Interstate 87 Richtung Blacksbound entlang. Der Fahrtwind ver- teilt sich durch das heruntergelassene Fenster im Wageninneren.

Es sind nur noch knapp fünfzig Meilen, bis ich da bin – in mei- nem neuen Leben. In zwei Wochen ist der Summer Break vorbei und dann beginnt das erste Semester des Bachelor of Fine Arts!

Ein neues Kapitel öffnet sich und ich kann es kaum erwarten, mich mit vollem Herzblut hineinzustürzen.

In mir keimt Hoffnung auf und ich lächle. Nur daran zu den- ken, dass ich in wenigen Minuten an dem Ort sein werde, von dem ich in den letzten Monaten sehnsüchtig geträumt habe, erzeugt ein wohliges Kribbeln in meinem Bauch. Ich kann kaum begreifen, dass es nun wirklich passiert.

Professor Snape miaut von der Rückbank.

»Ist ja gut, gleich sind wir da«, sage ich und greife nach hin- ten. Vorsichtig fasse ich durch die Gitterstäbe und streichle sein weiches Fell. Ich habe ihm zu Beginn der Fahrt Leckerlis gegeben, aber allmählich helfen die nicht mehr. Er will endlich aus dem Käfig gelassen werden und ich kann es auch kaum noch erwarten, bei meiner besten Freundin Gia anzukommen. Gia, mein Halt seit

Kapitel 1

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meiner Kindheit.

Als ich dann von dem Highway abfahre und geradewegs auf einen Wald zusteuere, zeigt mir das Navi, dass ich jeden Moment bei ihr sein muss. All die Monate, in denen wir abends mitein- ander telefoniert haben, in denen wir uns sagten, dass wir bald wieder zusammen sein würden – jetzt ist es endlich so weit! Ich spüre, dass ich angekommen bin.

»Willkommen in unserem neuen Zuhause, Professor Snape«, sage ich, schalte den Motor ab und parke das Auto vor einem alten Fabrikgebäude.

Einige Minuten sehe ich mir das Fabrikgelände an, welches nun unser neuer Rückzugsort wird. Die renovierte Industriehalle, in der ich von nun an mit Professor Snape wohnen werde, gefällt mir schon von außen. Ich mag den rauen Look. Die schwarzen Metallstreben, die an der dunklen Backsteinwand verlaufen. Die Feuerleitern, an denen hie und da bereits der Lack abblättert. Die großen Fensterfronten, die im Erdgeschoss bereits abgestumpft sind. Einfach alles.

Ein kurzer Rundumblick zeigt, dass außer dem Wald weit und breit nichts zu finden ist. Ruhe! Genau das, was ich mir gewünscht habe.

Mit geöffneter Tür hupe ich mehrere Male hintereinander.

So lang, bis die schwere metallene Eingangstür aufgerissen wird und Gia kreischend auf mich zu rennt. Ich steige sofort aus und begrüße meine beste Freundin mit ausgestreckten Armen.

»Oh mein Gott, ich glaube es nicht. Endlich bist du da!«, ruft Gia und fällt mir um den Hals. Wir springen überglücklich auf und ab und drücken uns so sehr, dass wir kaum noch Luft bekom- men.

»Scheiße, du hast mir so gefehlt.« Für einige Sekunden halte ich sie einfach nur fest, um sicher sein zu können, dass ich dieses

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Mal nicht träume.

»Was denkst du, wie es für mich hier war?« Sie streicht mir einzelne Haarsträhnen hinter die Ohren, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst haben. »Professor Snape, wie geht es Ihnen?«, fragt sie und streichelt ihn durch die Gitterstäbe.

»Wir müssen ihn schnell rauslassen.«

»Dann nichts wie los«, erwidert sie und fängt an, meine Taschen und Kartons aus dem Auto zu räumen. »Verdammt! Hast du Steine eingepackt?«

»Du hast eine der Buchkisten erwischt«, antworte ich und lächle entschuldigend. Mit Professor Snape und einer weiteren Kiste unter dem Arm folge ich ihr in das Fabrikgebäude.

Das Treppenhaus ist kahl und der Betonboden ist rau unter meinen Schuhsohlen, die hohen Wände sind dunkelgrau ver- putzt. Hie und da könnte man sicherlich eine Pflanze hinstellen oder ein Bild anbringen, um es etwas gemütlicher zu gestalten.

Das Licht fällt durch ein eingelassenes Fenster im Dach. Sofort stelle ich mir vor, wie ich es mit meiner Kamera einfangen könnte.

Ich sehe mir das offene Erdgeschoss an und bin sprachlos.

»Mein Lager«, erklärt sie, als sie meinen Blick sieht.

»Scheiße, Gia, das ist ja wie in einem Stoffladen!«

Sie lacht und schaut zu den Stoffballen, die bis unter die Decke gestapelt sind.

»Ich wusste nicht, was ich sonst damit machen soll.«

»Es ist perfekt.«

»Außerdem war ich doch ohnehin allein.«

»Ab jetzt nicht mehr.«

Sie grinst breit und führt mich nach oben.

Als Gia die Tür zu ihrem Reich öffnet und ich mitten in einem Loft der Extraklasse stehe, haben sich alle Dekovorschläge, die

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ich für das Treppenhaus im Kopf hatte, in Luft aufgelöst. Meine Güte, hier sieht es aus wie auf den superstylischen Pinterestbil- dern, die ich mir für meine spätere Wohnung abgespeichert habe.

Die umgebaute Fabrik wird durch ein wunderschönes Licht geflutet, das sich jeder Fotograf für seine Bilder wünschen würde.

Der Raum ist warm und einladend und gleichzeitig elegant.

»Damit will dich dein Dad also wieder für sich gewinnen?«

»Richtig. Mit einerWohnung,einemZuhause, wie er es nennen würde«, sagt sie und verdreht die Augen. »Mit diesem Loft, in dem locker noch zehn weitere Leute wohnen könnten, ohne dass man sich auf die Nerven geht, stattdessen hocke ich hier allein und versuche, nicht an diesen Mistkerl zu denken. Als ob die Wohnung irgendwas gutmachen könnte.« Sie deutet wage umher.

»Jetzt bin ich da.«

»Ja, zum Glück. Und du trägst immer noch diese viel zu große und echt furchtbare Brille«, sagt Gia und zieht mir das rostrote Horngestell von der Nase.

Ich lache, weil Gia die zugegebenermaßen etwas zu große Brille nie gemocht hat. »Und du schaust klasse aus. Die Länge steht dir«, erwidere ich und fahre durch ihre kinnlangen und zu einer akkuraten Linie geschnittenen schwarzen Haare. Sie bedankt sich mit einem Knicks.

Ich lasse Professor Snape aus seinem Käfig, bevor wir die rest- lichen Sachen aus meinem Auto holen. Der Kater schnurrt und schmiegt sich um meine Beine. Ein Glück, dass er mir die Fahrt nicht übel nimmt.

»Bin gleich zurück«, flüstere ich ihm zu.

Wir schleppen einen Karton nach dem anderen in die Woh- nung. Als wir die letzten Kleinigkeiten aus meinem Auto räumen, sehe ich mir die Umgebung genauer an. Dichte Bäume wiegen sich langsam im Wind. Das einfallende Tageslicht bricht sich an

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den Ästen und wird in tausend kleinen Strahlen auf den dunklen Boden geworfen.

»Einsam, ich weiß.«

»Hier wohnt wirklich niemand, oder?«, frage ich Gia.

Sie schüttelt ihren Kopf und lacht. »Die nächsten Nachbarn sind etwas mehr als eine Meile entfernt, dafür sind wir in wenigen Fahrminuten im Zentrum von Blacksbound. Zu Fuß wird ein net- ter Spaziergang draus.«

Ich schmunzle und stelle mir vor, wie wir den Privatweg ent- langgehen und dem Wald dabei zusehen, wie er durch das Wetter zum Leben erweckt wird.

»Aber ganz ehrlich, darüber bin ich auch froh. Das war das Einzige, was ich wollte: meine Ruhe.«

»Ich schätze, damit dürfte es jetzt vorbei sein«, meine ich und lehne mich neben sie an den Kofferraum.

»Du weiß ja gar nicht, wie glücklich ich bin, dass du nun bei mir bist.«

Mir geht es genauso. Sie ist ein Jahr älter als ich, weshalb sie bereits seit zwei Semestern in Blacksbound studiert, aber das ist kein Problem für uns. Das war es noch nie.

»Ich finde es großartig.«

»Es ist wirklich entspannend.«

»Und die vielen Vögel, die man hier draußen hören kann!«

»Sogar das Rascheln der Baumkronen, man muss nur leise genug sein«, erwidert sie und legt sich den Zeigefinger auf die Lippen.

»Tatsächlich.« Ich bin mucksmäuschenstill und lausche den Geräuschen des angrenzenden Waldes. »Es gefällt mir jetzt schon so sehr, dass ich nie wieder zurück nach Manhattan will.«

»Das wird unsere Oase, für etwas muss dieser Palast schließ- lich gut sein. Ich wusste in der ersten Sekunde, als ich ankam,

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dass ich niemals mehr woanders leben möchte.« Ein freches Grin- sen legt sich um ihre Mundwinkel und sie nimmt die vorletzte Kiste aus dem Wagen. »Na los, wir müssen dein Zimmer für dich einrichten und ich will dir noch einen kleinen Vorgeschmack auf diesen schnuckeligen Ort geben.«

Angesichts des Sarkasmus in ihren Worten verdrehe ich die Augen. »Du liebst es hier.«

»Ja, mittlerweile, auch wenn ernicht hier ist. Aber ich will nicht überFrüherreden, sondern über dasJetzt.«

Ich weiß, wie schwer ihr das Thema fällt. Vermutlich wird sie nie damit abschließen können, doch sie hat recht. Wir sollten uns nicht länger über unsere Vergangenheit Gedanken machen. Viel- mehr sollten wir uns um unsere Zukunft bemühen. Sie ist so viel wichtiger als all das, was hinter uns liegt. Was passiert ist, kann man nicht ändern, aber das, was uns erwartet, können wir beein- flussen.

Oben im Loft zeigt mir Gia einen Raum, der für andere eine komplette Wohnung ist. »Hoffentlich bekommst du deinen gan- zen Kram untergebracht.«

»Ich schätze, das dürfte angesichts dieses Zimmers kein Pro- blem werden«, gebe ich scherzend zurück.

Ich liebe die abgerundeten Fensterbögen und unverputzten Wände. Es ist einfach perfekt.

Die nächsten Stunden packe ich aus und richte mich ein. Am frühen Abend bin ich fertig. Gia und ich stehen im Türrahmen zu meinem neuen Rückzugsort und ich atme zufrieden aus.

»Ich kann es immer noch nicht richtig glauben.«

»Ich auch nicht«, sagt sie und umarmt mich wieder. Als müsste sie sichergehen, dass ich wirklich hier bin. So wie ich vor- hin. »Willst du den Rest der Fabrik sehen?«

»War das eine Frage?«

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Zusammen erkunden wir das zweistöckige Loft. Ich mag die offenen Räume, die grenzenlos ineinander übergehen. Im Wohn- bereich hat Gia ihre geliebten Stühle stehen, die ausschauen wie nach oben gerichtete Handflächen, in die man sich hineinsetzen kann. Die hatte sie bereits in Manhattan in ihrem Zimmer. Über- all sind Grünpflanzen und die braunen Ledersofas fügen sich optimal ins Bild ein. Sie passen zu den industriellen Wänden im Hintergrund, die hie und da durch eingelassene Backsteine aufge- brochen werden. Ich lasse die Finger über diverse Bilderrahmen gleiten. Sie zeigen Fotos von uns beiden von früher.

Auf einem sind wir beide mit tropfenden Haaren und leicht bläulichen Lippen abgelichtet. Die Handtücher, in die wir einge- wickelt sind, konnten uns nicht ansatzweise wärmen.

»Weißt du noch, wie sehr wir gefroren haben?«, frage ich und deute auf uns. Nass, bibbernd und lachend.

Gia nickt sofort. »Ich werde diese Kälte niemals vergessen.

Das waren andere Dimensionen.«

»Ich kann bis heute nicht glauben, dass wir ernsthaft dachten, die dünne Eisschicht würde uns aushalten, obwohl man das Was- ser durch das Eis erkennen konnte.« Ich verschlucke die Hälfte der Worte, weil ich lachen muss.

Auch wenn das nicht in unserem Lieblingspark stattgefunden hat, fühle ich mich sofort an den Bryant Park erinnert. Wir waren andauernd da. Das war unser Ort, an dem wir Teenager sein konnten. Keine Verpflichtungen oder Kameras, die auf uns gerichtet waren. Wir waren nicht die Töchtervon. Dort waren wir nur zwei Freundinnen, die ihren Spaß hatten und genauso lebten wie alle anderen in unserem Alter.

Doch im Winter auf einem der zugefrorenen Seen herumzu- schlittern, obwohl man hätte ahnen können, dass das Eis uns beide nicht tragen kann, war eine unserer dümmeren Ideen.

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Ich muss lachen.

»Denkst du auch gerade an den Tag?«

»Scheiße, das war echt arschkalt«, sage ich und Gia kichert ebenfalls.

Mit jedem Bild in Gias Loft vermisse ich die unbeschwerte Zeit mehr. Damals wussten wir noch nicht, was auf uns zukom- men würde. Wir hatten keine Ahnung, was unsere Eltern alles tun würden, um sich gegenseitig den letzten Cent aus den Rippen zu leiern oder das Ansehen der Familie zu wahren.

»Magst du es? Ich habe die Einrichtung kurz nach meiner Ankunft komplett ausgetauscht. Mamma und Papà sind leider immer noch der Meinung, sie wüssten, was mir gefällt.«

»Ja, das glaube ich dir sofort. War alles in Beige und Gold?«

»Gott, du kannst dir nicht vorstellen, wie es hier aussah!«

»Ich finde den industriellen Look super. Er erinnert mich an früher, als wir davon träumten, wir würden uns eines Tages ein Lager mieten und in einem großen Atelier wohnen. Du als Desi- gnerin und ich als Fotografin.«

»Apropos Atelier, komm mit«, sagt sie und zieht mich hinter sich her. Sie führt mich in die zweite Etage und kaum, dass ich angekommen bin, verschlägt es mir die Sprache. »Willkommen in meinem Reich.«

»Oh. Mein. Gott!« Beeindruckt begutachte ich die gigantische Pinnwand, an die sie unzählige Skizzen gepinnt hat. Ehrfürchtig streiche ich über die Holzplatte des Schnitttischs und schüttle stolz den Kopf, als ich die halb fertigen Teile an den Büsten sehe.

»Gia«, stoße ich aus und gehe zu der Nähmaschine. »Das sieht besser aus als auf dem Video, das du mir kurz nach deinem Einzug geschickt hast!«

»Da war ja auch noch nicht alles eingerichtet.«

»Du weißt schon, dass das der Wahnsinn ist, oder?«

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»Schau mal, das habe ich gestern fertiggestellt.« Sie zeigt mir eine durchsichtige Bluse, die sie aufwendig bestickt hat. Sie hat aus den vielen Perlen kleine Wespen und Fliegen gebastelt und die komplette Bluse damit verziert. Ich bin fassungslos, was sie innerhalb der letzten Monate gelernt hat. »Was meinst du?«

»Das ist ein Traum.«

»Aber?«

»Ich wäre nur gerne dabei gewesen, als du deine ersten Sachen gefertigt hast. Es kommt mir vor, als hätte ich das vergan- gene Jahr nichts von dir und deinem Studium mitbekommen.«

»Du warst nicht da. Klar, wir haben telefoniert und so, aber jetzt ist es ja zum Glück vorbei. Wir sind zusammen. Nun bekommst du auch die Chance, neu anzufangen, New York zu ver- gessen und alles, was dort passiert ist«, versichert sie mir nach- drücklich. Allerdings muss sie mich nicht daran erinnern, dass ich neu beginnen möchte. Dieser Wunsch hat mich schließlich die letzten Monate über Wasser gehalten.

»Ich … oh.« Ich trete auf etwas, und es knackt laut unter mei- nen Füßen. Ich sehe sofort nach und hoffe, dass ich nichts Wich- tiges kaputt gemacht habe.

»Ach, mach dir keine Sorgen, davon liegt hier einiges herum.

Perlen, Nadeln, Stoffreste«, zählt sie auf und schaut auf den Boden. »Tu dir nur nicht weh.«

Ich nehme die fertige Bluse erneut in die Hand und kann nicht glauben, dass sie die genäht hat. Das Teil sieht aus, als käme es aus einem teuren Designerschuppen.

»Du bist wirklich der absolute Hammer.«

»Vielen Dank.« Sie verbeugt sich lachend.

»Ich meine das ernst. Das ist echt unverschämt gut, was du gezaubert hast. Du bist gerade mal am Anfang deines Studiums.«

»Na ja, im Gegensatz zu den anderen Studenten mache ich

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sonst nichts, außer an meinen Sachen zu arbeiten«, sagt sie. Und jetzt fallen mir die Fotos von Riccardo überall im Atelier auf. Ich will sie in den Arm nehmen, weil ich weiß, wie sehr sie immer noch unter seinem Verlust leidet.

Aber ich halte mich zurück. Für sie.

Denn im Moment ist sie so stark.

»Du kannst unfassbar stolz auf dich sein. Lass die anderen ruhig auf Partys gehen, davon kannst du nur profitieren.«

Sie kichert und hängt die Bluse weg. »Ja, jetzt sehen wir uns erst einmal Blacksbound an, einverstanden? West Bound wird dich umhauen, es ist das schönste Viertel von allen.«

»Aber so was von«, stimme ich zu und denke nicht länger über seinen Tod nach. Riccardo ist zu früh gestorben und er ist auf eine schreckliche Weise von uns gegangen. Aber nun konzentriere ich mich auf das Jetzt. So, wie Gia es auch versucht.

Sie geht mit mir über den Hinterhof, der am Waldrand liegt.

»Ist es hier abends gruselig? Schließlich liegt die ehemalige Fabrik sehr abgeschieden.«

»Manchmal sitze ich bis in die Nacht auf der Terrasse und schaue mir den Nebel in den Baumwipfeln an. Anfangs war die Ruhe ungewohnt, verglichen mit Manhattan! Ich kann mir nicht mehr vorstellen, jemals wieder wegzuziehen. Es ist magisch, wenn man erst versteht, dass die Welt nicht nur laut sein kann.«

Ich sehe sie einen Augenblick lang an und denke über ihre Worte nach. Sie hat recht. In Manhattan kehrt nie Ruhe ein. Jede Stunde gleicht der anderen. Man merkt gar nicht, dass wir uns in einem ständigen Wandel befinden, weil sich außer der Helligkeit nichts ändert. Es sind immer in etwa gleich viele Autos und Men- schen unterwegs. Die meisten Geschäfte haben rund um die Uhr geöffnet. Die Nacht wird im wahrsten Sinne des Wortes zum Tag gemacht. All das bringt unseren Rhythmus durcheinander – und

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hat mich in den letzten Jahren um den Verstand gebracht. Diese Stadt hat mich krank gemacht.

Jetzt hier zu sein, ist wie ankommen. Ist das, wonach ich mich immer gesehnt habe. Die Ruhe fühlt sich fantastisch an. Ich nehme einen Atemzug der reinen Luft und schließe die Augen.

»Glaub mir, nach ein paar Tagen wirst du wissen, wovon ich spreche, wenn ich sage, dass du in Blacksbound lernst, was es heißt, zu leben.«

»Das weiß ich in diesem Moment schon«, erwidere ich.

Gia führt mich den gepflasterten Privatweg hinab auf die Hauptstraße und ich frage: »Melden sie sich bei dir?«

»Mamma und Papà? Wenn ich Glück habe, nicht«, antwortet Gia und hakt sich bei mir unter. Ein Regenschauer hat den Boden rutschig gemacht und es herrscht feuchtwarmes Klima, trotzdem habe ich nicht das Gefühl, ich würde am ganzen Körper kleben und vor lauter Schweiß nicht richtig atmen können. In New York ist es genauso warm wie in Blacksbound, doch dort ist es auf- grund der Abgase und der vielen Menschen im Sommer kaum zu ertragen. Hier dagegen fühlt sich die Luft weich und einhüllend an.

»Und wie sieht es bei dir aus?«

»Ich muss ihnen verdammt wichtig sein, wenn sie mir weder eine gute Fahrt wünschen noch nachfragen, ob ich heil angekom- men bin.«

Gia streichelt mich am Oberarm und schaut mich an, wie sie mich schon seit unserer Kindheit angesehen hat: mitfühlend und verständnisvoll.

Ich bin froh, dass ich sie habe. Dass Mom und Dad damals noch nicht auf ihrem Egotrip waren und die Freundschaft einer D’Arrigo zugelassen haben.

»Als ich vor einem Jahr in der Fabrik ankam und sah, dass

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bereits alles eingerichtet war, hätte ich kotzen können. Es war, als wollten sie mich selbst so noch kontrollieren. Als würde ihnen mein neues Leben genauso gehören wie mein altes. Wir können froh sein, wenn sie uns in Ruhe lassen. Wir haben Manhattan nicht ohne Grund hinter uns gelassen.«

»Trotzdem hatte ich gehofft, sie würden sich zumindest heute zusammenreißen und ihren Scheidungskrieg einen Tag verges- sen. Ich meine, ich bin umgezogen. In eine andere Stadt. Anstatt mich zu fragen, warum ich ausgerechnet in Blacksbound studie- ren will, kümmern sie sich bloß um sich selbst. Gott, wie ich das hasse.«

»Das verstehe ich. Leider.«

»Wenn ich ihnen nicht wichtig genug bin, sollten sie mir auch nicht mehr so viel bedeuten.«

Sie nickt und sieht mich an, als würde sie sagen wollen:Wenn es nur so einfach wäre.

»Da lang«, meint Gia, als wir an einer Straßenkreuzung ankommen. Ich kann schon das Zentrum mit seinen kleinen Läden und Restaurants erkennen. Es gefällt mir, dass man inner- halb einer guten Viertelstunde zu Fuß alles Wichtige erreicht.

»Wie schnuckelig.«

»Ja, oder? Nicht mit einer Großstadt zu vergleichen, aber irgendwie süß. Ich wusste, dass dir West Bound gefallen würde.«

»Total«, antworte ich. »Ach, wo wir gerade von unseren Altlas- ten reden. Deine Eltern veranstalten bald eine große Gala. In der ganzen Stadt spricht man über den bevorstehenden Abend.«

Gia seufzt angewidert. »Dann habe ich ja was, worauf ich mich freuen kann. Wie ich diesen Verein, der sich meine Familie nennt, hasse. Am liebsten würde ich einfach hierbleiben. Sollen sie doch zusehen, dass sie jemand anders finden, der für die Kameras lächelt und so tut, als wäre alles super.«

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»Bleib doch einfach in Blacksbound und geh nicht hin.«

»Du weißt, dass sie einenFahrerschicken. Wachhund könnte man auch sagen. Und dann ist da noch meine Mutter, die unter den Allüren meines Vaters leidet. Sie sollte ihn verlassen, nach allem, was passiert ist.«

»Ich verstehe es auch nicht, um ehrlich zu sein«, pflichte ich Gia bei und schaue in die Schaufenster der kleinen Läden, die die Hauptstraße des niedlichen Ortes säumen.

»Remy?«

»Hm?«

»Vergessen wir unser altes Leben?«

»Was meinst du, weshalb ich hier bin?«, frage ich und drücke sie fest an mich. »Wir werden nie wieder in unsere Vergangenheit zurückkehren und uns mit Leuten herumschlagen, denen wir nicht wichtig sind. Wir sind so viel mehr als bloß Töchter. Mehr als Frauen, die von ihren angeblichen Freundinnen im Stich gelas- sen und von der ach so großen Liebe ihres Lebens zurückgelassen wurden, als die Fassade bröckelte. Wir brauchen all diese falschen Menschen nicht, die uns nur mögen, weil unsere Eltern in Geld schwimmen … oder in meinem Fallschwammen.«

»Gott, du hast so recht. Wie ich diese Scheinheiligkeit hasse«, flüstert sie und nimmt meine Hand. Dann deutet sie auf ein Restaurant am Ende der Straße: »Morgen beginnt dein Job im Zahyos, bist du bereit?«

Ich schüttle den Kopf und muss kichern, da ich mich für all das nicht bereit fühle. Für meinen Nebenjob, für das Studium, für mein neues Leben. Aber jetzt stecke ich mittendrin. Obwohl ich nicht weiß, wie sich alles entwickeln wird, bin ich dankbar dafür, dass ich ins kalte Wasser springen kann. Schlimmer als vorher kann es nicht werden.

»Du schaffst das«, redet sie mir zu und steuert mich sanft zum

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Zahyos. »Da vorne.« Sie zeigt auf einen beleuchteten Eingang. Es wirkt edel.

»Morgen Abend habe ich meine erste Schicht. Eigentlich wollte ich in eine Galerie oder einen Buchladen, aber niemand hat Personal gesucht.«

»Glaub mir, imZahyosbist du gut aufgehoben. Der Laden ist bekannt und dort gehen nur angenehme Leute ein und aus.«

»Warst du schon mal da?«

»Einmal. Eine aus meinem Semester wollte mir unbedingt zeigen, wie cool sie ist«, erklärt sie und muss lachen, als sie mei- nen Gesichtsausdruck bemerkt. »Bis dahin kannten sie meinen Nachnamen nicht und dachten, man könnte mich mit solchen Lokalen beeindrucken.«

»So etwas hat bei uns doch noch nie funktioniert.«

»Wem sagst du das«, erwidert sie.

»Und was ist passiert, als sie herausgefunden haben, dass du die Tochter des CEOs des D’Arrigo-Imperiums bist?«

»Tja, seither habe ich meine Ruhe, weil mich die eine Hälfte für arrogant und die andere für verwöhnt hält. Soll mir recht sein.« Gia zuckt lässig mit den Schultern. »So muss ich mir nicht jedes Wochenende eine neue Ausrede einfallen lassen, wieso ich nicht auf die Hausparty eines Kommilitonen möchte.«

»Da brauche ich wohl keine Befürchtungen zu haben, dass man mich als verzogenes Töchterchen abstempelt, die dank des Geldes ihrer Eltern alles in den Hintern geschoben bekommt. Ist ja nichts mehr davon übrig.«

Gia grinst frech. »Na komm, suchen wir uns ein Café, in dem wir den Abend ausklingen lassen können. Die Tage zeige ich dir den Campus.«

»Unbedingt.«

»Es ist so cool, dass du auch den Bachelor of Fine Arts machst.

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Wir werden zwar nach deinem Freshman-Year nicht den gleichen Major haben, aber vielleicht ja einen gemeinsamen Minor?«

»Auf jeden Fall. Grafik, Typografie und Darstellende Kunst, glaube ich. Das fällt unterKreative Visualisierung, sofern ich mich nicht irre.« Ich halte Gia die Eingangstür zu einem kleinen Eck- café auf.

»Alle drei Kurse sind der Hammer. Was du da innerhalb kür- zester Zeit lernst, ist wirklich unglaublich. Und es ist toll, dass du schon zu Beginn angeben konntest, welchen Major du zukünftig wählen möchtest, und von Anfang an Fotografie in deine Basis einbauen kannst.«

»Ich kann es kaum erwarten. Am liebsten würde ich jetzt schon durch Blacksbound ziehen und eine neue Fotostrecke auf- nehmen.«

»Die Uni wird dir gefallen. Ich bin mir sicher, dass du nicht lange warten musst, bis das erste Projekt startet. Also ich wurde gleich ins kalte Wasser geworfen und musste übers Wochenende einen Rockschnitt machen. Dabei wusste ich gar nicht, was das war. Erinnerst du dich an die Fotos, die ich dir geschickt habe?«

Ich hole mein Handy heraus, suche sie und zeige ihr die Auf- nahmen. Gia schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. »Wie furchtbar!«

Ich schmunzle. »Wollen wir hoffen, dass ich in zwei Wochen noch weiß, wie man den Kameraauslöser drückt.«

»Nein, im Ernst, du wirst es lieben. Der Campus ist gigantisch und versprüht einen leichten Flair von Hogwarts.«

»Vielleicht sollte ich Professor Snape mitnehmen«, sage ich.

»Die Uni sah auf den Fotos mega aus.«

Sie nickt zustimmend und setzt sich ans Fenster.

»Ich glaube, hier gibt es wunderschöne Fotospots, oder?«

»Ja, warte, bis du die Uni in echt siehst, und nicht nur auf

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Fotos.«

»Oh Gott, Gia. Ich möchte sofort los und fotografieren.«

»Ich merke schon, ich werde dich bald nicht mehr zu Gesicht bekommen.«

»Es ist einfach traumhaft«, meine ich und sehe mich in dem urigen Café um. Die Deckenlampen geben warmes Licht ab und die dunklen Holzstühle wirken wie aus einer anderen Zeit.

»Hier sind meistens Kunststudenten«, erklärt Gia.

»Also das Bachelor-of-Fine-Arts-Café?«, scherze ich.

»Yes, das BoFa«, erfindet sie kurzerhand eine Abkürzung.

»Was kannst du von der Karte empfehlen?«

»Einen ultraleckeren Eistee. Irgendetwas mit Holunder, Minze und Beeren.«

»Den nehme ich.«

Der Kellner kommt und Gia bestellt für uns beide den hausge- machten Tee, der uns innerhalb weniger Minuten serviert wird.

»Auf uns! Auf eine gigantische Zukunft«, sagt sie und lächelt, als sie mir ihr Glas zum Anstoßen hinhält.

»Keine falschen Freunde mehr, keine Beziehungen. Nie wie- der Herzschmerz.«

»Nie wieder«, stimmt sie zu.

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Ethan

»Mach schon, Alter. Wir müssen gleich los«, rufe ich Kean durch die halbe Wohnung zu. Er ist schon eine Ewigkeit im Bad. Und wenn er drei weitere Stunden braucht, um seine zwei Millimeter lange Haarpracht zu frisieren, kommen wir zu spät.

Ich bin bereits umgezogen, meine Sachen fürs Zahyos sind gepackt und das Wohnzimmer, das wir nach unserer gestrigen Playstation Session etwas wild hinterlassen hatten, habe ich auch aufgeräumt. Kean kann nicht einmal seine eigenen Klamotten wegräumen, also schnappe ich mir seinen Hoodie und will ihn in sein Zimmer werfen. Doch ich werde im Flur langsamer. Irgend- wie fühlt es sich immer noch merkwürdig an. Es ist nicht mehr Helis Arbeitszimmer, aber ich mag trotzdem nicht in dem Raum sein.

Auch wenn ich das Kapitel in meinem Leben als abgeschlos- sen betrachten möchte, denke ich zu oft daran.

An den Schmerz.

Kean musste aus seiner alten WG raus, und ich kannte ihn bereits seit einigen Jahren aus dem Zahyos. Es stand für mich gleich fest, dass er bei mir unterkommen würde. Wir können uns gut leiden, wieso dann nicht zusammenwohnen, wo wir densel- ben Nebenjob haben und an derselben Uni studieren.

»Wird’s bald?«, frage ich und klopfe energisch gegen die Bad- tür.

Kapitel 2

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»Chill mal, ich bin ja schon fertig«, sagt er, als er aus dem Bad kommt und mir im Vorbeigehen gegen den Oberarm boxt.Schon!

Ich mache mir gerade die Haare, als mein Handy in der Tasche summt.

Blace Parker: Lust heute Abend zum Barbecue vorbeizukommen?

Ich lege das iPhone beiseite, ohne ihm zu antworten. Ich muss mich beeilen, um nicht zu spät zur Schicht zu kommen. Dank meines Mitbewohners bleibt uns jetzt nämlich nicht mehr viel Zeit. Meine Frisur sieht aus, als wäre irgendetwas auf meinem Kopf explodiert, doch mir fehlt die Zeit, um mehr daraus zu machen. Als ich das Wachs zurück in den Schrank stelle, erinnere ich mich an seinen Vorgänger.

Manchmal sehe ich immer noch die alte Einrichtung vor mei- nem inneren Auge. Doch davon ist nichts mehr übrig. Nachdem ich mich im letzten Jahr von Heli getrennt habe, konnte ich ein- fach nicht mehr auf der gleichen Couch liegen, auf der sie und mein Bruder … ich brauchte eine radikale Veränderung. Also habe ich alles ausgetauscht.

Neue Möbel, neuer Mitbewohner, neues Ich.

»Wo bleibst du, Ethan? Ich warte schon den ganzen Tag.«

»Witzig«, erwidere ich und ziehe mir meine Sneaker an. »Na los.«

Wir machen uns auf den Weg insZahyos. Da fällt mir die Nach- richt meines Bruders wieder ein.

Nachdem er mir gestanden hatte, was passiert war, und ich feststellen musste, dass sich Heli in ihn verliebt hatte, dachte ich, meine Welt würde für immer in Scherben liegen. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass ich mich eines Tages mit einem von

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beiden halbwegs normal unterhalten könnte, doch das hat sich inzwischen geändert.

»Alles klar?«, fragt Kean und sieht mich verwirrt an. Erst da wird mir bewusst, dass ich auf den offenen Chatverlauf mit Blace starre, ohne auch nur ein Wort getippt zu haben.

Ich nicke knapp und hoffe, er verschont mich mit weiteren Fragen. Er weiß, was vorgefallen ist, und ich will nicht immer aufs Neue über etwas reden, was ich längst hätte hinter mir lassen sol- len. Was mir nicht mehr so wichtig sein sollte. So ist es zumindest mit Heli, aber nicht mit dem Schmerz, den ich seither spüre. Die Angst, erneut von jemandem enttäuscht zu werden. Ich lasse nie- manden mehr an mich heran. Ich weiß, dass ich vergessen sollte, aber nicht immer gelingt es mir.

Als Blace zum gefühlt tausendsten Mal vor meiner Tür stand und ich ihn nicht wie sonst wegschickte, sondern hereinbat, wusste ich nicht, wie einfach es mir fallen würde, ihm zu verzei- hen. Denn als er mir erklärte, wie es für ihn all die Jahre war, in denen er mir verheimlichte, dass er auf dem Homecoming-Ball mit meiner Jugendliebe Kelly geschlafen hatte, hatte ich beinahe Mitleid mit ihm. Und als mir dann klar wurde, wie es ihm ergan- gen war, als ihm bewusst wurde, dass er sich in meine Heli ver- liebt hatte … Zuerst konnte ich mir nicht vorstellen, dass es ihm damit so schlecht gegangen war. Je mehr er mich in seine Sicht einweihte, desto mehr wurde ich jedoch vom Gegenteil über- zeugt. Und heute? Ja, ich freue mich für sie, weil ich eingesehen habe, dass sie zusammengehören. Vielleicht war es schon von Anfang an so, doch das konnte ich mir nicht sofort eingestehen.

Und nun komme ich mir sogar bescheuert vor, wenn ich mich dabei erwische, dass ich von meiner Heli spreche. Sie ist meine Kommilitonin, meine Ex-Freundin, die – wenn ich ehrlich bin – nur meine beste Freundin war, aber nicht mehr. Ich habe damit

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abgeschlossen und trotzdem denke ich andauernd darüber nach.

Nicht weil ich die Zeit mit ihr vermisse, in der wir uns belogen haben, sondern weil sie ein wichtiger Mensch für mich war, der mich hintergangen hat. Beide haben das getan. Und so bleibt die Angst, nie wieder jemandem vertrauen zu können.

Wenn ich beide zusammen sehe, spüre ich, dass es richtig ist.

Ich kann mich mit ihnen ganz normal unterhalten und dennoch ist das Ganze nicht leicht für mich. DasWie war nicht einfach, doch immerhin weiß ich jetzt, woran ich bin, und rede mir nicht weiterhin etwas ein, was ich mir wünsche, aber mit Heli niemals haben werde. Was ich mit ihr gar nicht haben möchte.

Kurz vorm Restaurant antworte ich schließlich Blace.

Ich: Sorry, muss ins Zahyos. Meine Schicht geht bis elf. Vielleicht ein anderes Mal?

Blace Parker: Klar, Mann. Schreib mir einfach.

»Ist wirklich alles okay?«, hakt Kean nach.

»Ja, nur mein Bruder.«

»Wie läuft’s mit euch?«

»Super«, murmle ich.

»Verstehe, dann los«, meint er und geht insZahyos.

Der Laden ist brechend voll und ein Gewirr aus Gesprächen hängt in der Luft.

»Hey, Jungs«, begrüßt uns Victoria. Sie steht an der Bar und poliert Weingläser. Eine nervige Aufgabe, wenn man mich fragt.

Ich nicke ihr stumm zu und folge Kean in den Mitarbeiterbereich nach hinten.

»Wofür bist du heute eingeteilt?«

»Tische«, erwidert er und rollt mit den Augen. Auch eher

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etwas, was wir nicht so gerne machen. Zwar vergeht die Zeit so am schnellsten, allerdings muss man sich von den Gästen lang- weilige Geschichten anhören oder ihre schlechte Laune ertragen.

»Bist du für die Getränke zuständig?«

»Was sonst? Es ist Freitagabend«, sage ich und schließe den letzten Hemdknopf, ehe ich mir die Krawatte umlege.

Ich verstaue gerade meine Tasche und Jacke im Spind, als Derek auftaucht.

»Parker!«

»Ja, Boss?«

»Kommst du gleich zu mir ins Büro?« Derek fährt sich über die gegelten Haare, um sicherzugehen, dass keine einzige Strähne absteht – typisch.

»Klar, bin sofort da«, antworte ich. Als Derek wieder ver- schwunden ist, wende ich mich an Kean. »Hast du irgendwas mit- bekommen?«

»Kein Plan. Aber da du sein Liebling bist, wird es sicher nicht schlimm. Ich bin vorne.«

Ich seufze und mache mich auf den Weg zu Derek ins Büro.

Hoffentlich hat er keine seiner Sonderaufgaben für mich. Nach- dem ich in der letzten Woche erst das ganze Lager aufräumen musste, würde ich mich jetzt über eine normale Schicht freuen.

»Ethan«, ruft er erfreut und deutet auf den Stuhl vor sich. Ich nehme Platz und tippe ungeduldig mit den Fingern auf dem Ober- schenkel. Heute ist einfach nicht mein Tag. Und je schneller er vorübergeht, desto besser.

»Was gibt es?«

»Heute bekommen wir eine neue Mitarbeiterin. Sie heißt Remy Turner.«

»Okay?« Mir ist nicht ganz klar, worauf er hinauswill.

»Ich möchte, dass du sie einarbeitest. Sie ist neu in der Stadt.

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Das ist ihr Bewerbungsvideo, schau es dir bitte an, bevor sie gleich hier ist.«

»Ich soll mir das Video angucken? Hat sie nicht längst den Job?«, frage ich und nehme ihm verwirrt das iPad ab, weil ich bis- her nie involviert wurde, wenn es um neue Angestellte ging.

»Doch, doch. Ich finde, sie passt super ins Team«, antwortet er und zieht sein Handy aus der Hosentasche, um zu telefonieren.

Ich zucke mit den Achseln und lasse den Film abspielen. Ich sehe Remy Turner auf dem kleinen Bildschirm, und meine Laune wird von jetzt auf gleich schlechter.

Sie wirkt fröhlich, offen, aufgeweckt, interessiert und ver- dammt lebendig – exakt das, was ich nicht gebrauchen kann.

Womit ich seit der Trennung nicht umgehen kann, weil es genau im Gegensatz zu dem steht, was ich in mir spüre.

Super.

Allein wie locker und selbstbewusst sie sich vorstellt. Wie sie sich ihre rote Brille ständig die feine Nase hochschiebt oder ihre Haarsträhnen hinters Ohr streicht – alles an ihr macht den Anschein, dass sie so ziemlich das komplette Gegenteil von dem ist, was man als ruhig bezeichnen würde.

Ihre dunkelblonden Wellen wippen auf und ab, während sie mit einem breiten Lächeln beschreibt, warum sie unbedingt im Zahyos arbeiten möchte. Ich höre ihre helle Stimme keine drei Sekunden und schon jetzt weiß ich, dass ich diesen glücklichen Klang nie wieder aus meinem Gehörgang herausbekommen werde.

Sie hat blaue Augen und volle Lippen. Sie ist schlank und wenn ich gerade nicht in einem Stimmungstief wäre, würde ich sie als unheimlich sympathisch beschreiben. Ja, Remy sieht gut aus, aber mir fällt noch mehr auf, nämlich dass sie verdammt lebensfroh ist. Und ich soll sie einarbeiten? Ich, der seit der Tren-

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nung nur noch tiefschwarze Wolken am Himmel sieht?

Hervorragend.

Also wenn wir kein Spitzenteam sind, weiß ich auch nicht weiter.

»Und, was denkst du?«, erkundigt sich Derek schließlich, als er aufgelegt hat.

»Jap, sie ist die Richtige fürs Team«, lüge ich.

»Finde ich auch. Ich freue mich.«

Mit einem halbherzigen Grinsen stimme ich zu.

Mein Gott, es hätte wirklich kaum jemand sein können, der noch weniger zu mir passt als sie. Aber was soll‘s. Ich muss sie nur einarbeiten und danach habe ich wieder meine Ruhe.

Wollen wir hoffen, dass sie von Angesicht zu Angesicht schüchterner ist und sich nicht gleich mit ihrem breiten Lächeln und diesem lebensbejahenden Wesen auf mich stürzt …

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